Marion Brehm - Rainer Hampp Verlag
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<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 139<br />
<strong>Marion</strong> <strong>Brehm</strong> *<br />
Downward Movement. Verminderte Kompetenz und<br />
Verantwortung in verhaltenswissenschaftlicher Perspektive **<br />
Überlegungen zu Entwicklungen im In- und Umfeld von Organisationen lassen den<br />
Schluss zu, dass Positionswechsel unter den Bedingungen reduzierter Kompetenz und<br />
Verantwortung – die sich hinter dem Begriff Downward Movement verbergen – in Zukunft<br />
einen relativ hohen Stellenwert erlangen könnten. Im vorliegenden Beitrag werden derartige<br />
Karrieremuster verhaltenswissenschaftlich geleitet diskutiert. Verdeutlicht wird, dass<br />
weitreichende individuelle Unterschiede in der Bereitschaft und Absicht zu einer Abgabe<br />
von Kompetenz und Verantwortung bestehen. Diese werden auf unterschiedliche Einstellungen<br />
zur beruflichen Entwicklung und auf verschiedenartig ausgeprägte Normen und<br />
Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf das Karriereverhalten zurückgeführt.<br />
Ferner wird der Versuch unternommen, das organisationale Interesse an Downward<br />
Movement zu analysieren. Dabei werden sowohl funktionale Konsequenzen als<br />
auch dysfunktionale Wirkungen von Versetzungen unter den Bedingungen verminderter<br />
Kompetenz und Verantwortung erörtert. Abschließend werden Einflusspotentiale auf<br />
individuelle Karriereabsichten untersucht. Diese werden vor dem Hintergrund der in<br />
den vorangehenden Ausführungen gewonnenen Erkenntnisse diskutiert; es gilt, funktionale<br />
Effekte von Downward Movement zu fördern, während dysfunktionale Konsequenzen<br />
nach Möglichkeit vermieden werden sollen.<br />
Decreasing authority and responsibility could become an increasingly important<br />
feature of future career patterns. Furthermore, this phenomenon seems to lose part of<br />
its negative image. Based on theoretical reflections the present article discusses the<br />
so-called ‘downward movement’. Significant interindividual differences in motivation<br />
and intention to give up authority and responsibility are found as a result of the<br />
analysis. These differences are attributed to different attitudes, subjective norms and<br />
varying perceived behavioral control with respect to career development.<br />
Moreover this paper tries to explain the interest in of organizations downward<br />
movement. In doing so, functional consequences and dysfunctional effects of a lowerlevel<br />
assignment are discussed. The paper concludes by exploring organizational<br />
opportunities to influence employees’ career intentions. Based on the above-mentioned<br />
explanations it will be shown that downward movement can be designed in such a way<br />
that its positive effects are enhanced, while the negative consequences are reduced<br />
simultaneously. In fact, a more common acceptance of downward movement would help<br />
both employees and organizations.<br />
______________________________________________________________________<br />
* Dr. <strong>Marion</strong> <strong>Brehm</strong>, Jg. 1964, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen,<br />
Institut für Unternehmensführung, Weender Landstr. 14, D-37073 Göttingen.<br />
Arbeitsgebiete: Personal und Organisation, Unternehmensführung, Karrieremanagement,<br />
Arbeitsemotionsforschung.<br />
** Artikel eingegangen: 3.11.98 / revidierte Fassung eingegangen und akzeptiert: 5.3.99.
140 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
1. Problemstellung<br />
In den letzten Jahren haben sich erhebliche Veränderungen für Karrieren in Organisationen<br />
ergeben. Positionswechsel unter den Bedingungen verminderter Kompetenz<br />
und Verantwortung gewinnen vor dem Hintergrund verschiedener Entwicklungen im<br />
In- und Umfeld von Organisationen an Bedeutung. Anzuführen sind zunächst die zunehmende<br />
Dynamisierung und Internationalisierung von Märkten sowie tiefgreifende<br />
technologische Veränderungen bei gleichzeitiger dramatischer Reduktion der Halbwertszeit<br />
des Wissens, in deren Folge erreichte Karriereniveaus nicht immer gehalten<br />
oder sogar ausgebaut werden können. Auch erfordern verschiedene organisationale Reorganisationsprozesse,<br />
die auf flachere Hierarchien hinauslaufen, die Einrichtung alternativer<br />
Karrierepfade.<br />
Nicht zuletzt machen demographische Entwicklungen, wie der wachsende Anteil<br />
älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung, in Zukunft voraussichtlich eine längere<br />
Lebensarbeitszeit erforderlich. Das wird sicherlich nicht generell bei gleichbleibender<br />
oder sogar wachsender Kompetenz und Verantwortung möglich sein. Und auch angesichts<br />
der vielerorts diskutierten Veränderungen individueller Arbeitsorientierungen<br />
sowie des zunehmenden Wunsches von Menschen, Berufs- und Familienarbeit zu vereinbaren,<br />
erscheint es möglich, von der Uniformität und Starrheit bisheriger Karriereverläufe<br />
abzurücken. Nicht mehr von allen Menschen wird beruflicher Erfolg mit einer<br />
Serie von Beförderungen gleichgesetzt.<br />
Gleichzeitig darf nicht übersehen werden, dass die Verminderung von Kompetenz<br />
und Verantwortung vielen Menschen auch unvereinbar mit ihren Karriereorientierungen<br />
erscheint und als Versagen, Misserfolg oder Fehlschlag interpretiert werden könnte. Je<br />
nach Art des Karriereschrittes werden dem verkleinerten Handlungsspielraum und seinen<br />
Folgeereignissen im Rahmen der subjektiven Verarbeitung und Bewertung möglicherweise<br />
negative Bedeutungen zugeordnet. In Anbetracht von Individualisierungsund<br />
Pluralisierungstendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft zeichnet sich jedoch ab,<br />
dass neben dem verbreiteten Aufstiegsdenken auch andere laufbahnbezogene Absichten<br />
Geltung erlangen, die einem Downward Move weniger im Wege stehen. Die angeführten<br />
Überlegungen lassen sogar die Folgerung zu, dass Karriereschritte unter verminderter<br />
Kompetenz und Verantwortung zukünftig einen relativ hohen Stellenwert erlangen<br />
könnten.<br />
Dennoch ist eine große Unsicherheit im Umgang mit derartigen Versetzungen erkennbar,<br />
die bis zu ihrer Tabuisierung reicht. Häufig wird die Abgabe von Kompetenz<br />
und Verantwortung getarnt, indem der Downward Move nach außen als Beförderung<br />
ausgegeben wird. Durch die Verleihung eines wohlklingenden Titels, höheren Gehalts<br />
oder anderer Aufstiegssurrogate wird der Betreffende symbolisch bessergestellt, während<br />
ihm gleichzeitig Kompetenz und Verantwortung entzogen werden. Vor diesem<br />
Hintergrund ist es Ziel dieses Beitrags, das vielschichtige Phänomen Downward Movement<br />
einzufangen und unter Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse<br />
zu seiner Erklärung und Gestaltung – und damit zu einer Enttabuisierung der<br />
Problematik – beizutragen. Dementsprechend steht in Abschnitt 2 zunächst die Darstellung<br />
des Phänomens ‘Downward Movement’ unter Andeutung seines Facettenreichtums
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 141<br />
im Vordergrund. Im darauffolgenden dritten Abschnitt wird im Licht der ‘Theorie des<br />
geplanten Handelns’ die Bereitschaft bzw. die Absicht von Individuen analysiert,<br />
Downward Movement zu vollziehen respektive zu vermeiden. Im vierten Abschnitt<br />
folgt eine Diskussion der organisationalen Interessenlage in Bezug auf das Karrieremuster,<br />
um auf dieser Basis im letzten Abschnitt über Möglichkeiten organisationaler Einflussnahme<br />
auf individuelle Karriereabsichten nachzudenken.<br />
2. Das Phänomen ‘Downward Movement’<br />
Um sich der Bedeutung von Downward Movement anzunähern, könnte man zunächst<br />
diverse deutsche Übersetzungen, wie ‘beruflicher Abstieg’, ‘Degradierung’,<br />
‘Rückschritt und Stagnation’ u.ä. zu Hilfe nehmen. Im Folgenden wird der amerikanische<br />
Terminus jedoch beibehalten, da obige Übersetzungen zu eng angelegt sind und<br />
ihnen vor allem auch negative emotionale Begleitvorstellungen zukommen. So rufen<br />
Abstieg, Degradierung etc. Assoziationen wie Versagen, Misserfolg, Fehlschlag oder<br />
Verzweiflung hervor, subjektive Empfindungen, die nicht zwangsläufig mit Downward<br />
Movement einhergehen müssen, wie im weiteren noch deutlich werden wird.<br />
Wertungen vermeidend, kann Downward Movement als Wechsel eines Arbeitnehmers<br />
auf eine Position, die mit geringerer Kompetenz und Verantwortung ausgestattet<br />
ist, angesehen werden (<strong>Brehm</strong> 1998, 23ff.). Das theoretische Konstrukt ‘Kompetenz’<br />
wird hier interpretiert als derjenige Handlungsspielraum, welcher bestimmten Personen<br />
oder Positionsinhabern eingeräumt wird. Innerhalb dieses Spielraumes sind alle Maßnahmen<br />
zu ergreifen, die zu einer ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung beitragen (Hill/ Fehlbaum/Ulrich<br />
1989, 124; Bleicher 1991, 36). So gesehen sind Kompetenzen positionsspezifische<br />
Rechte und Befugnisse, die das Handeln der Organisationsmitglieder formal legitimieren<br />
(Bleicher 1980, 1056f.). ‘Verantwortung’ hingegen entpricht der Pflicht einer Person,<br />
für die zielgemäße Erfüllung einer Aufgabe persönlich einzustehen (Hauschildt 1995,<br />
2097). Sie begründet die Haftung oder Belangbarkeit des Verantwortlichen für Erfolglosigkeit,<br />
Schaden oder Nichterfüllung im Zusammenhang mit der Aufgabe sowie für nicht<br />
wahrgenommene Kompetenzen (Hill/Fehlbaum/Ulrich 1989, 124).<br />
Demnach beinhaltet die neue Position nach einem Downward Move in Relation zu<br />
der vorherigen ein reduziertes Maß an Rechten und Befugnissen – aber auch geringere<br />
positionsspezifische Pflichten des Mitarbeiters. Inhaltlich konkretisieren lässt sich die<br />
verminderte Kompetenz und Verantwortung beispielsweise in einer abnehmenden Bedeutung<br />
oder Tragweite der Arbeitsaufgabe, einer kleineren Zahl von Untergebenen und<br />
damit verminderter Fremd- und Führungsverantwortung oder in einem kleineren Entscheidungsbereich<br />
des Mitarbeiters. Generell ziehen geringere Kompetenz und Verantwortung<br />
somit eine geringere Höhe oder geringere Wahrscheinlichkeit von Schäden, die<br />
durch das Arbeitsverhalten des Mitarbeiters entstehen könnten und einen geringeren<br />
Beitrag des Mitarbeiters zur Verminderung von Ungewissheit nach sich.<br />
Spielarten von Downward Movement<br />
Im organisationalen Karrieresystem spiegeln sich Kompetenz- und Verantwortungsreduktionen<br />
im Zuge von Positionswechseln in vertikalen, horizontalen oder zent-
142 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
rifugalen Bewegungen wider. Die erste Form betrifft den organisationalen Rang und<br />
entspricht i.d.R. hierarchischem Abstieg in engerem Sinne. In manchen Fällen ist allerdings<br />
auch ein hierarchischer Aufstieg mit verminderter Kompetenz und Verantwortung<br />
verbunden; man spricht dann von sogenannten Scheinaufstiegen. Downward Movement<br />
in horizontaler Richtung bringt die Übernahme anderer Aufgaben mit sich, welche mit<br />
geringeren Befugnissen und Rechenschaftspflichten, aber nicht mit einem Hierarchieebenenwechsel<br />
verbunden sind. Die dritte Form schließlich – hier als zentrifugale Bewegung<br />
bezeichnet – berücksichtigt das Zurückziehen der Betroffenen von wichtigen<br />
Schaltstellen innerhalb der jeweiligen hierarchischen Ebene. Es handelt sich dabei um<br />
eine vergleichsweise subtile Bewegung vom inneren Zentrum oder dem Kern in Richtung<br />
der Peripherie einer Organisation. Wenn jemand seltener an Entscheidungen mitwirkt,<br />
geringere Kontrollrechte ausübt oder Führungsverantwortung abgibt, entfernt er<br />
sich vom inneren Kern der Organisation entlang einer Zugehörigkeits- oder Zentralitätsdimension.<br />
Dabei nimmt die ‘soziale Sichtbarkeit’ innerhalb und bei eingeschränkter<br />
Vertretungskompetenz auch außerhalb der Organisation (als deren wahrgenommener<br />
Repräsentant) ab.<br />
In der Praxis können sich vertikale und horizontale mit zentrifugalen Bewegungsformen<br />
von Downward Movement selbstverständlich partiell überlagern. Häufig korrelieren<br />
Bewegungen hierarchieabwärts und Bewegungen in Richtung der organisationalen<br />
Peripherie, aber es ist ebenso möglich, dass (Schein-)Aufstiege mit abnehmender<br />
Zentralität einhergehen. Eine geringere soziale Sichtbarkeit bei Verbleiben auf derselben<br />
Hierarchiestufe ist beispielsweise bei einem Wechsel von der Linie zum Stab oder<br />
bei einem Rückzug von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitstelle wahrscheinlich. Auch die<br />
(horizontale) Versetzung von der Mutter- zu einer Tochtergesellschaft bzw. von der<br />
Hauptstelle zu einer Filiale zieht einen geringeren Zentralitätsgrad nach sich.<br />
Ein weiterer wesentlicher Aspekt für die Differenzierung unterschiedlicher Spielarten<br />
von Downward Movement ist das zeitliche Andauern der Verminderung von Kompetenz<br />
und Verantwortung. Dieses Unterscheidungsmerkmal verweist darauf, dass befristete<br />
und auch dauerhaft angelegte Downward Moves vorstellbar sind. Die temporäre<br />
Form beinhaltet, dass das ursprüngliche Ausmaß an Kompetenz und Verantwortung<br />
später wiedergewonnen, möglicherweise sogar übertroffen wird. Häufig dient dieser<br />
Schritt der Weiterentwicklung des Mitarbeiters; er kann einen blockierten Karrierepfad<br />
verlassen und Erfahrungen in anderen Funktionen und Bereichen als Voraussetzung für<br />
einen erneuten Aufstieg sammeln ( Hall 1976, 187). Da einerseits ein gewisses Maß an<br />
Kompetenz und Verantwortung erreicht sein muss, um einen ‘Rückschritt’ vorzunehmen,<br />
andererseits aber auch genügend Zeit zur Neuorientierung verbleiben muss, ist<br />
dieses Mobilitätsmuster vornehmlich in der mittleren Phase des individuellen Laufbahnzyklusses<br />
anzusiedeln.<br />
In Gestalt dauerhaften Downward Movements ist in absehbarer Zeit nach dem Karriererückschritt<br />
keine erneute Zunahme von Kompetenz und Verantwortung vorgesehen.<br />
Ein solches Mobilitätsmuster wird sich in der Regel erst in den späten Karrierejahren<br />
ergeben; eine vormals aufwärtsgerichtete Laufbahn senkt sich ganz am Ende wieder<br />
nach unten. Diese Absenkung der Laufbahnkurve in der späten Karrierephase darf vielleicht<br />
sogar als ‘organisch’ in dem Sinne interpretiert werden, als sie dem Verlauf der
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 143<br />
biologischen Lebenskurve entspricht (Leupold 1987, 101ff.). In diesem Fall wäre es generell<br />
empfehlenswert, bei der Laufbahnplanung ganz bewusst für die Endphase der beruflichen<br />
Entwicklung jeweils eine etwas tiefer gelegene Position vorzusehen. Zu denken<br />
ist dabei an Stellen, die durch geringere Entscheidungskompetenz und Anordnungsrechte,<br />
weniger Zeitdruck und stattdessen, im Hinblick auf den Erfahrungsschatz des älteren<br />
Mitarbeiters, durch mehr beratende Aufgaben gekennzeichnet sind. Sicherlich wäre<br />
es jedoch falsch, einen abflachenden Karriereverlauf als für alle oder auch nur für einen<br />
Großteil der Arbeitnehmer erstrebenswert hinzustellen und als altersgemäße Erleichterung<br />
bzw. als gute Vorbereitung auf den Ruhestand zu empfehlen. In der Praxis<br />
finden sich vielleicht nur wenige Führungskräfte, die so empfinden. Anstatt allerdings<br />
älteren Arbeitnehmern selbst die Entscheidung über ihre berufliche Zukunft zu überlassen,<br />
greifen Organisationen mit dem Hinweis auf Rationalisierungsnotwendigkeiten<br />
vermehrt zum Mittel der vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand (Mölleney 1997, 17).<br />
Vor dem Hintergrund der voraussehbaren demographischen Veränderungen wird eine<br />
derartige Politik jedoch nicht tragbar sein, da das Rentenversicherungssystem dies kaum<br />
mehr zulässt und schon in der Vergangenheit längerfristige Beschäftigungslosigkeit und<br />
verdeckte Arbeitslosigkeit in den höheren Altersgruppen häufig anzutreffen war (Lehr<br />
1981, 914). Außerdem steigt die Akzeptanz von Downward Movement – als Alternative<br />
zum Verlassen der Organisation – mit zunehmendem Alter stark an (Hall/Isabella 1985,<br />
15ff.). Damit zeichnet sich für die Gestaltung der späten Karrierephase in der Organisation<br />
ein Betätigungsfeld ab, dem in der Vergangenheit wenig Beachtung geschenkt<br />
wurde.<br />
Weiterhin lassen sich die Spielarten von Downward Movement in Abhängigkeit<br />
von der Anzahl der Betroffenen danach unterscheiden, ob sie als Individual- oder als<br />
Gruppenentwicklung anzusehen sind. Häufiger werden vermutlich einzelne Individuen<br />
einen Downward Move vollziehen, aufgrund persönlicher Bedürfnisse und Notwendigkeiten<br />
beispielsweise oder wegen veralteter Qualifikationen. Im Zuge der Auflösung organisationaler<br />
Bereiche, deren Leistungen nicht mehr nachgefragt werden, oder der Entfernung<br />
einer ganzen hierarchischen Ebene stehen jedoch auch größere Mitarbeitergruppen<br />
zur Disposition, für welche nach Lösungen zu suchen ist. Downward Movement<br />
dürfte hier eine Alternative bieten zu verschiedenen Formen betriebsbedingter<br />
Trennung von Mitarbeitern. Eine besondere Möglichkeit gruppenbezogenen Downward<br />
Movements stellt dabei das Inplacement-Konzept dar (Freimuth 1994, 75ff.). Sein Anliegen<br />
besteht darin, Mitarbeitergruppen, die von einer Beschäftigungskrise betroffen<br />
sind, innerhalb der Organisation in eine Qualifizierungsschleife zu bringen, die sie anschließend<br />
zur Übernahme neuer Aufgaben befähigt.<br />
Damit wurden schon einige Anlässe angedeutet, die aus organisationaler Perspektive<br />
für Downward Movement sprechen – Reorganisationsprozesse oder unbefriedigende<br />
Leistungen von Mitarbeitern beispielsweise. Von derartigen Überlegungen wird der<br />
Umgang mit Downward Movement entscheidend geprägt. Daneben stellen Organisationen<br />
für dort arbeitende Menschen einen Ort der Bedürfnisbefriedigung dar (Schanz<br />
1994, 10f.). Sie dienen damit (auch) als Mittel zur Erreichung persönlicher Ziele ihrer<br />
Mitglieder. Für die Gestaltung von Downward Movement bedeutet dies, dass dieses<br />
Karrieremuster nicht nur den Zielen von Organisationen, sondern auch denen ihrer Mit-
144 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
glieder förderlich sein muss. Bevor auf die organisationale Interessenlage in Bezug auf<br />
Downward Movement näher einzugehen ist, werden daher im folgenden Abschnitt die<br />
individuellen Karriereabsichten theoriegeleitet hinterfragt.<br />
3. Downward Movement im Licht der ‘Theorie des geplanten Handelns’<br />
Die alltägliche Erfahrung lehrt, dass sich das Verhalten von Individuen beträchtlich<br />
voneinander unterscheidet. Dies gilt auch im Hinblick auf die berufliche Entwicklung.<br />
Zu erkennen ist das mitunter daran, dass ein Individuum die Erlangung von Kompetenz<br />
und Verantwortung – beispielsweise von Managementkompetenz – besonders hartnäckig<br />
verfolgt, während eine andere Person dem gar keine Bedeutung beizumessen<br />
scheint. Derartige Unterschiede sind vermutlich unter anderem auf verschieden ausgeprägte<br />
Einstellungen zurückzuführen, wobei die Frage auftaucht, wie derartige Phänomene<br />
angemessen erklärt werden können.<br />
Unterstellt werden darf, dass nicht nur eigene Einstellungen zu bestimmten Entwicklungsschritten<br />
in die persönliche Karriereplanung einfließen, sondern dass auch die<br />
Erwartungen des privaten und beruflichen Umfeldes berücksichtigt werden. Dies gilt<br />
besonders vor dem Hintergrund moderner Industriegesellschaften, in denen die berufliche<br />
Position ein recht beliebter Indikator für den sozialen Status eines Menschen und<br />
daher Gegenstand sozialer Vergleichsprozesse ist (Koch 1981, 7). Will man individuelles<br />
Karriereverhalten verstehen, so ist also nach den karrierebezogenen Einstellungen zu<br />
fragen; aber auch danach, welchen sozialen Normen ein Individuum unterliegt und inwieweit<br />
diese auf bestimmte Verhaltensdispositionen Einfluss nehmen. Darüber hinaus<br />
beziehen Menschen in ihre Karriereplanung i.d.R. ein, ob bestimmte Karriereschritte im<br />
Rahmen der eigenen und der organisationalen Möglichkeiten liegen. Somit kommt ein<br />
Faktor ins Spiel, der sich auf die Durchsetzbarkeit bzw. die Kontrollierbarkeit der Karriereabsichten<br />
bezieht.<br />
Vor diesem Hintergrund stellt die ‘theory of planned behavior’ von Icek Ajzen<br />
(Ajzen 1985, 29ff.; Ajzen/Madden 1986, 456ff.; Ajzen 1987, 44ff. und Ajzen 1988,<br />
127ff.) ein geeignetes Instrumentarium für das Verständnis – und damit auch für die<br />
Prognose und Beeinflussung – von beruflichem Entwicklungsverhalten bereit (zu einer<br />
ausführlicheren Darstellung vgl. <strong>Brehm</strong> 1998, 53ff.). Sie versteht sich als Erweiterung<br />
der ‘theory of reasoned action’ von Martin Fishbein und Icek Ajzen (Fishbein/Ajzen<br />
1975, 13ff.; Ajzen/Fishbein 1980, 5ff.).<br />
Angenommen wird, dass die Absicht einer Person, ein bestimmtes Verhalten zu<br />
zeigen, maßgeblich von drei Faktoren abhängt: ihrer Einstellung zur Durchführung dieser<br />
Handlung (d.h. zu einem bestimmten Verhalten in einer speziellen Situation), ihrer<br />
Meinung darüber, was sie in dieser Situation zu tun habe (d.h. ihrer subjektiven Norm)<br />
und ihrer wahrgenommenen Verhaltenskontrolle. Nachfolgendes Schaubild visualisiert<br />
die Zusammenhänge (Ajzen/Madden 1986, 458):
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 145<br />
Einstellungskomponente<br />
Subjektive Norm Verhaltensintention Verhalten<br />
Wahrgenommene<br />
Verhaltenskontrolle<br />
3.1 Die individuelle Einstellung zu dem Karriereverhalten<br />
Die Bewertung einer speziellen Verhaltensweise durch das Individuum oder seine<br />
Einstellung dazu kann als eine Funktion der erwarteten Konsequenzen des Verhaltens<br />
und der Valenz dieser Konsequenzen für das Individuum angesehen werden (Ajzen/Fishbein<br />
1980, 62ff.; Ajzen 1988, 120). In die Einstellung des Individuums gegenüber<br />
dem Verhalten fließen demnach sowohl Erwartungen über Auswirkungen des Verhaltens<br />
als auch Bewertungen dieser Auswirkungen ein; die Einstellung zum Verhalten<br />
ist also begrifflich in Ausdrücken der Erwartungs-Wert-Theorie erfassbar.<br />
In der Regel glauben Menschen, dass ein bestimmtes Verhalten sowohl positive als<br />
auch negative Konsequenzen nach sich zieht. Ihre Einstellung zum fraglichen Verhalten<br />
bezieht sich auf die Gesamtheit der erwarteten Konsequenzen (Ajzen/Fishbein 1980,<br />
67). In der Einstellung zu Downward Movement kommt deshalb zum Ausdruck, ob ein<br />
Individuum von einem Positionswechsel mit verminderter Kompetenz und Verantwortung<br />
überwiegend Belohnungen (positive Einstellung) oder Bestrafungen (negative Einstellung)<br />
erwartet.<br />
Mit der Abgabe von Kompetenz und Verantwortung kann beispielsweise eine<br />
Verminderung von Stress sowie gesundheitlicher Nutzen verbunden werden. Vielfach<br />
stellt sich ferner das Ausbalancieren der beiden Interessensphären Beruf und Familie/<br />
Freizeit einfacher dar. Downward Movement kann jedoch auch die Erwartung geringerer<br />
Herausforderungen der Arbeit hervorrufen, vielleicht werden auch Veränderungen in<br />
den sozialen Beziehungen assoziiert. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine<br />
Schmälerung von Kompetenz und Verantwortung eng mit Einkommenseinbußen verknüpft<br />
wird (zu einer ausführlicheren Analyse der Konsequenzen von Downward Movement<br />
vgl. <strong>Brehm</strong> 1998, 80ff.).
146 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
Derartige Konsequenzen aus Downward Movement werden von Mensch zu<br />
Mensch sehr unterschiedlich erlebt und bewertet. Im Ergebnis ist davon auszugehen,<br />
dass die Einstellungen zu Positionswechseln unter Verminderung von Kompetenz und<br />
Verantwortung recht verschiedenartige Ausprägungen annehmen können. Erklärungsansätze<br />
dafür liefern differenzierte auf den beruflichen Lebensweg bezogene Motive<br />
bzw. Motivbündel, die unterschiedliche Karrierewünsche der Menschen widerspiegeln.<br />
Diese Berufs- oder Karriereorientierungen bilden die motivationale Basis der individuellen<br />
Einstellung zum Karriereverhalten; sie beschreiben gleichsam den Anreizcharakter,<br />
den verschiedene Karriereschritte für einen Mitarbeiter besitzen (Domsch/Gerpott<br />
1987, 575). Allgemeiner gefasst geben Karriereorientierungen Auskunft über das Verhältnis<br />
der Individuen zu Arbeit und Karriere, und sie zeigen auf, welche Aspekte im<br />
Arbeitsleben für den einzelnen wichtig sind.<br />
Relativ umfassende Studien über berufliche Orientierungsmuster sind durch Lutz<br />
von Rosenstiel und Mitarbeiter angestellt worden (Rosenstiel 1984, 203ff.; Rosenstiel<br />
1987, 35ff.; Rosenstiel/Stengel 1987, 1ff.; Rosenstiel 1992, 327ff. sowie Rosenstiel<br />
1993, 47ff.), von denen auch Konsequenzen für die Einstellung gegenüber Downward<br />
Movement abzuleiten sind. Sie unterscheiden drei grundlegende Orientierungen: Wenn<br />
der berufliche Aufstieg ein zentrales Lebensinteresse darstellt, sprechen sie von ‘Karriereorientierung’.<br />
Karriereorientierte Personen weisen eine hohe Identifikationsbereitschaft<br />
mit den organisationalen Zielen auf, zeigen eine positive Einstellung zu Arbeit,<br />
Wachstum und Technik, präferieren Gehaltssteigerungen gegenüber Arbeitszeitverkürzungen<br />
und haben – gemessen an den Inglehart-Items – eine eher materialistische Einstellung.<br />
Die Vorstellung, Kompetenz und Verantwortung dauerhaft abzugeben, hätte<br />
für Menschen dieser Berufsorientierung Motivations- und Identitätsprobleme zur Folge.<br />
Hingegen könnte ein temporärer Downward Move positiv bewertet werden, wenn er<br />
primär als Grundlage für einen erneuten Aufstieg interpretierbar wäre.<br />
Liegen die zentralen Lebensinteressen hingegen im Freizeitbereich, und berufliche<br />
Arbeit wird hauptsächlich als Mittel gesehen, diese Freizeitinteressen verfolgen zu können,<br />
sprechen Rosenstiel und Mitarbeiter von ‘Freizeitorientierung’. Freizeitorientierte<br />
Individuen suchen eine stark fordernde, Aufstiegschance versprechende Situation in einem<br />
Unternehmen der Wirtschaft zu vermeiden und trachten das Zentrum ihres Lebens<br />
in andere Bereiche zu verlagern. Ihre Arbeitsmoral ist vergleichsweise schwach ausgeprägt.<br />
Ist die Bereitschaft, sich in der beruflichen Arbeit zu engagieren hingegen groß, allerdings<br />
nur unter der Bedingung, dass damit zugleich eigene wertorientierte Ziele erreicht<br />
werden können, liegt eine ‘alternativ engagierte Berufsorientierung’ vor. Alternativ<br />
Engagierte weisen die größten Diskrepanzen zwischen den erlebten Zielen und<br />
den aus ihrer Sicht wünschenswerten Zielen der Organisation auf, was vor allem daran<br />
liegt, dass sie als wünschenswerte Ziele – ganz gegensätzlich zu den erlebten Zielen –<br />
den Umweltschutz, die Persönlichkeitsentwicklung der Mitarbeiter und die Entwicklung<br />
der Dritten Welt betonen. Sie sind – im Sinne Ingleharts – relativ ausgeprägt postmaterialistisch<br />
orientiert, sprechen sich eher für Arbeitszeitverkürzungen als für Gehaltssteigerungen<br />
aus, haben aber dennoch – und hierin gleichen sie den Karriereorientierten –
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 147<br />
eine ausgesprochen positive Einstellung zur Arbeit, in der sie allerdings vieles nachhaltig<br />
modifizieren und verbessern wollen.<br />
Die Folgeereignisse von Downward Movement werden von stärker freizeitorientierten<br />
Menschen sicherlich positiver bewertet als von stärker karriereorientierten. Alternativ<br />
engagierte Individuen werden die Bewertung jeweils in Abhängigkeit ihrer eigenen<br />
wertorientierten Ziele vornehmen.<br />
Derartige Ergebnisse der Karriereforschung dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass die gefundenen Orientierungsmuster alles andere als unveränderlich<br />
sind. Bedürfnisse und Motive von Mitarbeitern können sich auch von einer stärkeren<br />
Karriereorientierung wegentwickeln, hin zu einer mehr selbst- oder familienorientierten<br />
Haltung und umgekehrt. Die Mehrzahl der karrierebezogenen Verhaltensweisen (wie<br />
auch Downward Movement) steht vermutlich nur noch in indirekter Beziehung zu den<br />
ursprünglichen Motivlagen. In die Bewertung der Konsequenzen von Downward Movement<br />
fließt auch die momentane berufliche und private Situation des Individuums ein.<br />
Damit rücken Karriere- bzw. Lebensphasen in den Mittelpunkt des Interesses, die neben<br />
den Karriereorientierungen die Valenz der Folgeereignisse eines Positionswechsels unter<br />
Verminderung von Kompetenz und Verantwortung beeinflussen.<br />
Der Grundgedanke einer lebensphasenspezifischen Bewertung der Konsequenzen<br />
von Downward Movement ist dabei folgender: Die menschliche Entwicklung ist durch<br />
das Durchlaufen verschiedener Phasen bzw. Stadien charakterisiert. In jeder dieser Phasen<br />
stellen sich dem Individuum ganz bestimmte Aufgaben. Die Besonderheit der jeweiligen<br />
Entwicklungsphase des Mitarbeiters hat Einfluss darauf, ob eine Verkleinerung<br />
des Verantwortungsbereiches als Degradierung oder als Entlastung bzw. Neuanfang<br />
empfunden wird. So kommt es in bestimmten Lebensphasen aufgrund bedeutsamer<br />
Verpflichtungen gegenüber anderen Menschen im Kreise der Familie (Kinder, Partner,<br />
alternde Familienmitglieder) häufig zu Konflikten zwischen familiären und beruflichen<br />
Verpflichtungen, denen durch eine (temporäre) Abgabe von beruflicher Kompetenz und<br />
Verantwortung entgegengewirkt werden kann. Auch werden manche Menschen durch<br />
persönliche Krisen in der mittleren Lebensphase dazu angehalten, Veränderungen durch<br />
einen beruflichen Neuanfang zu suchen, an deren Beginn ein Downward Move stehen<br />
könnte. Größere Bedeutung noch ist Downward Movement in späteren Phasen des Lebenszyklusses<br />
beizumessen, da dann u.a. gesundheitliche Gründe für eine positive Bewertung<br />
sprechen können. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Positionswechsel zeitlich<br />
vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze liegen muss – er kann ebenso gleichzeitig<br />
oder später erfolgen, um so einen an die individuelle Entwicklung angepassten<br />
Übergang in die nachberufliche Phase zu ermöglichen. Durch die verminderte Kompetenz<br />
und Verantwortung wäre eine altersentsprechende positive Belastung bis in ein relativ<br />
hohes Lebensalter zu ermöglichen und gleichzeitig die Anpassung an den Ruhestand<br />
durch die teilweise Vorwegnahme desselben während der Arbeitsphase zu erleichtern<br />
(Hedaa/Joynt 1981, 139ff.). Menschen, die den Zeitpunkt ihres Berufsendes selbst<br />
bestimmen können oder für die ein allmählicher Übergang in die nachberufliche Phase<br />
möglich ist, erleben das Berufsende weniger als Belastung (Lehr/Wilbers 1992, 209).<br />
Zu resümieren ist, dass eine einstellungstheoretische Analyse von Downward Movement<br />
diverse Veränderungen in der privaten und beruflichen Lebenssphäre infolge
148 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
der Abgabe von Kompetenz und Verantwortung zu berücksichtigen hat. Derartige Veränderungen<br />
werden von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation differenziert<br />
bewertet. Als variierende Einflussgrößen wurden Karriereorientierungen und Lebensphasen<br />
betrachtet.<br />
Diese einstellungstheoretische Perspektive ist im Folgenden zu ergänzen um den<br />
Einfluss des sozialen Kontextes des Individuums, denn individuelle Karriereentscheidungen<br />
werden nicht nur von eigenen Einstellungen determiniert, sondern in hohem<br />
Maß von der sozialen Umgebung beeinflusst, d.h. sozialstrukturell kanalisiert und normativ<br />
lizensiert. Die im jeweiligen Umfeld des Individuums herrschenden Ansichten<br />
über die Möglichkeit und Zulässigkeit beruflichen Auf- und Abstiegs sowie von Seitwärtsbewegungen<br />
sind wichtige Faktoren, die die Bereitschaft zu Downward Movement<br />
beeinflussen. Ist von Interesse, in welcher Weise individuelles Karriereverhalten durch<br />
das soziale Umfeld beeinflusst wird, so liegt es folglich nahe, das Konzept subjektiver<br />
Norm auf diese spezielle Problematik anzuwenden.<br />
3.2 Die subjektive Norm in Bezug auf Downward Movement<br />
Die hier zugrundeliegende ‘theory of planned behavior’ bezieht den Einfluss der<br />
sozialen Umgebung über eine normative Komponente in die Bestimmungsfaktoren des<br />
Verhaltens ein (Ajzen/Fishbein 1980, 57). Diese Komponente, die auch als subjektive<br />
Norm bezeichnet wird, bezieht sich auf die von der Person angenommene Wahrscheinlichkeit,<br />
dass Mitglieder von für sie wichtigen Bezugsgruppen die Ausführung des gegebenen<br />
Verhaltens erwarten. Dabei werden die normativen Überlegungen mit der Motivation<br />
der Person, diesen Erwartungen zu entsprechen, gewichtet. Natürlich werden in<br />
verschiedenen Verhaltenssituationen nicht die Erwartungen stets derselben Bezugsgruppen<br />
oder -personen als relevant empfunden. Während also in einigen Situationen<br />
die Erwartungen der Freunde oder der Familie einer Person am bedeutsamsten sind,<br />
können in anderen Situationen die Normen von Kollegen oder sogar die der Gesellschaft<br />
im Allgemeinen den stärksten Einfluss ausüben. Für individuelles karrierebezogenes<br />
Verhalten sind vornehmlich Bezugsgruppen aus dem beruflichen Umfeld und der<br />
privaten Sphäre zu berücksichtigen, da beide Bereiche von den Karriereschritten tangiert<br />
werden.<br />
Zu dem engeren beruflichen Umfeld des Mitarbeiters gehören zunächst einmal die<br />
Gruppen, welchen er angehört. Die einer Arbeitsgruppe zuzurechnenden Individuen<br />
entwickeln regelmäßig eigene Normen, d.h. formelle und informelle Bestimmungen, die<br />
das Verhalten der Mitglieder im Kontext der Organisation regeln (hierzu Städler, 1984,<br />
68f.). Derartige Gruppennormen können die unterschiedlichsten Verhaltensbereiche betreffen,<br />
so z.B. den Führungsstil, die Arbeitszeitgestaltung, die Verwendung einer bestimmten<br />
Sprache oder Ausdrucksweise sowie äußere Merkmale wie Anzugsordnung,<br />
Haartracht oder Bürogestaltung. Für die hier interessierende Problematik sind Normen<br />
im Bereich des Karriereverhaltens von Interesse. Vorstellungen von Arbeitsgruppen<br />
über die ‘normale’ Karriereentwicklung und -ambition, das ‘normale’ Arbeitspensum<br />
und die ‘normale’ Weiterbildungsmotivation weichen zuweilen erheblich von den vorgegebenen<br />
Standards ab. Solche internen Normen bilden sich während langfristiger<br />
Prozesse der wechselseitigen Beeinflussung heraus. Nach und nach bekommt jedes
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 149<br />
Gruppenmitglied einen Eindruck von den Motiven und Erwartungen der anderen Mitglieder<br />
und erkennt anhand ihrer Reaktionen, welche karrierebezogenen Verhaltensweisen<br />
innerhalb bestimmter Bandbreiten den internen Normen gerecht werden und wann<br />
gegebenenfalls mit Sanktionen der Gruppe zu rechnen ist. So kann ein Gruppenmitglied<br />
einerseits aufgrund einer übergroßen Aufstiegsorientierung als ‘Streber’ oder ‘Kriecher’<br />
kritisiert und gemieden werden, andererseits aber auch, weil es mit seinen Karriereambitionen<br />
deutlich hinter den anderen zurückbleibt (‘Versager’, ‘Querulant’).<br />
Besondere Bedeutung kommt auch jenen Bezugspersonen zu, die dem Individuum<br />
direkt vorgesetzt sind. Im Rahmen ihrer Tätigkeiten der Steuerung, Motivation und<br />
Überwachung stellen sie Quellen bestimmter Normen und Werte dar, die den Bezugsrahmen<br />
für das Karriereverhalten ihrer Mitarbeiter konstituieren. Die karrierebezogenen<br />
Normen des Vorgesetzten können in direkter Form an den Mitarbeiter herangetragen<br />
werden (‘Ich erwarte von Ihnen den Wechsel zu Position XY’). Sie können jedoch auch<br />
indirekt wirken, etwa indem sich ein Mitarbeiter an dem Karriereverhalten der Führungskraft<br />
orientiert. Diese fungiert dann als normative Bezugsperson.<br />
Gehen die karrierebezogenen Normen bzw. Verhaltenserwartungen von der Gesamtorganisation<br />
aus, so kann man dies als Einfluss der Organisationskultur auf das<br />
Karriereverhalten der Mitarbeiter interpretieren. Die Organisationskultur umfasst das<br />
charakteristische Werte- und Normensystem einer Organisation, das bei einer Mehrzahl<br />
ihrer Mitglieder zu nicht mehr hinterfragten, selbstverständlichen Voraussetzungen des<br />
Handelns und Verhaltens wird (vgl. hierzu Schanz 1994, 270ff.). Organisationen reflektieren<br />
teilweise die größeren Kulturkreise, in die sie eingebettet sind, entwickeln jedoch<br />
auch eigene Kulturen als Ergebnis persönlicher Einflüsse ihrer Gründer oder Führungspersönlichkeiten<br />
und ihrer spezifischen Geschichte. Im Hinblick auf die hier interessierende<br />
Thematik ‘Downward Movement’ unterscheiden sich Organisationen in dem<br />
Grad, in dem sie Karrierepfade explizit definieren, in den einzelnen Schritten eines jeden<br />
Pfades, den als legitim angesehenen Motiven bei ihrer Verfolgung und dem ihnen<br />
zuteil werdenden Prestige (vgl. hierzu Schein 1984, 73). Diesen spezifischen ‘Karrierekulturen’<br />
von Organisationen liegen auch Auffassungen darüber zugrunde, ob allein das<br />
berufliche Engagement der Mitarbeiter von Interesse ist, oder ob auch andere Lebensbereiche<br />
wie Freizeit, Familie und Gesundheit in die Überlegungen einfließen. Die jeweilige<br />
Karrierekultur fungiert für die Beschäftigten als Maßstab für auf die eigene Laufbahn<br />
gerichtetes Erleben und Verhalten, fließt aber auch in personalpolitisches Denken<br />
und Handeln ein und beeinflusst somit, ob Positionswechsel unter den Bedingungen<br />
verminderter Kompetenz und Verantwortung Unterstützung finden oder nicht.<br />
Neben den Normen aus dem beruflichen Umfeld des Individuums ist der Einfluss<br />
der privaten Umgebung des Menschen – und hier insbesondere der Familie – zu berücksichtigen,<br />
da die berufliche Laufbahn das Privatleben in vielfältiger Hinsicht beeinflusst.<br />
Menschen nehmen Ziele, Gedanken und Gefühle von der Arbeit mit in die Freizeit (und<br />
umgekehrt). Karriereentscheidungen einzelner Familienmitglieder sind daher häufig als<br />
Ergebnis kollektiver Prozesse in der Familie zu werten. Die gemeinsame Entscheidung<br />
ist ein komplexer Prozess, in dem mehrere Variablen (z.B. Anzahl der Familienmitglieder,<br />
Hierarchie und Struktur, Familieneinkommen und -phase) zusammenwirken. Hier<br />
interessiert beispielsweise der relative Einfluss der Frau, des Mannes oder der Kinder
150 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
auf die Karriereentscheidung – Fragen, bei denen die Rollenverteilung und die Führung<br />
innerhalb der Familie angesprochen sind. Je stärker dabei die Rollenteilung in der Familie<br />
derart vollzogen wird, dass ein Mitglied (nach traditionellem Geschlechterrollenverständnis<br />
die Frau) die häuslichen und familiären Tätigkeiten übernimmt, während ein<br />
anderes Mitglied (traditionell der Mann) Berufsarbeit leistet, desto größer erscheint ceteris<br />
paribus die Wahrscheinlichkeit hoher familiärer Aufstiegserwartungen an den Berufstätigen.<br />
In einer ‘Zwei-Personen-Karriere’ konzentrieren beide Partner ihre Energie<br />
auf das berufliche Fortkommen eines Partners (Hall/Hall 1981, 22). Übernehmen hingegen<br />
beide Partner einen Teil der familiären und der beruflichen Arbeit, so entsteht ein<br />
wesentlich höherer karrierebezogener Abstimmungsbedarf. Verstärktes berufliches Engagement<br />
des einen fordert mitunter die Übernahme eines größeren Teils der Hausarbeit<br />
seitens des anderen Partners. Kommen Kinder hinzu, muss im Allgemeinen die berufliche<br />
Arbeitszeit (mindestens eines Elternteils) eingeschränkt werden. Die karrierebezogene<br />
Norm ‘Du sollst beruflich Verantwortung abgeben und familiäre Verantwortung<br />
übernehmen’ erscheint unter der Bedingung von ‘Dual Career Families’ recht plausibel.<br />
Nun reicht es allerdings nicht aus, die normativen Überzeugungen einer Person in<br />
die Analyse einzubeziehen, außerdem ist ihre Motivation, die Erwartungen der relevanten<br />
anderen zu erfüllen, zu berücksichtigen (Ajzen/Fishbein 1980, 75). Besteht ein starkes<br />
Bedürfnis nach sozialer Zustimmung, so kann dem durch konformes (Karriere-)<br />
Verhalten entsprochen werden, da Konformität die Gefahr der Ablehnung durch die relevanten<br />
Bezugspersonen bzw. -gruppen verringert (vgl. hierzu <strong>Brehm</strong> 1998, 148ff.).<br />
Gegenüber negativ belegten Bezugspersonen ist jedoch gelegentlich auch mit Reaktanz<br />
zu rechnen.<br />
Zusammenfassend erscheint es vor dem Hintergrund von Individualisierungs- und<br />
Pluralisierungstendenzen in Wirtschaft und Gesellschaft denkbar, dass neben der verbreiteten<br />
Aufstiegsnorm auch andere laufbahnbezogene Normen Geltung erlangen, die<br />
einem Downward Move weniger im Wege stehen. Dem kann durch Berücksichtigung<br />
der jeweiligen subjektiven Norm einer Person Rechnung getragen werden. Diese wird<br />
von der individuellen Überzeugung getragen, dass relevante Bezugspersonen oder<br />
-gruppen ein bestimmtes Karriereverhalten erwarten und der Motivation, jenen Erwartungen<br />
Folge zu leisten. In vielen Fällen werden Individuen positive Einstellungen zu<br />
Verhaltensweisen haben, die ihre Bezugspersonen billigen und negative Einstellungen<br />
zu Verhaltensweisen, die ihre Bezugspersonen missbilligen. Unter diesen Umständen<br />
stimmen beide Komponenten und auch die Verhaltensabsicht in ihrer Richtung überein.<br />
Manchmal werden beide Determinanten jedoch auch in verschiedene Richtungen weisen.<br />
Angenommen, eine Führungskraft in verantwortungsvoller Position hat eine negative<br />
Einstellung zu Downward Movement. Sie glaubt jedoch, dass ihr Lebenspartner<br />
und ihre Kollegen von ihr erwarten, beruflich kürzer zu treten. Bewertet sie ihre eigene<br />
Einstellung höher als ihre normativen Überlegungen, wird sie beabsichtigen, ihre momentane<br />
Position beizubehalten. Empfindet sie hingegen den Anpassungsdruck ihrer<br />
Bezugspersonen stärker, wird sie dazu neigen, Kompetenz und Verantwortung abzugeben.<br />
Neben den individuellen Einstellungen und dem Einfluss der sozialen Umwelt<br />
muss zur Erklärung individuellen Karriereverhaltens noch eine weitere Größe herange-
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 151<br />
zogen werden: die wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Sie gibt Auskunft über die<br />
von einer Person angenommene Wahrscheinlichkeit, dass ein gewünschter Karriereschritt<br />
realisierbar ist. Dies wird im Folgenden verdeutlicht.<br />
3.3 Die wahrgenommene Kontrolle über Downward Movement<br />
Die Verbindung zwischen Einstellungskomponente, subjektiver Norm, Verhaltensabsicht<br />
und tatsächlichem Verhalten kann dadurch gelockert werden, dass das Verhalten<br />
von der Person nicht vollständig willentlich kontrolliert werden kann. Es ist durchaus<br />
vorstellbar, dass ein Verhalten nicht gezeigt werden kann, weil die Person nicht über die<br />
notwendige Fähigkeit und Willenskraft verfügt oder an der Ausführung durch äußere<br />
Umstände bzw. andere Personen gehindert wird, obwohl Einstellungskomponente und<br />
subjektive Norm der Person das Verhalten begünstigen. Um dem Rechnung zu tragen,<br />
wird der Aspekt der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle als Determinante des beobachtbaren<br />
Verhaltens eingeführt (Ajzen 1985, 24ff.). Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle<br />
wird von der Erwartung einer Person bestimmt, bei dem Versuch, ein beabsichtigtes<br />
Verhalten umzusetzen, Erfolg zu haben oder zu scheitern.<br />
In Bezug auf vorliegendes Untersuchungsfeld gibt die wahrgenommene Verhaltenskontrolle<br />
Auskunft über die angenommene Wahrscheinlichkeit, dass der Versuch,<br />
im Zuge eines Stellenwechsels Kompetenz und Verantwortung abzugeben, gelingen<br />
kann. Oder umgekehrt: Sie gibt die Wahrscheinlichkeit an, einen unerwünschten<br />
Downward Move verhindern zu können. Bestimmt wird sie ihrerseits durch Faktoren,<br />
die die Karriereintention eines Mitarbeiters unterstützen (bspw. eigene Fähigkeiten oder<br />
die Durchlässigkeit innerorganisationaler Grenzen) und Faktoren, die der Realisation<br />
der Karriereabsichten entgegenstehen (z.B. das Fehlen einer adäquaten vakanten Stelle).<br />
Einige Beispiele sollen an dieser Stelle die Zusammenhänge verdeutlichen:<br />
Eine Führungskraft in den späten Karrierejahren zieht in Erwägung, das Ende ihrer<br />
Karriere etwas hinauszuzögern und weiterhin beratend für die Organisation tätig zu<br />
sein, ihr privates Umfeld zeigt dafür auch großes Verständnis. Das organisationale<br />
Karrieresystem sieht jedoch eine derartige Entwicklung nicht vor.<br />
Ein Mitarbeiter des wissenschaftlich-technischen Bereichs eines Unternehmens<br />
möchte auf Anfrage einiger Mitglieder seiner Profession an einem organisationsübergreifenden<br />
Projekt mitarbeiten, dabei allerdings die Verbindung zu seiner beschäftigenden<br />
Organisation nicht vollständig aufgeben, sondern zeitweilig weniger<br />
intensiv betreiben. Er ist sich jedoch nicht sicher, die Doppelbelastung bewältigen<br />
zu können.<br />
Aufgrund höherer familiärer Verpflichtungen sucht ein weiterer Mitarbeiter einen<br />
beruflichen Partner, um im Rahmen eines Job-Sharing-Modells Kompetenz und<br />
Verantwortung zu teilen. Er kann jedoch keine geeignete Person finden.<br />
Im Rahmen einer Reorganisationsmaßnahme, die den Abbau von Hierarchie einschließt,<br />
wird eine aufstiegsorientierte Führungskraft herabgestuft. Sie sieht keine<br />
Möglichkeit, ihre entgegengesetzte Karriereabsicht zu verwirklichen.<br />
Menschen beabsichtigen also einen Karriereschritt auszuführen, wenn dessen Konsequenzen<br />
ihnen vorteilhaft erscheinen, relevante Andere diesen Schritt erwarten und
152 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
sie glauben, dass nötige Ressourcen und Gelegenheiten verfügbar sind. Sie suchen andererseits<br />
Karrieremuster zu vermeiden, die Diskrepanzen zu ihren Einstellungen und<br />
subjektiven Normen aufweisen. In diesem Fall müssen ihnen jedoch Möglichkeiten zu<br />
deren Verhinderung erkennbar sein. Die Gelegenheiten zur Verwirklichung von Karriereschritten<br />
wie Downward Movement und auch die Unterstützung durch Personalverantwortliche<br />
werden insgesamt stark von der organisationalen Interessenlage in Bezug<br />
auf das Karriereverhalten der Mitarbeiter abhängen, welche daher im nächsten Abschnitt<br />
im Vordergrund stehen soll.<br />
4. Das organisationale Interesse an Positionswechseln unter verminderter<br />
Kompetenz und Verantwortung<br />
Ebenso wie Downward Movement nicht von allen Mitarbeitern einheitlich für gut<br />
oder schlecht befunden wird, bedarf auch die organisationale Interessenlage einer differenzierten<br />
Analyse. Gegenstand der folgenden Ausführungen sind daher für die organisationale<br />
Zielerreichung sowohl funktionale als auch dysfunktionale Konsequenzen von Positionswechseln<br />
unter den Bedingungen verminderter Kompetenz und Verantwortung.<br />
4.1 Mögliche funktionale Konsequenzen des Karrieremusters<br />
Als erste und zugleich auch allgemeinste Zielkategorie, zu deren Erreichen Downward<br />
Movement einen Beitrag zu leisten vermag, kann die Mobilisierung des internen<br />
Arbeitsmarktes angeführt werden (vgl. hierzu <strong>Brehm</strong> 1998, 168ff.). Können Mitarbeiter<br />
auch auf Positionen mit geringerer Kompetenz und Verantwortung versetzt werden, ergeben<br />
sich vielfältigere Möglichkeiten des Personaleinsatzes; der interne Arbeitsmarkt<br />
gewinnt an Beweglichkeit. Dies führt zu einer größeren Unabhängigkeit vom externen<br />
Arbeitsmarkt und kann auch dazu dienen, die Fähigkeitsspektren der Mitarbeiter zu erweitern.<br />
Die Unterstützung von Reorganisationsprozessen stellt eine zweite funktionale<br />
Konsequenz von Downward Movement dar. Im Zuge von Bestrebungen zur Verbesserung<br />
ihrer Wettbewerbsfähigkeit sind Organisationen bemüht, ihre Strukturen zu verschlanken.<br />
Werden Versetzungen von Mitarbeitern auf niedrigere Hierarchieebenen und<br />
auf Positionen mit geringeren Handlungsspielräumen nicht tabuisiert, sind Reorganisationsmaßnahmen<br />
leichter umzusetzen. Downward Movement dürfte Veränderungsprozesse<br />
in Organisationen in gewisser Hinsicht weniger belasten als Entlassungen, da das<br />
Vertrauen in Personalverantwortliche, die in dieser Phase versuchen, zumindest für einige<br />
Mitarbeiter Perspektiven innerhalb der Organisation zu finden, ceteris paribus größer<br />
sein wird (zu sog. „hidden costs“ von Personalabbaumaßnahmen vgl. Baeckmann<br />
1998). Ferner hat die interne Vermittlung den Vorteil, dass das Know-how und die Erfahrung<br />
der Mitarbeiter weiterhin für die Organisation erhalten bleiben (vgl. hierzu<br />
Eigler 1997, 176ff.).<br />
Mobilisierungsbestrebungen und Reorganisationsprozesse sind keineswegs die einzigen<br />
Anlässe für Versetzungen unter Verminderung von Kompetenz und Verantwortung.<br />
Mitunter verursachen veränderte Anforderungen aufgrund der exponentiellen<br />
Vermehrung des Wissens und der gleichzeitigen dramatischen Reduktion der Halb-
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 153<br />
wertszeit des Wissens Inkongruenzen zwischen den Stellenanforderungen und der Qualifikation<br />
der Mitarbeiter. Geringe Leistungsbereitschaft oder -fähigkeit in Verbindung<br />
mit unzureichender Weiterbildungsmotivation kann dazu führen, dass Individuen den<br />
Anforderungen nicht (mehr) gerecht werden. Downward Movement kann in diesen Fällen<br />
eine Angleichung zwischen den Stellenanforderungen einerseits und der Mitarbeiterleistung<br />
andererseits herbeiführen. Die Versetzung ist hier nicht nur ein personalwirtschaftliches<br />
Instrument ökonomisch effizienter Stellenbesetzung, sondern dürfte ebenfalls<br />
teils manifeste, teils latente soziale Kontrollfunktionen innehaben. Potentiellem Disengagement<br />
wird damit entgegengewirkt, denn im Falle vollkommener Vermeidung<br />
von Downward Moves könnten sich Arbeitnehmer, die mit dem Erreichten zufrieden<br />
sind, auf ein minimales Einsatzniveau zurückziehen (Brüderl 1991, 77). Darüber hinaus<br />
haben die Personalkosten in den letzten Jahren ein derartiges Ausmaß erreicht, dass eine<br />
Nichtausnutzung personeller Ressourcen durch Fehlqualifikation von Arbeitskräften<br />
existenzgefährdend sein kann. Der Einsatz von Mitarbeitern entsprechend ihrer Kompetenz<br />
und ihrer Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung erlangt demgemäß große<br />
Bedeutung.<br />
Die Begrenzung mikropolitischen Agierens als letzte hier angesprochene Zielkategorie<br />
von Downward Movement wird notwendig, wenn dysfunktionale Effekte von<br />
Machtspielen überhandnehmen (zu mikropolitischem Verhalten in Organisationen vgl.<br />
Dick 1993, 440ff.). So können sich beispielsweise Störungen und Verzögerungen im<br />
Arbeitsprozess oder eine schleichende Verschlechterung des organisationalen Klimas<br />
durch mikropolitische Handlungen und unbotmäßiges Verhalten einzelner Personen ergeben.<br />
Durch Versetzungen auf Positionen mit geringeren diesbezüglichen Möglichkeiten<br />
(bspw. aufgrund reduzierter Führungsverantwortung oder geringeren Informationsrechten)<br />
sind Gelegenheiten zu machtpolitischem Verhalten reduzierbar.<br />
Resümierend existieren aus organisationaler Perspektive somit verschiedene Anlässe<br />
für Versetzungen unter Verminderung von Kompetenz und Verantwortung. Diese<br />
können sich im Prinzip unabhängig voneinander oder in diversen Kombinationen ergeben.<br />
Zuweilen sprechen strukturelle Gründe für Downward Movement. Manchmal legen<br />
verhaltensbedingte Gründe eine derartige Versetzung nahe. In einigen Fällen ist die<br />
Versetzung auch als sozialverträgliche Alternative zu einer Entlassung anzusehen. Dennoch<br />
darf die Versetzung nicht leichtfertig vorgenommen werden, da mitunter schwerwiegende<br />
dysfunktionale Konsequenzen folgen können.<br />
4.2 Mögliche dysfunktionale Konsequenzen von Downward Movement<br />
Ob die oben angeführten Vorteile von Downward Movement zum Tragen kommen,<br />
hängt entscheidend davon ab, ob die individuelle Einstellung und die subjektiv<br />
empfundene Norm dem Karrieremuster entsprechen. Erfolgt der Downward Move entgegen<br />
der individuellen Karriereabsicht, entstehen Spannungsherde zwischen den inneren<br />
Überzeugungen und der neuen Arbeitsrolle. Spannungszustände spiegeln sich u.a. in<br />
verschiedenen Unzufriedenheitsäußerungen und Konfliktreaktionen der Individuen wider.<br />
Je nach Verlaufsform des Konfliktes ist zwischen direkten und umgeleiteten Konfliktkonstellationen<br />
zu unterscheiden (vgl. hierzu Euler 1973, 52ff.).
154 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
Direkte Konflikte sind dadurch gekennzeichnet, dass das betreffende Individuum<br />
konsistent gegen die in seinen Überzeugungen konfrontierten Sachverhalte (Inhalte)<br />
und Personen handelt. Die Widerstandshandlung ist somit sowohl direkt gegen den<br />
Downward Move als auch gegen den Absender der neuen Rollenzuteilung gerichtet.<br />
Der Arbeitnehmer nimmt die Konzeption des Downward Moves nicht unwidersprochen<br />
hin, sondern versucht, sie in einer Weise zu ändern, die den eigenen Karriereabsichten<br />
entgegenkommt. Kommt eine Einigung über den Karriereschritt nicht zustande, kann<br />
der Betroffene ggf. sogar gerichtlich überprüfen lassen, ob die Änderung der Arbeitsbedingungen<br />
nicht sozial ungerechtfertigt ist. Daneben kann der Arbeitnehmer den Betriebsrat<br />
hinzuziehen, der nach §99 Abs.2 Nr.4 BetrVG von der Möglichkeit der Zustimmungsverweigerung<br />
Gebrauch machen kann, wenn die Versetzung den zu versetzenden<br />
Arbeitnehmer benachteiligt, ohne dass dies aus betrieblichen oder in der Person<br />
des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt ist.<br />
In einem umgeleiteten oder auch verschobenen Konflikt hingegen hat sich die Widerstandshandlung<br />
von den eigentlichen Konfliktursachen oder vom eigentlichen Konfliktgegner<br />
auf andere Konfliktaustragungsmöglichkeiten verschoben (vgl. hierzu Hermann<br />
1984, 264ff.). Eine solche Umleitung kann stattfinden, ohne dass die Beteiligten<br />
dies beabsichtigen bzw. sich dessen bewusst sind. Sie können sich dadurch aber auch<br />
bewusst unangenehmen Konfrontationen entziehen, denen sie sich bei einer direkten<br />
Auseinandersetzung ggf. ausgesetzt sähen. Umgeleitete Konflikthandlungen sind auch<br />
dann wahrscheinlich, wenn die Veränderung emotional abgelehnt wird, sachliche Argumente<br />
für einen direkten Widerspruch jedoch fehlen. Der von einer Verminderung<br />
von Kompetenz und Verantwortung Betroffene kämpft in diesem Fall nicht für die<br />
Verwirklichung seiner eigentlichen Karriereabsichten, sondern verschiebt die Konflikte<br />
auf andere Themen oder Personen. Möglicherweise wird die Leistungsbereitschaft stark<br />
eingeschränkt, Fehlzeiten treten auf, oder der Mitarbeiter verleiht seinem Unwillen gegen<br />
die Versetzung Ausdruck, indem er permanent Streitigkeiten mit Kollegen sucht.<br />
Aus alledem ergeben sich Notwendigkeiten des behutsamen Umgangs mit Downward<br />
Movement seitens der Organisation. Frühzeitige Maßnahmen sind erforderlich,<br />
um dysfunktionale Konsequenzen zu begrenzen. Nicht übersehen werden soll, dass<br />
Konflikte auch positive Effekte hervorzurufen vermögen, etwa aufgrund des Überdenkens<br />
von Versetzungsentscheidungen, des Argumentationsaustausches oder der Fluktuation<br />
unliebsamer Mitarbeiter. Als unmittelbar Betroffener wird man dieser Perspektive<br />
allerdings wenig abgewinnen können, da die psychischen Kosten im Vordergrund stehen.<br />
Und auch für die Organisation insgesamt dürfte die dysfunktionale Seite von Konflikten<br />
überwiegen: Sie werden meist als kostenverursachend, unproduktiv und klimaverschlechternd<br />
interpretiert (zur funktionalen Ambivalenz von Konflikten siehe Titscher<br />
1995, 1329).<br />
Um Konflikte aufgrund von Positionswechseln unter den Bedingungen verminderter<br />
Kompetenz und Verantwortung zu vermeiden, wäre zunächst daran zu denken, auf<br />
Downward Movement zu verzichten oder nur dann zur Anwendung kommen zu lassen,<br />
wenn Mitarbeiter von sich aus einen ‘Schritt zurück’ vornehmen wollen. Der organisationalen<br />
Interessenlage würde damit jedoch nur bedingt Rechnung getragen. Im Folgenden<br />
werden daher Maßnahmen aufgezeigt, individuelle Karriereabsichten zu beeinflus-
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 155<br />
sen. Ihr Ziel besteht darin, Downward Movement als selbstverständlichen Karrierebestandteil<br />
anzusehen und Laufbahnen in Organisationen individueller und flexibler gestalten<br />
zu können.<br />
5. Einflusspotentiale auf individuelle Karriereabsichten<br />
Überlegungen, wie Mitarbeitern Downward Movement nahegebracht werden kann,<br />
knüpfen an die Ausführungen in Abschnitt 3 dieses Beitrages an. Demnach beeinflusst<br />
zunächst die Einstellung zu Downward Movement die Intention, einen derartigen Karriereschritt<br />
zu vollziehen respektive zu vermeiden. Darüber hinaus stellen auch die subjektive<br />
Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle maßgebliche Determinanten<br />
dar. Im Weiteren ist daher zu untersuchen, mittels welcher (vorsichtiger) Interventionen<br />
die Einstellung, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle von<br />
Individuen geplant veränderbar sind, um funktionale Effekte von Downward Movement<br />
zu fördern und dysfunktionale Wirkungen zu begrenzen. Dabei ist natürlich nicht davon<br />
auszugehen, dass ein genau vorherzubestimmender Zielzustand der Karriereabsicht erreicht<br />
wird. Vielmehr ist die prägende Wirkung der bisherigen Sozialisation in Rechnung<br />
zu stellen und die prinzipielle Offenheit des Entwicklungsprozesses zu akzeptieren.<br />
5.1 Strategien der Einstellungsänderung<br />
Änderungen von Einstellungen zu Downward Movement können prinzipiell auf<br />
zwei verschiedene Weisen bewirkt werden: Zum einen durch veränderte Erwartungen<br />
über die Konsequenzen des Karriereverhaltens, zum anderen durch Veränderungen in<br />
der Bewertung dieser Konsequenzen (Stroebe/Jonas 1990, 190). Die Bewertung der<br />
Konsequenzen von Downward Movement erfolgt vor dem Hintergrund der individuellen<br />
Karriereorientierung sowie der Lebensphase, in der sich das Individuum gerade befindet.<br />
Für diesbezügliche Unterschiede sind daher Bedingungen verantwortlich, die<br />
zum größten Teil außerhalb des Wirkungsfeldes der Organisation liegen.<br />
Wesentlich einfacher beeinflussen können Organisationen die subjektiven Wahrscheinlichkeitsurteile<br />
ihrer Mitarbeiter hinsichtlich der Konsequenzen von Downward<br />
Movement. Über geeignete, im Zusammenhang mit Downward Movement zur Anwendung<br />
kommende Anreize sind diese nämlich von Organisationen – zumindest partiell –<br />
gestaltbar (zu Begriff und Bedeutung von Anreizen vgl. Schanz 1996, 87ff.). Die Versetzung<br />
ist dabei möglichst derart zu organisieren, dass sie als psychologischer Erfolg<br />
wahrgenommen werden kann (vgl. hierzu Hall 1993, 232f.). Dazu müssen die negativ<br />
bewerteten Begleitumstände des Downward Move von geringerer Bedeutung für die<br />
Einstellung sein als der erwartete Zugewinn erfreulicher Aspekte der Arbeit.<br />
Das neue Aufgabengebiet (nach einem Downward Move) könnte beispielsweise<br />
der Entwicklung und Nutzung neuer Fähigkeiten und Kenntnisse des Karriereaspiranten<br />
dienen. Trotz insgesamt geringerer Kompetenz und Verantwortung enthielte der neue<br />
Arbeitsinhalt somit einige Herausforderungen, denen sich die Person zuvor nie stellen<br />
musste. Denkbar wäre hier die Übernahme von abteilungsübergreifenden Koordinationsaufgaben<br />
(z.B. in den Bereichen Arbeits- oder Datenschutz, in der Qualitätskontrolle<br />
sowie im Umweltschutz) oder die Betreuung von jüngeren Mitarbeitern als Men-
156 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
tor bzw. Pate. Um als Herausforderung und Wachstumspotential angesehen zu werden,<br />
ist die neue Position auch in Bezug auf das soziale Umfeld zu prüfen. Die alte Umgebung<br />
hat hier in der Regel weniger zu bieten als ein neues Umfeld, das zusätzliche Kontaktmöglichkeiten<br />
eröffnet. Auch die Entgeltproblematik muss in Downward Movement-Prozessen<br />
nicht zum kritischen Punkt werden. Gerade vor dem Hintergrund flacherer<br />
Organisationen werden die Spielräume für individuelle Lösungen größer, so dass<br />
eine – für eine bestimmte Periode – ausbleibende Anpassung nicht zuviel Ungerechtigkeit<br />
erzeugt (Hall/Isabella 1985, 21). Gesundheitliche Erleichterungen können ferner<br />
von Downward Movement ausgehen, wenn damit ein Abbau physischer und psychischer<br />
Überlastung (d.h. eine Stressreduktion) verbunden wird. Gleichzeitig könnte im<br />
Hinblick auf den privaten Bereich der Mitarbeiter ein Anreiz geboten werden, indem die<br />
Arbeitszeit verkürzt und damit die Zeit für die Verfolgung persönlicher und familiärer<br />
Interessen nachhaltig gesteigert wird.<br />
Für alle (im Zusammenhang mit Downward Movement zur Anwendung kommenden)<br />
Anreize gilt, dass sie möglichst transparent gestaltet sein müssen, um Wirkung zu<br />
entfalten (Schanz 1996, 99). Außerdem sind Maßnahmen im Rahmen sozial vermittelter<br />
Erfahrung – bspw. persuasive Kommunikation – zur Erhöhung des Informationsstandes<br />
einsetzbar. Persuasive Kommunikationen – d.h. Strategien der Überzeugung – versuchen,<br />
mittels konkreter Argumente in Einstellungsbildungs- und -änderungsprozesse zu<br />
intervenieren (vgl. hierzu Stroebe/Jonas 1990, 181ff.). Dazu sind geeignete Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen: Beispielsweise kann innerhalb von Orientierungsveranstaltungen<br />
zum Thema Karriere über das Angebot alternativer Karriereverläufe informiert<br />
werden. Als vertrauenswürdige und kompetente Kommunikatoren eignen sich gegebenenfalls<br />
Mitglieder der Unternehmensleitung sowie Mitarbeiter, die über persönliche<br />
Erfahrungen mit Downward Movement verfügen. Seminare, sukzessive Zusammenkünfte<br />
und Workshops ermöglichen darüber hinaus, das Thema aus mehreren Perspektiven<br />
zu beleuchten. Ferner können intensive Karriereberatungsgespräche dazu beitragen,<br />
dass die Versetzung nicht als Misserfolg, sondern als persönlich vorteilhafter Entschluss<br />
in die Karrieregeschichte des Mitarbeiters eingeht.<br />
Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch auf mögliche Gefahren aus sozial<br />
vermittelter Erfahrung hinzuweisen. Je umfassender ein Mitarbeiter über die Folgen von<br />
Downward Movement informiert wird, desto genauere Erwartungen wird er herauszubilden<br />
in der Lage sein. Nun entscheidet nicht die Information an sich, sondern die Beurteilung<br />
derselben (auf der Basis der jeweiligen Karriereorientierung und Lebensphase)<br />
darüber, ob sich eine Verbesserung oder Verschlechterung der Einstellung gegenüber<br />
Downward Movement einstellt. Zu einer Verbesserung wird es nur kommen, wenn durch<br />
zusätzliche Information die Vorteilhaftigkeit oder Unbedenklichkeit des Positionswechsels<br />
deutlicher sichtbar wird.<br />
Sozial vermittelte Erfahrung kann also keineswegs als generell verlässliches Mittel<br />
zur Verstärkung der Karriereabsichten im Hinblick auf Downward Movement gelten.<br />
Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, gilt dies in ähnlicher Weise auch für<br />
Versuche zur Änderung der subjektiven Norm von Mitarbeitern.<br />
5.2 Änderung der subjektiven Norm
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 157<br />
Gemäß allgemeiner Normänderungstheorien ändern sich Normen dann, wenn sich<br />
die normrelevante Stimulussituation ändert (Eichner 1981, 139). Ansatzpunkte dafür<br />
liefert im vorliegenden Problemfeld zunächst die Organisationskultur, denn die beschäftigende<br />
Organisation bildet für ihre Mitglieder einen wichtigen kulturellen Rahmen;<br />
ihr Werte- und Normensystem wird (mehr oder weniger) verbindlich erlebt. Besondere<br />
Relevanz erlangen natürlich Normen, die, wie hier focussierte Karrierenormen,<br />
auf das berufliche Verhalten gerichtet sind. In vielen Organisationen besteht ein großes<br />
Hindernis für Downward Movement in einer streng aufwärts gerichteten Karrierekultur<br />
(Hall/Isabella 1985, 18). Wenn auch horizontale und nach unten gerichtete Stellenwechsel<br />
bei gleichzeitiger Verminderung von Kompetenz und Verantwortung in idealtypische<br />
Karrierepfade eingebettet werden, wird ein Beitrag geleistet, Downward Movement<br />
in der organisationalen Karrierekultur zu verankern. Unterstützend sind Beförderungskriterien<br />
einzuführen, die das Erreichen bestimmter Positionen in der Leitungshierarchie<br />
an gewisse Seit- und Abwärtsbewegungen koppeln und diese somit legitimieren<br />
und positiv verstärken.<br />
Anstöße für Korrekturen einer bestehenden Karrierekultur gehen auch von der Einrichtung<br />
von Parallellaufbahnen (als Fach-, Projekt- oder Spezialistenlaufbahnen) aus,<br />
die eine Öffnung des Karrieresystems für Downward Moves ermöglichen. Durch planmäßige<br />
Wechsel von der Führungs- zu einer Parallellaufbahn gewinnen Karriereschritte<br />
unter den Bedingungen verminderter Führungs- und Entscheidungskompetenz an<br />
Selbstverständlichkeit. In diesem Zusammenhang ist auch die Übertragung von Führungsverantwortung<br />
auf Zeit anzuführen (vgl. hierzu Krüger 1995, 581f.). Notwendigkeiten<br />
für zeitlich begrenzte Besetzungen von Führungspositionen gibt es vor allem in<br />
den Bereichen projektorientierter Planung und Entwicklung. Die Führungsverantwortung<br />
kann hier von Projekt zu Projekt wechseln. Ein Downward Move des Projektleiters<br />
stellt dann gleichsam das natürliche Ende vieler Projekte dar.<br />
Eine weitere Möglichkeit behutsamer Einflussnahme auf die organisationale Karrierekultur<br />
besteht in einer stärkeren Integration beruflicher und privater Interessen von<br />
Mitarbeitern. Organisationen unterscheiden sich darin, in welchem Ausmaß sie die berufliche<br />
Sphäre von der persönlichen oder familiären Sphäre trennen (Schein 1984,<br />
74ff.). Je stärker persönliche und familiäre Belange in der Organisation berücksichtigt<br />
werden, desto eher werden vermutlich Lebensentwürfe als legitim angesehen, die der<br />
Berufsarbeit nicht den höchsten Wert beimessen. Eng damit zusammen hängt die Akzeptanz<br />
alternativer Karriereorientierungen. Förderlich für die Korrespondenz der normativen<br />
Überzeugungen mit Downward Movement erscheint eine Kultur, die unterschiedliche<br />
Karriereorientierungen von Mitarbeitern zulässt: macht- und aufstiegsorientierte<br />
Motive ebenso wie Freizeitorientierung und alternatives Engagement.<br />
Neben der Organisation als Ganzem, deren karrierebezogene Normen über die Organisationskultur<br />
auf das Individuum wirken, beeinflussen verschiedene Bezugspersonen<br />
und -gruppen die subjektive Norm des Individuums bezüglich Downward Movement.<br />
Im beruflichen Umfeld dürften insbesondere die in der jeweiligen Arbeitsgruppe<br />
des Individuums herrschenden Ansichten einen wichtigen Faktor darstellen, der die Bereitschaft<br />
zu diesem Karriereschritt beeinflusst. Die Arbeitsgruppe bildet in der Regel<br />
bestimmte Vorstellungen über ‘normale’ Karriereentwicklungen und -ambitionen her-
158 <strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99)<br />
aus. Diese karrierebezogenen Normen und Standards werden für das eigene Verhalten<br />
und das Verhalten anderer als Bewertungsmaßstab herangezogen. Einfluss auf gruppenspezifische<br />
Karrierenormen kann genommen werden, indem die Downward Movement-<br />
Problematik beispielsweise in Karriere-Workshops, Rollenspielen oder Encounter-<br />
Gruppen thematisiert wird. Diese vermögen – mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten<br />
– zur Enttabuisierung von Downward Movement beizutragen und bieten Möglichkeiten,<br />
alternative Karriereziele vorzustellen und zu reflektieren. Einseitige Aufstiegsnormen<br />
können gegebenenfalls durch spielerisches Ausprobieren alternativer Karrieremuster<br />
aufgeweicht werden.<br />
Empfehlenswert erscheint es außerdem, die Partner von Mitarbeitern frühzeitig in<br />
die organisationale Karriereplanung einzubeziehen und gemeinsame Lösungsstrategien<br />
für potentielle Probleme in Verbindung mit Downward Movement zu suchen. Dies gilt<br />
umso mehr, je stärker die Karrieren der Partner miteinander verflochten sind, also für<br />
‘Dual-Career-Couples’ oder für Paare mit einer sog. ‘Zwei-Personen-Karriere’. Speziell<br />
das Verständnis und die Unterstützung durch die Familie dürften wichtige Voraussetzungen<br />
darstellen, um eine insgesamt positive subjektive Norm des Mitarbeiters in Bezug<br />
auf Downward Movement aufzubauen.<br />
5.3 Einflussmöglichkeiten auf die wahrgenommene Verhaltenskontrolle<br />
Nach der Diskussion von Interventionsmöglichkeiten in Bezug auf Einstellung und<br />
subjektive Norm ist nun als letzte Zielgröße organisationaler Einflussnahme die wahrgenommene<br />
Verhaltenskontrolle zu analysieren. Das Streben nach einer möglichst hohen<br />
Ausprägung lässt sich hier zunächst aus ethischen Gründen vor dem Hintergrund<br />
menschlicher Bedürfnisse nach Autonomie und Selbstentfaltung rechtfertigen. Diese<br />
Motive sind zwar verschieden stark ausgeprägt, infolge des gesellschaftlichen Wertewandels<br />
ist jedoch ein tendenzieller Bedeutungszuwachs zu verzeichnen (Schanz 1992,<br />
1908). Aber auch aus ökonomischen Gründen erscheint eine hohe wahrgenommene<br />
Verhaltenskontrolle sinnvoll, da sie sich vermutlich positiv auf die organisationale Effektivität<br />
auswirkt. Sie führt nämlich in aller Regel zu positiven psychologischen Zuständen<br />
der Betroffenen, woraus sich individuenbezogene Veränderungen wie die Erhöhung<br />
von Akzeptanz, Engagement und Arbeitszufriedenheit sowie organisationsbezogene<br />
Veränderungen wie höhere Effizienz und Flexibilität ergeben.<br />
Insofern ist eine relative Selbstbestimmung des Karriereverhaltens grundsätzlich<br />
aus individueller und organisationaler Perspektive wünschenswert. Spannungszustände<br />
und Diskrepanzerlebnisse aufgrund unbeabsichtigter Karriereschritte werden reduziert.<br />
Die Identifikation mit der gewählten Entscheidung wird um so ausgeprägter sein, je<br />
mehr Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Downward Movement erlebt wird (Hall/Isabella<br />
1985, 18f.).<br />
Eine derartige Problemsicht regt dazu an, nach den Bedingungen zu fragen, die der<br />
Entwicklung individueller Verhaltenskontrolle und deren Umsetzung im karrierebezogenen<br />
Handeln förderlich sind. Zunächst ist dabei eine Erhöhung des Informationsstandes<br />
der Mitarbeiter anzuführen, denn Informationen sind generell als Voraussetzung<br />
selbstbestimmter Entscheidungen anzusehen. Die Informationen sollten das organisatio-
<strong>Brehm</strong>: Downward Movement (ZfP 2/99) 159<br />
nale Karrieresystem transparent machen und Versetzungskriterien offenlegen. Damit<br />
werden Beziehungen zwischen individuellen Anstrengungen und damit verbundenen<br />
Karriereentscheidungen deutlich. Gleichzeitig werden die Laufbahnerwartungen der Betroffenen<br />
an die betrieblichen Realisierungsmöglichkeiten angepasst. Um die Verhaltenskontrolle<br />
dann tatsächlich zu erhöhen, sind dem Individuum auf dieser Basis Partizipationsmöglichkeiten,<br />
d.h. Einflusspotentiale auf Verlauf und Ausgang der Laufbahngestaltung,<br />
einzuräumen.<br />
Daneben wirkt das Angebot vielfältiger Karrieregelegenheiten in einem System,<br />
das offen ist für die Realisierung alternativer Karriereabsichten, verstärkend auf die<br />
wahrgenommene Kontrolle über das berufliche Entwicklungsverhalten. Hingegen führt<br />
ein rigides Karrieresystem, in dem Abweichungen von den traditionellen Bewegungsprofilen<br />
nicht toleriert werden, in der Tendenz zu einer geringeren Selbstbestimmung<br />
von Mitarbeitern. Indem organisationale Karrieresysteme so gestaltet werden, dass sie<br />
die Entfaltung individueller Unterschiede ermöglichen, lässt sich ihr Ausmaß an Restriktivität<br />
schmälern oder – positiv formuliert – der Spielraum, den sie dem individuellen<br />
Karriereverhalten und damit auch Downward Movement eröffnen, erweitern.<br />
Die Vielzahl der Möglichkeiten organisationalen Einflusses auf das Karriereverhalten<br />
von Mitarbeitern, die sich aus den Konzepten zu Einstellungsänderung, Normänderung<br />
und zur Änderung der Verhaltenskontrolle ableiten lässt, darf nun nicht über deren<br />
praktische Grenzen hinwegtäuschen. Zunächst sind die Mitarbeiter nur begrenzt beeinflussbar,<br />
weil jedes Organisationsmitglied nicht nur Teil der Organisation ist, sondern<br />
ebenfalls mannigfaltigen organisationsexternen Einflüssen unterliegt. Versuche, auch<br />
das private Umfeld des Mitarbeiters einzubeziehen, können diese Grenzen sicherlich<br />
nur partiell überwinden. Darüber hinaus vermögen Organisationen kaum Einfluss auf<br />
die Grundstrukturen der Persönlichkeiten ihrer Mitarbeiter auszuüben. Derartige Versuche<br />
könnten sogar zur Abkehr des Individuums von der Organisation führen (Schein<br />
1972, 156). Daneben stellt die Knappheit der finanziellen Mittel einen nicht unbedeutenden<br />
Faktor dar, der die Möglichkeiten der Einflussnahme auf individuelle Versetzungsabsichten<br />
seitens der Organisation einschränkt. Eine im Hinblick auf die organisationale<br />
Effektivität realistische Sichtweise legt die Vermutung nahe, dass sich die angeführten<br />
Maßnahmen selten in ihrer Gesamtheit durchführen lassen. Notwendig wird daher<br />
eine Auswahl von Maßnahmen, die die spezifischen Belange der Organisation und<br />
ihrer Mitarbeiter beachtet und wechselseitige Verstärkungseffekte ermöglicht.<br />
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