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Jörg Maas - Rainer Hampp Verlag

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<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 107<br />

<strong>Jörg</strong> <strong>Maas</strong> *<br />

Männliche Homosexualität in Organisationen: Argumente für eine<br />

überfällige Auseinandersetzung mit einem tabuisierten Thema **<br />

In diesem Aufsatz werden elf Thesen zur Arbeitssituation von homosexuellen Männern<br />

aufgestellt: Diese stützen sich auf empirische Untersuchungen, fokussieren den<br />

Homosexuellen in der Organisation, beleuchten das Verhalten der Organisation und<br />

gehen auf die rechtliche Seite der Thematik ein (Kapitel 2). Da der Umgang mit Homosexualität<br />

in Organisationen nur aus einem gesellschaftspolitischen Zusammenhang<br />

heraus zu analysieren ist, wird als Hinführung zuvor kurz auf den allgemeinen Umgang<br />

mit Sexualität und Geschlecht in den Organisationen unserer Gesellschaft eingegangen<br />

(Kapitel 1). Ein abschließendes Resümee versucht eine Vorhersage, ob sich an der<br />

Stigmatisierung von Schwulen in Organisationen in naher Zukunft etwas ändern wird<br />

(Kapitel 3).<br />

This paper describes eleven cases of homosexual men in working situations. They<br />

are supported by empirical research, focus on the situation of the homosexual man in<br />

the organization, highlight the behavior of the organization and consider the legal aspects<br />

of the subject (Chapter 2). As the subject of homosexuality in organizations can<br />

only be analysed from a socio-political point of view, the discussion will be preceded by<br />

a short study of the general subject of sexuality and gender in the organizations of our<br />

society (Chapter 1). A final resumé tries to predict if the stigmatization of gay men in<br />

organizations will change at all in the future (Chapter 3).<br />

______________________________________________________________________<br />

* <strong>Jörg</strong> <strong>Maas</strong>, 30 Jahre, Dipl. oec., Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der<br />

Universität Augsburg, Schwerpunkt Personalwesen. Wer Interesse daran hat, dem Autor im<br />

Rahmen seines Dissertationsprojektes „Homosexuelle Männer in Führungspositionen - eine<br />

empirische Untersuchung“ ein Interview zu geben, wendet sich bitte an folgende Adresse:<br />

Mozartstraße 10, 80336 München.<br />

** Artikel eingegangen: 17.10.95 / revidierte Fassung eingegangen und akzeptiert: 7.12.96.


108 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

1. Der Umgang mit den Phänomenen Geschlecht und Sexualität in Organisationen<br />

1.1 Sozialhistorische Anmerkungen<br />

Noch immer wird in der organisationswissenschaftlichen Literatur und im konkreten<br />

Arbeitsalltag mit stillschweigender Selbstverständlichkeit der „asexuelle Imperativ“<br />

der klassischen Organisationstheorie kultiviert: (Erwerbs-) Arbeit und der Ort ihres<br />

Vollzugs, die kapitalistische Organisation, haben danach mit Geschlechtlichkeit und<br />

Sexualität nichts zu tun: Der rationale Arbeitende gibt beides an der Pforte der Arbeitsorganisation<br />

ab und gilt damit als geschlechtslos und asexuell 1 .<br />

Der Glaube an die rationale Arbeitswelt, welcher deren Asexualität beinhaltet, ist<br />

den Menschen in einem jahrhundertelangen Prozeß eingepflanzt worden: Bereits in der<br />

mittelalterlichen Kirche, der ersten bürokratischen Organisation, die Vorbild war für<br />

spätere (kapitalistische, pädagogische, strafrechtliche) Organisationen, wurden im Zuge<br />

eines christlichen Denkens Emotionen und Sexualität von der Arbeitstätigkeit getrennt,<br />

was auch der funktionalistischen Perspektive des aufkommenden Kapitalismus diente<br />

(Foucault 1992, 1994):<br />

„Human feelings including sexuality have gradually been repulsed from bureaucratic<br />

structures and have been relocated in the nonorganizational sphere - the world of<br />

civil society“ (Burrell 1984: 99).<br />

Der Rationalisierungsgedanke erfaßte seit dem 16. Jahrhundert immer mehr Gesellschaftsbereiche,<br />

insbesondere die Arbeitswelt, und ging einher mit dem protestantischen<br />

Glauben, nur wer arbeite und Geld verdiene, hätte Anspruch auf einen Platz im<br />

Himmelreich. Arbeit wurde so zu Erziehungsmittel und Gottesdienst: In seiner These<br />

über das Bündnis von Protestantismus und Kapitalismus beschreibt Max Weber (1991),<br />

wie eine kapitalistische Wirtschaftsgesinnung durch diesen Glauben legitimiert wird<br />

(Hartmann & Görlich 1990; Türk 1987).<br />

Historisch betrachtet gebrauchen Organisationen im Zuge der Rationalisierung der<br />

Arbeitswelt bis heute drei zentrale Mechanismen der Desexualisierung (Burell 1984;<br />

Rastetter 1993):<br />

Desexualisierung durch Trennung der Geschlechter: Organisationen können z.B.<br />

nur ein Geschlecht aufnehmen, sie können Frauen und Männer unterschiedlichen<br />

Räumlichkeiten zuteilen, ihnen geschlechtsspezifische Arbeitsplätze zuweisen oder die<br />

Art und Weise der Kontaktaufnahme reglementieren;<br />

Desexualisierung durch Verbote und Strafen: Sexualverbote in heutigen Organisationen<br />

sind z.B. die Mißbilligung und Bestrafung hetero- und homosexueller Beziehungen<br />

am Arbeitsplatz, ein generelles Verbot pornographischer Produkte am Arbeitsplatz<br />

und Strafen für sexuelle Belästigung;<br />

1<br />

Zwar gestehen neuere organisationstheoretische Ansätze dem Individuum Emotionen und<br />

Eigensinn zu, sein Geschlechts- und Sexualverhalten wird im organisationalen Zusammenhang<br />

aber nicht thematisiert.


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 109<br />

Desexualisierung durch Kontrolle der Zeit und des Körpers: Diese äußert sich in<br />

der Einrichtung strikter Arbeits- und Pausenzeiten, strikter Trennung von Arbeits- und<br />

Privatzeit und Kleiderregeln zur Kontrolle der Sexualität.<br />

1.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation<br />

Einhergehend mit der Desexualisierung der Arbeitswelt findet die Kultivierung eines<br />

rigiden Geschlechterdimorphismus statt: Geschlechtsstereotype Rollenbilder von<br />

Männern und Frauen werden von Geburt an ansozialisiert, so daß die Übernahme einer<br />

geschlechtsspezifischen Berufsrolle in der Arbeitsorganisation durch eine bereits bestehende,<br />

gefestigte Geschlechtsidentität erleichtert wird (Greenglass 1986).<br />

Der psychoanalytischen Erklärung nach erreichen Männer eine männliche Geschlechtsidentität<br />

nur durch Abspaltung von Weiblichkeit und Emotionalität (Chodorow<br />

1985). Diesen Prozeß unterstützen im Laufe der Sozialisation Interaktionen in<br />

„homosozialen Welten“ wie z.B. Sportvereine, Studentenverbindungen oder Männerclubs<br />

(Lipman-Blumen 1976). Diese „Männerbünde“ zeichnen sich u.a. durch strenge<br />

Hierarchien trotz Huldigung der Brüderlichkeit und latente Homosexualität aus. Frauen<br />

wird der Zugang streng verwehrt, so auch in die Top-Positionen des Männerbundes<br />

Management (Rastetter 1993).<br />

Besonders von Männern in Führungspositionen wird ein Entsprechen des beschriebene<br />

Männlichkeitsstereotyps erwartet; der „harte Macher an der Spitze“ erfüllt<br />

trotz aktueller Propagierung von „soften Führungseigenschaften“ immer noch eher die<br />

Vorstellung vom „klassischen Manager“ (Nerdinger & von Rosenstiel 1993), welcher<br />

sich sehr häufig durch einen Narzißmus auszeichnet, der konstruktive bis pathologische<br />

Züge annehmen kann (Kets de Vries & Miller 1985). Der dieses Männerbild Verkörpernde<br />

muß Weiblichkeit und Homosexualität abwerten, um bestehen zu können; er erlebt<br />

deshalb die Konfrontation mit einem schwulen Organisationsmitglied als Bedrohung<br />

seiner eigenen Geschlechtsidentität.<br />

Die Ideologie einer asexuellen, geschlechtslosen Organisation ist falsch und dient<br />

Herrschaftsinteressen (Hearn 1994). Da diese Vorstellung als Ausdruck hegemonialer<br />

Männlichkeit aufgefaßt werden kann (Rastetter 1993), ist eine theoretische Untersuchung<br />

über den Umgang mit Sexualität und Homosexualität in Organisationen nicht<br />

ohne eine Reflexion über die in dieser Gesellschaft unkritisch kultivierte männliche Geschlechtsrolle<br />

möglich.<br />

Die im folgenden wiedergegebenen Thesen über männliche Homosexualität in Organisationen<br />

fokussieren nach einer empirischen Betrachtung der Arbeitssituation von<br />

Homosexuellen (2.1.) insbesondere die Geschlechtsidentität und Strategien des Schwulen<br />

in der Organisation (2.2.), beschreiben dann das (homophobe) Verhalten der Organisation<br />

(2.3.), um mit juristischen Anmerkungen zum Thema zu schließen (2.4.).<br />

2. Elf Thesen zur männlichen Homosexualität in Organisationen<br />

2.1 Zur Empirie


110 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

These A: Schwule sind im Arbeitsleben stärker vertreten als man denkt ...<br />

„I assume that there are gay, lesbian and bisexual people in every profession in<br />

every area of the world“. Mit dieser Aussage hat der amerikanische Unternehmensberater<br />

Brian McNaught (1993: 3) sicher recht, allerdings ist es sehr schwierig, das Phänomen<br />

Homosexualität im Arbeitsleben zu erfassen und insofern dessen Beschreibung<br />

problematisch (Woods & Lucas 1993; ÖTV-Infodienst 1994). Die wenigsten Betroffenen<br />

sehen sich in der Lage, „im beruflichen Umgang ihre Lebensweise problemlos anzusprechen.<br />

Befürchtete Diskriminierungen, die bis zur Existenzbedrohung gehen können,<br />

sind für dieses - sehr streßerzeugende - Verstecken ausschlaggebend“ (ÖTV-<br />

Infodienst 1994: 6).<br />

Neben der angesprochenen befürchteten Diskriminierung bieten Woods & Lucas<br />

(1993) noch eine weitere Erklärung für das „Unsichtbarsein“ von Homosexuellen in<br />

Arbeitsorganisationen an: Informationen über schwules Leben werden dort (und anderswo)<br />

als sexuell und damit unpassend bewertet, während diejenigen über heterosexuelles<br />

Leben (Ehefrau, Kinder usw.) als nicht-sexuell interpretiert werden. Durch diese<br />

„Vorannahme der Heterosexuellen“ werden Kommunikationen über schwule Themen<br />

immer als überraschend und unerwartet aufgefaßt. Die heterosexuelle Vorannahme erweist<br />

sich als sehr stabil und gegen anderslautende Informationen äußerst resistent:<br />

Auch dann, wenn alles dafür spricht, daß ein Mitarbeiter schwul ist (er ist Single, erhält<br />

nur Männeranrufe, ist im AIDS-Bereich engagiert usw.) wird immer noch nicht angenommen,<br />

daß er es sein könnte.<br />

Dieses Thema ist außerdem für die meisten Menschen „sehr weit weg“; sie kamen<br />

noch nicht einmal im Privatleben bisher damit in Berührung und vermuten es daher erst<br />

recht nicht in der Arbeit. Homosexuelle Männer werden also nicht gesehen, obwohl sie<br />

da sind.<br />

Geht man von dem von der Sexualwissenschaft ermittelten Bevölkerungsdurchschnitt<br />

von 4% auschließlich homosexuell empfindenden Menschen aus (Gindorf<br />

1992), so müßten von den 292000 Daimler-Benz-Mitarbeitern 12000 homosexuell sein.<br />

Laut Angabe des Managements aber kam Homosexualität in dieser Organisation „noch<br />

nie vor“. Auch die Geschäftsleitung von Hewlett-Packard ist noch nie mit einem offen<br />

Schwulen „konfrontiert worden“ (Schumacher 1993: 47).<br />

Mehrere Autoren weisen darauf hin, daß es schwule Männer zu bestimmten Berufen<br />

und Arbeitgebern zieht, da sie dort ein weniger homophobes Arbeitsklima vorfinden<br />

(vgl. dazu auch These H). Von einer Überrepräsentation von homoexuellen Männern<br />

in Dienstleistungsberufen und in Berufen mit häufigem Ortswechsel wie in der<br />

Reisebranche, bei Fluggesellschaften und Handelsvertretungen sprechen z.B. Pollak<br />

(1986) und Woods & Lucas (1993). Genannt werden drei Beschäftigungsschwerpunkte,<br />

nämlich Management, Gesundheitswesen und Erziehungsberufe. Neben einem besseren<br />

Arbeitsklima finden Schwule in Dienstleistungsberufen auch eher die Möglichkeit, ihre<br />

sozialen Fähigkeiten einzusetzen (vgl. dazu These F).<br />

Mey (1990) und Elliott (1993) verweisen allerdings auf neuere Untersuchungen,<br />

nach denen Schwule auch in traditionellen Männerberufen wie Ingenieur, Offizier oder


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 111<br />

Bauarbeiter zu finden sind. Eine Erklärung dafür könnte sein, daß Schwule diese Berufe<br />

gewählt haben, um dem verbreiteten Klischee ihrer Effeminiertheit entgegenzuwirken<br />

und sich selbst und anderen etwas zu beweisen.<br />

These B: ... und werden stärker diskriminiert als man glaubt<br />

„In surveys, about two-thirds say they have witnessed some form of hostility toward<br />

gay people on the job, and discrimination on the basis of sexual orientation is still<br />

legal in much of the U.S.“ (Stewart 1991: 32).<br />

Ich möchte diese These durch Hinweise einiger empirischer Untersuchungen über<br />

die Situation von homosexuellen Männern (und in einigen Untersuchungen auch Frauen)<br />

in Organisationen belegen, die allerdings fast alle aus dem westeuropäischen Ausland<br />

und den USA stammen. Da diese Länder aber alle den jüdisch-christlichen und finalistischen<br />

Denkhorizont haben, aus dem sich die Homophobie in einer Gesellschaft<br />

speist, kann man die Ergebnisse durchaus auf Deutschland übertragen. (Nach Palmer<br />

(1993) ist die englische und italienische Gesellschaft - dem Trend nach - noch etwas<br />

homophober als die deutsche, dafür die amerikanische wiederum etwas liberaler).<br />

Die größte englische Untersuchung zur Situation von Homosexuellen im Arbeitsleben<br />

ist 1992/93 vom Institut Stonewall durchgeführt worden (Palmer 1993). 20000<br />

Fragebögen wurden an 8000 lesbische Frauen und 12000 schwule Männer verteilt, von<br />

denen 50% im öffentlichen Dienst arbeiteten, 41% privatwirtschaftlich angestellt und<br />

10% selbständige Unternehmer waren. Die für den Themenkomplex Diskriminierung<br />

relevanten Fragen bezogen sich darauf, ob jemand wegen seiner (organisationsintern<br />

bekannten oder vermuteten) homosexuellen Orientierung keine Einstellung oder keine<br />

Beförderung erhalten hatte und ob ihm/ihr mit Entlassung gedroht oder er/sie tatsächlich<br />

entlassen wurde. 37% der Antwortenden (die Rücklaufquote der Fragebögen lag<br />

bei 10%) sagten aus, sie seien eindeutig wegen ihrer Homosexualität in einer der oben<br />

angegebenen Form diskriminiert worden (16% waren sich sicher und 21% vermuteten<br />

es). Die verbleibenden 63% verheimlichen ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz<br />

oder leiden an Schikanierung, worunter in dieser Studie alle Arten von unfreundlicher<br />

Behandlung durch Arbeitskollegen verstanden wurden, wie physische Gewalt (darunter<br />

litten 5% der Schikanierten), Drohungen (14%), aggressive Fragen (41%), homophobe<br />

Kränkungen (51%), Witze oder Belästigungen (79%) und anderes (wie Ignorieren, Verbreiten<br />

von Gerüchten u.ä. (17%)).<br />

Palmer (1993) zitiert ebenfalls eine italienische Studie von 1993 an 465 Arbeitnehmern:<br />

Danach leiden 39% der homosexuellen Händler, 41% der Manager, 43% der<br />

Büroangestellten, 46 % der Arbeiter und 65% der Lehrer unter Diskriminierung am Arbeitsplatz.<br />

Woods & Lucas (1993) erwähnen zwei amerikanische Untersuchungen: Laut einer<br />

Befragung in Philadelphia 1992 leben 76% der Schwulen am Arbeitsplatz „in the closet“<br />

(geheim), 78% äußern Ängste vor Diskriminierung. 1987/88 wurden 191 Unternehmen<br />

in Alaska über ihre Einstellungspolitik befragt: 18% würden Schwule entlassen,<br />

wenn sie sie identifizieren würden, 27% erst gar nicht einstellen und 26% der Arbeitgeber<br />

verweigern die Beförderung von schwulen Untergebenen. Woods & Lucas


112 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

(1993) bezeichnen die Situation mit dem Terminus „struktureller Heterosexismus“:<br />

„Heterosexism is the belief that everyone is heterosexual or ought to be“ (McNaught<br />

1993: 46).<br />

In einer im Auftrag der Zeitschrift Wirtschaftswoche 1993 durchgeführten Umfrage<br />

glaubten 20% der deutschen Manager, daß Homosexuelle in Führungspositionen<br />

grundsätzlich fehl am Platz sind. Nach Ansicht von Schumacher (1993: 47) sind daran<br />

in erster Linie alte Vorurteile Schuld: „Viele 50-70jährige Personalentscheider haben<br />

verinnerlicht, daß die Homosexuellen nach Kriminalisierung und Verfolgung im Dritten<br />

Reich nie vom Staat rehabilitiert wurden. Daß Homosexualität in der Bundesrepublik<br />

bis 1969 strafbar war, prägte ihr Weltbild. Die Identifikationsbegriffe ‘schwul’ und<br />

‘lesbisch’ sind für sie immer noch Schimpfwörter.“<br />

Die homophoben Personalverantwortlichen haben die Vorstellung, Schwule würden<br />

nicht als Vorgesetzte respektiert werden und dem Ruf des Unternehmens nach außen<br />

hin schaden.<br />

Die Gewerkschaft ÖTV bezeichnet die „harten“ Diskriminierungen, „in denen berufliche<br />

Benachteiligungen an arbeits- oder dienstrechtlichen Maßstäben greifbar zu<br />

messen sind“, lediglich als „Spitze des Eisberges“. Gegen die „grundgesetzlich verbriefte<br />

Gleichbehandlung aller Menschen“ spricht es schon, wenn Organisationen Graphologen<br />

beauftragen, anhand des Schriftbildes homosexuelle Bewerber herauszufiltern<br />

oder durch „codierte“ Hinweise und Formulierungen in Arbeitszeugnissen, die auf<br />

schwule Orientierung schließen lassen, Arbeitnehmern ihren zukünftigen Berufsweg erschweren<br />

(ÖTV-Infodienst 1994: 6). Besonders homophob sind Tendenzbetriebe, die<br />

ihre Diskriminierungsmaßnahmen rechtlich abgesichert wissen (Kentler 1984).<br />

Diskriminierung geht also weit über das hinaus, was (arbeits-) rechtlich als solche<br />

zu fassen ist; in den hier aufgeführten Studien wird unter Diskriminierung meistens<br />

Nichteinstellung, Nichtbeförderung oder Entlassung aufgrund der homosexuellen<br />

Orientierung verstanden. Um möglichst authentische Informationen über die Situation<br />

von Schwulen in Organisationen zu bekommen, sind eindeutige Begriffsabgrenzungen<br />

notwendig (wie die Unterscheidung zwischen Diskriminierung und Schikanierung in<br />

der oben erwähnten englischen Studie).<br />

2.2 Fokussierung des schwulen Mannes in der Organisation<br />

These C: Offen oder nicht offen leben am Arbeitsplatz: Wie Mann es macht,<br />

macht er es falsch<br />

„In other words, gay and lesbian persons must develop the skills to perform a<br />

complex ‘cost-benefit analysis’ when faced with external bigotry and oppression. They<br />

can err by not standing up for themselves and thereby undermining their sense of selfworth;<br />

or they can err by allowing themselves to be provoked into rash ill-advised disclosure,<br />

also with negative consequences“ (Gonsiorek 1993: 249)<br />

Ebenso extrem wie Gonsiorek formuliert Elliott (1993) die beiden Alternativen,<br />

die sich für das schwule Organisationsmitglied stellen: Entweder ist er ehrlich zu sich<br />

selbst und den anderen und steht zu seiner sexuellen Orientierung, was u.U. den Verlust


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 113<br />

seines Arbeitsplatzes bedeuten kann. Oder er bleibt „in the closet“ und behält seinen<br />

Job, verliert aber die Akzeptanz seiner selbst und der schwulen Subkultur.<br />

Ich denke, so extrem stellt sich die Situation für die meisten Schwulen in Organisationen<br />

nicht dar: Es gibt keine Patentrezepte, ob ein Going-public am Arbeitsplatz<br />

sinnvoll ist oder nicht. Schwer ist diese Entscheidung für den betroffenen Mann auf jeden<br />

Fall (Nijssen 1994; Woods & Lucas 1993). Sie wird je nach individueller Situation<br />

anders ausfallen: Es kommt auf den Beruf an (in These A wurde über schwulenfreundlichere<br />

Sparten berichtet), die arbeitgebende Organisation (vgl. dazu These H), die konkrete<br />

Position und weitere Karriereplanung sowie die privaten Lebensumstände. Außerdem<br />

wird der mit diesem Thema verbundene Leidensdruck interindividuell sehr verschieden<br />

erlebt. Für deutsche Verhältnisse kann man m.E. guten Gewissens die These<br />

aufstellen: Je höher die Position und je konservativer das Unternehmen, desto eher ist<br />

beim Outing mit negativen Konsequenzen zu rechnen (vgl. auch Schumacher 1993;<br />

O.V. 1995).<br />

Im folgenden sollen nun die Entscheidungen „offen leben“ und „nicht offen leben“<br />

am Arbeitsplatz getrennt voneinander betrachtet werden.<br />

Offen leben<br />

„More and more homosexual executives have decided to stop hiding“ (Stewart<br />

1991: 32).<br />

Nach Ansicht mehrerer Autoren ist die offene Bejahung der Homosexualität in der<br />

Organisation weniger stressig als Versteckspielen: Nur so werden Selbstakzeptanz und<br />

der Aufbau eines schwulen (Arbeits-) Netzwerkes möglich und die Energie kann ganz<br />

der Arbeit zugewandt werden (Lee 1993; McNaught 1993; Stewart 1993; Savin-<br />

Williams 1993).<br />

„In working with gay, lesbian, and bisexual people over the last twenty years, I<br />

have found that the people who are most open about their sexual orientation experience<br />

the last conflicts in their lives. They are generally happier in all aspects of their lives<br />

than people who are secretive or in denial. This, obviously, has major ramifications for<br />

the business world“ (McNaught 1993: 34)<br />

Dabei wollen die schwulen Männer in Unternehmen auch nicht offener über ihr<br />

Privatleben sprechen als alle anderen, ohne die Angst, verspottet oder ausgeschlossen<br />

zu werden: „We don’t need affirmative action - we’re already here. We need the freedom<br />

to be visible“ (Stewart 1991: 33). Wenn die heterosexuellen Kollegen montags von<br />

ihrem Wochenendausflug mit ihrer Familie erzählen, würden sie gerne von ihren gemeinsam<br />

mit ihrem Lebensgefährten unternommenen Aktivitäten berichten. Es geht also<br />

nicht um sexuelle Fragen, sondern es geht darum, sein Privatleben nicht verschweigen<br />

oder kaschieren zu müssen: Schwule Themen haben nicht nur mit Sexualität zu tun,<br />

wie viele Heterosexuelle meinen (vgl. These A). Trotzdem machen viele Schwule selbst<br />

den Fehler, ihre Sexualität in eine Reihe mit heterosexuellen Perversionen zu stellen<br />

und sprechen ihr so das Recht auf Präsenz am Arbeitsplatz ab (Woods & Lucas 1993).<br />

Die Niederländerin Nijssen (1994) zeigt die negativen Seiten des Enthüllens der<br />

sexuellen Orientierung auf: Es kann zum einen zu offener Diskriminierung kommen,


114 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

und zum anderen kann der Betroffene einen Sonderstatus (eine Token-Position) zugeschrieben<br />

bekommen. Ihm und seinen Leistungen wird besondere Aufmerksamkeit zuteil:<br />

Beruflicher Erfolg wird als Ausnahme gesehen, Mißerfolg als Bestätigung. Wenn<br />

er sich nicht an die heterosexuelle Umwelt anpaßt, kann er zum Maskottchen der Abteilung<br />

werden - eine Außenseiterposition innerhalb der Organisation ist ihm jedenfalls sicher<br />

(Woods & Lucas 1993).<br />

Aus Kontakten mit schwulen Männern in Führungspositionen weiß ich, daß sich<br />

Zivilcourage aber auch lohnen kann: Die „Schere im Kopf“ bereitet vielen Schwulen<br />

größere Probleme, als es die tatsächliche Diskriminierung tut. „Man muß den Heteros<br />

eine Chance lassen. Die erwarten halt nicht zwei Männer als Paar“. Gindorf (zit.in<br />

Schumacher 1993: 53) spricht von einer „Bringschuld der Schwulen“: „Viele Kollegen<br />

meiden das Thema, weil der Schwule es selbst tabuisiert ... Wenn der Schwule die Tarnung<br />

aufgibt, fällt auch vielen Kollegen ein Stein vom Herzen“.<br />

Der psychische Streß, ein komplexes Lügengebäude aufrecht zu erhalten, kann bedeutend<br />

schlimmer sein, als der Kampf um Anerkennung. James Woods (Woods & Lucas<br />

1993) hat für seine Dissertation an der Universität von Pennsylvania 70 schwule<br />

Männer interviewt, die nach dem Schneeballprinzip gewonnen wurden. Er hat dabei<br />

versucht, möglichst viele Berufssparten abzudecken, und es wurden primär Personen<br />

aus dem mittleren und gehobenen Management (in staatlichen und privaten Betrieben)<br />

ausgewählt. Keiner von den Interviewpartnern, die „out“ leben, hat diesen Schritt bereut.<br />

Sie sprechen von weniger Streß, einem besseren Selbstbild und einem Gefühl der<br />

Befreiung. Für viele ergaben sich plötzlich soziale Netzwerke und Unterstützung (inkl.<br />

neuer beruflicher Chancen), die vorher verschlossen waren. Dadurch daß sich immer<br />

mehr Schwule am Arbeitsplatz outen, erhalten Unentschlossene Rollenvorbilder und<br />

Phänomene wie tokenism werden reduziert.<br />

Nicht offen leben<br />

„Ich bin nicht offen schwul am Arbeitsplatz, das ist mir noch zu früh, solange mache<br />

ich den Job noch nicht...“ (O.V. 1995: 12).<br />

In der oben erwähnten englischen Fragebogenuntersuchung von Stonewall wurde<br />

die Geheimhaltung der Homosexualität als häufigste Strategie bezeichnet, Diskriminierungen<br />

in der Organisation zu umgehen. Die diesen Punkt betreffende Frage lautete:<br />

„Have you ever felt it necessary to hide or keep quiet about your sexual orientation at<br />

work?“ Mit „No, never“ antworteten 11% der Arbeitnehmer, mit „Yes, in some jobs“<br />

56% und mit „Yes, in all my jobs“ 33%.<br />

McNaught (1993) formuliert die These, daß die Strategie der Verhaltensanpassung<br />

an die heterosexuelle Umwelt schon früh gelernt und auch später im Arbeitsleben<br />

beibehalten wird. Die Ursachen dieses Konformitätsverhaltens liegen seiner Ansicht<br />

nach in der Angst begründet, auf Unverständnis und Diskriminierung zu stoßen, nicht<br />

mehr geliebt, schlecht behandelt und marginalisiert zu werden (was ja alles nicht unbegründet<br />

ist). Die sozialen Interaktionen des konformen Homosexuellen in der Organisation<br />

sind damit von Zurückhaltung und Selbstzensur geprägt: Seine Spontanität geht<br />

verloren (Nijssen 1994).


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 115<br />

Ich möchte in diesem Zusammenhang das Verhalten derjenigen schwulen Männer,<br />

die aus Angst vor Diskriminierung und Karriereeinbußen „in the closet“ leben, von<br />

demjenigen der Männer unterscheiden, die prinzipiell der Ansicht sind, daß Sexualität<br />

im Arbeitsleben nichts verloren hat und deshalb geheimbleiben soll. Für erstere ist der<br />

oberste Grundsatz: Sich unauffällig verhalten, damit man nicht zum Außenseiter wird<br />

und damit bloß nicht die Karriere gefährdet wird! Das rät auch die Union der Leitenden<br />

Angestellten (ULA) in Essen schwulen Managern (Schumacher 1993: 47): „Sonst, so<br />

ULA-Geschäftsführer Jürgen Borgwardt, ergehe es ihnen wie bei der Bundeswehr:<br />

‘Eingezogen werden sie - aber nicht Offizier’“.<br />

Das Privatleben von Organisationsmitgliedern kann aber insofern interessieren, als<br />

das Informationen über Homosexualität von Kollegen mikropolitisch genutzt werden<br />

können. So beschreibt Kentler (1984: 30, kursiv dort) den Aufwand, der zur Tarnung<br />

der Homosexualität betrieben wird, besonders in den Büroberufen als sehr hoch: „Hier<br />

besteht nämlich ein starkes Bedürfnis, die Persönlichkeit der Kollegen auszuforschen<br />

und aus vielen Einzeldaten in Gesprächen über Feierabend, Wochenende, Urlaub, aus<br />

den am Arbeitsplatz geführten Telefonaten und schließlich aus Informationen von Dritten<br />

mosaikartig eine Privatbiographie zusammenzustellen. Gibt sich der Homosexuelle<br />

‘zugeknöpft’ oder gar als Mensch ohne Privatleben, droht er zum unsympathischen<br />

Sonderling zu werden; spiegelt er eine falsche Biographie vor (indem er zum Beispiel<br />

statt vom Freund von der Freundin redet), muß er auf Dauer unecht wirken und zudem<br />

belastet ihn ständig die Furcht, es könnte herauskommen, wie es tatsächlich um ihn<br />

steht.“<br />

So sind die Versuche von Schwulen, ihr Arbeitsleben zu desexualisieren, in Wirklichkeit<br />

Versuche, es zu heterosexualisieren. Woods geht davon aus, daß die Übernahme<br />

der „herrschenden Ansicht“ über den Umgang mit Sexualität am Arbeitsplatz durch<br />

die Schwulen Zeichen einer heterosexuell-patriarchalen „Hegemonie“ ist, in die die Unterdrückten<br />

mit eingebunden sind. Die von der heterosexuellen Hegemonie vorgegebenen<br />

Begriffsdefinitionen (etwa was unter „privat“ zu verstehen ist) werden von den<br />

Schwulen übernommen und sichern so ihre weitere Unterdrückung.<br />

„As a consequence, homosexuality becomes mostly invisible, and where it is reported<br />

it is usually portrayed negatively“ (Van der Veen & Dercksen 1993: 139). Geheimbleibend<br />

ist eine konstruktive Auseinandersetzung mit diskriminierenden Bedingungen<br />

am Arbeitsplatz nur schwer möglich (Palmer 1993).<br />

These D: Ein möglicher Going Public-Prozeß am Arbeitsplatz ist individuell zu<br />

entscheiden<br />

„In welcher Weise ein Mann sein Homosexuellsein am Arbeitsplatz erlebt und<br />

handhabt, ist in erster Linie lebensgeschichtlich bedingt. Die konkreten Arbeitsbedingungen<br />

spielen im Vergleich zur Sozialisation eine untergeordnete Rolle“ (Zillich 1988:<br />

179).<br />

Der Tenor des bisher schon mehrmals erwähnten Buches von McNaught (1993) ist<br />

amerikanisch-optimistisch: Offenbarung der homosexuellen Orientierung am Arbeitsplatz<br />

ist grundsätzlich besser als Geheimbleiben und ist Bedingung für eine gute Ar-


116 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

beitsleistung. Der Autor sieht es deshalb als das Ziel jedes schwulen Arbeitnehmers an,<br />

einen Going Public-Prozeß in der Organisation zu bewältigen und überträgt das Stufenmodell<br />

der schwulen Identitätsaneignung von Cass (vgl. 1979) auf die Arbeitssituation:<br />

Identitätsverwirrung: Das schwule Organisationsmitglied ahnt, daß das Thema<br />

Homosexualität und der Umgang damit am Arbeitsplatz mit ihm zu tun haben, verdrängt<br />

es aber. Seine instabile Identität kann sich störend auf seine Arbeitsleistung auswirken,<br />

da er sich unglücklich und gespalten fühlt und somit weniger effektiv in einem<br />

Team mitarbeiten kann;<br />

Identitätsvergleich: Innerhalb dieser Stufe findet eine erste Annäherung an ein homosexuelles<br />

Selbst statt; das Individuum befürchtet aber negative Reaktionen der wichtigen<br />

heterosexuellen Interaktionspartner in seinem Leben, unter anderen seiner Arbeitskollegen,<br />

und bleibt deshalb geheim. Zu diesem Zeitpunkt könnte eine organisationale<br />

schwule Selbsthilfegruppe bedeutende Hilfestellung leisten;<br />

Identitätstoleranz: Der Schwule toleriert jetzt seine Homosexualität, wobei ihm<br />

Kontakte zu anderen Homosexuellen helfen. Diese bewegen sich aber alle außerhalb<br />

der Organisation, innerhalb wird ein großer Energieaufwand aufgebracht, daß die Arbeitskollegen<br />

die homosexuelle Orientierung nicht bemerken;<br />

Identitätsakzeptanz: Außerorganisational hat das Individuum eine schwule Identität<br />

aufgebaut; innerorganisational beginnt es, seine Arbeitsumgebung so zu verändern,<br />

daß es sich wohler fühlt: Dazu gehört ein Outing-Prozeß, der zum Ergebnis hat, daß der<br />

- sich nun wohler fühlende Schwule - lieber und besser arbeitet;<br />

Identitätsstolz: Das offen schwule Organisationsmitglied möchte auch innerhalb<br />

der Organisation „Bewegung machen“, z.B. eine Arbeitsgruppe Homosexualität einrichten.<br />

Dies kann auf den Widerstand der Kollegen stoßen: Der heterosexuellen, die<br />

solchen Aktionismus unangebracht und übertrieben finden, und der homosexuellen, die<br />

sich unter Druck gesetzt fühlen, sich auch outen zu müssen;<br />

Identitätssynthese: Die nun in alle Lebensbereiche (einschließlich der Arbeit) integrierte<br />

Homosexualität läßt den Umgang mit den heterosexuellen Kollegen leichter<br />

werden. Da die Unterschiedlichkeit besser ausgehalten werden kann, liegen bessere<br />

Voraussetzungen für Teamarbeit vor. „Stage Six is where a company should hope all of<br />

its employees end up“ (McNaught 1993: 45).<br />

Ein Hauptkritikpunkt an dieser Übertragung des Modells von Cass auf die Arbeitssituation<br />

ist folgender: Auf das Privatleben bezogen ist die grundsätzliche Behauptung<br />

sicher richtig, daß sich ohne einen Going Public-Prozeß keine schwule Identität entwickeln<br />

kann, da so keine Kontakte zu anderen Schwulen möglich sind. Auf das Berufsleben<br />

kann das aber so pauschal nicht gesagt werden: Wäre Homosexualität eine gleichberechtigte<br />

Lebensform in dieser Gesellschaft, wäre es - dem Ansatz dieser Arbeit folgend,<br />

daß Sexualität im Arbeitsleben sehr wohl eine Rolle spielt - ohne Frage besser,<br />

seine sexuelle Orientierung in der Organisation nicht zu verstecken. Dem ist aber nicht<br />

so, insofern ist die Ansicht McNaughts - auf deutsche Verhältnisse bezogen - zu unkritisch<br />

und idealistisch: Ob ein Going Public-Prozeß am Arbeitsplatz vollzogen werden


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 117<br />

soll, ist individuell zu entscheiden. Der Betroffene muß sich fragen, ob es ihm und seiner<br />

Tätigkeit wirklich besser tut, die Kollegen und Vorgesetzten von seiner Homosexualität<br />

wissen zu lassen bzw. sich nicht mehr zu verstecken. Er sollte versuchen zu antizipieren,<br />

wie es ihm jetzt (also im nicht offenen Zustand) und später (im offenen Zustand)<br />

psychisch geht. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, ob ihm organisationsexterne<br />

Interaktionspartner [z.B. sein Lebensgefährte oder (schwule) Freunde] Halt<br />

geben und ihm bei potentiellen Schwierigkeiten mit Rat zur Seite stehen.<br />

Wer sich privat eine schwule Identität aufgebaut hat und sich getragen fühlt, tut<br />

sich leichter, mit dem Thema Homosexualität am Arbeitsplatz (wie auch immer) umzugehen<br />

und die Rückwirkungen der beruflichen Situation auf das Privatleben aufzufangen.<br />

Das wird auch in den Interviews von Zillich (1988) deutlich, der seine aufgestellte<br />

Typologie von homosexuellen Männern im Arbeitsleben auch daran festmacht, wie diese<br />

mit ihrer Sexualität privat umgehen, da Wechselwirkungen bedeutungsvoll sind. Der<br />

Autor verdichtet seine Interviewpartner zu vier Typen:<br />

„Der Unschlüssige am Rande des Abgrunds“ erlebt sich als Opfer der Männerkultur<br />

in seiner Organisation. Er benimmt sich dem Klischee des Schwulen entsprechend<br />

und bedenkt nicht die Folgen. Seine Homosexualität erlebt er als großes Problem; er<br />

fragt sich, ob es nicht besser wäre, heterosexuell zu leben. Auch in seinem Privatleben<br />

ist er weitgehend isoliert;<br />

„der Vorsichtige zwischen beruflichem Jonglieren und privatem Glück“ wird aufgrund<br />

seines zurückhaltenden Wesens kaum registriert. Er hat sich beruflich sehr gut<br />

etabliert, zwischenmenschlich ist er in der Organisation jedoch relativ einsam. Er fühlt<br />

sich unsicher, wie er sich im Umgang mit seinen Kollegen verhalten soll. Seine Devise<br />

ist, seine (für sich akzeptierte) Homosexualität nicht zu verleugnen, sie aber nur auf<br />

Nachfrage zu erkennen zu geben. Ausgleich für seine berufliche Situation findet er in<br />

einer Beziehung und in seinen Freizeitinteressen;<br />

„der Gelassene im Reservat der trügerischen Freiheit“ hatte noch nie in seinem<br />

bisherigen Leben Probleme mit seiner Homosexualität. Für ihn sind Unterschiede zwischen<br />

Hetero- und Homosexualität unwichtig. Er arbeitet im künstlerischen Bereich, in<br />

dem er sich nicht verstecken muß. Seine Freizeit verbringt er in der schwulen Subkultur;<br />

„der Entschiedene im Dickicht des Emanzipationsversuches“ hat seine schwule<br />

Identität auf konflikthafte Weise erworben: Er steht nun in allen Situationen dazu und<br />

bekennt sich aktiv. Er ist am Arbeitsplatz offen und kämpft dort wie in seiner Freizeit<br />

für die Gleichberechtigung der Schwulen. Privat legt er großen Wert auf die Pflege seines<br />

schwulen Freundes- und Bekanntenkreises.<br />

These E: Homosexuelle Männer stoßen innerhalb ihrer Karriere auf eine Begrenzung,<br />

die nicht sehr offensichtlich ist<br />

„Der Schwule gehört immer zu einer Randgruppe, immer muß er etwas erklären,<br />

etwas rechtfertigen. Kein Heterosexueller muß seine Heterosexualität rechtfertigen. ...


118 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

Immer muß der Schwule mehr leisten als andere, damit sein Chef sagt: ‘Er ist zwar<br />

schwul, aber tüchtig’“ (Donate 1993: 36).<br />

Mehrere Autoren gebrauchen zur Umschreibung des Sachverhaltes, daß es für<br />

Schwule irgendwann beruflich nicht mehr weitergeht, den Ausdruck „glass ceiling“<br />

(Nijssen 1994, Lee 1993, Stewart 1991): „By this I mean that homosexuals compared<br />

with equally qualified straights consistently achieve less and remain behind in their careers;<br />

i.e. bump up against a ceiling unrelated to their abilities. The term of ‘glass’ arises<br />

from the fact that there are few concretely visible forms of discrimination or obstacles<br />

at which to point“ (Nijssen 1994: 15).<br />

Obwohl sich homosexuelle Männer, besonders in Führungspositionen, selber oft<br />

verpflichtet fühlen, mehr zu leisten als andere, um den „Makel“ ihres gleichgeschlechtlichen<br />

Empfindens auszugleichen (Woods & Lucas 1993), nutzt dies ab einer bestimmten<br />

Stufe auf der Karriereleiter nichts mehr: Zählte bis zu diesem Punkt verstärkt die<br />

Leistung, geht es nun auch um die Erfüllung von Repräsentationspflichten.<br />

So fühlt man einem Vierzigjährigen genau auf den Zahn, wenn er noch Junggeselle<br />

ist (Schumacher 1993). Ein Personalberater (zit.in O.V. 1995a: 19) setzt noch früher<br />

an: „Ist man älter als 35, wird eine Ehefrau schon aus Repräsentationsgründen fast vorausgesetzt“.<br />

Mey (1990) berichtet von der Vorenthaltung von Anstellungen oder akademischen<br />

Karrieren, weil der Bewerber aufgrund seines unverheirateten Status verdächtig<br />

wirkte.<br />

So bleibt vielen Anwärtern auf eine höhere Position, sei es in privaten oder öffentlichen<br />

Organisationen, nur der Weg, den gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten völlig<br />

aus der Organisation herauszuhalten („his lover never phones him at work“) und eine<br />

Freundin oder Ehefrau vorzutäuschen (Stewart 1991: 32). Mir selber ist ein Münchner<br />

Jurist bekannt, der in regelmäßigen Abständen seine angebliche Lebenspartnerin „aufgedonnert“<br />

und theaterspielend in seine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestellt, um<br />

seine Vorgesetzten und Kollegen, die angeblich nie etwas wissen dürften, von seiner<br />

Heterosexualität zu überzeugen. Die Helferin hatte ihre Dienstleistung in einer Kontaktanzeige<br />

angeboten und ist selber lesbisch.<br />

Der Schwule erreicht aber nicht nur aufgrund seines Nichtverheiratetseins bestimmte<br />

Positionen innerhalb der Organisation nicht. Ihm werden die mit der höheren<br />

Position verbundenen Aufgaben auch nicht zugetraut. So wird befürchtet, er würde aufgrund<br />

seiner Homosexualität im Kontakt mit wichtigen Kunden oder Kollegen nicht<br />

akzeptiert. So „bleibt man ewig auf dem Posten eines Sachbearbeiters kleben oder muß<br />

eben doch Heterosexualität vortäuschen“ (O.V.1994: 110).<br />

Das Wissen um diese Tatsachen bremst dann auch das Karrierestreben vieler homosexueller<br />

Männer in Wirtschaft und Politik. Sie halten die Möglichkeit beruflichen<br />

Aufstiegs innerhalb geistiger und künstlerischer Berufe für wahrscheinlicher und weichen<br />

dorthin aus (Pollak 1986).<br />

„Homosexualität wird [außerdem] oft mit psychischer Instabilität gleichgesetzt,<br />

und daher ist möglicherweise die Annahme verbreitet, der berufliche Werdegang homosexueller<br />

Männer und Frauen sei ebenfalls unbeständig“ (Bell & Weinberg 1978: 165).


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 119<br />

Kinsey und seine Mitarbeiter haben dieses Vorurteil durch ihre umfassende Untersuchung<br />

aber widerlegt: So hatte fast die Hälfte der befragten schwulen Männer die<br />

letzten fünf Jahre den Arbeitsplatz nicht gewechselt (Bell & Weinberg 1978).<br />

Homosexuellen Männern (im Arbeitsleben) Instabilität und Unbeständigkeit anzudichten<br />

ist ganz in der Tradition der klassischen Psychoanalyse (Friedman 1993). Dem<br />

widerspricht der bereits angesprochene hohe Stellenwert, den der Beruf im Leben vieler<br />

Schwuler einnimmt. Kentler (1984: 31) bezeichnet sie als aufstiegsorientiert und Vertreter<br />

eines beruflichen Konservatismus, „das heißt, sie sind im allgemeinen mit den<br />

Zielen ihrer Beschäftigungsorganisation eher identifiziert als der Durchschnitt der Arbeitnehmer<br />

...“ (vgl.auch These F).<br />

These F: Nicht dem gängigen Rollenbild entsprechende Männer („Effeminierte“,<br />

„sissy-men“) sind in Organisationen unerwünscht<br />

Meine Ausführungen hierzu schließen an neuere psychoanalytische Ansätze an,<br />

die den homosexuellen Mann nicht mehr pathologisieren, solange er seine frühkindliche<br />

Störung der Geschlechtsidentität, die sich in verweiblichtem Verhalten äußerte, im späteren<br />

Leben aufgibt. Homosexualität wird damit akzeptiert, aber die männliche Geschlechtsrolle<br />

darf nicht verletzt werden. Oder anders gesprochen: Es besteht Furcht vor<br />

effeminiertem Verhalten, aber nicht vor der Homosexualität selbst (Friedman 1991).<br />

Dies gilt auch bezogen auf die (Geschlechtsrollen-) Erwartungen an den homosexuellen<br />

Mann in der Organisation: Homosexuell darf er vielleicht noch sein, aber nur<br />

solange das traditionelle Männerbild nicht verletzt wird. An letzterem hängt nämlich zu<br />

viel: Autorität, Rationalität, Durchsetzungsvermögen, Stärke usw. - alles Eigenschaften,<br />

die den klassischen Manager ausmachen und ohne die die Organisation im Wettbewerb<br />

(angeblich) nicht bestehen kann. In dieser Arbeit soll in Anlehnung daran daher die<br />

These vertreten werden, daß Männer, die vom gesellschaftlichen und in Organisationen<br />

erwünschten Männerbild abweichen, keine Chance erhalten, Führungspositionen in<br />

Wirtschaftsorganisationen zu erreichen. Benachteiligt sind sie alleine schon aufgrund<br />

ihrer homosexuellen Orientierung (sollte diese bekannt sein): Wenn sie dann auch noch<br />

weiblich wirken, ist es ganz vorbei.<br />

Pollak (1986) beschreibt den „Macho-Stil“ innerhalb der schwulen Szene (schwarze<br />

Lederkleidung, Schnurrbart, betont männliches Auftreten) als Reaktion auf das Klischee<br />

vom femininen Homosexuellen, der hoffnungslosen Tunte. Analog könnte man<br />

das Streben homosexueller Männer in männliche Berufe, z.B. Manager (dem klassischen<br />

Verständnis nach), inklusive dem Erfüllen der erwarteten männlichen Geschlechtsrolle,<br />

als Reaktion auf dieses Klischee verstehen. Dazu paßt meine Beobachtung,<br />

daß sich manche schwule Manager als ganz besonders männlich geben und der<br />

Behauptung, Homosexuelle würden in Gesellschaft und Organisationen unterdrückt,<br />

vehementen Widerspruch entgegensetzen. Dazu passen auch Zusammenschlüsse von<br />

Homosexuellen in Sportlergruppen, um Vorurteile, Schwule seien unsportlich, nicht<br />

hart und könnten keine Führungskräfte werden, auszuräumen.<br />

Nun sind aber Rufe laut geworden, daß die klassischen Männereigenschaften für<br />

das Management der heutigen Zeit eher ungeeignet sind. So werden Kommunikations-


120 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

fähigkeiten, Konfliktmanagement, kognitive Qualitäten (z.B. Ambiguitätstoleranz), Koordinator-/Moderatoreigenschaften<br />

und die Fähigkeit, auf Mitarbeiter und Kunden zugehen<br />

zu können, als neue Führungsqualitäten gepriesen (Nerdinger & von Rosenstiel<br />

1993). Im Zentrum dieser Qualitäten stehen soziale Interaktionen und der Aufbau persönlicher<br />

Beziehungen; Eigenschaften, die - der psychoanalytischen Erklärung nach -<br />

als der weiblichen Persönlichkeit zugehörig beschrieben werden. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit<br />

mit der weiblichen Persönlichkeitsstruktur bringen homosexuelle Männer diese<br />

momentan proklamierten „soften“ Führungseigenschaften eher mit als heterosexuelle<br />

Männer, deren grundlegendes Selbstgefühl Separatheit und Abgrenzung ist (Chodorow<br />

1985).<br />

So weist Schumacher (1993) darauf hin, daß Schwule ein wertvolles Mitarbeiterpotential<br />

präsentieren, da sie hohe soziale Kompetenzen aufweisen: Sie können geschickt<br />

mit Menschen umgehen, schnell reagieren und so gut Konflikte managen. Sie<br />

sind erprobte Grenzüberschreiter und in der Lage, über Konventionelles hinwegzudenken.<br />

Durch ihr angelerntes Tarn- und Fassadenverhalten (viele Homosexuelle mußten<br />

von früher Jugend an ein Doppelleben führen „und die Rolle je nach dem augenblicklichen<br />

Publikum wechseln“ (Pollak 1986: 65)) sind sie gute Verkäufer, Berater und<br />

Dienstleister. Kurzum, sie sind keine „Machismo-Manager“.<br />

Nach Bochow (zit.in Schumacher 1993: 52) sind Homosexuelle gute Führungskräfte,<br />

weil sie „in allem, was mit sozialer Interaktion zu tun hat, bestens geschult sind“.<br />

Daraus folgt aber keineswegs, daß sie deswegen leichter in eine Führungsposition gelangen<br />

können: Zum einen lassen sich die proklamierten neuen Führungseigenschaften<br />

nicht so leicht in der Organisation implementieren: Der Männerbund Management tendiert<br />

dazu, nur „passende“ Bewerber zu selektieren und so „immer wieder dieselben erfolgsorientierten<br />

‘Macher’ in die Entscheidungsebenen zu befördern“ (Nerdinger & von<br />

Rosenstiel 1993: 58; vgl. auch Kompa 1992). 2 Zum anderen hält sich das Stereotyp<br />

vom Homosexuellen als Weichling beständig, und einen solchen kann man in der (Führungsriege<br />

der) Organisation - bei allen sozialen Kompetenzen - nicht gebrauchen. Insofern<br />

läßt sich meine oben aufgestellte These aufrechterhalten.<br />

These G: Schwule müssen Strategien entwickeln, um den organisationalen Alltag<br />

zu bewältigen<br />

Ausgehend von der Beobachtung Foucaults (1992), daß überall im gesellschaftlichen<br />

und organisationalen Machtnetz Widerstandsmomente präsent sind, kann das<br />

schwule Organisationsmitglied (wie alle anderen auch) die ihm verbleibenden Handlungsspielräume<br />

für mikropolitische Strategien nutzen, die ihm helfen, persönliche Ziele<br />

zu erreichen und die Arbeitssituation erträglicher zu machen (Neuberger 1995).<br />

Strukturelle, soziale und personale Determinanten aktualisieren sich immer auch als<br />

Machtressourcen: Der Homosexuelle in der Organisation sollte „auf die Erlangung, Si-<br />

2<br />

Fraglich ist auch, ob die neuen Führungseigenschaften nicht ein Modetrend sind. Zu Zeiten<br />

der letzten Rezession wurde dann doch wieder schnell nach den harten Wirtschaftskapitänen<br />

gerufen.


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 121<br />

cherung und Erweiterung eines eigenen Arsenals an Machtressourcen bedacht sein.<br />

Diese Aufgabe ist nicht leicht, denn sein Einfluß auf Gegebenheiten, die in der Sozialstruktur<br />

oder in der Arbeitsgruppe begründet liegen, ist gering“ (Zillich 1988: 179).<br />

Für den homosexuellen Mann im Arbeitsleben nehmen Fragen des Umgangs mit<br />

seiner geschlechtlichen Orientierung eine zentrale Stellung innerhalb von mikropolitischen<br />

Überlegungen ein. Im folgenden werden vier Strategien vorgestellt, die in der Literatur<br />

besonders häufig diskutiert werden.<br />

Öffentliche Darstellung eines heterosexuellen Lebens als Reaktion auf die Situation am<br />

Arbeitsplatz<br />

Woods & Lucas (1993) unterscheiden im Rahmen dieser Strategie zwei Ausprägungen:<br />

a) „Inventing a sexual life“: Darunter sind alle Maßnahmen zu verstehen, die die Kollegen<br />

und Vorgesetzten von der Realität einer Lebensgefährtin überzeugen sollen:<br />

„Some men counterfeit an identity by supplying evidence of sexual relationships or<br />

fantasies that do not, in fact, exist. Through direct or indirect means, they disseminate<br />

a sexual biography that is essentially a work of fiction“ (Woods & Lucas<br />

1993: 76)<br />

Ein Bild der Pseudo-Ehefrau auf den Schreibtisch stellen (Schumacher 1993) oder<br />

einen Namen und eine Adresse für sie erfinden (nicht selten werden dazu frühere<br />

heterosexuelle Episoden in die Gegenwart transferiert) (Woods & Lucas 1993) gehören<br />

ebenso zu dieser Strategie wie der in These E beschriebene Theaterauftritt<br />

einer Vertrauten im Büro. Ein schwuler Arbeitnehmer hat sogar die angebliche<br />

Trennung von seiner „langjährigen Freundin“ aufwendig inszeniert (ÖTV-<br />

Infodienst 1994).<br />

b) „Playing against stereotype“: Hier vermeidet der Homosexuelle in der Organisation<br />

alles Verhalten, was mit „schwul“ assoziiert werden könnte. Statt dessen bemüht<br />

er sich um „counterstereotypical behavior“, d.h., er tritt besonders männlich<br />

auf (bezogen auf sein Verhalten, seine Sprache, seine Kleidung etc.).<br />

„Other men disguise interests and hobbies they fear will throw masculinity into<br />

question. Taste in clothing and design, an interest in the arts, and extensive travel,<br />

are all cited as signs of a gay lifestyle“ (Woods & Lucas 1993: 90).<br />

Als Folgen dieses alltäglichen Schauspiels diagnostizieren die Autoren:<br />

- Lampenfieber, die heterosexuelle Rolle nicht stringent und überzeugend aufrecht<br />

erhalten zu können;<br />

- ethische Probleme, die mit dem Lügen als ständigem Verhalten verbunden sind.<br />

Um das Problem zu entschärfen, haben sich manche der von Woods interviewten<br />

Führungskräfte eine „lying to the enemy“-Haltung zugelegt, die das Lügen als<br />

Notwehr interpretiert und so vor sich selbst legitimiert;<br />

- soziale Isolation und Amputation, die damit zusammenhängen, daß der Akteur einerseits<br />

sozialen Kontakten aus dem Wege geht, weil er die Angst und Anstrengung<br />

scheut, die mit dem Theaterspielen verbunden sind, und die (heterosexuellen)<br />

Interaktionspartner andererseits den Schwulen meiden, weil sie die Echtheit seines<br />

Verhaltens anzweifeln.


122 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

So wird die geheuchelte Identität zum Teil eines „deals“: Der Homosexuelle erhält<br />

Zugang zum Männerbund Management („Like a forged passport, a counterfeit identity<br />

permits him to travel freely through the heterosexual spaces of the professional world“),<br />

muß aber einen hohen Preis zahlen, nämlich die tendenzielle Gefährdung durch psychischen<br />

Streß (Woods & Lucas 1993: 106).<br />

Sich unauffällig verhalten und dem Thema am Arbeitsplatz ausweichen<br />

„Ich meine, die Heterosexuellen sagen doch auch nicht, ich bin heterosexuell. Da<br />

seh’ ich nicht ein, warum ich die Homosexualität besonders betonen soll“ (Zillich 1988:<br />

90).<br />

Aus diesem Ausspruch von einem der Interviewpartner von Zillich wird deutlich,<br />

daß die Anhänger dieser Strategie an eine (im Rahmen dieser Arbeit als Ideologie widerlegte)<br />

Asexualität der Organisation glauben und deshalb konsequent versuchen, ihr<br />

Privatleben aus der Organisation herauszuhalten.<br />

Dies bezieht sich zum einen auf sprachliche Formulierungen, die alles umschiffen,<br />

was Hinweise auf das Privat- und Sexualleben geben könnte: Der Akteur spricht z.B.<br />

immer nur in der „Ich“- statt der „Wir“-Form. Neben dem sprachlichen Ausweichen<br />

gibt es das Vermeiden von Situationen (z.B. Essenseinladungen), wo ein Gespräch über<br />

Privates zu erwarten ist (Woods & Lucas 1993). Die Autoren unterscheiden:<br />

„Sensitizing the Subject“: Der Schwule konstruiert eine Aura von „strictly business“<br />

und sagt gar nichts Privates. Dies ist in bestimmten Organisationen leichter, in<br />

anderen schwerer. Die Interviewpartner von Woods und Lucas erzählen z.B., daß in<br />

Rechtsanwaltskanzleien eine stärkere Trennung von Beruf und Privatleben möglich ist<br />

als in einer Werbeagentur;<br />

„Distracting the Audience“: Hier geht es darum, daß andere Rollen als die des<br />

Schwulen zur Erklärung des eigenen Verhaltens herangezogen werden, z.B. die Rolle<br />

des Exzentrikers, des (asexuellen) Intellektuellen, des Ekels etc.;<br />

„Social Ambiguity“: In diesem Fall wissen die Kollegen und Vorgesetzten zwar<br />

über die Homosexualität des Mitarbeiters Bescheid, haben aber in einer stillschweigenden<br />

Übereinkunft beschlossen, dies nicht zum Thema zum machen;<br />

„Social Withdrawal“: Damit ist ein Einigeln des Schwulen gemeint, der so automatisch<br />

zum Außenseiter in der Organisation wird. Die Autoren weisen zu Recht darauf<br />

hin, daß dies Rückwirkungen auf die Partnerschaft des Schweigenden hat, denn das<br />

Ventil, das sich Heterosexuelle durch die Thematisierung von Partnerproblemen am<br />

Arbeitsplatz schaffen, steht ihm nicht zur Verfügung.<br />

Einmal mehr sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die oft geäußerte Auffassung,<br />

(Homo-) Sexualität und Arbeitsleben hätten nichts miteinander zu tun, wie sie exemplarisch<br />

im folgenden Zitat zum Ausdruck kommt, reine Selbstberuhigung ist: „Ich<br />

finde, Pornohefte gehören genausowenig an den Arbeitsplatz, wie ich mich nicht dahinzustellen<br />

brauch’ mit ‘nem Schildchen und sagen, ich bin homosexuell“ (Zillich 1988:<br />

90).<br />

Diese Äußerung enthält zwei entscheidende Denkfehler: Zum einen kommt darin<br />

eine internalisierte Asexualität des Arbeitslebens zum Ausdruck, die kontrafaktisch ist:<br />

Geschlecht und Sexualität als Gegenpol zum Rationalitätsparadigma sind im organisati-


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 123<br />

onalen Alltag nicht nur allgegenwärtig, sondern werden sogar instrumentalisiert<br />

(Rastetter 1993): Organisationen sind entsexualisiert, aber sie sind nicht asexuell. Zum<br />

anderen glaubt auch dieser Interviewte, es ginge bei der Thematisierung von (seiner)<br />

Homosexualität in der Organisation nur um sexuelle Fragen, was drastisch durch den<br />

Vergleich von Homosexualität und Pornographie zum Ausdruck kommt (Zillich,<br />

a.a.O.).<br />

Sich Verbündete suchen - innerhalb und außerhalb der Organisation<br />

„Kapitalistenknecht (30, Vorstandsassi) sucht Kapitalisten und andere Knechte<br />

zum Austausch von (Berufs-) Erfahrungen (...) schwules Vitamin B (...)“ (O.V. 1995:<br />

11).<br />

Aufgrund dieser Anzeige wurde 1990 der schwule Managerverband „Völklinger<br />

Kreis“ geboren, dessen Ziele unten beschrieben werden. Zuvor möchte ich jedoch auf<br />

organisationsinterne Zusammenschlüsse von homosexuellen Männern eingehen.<br />

Verbündete in der Organisation zu finden muß natürlich nicht direkt bedeuten, daß<br />

man sich zu einer öffentlich identifizierbaren Gruppe zusammenschließt - auch wenn<br />

dies vielleicht politisch am wirkungsvollsten ist. Damit kann auch schon ein Bündnis<br />

des Schweigens gemeint sein, das zwei Schwule in einer Organisation unter Vernunftgründen<br />

abschließen. (Geheime) Allianzen mit homosexuellen Kollegen geben ein Gefühl<br />

der Sicherheit, da man sich nicht mehr als Einzelfall am Arbeitsplatz erlebt (Woods<br />

& Lucas 1993). Selbstverständlich sind auch Bündnisse mit aufgeschlossenen heterosexuellen<br />

Kollegen möglich, meistens mit Frauen, die sich auch als unterdrückte Gruppierung<br />

innerhalb der Organisation erleben (Zillich 1988).<br />

Mir ist in Deutschland keine Arbeitsorganisation bekannt, die eine „AG Homosexualität“<br />

in ihre Mitarbeiterpolitik eingebaut hat. Auch das hängt natürlich wieder mit<br />

dem Glauben zusammen, daß „so etwas“ in der eigenen Firma nicht vorkommt und<br />

„sexuelle“ Fragen überhaupt am Arbeitsplatz nichts zu suchen haben. Insofern muß hier<br />

auf US-amerikanische Literatur zurückgegriffen werden, in der von organisationsinternen<br />

Schwulen- und Lesbengruppen bei großen Unternehmen wie AT&T, Hewlett-<br />

Packard, US West, Levi-Strauss, Du Pont, Xerox und Coors berichtet wird (Stewart<br />

1991; Kronenberger 1991).<br />

In diesen - von der Unternehmensleitung abgesegneten - Gruppen geht es zum einen<br />

um Erfahrungsaustausch und Zusammensein, zum anderen um politische Ziele:<br />

„These include attacking overt workplace hostility, extending employee benefits to domestic<br />

partners, not just to spouses, and even little things like making sure that partners<br />

are welcome at company social events whenever husbands or wives are“ (Stewart 1991:<br />

35)<br />

Natürlich spielen bei der Toleranz und Implementierung von Homosexuellengruppen<br />

in der Organisation humane Gründe eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist<br />

die Erkenntnis amerikanischer Unternehmen, daß eine schwulenfeindliche Politik ihrem<br />

Image schadet. So repräsentieren die Homosexuellen eine bedeutende Marktmacht: Sie<br />

verfügen aufgrund ihrer überdurchschnittlich guten Ausbildung und Familienlosigkeit<br />

über ein hohes Einkommen (Stewart 1991; Schumacher 1993). Fallen sie (und aufge-


124 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

schlossene Heterosexuelle) als Konsumenten weg, weil das Unternehmen als homophob<br />

eingestuft wird, bedeutet das hohe wirtschaftliche Einbußen.<br />

Stewart (1991) bezeichnet es als wichtigste Funktion von organisationsexternen<br />

Homosexuellengruppen (wie z.B. den New Yorker „Wall Street Lunch Club“ mit mehr<br />

als 1000 Mitgliedern), den Weg dafür zu bereiten, daß schwule Angestellte und Manager<br />

aus verschiedensten Organisationen überhaupt zueinander finden. Ob diese Gruppen<br />

sich als lockere Zusammenschlüsse verstehen (auch in München gibt es einen „Essclub“<br />

schwuler Führungskräfte, „das Warme Buffet“), oder explizit politische Ziele<br />

formulieren (wie der bereits erwähnte Völklinger Kreis), immer steht der Netzwerkgedanke<br />

im Vordergrund.<br />

Der Völklinger Kreis wendet sich an schwule Führungskräfte in Wirtschaft, Verwaltung,<br />

Wissenschaft und öffentlichem Leben. Der Begriff Führungskraft ist dabei<br />

weit ausgelegt, wichtig ist, „daß in der Person der Wertbegriff Karriere positiv verankert<br />

ist“. Dabei wird unter Karriere nicht Vorwärtskommen mit den Ellenbogen verstanden,<br />

„sondern das Bestreben, Führungspositionen und Verantwortung zu übernehmen“<br />

(O.V. 1995a: 19). Bei einer Mitgliedschaft bleiben die Anonymität und Intimsphäre<br />

der Männer voll gewahrt. Der Verband hat mittlerweise in neun deutschen Städten<br />

Regionalgruppen (die größte befindet sich in Frankfurt) und momentan 140 Mitglieder<br />

(O.V. 1995).<br />

Er will dabei kein elitäres „Kaschmir und Krawatten-Image“: „Ziele des Verbands<br />

sind beruflicher Erfahrungsaustausch, Hilfe bei Benachteiligungen im beruflichen und<br />

privaten Bereich sowie die Stärkung der Teilnahme am wirtschaftlichen und kulturellen<br />

Leben. Der Verein bietet Seminare zur fachlichen Fortbildung und steht seinen Mitgliedern<br />

durch spezielle Fachgruppen mit Rat in berufsspezifischen Angelenheiten zur Seite“<br />

(O.V. 1995: 13).<br />

In manchen Städten arbeitet der Völklinger Kreis eng mit der AIDS-Hilfe zusammen<br />

(O.V. 1995). Wichtig ist es für Interessengruppen wie den Völklinger Kreis, mehr<br />

Mitglieder zu bekommen, um eine öffentliche Lobby bilden zu können.<br />

Homosexuelle Arbeitnehmer beginnen verstärkt Unterstützung durch die Gewerkschaften<br />

zu finden, allen voran durch die ÖTV, die das Thema der Diskriminierung von<br />

Lesben und Schwulen am Arbeitsplatz nicht mehr länger tabuisieren will. So gibt es<br />

Arbeitskreise „Homosexualität“ in den verschiedenen Bezirken der ÖTV, die in regelmäßigen<br />

Treffen und Seminaren konkrete Hilfestellungen für die Betroffenen anbieten,<br />

beim Aufbau einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung für Lesben und Schwule<br />

innerhalb der Organisation mithelfen wollen und „mit Hilfe der Gewerkschaften die Situation<br />

von Homosexuellen in Staat und Gesellschaft zu verbessern“ suchen (ÖTV-<br />

Infodienst 1994: 13). Jährlich findet das Seminar „Homosexualität - Menschenrechte im<br />

Betrieb“ im Haus der Gewerkschaftsjugend des DGB in Oberursel statt.<br />

„Normalizing the Abnormal“<br />

Mit dieser Strategie wird versucht, schwules Leben als so normal wie das heterosexuelle<br />

darzustellen, z.B. indem man als gleichgeschlechtliches Paar seine Freizeit mit<br />

heterosexuellen Freunden/Paaren verbringt. Durch die Verdeutlichung dessen, daß man


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 125<br />

doch so verschieden nicht voneinander ist, will man einen gleichberechtigten Status gegenüber<br />

den Heterosexuellen erreichen, der sich dann auch mit in die Organisation tragen<br />

läßt (Woods & Lucas 1993).<br />

Dabei ist es wichtig, den heterosexuellen Interaktionspartnern klarzumachen, daß<br />

die Homosexualität nicht einfach nur Ausdruck sexueller Affinität zu Angehörigen des<br />

eigenen Geschlechts ist, sondern eine Art zu leben, ein Lebensstil (Bell & Weinberg<br />

1978). „Sexualität als gemeinsames Interesse zu begreifen, ermöglicht es, über die<br />

Thematisierung des eigenen Homosexuellseins und den damit verbundenen Lebensstil<br />

hinaus auch das Heterosexuellsein der Gesprächspartner und deren Lebensstil zur Diskussion<br />

stellen zu können ... Der Vergleich zwischen Hetero- und Homosexuellen bietet<br />

eine Möglichkeit, die Gleichwertigkeit beider sozialer Kategorien zu unterstreichen“<br />

(Zillich 1988: 129).<br />

Woods & Lucas (1993) unterscheiden im Rahmen dieser Strategie verschiedene<br />

Vorgehensweisen:<br />

Der Homosexuelle kann die Unterschiedlichkeiten zwischen schwulem und heterosexuellem<br />

Leben herunterspielen und die Gemeinsamkeiten hervorheben. Er kann<br />

sich dabei um eine gemeinsame Sprache bemühen, indem er z.B. die Informationen<br />

über die unfamiliäre, schwule Sexualität in familiäre, heterosexuelle Ausdrücke kleidet;<br />

„...some find it easiest to come out in the course of a discussion about political beliefs<br />

and civil rights. By raising the subject of homosexuality in these contexts they depersonalize<br />

it, even as they reveal their own particular relationship to the subject at<br />

hand“ (183);<br />

andere verpacken schwule Themen in lustige Erzählungen und versuchen so, ihren<br />

Kollegen locker gegenüberzutreten.<br />

2.3 Das Verhalten der Organisation<br />

These H: Der Charakter einer Organisation ist umso homophober, je „härter“<br />

ihr Image ist<br />

„Eher schwulenfreundlich sind die Branchen EDV, Public Relations und Werbung.<br />

Schwierig hingegen ist das Umfeld bei Banken, der Pharma-Industrie und Großfirmen.<br />

Überhaupt gibt es bei kleineren Firmen weniger Probleme als bei großen“ (Kreutner,<br />

Personalmanager, zit. in O.V. 1995a: 20)<br />

Nijssen (1994) berichtet von einer Untersuchung aus Amsterdam, wonach der homophobe<br />

Charakter einer Organisation umso höher ist<br />

- je mehr das Unternehmen auf Konkurrenz statt auf Kooperation ausgerichtet ist;<br />

- je größer der Anteil der männlichen Arbeitnehmer ist und<br />

- je konservativer und homophober der direkte Vorgesetzte bzw. die Firmenideologie<br />

ist.<br />

Anknüpfend daran wird in dieser Arbeit die Ansicht vertreten, daß Organisationen<br />

sehr homophob sind, die besonders rigide am traditionellen Männerstereotyp festhalten,<br />

weil sie glauben, daß ohne die harten, rationalen Macher (an der Spitze) im Wettbewerb


126 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

nicht zu bestehen ist. Wie bereits ausgeführt, geht dieses Männerbild einher mit der<br />

Abwertung von Homosexualität. Außerdem erweckt die Konfrontation mit dem schwulen<br />

Kollegen bzw. Vorgesetzten bei der Organisation als Verkörperung moderner Herrschaft<br />

Ängste einer Resexualisierung und Entkonkurrierung der mühsam desexualisierten<br />

Arbeitswelt: Die Organisation befürchtet, daß der geregelte Arbeitsalltag von einem<br />

„Geschlechtsrollenabweichler“ durcheinandergebracht wird. Diese Ängste sind bei Organisationen,<br />

die sich ein „hartes“ Image nach außen hin geben, besonders stark.<br />

Zu diesen harten Organisationen zählen besonders Banken und Versicherungen<br />

(O.V. 1995) und Industrieunternehmen wie Automobil-, Stahl- und Ölgesellschaften<br />

(Schumacher 1993, Stewart 1991). Diese Einordnung soll nicht bedeuten, daß alle anderen<br />

Branchen schwulenfreundlich sind; Homophobie existiert innerhalb aller Arbeitsplätze,<br />

auch akademischer (Diamant 1993). Jedoch lassen sich bestimmte Trends<br />

feststellen, wo es sich als Schwuler besser arbeiten läßt, und das ist auf jeden Fall in<br />

Organisationen, die auch ein „alternatives“ Männerbild gelten lassen.<br />

So weichen, wie schon in These E erwähnt, viele homosexuelle Männer in Bereiche<br />

aus, wo mehr Kooperation herrscht und mehr Frauen arbeiten, wie in die Kunst, in<br />

Helferberufe und in den Non-Profit-Bereich (Nijssen, a.a.O.). Allerdings sollte man<br />

sich auch in diesen Bereichen die Ideologie der Arbeitgeber ganz genau anschauen:<br />

(Katholische) Kindergärten und Schulen können noch wesentlich homophober sein als<br />

Banken (Fassinger 1993, Donate 1993, Betten 1993).<br />

„Such discrimination may be based on the belief of employers:<br />

- that lesbian and gay employees will constitute a problem in the workplace, or<br />

- that lesbians and gay men will not function properly because of their assumed unstable<br />

and multiple relationships, or<br />

- that customers will stay away if they find out the company employs lesbians or gay<br />

men, or<br />

- that lesbians and gay employees can be blackmailed easily and will thus be a security<br />

risk, or<br />

- that lesbians and gay men have a problematic private life which will influence their<br />

productivity“ (Van der Veen & Dercksen 1993: 148f.).<br />

These I: Ein homophobes Arbeitsklima hat Auswirkungen auf die Produktivität<br />

„Auch betriebswirtschaftliche Gründe sprechen für einen Kurswechsel des Managements:<br />

Unternehmen mit einen verklemmten Klima sind nach US-Erkenntnissen weniger<br />

produktiv“ (Schumacher 1993: 52).<br />

Der schon mehrmals erwähnte amerikanische Unternehmensberater McNaught<br />

(1993) hat in seinen Seminaren beobachtet, daß Homosexuelle, die innerhalb eines homophoben<br />

Organisationsklimas arbeiten müssen, über eine beeinträchtigte Arbeitszufriedenheit<br />

klagen und ihre Energie nicht ganz der Arbeit widmen können. Der Energieaufwand,<br />

ständig eine Maske tragen zu müssen und/oder sich ständig gegen Angriffe<br />

von homophoben Vorgesetzten und Kollegen wehren zu müssen, beeinträchtigt so<br />

letztendlich die Produktivität. „My basic premise is that homophobia takes a toll on the<br />

ability of 10% of the work force to produce“ (McNaught, zit.in Stewart 1991: 32).


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 127<br />

„Gay people who have to worry about what will happen to them if they come out<br />

of the closet ..., generally produce at a lower level than gay people who don’t worry<br />

about what will happen to them. Even when the company has a policy that forbids discrimination<br />

based upon sexual orientation, as many do today, gay employees will probably<br />

be less productive if they are afraid of coming out because of the hostility they<br />

hear and see in the workplace“ (McNaught 1993: 6f.)<br />

Einmal mehr ist auch dieser Sachverhalt bisher nur in der amerikanischen Literatur<br />

formuliert worden (vgl. auch Woods & Lucas 1993, Stewart 1991, Kronenberger 1991).<br />

Lediglich Van der Veen & Derksen (1993) berichten von einer niederländischen Untersuchung,<br />

nachdem eine organisationale Anti-Diskriminierungspolitik, eine positive Einstellung<br />

der Kollegen zur Homosexualität, eine relativ große Anzahl von Frauen im<br />

Team und eine kooperative Atmosphäre einen produktiven Einfluß auf die Produktivität<br />

haben (dieses Ergebnis verwundert nicht; allerdings werden Organisationen, die all diese<br />

Positiva vereinen, höchst selten zu finden sein).<br />

Woods & Lucas (1993) weisen darauf hin, daß bekannter Heterosexismus innerhalb<br />

einer Organisation als unsichtbare Hand die Entscheidungen von vielen Schwulen<br />

steuert, in welchem Beruf, in welcher Firma und in welcher Stadt sie arbeiten wollen.<br />

So kommt es zu einer Ghettoisierung von schwulen Berufstätigen (Pollak 1986) 3 , deren<br />

Arbeitskraft bestimmten (abgelehnten) Organisationen dann einfach nicht mehr zur<br />

Verfügung steht.<br />

Kritisch anzumerken wären in diesem Zusammenhang zwei Punkte: Zum einen hat<br />

die Behauptung der niedrigeren Produktivität bei Homophobie, so pauschal formuliert,<br />

etwas Ideologisches: Da nicht offengelegt wird, wie dieser Produktivitätsausfall ausgerechnet<br />

wurde (läßt letzterer sich überhaupt - bezogen auf Homophobie - ausrechnen?!),<br />

kann man diese Behauptung auch nicht widerlegen. Zum anderen kommt bei diesem Zitat<br />

von McNaught wieder ein amerikanischer Optimismus durch, der die realistischen<br />

Verhältnisse in Organisationen verkennt: In einer Art „Human-Relations“-Perspektive<br />

wird hier angenommen, die Wünsche des schwulen Mitarbeiters, akzeptiert und frei von<br />

Diskriminierung arbeiten zu können, ließen sich mit denen der Organisation, die Produktivität<br />

zu steigern, harmonisch vereinbaren. Dabei werden zum einen alle anderen<br />

differenten Interessen zwischen Individuum und Organisation ausgeblendet (neben der<br />

Homosexualität bringt der Mensch auch andere, „nicht zu gebrauchende“ Werte in den<br />

Betrieb mit ein), und zum anderen wird übersehen, daß die Organisation eine Thematisierung<br />

von (Homo-) Sexualität aus Angst vor einer schon beschriebenen Resexualisierung<br />

der Arbeitswelt nur bis zu einem gewissen Grade tolerieren kann.<br />

These J: Unternehmen haben mehr Einflußmöglichkeiten auf die Befindlichkeit<br />

ihrer schwulen Mitarbeiter, als sie glauben<br />

3<br />

Ein Beispiel wäre das Kaufhaus Ludwig Beck in München, das bevorzugt schwule Bewerber<br />

einstellt.


128 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

„AT&T has offered homophobia workshops since 1987; 3000 workers have attended.<br />

... Lotus, with 3100 employees in the U.S., is much the largest for-profit employer<br />

to offer benefits to workers’ nonmarried partners“ (Stewart 1991: 35).<br />

Um Homophobie in der Organisation abzubauen, werden der Unternehmensleitung<br />

folgende Punkte vorgeschlagen:<br />

1. Aufnahme einer expliziten Anti-Diskriminierungspolitik in die Unternehmensleitlinien<br />

(Kronenberger 1991, Lee & Brown 1993) :<br />

Dies ist grundsätzlich nötig, weil es (weder in den USA noch in Deutschland) eine<br />

bundesrechtliche Grundlage gibt, die die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung<br />

verbietet (vgl. These K). Darin sollte festgehalten sein, daß Homosexuelle die<br />

gleichen Zugangs- und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Organisation haben wie<br />

ihre heterosexuellen Kollegen (Kronenberger 1991). Außerdem sollte gleiche Bezahlung<br />

für gleiche Arbeit garantiert sein: In der britischen Stonewall-Studie fühlten sich<br />

nur 14% der Befragten gleichberechtigt gegenüber ihren heterosexuellen Kollegen<br />

(Palmer 1993). Natürlich garantieren schriftlich fixierte Grundsätze noch nicht deren<br />

Umsetzung in Taten -Lee & Brown (1993) berichten umgekehrt von Organisationen<br />

ohne Grundsätze, die ihre Mitarbeiter schützen -, sie können diskriminerten Mitarbeitern<br />

jedoch als Berufungsgrundlage dienen und (schwulen) Neueinsteigern Richtlinie<br />

sein, sich ihren Arbeitgeber auszusuchen.<br />

2. Betriebliche Vergünstigungen auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartner (Kronenberger<br />

1991, Stewart 1991):<br />

Obwohl die schwulen Mitarbeiter von Organisationen, die solche Vergünstigungen<br />

ausgeben, nachweisen müssen, daß sie mit ihrem Partner eine „long-term“-Partnerschaft<br />

haben, daß sie einen gemeinsamen Haushalt führen und einander verantwortlich sind<br />

(Stewart 1991) (um die angebliche Promoskuität und Unbeständigkeit von Schwulen zu<br />

bändigen, werden diese hier eheähnlichen Grundsätzen unterworfen), gibt es in den<br />

USA zumindest einige Unternehmen, die Schwule in diesem Punkt finanziell nicht benachteiligen.<br />

In Deutschland ist davon nichts zu spüren: So gelten z.B. in öffentlichen<br />

Unternehmen Sonderurlaubsregelungen im BAT zur Betreuung von Angehörigen nur<br />

für Ehegatten; auch im Ortszuschlag werden Verheiratete bevorzugt (ÖTV 1994).<br />

Eine der wenigen Ausnahmen ist z.B. die Deutsche Lufthansa, die es ihren Mitarbeitern<br />

freistellt, gleichgeschlechtliche Partner als Nutznießer vergünstigter Tickets anzugeben<br />

(Schumacher 1993).<br />

Ich denke, in diesem Punkt ist ohne eine grundsätzliche Änderung der Rechtslage<br />

(vgl. These K) keine Veränderung des Verhaltens der Organisationen, auch nicht der<br />

privaten, zu erwarten: Betriebliche Vergünstigungen kosten Geld! An diesem Punkt<br />

wird deutlich, daß rein humane Appelle bezüglich einer Gleichberechtigung von Homound<br />

Heterosexuellen in Organisationen wenig nutzen: Man muß zusätzlich den Code<br />

des Geldes anwenden. Erst wenn Unternehmen merken, daß Schwule (und anteilnehmende<br />

Heterosexuelle) als wertvolle Mitarbeiter und Kunden ausbleiben, weil die Organisation<br />

einen homophoben Ruf hat, wird sie an ihrer Politik etwas ändern. Dazu gehören<br />

allerdings ein gewisses öffentliches Engagement und Solidarität; beides ist in den<br />

USA weit mehr vorhanden als in Deutschland.


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 129<br />

3. Implementierung von Anti-Homophobie-Workshops in der Organisation (McNaught<br />

1993, Woods & Lucas 1993, Lee & Brown 1993):<br />

Dabei geht es vor allen Dingen darum, den heterosexuellen Mitarbeitern ihre Ängste<br />

zu nehmen (oder letztere zumindest zu thematisieren), die mit der Homophobie zusammenhängen.<br />

Desweiteren verfolgen diese Workshops das Ziel, den Managern und<br />

Angestellten klarzumachen, daß Heterosexismus der Organisation schadet: aus humanen<br />

und ökonomischen Gründen (Woods & Lucas 1993). McNaught hat allein bei<br />

AT&T seit 1984 rund 4000 Manager über den Umgang mit homosexuellen Mitarbeitern<br />

geschult (Schumacher 1993). Seiner Auffassung nach sollten die Manager Rollenvorbild<br />

in der Organisation sein; sie sollten nicht nur die Möglichkeit von Workshops<br />

schaffen, sondern sich enthusiastisch zeigen im Kampf gegen homophobe Vorurteile:<br />

Sonst bleiben die schwulen Mitarbeiter weiterhin versteckt und die Produktivität leidet<br />

(McNaught 1993).<br />

Die Einführung und Wirksamkeit von solchen Workshops in deutschen Organisationen<br />

werden durch das gesellschaftliche Festhalten am traditionellen Männerbild gebremst:<br />

Aufgrund dieses internalisierten männlichen Rollenbildes kann man m.E. auf<br />

der Mitarbeiterseite nur schwer durch vernünftige Appelle, in Workshops vermittelt,<br />

homophobe Einstellungen ändern: Diese Ängste sitzen zu tief. Auch auf Organisationsseite<br />

gibt es Widerstände: Die Gesellschaft und ihre Organisationen müssen aus Produktions-<br />

und Reproduktionszwecken an der Bipolarität der Geschlechter und Heterosexualität<br />

festhalten; daran werden auch die Begründungen, Homosexuelle seien gute<br />

Mitarbeiter und zahlungskräftige Kunden, so schnell nichts ändern.<br />

4. Akzeptanz von organisationsinternen Schwulengruppen (Lee & Brown 1993):<br />

Auf diesen Punkt, durch den die Unternehmensleitung ihre tolerante Haltung öffentlich<br />

deklariert und es den Betroffenen ermöglicht wird, ein Netzwerk aufzubauen,<br />

bin ich bereits in These G eingegangen. Dazu gehören auch Informationstafeln und Beratungsdienste<br />

von und für Schwule(n) in der Organisation (Burrell & Hearn 1989).<br />

2.4 Die rechtliche Seite<br />

Dieser wichtige Punkt ist sehr komplex, die Rechtslage in verschiedenen Staaten<br />

uneindeutig; es werden deshalb nur einige zentrale Punkte herausgegriffen.<br />

These K: Ohne gesetzliche Absicherung der Rechte Homosexueller sind alle<br />

Bemühungen - auf privater wie organisationaler Seite - vergeblich<br />

„There will not be much change in the laws or in the culture with regard to gays<br />

and lesbians until the heterosexual majority sees the need for change“ (McGee 1993:<br />

XIV).<br />

Dieses Zitat von McGee geht in dieselbe Richtung wie der Hinweis Kentlers<br />

(1984), daß eine Verbesserung der Rechte Homosexueller erst dann eintritt, wenn sich<br />

die gesellschaftliche Entwicklung hin zu mehr Toleranz vollzieht. Das kann seiner Ansicht<br />

nach nur durch zunehmende Aufklärung geschehen. Eine Gegenposition wäre,<br />

von den gesetzgebenden Kräften eines Landes zu erwarten, das Recht in diesem Punkt


130 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)<br />

zu liberalisieren und so von den gesellschaftlichen Gruppierungen und Organisationen<br />

die angesprochene Toleranz zu verlangen. Einmal mehr ist hier Foucaults Hinweis auf<br />

gesellschaftliche Mächte angebracht, die das Recht instrumentieren, um ihre Ziele der<br />

Disziplinierung (des Körpers und der Arbeit) und Bevölkerungsregulierung durchzusetzen:<br />

Dem steht Homosexualität entgegen.<br />

Betten (1993) diskutiert, ob im Rahmen der Rechtsangleichung der Staaten der europäischen<br />

Union ein Veränderungsprozeß in Gang kommen könnte: So hat zwar ein<br />

ländervergleichender Bericht aus dem Jahr 1984 den EU-weit fehlenden Schutz für<br />

Homosexuelle vor Diskriminierung am Arbeitsplatz angeprangert und nachgewiesen,<br />

daß Homosexuelle systematisch von bestimmten Berufen ausgeschlossen werden. Zu<br />

konkreten Aktionen der EU hat dieser Bericht allerdings nicht geführt; finanzielle Engpässe<br />

wurden als Grund vorgeschoben.<br />

Der Autor fordert, der laut EU-Gesetzgebung verbotenen Diskriminierung wegen<br />

Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Ansicht, Nationalität und sozialer Herkunft<br />

die sexuelle Orientierung hinzuzufügen, wie es z.B. in Schweden geschehen ist (vgl<br />

auch McGee 1993; Lee & Brown 1993, Palmer 1993). Sonst könnten Staaten wie die<br />

skandinavischen oder die Niederlande, die Partnern von Homosexuellen beispielsweise<br />

Betriebsvergünstigungen und Versicherungsschutz einräumen, attraktive Länder für<br />

Migranten werden.<br />

Die rechtliche Diskriminierung von Homosexuellen in Organisationen erstreckt<br />

sich u.a. auf folgende Bereiche:<br />

Grundsätzlich mindert Homosexualität die Einstellungs- und Beförderungschancen<br />

von Schwulen; dabei existieren große Unterschiede zwischen einzelnen Branchen und<br />

öffentlichen und privaten Arbeitgebern (Van der Veen & Dercksen 1993). Deshalb berichteten<br />

78% der Befragten in der Stonewall Studie, daß sie sich nicht trauen, ihre sexuelle<br />

Orientierung in der schriftlichen Bewerbung zu erwähnen. Manche Arbeitgeber<br />

verlangen Gesundheitsuntersuchungen oder AIDS-Tests und stellen HIV-Positive nicht<br />

ein. Es ist auch nicht ungewöhnlich, Bewerber in diesem Zusammenhang nach einer<br />

kriminellen Vergangenheit zu befragen: Manche Arbeitgeber werfen „sexuelle“ Straftaten<br />

(„gross indeceny“) und Homosexualität automatisch in einen Topf (Palmer 1993:<br />

23);<br />

Pensionszusagen und Betriebsvergünstigungen machen meist einen Unterschied<br />

zwischen Verheirateten und Nichtverheirateten. Das bedeutet, daß Homosexuelle für<br />

die gleiche Arbeit schlechter bezahlt werden als ihre heterosexuellen Kollegen (Van der<br />

Veen & Dercksen 1993; Palmer 1993);<br />

„Entdeckte“ homosexuelle Arbeitnehmer und Manager haben keine Klagestellen,<br />

die sie beraten und ihnen helfen, die Folgen der Entdeckung abzufangen. Hilfestellung<br />

können hier gewerkschaftliche Selbsthilfegruppen geben (Van der Veen & Dercksen<br />

1993; ÖTV-Infodienst 1994);<br />

Schwule werden wegen ihrer sexuellen Orientierung entlassen, obwohl dies in den<br />

meisten europäischen Ländern (einschließlich Deutschland) rechtlich unwirksam ist<br />

(Palmer 1993). So wird meist ein anderer Grund vorgeschoben.


<strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96) 131<br />

3. Resümee<br />

Diese Arbeit bricht mit der stillschweigenden Selbstverständlichkeit der Möglichkeit<br />

asexueller Praxis in Organisationen: Organisationen sind entsexualisiert, gerade<br />

deswegen sind sie aber nicht asexuell. Leider ist dieser Sachverhalt bisher fast nur,<br />

wenn überhaupt, anhand der Diskriminierung und sexuellen Belästigung von Frauen<br />

thematisiert worden. Darin erschöpft er sich jedoch nicht.<br />

Die Ideologie einer asexuellen, geschlechtslosen Organisation ist falsch und dient<br />

Herrschaftsinteressen. Da diese Vorstellung als Ausdruck hegemonialer Männlichkeit<br />

aufgefaßt werden kann, war es ein besonderes Anliegen dieses Artikels, die in unserer<br />

Gesellschaft unkritisch kultivierte männliche Geschlechtsrolle zu untersuchen, die besonders<br />

von Inhabern von Führungspositionen erwartet wird. Dieses Männlichkeitsstereotyp<br />

geht einher mit der Abwertung von Weiblichkeit und mit Homophobie. Damit<br />

konfrontiert worden ist eine homosexuelle bzw. schwule Geschlechtsidentität, die in<br />

dieser Gesellschaft und in ihren Organisationen als zentralen Herrschaftsinstrumenten<br />

nach wie vor stigmatisiert wird.<br />

Es dürfte deutlich geworden sein, daß sich, quasi als Ausblick in die Zukunft, an<br />

dieser Stigmatisierung, besonders im Arbeitsleben, nur bis zu einem gewissen Grade<br />

etwas ändern wird. Dazu ist die Gesellschaft zu sehr an der Aufrechterhaltung der Bipolarität<br />

der Geschlechter und heterosexueller Präferenzen interessiert: Ohne diese Konservierung<br />

scheint unser Gesellschaftssystem gefährdet. Die Schwulen ihrerseits müssen<br />

sich zum einen, aus Sicherheits- und Karriereerwägungen heraus, dem Verhalten<br />

der Organisation anpassen, d.h. in der Regel, Heterosexualität vorspielen. Zum anderen<br />

setzen sie ihrer Marginalisierung (zumindest in Deutschland) zuwenig Widerstand entgegen:<br />

Sie übernehmen sehr häufig die Sexualisierung ihres Status’ durch heterosexuelle<br />

Interaktionspartner (was sie veranlaßt zu glauben, ihre Identität wäre allein durch ihre<br />

Sexualität bestimmt) ebenso unkritisch wie die gesellschaftliche Desexualisierungsfiktion<br />

der Arbeitswelt (weswegen sie annehmen, Geschlecht und Sexualität hätten mit<br />

Organisation nichts zu tun) und behaupten, sie würden nicht diskriminiert: Weder in der<br />

Organisation noch in anderen gesellschaftlichen Subsystemen.<br />

Dieser Tatbestand thematisiert auch die Grenzen eines offeneren Umgangs mit<br />

Homosexualität in Organisationen, wie ihn beispielsweise die - in dieser Arbeit deshalb<br />

für unsere Situation als zu idealistisch eingeordnete - amerikanische Literatur propagiert.<br />

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134 <strong>Maas</strong>: Männliche Homosexualität in Organisationen (ZfP 2/96)

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