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Schwarzfahrer - Gymnasium-Wanne

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ewegt. Die Kameraführung greift den Blickwinkel eines Fahrgastes auf, der gerade nach<br />

draußen schaut. Aus der Froschperspektive gefilmt, wirkt die vorbeiziehende Fassade einer<br />

Plattenbausiedlung noch erdrückender als sie in der Realität ist. Diese kurze<br />

Sequenz greift ein Motiv auf, das den ganzen Film bestimmt: die Verlassenheit des<br />

einzelnen in der Masse und das Gefühl von Anonymität.<br />

Der Kameraschwenk folgt der horizontalen Bewegung der Bahn diagonal durch<br />

den Ausschnitt des Bildes, dann, für einen Moment, fließender Verkehr, Autos fahren<br />

vorbei, und dann fährt die Bahn wieder zurück ins Bild. Es folgt ein Schnitt: ein Mann mit<br />

weißem Helm, der versucht sein Motorrad zu starten. Im Hintergrund der Szene Laternen,<br />

hohe Häuser, eine Brücke, über die sich eine andere Bahn schiebt. Der Motorradfahrer wirkt<br />

wie aus Fragmenten zusammengesetzt: einzelne Gliedmaßen kommen ins Bild, Handgriffe,<br />

sein Gesicht im Ausschnitt des Rückspiegels. Es folgen in schnellen Schnitten die Bilder<br />

zweier Bahnen, wie sie sich aus entgegengesetzter Richtung begegnen und diagonal<br />

aneinander vorbeifahren. Die Szene könnte alltäglicher nicht sein. Die unterlegte Musik<br />

verstärkt die Bewegung, mit einem Saxophon-Solo im Hintergrund, das gegen die Stimmung<br />

von Einsamkeit im Gedränge akustisch angeht. Der Motorradfahrer, der vergeblich versucht<br />

seine Maschine zu starten, wird aus der anonymen Masse herausgehoben. In seinem<br />

Ringen mit der Tücke des Objekts, wirkt er fast ein wenig altmodisch, der Technik hilflos<br />

ausgeliefert, an ihr scheiternd, fluchend. Die Kamera schwenkt zurück zu den Bahnen, die<br />

nun die Fläche bieten für den eingeblendeten Titel des Films „<strong>Schwarzfahrer</strong>“. Erst jetzt<br />

sucht die Kamera einzelne Gesichter, aber sie bleiben einzeln. Die Kameraperspektive<br />

bleibt überwiegend neutral. Nur gelegentlich übernimmt sie kurz die Perspektive einzelner<br />

Personen, etwa des Kontrolleurs, der auf die nebeneinander sitzenden Fahrgäste herabschaut,<br />

oder des Mannes mit dem lauten Walkman, wenn er missbilligende Blicke von<br />

Passagieren ruhig erwidert, oder des Schwarzen, seinem Blick folgend hinaus auf die<br />

vorbeigleitenden Häusern. An keiner Stelle jedoch lässt die Kamera sich auf die Perspektive<br />

der alten Frau ein. Deren rassistischen Tiraden bilden den Kern der Szene, sie wiederholen<br />

sich, verlieren sich, stoßen auf taube Ohren, leere Blicke. Die teilnahmslosen Blicke vor<br />

allem hebt die Kamera heraus, kein Mund gerät ins Bild: niemand widerspricht den Parolen.<br />

Die Szene endet abrupt mit dem laut ertönenden Signalton der Haltestelle. Der Kontrolleur<br />

steigt ein. Die Kamera nimmt den Blick des Kontrolleurs an, alle Gesichter starren in die<br />

Linse der Kamera, starren auf den Kontrolleur. Plötzlich wechselt die Kameraperspektive zur<br />

alten Dame und zum „Schwarzen“. Dann der totale Wendepunkt des Films: der „Schwarze“<br />

reißt der alten Dame das Ticket aus der Hand und isst es. Absolutes Entsetzen bei der alten<br />

Dame. Der Kontrolleur kommt hinzu und bitte um die Fahrscheine. Der „Schwarze“ ist in der<br />

Lage, seinen Fahrschein vorzuzeigen, jedoch nicht die alte Dame. Sie muss mit dem<br />

Kontrolleur aussteigen. Die Kamera richtet sich nun auf die alte Dame und auf den Kontrolleur,<br />

schwenkt allerdings langsam auf die die weiterfahrende Straßenbahn. Nachdem sich<br />

das Bild der fahrenden Straßenbahn vor das Bild, das die alte Dame und den Kontrolleur<br />

beinhaltet, schiebt, hört man weiterhin die Diskussion der beiden. Der Film endet mit dem<br />

ruhigen Schwenk Richtung Himmel.

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