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DAYLIGHT & ARCHITECTURE - Grado Zero Espace Srl

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Von Ivan Redi.<br />

Architekturzeichnungen sind ein vielseitiges Medium:<br />

Sie können das Abbild künftiger Realitäten sein oder<br />

bloße Denkfiguren, sie können zum Radikalumbau der<br />

Welt aufrufen oder nur zum Kauf eines Eigenheims. In<br />

jedem Fall aber werden sie auch in der Architektur des<br />

21. Jahrhunderts konkurrenzlos bleiben. Denn, so Ivan<br />

Redi, Zeichnungen helfen uns, unsere Vorstellungen<br />

bezüglich der beiden Phänomene zu überprüfen, für die<br />

Architekten künftig einzig und allein noch zuständig<br />

sein werden: des Raumes und des Lichts.<br />

Es ist dunkel. Nichts ist zu sehen. Plötzlich geht das Licht an,<br />

ein Lichtstrahl, und wir erkennen den Schauspieler auf der Bühne<br />

– es ist König Lear. Wenn Goethe sagt: „Ein alter Mann ist stets<br />

ein König Lear“, denke ich, dass die architektonische Zeichnung<br />

heute stets ein König Lear ist. Lears patriarchalisch e Herrschaft<br />

führt ihn zur Ungerechtigkeit gegenüber seiner jüngsten Tochter<br />

und letztlich in den Untergang. Cordelia sagte ihm lediglich,<br />

dass sie ihn genau so liebe, wie eine Tochter ihren Vater zu lieben<br />

hat – nicht mehr und nicht weniger.<br />

Die Zeichnung herrscht, auch im 21. Jahrhundert, in der<br />

Architektur ohne Konkurrenz. Wenn wir ins Theater gehen, lassen<br />

wir uns auf einen Zauber ein. Wir stimmen einer Art Ver trag<br />

zu, uns auf Imaginationen einzulassen. Jedoch bleiben wir im<br />

Dunklen sitzen und nehmen die Vorstellung passiv wahr. Der<br />

konstruierte Blick der Zentralperspektive ist der einzige, der uns<br />

über diese ‚Realität‘ informiert. In der Realität ist das Eindringen<br />

von Körpern in eine kontrollierte architektonische Ordnung<br />

dagegen unvermeidlich (so ist zum Beispiel der Eintritt in das<br />

Gebäude ein Akt, der die Balance präzise geordneter Architektur<br />

stört). Hier ist Architektur ein Organismus, der in ständiger Interaktion<br />

mit dem Nutzer steht, dessen Körper unentwegt gegen die<br />

bestehenden architektonischen Regeln rebelliert. Dieses menschliche<br />

Verhalten können wir in den seltensten Fällen erfassen oder<br />

voraussehen. Die Funktionsabläufe ergeben zwar einen Handlungsraum,<br />

aber vieles ist weder planbar noch durch die klassische<br />

architektonische Zeichnung auszudrücken.<br />

Es ist absurd, ein zweidimensionales Medium zu verwenden,<br />

um die mehrdimensionale Welt inklusive vorher unbestimmbarer<br />

Ereignisse zu beschreiben und zu versuchen, darin irgendeinen<br />

Wahrheitsgehalt zu erkennen. Das Bild kann sich – um Wittgenstein<br />

zu paraphrasieren – nicht außerhalb seiner Darstellungsform<br />

stellen. Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob es wahr oder<br />

falsch ist. „Ein Sachverhalt ist denkbar“ heißt: Wir können uns<br />

ein Bild von ihm machen. Was denkbar ist, ist auch möglich.<br />

Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch<br />

denken müssten. Trotzdem gibt es kein a priori wahres Bild. Das<br />

Bild ist ein Modell der Wirklichkeit, mehr nicht. Es kommuniziert<br />

über eine Möglichkeit, es regt die Imagination an, und<br />

wir denken uns: „Ah, so könnte es aussehen.“ Genau und ausschließlich<br />

in diesem Kontext dürfen wir uns für die Zeichnung<br />

interessieren, nicht mehr und nicht weniger.<br />

‚carceri‘ und die folgen: piranesis langer schatten<br />

Im theoretischen Denken von Piranesi, welches keinesfalls statisch<br />

war, erkennt der Künstler die Dualität aufklärerischen<br />

Denkens, die sich aus dem Konflikt zwischen Rationalität und<br />

Empfindung ergibt, als Kriterien an, anhand derer er die Werke<br />

der Vergangenheit und der Gegenwart beurteilt und als ‚vero‘<br />

oder ‚falso‘ (wahr oder falsch) bezeichnet.<br />

Giovanni Battista Piranesi zählt zu den bedeutendsten<br />

Künstlern auf dem Gebiet der Radierung und der Vedute. Von<br />

seinen Werken sind vor allem die Carceri (Entwürfe von Kerkern)<br />

und Campo Marzio (die Metapher des Universums, die<br />

sich in den Carceri bereits ankündigte) bis heute von Bedeutung.<br />

Unter anderem nahmen der Pionier des modernen Films, Sergej<br />

Eisenstein, der bildende Künstler Peter Weiss, die Schriftsteller<br />

Hans Magnus Enzensberger und Erich Fried, aber auch<br />

Comic-Autoren wie François Schuiten oder die zeitgenössischen<br />

Architekten Lebbeus Woods und Daniel Libeskind die phantastische<br />

Welt der Carceri zum Ausgangspunkt für eigene Werke.<br />

Es gibt kaum einen Architekturinteressierten, der nicht auf<br />

Piranesi gestoßen ist. Unabhängig von emotionalen Reaktionen,<br />

die dabei entstehen können, geht es hier um die systematische<br />

Kritik des Raumkonzeptes mit den Instrumenten<br />

visueller Kommunikation. Eisenstein fragt in seinem Text, ob<br />

man bei Piranesi sogar chiaroscuro entdecken kann, was formal<br />

durch die Einschränkungen der Radierungstechnik nicht möglich<br />

sei. Möglich wird es jedoch, wenn man sich im Sinne der<br />

räumlichen Komposition, des Spiels mit Licht und Schatten<br />

und der Erzeugung einer fesselnden Atmosphäre mit Piranesis<br />

Werk auseinandersetzt. Seine Zeichnungen sind wie Bühnenbilder,<br />

die eine akrobatische Performance liefern und den<br />

Betrachter in das virtuose Raumerlebnis hineinsaugen. Auf der<br />

anderen Seite brachte die seltsame Kombination von Opulenz<br />

und Strenge in Eisensteins Konzeption Bilder von ungeheurer<br />

Wirkung und bizarrer Schönheit hervor – die Spiegelung des<br />

Geschehens an Gemälden und Wandfresken verleiht seinem<br />

Film eine mythische Dimension.<br />

Die Filmwelt war immer eine willkommene Gelegenheit für<br />

Architekten, sich phantasievoll ‚auszutoben‘ und Illusionen zu<br />

realisieren. Mit Manifesten und utopischen Zeichnungen wurden<br />

revolutionäre neue Konzepte ausgearbeitet und präsentiert,<br />

D&A FRÜHJAHR 2007 AUSGABE 05<br />

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