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Andrej Rahten_Slowenischen Republikaner in der Gründerzeit…

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<strong>Andrej</strong> <strong>Rahten</strong><br />

Im Kampf gegen die Dynastie <strong>der</strong> Karañorñević: die slowenischen<br />

<strong>Republikaner</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>zeit des jugoslawischen Staates<br />

Am 29. Oktober 1918 wurde auf den Ru<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Habsburgermonarchie <strong>der</strong> Staat <strong>der</strong><br />

Slowenen, Kroaten und Serben (<strong>der</strong> SHS-Staat) verkündet, <strong>der</strong> sich schon <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es<br />

Monats unter <strong>der</strong> Dynastie <strong>der</strong> Karañorñevićs mit dem serbischen und montenegr<strong>in</strong>ischen<br />

Königreich vere<strong>in</strong>igte. Serbien gewann den Kampf um die Übermacht auf dem Balkan. Die<br />

slowenische Hauptstadt feierte mit e<strong>in</strong>er großen Kundgebung die Entstehung des neuen<br />

Staates. Ivan Hribar, <strong>der</strong> ehemalige Laibacher Bürgermeister, <strong>der</strong> während des Weltkrieges<br />

wegen se<strong>in</strong>er antiösterreichischen Gefühle <strong>in</strong>terniert worden ist, begrüßte als Gerent des<br />

Nationalrats für Slowenien und Istrien, vom Balkon des Laibacher Landesschlosses<br />

hocherfreut „die Staatsbürger und Staatsbürger<strong>in</strong>nen des freien Jugoslawiens.” 1<br />

Der frühere Bewohner des Landesschlosses, <strong>der</strong> Landeshauptmann von Kra<strong>in</strong> Dr. Ivan<br />

Šusteršič, musste aber se<strong>in</strong>e Stelle verlassen. Der Hauptgrund dafür war <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache, dass<br />

er bis zur Ende e<strong>in</strong>e ultraloyale austrodynastische Politik trieb. Vor dem Weltkrieg war er als<br />

Obmann <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei und Leiter des Kroatisch-slowenischen Klubs im<br />

Wiener Parlament noch <strong>der</strong> mächtigste slowenische Politiker gewesen. Jetzt drohten ihm, dem<br />

„Austriakanten”, die Anhänger des neuen Staates, sogar mit dem Tod, weshalb er Laibach <strong>in</strong><br />

aller Eile verlassen und nach Wien fahren musste. 2<br />

Vor dem Weltkrieg entwickelte Šusteršič e<strong>in</strong> Konzept für die trialistische Reform <strong>der</strong><br />

Habsburgermonarchie, wobei er dir These vertrat, dass die Slowenen e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> kroatischen<br />

politischen Nation seien und deswegen zusammen mit Kroaten die dritte staatsrechtliche<br />

E<strong>in</strong>heit bilden sollen. Šusteršič behauptete, dass für das slowenische Volk die<br />

Donaukonfö<strong>der</strong>ation e<strong>in</strong>e bessere Lösung wäre als die Vere<strong>in</strong>igung mit dem Königreich<br />

Serbiens. Se<strong>in</strong>e Zeitung Resnica [Wahrheit], die er am Ende des Weltkrieges gründete, warnte<br />

vor den großserbischen Bestrebungen: „Als was würden die Serben zu uns kommen? Sie<br />

würden kommen, und zwar nicht als 'Retter' und Brü<strong>der</strong> und wie auch immer alle solchen und<br />

ähnlichen <strong>in</strong>ternationale Phrasen lauten mögen, son<strong>der</strong>n als siegreiche Eroberer, als<br />

1 Hribar, Moji spom<strong>in</strong>i [Me<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerungen], II, 274–279.<br />

2 Vgl. Pleterski, Dr. Ivan Šušteršič, 439.<br />

1


Herrschaften, für die <strong>der</strong>en Schwert und <strong>der</strong>en Tapferkeit unser Gebiet erkämpft hat Sie<br />

würden uns zwar wirklich vor dem Deutschtum 'retten', das geben wir zu. Dafür würden sie<br />

aber die alten B<strong>in</strong>dungen unserer Län<strong>der</strong> mit unserer Dynastie und dem Donauraum, mit dem<br />

wir wirtschaftlich sehr eng verbunden s<strong>in</strong>d, zerstören. ... Sie werden ke<strong>in</strong>en slowenischen<br />

Gouverneur nach Laibach schicken o<strong>der</strong> Ivan Hribar als Vizekönig dort e<strong>in</strong>setzen, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong><br />

Laibach wird e<strong>in</strong> Serbe sitzen, <strong>der</strong> das slowenische Gebiet regieren und verwalten wird. ...<br />

Ke<strong>in</strong> Konkordat wird die Tatsache verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n können, dass <strong>in</strong> Großserbien die orthodoxe<br />

Kirche e<strong>in</strong>e staatliche Kirche se<strong>in</strong> wird. ... Die Serben werden auf jeden Fall versuchen, die<br />

Slowenen und die Kroaten zu Serben zu machen. ... In den Schulen und Ämtern wird die<br />

serbische Sprache vorherrschen und die Aufgabe <strong>der</strong> Kirche wird es se<strong>in</strong>, diesen Prozess zu<br />

beschleunigen.” 3<br />

Kurz vor dem Umsturz im Oktober 1918 stellte Šusteršič <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Artikelserie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeitung<br />

Novice e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten Plan für die Transformation Österreich-Ungarns zur<br />

Donaukonfö<strong>der</strong>ation gleichberechtigter Nationalstaaten vor. „Die vere<strong>in</strong>igten Donaustaaten“<br />

sollten se<strong>in</strong>en Vorstellungen nach „alle diejenigen Nationalstaaten umfassen, die sich aus <strong>der</strong><br />

gegenwärtigen Habsburgermonarchie entwickeln würden“. 4 Dabei dachte er an Jugoslawien,<br />

Deutsch-Österreich, die Tschechoslowakei, Polen, die Ukra<strong>in</strong>e und Rumänien.<br />

Je<strong>der</strong> Mitgliedsstaat hätte se<strong>in</strong>e eigene Regierung, die sich „zum Schutze <strong>der</strong> vitalen<br />

geme<strong>in</strong>samen Interessen“ zu e<strong>in</strong>em „großen, obgleich lockeren Staatenbund“ verb<strong>in</strong>den. Die<br />

Donaukonfö<strong>der</strong>ation würde e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen Wirtschafts-, Zoll- und Monetärbereich<br />

bilden. Als geme<strong>in</strong>same Währungse<strong>in</strong>heit schlug Šusteršič den Frank, D<strong>in</strong>ar o<strong>der</strong> Lej vor. Es<br />

würde auch e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Außenpolitik geben. Der Staatenbund hätte e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Auslandsvertretung und gleichzeitig könnten die e<strong>in</strong>zelnen Konfö<strong>der</strong>ationsmitglie<strong>der</strong> auch<br />

eigene diplomatische Vertretungen im Ausland haben. Das Militär jedoch sollte nicht unter<br />

die geme<strong>in</strong>samen Angelegenheiten fallen. Jedes Mitglied sollte nur für so viele Soldaten<br />

aufkommen, wie sie für die Erhaltung des Friedens und <strong>der</strong> Ordnung im jeweiligen Staat<br />

erfor<strong>der</strong>lich wären. Auf Bundesebene käme somit höchstens e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>ere „Bundeswache“ <strong>in</strong><br />

Betracht. Überhaupt war Šusteršič davon überzeugt, dass „nach dem Militär die Abrüstung an<br />

die Reihe käme und e<strong>in</strong>e Völkerliga mit obligatorischem Schiedsgericht gegründet werden<br />

müsse“. Die Form <strong>der</strong> jeweiligen Staatsordnung würde je<strong>der</strong> Mitgliedstaat selbst bestimmen:<br />

3 Resnica [Wahrheit], 5.10.1918.<br />

4 Novice, 24.10.1918.<br />

2


„Es kann entwe<strong>der</strong> nur Republiken o<strong>der</strong> nur Monarchien geben und auch je<strong>der</strong> Staat kann<br />

e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Dynastie haben.“ Ebenso hätte je<strong>der</strong> Mitgliedstaat das Recht, „auf Wunsch<br />

je<strong>der</strong>zeit aus dem Bund auszutreten.“ Die geme<strong>in</strong>samen Angelegenheiten wären <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zuständigkeit des „Bundesrates”, dessen Vorsitz und „geme<strong>in</strong>same Vertretung als<br />

Nachfolgerecht <strong>in</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> Habsburgerdynastie wäre“. Der Vorsitzende des Bundes<br />

hätte ähnliche Rechte wie <strong>der</strong> Schweizer Bundespräsident o<strong>der</strong> <strong>der</strong> britische König. 5<br />

Šusteršičs Pläne zur Erhaltung des großen mitteleuropäischen Staatengebildes unter dem<br />

Habsburger Zepter fanden bei <strong>der</strong> Öffentlichkeit ke<strong>in</strong>en Anklang. Der „Umsturz” wurde<br />

daraufh<strong>in</strong> sehr schnell herbeigeführt. 6 Kaiser Karl und <strong>der</strong> österreichische M<strong>in</strong>isterpräsident<br />

He<strong>in</strong>rich Lammasch appellierten an den neuen Obmann <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei Dr.<br />

Anton Korošec, die Umstrukturierung des Staates <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Konfö<strong>der</strong>ation zu unterstützen.<br />

Aber für Korošec war Wien nicht mehr als Faktor <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Politik anzusehen. Der<br />

Weg führte jetzt nach Belgrad. 7<br />

Die slowenischen politischen Leiter hatten damals bereits die Bil<strong>der</strong> des Kaisers aus ihren<br />

Wohnungen entfernt. Die weiter blickenden unter ihnen tauschten sie gleich aus – gegen<br />

Porträts von König Peter I. und vom Thronfolgers Alexan<strong>der</strong> Karañorñević. Die Gründe für<br />

e<strong>in</strong> solches Handeln waren mehr als offensichtlich. Die Slowenen beobachteten nämlich<br />

machtlos, wie Italien im E<strong>in</strong>klang mit dem berüchtigten Londoner Pakt, den es im April 1915<br />

mit den Ententemächten geschlossen hatte, Stück für Stück vom slowenischen Gebiet<br />

abzwackte. Damit das Unglück aber noch größer wurde, begann <strong>in</strong> Kärnten nach e<strong>in</strong>er kurzen<br />

5 Novice, 26.10.1918.<br />

6 Über das „Zeitalter des Umsturzes” vgl. folgende Studien: Metod Mikuž, Oris zgodov<strong>in</strong>e Slovencev v stari<br />

Jugoslaviji 1917–1941 [Umriss <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Slowenen im alten Jugoslawien 1917–1941] (Ljubljana<br />

1965), 46–75; Momčilo Zečević, Slovenska ljudska stranka <strong>in</strong> jugoslovansko zed<strong>in</strong>jenje 1917–1921 [Die<br />

Slowenische Volkspartei und die jugoslawische Vere<strong>in</strong>igung 1917–1921]. Od majniške deklaracije do<br />

vidovdanske ustave [Von <strong>der</strong> Maideklaration bis zur Vidovdan-Verfassung] (Maribor 1977); Bojan Balkovec,<br />

Prva slovenska vlada 1918–1921 [Die erste slowenische Regierung 1918–1921] (Ljubljana 1992); Janko Prunk,<br />

Slovenski narodni vzpon. Narodna politika 1768–1992 [Der slowenische nationale Aufstieg. Nationale Politik<br />

1768–1992] (Ljubljana 1992), 186–217; Jurij Perovšek, Slovenska osamosvojitev v letu 1918. Študija o slovenski<br />

državnosti v Državi Slovencev, Hrvatov <strong>in</strong> Srbov [Die slowenische Verselbstständigung im Jahre 1918. Studie<br />

über die slowenische Staatlichkeit im Staat <strong>der</strong> Slowenen, Kroaten und Serben] (Ljubljana 1998). Außer den<br />

aufgeführten Werken gibt es zu diesem Thema noch e<strong>in</strong>e Reihe von Memoiren: Janko Brejc, Od prevrata do<br />

ustave [Vom Umsturz zur Verfassung], <strong>in</strong>: Slovenci v desetletju 1918–1928. Zbornik razprav iz kulturne,<br />

gospodarske <strong>in</strong> politične zgodov<strong>in</strong>e [Die Slowenen im Jahrzehnt 1918–1928. Sammelband von Erörterunngen<br />

aus <strong>der</strong> kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Geschichte], Hg. Josip Mal (Ljubljana 1928), 160–214;<br />

Alb<strong>in</strong> Prepeluh, Pripombe k naši prevratni dobi [Anmerkungen zu unserer Zeit des Umsturzes] (Ljubljana<br />

1938); Jurij M. Trunk, Spom<strong>in</strong>i [Er<strong>in</strong>nerungen] (Celje 1950); Rudolf Golouh, Pol stoletja spom<strong>in</strong>ov. Panorama<br />

političnih bojev slovenskega naroda [E<strong>in</strong> halbes Jahrhun<strong>der</strong>t Er<strong>in</strong>nerungen. Panorama <strong>der</strong> politischen Kämpfe<br />

des slowenischen Volkes] (Ljubljana 1966).<br />

7 Kranjec, Koroščevo predavanje [Vortrag von Korošec], 275.<br />

3


Zeit <strong>der</strong> Depression das Selbstbewusstse<strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Nationalisten wie<strong>der</strong> zu wachsen.<br />

Zu den damaligen Verhältnissen war das Königreich Serbien <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Staat überhaupt, <strong>der</strong><br />

dazu bereit war, die slowenischen Territorialfor<strong>der</strong>ungen auch militärisch zu unterstützen.<br />

Daher blieb den Vertretern <strong>der</strong> slowenischen politischen Elite wahrsche<strong>in</strong>lich wirklich nichts<br />

an<strong>der</strong>es übrig, als sich an den Staat <strong>der</strong> Karañorñević anzulehnen. Unumstrittene Tatsache ist,<br />

dass sie ihren Verbündeten eigentlich überhaupt nicht kannten.<br />

Die Verwirklichung des alten Programms des Vere<strong>in</strong>igten Sloweniens, das im neuen Staat<br />

endlich implementiert werden sollte, schien immer weiter entfernt. Der deprimierte Laibacher<br />

Bischof Anton Bonaventura Jeglič schrieb am 22. November 1918 <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Tagebuch: „Wir<br />

alle s<strong>in</strong>d voller Sorge um die Zukunft. Die Magyren drohen uns, die Wälschen besetzen unser<br />

Gebiet und die Deutschen üben Gewalt aus; wir aber s<strong>in</strong>d ohne Macht; unsere<br />

Nationalregierung und unser Nationalrat schickt uns nur Proteste. Ohne die Serben gibt es<br />

ke<strong>in</strong>e Lösung! Ergo! Wie schlimm wird es für uns, wenn wir unter den orthodoxen König<br />

kommen, nachdem wir den katholischen Kaiser verlassen haben! Deus miseratur nostri!” 8<br />

Der Zusammenschluss <strong>der</strong> politischen Vertreter <strong>der</strong> österreichisch-ungarischen Slawen mit<br />

dem orthodoxen Königreich <strong>der</strong> Karañorñević lief mit blitzschneller Geschw<strong>in</strong>digkeit ab. Am<br />

1. Dezember 1918 wurde <strong>in</strong> Belgrad <strong>in</strong> Abwesenheit von Korošec das Königreich <strong>der</strong> Serben,<br />

Kroaten und Slowenen (Königreich SHS) gegründet.<br />

Nach dem Umsturz suchte sich Šusteršič als neue Heimat die Schweiz aus. Offensichtlich<br />

rechnete er trotz se<strong>in</strong>er Abschiebung damit, bald wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Politik zurückzukehren. In<br />

e<strong>in</strong>em Aufsatz, den er am 9. Januar 1919 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweizer Zeitschrift La Voix de l'Humanité –<br />

Die Menschheit veröffentlichte, beschäftigte er sich ausführlich mit <strong>der</strong> Chancen des<br />

jugoslawischen Staates, im sehr unfreundlichen <strong>in</strong>ternationalen Umfeld bestehen zu bleiben. 9<br />

Als größtes außenpolitisches H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für se<strong>in</strong>e Entwicklung nannte er das italienische<br />

Beharren auf den territorialen For<strong>der</strong>ungen auf <strong>der</strong> Grundlage des Londoner Paktes aus dem<br />

Jahre 1915. Gerade die italienischen territorialen For<strong>der</strong>ungen würden nach Šusteršič die<br />

zentralistisch ausgerichteten politischen Mächte im Königreich SHS verstärken. Auch e<strong>in</strong><br />

8 Tagebuch von Jeglič, 22.11.1918, WFZ SAWK.<br />

9 Ivan Šusteršič, Der südslavische Staat, <strong>in</strong>: La Voix de l'Humanité – Die Menschheit, 9.1.1919. Vgl. Šusteršič<br />

[Šusteršič], Moj odgovor [Me<strong>in</strong>e Antwort], 53–58. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Mitvorsitzenden <strong>der</strong><br />

Schweizer Paneuropa-Bewegung André Poul<strong>in</strong> bedanken, dass er mir e<strong>in</strong>e Kopie des oben erwähnten Artikels<br />

besorgt hat.<br />

4


Großteil <strong>der</strong> slowenischen und kroatischen Politiker soll geglaubt haben, dass nur e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>heitlicher Staat, <strong>der</strong> für die serbische Tradition <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit den<br />

westeuropäischen Großmächten offen war, dem außenpolitischen Druck erfolgreich<br />

standhalten konnte. Aber offensichtlich konnten die unterschiedlichen historischen<br />

Traditionen doch nicht über Nacht aus dem Staatsbewusstse<strong>in</strong> gelöscht werden, was auch<br />

Šusteršič allmählich begriff: „Es lässt sich nicht leugnen, dass die breitesten südslawischen<br />

Volkschichten e<strong>in</strong> tiefer <strong>in</strong>nerer Gegensatz scheidet, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> verschiedenen Formen äußert,<br />

im wesentlichen aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Differenzierung zwischen Orient und Okzident besteht. Die<br />

Kroaten und Slowenen s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Okzident, die Serben s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Orient. Letztere bewohnen<br />

größtenteils e<strong>in</strong> Gebiet, das ehemals zu Byzanz gehörte, die ersteren Gebiete des e<strong>in</strong>stigen<br />

weströmischen Reiches. Die Serben s<strong>in</strong>d größtenteils griechisch-orthodox, die Slowenen und<br />

Kroaten nahezu ausschließlich römisch-katholisch. Das nationale Ideal <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en war stets e<strong>in</strong><br />

Großserbien, das <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Großkroatien.“<br />

Šusteršič glaubte, dass die meisten Slowenen und Kroaten e<strong>in</strong>e fö<strong>der</strong>ative Republik<br />

wünschten, wodurch sie ihre „okzidentale Eigenart“ schützen wollten. Gleichzeitig aber<br />

unterstrich er, dass <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Intellektuellen e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong> Karañorñević-<br />

Dynastie befürwortete. Mit Ausnahme <strong>der</strong> Kroatischen Republikanischen Bauernpartei von<br />

Stjepan Radić, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Art Bauernrepublik gründen wollte, und e<strong>in</strong>es Teils <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Pravaschen aus dem Kreis <strong>der</strong> austrofilen Frankovci, hatte sich angeblich die Mehrheit <strong>der</strong><br />

kroatischen politischen E<strong>in</strong>heit bereits mit <strong>der</strong> monarchistischen Regierungsform<br />

angefreundet, und zwar noch bevor die Konstituante nach Belgrad überhaupt e<strong>in</strong>berufen<br />

wurde. Šusteršič war <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass Regent Alexan<strong>der</strong> Karañorñević vor e<strong>in</strong>er<br />

anspruchsvollen Aufgabe stand, da er nach e<strong>in</strong>em Kompromiss bei <strong>der</strong> Festlegung <strong>der</strong><br />

Staatsordnung suchen musste: „Gel<strong>in</strong>gt es dem Pr<strong>in</strong>zregenten, die richtigen Grenzl<strong>in</strong>ien<br />

zwischen Selbstverwaltung und Zentralismus zu f<strong>in</strong>den und gegen jedwede Anfechtung zu<br />

sichern, wird das Staatsoberhaupt e<strong>in</strong> Hort nicht nur <strong>der</strong> Gesamtheit, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnen autonomen Teile, dann wird <strong>der</strong> Gegensatz zwischen Rom und Byzanz se<strong>in</strong>em<br />

Reiche nicht gefährlich werden; es wird, trotz aller unvermeidlichen Anfangs-Reibungen, e<strong>in</strong><br />

gesun<strong>der</strong> Ausgleich zwischen Orient und Okzident stattf<strong>in</strong>den und das jugoslawische Reich<br />

<strong>der</strong> Serben, Kroaten und Slovenen wird zu sicherer hoher Blüte gelangen.“<br />

Auch für Šusteršičs engste politische Mitarbeiter endete <strong>der</strong> Umsturz tragisch. Viele<br />

Anhänger <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei, die sich rechtzeitig <strong>der</strong> Opposition gegen<br />

5


Šusteršič angeschlossen hatten, kannten mit dem „Austriakanten“ ke<strong>in</strong> Erbarmen. Dabei<br />

„strotzte“ vor allem Dr. Izidor Cankar aus dem engeren Korošec-Kreis vor Kaltblütigkeit.<br />

Nach e<strong>in</strong>er Aussage soll Šusteršičs ehemaliger „Propagandam<strong>in</strong>ister“, <strong>der</strong> Journalist Ivan<br />

Štefe, nach dem Umsturz e<strong>in</strong>mal mit <strong>der</strong> Bitte zu Cankar gekommen zu se<strong>in</strong>, weiterh<strong>in</strong> im<br />

Zeitungswesen tätig se<strong>in</strong> zu dürfen, da er ohne Arbeit nicht weiterleben könne und sich<br />

„aufhängen müsse“. Cankar entgegnete ihm zynisch: „Dann hängen Sie sich doch auf, es<br />

bleibt Ihnen ja eh nichts an<strong>der</strong>es übrig.“ Štefe g<strong>in</strong>g nach Hause und erhängte sich. 10<br />

Ruda Jurčec, <strong>der</strong> als Vertreter <strong>der</strong> jungen katholischen Intelligenz die damaligen<br />

Vergeltungen zwischen den Primussen <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei kritisierte, schrieb <strong>in</strong><br />

diesem Zusammenhang: „Schmerzhafte Trauerspiele haben unsere beste Welt erschüttert.<br />

Überraschend verstarb unglücklich Fran [korrekt: Ivan] Štefe, <strong>der</strong> Redakteur <strong>der</strong> Zeitung<br />

Slovenec, und kurze Zeit später verstarb auch <strong>der</strong> Kanonikus Dr. Evgen Lampe, <strong>der</strong> Pfeiler<br />

von Šusteršičs Landesregierung <strong>in</strong> Kra<strong>in</strong>. Niemand von uns redete lautstark darüber. Wir<br />

haben es bitter zu spüren bekommen, als ob etwas geschehen wäre, dessen wir uns schämen<br />

müssten.“ 11<br />

Indem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei Korošecs Richtung dom<strong>in</strong>ierte, verän<strong>der</strong>te sich<br />

auch <strong>der</strong>en Beziehung zu den Serben und dadurch auch zu den Kroaten. Im Unterschied zum<br />

kroatophilen Šuseršič, <strong>der</strong> den serbischen Politikern misstrauisch gegenüberstand, verband<br />

Korošec das Schicksal <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei pragmatisch mit den serbischen<br />

Parteien. Wahrsche<strong>in</strong>lich folgerte er, dass unter <strong>der</strong> serbischen Dynastie, unabhängig von <strong>der</strong><br />

Regierungszusammenstellung, immer m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>er von ihnen an <strong>der</strong> Macht se<strong>in</strong> würde.<br />

Bald nach dem Umsturz entwickelte sich <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Allslowenischen Volkspartei e<strong>in</strong><br />

starker Flügel, <strong>der</strong> vor allem aus republikanisch orientierten Christlichsozialen bestand und<br />

stark gegen das Paktieren von Korošec mit <strong>der</strong> serbischen politischen Elite e<strong>in</strong>trat. Der Kern<br />

dieser Gruppe bildeten Fran Kulovec, <strong>Andrej</strong> Gosar, Franc Terseglav, dr. Engelbert<br />

Besednjak und France Kremžar. 12 Unter <strong>der</strong>en E<strong>in</strong>fluss wurde am 21. November 1918 von <strong>der</strong><br />

Partei e<strong>in</strong>e Erklärung verabschiedet, wodurch die Partei sich „für die republikanische<br />

10 Marko Bajuk, Ivan Štefe, <strong>in</strong>: Pogledi [Ansichten]28–29 (1999), 29.<br />

11 Ruda Jurčec, Skozi luči <strong>in</strong> sence [Durch Licht und Schatten], I (Ljubljana ²1991), 143.<br />

12 O krščanskosocialnem krilu SLS za časa Kraljev<strong>in</strong>e SHS podrobno Janko Prunk, Pot krščanskih socialistov v<br />

Osvobodilno fronto slovenskega naroda (Ljubljana 1977), 49-86; Tomaž Simčič, <strong>Andrej</strong> Gosar, krščanstvo <strong>in</strong><br />

socialno gibanje (Ljubljana 1992), 20-28.<br />

6


Regierungsform“ äusserte. 13 Beson<strong>der</strong>s Kulovec wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Partei dadurch bekannt, die<br />

Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Radić-Bewegung zu befürworten. 14 Korošec, <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Sprache mit Radić f<strong>in</strong>den konnte, deklarierte aber sich öffentlich für Monarchisten, was er<br />

damit begründete, dass auch an<strong>der</strong>e Balkanstaaten Monarchien seien und dass die Jugoslawen<br />

für die Republik noch nicht „reif genug“ seien. 15<br />

Angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass se<strong>in</strong>e ehemaligen Kollegen aus <strong>der</strong> Allslowenischen<br />

Volkspartei Šusteršič ke<strong>in</strong>e Rückkehr <strong>in</strong> die Heimat gewährten, suchte sich Šusteršič <strong>in</strong> den<br />

ersten Jahren se<strong>in</strong>er Emigration Freunde unter den Gegnern des neuen jugoslawischen<br />

Staates. In <strong>der</strong> Schweiz soll er nach e<strong>in</strong>igen Aussagen auch Kontakt mit dem ehemaligen<br />

Kaiser Karl und <strong>der</strong> kroatischen Emigration aufgenommen haben. Im August 1919<br />

berichteten auch die tschechischen Zeitungen, dass Šusteršič als „Vertreter <strong>der</strong> Kroaten“ Karl<br />

und Cita besucht hatte. 16 Auch e<strong>in</strong>ige an<strong>der</strong>e gut <strong>in</strong>formierte Agenten waren <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung,<br />

dass Šusteršič sogar e<strong>in</strong>e Art Verb<strong>in</strong>dungsglied zwischen dem ehemaligen Kaiser und den<br />

Mitglie<strong>der</strong>n des Kroatischen Revolutionären Kommitte gewesen war.<br />

In den italienischen Archiven s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige <strong>in</strong>teressante Nie<strong>der</strong>schriften erhalten, die bezeugen,<br />

dass Šusteršič aktiv an <strong>der</strong> Suche nach Unterstützung für die Abspaltung <strong>der</strong> slowenischen<br />

und kroatischen Gebiete vom Königreich SHS beteiligt war. 17 Zusammen mit zwei<br />

kroatischen Emigranten reiste er nämlich im März 1919 nach Rom zu Verhandlungen mit den<br />

Vertretern des italienischen Außenm<strong>in</strong>isteriums. Dort wussten sie sehr wohl Bescheid, dass<br />

Šusteršič e<strong>in</strong> „Karlist“ war, aber sie waren trotzdem bereit, ernste Gespräche über e<strong>in</strong>e<br />

eventuelle italienische Unterstützung mit ihm zu führen. 18<br />

Unter an<strong>der</strong>em wurden Šusteršič auch von Carlo Graf Sforza empfangen, <strong>der</strong> als ehemaliger<br />

Gesandter bei <strong>der</strong> serbischen Regierung auf Korfu die südslawische Frage sehr genau<br />

13 Slovenec, 22.11.1918.<br />

14 Prim. Matija Škerbec, Pregled novodobnega slovenskega katoliškega gibanja, I-II (Cleveland 1956-1957), tu<br />

II, 124-125.<br />

15 Slovenec, 2.10.1920.<br />

16 Večerni list, 19.8.1919.<br />

17 Vgl. Milica Kac<strong>in</strong> Woh<strong>in</strong>z, Tajni predlog I. [Geheimer Vorschlag I. Šušteršičs über e<strong>in</strong>e kroatsichslowenische<br />

Republik, März 1919.], <strong>in</strong>: Stvaranje jugoslovenske države 1918. god<strong>in</strong>e [Die Entstehung des<br />

jugoslawischen Staates im Jahre 1918] (Belgrad 1989), 197–199.<br />

18 Gagliardi, Ist<strong>in</strong>a [Die Wahrheit], 22.<br />

7


kannte. 19 Von se<strong>in</strong>en Gesprächspartnern erfuhr Sforza, dass 90 % <strong>der</strong> Kroaten und 75 % <strong>der</strong><br />

Slowenen für e<strong>in</strong>e Abspaltung von Serbien waren. Der größere Prozentsatz bei den Kroaten<br />

sei demnach darauf zurückzuführen, dass sie die Serben aufgrund ihrer unmittelbaren<br />

Nachbarschaft und den jahrhun<strong>der</strong>telangen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen besser kannten. Die<br />

erwähnte Mehrheit <strong>der</strong> Kroaten und Slowenen sei nach den Zusicherungen von Šusteršič und<br />

se<strong>in</strong>en Kollegen auch bereit, gegen die serbische Vorherrschaft zu kämpfen. Der Vatikan<br />

hätte nicht die Absicht, das Königreich SHS anzuerkennen, solange Italien dies nicht täte und<br />

so lange es nicht noch e<strong>in</strong>en w<strong>in</strong>zigen Funken Hoffnung gäbe, dass man die katholischen<br />

Kroaten und Serben ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> halten könnte. Unter den slowenischen und kroatischen<br />

Politikern soll die Me<strong>in</strong>ung vorherrscht haben, dass die beste Staatsform e<strong>in</strong>e kroatischslowenische<br />

Republik sei. Diese wäre neutral und e<strong>in</strong>e Verbündete Italiens, vor allem <strong>in</strong><br />

Bezug auf die Handelsfragen, die <strong>in</strong> <strong>der</strong>en geme<strong>in</strong>samen Interesse waren. Šusteršič und se<strong>in</strong>e<br />

Kollegen waren bereit, die Abspaltung Montenegros vom jugoslawischen Staat, und folglich<br />

auch das italienische Protektorat über Montenegro und Albanien anzuerkennen. Sie drückten<br />

aber auch ihre Überzeugung aus, dass auch diese „wenigen“ Kroaten und Slowenen, die noch<br />

die Regierung <strong>in</strong> Belgrad unterstützten, für e<strong>in</strong>e Abspaltung <strong>der</strong> kroatisch-slowenischen<br />

Republik bereit seien, wenn sich die antiserbische Bewegung <strong>in</strong> ausreichendem Maße<br />

ausbreitete. Auf <strong>der</strong> Grundlage des Gespräches mit Šusteršič schlug Sforza se<strong>in</strong>er Regierung<br />

vor, falls ihr Vorschlag bewilligt würde, dass sie Kontakt mit dem Vatikan aufsuchen würde,<br />

damit <strong>der</strong> direkt auf die Geistlichkeit <strong>in</strong> Slowenien und Kroatien e<strong>in</strong>wirkte.<br />

Šusteršič wurde auch vom Befehlshaber des Oberkommandos <strong>der</strong> italienischen Mar<strong>in</strong>e<br />

empfangen. Bei diesem Gespräch schlug ihm Šusteršič vor, dass Italien von <strong>der</strong> „<strong>in</strong>tegralen<br />

Realisierung“ des Londoner Paktes von 1915 zurücktreten und <strong>in</strong> bestimmte Konzessionen<br />

e<strong>in</strong>willigen solle, die später die Gründung e<strong>in</strong>es kroatisch-slowenischen Staates ermöglichen<br />

würden. Dadurch wäre die Idee <strong>der</strong> jugoslawischen Monarchie, die e<strong>in</strong>en potentiellen Gegner<br />

des italienischen Königreichs darstellte, begraben. Šusteršič war sich darüber im klaren, dass<br />

die italienischen Staatsmänner den Slowenen und Kroaten wohl kaum territoriale<br />

Konzessionen zugestehen würden, die mit den tatsächlichen ethischen Grenzen im E<strong>in</strong>klang<br />

wären, aber sie würden im Gegenzug dazu e<strong>in</strong>en „kle<strong>in</strong>en Freundesstaat, bekommen, <strong>der</strong><br />

Italien ergeben wäre, e<strong>in</strong>en Staat, <strong>der</strong> die italienische Avantgarde gegen die Slawen bilden<br />

19 Sforzas Nie<strong>der</strong>schrift des Gesprächs mit Šusteršič, M<strong>in</strong>istero degli Affari Esteri, Carte Sforza [weiterh<strong>in</strong>:<br />

MAE, CS], Schachtel 7. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Frau Dr. Tanja Mljač bedanken, dass sie mir die<br />

Dokumente aus den römischen Archiven zur Verfügung gestellt hat.<br />

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würde und <strong>der</strong> Italien nie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Freiheit se<strong>in</strong>es Meeres bedrohen würde“. Es sei <strong>in</strong> Italiens<br />

Interesse, dass auf <strong>der</strong> Pariser Friedenskonferenz die Frage <strong>der</strong> Anerkennung des Königreichs<br />

SHS angesprochen wurde und wegen <strong>der</strong> <strong>in</strong>nenpolitischen Verhältnisse e<strong>in</strong>e<br />

Volksabstimmung für e<strong>in</strong>en unabhängigen kroatisch-slowenischen Staat gefor<strong>der</strong>t wurde.<br />

Auch <strong>der</strong> „moslemische Teil Bosniens“ würde e<strong>in</strong>geglie<strong>der</strong>t werden. Nach Šusteršičs<br />

Beteuerungen, waren auch die Frankovci, e<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> Radić-Partei, drei Viertel <strong>der</strong><br />

katholischen Geistlichkeit sowie die Moslems bereit den Plan des kroatisch-slowenischen<br />

Pufferstaates zu unterstützen. 20<br />

Sforza erstellte nach den Gesprächen mit den „Vertretern <strong>der</strong> Sloweno-Kroaten“ für die<br />

Regierung auch e<strong>in</strong> Memorandum <strong>in</strong> Bezug auf die Adriafrage sowie e<strong>in</strong>en Entwurf für e<strong>in</strong><br />

Abkommen zwischen <strong>der</strong> italienischen königlichen Regierung und den vorläufigen<br />

Regierungen <strong>der</strong> kroatischen und slowenischen Republik. 21 In beiden Dokumenten ist ke<strong>in</strong>e<br />

Rede mehr von e<strong>in</strong>er kroatisch-slowenischen Republik, son<strong>der</strong>n von zweien: e<strong>in</strong>er kroatischen<br />

und e<strong>in</strong>er slowenischen. Die Grundphilosophie des Memorandums gründete auf dem<br />

Kompromiss, nach dem sich Italien die Grenze nach geografischen Kriterien zusichern würde<br />

und die Slawen h<strong>in</strong>gegen nach ethnisch-sprachlichen Kriterien. Beide Republiken würden<br />

e<strong>in</strong>e dauerhafte Neutralität verkünden. Anschließend würden sie for<strong>der</strong>n, dass die<br />

Großmächte <strong>der</strong>en Neutralität beschützten.<br />

Šusteršič lobbierte offensichtlich auch im Vatikan gegen den Staat <strong>der</strong> Karañorñević, da man<br />

dort ebenfalls über die Pläne über e<strong>in</strong>en slowenisch-kroatischen Staat Bescheid wusste.<br />

Jedenfalls war Jeglič unangenehm überrascht, als ihn am 6. März 1920 Benedikt XV. bei<br />

e<strong>in</strong>er Audienz fragte: „Möchte Ihr Volk zurück nach Österreich?“ Später erfuhr er, dass<br />

Šusteršič bereits dreimal <strong>in</strong> Rom gewesen war und die Frankovci angeblich über<br />

verwandtschaftliche Verb<strong>in</strong>dungen im Vatikan ebenfalls gegen das Königreich SHS agiert<br />

hatten. 22<br />

Šusteršič verlor damals offensichtlich bereits <strong>in</strong> großem Maße den Kontakt zur Realität. Das<br />

slowenisch-kroatische politische Bündnis, das er zusammen mit den Pravaschen vor dem<br />

20 Milica Kac<strong>in</strong> Woh<strong>in</strong>z, Tajni predlog I. Šušteršiča o hrvatsko-slovenskoj republici, marta 1919 [I. Šušteršičs<br />

geheimer Vorschlag über die kroatisch-slowenische Republik, März 1919], <strong>in</strong>: Stvaranje jugoslovenske države<br />

1918. god<strong>in</strong>e [Die Entstehung des jugoslawischen Staates im Jahre 1918] (Belgrad 1989), 197–199.<br />

21 Sforzas Memorandum zur Adriafrage und Entwurf des Abkommens zwischen <strong>der</strong> italienischen und <strong>der</strong><br />

kroatisch-slowenischen Regierung, MAE, CF, Schachtel 7.<br />

22 Pleterski, Dr. Ivan Šušteršič, 53.<br />

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Ersten Weltkrieg aufgebaut hatte und worauf er auch se<strong>in</strong> Konzept für e<strong>in</strong>en kroatischslowenischen<br />

Staat gründete, war schon längst gestorben. Alle „umstürzlerischen“<br />

Bemühungen von Šusteršič und den Frankovci waren e<strong>in</strong>e Rechnung ohne den Wirt, da man<br />

nicht mit <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> westlichen Großmächte rechnen konnte.<br />

Die Allslowenische Volkspartei unter <strong>der</strong> Führung von Korošec zahlte die Strafe für die<br />

außenpolitischen Nie<strong>der</strong>lagen des jugoslawischen Staates am 28. November 1920 bei den<br />

Wahlen <strong>in</strong> die Konstituante. Der Partei gelang es zwar, 39 % (d. h. 15 von <strong>in</strong>sgesamt 38) <strong>der</strong><br />

slowenischen Mandate zu erreichen, was immer noch e<strong>in</strong>e relative Mehrheit darstellte. 23 Aber<br />

im Vergleich zu den letzten Reichsratswahlen im alten Österreich im Jahre 1911, als die<br />

Partei unter <strong>der</strong> Leitung von Šusteršič sogar 87 % <strong>der</strong> slowenischen Mandate erwarb, war <strong>der</strong><br />

Rückschlag deutlich spürbar.<br />

Die Opposition gegen Korošec wurde immer stärker, wobei sich vor allem <strong>der</strong><br />

christlichsoziale Parteiflügel exponierte. Die slowenischen Christlichsozialen verlangten von<br />

Korošec, zusammen mit <strong>der</strong> Radić-Bauernpartei die republikanische Staatsform zu verlangen<br />

und nicht mehr die Karañorñević-Dynastie und den Leiter <strong>der</strong> serbischen Radikalen Nikola<br />

Pašić zu unterstützen. Ihr Organ Večerni list [Abendblatt] behauptete, dass die Belgra<strong>der</strong><br />

Regierung „die reaktionärste von allen <strong>in</strong> Europa bestehenden Verfassungen“ vorschlagen<br />

habe, von <strong>der</strong> sich sogar <strong>der</strong> österreichische Kaiser nicht schämen würde. Die<br />

Christlichsozialen fragten sich, wie die Abgeordneten über die Republik o<strong>der</strong> Monarchie<br />

entscheiden könnten, wenn sie schon beim E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konstituante dem König Treue<br />

beschworen müssten: „Wir wollen e<strong>in</strong>e neue Gesellschaft, e<strong>in</strong>en sozialen gerechten,<br />

demokratischen Staat, wir wollen ke<strong>in</strong> Zentrum <strong>der</strong> Klassenreaktion <strong>in</strong> Mitteleuropa se<strong>in</strong>.“ 24<br />

Die Oppositionsparteien <strong>in</strong> Konstituante kämpften aber vollkommen unkoord<strong>in</strong>iert gegen die<br />

serbischen Zentralisten und jugoslawischen Unitaristen. Radić lehnte mit se<strong>in</strong>en 50<br />

Mitglie<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konstituante ganz und gar ab, da er dem serbischen<br />

König ke<strong>in</strong>en Treueid schwören wollte. Auch die Kommunistische Partei Jugoslawiens, die<br />

bei den Wahlen auf dem 3. Platz lag, entschied sich für e<strong>in</strong>en Boykott. Am 14. Juni 1921<br />

23 Vgl. Vasilij Melik, Izidi volitev v konstituanto [Wahlergebnisse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konstituante], <strong>in</strong>: Prispevki za<br />

zgodov<strong>in</strong>o delavskega gibanja [Beiträge zur Geschichte <strong>der</strong> Arbeiterbewegung] 3 (1962), 45–53; Melita Pivec,<br />

Programi političnih strank <strong>in</strong> statistika volitev [Programme politischer Parteien und Statistik <strong>der</strong> Wahlen], <strong>in</strong>:<br />

Mal, Slovenci v desetletju [Slowenen im Jahrzehnt], 357–373, hier 372.<br />

24 Večerni list, 7.12.1920.<br />

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verließ aus Protest noch <strong>der</strong> Korošec-Klub die Konstituante. Als Pašić die Hauptopposition<br />

losgeworden war, bestach er noch die Moslemvertreter und sicherte sich die Mehrheit zu. 25<br />

Die Verfassung wurde am 28. Juni 1921 – am St. Veitstag – verabschiedet. Dieser serbische<br />

Nationalfeiertag wurde für die Slowenen und Kroaten also noch e<strong>in</strong>mal zum Verhängnis.<br />

Nachdem an diesem Tag im Jahre 1914 bei <strong>der</strong> serbischen Verschwörung Thronfolger Franz<br />

Ferd<strong>in</strong>and, dessen Tod die Träume <strong>der</strong> slowenischen und kroatischen Politiker über e<strong>in</strong>e<br />

trialistisch geregelte Habsburgermonarchie <strong>in</strong> Luft auflösten, ermo<strong>der</strong>t wurde, verkündete<br />

sieben Jahre später Alexan<strong>der</strong> Karañorñević an diesem Tag e<strong>in</strong>e Staatenordnung, die die<br />

Slowenen und Kroaten <strong>der</strong> großserbischen Hegemonie unterordnete. Pašićs Zeitung<br />

Samouprava [Selbstverwaltung] bezeichnete die Verfassung als serbischen Nationalsieg: „Der<br />

diesjährige St. Veitstag hat uns das Kaiserreich zurückgegeben!“ 26<br />

25 Pirjevec, Jugoslavija [Jugoslawien], 24.<br />

26 Zit. Banac, Nacionalno pitanje [Die nationale Frage], 376.<br />

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