und durchblicke. Gender geblickt - Gunda-Werner-Institut

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05.01.2014 Aufrufe

AG Gender+ Feminismus August 2011 queer-feministische ein–, aus– und durchblicke gender geblickt Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung Der Einstieg in den Gender-Ausstieg? Themen: Feminismus Anti-Feminismus Trans*Queeres Internationales Intersektionales Les(b)enswertes Inhaltsverzeichnis: Der Einstieg, AG Gender+ 1 Aber natürlich! S. Schulte 3 Durchblicke Winken post-gender Zeiten? Foto: Kris Ko©Kingz of Berlin (www.kingzofberlin.de) Das Schweigen der Männer, A. Sauer Lesben-Geschichte, I. Scheidle Fotoarbeit Doi Moi, M. Unger Geschlechterwandel in Vietnam, K. Kerl Travestis in Argentinien, A. Feth Genderqueere antillische Literatur, M. Urioste-Buschmann H A R T Ă, S. Hettmann 12 22 28 39 43 51 57 Autor_innen 60 Queer, feministisch und stolz darauf – selbst innerhalb der Heinrich-Böll-Stiftung nicht unbedingt eine Position, die frau_mann 1 ohne weiteres vertreten kann. Auf Veranstaltungen werden wiederholt Stimmen laut, die eine angebliche Allgegenwärtigkeit des Themas Feminismus innerhalb der Stiftung wie bei den Grünen kritisieren, und in Frage stellen, dass es in dem Bereich – zumindest in „progressiven Kreisen“ - noch etwas zu erreichen gäbe. Geschlechtergerechte Sprache wird nach wie vor abgelehnt (warum muss das denn sein?) und AGs zum Thema Gender sind erklärungsbedürftig. Dabei stellt der engagierte Mensch im Alltag, sei es auf der Suche nach Kita-Plätzen oder nach Wickeltischen in Männertoiletten, sei es in seinem Wunsch im selbstgewählten Geschlecht angeredet zu werden, immer wieder fest: es ist noch längst nicht alles erreicht – die post-gender Zeiten lassen weiterhin auf sich warten. Ob im Austausch mit den Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung, in Universitätsseminaren oder im Gespräch mit Freund_innen und Bekannten - es wird immer wieder deutlich, dass queer-feministische Fragestellungen ein unbequemes Randthema sind, das von vielen entgegen der Faktenlage als antiquiert und überholt erachtet wird.

AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

August 2011<br />

queer-feministische ein–, aus– <strong>und</strong> <strong>durchblicke</strong><br />

gender <strong>geblickt</strong><br />

Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung<br />

Der Einstieg in den <strong>Gender</strong>-Ausstieg?<br />

Themen:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Feminismus<br />

Anti-Feminismus<br />

Trans*Queeres<br />

Internationales<br />

Intersektionales<br />

Les(b)enswertes<br />

Inhaltsverzeichnis:<br />

Der Einstieg,<br />

AG <strong>Gender</strong>+<br />

1<br />

Aber natürlich!<br />

S. Schulte<br />

3<br />

Durchblicke<br />

Winken post-gender Zeiten?<br />

Foto: Kris Ko©Kingz of Berlin (www.kingzofberlin.de)<br />

Das Schweigen der<br />

Männer, A. Sauer<br />

Lesben-Geschichte,<br />

I. Scheidle<br />

Fotoarbeit Doi Moi,<br />

M. Unger<br />

Geschlechterwandel<br />

in Vietnam, K. Kerl<br />

Travestis in Argentinien,<br />

A. Feth<br />

<strong>Gender</strong>queere antillische<br />

Literatur, M.<br />

Urioste-Buschmann<br />

H A R T Ă,<br />

S. Hettmann<br />

12<br />

22<br />

28<br />

39<br />

43<br />

51<br />

57<br />

Autor_innen 60<br />

Queer, feministisch <strong>und</strong> stolz darauf – selbst innerhalb der Heinrich-Böll-Stiftung nicht<br />

unbedingt eine Position, die frau_mann 1 ohne weiteres vertreten kann. Auf Veranstaltungen<br />

werden wiederholt Stimmen laut, die eine angebliche Allgegenwärtigkeit des<br />

Themas Feminismus innerhalb der Stiftung wie bei den Grünen kritisieren, <strong>und</strong> in Frage<br />

stellen, dass es in dem Bereich – zumindest in „progressiven Kreisen“ - noch etwas<br />

zu erreichen gäbe. Geschlechtergerechte Sprache wird nach wie vor abgelehnt (warum<br />

muss das denn sein?) <strong>und</strong> AGs zum Thema <strong>Gender</strong> sind erklärungsbedürftig.<br />

Dabei stellt der engagierte Mensch im Alltag, sei es auf der Suche nach Kita-Plätzen<br />

oder nach Wickeltischen in Männertoiletten, sei es in seinem Wunsch im selbstgewählten<br />

Geschlecht angeredet zu werden, immer wieder fest: es ist noch längst nicht alles<br />

erreicht – die post-gender Zeiten lassen weiterhin auf sich warten. Ob im Austausch<br />

mit den Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung, in Universitätsseminaren oder im<br />

Gespräch mit Fre<strong>und</strong>_innen <strong>und</strong> Bekannten - es wird immer wieder deutlich, dass<br />

queer-feministische Fragestellungen ein unbequemes Randthema sind, das von vielen<br />

entgegen der Faktenlage als antiquiert <strong>und</strong> überholt erachtet wird.


gender <strong>geblickt</strong><br />

Behauptungen, zu feministischen Forderungen wäre nichts mehr zu erreichen,<br />

werden nicht selten durch medienwirksame, alltagsweltliche Beobachtungen untermalt:<br />

Frauen hätten jetzt die Wahl zwischen Beruf, Familie oder beidem; die<br />

neuen „Opfer“ der Gleichstellung im vollen Vollzug seien sogar Männer <strong>und</strong> Jungen.<br />

Der Spruch „Feminismus ist Geschichte“ symbolisiert jedoch einen zutiefst<br />

antifeministischen Diskurs, der queere <strong>und</strong> andere marginalisierte Perspektiven<br />

ebenso außer Acht lässt, wie die Strukturebene. Feminismus bedeutet schon lange<br />

keine Mann-Frau Konfrontation mehr, vielmehr steht die Überwindung der Geschlechterkategorien<br />

<strong>und</strong> ihrer Rollenerwartungen in Verbindung mit weiteren<br />

Ausgrenzungsmerkmalen.<br />

„Der Spruch<br />

‚Feminismus ist<br />

Geschichte‗<br />

symbolisiert jedoch<br />

einen zutiefst<br />

antifeministischen<br />

Diskurs, der queere<br />

<strong>und</strong> andere<br />

marginalisierte<br />

Perspektiven ebenso<br />

außer Acht lässt wie<br />

die Strukturebene.―<br />

Die Vielfalt unsere Beiträge zeigt, dass den unterschiedlichsten feministischen<br />

Themen ein starker Gegenwind entgegenbläst: Lesbengeschichte wird von der allgemeinen<br />

deutschen Geschichtsschreibung nach wie vor ignoriert; „natürliche Unterschiede“<br />

werden auf ein naturwissenschaftliches Podest gestellt <strong>und</strong> damit unantastbar<br />

gemacht; Männer gründen neue Bünde zu ihrer Befreiung – vom Feminismus;<br />

auch in anderen Kontexten, wie im hispano-karibischen Teil der Welt,<br />

bleiben die zweigeschlechtlichen <strong>und</strong> heterosexuellen Normen starr. Mangelnde<br />

gesellschaftliche Akzeptanz eines Lebensentwurfs über die traditionellen Geschlechtergrenzen<br />

hinaus ist in Argentinien <strong>und</strong> überall die Regel. In Vietnam<br />

kämpft der sozialistische Staat nicht nur mit den Pluralitäten von Geschlechtern,<br />

sondern auch mit der kommerzialisierten Vereinnahmung des öffentlichen Raums.<br />

Auf unserer international aufgespannten Landkarte der Auseinandersetzung mit<br />

den verschiedensten queer-feministischen Anliegen tragen Fotografie <strong>und</strong> Lyrik<br />

ihre ganz speziellen Sichtweisen bei – welche Geschlechter <strong>und</strong> Feminismen gibt<br />

es, wo - <strong>und</strong> wenn ja wie viele? Hat „der Feminismus“ eventuell sieben Leben wie<br />

eine Katze – plus eins, plus eins, …? Wir denken: ja! Deswegen dieses Journal.<br />

Gemeinsam ist allen Artikeln die Feststellung, dass die <strong>Gender</strong>-Perspektive nach<br />

wie vor wichtig, aber leider immer noch nicht richtig in den Köpfen angekommen<br />

ist – geschweige denn in den Herzen (daran hat noch nicht mal die „Frauen“-<br />

Fußball-WM im „eigenen“ Land etwas geändert). Wir können sie aber als intersektionale<br />

Lesebrille wämstens empfehlen, weil dadurch diverse Sehfehler korrigiert<br />

werden.<br />

Wir freuen wir uns sehr, durch dieses Magazin kritischen Stimmen ein Forum zu<br />

geben, die sich manchmal auch in der Heinrich-Böll-Stiftung marginalisiert fühlen.<br />

Wir danken ausdrücklich allen engagierten Autor_innen, Peer-Lektorierenden<br />

<strong>und</strong> anderweitig Involvierten, die in ihrer „Frei-“Zeit dieses, vorwiegend von Stipendiat_innen<br />

der Heinrich-Böll-Stiftung erstellte, Magazin möglich gemacht haben.<br />

Wir danken ebenso dem G<strong>und</strong>a-<strong>Werner</strong>-<strong>Institut</strong> für die Bereitstellung ihrer<br />

Webseite als Forum <strong>und</strong> last but not least dem Studienwerk der Heinrich-Böll-<br />

Stiftung, das durch die Finanzierung der AG-Treffen die Basis <strong>und</strong> Infrastruktur<br />

geschaffen hat.<br />

Seite 2


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

An Einblicken mangelt es nicht. Die Ausblicke bleiben individuell Euch/Ihnen<br />

überlassen. Also <strong>Gender</strong>-Brille auf <strong>und</strong> durch<strong>geblickt</strong>. Wir wünschen Euch/Ihnen<br />

eine aufschlussreiche, (innen- <strong>und</strong> außen-)weltverändernde Lektüre!<br />

Eure/Ihre AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

_________________<br />

1 Wir verwenden den Unterstrich oder <strong>Gender</strong> Gap nach Steffen Kitty Hermann (2003).<br />

Aber natürlich!<br />

Frauen, Männer <strong>und</strong> „die ganze Wahrheit―<br />

Von Sarah Schulte<br />

Ihren Buchtiteln zufolge können Frauen nicht einparken, träumen von der Liebe<br />

<strong>und</strong> kaufen ständig Schuhe, während Männer beim Zuhören versagen, immer Sex<br />

wollen <strong>und</strong> lügen. Passend zum Weihnachtsfest beantworten sie sogar die drängende<br />

Frage „[w]arum Männer sich Socken wünschen <strong>und</strong> Frauen alles umtauschen“.<br />

Allan <strong>und</strong> Barbara Pease wissen Bescheid <strong>und</strong> versprechen ihren Leser_innen<br />

„die ganze Wahrheit“ über Männer <strong>und</strong> Frauen. Und der Bedarf scheint<br />

groß: Neben den in 51 Sprachen übersetzten Bestsellern bieten die beiden Hörbücher,<br />

DVDs, Seminare <strong>und</strong> Auftritte als Redner_in an. In seinen zahlreichen Beziehungsratgebern<br />

bemüht das australische Ehepaar ein Potpourri aus ‚Humor‟,<br />

‚Wissenschaft’ <strong>und</strong> breitgetretenen Geschlechterklischees. Auch wenn sie ihre<br />

„ganz natürlichen Erklärunge[n]― für männliches <strong>und</strong> weibliches Verhalten oft mit<br />

einem Augenzwinkern, ironisch oder ‚mit Witz‟ vortragen, bleiben ihre Weisheiten<br />

ähnlich witzig wie ein Mensch, der das Versagen der Nachbarin/Cousine/Fre<strong>und</strong>in<br />

an der Bohrmaschine durch ihr fehlendes Y-Chromosom/die Gene/die Hormone<br />

begründet. Thesen dieser Art finden sich jedoch leider nicht nur in populär<br />

(wissenschaftlich)en Büchern <strong>und</strong> Fernsehbeiträgen, sondern auch in Wissensmagazinen<br />

<strong>und</strong> auf den Wissenschaftsseiten seriöser Tageszeitungen.<br />

Foto: CBS_Fan, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0<br />

Generic (CC BY-NC 2.0)<br />

„ … [w]arum<br />

Männer sich Socken<br />

wünschen <strong>und</strong><br />

Frauen alles<br />

umtauschen.―<br />

Nicht nur Mario-Barth-Kalauer, beharrliche Geschlechterstereotypen <strong>und</strong> eigene<br />

alltagsweltliche Beobachtungen, sondern auch verschiedene wissenschaftliche Studien<br />

bescheinigen Frauen <strong>und</strong> Männern durchschnittlich (!) unterschiedliche Verhaltensweisen<br />

<strong>und</strong> Einstellungen, beispielsweise in den Bereichen Karriere, Hausarbeit,<br />

Schönheitshandeln, Ges<strong>und</strong>heit, Fürsorge etc. Es ist jedoch wichtig zu unterscheiden<br />

zwischen der möglicherweise wissenschaftlich korrekten Feststellung<br />

solcher Differenzen (die auch nicht per se ‚Fakten‟ liefert, sondern von methodischem<br />

Vorgehen <strong>und</strong> statistischer Auswertung abhängt) <strong>und</strong> deren Erklärung: So<br />

lässt sich etwa aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteiteilung (Männer vorwiegend<br />

Lohnarbeit, Frauen vorwiegend unbezahlte Haus- <strong>und</strong> Fürsorgearbeit)<br />

Seite 3


gender <strong>geblickt</strong><br />

keineswegs schließen, dass dies eine ‚natürliche‟, den ‚von Natur aus‟ unterschiedlich<br />

verteilten Fähigkeiten von Männern <strong>und</strong> Frauen entsprechende <strong>und</strong> damit<br />

richtige Ordnung ist. Auf diese Folgerung laufen jedoch viele Studien bzw. deren<br />

populärwissenschaftliche Aufbereitungen hinaus, denn die ach so unterschiedlichen<br />

Verhaltensweisen werden „als ein dem Menschen bzw. seinen Genen inhärentes<br />

Erbe seiner Vergangenheit inszeniert, – als eine universelle, unverrückbare<br />

Konstante“ 1 . Die Journalistin Bettina Weber beschreibt es in einem kritischen Artikel<br />

folgendermaßen: Durch die Welle von Publikationen zum Thema Geschlechterdifferenz<br />

„nahm die Leserschaft befriedigt zur Kenntnis, dass es nur logisch, weil<br />

eben biologisch bedingt sei, wenn Frauen schlechter in Naturwissenschaften<br />

<strong>und</strong> Männer weniger kommunikativ seien oder wenn Frauen zu Hause<br />

blieben <strong>und</strong> Männer Karriere machten. Simon Baron-Cohen 2 formulierte<br />

das so: «Das weibliche Gehirn ist dafür gemacht, Mitgefühl zu empfinden,<br />

das männliche dagegen, um Dinge zu verstehen <strong>und</strong> Systeme zu<br />

bilden.» Womit wissenschaftlich verbrämt nichts anderes gesagt wird<br />

als: Männer denken, Frauen fühlen. Die Botschaft ist unmissverständlich:<br />

Sorry Ladys, aber für gewisse Dinge taugt ihr einfach nicht.“ 3<br />

„Das weibliche<br />

Gehirn ist dafür<br />

gemacht, Mitgefühl<br />

zu empfinden, das<br />

männliche dagegen,<br />

um Dinge zu<br />

verstehen <strong>und</strong><br />

Systeme zu bilden.―<br />

Ähnlich deutlich äußert sich der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der<br />

2007 im Magazin SZ Wissen „[a]uf die kritische Nachfrage, ob sich Frauen <strong>und</strong><br />

Männer die Erziehungs- <strong>und</strong> Erwerbsarbeit nicht teilen könnten“ 4 antwortet:<br />

„Nein, Männer verlieren zu schnell das Interesse, wenn sie mit Kindern<br />

spielen. Frauen haben viele Millionen Faserverbindungen mehr zwischen<br />

den Hemisphären des Gehirns <strong>und</strong> damit auch zwischen Regionen, die<br />

emotionale <strong>und</strong> rationale Aufgaben wahrnehmen. Bei Männern wird das<br />

eher getrennt abgerufen, mal ganz rational <strong>und</strong> gefühlsmäßig kaum ansprechbar,<br />

mal völlig emotional, da versagt dann der Verstand. Pflegende,<br />

soziale Aufgaben erledigen Frauen daher wesentlich besser. Man<br />

müsste bei uns nur mehr Anerkennung schaffen für diese Aufgaben.“ 5<br />

Eine solche Naturalisierung, also ‚Natürlich-Machung‟ gesellschaftlicher Phänomene<br />

wie der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung enthebt diese aus ihrem historischen<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlichen Kontext <strong>und</strong> beraubt sie damit ihrer Kontingenz <strong>und</strong><br />

Veränderbarkeit. Männer <strong>und</strong> Frauen scheinen also durch ihre Biologie zu unterschiedlichem<br />

Verhalten determiniert zu sein. Die Naturalisierung ist immer auch<br />

eine Strategie der Entpolitisierung: Wenn das Soziale zur Natur erklärt wird,<br />

Seite 4


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

verliert es das ihm innewohnende Konfliktpotential. Gegen ‚natürliche Zustände‟<br />

anzukämpfen ist zwecklos. Rechtfertigen lassen sich so nicht nur vom Geschlecht<br />

abhängige Ungleichheiten <strong>und</strong> Herrschaftsverhältnisse, sondern ebenso die ethnische<br />

oder Klassenhierarchie einer Gesellschaft.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sind wissenschaftliche <strong>und</strong> journalistische Redlichkeit<br />

<strong>und</strong> eine kritischen Gr<strong>und</strong>haltung im Umgang mit ‚objektiven, naturwissenschaftlichen<br />

Aussagen‟ über bestimmte Menschengruppen von besonderer Bedeutung.<br />

Die populärwissenschaftliche Aufbereitung von Studien aus Psychologie, Verhaltensforschung<br />

<strong>und</strong> Neurowissenschaften für ein größeres Publikum ist eine Gratwanderung,<br />

die angesichts der komplexen Inhalte, der vorgegebenen Kürze des<br />

Artikels <strong>und</strong> des angestrebten Neuigkeits- oder Wahrheitswerts der Nachricht leider<br />

oftmals zu kurz greift. Statt eine kritischen Würdigung von Forschungsfragen<br />

<strong>und</strong> -ergebnissen vorzunehmen, vertrauen die meisten Autor_innen ganz auf die<br />

‚objektive Stimme der Wissenschaft’ <strong>und</strong> die Fakten, die sie ans Tageslicht befördert.<br />

Jüngste naturwissenschaftliche Erfolgsgeschichten wie die Entschlüsselung<br />

des menschlichen Genoms erhöhen den Status naturwissenschaftlicher Erkenntnisse<br />

<strong>und</strong> die neue Technik der bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung, die<br />

sogenannte Hirn-Scans, also bunte Bilder von Gehirnaktivitätslevels liefert, stärkt<br />

ihre Glaubwürdigkeit, indem sie sie für alle Leser_innen sichtbar macht. Wie diese<br />

Bilder in die Welt kommen <strong>und</strong> auf wie vielen von Menschenhand gezogenen,<br />

mehr oder weniger willkürlichen Grenzen sie gründen, bleibt meist außen vor.<br />

Gerade solche Fragen sind aber aus feministischer, wissenschaftskritischer Perspektive<br />

besonders interessant. Nicht nur die naturwissenschaftliche Wissensproduktion,<br />

sondern auch die dazugehörige Popularisierung ist eine genauere Untersuchung<br />

wert: Denn dort wird „ebenso wie in den Wissenschaften selber – wissenschaftliches<br />

Wissen vermittelt, rezitiert, reflektiert, funktionalisiert, erzeugt <strong>und</strong><br />

verhandelt.“ 6 Es geht also nicht nur um Wissensvermittlung <strong>und</strong> eine gewisse Vermarktung<br />

der Naturwissenschaften, „sondern auch darum, wie umgekehrt gesellschaftliche<br />

Prozesse über die populärwissenschaftlichen Medien wissenschaftliches<br />

Arbeiten beeinflussen“ 7 .<br />

„Gegen ‚natürliche<br />

Zustände‘<br />

anzukämpfen ist<br />

zwecklos.―<br />

Mit diesen Wechselwirkungen setzt sich u.a. die promovierte Biologin Prof. Dr.<br />

Sigrid Schmitz auseinander. Sie lehrt <strong>und</strong> forscht in Wien im Bereich <strong>Gender</strong><br />

Studies <strong>und</strong> hat zuvor das Kompetenzforum "<strong>Gender</strong>forschung in Informatik<br />

<strong>und</strong> Naturwissenschaften" an der Universität Freiburg geleitet. Zusammen mit<br />

Smilla Ebeling hat sie 2006 das Buch „Geschlechterforschung <strong>und</strong> Naturwissenschaften.<br />

Einführung in ein komplexes Wechselspiel“ herausgegeben, auf das ich<br />

mich im Folgenden besonders stütze <strong>und</strong> das ich Interessierten zur Lektüre<br />

empfehle. Zunächst möchte ich allerdings anhand eines Beispiels aus „Warum<br />

Frauen schlecht einparken… Ganz natürliche Erklärungen für weibliche<br />

Seite 5


gender <strong>geblickt</strong><br />

Schwächen“ zeigen, an welchen Stellen Kritik ansetzen kann:<br />

„Frauen <strong>und</strong> Männer sind unterschiedlich. Nicht besser oder schlechter,<br />

sondern unterschiedlich. Wissenschaftler, Anthropologen <strong>und</strong> Soziobiologen<br />

wissen das seit Jahren. In der heutigen Gesellschaft will man jedoch<br />

mit aller Macht daran glauben, daß Frauen <strong>und</strong> Männer genau die gleichen<br />

Fähigkeiten, Talente <strong>und</strong> Potentiale haben, <strong>und</strong> das ironischerweise<br />

zu einem Zeitpunkt, da Wissenschaftler die ersten unwiderlegbaren Beweise<br />

dafür gef<strong>und</strong>en haben, daß genau das Gegenteil der Fall ist.“ 8<br />

In diesem Statement stecken vier verschiedene Elemente, die eine nähere Betrachtung<br />

wert sind: 1. Der wissenschaftliche, unwiderlegbare Beweis, dass 2. eine f<strong>und</strong>amentale<br />

Geschlechterdifferenz besteht, die 3. natürlich, das heißt ursprünglich<br />

<strong>und</strong> biologisch gegeben ist, sodass 4. die hieraus resultierenden Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Tätigkeiten der Geschlechter komplementär (aber eventuell gleichwertig) sind.<br />

1.<br />

„Das Vertrauen in die<br />

Naturwissenschaft<br />

<strong>und</strong> ihre Fähigkeit,<br />

reine Fakten<br />

hervorzubringen ist<br />

unter den Anhängern<br />

einer biologisch<br />

begründeten<br />

Geschlechterdifferenz<br />

ungebrochen.―<br />

Das Vertrauen in die Naturwissenschaft <strong>und</strong> ihre Fähigkeit, reine Fakten hervorzubringen<br />

ist unter den Anhängern einer biologisch begründeten Geschlechterdifferenz<br />

ungebrochen. Schon sprachlich lassen sie keinen Zweifel an der Objektivität<br />

von Forscher_innen <strong>und</strong> Ergebnissen, denn ‚unwiderlegbare Beweise‟ sprechen für<br />

sich. Nur auf dieser Gr<strong>und</strong>lage können Pease/Pease wie im obigen Zitat behaupten<br />

zu wissen, während ihre Kritiker glauben. Schon die Verwendung „einer deterministischen<br />

Argumentationslogik <strong>und</strong> Sprache («erwiesen ist», «klar ist») statt probabilistischer<br />

Sprache («wahrscheinlich», «möglicherweise», etc.)“ 9 folgt mehr der<br />

medialen Logik größtmöglicher Aufmerksamkeit als einem Anspruch an wissenschaftliche<br />

Redlichkeit. Auch durch beständige Wiederholung lassen sich der<br />

Wahrheitswert bestimmter Theorien <strong>und</strong> ihre „gesellschaftliche Wirkmacht“ 10 immens<br />

steigern. In vielen Popularisierungen garantiert allein die Referenz an die<br />

Naturwissenschaft (oftmals dargestellt als ‚die einzig wahre Wissenschaft‟) die<br />

Glaubwürdigkeit der Aussagen; nach Verweisen auf die Primärquellen sucht der/<br />

die Leser_in oft vergebens 11 . Notfalls werden die entsprechenden Daten dann auch<br />

einfach erf<strong>und</strong>en, wie im Falle der „«Gehirn-Scans von mehr als einer Million<br />

Mädchen <strong>und</strong> Jungen», die nachweislich nie erhoben wurden“ 12 .<br />

2.<br />

Nicht nur Übertreibungen <strong>und</strong> die Eindeutigkeit suggerierende Sprache sind wenig<br />

wissenschaftlich. Die Vertreter_innen einer f<strong>und</strong>amentalen Geschlechterdifferenz<br />

vernachlässigen zumeist ebenso die Tatsache, dass Biolog_innen, Verhaltensforscher_innen<br />

<strong>und</strong> Psycholog_innen nicht in einem luftleeren Raum denken <strong>und</strong><br />

forschen, sondern dies als Teil einer Gesellschaft tun, in der bestimmte Schubla-<br />

Seite 6


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

den, Rollenzuschreibungen <strong>und</strong> Erwartungen existieren. Anstatt die<br />

„Geschlossenheit der wissenschaftlichen Systeme― 13 vorauszusetzen, müssen im<br />

Gegenteil gerade die Wechselwirkungen <strong>und</strong> Verschränkungen von Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> damit auch die gesellschaftlich konstruierten Kategorien herausgestellt<br />

werden, auf deren Gr<strong>und</strong>lage jede Forschung betrieben wird. Auch im<br />

Umgang mit naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen gelten daher<br />

„generelle wissenschaftskritische Aspekte: 1. Fakten sind immer Theorie<br />

geladen <strong>und</strong> dies beeinflusst die jeweiligen Interpretationen, 2. Theorien<br />

sind immer Wert geladen <strong>und</strong> die Werte folgen dem modernen heteronormativen<br />

Wertesystem, also der gr<strong>und</strong>legenden Vorstellung hierarchischer<br />

Geschlechter- <strong>und</strong> Familienverhältnisse. 3. Werte sind historisch entwickelt<br />

(z. B. die bürgerliche Kleinfamilie als Zentrum der Gesellschaft) <strong>und</strong><br />

spiegeln die Geschlechterstereotype ihrer Zeit <strong>und</strong> Kultur wieder.“ 14<br />

Die Brille der gesellschaftlichen Prägung sitzt auch Naturwissenschaftler_innen<br />

fest auf der Nase <strong>und</strong> lässt sie ihre Untersuchungsgegenstände dementsprechend<br />

wahrnehmen <strong>und</strong> mit ganz bestimmten, anschlussfähigen Begriffen <strong>und</strong> Bildern<br />

beschreiben. So illustriert die Untersuchung von Metaphern, wie sie etwa in einer<br />

populärwissenschaftlichen Beschreibung des menschlichen Befruchtungsvorgangs<br />

15 <strong>und</strong> in verschiedenen evolutionsbiologischen Fortpflanzungstheorien 16 verwendet<br />

werden, wie stark die Darstellung <strong>und</strong> Vermittlung naturwissenschaftlicher<br />

Themen anknüpft an gesellschaftlich geteilte Vorstellungen von typisch männlichen<br />

<strong>und</strong> typisch weiblichen Verhaltensweisen <strong>und</strong> Eigenschaften. Hier kann folglich<br />

nicht von einer ‚rein objektiven‟ Rekonstruktion biologischer Prozesse gesprochen<br />

werden.<br />

Problematisch sind darüber hinaus auch die häufigen Übertragungen von Tier zu<br />

Mensch sowie grobe Verallgemeinerungen, die „unreflektiert über die Historie, die<br />

Kultur- <strong>und</strong> Evolutionsgeschichte des Menschen hinweg gezogen [werden] mit<br />

Aussagen wie «schon vor tausend Jahren», «seit der Urzeit des Menschen»“ 17 . Neben<br />

der Verquickung von Gesellschaft <strong>und</strong> Wissenschaft werden die ‚objektiven<br />

Aussagen‟ über die Geschlechterdifferenz auch durch methodische <strong>und</strong> statistische<br />

Fehlerquellen problematisch, mit denen sich wohl nicht nur Soziologiestudent_innen<br />

schon zu Studienbeginn auseinandersetzen. Die Bildung von Kategorien<br />

<strong>und</strong> die Setzung von Grenzwerten haben ebenso wie die Art der Berechnung<br />

einen Einfluss auf das Ergebnis, insbesondere, wenn als Ergebnis eine Geschlechterdifferenz<br />

bereits antizipiert wird. So erläutert Schmitz beispielhaft für die Hirnforschung,<br />

„Fakten sind immer<br />

Theorie geladen <strong>und</strong><br />

dies beeinflusst die<br />

jeweiligen<br />

Interpretationen.―<br />

„dass eine ganze Reihe von Vorannahmen nicht benannt werden, derer es<br />

aber bedarf, um nach Geschlechter- (<strong>und</strong> anderen) Differenzen überhaupt<br />

Seite 7


gender <strong>geblickt</strong><br />

zu suchen. Erstens muss eine binäre Gruppierung festgelegt werden, die<br />

eine eindeutige Trennlinie aufweist. Zweitens muss postuliert werden,<br />

dass die beiden Gruppen diesseits <strong>und</strong> jenseits der Trennlinie eindeutige<br />

Unterschiede im Verhalten aufweisen. Drittens muss vorausgesetzt werden,<br />

dass in der biologischen Materie des Gehirns ebenso klar abgrenzbare<br />

Unterschiede in Arealgrößen, Kortexdichten oder Aktivierungsnetzen<br />

vorliegen, die viertens messbar sein müssen. Fünftens muss von einem<br />

direkten Zusammenhang zwischen Hirndifferenzen <strong>und</strong> Verhaltensunterschieden<br />

ausgegangen werden.“ 18<br />

Schließlich müssen Wissenschaftler_innen <strong>und</strong>/oder Journalist_innen aus den<br />

zahlreichen, oftmals widersprüchlichen Daten eine hinreichend plausible Aussage<br />

konstruieren, um Aufmerksamkeit zu erregen <strong>und</strong> Gelder für weitere Forschungen<br />

oder einen prominenten Platz in der Zeitung zu erreichen. Diese Strategie der Homogenisierung<br />

durch Reduktion <strong>und</strong> Vereinfachung verfälscht wissenschaftliche<br />

Ergebnisse der Verständlichkeit <strong>und</strong> zumeist auch dem Verlangen nach einfachen<br />

Thesen zuliebe. 19 Angesichts der genannten Probleme ist es daher zweifelhaft, ob<br />

die behauptete f<strong>und</strong>amentale Geschlechterdifferenz überhaupt besteht.<br />

3.<br />

„Deterministische<br />

Konzepte, die sich<br />

auf Gene, Hormone<br />

<strong>und</strong> die Evolution –<br />

<strong>und</strong> damit auf<br />

nature – berufen,<br />

werden<br />

herausgefordert …―<br />

Fraglich ist darüber hinaus erst recht, ob (vermeintlich) bestehende Unterschiede<br />

zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen genetisch bedingt <strong>und</strong> ‚von Geburt an‟ (wie Baron-<br />

Cohen behauptet) gegeben sind. Es gilt also, jenseits der zunehmend veralteten<br />

Frontstellung nature vs. nurture „die theoretischen Konzepte selber zu hinterfragen,<br />

mit Hilfe derer die Bef<strong>und</strong>e interpretiert werden“ 20 . Deterministische Konzepte,<br />

die sich auf Gene, Hormone <strong>und</strong> die Evolution – <strong>und</strong> damit auf nature – berufen,<br />

werden herausgefordert durch neuere Forschungen zur Hirnplastizität. Die<br />

Biologin Schmitz beschreibt deren gegensätzliche Vorannahmen folgendermaßen:<br />

„Deterministische Konzepte heben genetische <strong>und</strong> hormonelle Ursachen<br />

für Unterschiede in Hirnstruktur <strong>und</strong> Arbeitsweise hervor. Sie gehen davon<br />

aus, dass die biologischen Voraussetzungen im Gehirn mehr oder weniger<br />

festgelegt sind <strong>und</strong> im Folgenden die Prozesse der Informationsverarbeitung,<br />

des Denkens <strong>und</strong> des Handelns bestimmen. Plastizitätskonzepte<br />

verstehen die Entwicklung von Hirnstrukturen <strong>und</strong> Hirnfunktionen<br />

dagegen stärker als Ergebnis der individuellen Erfahrung. Das Verhalten,<br />

das Denken <strong>und</strong> die Verarbeitung von Informationen formen erst die<br />

Nervennetzwerke im Gehirn. Die Materie Gehirn ist dann ebenso Resultat<br />

wie Ursache von Verhalten <strong>und</strong> Denken.“ 21<br />

Seite 8


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Dementsprechend stellt die deterministische Vorstellung von genetisch vorherbestimmten<br />

Geschlechterunterschieden in Fähigkeiten <strong>und</strong> Interessen keine Wahrheit<br />

dar, wie nicht nur Pease <strong>und</strong> Pease suggerieren, sondern muss als eine Theorie<br />

unter vielen verstanden werden, die zudem auf Gr<strong>und</strong> aktueller Forschung zunehmend<br />

in die Defensive gerät.<br />

4.<br />

„Nicht besser oder schlechter, sondern unterschiedlich― 22 . Mit diesem Statement<br />

betont das Ehepaar Pease die angebliche Gleichwertigkeit <strong>und</strong> Komplementarität<br />

der gegensätzlichen männlichen <strong>und</strong> weiblichen Verhaltensweisen <strong>und</strong> Einstellungen.<br />

Beide Geschlechter sind mit ihren jeweiligen Fähigkeiten <strong>und</strong> Tätigkeiten<br />

(Analyse <strong>und</strong> Emotion bzw. Lohnarbeit <strong>und</strong> unbezahlte Fürsorge/Hausarbeit)<br />

gleich wichtig für den Fortbestand der Gesellschaft <strong>und</strong> sollen sich ihrer ‚Natur‟<br />

entsprechend entfalten <strong>und</strong> ergänzen. Einer solchen Vorstellung von gegengeschlechtlicher<br />

Komplementarität zufolge ist allein das arbeitsteilige heterosexuelle<br />

Paar beziehungsweise die daraus entstehende Familie die wahrhaft vollkommene<br />

Daseinsform.<br />

Des Weiteren bleibt die Tatsache, dass Gleichwertigkeit sich derzeit ‚natürlich‟<br />

nicht auf die materielle Situation von Männern <strong>und</strong> Frauen bezieht (vgl. etwa die<br />

geschlechtsspezifische Lohnlücke oder die durchschnittlichen Rentenbezüge von<br />

Männern <strong>und</strong> Frauen), im Peaseschen Universum vernachlässigbar. Denn auch in<br />

Sachen finanzieller Absicherung soll wohl das Prinzip der Komplementarität (auf<br />

gut deutsch Abhängigkeit) gelten. Frauen wollen, ihrem sozialen <strong>und</strong> selbstlosen<br />

Wesen entsprechend, ja gar kein Geld, sondern, wie es auch Eibl-Eibesfeldt im obigen<br />

Zitat erklärt, „Anerkennung“. Ob die in Form eines Schulterklopfens oder doch<br />

als Blumenstrauß am Muttertag daherkommen soll, bleibt offen.<br />

„Nicht besser oder<br />

schlechter, sondern<br />

unterschiedlich.―<br />

Was letztlich ein moderner Sexismus der ‚biologischen Tatsachen‟ ist, kommt betont<br />

fre<strong>und</strong>lich, gar fast anti-sexistisch daher:<br />

„Er will die Frauen nicht an den Rand der Gesellschaft drängen, sondern<br />

sie gemäß ihrer Fähigkeiten fördern <strong>und</strong> ihnen so helfen, ihren natürlichen<br />

Ort einzunehmen. Es heißt nicht länger: «Frauen an den Herd! » –<br />

vielmehr hat es die Form des neidlosen Zugeständnisses bekommen, dass<br />

Frauen am Herd einfach besser sind als Männer.“ 23<br />

Den historischen Kontext der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung <strong>und</strong> Begriffe<br />

wie Herrschaft oder Macht kann man mit einem solchen biologischen Erklärungsmodell<br />

getrost verabschieden.<br />

Seite 9


gender <strong>geblickt</strong><br />

„Im modernen Sexismus ist die benachteiligte Stellung von Frauen in dieser<br />

Gesellschaft weder Folge göttlicher Ordnung noch himmelschreiender<br />

Ungerechtigkeit. Die Frau hat vielmehr durch das Besetzen von Berufen<br />

<strong>und</strong> privaten Tätigkeiten, die Sozialkompetenz <strong>und</strong> defensive Empathie<br />

verlangen, ihren natürlichen Ort gef<strong>und</strong>en - im statistischen Durchschnitt,<br />

versteht sich. Einzelne »männliche« Frauen dürfen sogar Minister<br />

werden. Fre<strong>und</strong>licher können gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen<br />

kaum vernebelt werden!“ 24<br />

Naturalistische Erklärungen für Geschlechterdifferenzen sind aus wissenschaftskritischer<br />

Sicht höchst problematisch <strong>und</strong> können keinesfalls als nackte Tatsachen<br />

oder gar ‚reine Wahrheit‟ verstanden werden. Trotz ihres zweifelhaften wissenschaftlichen<br />

Werts sind solche Erzählungen aber äußerst wirksam <strong>und</strong> anschlussfähig<br />

für individuelle Alltagstheorien. Aus feministischer oder allgemein emanzipatorischer<br />

Perspektive gilt es, die Naturalisierung sozialer Ungleichheit als solche<br />

kenntlich zu machen, um so einer ‚natürlichen‟ Immunisierung gegenüber Kritik<br />

<strong>und</strong> politischen Forderungen entgegenzuwirken.<br />

___________________<br />

„Naturalistische<br />

Erklärungen für<br />

Geschlechterdifferen<br />

zen sind aus<br />

wissenschaftskritischer<br />

Sicht<br />

höchst<br />

problematisch…―<br />

1 Maier 2009.<br />

2 Simon Baron-Cohen, Psychologe <strong>und</strong> Autor des Buchs „Vom ersten Tag an anders―.<br />

3 Weber 2011.<br />

4 Maier 2007.<br />

5 SZ Wissen 14/07, zitiert nach Maier 2007.<br />

6 Schmitz/Schmieder 2006, 363.<br />

7 Ebd.<br />

8 Pease/Pease 2002a, 9, Buchrücken.<br />

9 Schmitz/Schmieder 2006, 371.<br />

10 Ebd.<br />

11 Ebd. 370f.<br />

12 Pease/Pease 2002b, 166, zitiert nach Schmitz/Schmieder 2006, 371.<br />

13 Schmitz/Schmieder 2006, 364.<br />

14 Schmitz 2006 ,197f.<br />

15 Schmitz/Schmieder 2006, 372-275.<br />

16 Ebeling 2006.<br />

17 Schmitz/Schmieder 2006, 371.<br />

18 Schmitz 2006b, 215.<br />

19 Schmitz/Schmieder 2006, 371.<br />

20 Schmitz 2006b, 212.<br />

21 Ebd.<br />

22 Pease/Pease 2002a, 9.<br />

23 Zunke 2004.<br />

24 Ebd.<br />

Verwendete Literatur:<br />

Ebeling, Smilla (2006): Amazonen, Jungfernzeugung, Pseudomännchen <strong>und</strong> ein<br />

feministisches Paradies. Metaphern in evolutionsbiologischen Fortpflanzungstheorien.<br />

In: Schmitz/Ebeling, S. 75-94.<br />

Seite 10


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Maier, Tanja (2009): Auf der Suche nach dem großen Unterschied. Geschlechterstereotypen<br />

in populären Wissensmagazinen. http://www.medienheft.ch/<br />

kritik/bibliothek/k09_MaierTanja_01.html (zuletzt aufgerufen am:<br />

01.05.11).<br />

Pease, Allan/Pease, Barbara (2002a): Warum Frauen schlecht einparken… Ganz<br />

natürliche Erklärungen für weibliche Schwächen. München: Ullstein.<br />

Pease, Allan/Pease, Barbara (2002b): Warum Männer nicht zuhören <strong>und</strong> Frauen<br />

schlecht einparken. Berlin: Ullstein.<br />

Schmitz, Sigrid (2006a): Jägerinnen <strong>und</strong> Sammler. Evolutionsgeschichten zur<br />

Menschwerdung. In: Schmitz/Ebeling, S. 189-210.<br />

Schmitz, Sigrid (2006b): Frauen- <strong>und</strong> Männergehirne. Mythos oder Wirklichkeit?<br />

In: Schmitz/Ebeling, S. 211-234.<br />

Schmitz, Sigrid/Ebeling, Smilla (Hrsg.) (2006): Geschlechterforschung <strong>und</strong> Naturwissenschaften.<br />

Ein komplexes Wechselspiel. Wiesbaden: VS Verlag.<br />

Schmitz, Sigrid/Schmieder, Christian (2006): Popularisierungen. Zwischen Naturwissenschaften,<br />

Medien <strong>und</strong> Gesellschaft. In: Schmitz/Ebeling, S. 363-378.<br />

Weber, Bettina (2011): Mann <strong>und</strong> Frau ticken gar nicht so verschieden. Tagesanzeiger<br />

online 17.02.2011. http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/<br />

Mann-<strong>und</strong>-Frau-ticken-gar-nicht-so-verschieden/story/12499015 (zuletzt<br />

aufgerufen am: 08.05.2011).<br />

Zunke, Christine (2004): Falsche Anthropologie der Differenz - Biologismus unter<br />

dem Label von Nicht-Sexismus. Forum Wissenschaft 4. http://<br />

www.bdwi.de/forum/archiv/uebersicht/97753.html (zuletzt aufgerufen<br />

am: 11.05.2011).<br />

Zum Weiterlesen:<br />

Fausto-Sterling, Anne (2000): Sexing the brain. How biologists make a difference.<br />

In: Dies.: Sexing the Body. <strong>Gender</strong> Politics and the Construction of Sexuality.<br />

New York: Basic Books. S. 115-145.<br />

Fine, Cordelia (2010): Delusions of <strong>Gender</strong>. The Real Science Behind Sex Differences.<br />

London: Icon.<br />

Foto: labormikro, flickr<br />

Lizenz: cc Attribution 2.0<br />

Generic (CC BY 2.0)<br />

Jordan-Young, Rebecca M. (2010): Brain Storm: The Flaws in the Science of Sex<br />

Differences. Harvard: Harvard University Press.<br />

Seite 11


gender <strong>geblickt</strong><br />

Das Schweigen der Männer—viel<br />

Lärm um nichts<br />

Veranstaltungsbericht zu „Mann—Frau wie<br />

soll‗s weiter gehen?― - ein Sommernachmittagsalptraum<br />

am 27.06.2011 im Wissenschaftszentrum<br />

Berlin (WZB)<br />

Foto: vmarinell, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-ShareAlike<br />

2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)<br />

„ … ‚verzerrte<br />

Realitätskonstruktion‗<br />

der<br />

Gleichstellungsarbeit<br />

‚ohne Logik„.“<br />

Von Arn Sauer<br />

„Das Schweigen der Männer ist symptomatisch für das Verhältnis zwischen Mann<br />

<strong>und</strong> Frau“. „Männer scheinen derzeit eher von Schuldgefühlen geplagt“. „Alle spüren<br />

seit einigen Monaten: so kann es in der Geschlechterpolitik nicht weitergehen“.<br />

„Es geht um Fragen der Beziehungen, der Lebensstile <strong>und</strong> die Frage der Generationen“.<br />

Dieser starke Tobak von Eckhard Kuhla, Vorsitzender des erst seit<br />

2010 bestehenden Vereins Agens e.V., eröffnete am 27. Juni 2011 die Diskussionsveranstaltung<br />

„Mann Frau - wie soll‟s weiter gehen?“ am Wissenschaftszentrum<br />

Berlin (WZB). Agens e.V. begreift sich als Sprachrohr einer „Befreiungsbewegung<br />

für Männer“, die eine Kultur des „MITeinanders von Männern <strong>und</strong> Frauen“ anstrebt,<br />

tut sich jedoch in der kurzen Zeit seines Bestehens eher durch antifeministisch-antagonistisches<br />

Auftreten hervor, das eine Kultur des GEGENeinanders<br />

befördert. 1<br />

Die Veranstaltung ausgebucht. Viele Besucher_innen mussten den Beiträgen vor<br />

einem Bildschirm draußen vor der Tür lauschen. Das Interesse an <strong>Gender</strong> Fragen<br />

aus maskulinistischer Perspektive schien den neuen bewegten Männern Recht zu<br />

geben: es war noch nie so groß wie heute – <strong>und</strong> die Widerstände gegen das Feministische<br />

an <strong>Gender</strong> ebenfalls. Schon im Vorfeld startete der Direktor der WZB-<br />

Abteilung „Ungleichheit <strong>und</strong> soziale Integration“, Jens Alber, in der FAZ 2 einen<br />

Frontalangriff auf die „verzerrte Realitätskonstruktion“ der Gleichstellungsarbeit<br />

„ohne Logik― <strong>und</strong> damit auf seine Chefin <strong>und</strong> WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger.<br />

Logisch, dass Allmendinger, die gleichzeitig Professorin für Bildungssoziologie<br />

<strong>und</strong> Arbeitsmarktforschung an der Humboldt Universität zu Berlin ist, bei so viel<br />

Qualifikation in einer Person gleich fünf antifeministisch argumentierenden Podiumsgästen<br />

gegenüber sitzen musste. Neben Jens Alber <strong>und</strong> Birgit Kelle, der Vorsitzenden<br />

von „Frau 2000 plus e.V“ <strong>und</strong> Vorstandsmitglied von „New Women for Europe“,<br />

waren gleich drei Vertreter_innen des Verein Agens e.V. eingeladen:<br />

Seite 12


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Prof. Dr. Gerhard Amendt, Gründer des <strong>Institut</strong>s für <strong>Gender</strong> and Generation Research<br />

an der Universität Bremen <strong>und</strong> Agens-Gründungsmitglied; der anfangs zitierte<br />

Eckhard Kuhla, wie Amendt Mitbegründer des Männer-Rechts-Vereins sowie<br />

Monika Ebeling, ehemalige Gleichstellungsbeauftragte <strong>und</strong> ebenfalls Agens<br />

Mitglied. 5:1 also für die, die dagegen sind – eine Konstellation, die Agens unverständlicherweise<br />

im Nachgang der Veranstaltung als „Diskursverweigerung“ bezeichnete.<br />

Kuhla erhielt zuerst seine 10 Minuten <strong>und</strong> griff tief in den antifeministischen Mottenschrank,<br />

um vorgeblich Neues zu beschreiben. Seine bereits zitierten Eingangsstatements<br />

sollten deutlich machen: er <strong>und</strong> sein Verein warten augenblicklich<br />

sehnsüchtig auf den „natürlichen Generationswechsel in der Frauengeneration von<br />

der 50+ hin zur 30+, vertreten durch Ministerin Schröder“. Als er Alice Schwarzer,<br />

die 2011 ihren 69. Geburtstag feiert, als Vertreterin der hoffentlich bald abzulösenden<br />

50+ Generation vorstellte, erschall das erste Gelächter im Saal.<br />

Ein weiteres Gebiet, bei dem es Kuhla mit der Genauigkeit von Zahlen nicht so genau<br />

nahm, war seine Behauptung, das „letztes Jahr von Schröder mutig geschlossene<br />

<strong>Gender</strong>KompetenzZentrum“ habe „mehr als 30 Mitarbeiter“ gehabt. Ein Redebeitrag<br />

aus dem Publikum von Sebastian Scheele, einem Ehemaligen dieser Mitarbeiter_innen,<br />

stellte indes später richtig: im <strong>Gender</strong>KompetenzZentrum waren<br />

zu keiner Zeit mehr als sechs Mitarbeitende, die meisten davon in Teilzeit, beschäftigt.<br />

Hinzugefügt sei auch, dass die Schließung des Zentrums nicht von Kristina<br />

Schröder, sondern bereits unter ihrer Vorgängerin Ursula von der Leyen angestoßen<br />

wurde. Zu Schröders Amtsantritt war es also bereits „beschlossene Sache“.<br />

So konnte man sich von Anfang an des Eindrucks nicht erwehren, dass es Kuhla im<br />

Gr<strong>und</strong>e um weit Handfesteres, als um den Austausch von emotionalen Männer-<br />

Befindlichkeiten ging. Spätestens als er bemängelte, bei der Gründung des<br />

BMFSFJ-Referates „Gleichstellungspolitik für Männer <strong>und</strong> Jungs“ im Dezember<br />

2009 3 sei das ursprünglich in den Konzeptionen enthaltene Wort<br />

„Eigenständigkeit― weggefallen, war allen Anwesenden klar: hier greifen gierige<br />

Männerhände nach den Fördertöpfen „der Frauen“.<br />

Foto: Sweet One, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-ShareAlike<br />

2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)<br />

„Auch an<br />

Drohgebärden<br />

mangelte es „den<br />

Männern― nicht…―<br />

Auch an Drohgebärden mangelte es „den Männern“ nicht, die sich Anfeindungen<br />

ausgesetzt sehen, die laut Kuhla „hart an der Grenze des juristisch Zulässigen“ seien.<br />

Dieses war der erste Streich im Schlagabtausch, der durch ein von Agens frisch<br />

herausgegebenes <strong>und</strong> nun Dank der Veranstaltung auch gut promotetes Buch<br />

„Schlagseite - MannFrau kontrovers“ abger<strong>und</strong>et wurde. Darin würde Kuhla zufolge<br />

die „Geschlechterpolitik mit Schlagseite“ <strong>und</strong> ihren „schwerwiegenden Folgen<br />

auch auf volkswirtschaftlicher Seite“ behandelt. Den Hinweis, worin solche<br />

Folgen bestünden, blieb er allerdings an diesem Abend ebenso schuldig wie die<br />

wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Argumente für seine Behauptungen.<br />

Seite 13


gender <strong>geblickt</strong><br />

Keine Fakten schuldig blieb dagegen Allmendinger, die in ihrem Kuhla folgenden<br />

Eingangsstatement Daten zur Erwerbsarbeit <strong>und</strong> den Rentenansprüchen der beiden<br />

Geschlechter bot. Danach ist das Arbeitsvolumen von Männern <strong>und</strong> Frauen<br />

sehr unterschiedlich, da „Männer meist Vollzeit beschäftigt <strong>und</strong> demgegenüber<br />

Frauen mit 68% vor allem in Teilzeitarbeit oder geringfügig beschäftigt“ sind. Zwar<br />

ist das Arbeitsvolumen der Frauen seit 2007 gestiegen, jedoch beobachtet die Forschung<br />

„eine Umverteilung von wenigen Vollzeit erwerbstätigen Frauen hin zu vielen<br />

Frauen in Teilzeiterwerbstätigkeit“. In der Lebensverlaufsperspektive stellte<br />

Allmendinger nach wie vor einen „Frauen-Kinderknick“ fest, wohingegen Männer<br />

mit Kindern sogar durchschnittlich mehr arbeiten, als Männer ohne Kinder. Dies<br />

gilt selbst „bei den jungen Kohorten“ gemäß aktuellem Mikrozensus.<br />

„ … der<br />

‚Heiratsmarkt eine<br />

attraktive Option für<br />

Frauen‗.―<br />

Bei dem dieser Tage vieldiskutierten Thema „Frauen in Aufsichtsräten <strong>und</strong> Vorständen“<br />

hat sich laut Allmendinger von 2006-2009 „nichts getan“, somit sei es<br />

„keine Frage der Zeit―. Auch bei Frauen in der Wissenschaft ist kein großer Wandel<br />

zu attestieren. Mit Blick auf die Rentensituation machte Allmendinger nicht nur<br />

einen Unterschied zwischen Männern <strong>und</strong> Frauen, sondern auch zwischen Ost <strong>und</strong><br />

West aus. Witwenrenten von West-Frauen betragen 70% der Männerrenten. Da<br />

die Eigenansprüche von Frauen im Westen deutlich niedriger liegen, wäre, so Allmendinger,<br />

der „Heiratsmarkt eine attraktive Option für Frauen“. Großes Gelächter<br />

im Saal. In Ostdeutschland bietet sich ein anderes Bild, da Ost-Frauen aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer längeren Erwerbsbiographien weit höhere Rentenansprüche als West-<br />

Frauen erworben haben, die jedoch in beiden Teilen Deutschlands immer unter<br />

denen der Männer liegen.<br />

Dem Blick in die Vergangenheit der Erwerbstätigkeit folgte der Blick in die Gegenwart<br />

der aktuellen Lebensentwürfe, die Allmendinger in unterschiedlichen Studien<br />

(Shell Studie, WZB Studie) als weitgehend gleich zwischen beiden Geschlechtern<br />

bezeichnete: Junge Männer wie Frauen wollen beispielsweise gleichermaßen viel<br />

Geld verdienen oder sie wollen erstaunlicherweise auch genauso oft dünn sein.<br />

Anders ist, was das jeweils andere Geschlecht über das eigene denkt: Nur knapp<br />

über 60% der Männer glauben, dass es Frauen wichtig sei, finanziell unabhängig<br />

sein. Männer wollen zu 60% Kinder, wobei Frauen diesen Kinderwunsch nur von<br />

40% ihrer potenziellen Partner erwarten. Allmendinger kritisierte mit diesen Ausführungen<br />

die Stereotypisierungen im gesellschaftlichen Geschlechterdiskurs, dessen<br />

Realitäten, auch diese Feststellung ließ sie nicht aus, von Männern bestimmt<br />

sind, die sich nach wie vor „mehrheitlich in den entsprechenden Positionen“ befinden.<br />

Deutlich wurde vor allem eins: Allmendingers Ausführungen basierten allesamt<br />

auf belastbarem Zahlenmaterial <strong>und</strong> hoben sich allein dadurch wohltuend<br />

von der geschlechterideologischen Agitation ihrer Vor- wie auch Nachreder_innen<br />

ab.<br />

Seite 14


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Prof. Dr. Gerhard Amendt wurde im Anschluss um eine Kommentierung gebeten,<br />

konzentrierte sich jedoch in einem zusammenhangslosen Statement lediglich darauf,<br />

seine Ansichten zur Gewaltdebatte k<strong>und</strong> zu tun. Ihm zufolge würde Gewalt in<br />

Partnerschaften <strong>und</strong> Familien in Deutschland sehr einseitig gesehen <strong>und</strong> wichtige<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse aus den USA zur Symmetrie in Gewaltverhältnissen<br />

außer Acht gelassen. Er verstieg sich zu Aussagen, wie „man muss Gewalt als<br />

etwas Gemeinsames erleben“, weswegen Gewalt „nicht gesellschaftlich sondern auf<br />

Paarebene“ behandelt werden müsse, indem alle Beteiligte „durch professionelle<br />

Hilfe ins Gespräch gesetzt werden“ sollen. Auch wenn darin eventuell das vielleicht<br />

nützliche Körnchen an Wahrheit der verschiedenen Formen <strong>und</strong> vergeschlechtlichen<br />

Dynamiken von Gewalt enthalten sein sollte, ließ Amendt konkrete Hinweise<br />

auf Forschungsliteratur ebenso vermissen wie Hinweise zur Umsetzung. Dabei<br />

wäre es doch sehr interessant gewesen, zu erfahren, wie beispielsweise eine von<br />

ihrem Mann vergewaltigte oder geschlagene Frau zu einer lösungsorientierten<br />

Therapiesitzung mit ihrem Peiniger motiviert werden sollte? Insgesamt zeigte sich<br />

das Publikum durch unwilliges Murren von solchen Verharmlosungstendenzen in<br />

der Gewaltdebatte betroffen. Ein Journalist äußerte diesen Unmut auch in einem<br />

späteren Redebeitrag.<br />

Als nächstes war Birgit Kelle an der Reihe, die keine Fronten zwischen Mann <strong>und</strong><br />

Frau forderte, sondern mehr Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Erwerbsleben. Seltsamerweise<br />

eines der Hauptthemen der durch das feministisch motivierte <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming 4 <strong>und</strong> der Einführung von Vätermonaten angestoßenen neuen Familienpolitik.<br />

Ihr wichtigster Beitrag bestand darin, die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

noch mal daran zu erinnern, dass es in anderen Ländern auch anders geht: in<br />

der Schweiz z.B. erwirbt laut Kelle jede Frau für die Erziehungsarbeit ihrer Kindern<br />

Rentenansprüche, die mit jenen von Erwerbstätigen gleich behandelt werden.<br />

Kelle selbst sei Mutter von vier Kindern <strong>und</strong> habe damit neben ihrer Teilzeitstelle<br />

eine Vollzeitstelle zuhause, lamentierte sie, was sie jedoch nicht davon abhielt das<br />

Vereinbarkeitsthema nicht als „Frauen-, sondern als „Mütter- <strong>und</strong> Väterthema“<br />

<strong>und</strong> „Privatsache“ zu bezeichnen. Ein US-amerikanischer Hörer griff diese Problematik<br />

zu einem späteren Zeitpunkt auf, indem er bemerkte, in Deutschland würden<br />

die Kinder um eins von der Schule nach Hause geschickt <strong>und</strong> es würde erwartet<br />

werden, „dass da jemand ist, der sich um sie kümmert“.<br />

„ … keine Fronten<br />

zwischen Mann <strong>und</strong><br />

Frau ..., sondern<br />

mehr Vereinbarkeit<br />

von Familie <strong>und</strong><br />

Erwerbsleben.―<br />

Entgegen solcher Beobachtungen <strong>und</strong> des von Allmendinger gelieferten statistischen<br />

Materials war sie der Meinung „in Deutschland haben wir kein Problem,<br />

Frauen sind gebildet, ihnen stehen alle Türen offen“. Sie stellte lediglich die Fragen:<br />

„Was ist mit den Familien?“; „wie können Frauen ins Erwerbsleben einsortiert<br />

ohne dass Kinder aussortiert werden?“ <strong>und</strong> „wollen das die Familien“, dass<br />

die Frau „als einziges Angebot“ arbeiten geht? In der folgenden Diskussion verhedderte<br />

sich dann mehrfach in den Widersprüchen ihrer eigenen Ansprüche an sich<br />

Seite 15


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

selbst als berufstätige Übermutter, die die „Wahlfreiheit“ schon habe, denn „alle<br />

Strukturen sind da“. Augenfällig war vor allem ein Widerspruch: Frau Kelle forderte<br />

mehrmals explizit, dass der Staat nicht in die private Entscheidung von Eltern<br />

intervenieren solle. Aber gleichzeitig solle die Regierung für die Erziehung von<br />

Kindern eine Art „Gehalt“ zahlen, was für sie merkwürdigerweise keine staatliche<br />

Einmischung darstellt.<br />

Foto: [sic!]ut.at, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

ShareAlike 2.0 Generic<br />

(CC BY-SA 2.0)<br />

Monika Ebeling, hingegen stolperte nicht über die Familie, sonder darüber, dass<br />

sie sich als ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Goslar „auch in der<br />

Männerpolitik weitergebildet“ habe. Weil sie zu sehr „auf Männer fixiert“ war <strong>und</strong><br />

„nicht genug auf Frauen fokussierte―, wurde sie 2011 abgewählt. Ihre Hauptkritik<br />

beschrieb eben jenes, der unvollständigen Ablösung von Frauenpolitik durch <strong>Gender</strong><br />

Mainstreaming 5 geschuldete, Dilemma, was darin kulminiere, dass b<strong>und</strong>esweit<br />

„keine einheitliche Sprachregelung <strong>und</strong> Aufgabenfeldbeschreibung― bezüglich<br />

Frauen- beziehungsweise respektive Gleichstellungsbeauftragten gelte. Zudem fehle<br />

ihr Evaluation <strong>und</strong> Qualitätsmanagement in der Gleichstellungspolitik.<br />

Könnte man hier mit ihr Kritik zumindest ein Stück weit mitgehen, so stellte Ebeling<br />

sogleich mit ihren weiteren Aussagen wie die „Gleichstellung ist erreicht“, es<br />

werde nur „exklusive Frauenförderung praktiziert“ oder „Männernetzwerke fehlen<br />

an allen Orten“ gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage, inwieweit sie überhaupt an wahrer Gleichstellungspolitik<br />

interessiert ist? Ein Redebeitrag aus dem Publikum, der sich die<br />

gesamte Diskussion differenzierter wünschte, fragte später genauer nach, welche<br />

Männernetzwerke sie eigentlich meine – eventuell jene weit verbreiteten Old Boys<br />

Networks, die oft Frauen am Aufstieg hinderten? Hierauf hatte sie keine Antwort<br />

parat. Vielleicht mögen dies nicht unbedingt Ebelings „Wunschmänner“ sein, die<br />

sie sich „aktiver“ wünscht. Statt Männerdominanz sieht sie überall „Seilschaften<br />

von Frauen“, die sicher auch für die „Dauerprotektion“ alleinerziehender Mütter<br />

verantwortlich sind, der sie die Effizienz abspricht. Nach Ebelings Auffassung tobe<br />

„bei Trennung <strong>und</strong> Scheidung […] der Geschlechterkampf―. Der „fröhlichfre<strong>und</strong>liche<br />

Vater, der zur Verfügung steht, wird außen vor gelassen“. Deswegen<br />

lautete Ebelings Forderung, dass b<strong>und</strong>esweit einheitliche Stellen für Gleichstellungsbeauftragte<br />

ausgeschrieben werden, die ihre Parteilichkeit aufgeben müssten.<br />

Obendrein müssten Männer ebenso Gleichstellungsbeauftragte werden dürfen wie<br />

Frauen, was zurzeit ausgeschlossen sei – ein Faktum, das auch Jens Alber aufregt,<br />

der sich ansonsten nach eigener Aussage „lieber heute als morgen auf einen solchen<br />

Posten bewerben würde“. Ebeling will endlich „Frauen- <strong>und</strong> Männerthemen“<br />

gleichrangig behandeln. Ihrem Eindruck nach geschehe dies nicht, weswegen die<br />

„aktuelle Gleichstellungspolitik in einer tiefen Krise― stecke: „entweder sie geht<br />

unter oder erfindet sich neu“.<br />

Jens Alber sah sich im Anschluss an Ebeling „normativ stark dem Gedanken der<br />

Seite 16


gender <strong>geblickt</strong><br />

Diskriminierungsfreiheit“ verpflichtet – was vom Publikum als sehr löblich <strong>und</strong><br />

positiv aufgenommen wurde. Deswegen bedauerte auch er die „Verengung der<br />

Gleichstellungsdebatte auf Frauenpolitik“, denn für ihn sind „Klasse <strong>und</strong> Migration<br />

heute determinierender als Frauenungleichheit“. Um das zu untermauern zog<br />

er Statistiken „des internationalen Arbeitsamtes“ (das als <strong>Institut</strong>ion leider nicht<br />

existiert, vielleicht meinte er die Internationale Arbeitsorganisation) zu Rate <strong>und</strong><br />

beruft sich auf Repräsentationserfolge von Frauen z.B. in Parteien <strong>und</strong> Parlamenten,<br />

die sich alle auf 30-40% beziffern. Er attestierte: „hier ist etwas im Fluss, wir<br />

können nicht so tun, als seien wir noch in den 60er Jahren“. Als Beispiel der vernachlässigten<br />

Männer führte Albers an: „90% aller tödlichen Arbeitsunfälle Männer“.<br />

Er fragte: „für welche Bereiche wollen wir den Gleichheitsgedanken betreiben?“<br />

Daraus resultiere seine Skepsis gegenüber „der Quote“, die er als<br />

„obrigkeitsstaatliches Mittel― empfindet, das unzureichend sei „für Menschen, die<br />

in komplexen Zusammenhängen leben“. Denn wenn man über Quoten spräche,<br />

wäre die Frage wichtig: „[…] für welche Dimension sozialer Ungleichheit“? Und:<br />

„Wenn Quote, wie hoch soll sie denn sein?―<br />

Auch hier hat Allmendinger eine Lösung parat: die „critical mass“ soll es sein. Die<br />

bereits von Alber selbst zitierten 30-40% Frauen in der b<strong>und</strong>esdeutschen Parteien<strong>und</strong><br />

Parlamentslandschaft. Dieser Erfolg der Frauen sei übrigens, so die Beobachtung<br />

einer Frau aus dem Auditorium, „W<strong>und</strong>er über W<strong>und</strong>er“ gerade der 40 %<br />

Quote in eben jenen Parteien geschuldet, die bisher im Übrigen auch nicht überschritten<br />

wurde. Beim Thema Quote als sogenanntes „obrigkeitsstaatliches Mittel“<br />

widersprach Allmendinger Alber entschieden. Sie fand seine Einwände „zynisch“,<br />

denn erstes Kriterium war schon immer die Ausbildung: „Solange Männer nicht<br />

als Kindergärtner ausgebildet sind, solange können sie nicht quotiert werden“.<br />

Es entspann sich eine rege Diskussion: Laut Allmendinger helfe es schon viel,<br />

wenn man Erwerbstätigkeit nicht als Privatsache auffasse. Sie zog Beispiele der<br />

staatlich garantierten Kinderbetreuung in Finnland heran, weil das „tatsächliche<br />

Wahlmöglichkeit“ böte. In Deutschland wären Männer „so gut wie nicht teilzeiterwerbstätig“<br />

<strong>und</strong> wenn es keine Kinderbetreuung unter 3 Jahren gäbe, fehlten einfach<br />

die „Gelegenheitsstrukturen“. Allmendinger sieht Männer „von den entsprechenden<br />

Unternehmen unter Druck, die Elternzeit nicht auszubauen, weil sonst<br />

die Karriere zu Ende wäre“. Sie wünschte sich deswegen, dass<br />

„Lebensverlaufsstrukturen mit Unterbrechungen für Kindererziehung, Elternpflege<br />

möglich sind“. Nach wie vor sei der „Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erschwert<br />

nach Pausen“. Allmendinger verwehrte sich auch dagegen, dass „Frauen<br />

erst dann Probleme bekommen, wenn sie Kinder haben“. Das sei schlicht falsch –<br />

„auch Frauen ohne Kinder werden diskriminiert, wenn es um den Aufstieg in die<br />

Führungspositionen geht“.<br />

Foto: vmarinelli, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-ShareAlike<br />

2.0 Generic (CC BY-SA 2.0)<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

Ferner war das von Alber betriebene Unterschiedsranking in „sek<strong>und</strong>äre oder tertiäre<br />

Ungleichheiten“ aus Allmendigers Perspektive nicht nachvollziehbar <strong>und</strong> leiste<br />

keinen Beitrag zur Problemlösung. Sie sprach damit einen Aspekt an, der später<br />

in einem weiteren Publikumsbeitrag von Dr. Regina Frey vom genderbüro Berlin<br />

als „Intersektionalitätsdebatte, die schon lange in den <strong>Gender</strong> Studies geführt werde“<br />

benannt wurde. Statt Diskriminierung additiv <strong>und</strong> Diskriminierungsmerkmale<br />

konkurrent zu denken, müsse es um diesbezügliche Überschneidungen, Wechselwirkungen<br />

<strong>und</strong> Verknüpfungen gehen <strong>und</strong> Albers solle dazu doch mal Stellung beziehen<br />

– was er allerdings bis zum Schluss nicht tat. Mindestens 5:1 an dieser Stelle<br />

für eine gequälte Zuhörer_innenschaft, die sich von Antifeminist_innen wie<br />

Kuhla die „Zweckmäßigkeit der <strong>Gender</strong> Theorie <strong>und</strong> ihre Professionalität <strong>und</strong> damit<br />

auch die <strong>Gender</strong> Studies“ gerade nicht in Frage stellen ließ.<br />

„ … solche<br />

‚freiheitlichen<br />

Entscheidungen von<br />

Individuen seien zu<br />

respektieren‗.―<br />

Alber lenkte stattdessen die Debatte auf die Kinderbetreuungsfrage, bei der Menschen<br />

auch die Möglichkeiten haben müssten „ungleiche Wahlen“ zu treffen:<br />

„Denn wenn wir diese Wahlentscheidung nicht ernst nehmen, unterstellen wir ihnen<br />

ein falsches Bewusstsein“. Auf seinen Appell, solche „freiheitlichen Entscheidungen<br />

von Individuen seien zu respektieren“ erntete er signifikanten Beifall aus<br />

dem Publikum. Allmendinger legte allerdings auch da Fakten nach: zurzeit stünden<br />

nur r<strong>und</strong> 20% Kindergartenplätze für unter Dreijährige zur Verfügung, die<br />

„Wahlfreiheit― sei also nicht da. Kelle bleibt davon unbeeindruckt <strong>und</strong> zitiert eine<br />

europäische Mütterstudie, laut derer 60% der Mütter gerne zuhause bleiben würden.<br />

Man müsse „solche Studien auch ernst nehmen“. Alber schlug sich, vom Moderator<br />

zur Antwort genötigt, zum ersten <strong>und</strong> einzigen Mal auf Seiten Allmendingers,<br />

will „entideologisieren“ <strong>und</strong> ruft dazu auf, „pragmatisch zu denken“. Man solle<br />

sehen, „dass wir in zunehmend heterogenisierten Gesellschaften leben“. Zuwanderung<br />

erfordere „Bildung <strong>und</strong> frühes gegenseitiges Lernen <strong>und</strong> Kontakt in Kitas“,<br />

weswegen er gegen das allgemeine Kindergeld <strong>und</strong> für eine Kita-Förderung sei –<br />

eine Forderung, die Allmendinger sicher unterstützen würde.<br />

Den aktuellen Bezug stellte dann wieder der insgesamt ausgewogen <strong>und</strong> geschickt<br />

agierende Moderator <strong>Werner</strong> A. Perger her, der das schlagseitige Schlagwort des<br />

„Schweigens der Männer― aufgreift <strong>und</strong> auf die Jugendproteste in Griechenland<br />

verweist, von denen er unausgesprochen anzunehmen scheint, dass sich darin vor<br />

allem junge Männer „empören“. Kuhla nahm diesen Ball auf <strong>und</strong> wiederholte erneut<br />

die Forderung seines Vereins, Männer müssten kapieren, dass die <strong>Gender</strong><br />

Fragen auch sie angingen. Er bezeichnete die „<strong>Gender</strong> Politik in Landes- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esparlamenten“<br />

als „Durchwinkprojekte“, wofür er unbequeme Unruhe aus dem<br />

Saal erntete.<br />

Ebeling war gegen Ende der Diskussion noch mal wichtig zu fragen, , was die<br />

„Perspektive― sei <strong>und</strong> was die „jungen Männer <strong>und</strong> Frauen wollen―? Dies nutzte<br />

Seite 18


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

der ansonsten teilnahmslose Amendt zu einem Schluss-Statement, in dem er eine<br />

Veränderung der Mentalitäten einforderte – bei Frauen <strong>und</strong> Männern, jedoch<br />

nicht ohne eine weitere, altbekannte Attacke auf „die Quote“ zu reiten. Seiner Auffassung<br />

nach gäbe es Widerstand dagegen bei jungen Männern <strong>und</strong> Frauen in der<br />

Wissenschaft, aus „Angst vor Verzerrung von Wettbewerb“ <strong>und</strong> der Unsicherheit<br />

darüber „was man selber wert ist“. 6<br />

Dass sich Amendt mit seinen Einstellungen in nicht so guter, alter Gesellschaft<br />

befindet, verdeutlichte ein weiterer Publikumsbeitrag: schon 1912 gründetet sich<br />

der „B<strong>und</strong> für die Bekämpfung der weiblichen Emanzipation“. Damals wie heute<br />

ist der Widerstand gegen die Quote <strong>und</strong> die Emanzipation der Frau also ein Widerstand<br />

von „zutiefst getroffenen Männern“, wie Allmendinger später in ihrem<br />

Schlussbeitrag feststellte.<br />

Albers ließ in seinem Abschlussstatement verlauten: „wer in den 70er Jahren nicht<br />

Feminist war, konnte kein Universalist sein – aber die Zeiten ändern sich“. Er sei<br />

„ermutigt durch [die Ministerin] Schröder―, die durchaus ein Bewusstsein habe,<br />

„dass wir in neuen Zeiten leben―. Hier wurde etwas herbei geredet, was sich weder<br />

im Verlauf der Diskussion noch durch Daten statistisch decken lässt <strong>und</strong> dessen<br />

Signifikanz über Stammtischniveau leider selten heraus kam. Daher erschien der<br />

Austragungsort WZB als Ort der Wissenschaft <strong>und</strong> nicht als Ort für eine schillernde<br />

R<strong>und</strong>e von Gästen mit höchstens Talkshow Niveau der gänzlich falsche Platz,<br />

um den vielleicht nicht ganz falschen Fragen mit den auf jeden Fall falschen Leuten<br />

nachzugehen. Das WZB hätte besser daran getan, eine wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte<br />

<strong>und</strong> rein forschungsbasierte Diskussion um beispielsweise die Möglichkeiten<br />

<strong>und</strong> bestehenden Umsetzungslücken der Strategie <strong>Gender</strong> Mainstreaming, die<br />

ausdrücklich Männer <strong>und</strong> Frauen miteinbezieht beziehungsweise adressiert, zu<br />

ermöglichen – ein Thema, das momentan trotz seiner Antworten auf alle oben genannten<br />

Gesellschaftsfragen leider keine Konjunktur zu haben scheint.<br />

„Das WZB hätte<br />

besser daran getan,<br />

eine<br />

wissenschaftlich<br />

f<strong>und</strong>ierte <strong>und</strong> rein<br />

forschungsbasierte<br />

Diskussion … zu<br />

ermöglichen.―<br />

Auf die Publikumsfrage an Alber, warum diese Veranstaltung denn sein musste,<br />

hatte er ungeachtet der seit langem geführten Abwehrkämpfen<br />

(Antifeminist_innen gegen <strong>Gender</strong>, feministische <strong>Gender</strong> Vertreter_innen gegen<br />

Antifeminist_innen) nur die Antwort parat, er sei froh, dass nun die Diskussion<br />

eröffnet sei, weil er „immer auf der Seite der Diskriminierungsopfer“ wäre. Er halte<br />

Agens im Übrigen nach eigenen Recherchen ausdrücklich nicht für einen<br />

„Männerkampfb<strong>und</strong>―. Das erstaunte neben Allmendinger auch das Publikum. Einige<br />

junge WZB-Doktorandinnen, die in ihren Redebeiträgen heftig gegen die<br />

Agens-„Argumente“ argumentierten, bekamen den „Kampfgeist“ des Vereins in<br />

seinem späteren Veranstaltungskommentar prompt zu spüren. Ihre Inhalte wurden<br />

pauschal als von „Jungfeministinnen“ stammend abgewertet - eine als Diffamierung<br />

gemeinte Adelung, die sich die jungen bewegten Frauen in Zeiten des ge-<br />

Seite 19


gender <strong>geblickt</strong><br />

fürchteten F-Wortes vermutlich nicht von sich aus angeheftet hätten.<br />

Allmendinger griff deren Steilpässe dankbar auf <strong>und</strong> lief schließlich, weil ihr das<br />

Schlusswort vorbehalten war, nach Aufforderung der Moderation „aufs leere Tor<br />

zu“ <strong>und</strong> „schoss ein“: Sie teile diese Meinung, dass Agens kein Männerkampfb<strong>und</strong><br />

sei, „ausdrücklich nicht“. Sie habe sich jedoch „nach langen Diskussion dafür ausgesprochen“,<br />

diese Veranstaltung durchzuführen - weil: „Wir haben so w<strong>und</strong>erbare<br />

Argumente; niemand will sie hören“. Sie vergaß auch nicht zu erwähnen, dass sie<br />

sich im Vorfeld „angemacht“ fühlte <strong>und</strong> „als Ignorantin“ dargestellt wurde. Sie<br />

sieht somit „die Gefahr eines Backlashs“ durchaus als gegeben. Ihr Ergebnis der<br />

Veranstaltung sei, „dass wir hier es mit Gefühlslagen zu tun haben, die empirisch<br />

nicht belegt sind“.<br />

„ … Aufbau des<br />

heterosexuellen<br />

Familienstaats.―<br />

Das „Schweigen der Männer“ erwies sich also als viel altbekannter <strong>und</strong> altbackener<br />

Lärm um nichts – nur schade, dass diesem „nichts“ so viel Raum <strong>und</strong> (bezahlte<br />

Arbeits-)Zeit von WZB-Mitarbeiter_innen eingeräumt wurde. Das wahre Schweigen<br />

fand hingegen an ganz anderen Orten statt: die weiße, heteronormative Mittelstands-<br />

beziehungsweise Oberschichtskonstruktion von Gleichstellungsthemen<br />

wie Frauen in Führungspositionen verw<strong>und</strong>erte scheinbar nur den Autor dieses<br />

Artikels <strong>und</strong> niemanden der Anwesenden. Nicht ein Publikums- oder Redebeitrag<br />

befasste sich mit der „natürlich“ heterosexuellen <strong>und</strong> gegengeschlechtlichen Paarkonstruktion,<br />

plus oder minus Kinder, als Basis für Familien- <strong>und</strong> Rentenmodelle.<br />

Was sonderbar ist, denn die vollkommene Gleichstellung gleichgeschlechtlicher<br />

Partnerschaften beispielsweise auch im Steuer- <strong>und</strong> Rentenwesen, ist ein aktueller<br />

Streitpunkt der schwul-lesbischen Emanzipationsbewegung, genauso wie die ökonomische<br />

<strong>und</strong> steuerliche Doppeldiskriminierung von lesbischen Frauen, die einmal<br />

als Frauen, <strong>und</strong> zweitens weil sie in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften<br />

leben, statistisch benachteiligt sind. Hier wurde die Chance zu einer wahrhaft inklusiven<br />

Gleichstellungsdebatte <strong>und</strong> Allianzenbildung vergeben. Dabei hätten Allmendingers<br />

Renten-Statistiken diese zusätzlichen intersektionalen Schlussfolgerungen<br />

unterstützt, ohne neue Informationen in die Diskussion einfließen lassen<br />

zu müssen. Es wäre für sie ein Einfaches gewesen, das Thema Frauenarmut <strong>und</strong><br />

die finanzielle Abhängigkeit von Männern, beruhend auf der fortgesetzten Arbeitsmarktdiskriminierung<br />

von Frauen, in Bezug zu Debatten um den Abbau des Sozialstaats<br />

statt Aufbau des heterosexuellen Familienstaats zu setzen. Bedauerlich<br />

zudem, dass Allmendinger keine der vielen Statistiken zur Hand hatte, die belegen,<br />

dass Migrationshintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong>/oder nicht-weiße Hautfarbe zwar, wie von Alber<br />

behauptet, massiv zu rassifizierten Ungleichheiten führen – diese Ungleichheiten<br />

aber jeweils von Männern <strong>und</strong> Frauen unterschiedlich <strong>und</strong> vor allem unterschiedlich<br />

gravierend erlebt werden. Solche Bef<strong>und</strong>e sind ohne weiteres auch auf die fortgesetzte<br />

Benachteiligung von Behinderten <strong>und</strong> allen weiteren Ungleichheitskatego-<br />

Seite 20


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

rien in unserer Gesellschaft übertragbar <strong>und</strong> hätten Albers fehlendem Intersektionalitätsverständnis<br />

sicher auf die Sprünge geholfen. Und zuletzt: wer spricht in<br />

trans-nationalen, trans-feministischen, trans-gender Zeiten eigentlich nur noch<br />

von Männern <strong>und</strong> Frauen, wenn selbst b<strong>und</strong>esdeutsche Stammtische durch Sportidole<br />

wie Caster Semenya mitgekriegt haben: es gibt mehr als zwei Geschlechter.<br />

Hier schwiegen sich die anwesenden polarisierenden <strong>und</strong> polarisierten Männer<br />

wie Frauen aus. Zwischengeschlechtliches <strong>und</strong> Zwischentöne waren nicht auszumachen.<br />

_______________<br />

Foto: URBAN ARTefakte, flickr,<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0<br />

Generic (CC BY-NC 2.0)<br />

1 Vgl. Artikel über Agens e.V. <strong>und</strong> zur maskulinistischen Männerrechtsbewegung, die sich in<br />

der Nähe des rechtsradikalen Spektrums bewegt von Gesterkamp, Thomas: Die Männer-<br />

Rechte, in: taz vom 08.03.2010, http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?<br />

ressort=sw&dig=2010%2F03%2F08%2Fa0045&cHash=39316109bf (zuletzt aufgerufen am<br />

12.07.2011).<br />

2 Vgl. Alber, Jens: Doppelstandards der Gleichstellung, in: faz vom 25.03.2011, http://<br />

www.faz.net/artikel/C31373/geschlechterdebatte-doppelstandards-der-gleichstellung-<br />

30331636.html (zuletzt aufgerufen am 12.07.2011).<br />

3 Vgl. Sauerbrey, Anna: Jungs – das neue schwache Geschlecht, im: Tagesspiegel vom<br />

27.12.2009, http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/jungs-das-neue-schwachegeschlecht/1654424.html<br />

(zuletzt aufgerufen am 12.07.2011).<br />

4 <strong>Gender</strong> Mainstreaming erweitert bisherige getrennte Ansätze in der Frauen- <strong>und</strong> Männerpolitik<br />

mit dem Ziel, die Perspektive des Geschlechts (engl. „<strong>Gender</strong>“), in die Gleichstellungspolitik<br />

einzubinden <strong>und</strong> Gleichstellung als Querschnittsaufgabe aller Akteure zu verankern.<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming will aufgr<strong>und</strong> der bestehenden Gleichstellungslücken de facto für<br />

Gleichstellung sorgen, weswegen es als internationale Strategie 1995 auf der 4. Weltfrauenkonferenz<br />

in Peking eingeführt wurde. 1999 fand es Eingang in den EU-Vertrag von Amsterdam.<br />

Die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland folgte den europarechtlichen Vorgaben <strong>und</strong> beschloss<br />

als gleichzeitiger Unterzeichnerstaat des Abschlussprotokolls der Pekinger Weltfrauenkonferenz<br />

<strong>Gender</strong> Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip des Verwaltungshandelns. Seit<br />

2000 verpflichtet § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der B<strong>und</strong>esministerien (GGO) zur<br />

Beachtung des Gleichstellungszieles bei allen politischen, normgebenden <strong>und</strong> verwaltenden<br />

Maßnahmen, vgl. http://www.genderkompetenz.info/genderkompetenz-2003-2010/<br />

gendermainstreaming/Strategie (zuletzt aufgerufen am 12.07.2011).<br />

5 <strong>Gender</strong> Mainstreaming sieht ausdrücklich eine Doppelstrategie vor: d.h. neben der Arbeit an<br />

den Geschlechterverhältnissen zwischen <strong>und</strong> mit Männern <strong>und</strong> Frauen, ist Frauenförderung<br />

als Förderung des nach wie vor strukturell überwiegend benachteiligten Geschlechts explizit<br />

erlaubt <strong>und</strong> vorgesehen.<br />

6 Aktuelle Befragungen zur Haltung gegenüber der gesetzlichen Einführung der Frauenquote<br />

widersprechen klar dem von Amendt gezeichneten Bild. Zum Beispiel erbrachte eine vom<br />

Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL im Januar 2011 in Auftrag gegebene <strong>und</strong> vom <strong>Institut</strong><br />

TNS Forschung durchgeführte Umfrage, dass 49% der insgesamt befragten Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen vor allem auf berufliche Benachteiligung<br />

zurückführt <strong>und</strong> 39% der Meinung waren, dass für Frauen Kinder <strong>und</strong> Karriere schlicht<br />

nicht vereinbar seien. Gemäß einer im Juni 2011 durchgeführten Umfrage des Marktforschungsinstituts<br />

Aris für den Branchenverband Bitkom waren 55% der Frauen selbst für <strong>und</strong><br />

nur 40% gegen eine Quote. Die Gesamtbevölkerung stimmte in derselben Erhebung mit 51%<br />

etwas weniger, aber immer noch mehrheitlich für die Quote, 43% lehnten sie ab. Dabei wollen<br />

besonders junge Frauen zwischen 14 <strong>und</strong> 29 Jahren ganz stark eine gesetzlich vorgeschriebene<br />

Frauenquote: satte 72% aller jungen Frauen sprachen sich dafür, nicht einmal 28% dagegen<br />

aus. Die gemeinschaftliche Befragung junger Frauen <strong>und</strong> Männer im Alter zwischen 14<br />

<strong>und</strong> 29 Jahren erbrachte zwar mit 68% erneut eine abgeschwächte, aber immer noch deutliche<br />

Mehrheit für die Quote, wohingegen sich nur 30% der Generation 65+ in derselben<br />

Seite 21


gender <strong>geblickt</strong><br />

Umfrage damit anfre<strong>und</strong>en konnten.<br />

Weitere Artikel über diese Veranstaltung:<br />

Baureithel, Ulrike: Ausweitung der Debatierzone. In: Der Freitag vom 28.06.2011,<br />

http://www.freitag.de/datenbank/freitag/2011/25/ausweitung-derdebattierzone/print<br />

(zuletzt aufgerufen am 12.07.2011).<br />

Dernbach, Andrea: Geschwächte Geschlechter. In: Der Tagesspiegel vom<br />

29.06.2011, http://www.tagesspiegel.de/politik/geschwaechtegeschlechter/4330804.html<br />

(zuletzt aufgerufen am 12.07.2011).<br />

Lesben-Geschichte-Frauen-<br />

Bewegung ...<br />

Von Ilona Scheidle<br />

„Nun soll lesbische<br />

Existenz explizit<br />

benannt <strong>und</strong> nicht<br />

wie in der<br />

Aufbruchszeit üblich<br />

‚mitgemeint„ …<br />

werden.―<br />

Am 13. September 1968 begann in Westdeutschland die Neue Frauenbewegung.<br />

Initiiert wurde die Herausbildung der Frauenbewegung durch gezielte Würfe einiger<br />

Suppentomaten. Handlungsort des Geschehens war die 23. Delegiertenkonferenz<br />

des SDS (Sozialistischer Studentenb<strong>und</strong> Deutschlands) in Frankfurt. Akteurin<br />

war die hochschwangere Berliner Delegierte Sigrid Damm-Rüger. Mit ihrem spektakulären<br />

Tomatenwurf erzwang sie einerseits die öffentliche Diskussion der Rede<br />

vom Berliner Aktionsrat zur Befreiung der Frau <strong>und</strong> demaskierte andererseits ihre<br />

Genossen als patriarchale Machos, die zwar eine herrschaftsfreie Gesellschaft propagierten,<br />

sich zu Hause aber als Paschas aufführten <strong>und</strong> den Frauen die Kindererziehung<br />

bzw. die Reproduktionsarbeit im umfassenden Sinne einer emotionalen,<br />

geistigen <strong>und</strong> psycho-sozialen Regeneration überließen.<br />

Als alternative Datierung für die feministische Geburtsst<strong>und</strong>e kursiert der 6. Juni<br />

1971. Die spektakuläre Aktion „Wir haben abgetrieben!― setzt mit Blick auf das<br />

Prinzip der Selbstorganisation (von <strong>und</strong> für Frauen) den Auftakt der Frauenbewegung<br />

auf diese Chronologie. Nach französischem Vorbild klagten sich 374 Frauen<br />

öffentlich der Abtreibung an <strong>und</strong> forderten „keine Almosen vom Gesetzgeber <strong>und</strong><br />

keine Reform auf Raten, [sondern] die ersatzlose Streichung des § 218.“<br />

Seite 22<br />

Den beiden Eckdaten gemeinsam ist, dass Frauen nach dem Prinzip der Selbstbestimmung<br />

handelten – autonom agierten. Gemäß der griechischen Bedeutung von<br />

autos nomos, griffen Frauen nach ihren eigenen Gesetzen in die Welt ein, in der sie<br />

lebten. Soviel „basics“ zum Thema „Frauenbewegung“. Nun soll lesbische Existenz<br />

explizit benannt <strong>und</strong> nicht wie in der Aufbruchszeit üblich „mitgemeint“, „mitge-“


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

dacht“ <strong>und</strong> „vergessen“ werden. Sie soll als Movens der Frauenbewegung, die -<br />

nach Helke Sander - mindestens so bedeutsam ist, wie die Entdeckung der Erde als<br />

Kugel, sichtbar sein.<br />

Ohne Lesben keine Frauenbewegung<br />

Ein eindeutiges Fanal für die westdeutsche Lesbenbewegung gibt es nicht;<br />

„irgendwann zwischen 1992 <strong>und</strong> 1995, je nach regionalem Standort <strong>und</strong> politischer<br />

Sicht [...] wird des 20jährigen Bestehens der Lesbenbewegung gedacht.“ schrieben<br />

Kathrin Lahusen <strong>und</strong> Anke Schäfer 1995 in ihrem Lesbenjahrbuch 1. Als Eckdaten<br />

gelten: Februar 1972, als Frauen eine „schwule Frauengruppe“ in der<br />

„Homosexuellen Aktion Westberlin― (HAW) bildeten. Denn lesbisch lebende Frauen<br />

sahen zu Beginn der politischen Offensive mehr Gemeinsamkeiten mit schwulen<br />

Männern (Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Lebensweise), als mit heterosexuell<br />

lebenden Frauen. Erste (inter)nationale Assoziationen entstanden. Der<br />

17. Februar 1973 ist das Datum, als Lesben erstmals mit ihren Forderungen auf die<br />

Straße zu gehen wagten. An sechs zentralen Berliner Plätzen verteilte eine Gruppe<br />

von Lesben ihr Flugblatt „Die Verbrechen an den lesbischen Frauen“. Damit initiierten<br />

sie den Beginn mehrjähriger Protestaktionen unterschiedlichster Façon gegen<br />

die verleumderische Berichterstattung im Strafprozess gegen die lesbischen<br />

Frauen Marion Ihns <strong>und</strong> Judy Anderson, die der Anstiftung zum Mord am Ehemann<br />

Ihns angeklagt waren. Im „Hexenprozess von Itzehoe“ wurde nicht der<br />

Straftat, sondern der lesbischen Liebe der Prozess gemacht, wogegen couragiert<br />

vorgegangen wurde: “Wir Frauen protestieren gegen die Verketzerung der weiblichen<br />

Homosexualität [...] Sachliche Informationen können nur von den Betroffenen<br />

selbst erbracht werden – <strong>und</strong> nicht von irgendwelchen ‚Wissenschaftlern„ <strong>und</strong><br />

Lohnschreibern der Boulevard-Presse“.<br />

In manchen Kreisen beginnt die Zeitrechnung im Sommer 1973 – mit Femø, dem<br />

internationalen Lesbentreffen auf der romantischen Insel in der dänischen Ostsee,<br />

der Sommerfrische <strong>und</strong> vor allem der feministischen Wissensbörse. Andere datieren<br />

mit Pfingsten 1974, als das Lesbenfrühlingstreffen (LFT) das Motto<br />

„Homosexuelle Frauen – von der Vereinzelung zur Organisation― führte <strong>und</strong> den<br />

Lehrsatz der amerikanischen Radikalfeministin Ti Grace Atkinson „Feminismus<br />

die Theorie – Lesbianismus die Praxis“ in Westberlin rege Kontroversen provozierte<br />

<strong>und</strong> weitere Übersetzungsfehler passierten. 1975 hatte das LAZ (Lesbische Aktionszentrum),<br />

so hatte sich die HAW-Frauengruppe umbenannt, eigene Räume.<br />

„In manchen<br />

Kreisen beginnt die<br />

Zeitrechnung im<br />

Sommer 1973 – mit<br />

Femø, dem<br />

internationalen<br />

Lesbentreffen auf<br />

der romantischen<br />

Insel in der<br />

dänischen Ostsee …―<br />

Die radikalpolitische Lesbenbewegung spaltete sich von der Schwulenbewegung ab<br />

<strong>und</strong> förderte die allgemeine feministische Gesellschaftskritik; gegen Ende der 70er<br />

Jahre führte Patriarchatskritik zum Ablösen von der Frauenbewegung, obschon<br />

diese oftmals substantiell von Lesben getragen war: in Frauenzentren, Arbeitsge-<br />

Seite 23


gender <strong>geblickt</strong><br />

meinschaften, Beratungsstellen §218, Frauenhäusern, Ges<strong>und</strong>heits-, Mütter- <strong>und</strong><br />

anderen Zentren. Die separierenden Motivationen waren Sichtbarkeit <strong>und</strong> den<br />

Lesbenstandpunkt an kritisierten patriarchalen Gegebenheiten herauszufinden,<br />

um aus diesem Blickwinkel heraus Veränderungen zu initiieren. Ein tiefes Verständnis<br />

für <strong>und</strong> von „diversity“, der Unterschiedlichkeit im Sinne von Verschiedenheit<br />

<strong>und</strong> Vielfalt, ist ein fruchtbares Ergebnis der auch als „Schwesternstreit“<br />

bekannt gewordenen Auseinandersetzungen zwischen Lesben <strong>und</strong> Heteras.<br />

Und schließlich veröffentlichte Verena Stefan 1975 „Häutungen“, das erste explizit<br />

„lesbische― literarische Werk im Kontext der neuen deutschen Bewegung. Mit<br />

„Häutungen― begann eine vitale „lesbische― Kulturproduktion in sämtlichen Sparten<br />

künstlerischer Metiers, deren Rezeption das Coming Out vieler Lesben begleitet(e).<br />

Lesben Hier <strong>und</strong> Überall<br />

„Lesben Hier <strong>und</strong><br />

Überall― die<br />

uneingeschränkte<br />

geographische <strong>und</strong><br />

chronologische<br />

Präsenz lesbischer<br />

Existenz.―<br />

„Lesben Hier <strong>und</strong> Überall― – dies proklamierten tausende von Lesben in der Heidelberger<br />

Altstadt. Die Affirmation des Lesbenfrühlings von 1994 kann - m. E.<br />

flüchtig verstanden – geographisch gelesen werden; ebenso kann sie den zeitlichen<br />

Aspekt implizieren - ein Jederzeit. Demnach verkündete „Lesben Hier <strong>und</strong> Überall“<br />

die uneingeschränkte geographische <strong>und</strong> chronologische Präsenz lesbischer<br />

Existenz.<br />

Folgen wir den Überschriftsthemen <strong>und</strong> fragen nach Lesben in der Geschichte;<br />

fragen, was die galileische Wende Frauenbewegung für eine/unsere Geschichtsarbeit<br />

VOR ORT bedeutet. Und ganz konkret, wie „lesbische Existenz“ (Adrienne<br />

Rich) im historischen Prozess sichtbar gemacht werden kann.<br />

Hierzu ist es hilfreich sich die Einladungskarte zum Lesbenfrühlingstreffen in Heidelberg<br />

zu vergegenwärtigen. Weltbekannt ist die romantisch am Berg liegende<br />

Schlossruine, die Stadt am Fluss mit der barocken Alten Brücke. Auf diesen quasi<br />

universalen Postkartenblick griffen die Organisatorinnen des 20. Treffens zurück,<br />

als sie die lesbische community begrüßten. Das Transparent mit der Aufschrift<br />

„Lesbenfrühling―, das sie an die Brüstung der Alten Brücke befestigten, machte<br />

sichtbar, was allgemein unsichtbar ist: lesbische Existenz in der Stadtgeschichte.<br />

Und wenn der betrachtende sich zum sehenden Blick wandelt, kann erkannt werden,<br />

dass die Vorlage „andersrum“ ist. Will sagen: Ein „anderer Blick“ auf die Geschichte<br />

macht sie sichtbar - „lesbische Existenz“. Selbst in Heidelberg kann sie als<br />

historisches Faktum nachgezeichnet werden, obgleich die Stadt keineswegs als<br />

Metropole oder Zentrum lesbischer Subkultur gilt.<br />

Seite 24


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Heterozentrismus überwinden – lesbische Existenz finden...<br />

1986 förderten Baumaßnahmen für eine Tiefgarage mittelalterliche Mauerreste am<br />

Kornmarkt zu Tage. Umfangreiche Grabungen sicherten den überraschenden<br />

F<strong>und</strong> in der Kernaltstadt. Unter anderem wurde ein Spitalfriedhof geborgen, der<br />

vom ausgehenden 13. bis zum ersten Drittel des 15. Jahrh<strong>und</strong>erts genutzt worden<br />

war. Insgesamt konnten ca. 270 Bestattungen von geschätzten 700 bis 900 Grabstellen<br />

erfasst werden.<br />

Aus diesem Material zeigte ein Einzelgrab aus dem 14. Jahrh<strong>und</strong>ert deviante Bef<strong>und</strong>e,<br />

die im Grabungsbericht folgenderweise festgehalten wurden: „Unter den<br />

üblichen Einzelgräbern fällt Grablege 45 auf. Hier ruhen zwei Skelette in einem<br />

Sarg. Es liegt jedoch keine Doppelbestattung im eigentlichen Sinne vor, bei der die<br />

Verstorbenen gleichzeitig ins Grab gebettet wurden. Vielmehr begrub man die<br />

oben liegende Leiche in einem schon vorhandenen Grab, [...] die zweite Beerdigung<br />

[fand] in einem gewissen, jedoch nicht allzu großen zeitlichen Abstand zur<br />

ersten statt [...]. Nachbestattungen später verstorbener Ehegatten in das Grab des<br />

vorangegangenen Partners sind bekannt. Bei den beiden Skeletten aus Grab 45<br />

handelt es sich jedoch um zwei zum Zeitpunkt ihres Todes etwa 30jährige Frauen."<br />

Der untypische Bef<strong>und</strong> gibt zu denken; der offizielle Grabungsbericht schließt folgenderweise:<br />

"Die abschließende anthropologische Untersuchung mag klären helfen,<br />

welcher Art die wahrscheinlich verwandtschaftliche Beziehung (Geschwister,<br />

Zwillinge?) der beiden Frauen war."<br />

Ohne die Möglichkeit einer empirischen Überprüfung, legt dieses Ergebnis die Beziehung<br />

der beiden verstorbenen Frauen aus Grablege 45 auf enge verwandtschaftliche,<br />

genauer auf blutsverwandte Bezüge fest. Es stellt sich die Frage, ob das Grabungsteam<br />

keine anderen Beziehungen zwischen den beiden Frauen sehen konnte<br />

oder wollte?<br />

„Selbstverständlich<br />

verhindert das<br />

historische<br />

Handwerkszeug die<br />

weib-weibliche<br />

Grablege als<br />

Lesbengrab zu<br />

interpretieren.―<br />

Selbstverständlich verhindert das historische Handwerkszeug die weib-weibliche<br />

Grablege als Lesbengrab zu interpretieren. Lesbe ist eine Sprachschöpfung der<br />

Neuen Frauenbewegung <strong>und</strong> drückt die Abkehr von der sexualwissenschaftlich<br />

definierten Lesbierin hin zur selbstbestimmten Frau aus. Moderne Begrifflichkeit<br />

auf mittelalterliche Phänomene zu übertragen wäre ahistorisch. Allerdings wirkt<br />

sich die obengenannte öffentlich legitimierte Interpretation für die Geschichtswissenschaft<br />

reduzierend aus. Schließlich werden hier menschliche Beziehungen aus<br />

heteronormativer Sicht heraus im Rahmen des dual <strong>und</strong> polar konstruierten Systems<br />

von Zweigeschlechtlichkeit <strong>und</strong> dessen Familiengefüges angesiedelt. Die Kategorie<br />

Heterozentrismus produktiv nutzbar zu machen heißt, lesbische Existenz<br />

als Deutungsoption heranzuziehen.<br />

Seite 25


gender <strong>geblickt</strong><br />

... wie ein Sechser im Lotto – allerdings ohne jemals Lotto gespielt zu<br />

haben<br />

Im Jahr 2000 erhielt Anke Schäfer das B<strong>und</strong>esverdienstkreuz. „Um Gottes Willen,<br />

was habe ich falsch gemacht?!“ war deren erste Reaktion auf die angekündigte exklusive<br />

Ehrung. Schließlich sieht sie sich der autonomen Frauen- <strong>und</strong> Lesbenbewegung<br />

zugehörig <strong>und</strong> der Staat war für sie meist das, was es zu kritisieren <strong>und</strong> zu<br />

bekämpfen galt. In ihrer Rede zur Verleihung blieb sie in kritischer <strong>und</strong> humorvoller<br />

Distanz. Sie stellte fest, weder zum Wiederaufbau des „Vaterlandes“ beigetragen<br />

zu haben, noch jemals als „Inhaber“ des B<strong>und</strong>esverdienstkreuzes bezeichnet zu<br />

werden, wie es lexikalisch definiert sei. Daß sie den Orden dennoch erhalte, dieser<br />

Akt, sei mit einem Sechser im Lotto vergleichbar – allerdings ohne jemals Lotto<br />

gespielt zu haben.<br />

„Im Jahr 2000<br />

erhielt Anke Schäfer<br />

das B<strong>und</strong>esverdienst<br />

-kreuz. ‚Um Gottes<br />

Willen, was habe ich<br />

falsch gemacht?!‗―<br />

In der Laudatio würdigte die hessische Sozialministerin das Lebenswerk Schäfers:<br />

ihr Engagement für die Förderung <strong>und</strong> Verbreitung von Frauenliteratur, ihr Engagement<br />

in der Frauenbewegung <strong>und</strong> die Gründung der Stiftung SAFIA, die Selbsthilfe<br />

alleinstehender Frauen im Alter. Keinen Hinweis wurde von offizieller Seite<br />

aus auf Schäfers lesbische Lebensweise gegeben, die zweifelsohne eine wichtige<br />

Motivation für ihr Lebenswerk darstellt. Ein Manko, das von anderer Seite aus<br />

rasch <strong>und</strong> präzise behoben wurde. Schäfer selbst entwickelte durch einen Vergleich<br />

mit dem legendären Tomatenwurf von 1968 Perspektiven für die Zukunft: „Ich<br />

mag Tomaten sehr ... – Dass mir heute das B<strong>und</strong>esverdienstkreuz verliehen wird<br />

hat vielleicht zu bedeuten, dass ab heute das Frauenleben leichter wird. Ich wünsche<br />

es mir sehr. Sonst, so könnt ihr mir glauben, hätte ich lieber sechs Richtige im<br />

Lotto gehabt...“ Wie Anke Schäfer am 4.05.2000 in Wiesbaden verlautete.<br />

Geschichte belesben<br />

Geschichte „belesben“ ist eine Wortschöpfung <strong>und</strong> Methode. Sie rekrutiert Mary<br />

Dalys Philosophie, die für den Ausdruck weiblicher Existenz <strong>und</strong> Handlungsmöglichkeiten<br />

sprachlich das Aktivum im Superlativ zu nutzen fordert. Auf stadthistorisches<br />

Arbeiten bezogen heißt sie „lesbische Existenz“ nicht als Randerscheinung<br />

oder weniger „natürliches“ Phänomen, noch als bloße „sexuelle Vorliebe“ oder Abklatsch<br />

entweder hetero- oder homosexueller Beziehungen zu begreifen, sondern<br />

als „allgegenwärtige Energie, die sich im ‚Teilen, Mitteilen von Freude – körperlicher,<br />

emotionaler oder psychischer Freude„ <strong>und</strong> in gemeinsamer Arbeit ausdrückt;<br />

als machtverleihende Freude, die uns ‚weniger willens (macht), Ohnmacht [...] zu<br />

akzeptieren„“, Wie es Adrienne Rich in ihrem klassischen Aufsatz zum lesbischen<br />

Kontinuum formulierte. Als Methode reflektiert Geschichte „belesben“ Formen<br />

lesbischer Existenz, die es zu historisieren gilt.<br />

Seite 26


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Sie fördert durch die Arbeit mit (Stadt)Geschichte die Herausbildung eines feministischen<br />

Bewusstsein, das nach Gerda Lerner die Einsicht weckt, dass Frauen<br />

einer untergeordneten Gruppe angehören, dass sie als Gruppe unter Missständen<br />

leiden; dass ihr untergeordneter Status nicht naturbedingt, sondern gesellschaftlich<br />

produziert ist; dass sie sich mit anderen Frauen zusammentun müssen, um die<br />

Missstände abschaffen zu können; <strong>und</strong> dass sie eine Gegenvision von einer gesellschaftlichen<br />

Ordnung erarbeiten können <strong>und</strong> müssen, in der Frauen Autonomie<br />

<strong>und</strong> Selbstbestimmung zusteht.<br />

Geschichte belesben ist ein aktiver Akt, der die forschende Person herausfordert —<br />

beim Forschen, Vermitteln <strong>und</strong> beim Selbstverständnis als Historikerin <strong>und</strong> Historiker.<br />

Der Ansatz beabsichtigt keinen „lesbischen Imperialismus“ <strong>und</strong> keine neue<br />

Bindestrichgeschichte, als Addition von Lesben zur Frauen- <strong>und</strong> Geschlechtergeschichte.<br />

Vielmehr eröffnet Geschichte belesben eine konstruktive Revision gängiger<br />

Sichtweisen. Sie ist dynamisch, prozessual <strong>und</strong> interaktiv. Sie lohnt mit dem<br />

Mehr an Wissen um die Vielfalt menschlicher Zeugnisse in der Geschichte.<br />

Der Beitrag ist eine überarbeitete Fassung von Scheidle, Ilona (2001): „Lesben,<br />

Geschichte, Frauenbewegung _ Hier? – Vor Ort! In: Giesecke, Una/ Miss Marples<br />

Schwestern (Hg.): Frauenbewegung <strong>und</strong> –projekte in Ost <strong>und</strong> West – Anspruch<br />

<strong>und</strong> Bilanz. Dresden, S. 34-39.<br />

Weitere Literaturhinweise:<br />

Scheidle, Ilona (2004): „Geschichte belesben“ – Frauenstadtr<strong>und</strong>gänge in Heidelberg.<br />

In: Kathrin Boshard-Pfluger et al. (Hg.): Wissen <strong>und</strong> Geschlecht. Dokumentation<br />

der 10. Schweizerischen HistorikerInnentagung. Zürich, S.<br />

407–421.<br />

Scheidle, Ilona (2004): Alles gender oder was? Geschlechterkonstruktion im wissenschaftlichen<br />

Diskurs. In: Zentrum für Frauengeschichte (Hg): Vermitteln<br />

<strong>und</strong> vermarkten – Neue Methoden der Vermittlung von Frauen- <strong>und</strong><br />

Geschlechtergeschichte im Eventzeitalter. Oldenburg.<br />

„Geschichte belesben<br />

ist ein aktiver Akt,<br />

der die forschende<br />

Person<br />

herausfordert —<br />

beim Forschen,<br />

Vermitteln <strong>und</strong> beim<br />

Selbstverständnis<br />

als Historikerin <strong>und</strong><br />

Historiker.―<br />

Scheidle, Ilona (2004): Durch Bewegung zur Performanz – Miss Marples Schwestern<br />

– Netzwerk zur Frauengeschichte vor Ort. In: Nin Feltz, Julia Koppke<br />

(Hgg.): Netzwerke. Formen. Wissen. Vernetzungs- <strong>und</strong> Abgrenzungsdynamiken<br />

der Frauen- <strong>und</strong> Geschlechterforschung. Münster, S. 211–221.<br />

Scheidle, Ilona (2006): Heidelbergerinnen, die Geschichte schrieben. München.<br />

Antifeminismus 1975<br />

Foto: jpolowin, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)<br />

Seite 27


gender <strong>geblickt</strong><br />

BERICHTE UND ERLÄUTERUGEN ZUR<br />

FOTOARBEIT VON MORITZ UNGER<br />

Von Moritz Unger<br />

„So entlehnen die Waren ihre ästhetische Sprache beim Liebeswerben der<br />

Menschen. Dann kehrt das Verhältnis sich um, <strong>und</strong> die Menschen entlehnen<br />

ihren ästhetischen Ausdruck bei den Waren.“ 1 (Wolfgang Fritz Haug)<br />

Abschied von Hanoi<br />

Der Himmel ist grau, das Taxi rast, sich dauerhupend an Mopeds vorbeischlängelnd,<br />

auf dem Flughafenzubringer gen Airport Noi Bai. Wer hupt, hat Vorfahrt;<br />

wer größer ist, nimmt Rücksicht – außer den Bussen: Gr<strong>und</strong>regeln einer Art organisierten<br />

Anarchie im Straßenverkehr Hanois. Der Him­mel über Hanoi ist meist<br />

grau. Wochen­lang sieht man nicht die Sonne. Aber es ist kein Grau, das melancholisch<br />

stimmen würde, es ist ein helles diffuses Grau, wie das Standlicht einer<br />

Softbox in einem Fotostudio. Heute ist das Grau anders. Schon früh ist Wind aufgekommen<br />

<strong>und</strong> es braut sich ein Gewitter zusammen. Auch Gewitter sind nichts<br />

Ungewöhnliches – es gibt sie täglich – aber es ist viel zu früh. Normalerweise entlädt<br />

sich die drückende Schwüle des Tages erst am Abend in einem reinigenden<br />

Gewitterguss, der die feuchte Hitze <strong>und</strong> die verdreckte Luft, deren Staub sich über<br />

den Tag in alle verschwitzten Poren gesetzt hat, über Nacht vergessen lässt. „Wie<br />

viel bis Airport?“ „300.000 Dong.“ „Nein 200.000, es kostet sonst immer 200.000<br />

Dong!“ Diskussionen über sechsstellige Summen, die eigentlich nur ein paar Euros<br />

sind. Für uns geht es ums Prinzip, für den Fahrer um einen satten Tagesverdienst,<br />

vielleicht um Existenzielles.<br />

Die Flughafenautobahn schlägt eine Schneise durch die im satten Grün stehenden<br />

Reisfelder. Der junge Reis hat ein besonderes Grün, ein frisches Lindgrün. Sehr<br />

intensiv, wenn der Himmel, wie meist, diffus grau ist. Nun, in Erwartung des Gewitters,<br />

ist das Grün eher dunkel <strong>und</strong> satt. Reisanbau ist hier Handarbeit. Mühevoll<br />

bestellen die Bäuerinnen, barfuss durch das Wasser watend, die Felder. Wie<br />

seit Jahrh<strong>und</strong>erten. Traditionell schützen sie ihre Häupter mit den typischen koni-<br />

Seite 28


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

schen Reisstrohhüten vor der leicht unterschätzten Intensität der nicht zu sehenden<br />

Sonne. Wie ihre Vorfahren nutzen sie keine Maschinen zum Pflügen, sondern<br />

vertrauen auf die stoische Kraft ihrer Wasserbüffel.<br />

Und in all dieser Tradition stehen sie wie UFOs auf kleinen Betoninseln in den<br />

Wasserzellen der Reisfelder: riesige Billboards. Sie preisen eine andere Welt an.<br />

Sie sind wie Brückenpfeiler des Molochs Hanoi, der immer mehr, immer schneller<br />

in die Breite wächst, Dörfer <strong>und</strong> Nachbarstädtchen verschluckt. Die Reisfelder verschwinden<br />

nach <strong>und</strong> nach, um den Fabriken, den Malls, den Hochhäusern, den<br />

Golfplätzen <strong>und</strong> Retortensiedlungen Platz zu machen. Ich glaube nicht, dass die<br />

UFOs als Fre<strong>und</strong>e kommen. Ich kenne ihre Anpreisungen. Ich komme aus ihrer<br />

Welt, bin ein Alien in Vietnam. „Lassen Sie uns raus, 300.000 Dong zahlen wir<br />

nicht, es kostet immer 200.000.“ Der Fahrer schweigt, zeigt keine Emotionen, er<br />

hupt <strong>und</strong> rast. Rechts <strong>und</strong> links fliegen die bedrohlich über den Reisfeldern stehenden<br />

Billboards vorbei. Gerade weil ich aus ihrer Welt komme, stimmen sie<br />

mich melancholisch. „Sie gehören hier einfach nicht her“, denke ich.<br />

„Ich gehöre hier nicht her―, weiß ich <strong>und</strong> gerade das macht dieses Land so w<strong>und</strong>erbar.<br />

Die Billboards waren mir sofort bei meiner Ankunft auf der ersten Fahrt in die<br />

unbekannte Welt aufgefallen. „Die musst du fotografieren“, hatte ich mir vorgenommen.<br />

Seit ich in New York war, habe ich damit begonnen leere Plakatwände zu<br />

fotografieren <strong>und</strong> zu sammeln. Leere Plakate, die mit ihrer Leere die Leere ihrer<br />

Versprechungen, die Versprechungen unserer gar schrecklich nüchternen aufgeklärten<br />

Gesellschaft so eindeutig entlarven, aber einen auch unendlich alleine lassen.<br />

Leere Versprechen, die über der Fülle der Reisfelder stehen. Hier in Vietnam<br />

erscheint mir dieses Bild beinahe unerträglich stark, schließlich bin ich hier als<br />

Alien selbst ein Botschafter dieser leeren Versprechen.<br />

„„Ich gehöre hier<br />

nicht her‗, weiß ich<br />

<strong>und</strong> gerade das<br />

macht dieses Land<br />

so w<strong>und</strong>erbar.―<br />

Warum habe ich mich während der letzten drei Monate nicht auf das Moped gesetzt<br />

<strong>und</strong> bin zum Flughafen raus gefahren, um all diese drohende Leere zu dokumentieren?!<br />

Ich hatte Angst. Angst die Stadt zu verlassen <strong>und</strong> mich dem wahnsinnigen<br />

Verkehr auszusetzen, zwischen den niemals Rücksicht nehmenden Bussen<br />

über die Autobahn zu fahren, am Rand zu stoppen, um zu fotografieren. So Vieles<br />

war neu in Hanoi. So fremd, so bunt, so voll, dass ich die Leerplakate beinahe vergessen<br />

habe. So viel Neues, dass es in drei Monate gar nicht hineinpassen wollte.<br />

Ich lasse das Fenster herunter <strong>und</strong> fotografiere im Vorbeirauschen alle Billboards,<br />

die ich erhaschen kann. Schlechte Bilder. Verwackelt, verschwommen. Busse <strong>und</strong><br />

Laster fahren ins Bild. Ich ärgere mich maßlos. Zur Wut gesellt sich der Schmerz<br />

schon fahren zu müssen. Wann kommt man schon mal wieder ins w<strong>und</strong>erbare<br />

Vietnam? Wir zahlen 300.000 Dong.<br />

Seite 29


gender <strong>geblickt</strong><br />

Die Marilyn Hanois ist tot<br />

„Von Kabeln<br />

zerschnitten, so<br />

lehnte auch sie da.<br />

Hinter dem alten<br />

Wasserspeicher in<br />

der Quan Thanh<br />

Straße.―<br />

Sie war weg. Nicht dass ich es selber gesehen hätte, aber es wurde mir gesagt. Ich<br />

hatte darum gebeten mir ein zweites, ein besseres Foto von ihr zu schicken, aber<br />

vergebens. Als ich das erste Mal durch die engen Straßen der Hanoier Altstadt, mit<br />

ihren schmalen Häusern <strong>und</strong> den im Kolonialstil gehaltenen Fassaden, gelaufen<br />

war, sprang mir das unglaubliche Kabelgewirr ins Auge, das sich wie eine Fortsetzung<br />

des quirligen Treibens auf der Straße von Haus zu Haus hangelte. Bäume<br />

wurden in vietnamesischer Pragmatik zu Kabelmasten. Die Häuserfassaden von<br />

Kabelgewirr verschleiert. An Kreuzungen hingen die schwarz ummantelten Kupferkabel<br />

wie riesige düstere Spinnennetze über dem Geschehen. Manchmal so tief,<br />

dass ein höher gewachsener Europäer sich darin hätte verfangen können. Es war<br />

Abend <strong>und</strong> ich vom Flug noch benommen. Auf merkwürdige Art <strong>und</strong> Weise erinnerte<br />

mich die Atmosphäre an jene der künstlichen Hoteltempel von Las Vegas:<br />

Venetian, Paris, Innen <strong>und</strong> Außen verwischen dort in den riesigen Hotelhallen, in<br />

denen ganze Stadtteile mit Marktplätzen <strong>und</strong> Kanälen zusammengepfercht werden,<br />

zu einer Inszenierung des alten Paris, des alten Venedigs. Die Decken sind<br />

diffus beleuchtete Kuppeln, auf die Himmel <strong>und</strong> Wolken gepinselt wurden. Dort ist<br />

24 St<strong>und</strong>en lang ein wohltemperierter Sommerabend. Unwirklich <strong>und</strong> dumpf ist es<br />

in den dämmrigen Hotelhallen, in dem Abklatsch der Realität. Wie an diesem<br />

Abend in Hanois Altstadt. Die Fassaden, eng an eng zusammengerückt, <strong>und</strong> auch<br />

die Straßen auf enge Gassen reduziert. Das Leben spielt sich auf der Straße ab. Vor<br />

den Ladengeschäften, in denen zugleich gewohnt wird, werkelt man an Mopeds,<br />

kocht, spielt <strong>und</strong> trinkt. Dumpf klang das muntre Treiben, das Hupen des nicht<br />

abreißenden Stroms von Mopeds an diesem lauen Frühlingsabend. Von einer<br />

Dachterrasse aus, auf der wir uns zum Abendessen niedergelassen hatten, beobachtete<br />

ich die für mich so surreale Szenerie. Das hier war nicht Las Vegas, es war<br />

das Gegenteil, es war echt. Am Fenster auf der gegenüberliegenden Straßenseite<br />

stand ein Mann auf sein Knie gelehnt <strong>und</strong> rauchte eine Zigarette. Hinter ihm war<br />

der Raum bunt erleuchtet. Schwarze Kabelstränge, die vor dem Fenster hingen,<br />

zerschnitten seine Silhouette, negierten ihn, nahmen ihn gefangen. Es wirkte bedrohlich<br />

<strong>und</strong> inszeniert, aber auch sehr vertraut – surreal eben.<br />

Von Kabeln zerschnitten, so lehnte auch sie da. Hinter dem alten Wasserspeicher<br />

in der Quan Thanh Straße. Bestimmt 10 Meter hoch überragte sie in lasziver Pose<br />

den Kreisverkehr. Neben den überbordenden Blumenläden mit dem in Plastikmanschetten<br />

gefassten Blumenmeer. Direkt über dem Brautmodengeschäft. Sie<br />

erinnerte mich sofort an Marilyn. Wie in Bert Sterns Fotobuch The complete last<br />

sitting mit Marilyn Monroe war ihr Gesicht von Striemen zerschnitten, durch die<br />

sie dennoch kokettierend mit Liebesaugen herunter blickte.<br />

Monroe hatte sich diese W<strong>und</strong>en selber zufügt. Sie ließ sich die Negative des Fo-<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

toshooting für die Vogue von Stern zuschicken, um von ihrem Recht an den Bildern,<br />

auf dem sie stets bestand, Gebrauch zu machen. 2 Über die Hälfte der Bilder,<br />

die ihr nicht gefielen, ixte sie mit einer Haarnadel <strong>und</strong> Edding aus. Stern schreibt<br />

fassungslos: „I have to admit I felt some anger at her at that moment. Not that she<br />

didn„t like all my pictures, but she„d been so destructive about it! Why couldn„t she<br />

have picked up the phone and said, „Let„s go over these together“? (…) She hadn„t<br />

just scratched out my pictures, she„d scratched out herself.“ 3 Zwei Wochen nach<br />

der Sichtung der Bilder beging Monroe Selbstmord. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> sind<br />

die ausgeixten Bilder in ihrer Dramaturgie die stärksten Bilder in Sterns Fotoband.<br />

Die von Kabeln ausgeixte unbekannte Werbeschönheit über dem Brautmodengeschäft<br />

hatte eine ähnliche Dramaturgie. Im Gegensatz zu Marilyn hatte<br />

sie sich aber nicht selbst ausgeixt, sondern irgendjemand oder irgendetwas hatte<br />

ihr Gesicht zerschnitten. Vielleicht nutzte sie die Kabellage auch nur als Schleier,<br />

durch den sie schamhaft blickte, um nicht gleich alles von sich preis zu geben,<br />

vielleicht war sie auch eine schwarze Witwe in ihrem Netz.<br />

Ich hielt mit dem Moped am Straßenrand um ein Foto von der Marilyn Hanois zu<br />

machen. Der überschäumende Nachmittagsverkehr brodelte an mir vorbei. Hupen.<br />

Ich machte schnell ein Foto. Später, zurück in Deutschland, ärgere ich mich:<br />

zu schnell gemacht, zu verwackelt, unscharf. Und nun ist sie weg. Abgehängt, vielleicht<br />

war sie zu schwer verletzt.<br />

Fotosafari zu den Billboards<br />

Ich war zurück in Vietnam. Der Reis stand mittlerweile gelblich. Es war wieder<br />

dieses Softbox Grau. Trotzdem brannte beim Mopedfahren die Mittagssonne auf<br />

den freien Unterarmen. Viele Frauen in Vietnam tragen weite Herrenhemden, an<br />

die zusätzlich Stoffpartien zum Schutz gegen die Sonne an den Händen, im Nacken<br />

<strong>und</strong> im Gesicht genäht sind. Die Vietnamesen scheinen die Sonne zu fürchten, wie<br />

auch den Regen. Von beidem gibt es reichlich in Vietnam. Wenn sich abends die<br />

Gewitter entladen, kann es schon mal passieren, dass die alte Kanalisation kapituliert<br />

<strong>und</strong> aus den engen Straßen Flüsse werden, auf denen der Müll des Tages<br />

treibt. Als ich vor drei Monaten Hanoi verlassen hatte, musste man noch keine<br />

Helme tragen. Die vielen Verkehrstoten ließen aber doch die Helmpflicht folgen.<br />

Es handelt sich bei den nun fast alle Häupter zierenden Helmen allerdings eher um<br />

dünne Styroporhäubchen, als um einen echten Schutz. Dafür gibt es sie in allen<br />

Farben <strong>und</strong> Ausführungen. Sogar mit Hutkrempe für die Damen. Viele Herren<br />

nutzen einfach ihre altbewährten Vietkonghelme. Über Nacht war eine ganz neue<br />

Branche entstanden, die an den Hauptverkehrsstraßen ihre Ware feilbietet: Die<br />

Helmbranche. Wie gesagt, man ist pragmatisch <strong>und</strong> kreativ in Vietnam. Nun, da<br />

ich das zweite Mal nach Vietnam gekommen war, fühlte ich mich in der Unvertrautheit<br />

sofort daheim. Nun würde ich es endlich wagen zum Flughafen raus zu<br />

―Im Gegensatz zu<br />

Marilyn hatte sie<br />

sich aber nicht selbst<br />

ausgeixt, sondern<br />

irgendjemand oder<br />

irgendetwas hatte<br />

ihr Gesicht<br />

zerschnitten.‖<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

fahren. Hoffentlich würde die alte Honda mitmachen, das Benzin reichen. Auf der<br />

anderen Seite des Roten Flusses gab es nicht mehr an jeder Ecke eine kleine Mopedwerkstatt<br />

oder die illegalen Benzinverkäufer, die aus Coca-Colaflaschen meist<br />

irgendwie ge­strecktes Benzin verkaufen.<br />

Meine Fahrt zu den Leerplakaten führte mich am großen schlammigen Roten Fluss<br />

entlang an den Stadtrand, wo ich über eine 180° Kurve auf die gewaltige Thang<br />

Long-Brücke stieß. Durch die lange Kurve fahrend fiel mein Blick auf das Eingangstor<br />

der Wohnsiedlung Ciputra. Eine merkwürdige Mischung aus Triumphbogen<br />

<strong>und</strong> Brandenburger Tor, hinter dem sich die reichen Ausländer in einer bewachten<br />

Retortenstadt vor dem echten Hanoi <strong>und</strong> seinen Menschen verschanzen.<br />

Von hier aus fahren sie jeden Morgen in die internationalen Konzerne <strong>und</strong> Organisationen,<br />

welche sie leiten. Die alten Kolonialherren <strong>und</strong> Kriegsgegner sind zurück,<br />

aber diesmal kommen sie nicht mit Waffen, sondern mit Waren, Entwicklungshilfe<br />

<strong>und</strong> Kooperationsangeboten.<br />

„Ich hielt am<br />

Fahrbahnrand <strong>und</strong><br />

lichtete die<br />

Billboards ab. Eines<br />

nach dem Anderen.<br />

Ich hielt an, der<br />

Verkehr brauste<br />

hupend vorbei.―<br />

Die Brückenstraße führt an einem kommunistisch anmutenden Monument vorbei.<br />

Zwei nierentischartige Betonflügel, leicht versetzt aneinander gelehnt, symbolisieren<br />

die vietnamesisch russische Fre<strong>und</strong>schaft. Vom Eisensockel haben sich rotbraune<br />

Rostflecken am Beton gebildet. Straßenhändlerinnen strecken dem Verkehrsstrom<br />

Baguettes <strong>und</strong> Pomelos entgegen, bevor sich die Brücke endgültig vom<br />

Ufer löst <strong>und</strong> sich über den Strom des Roten Flusses erhebt. Ich erreichte das andere<br />

Ufer <strong>und</strong> da standen sie an der Autobahn, aufgereiht wie eine Perlenkette.<br />

Billboard an Billboard. Viele davon leer. Dahinter Fabriken <strong>und</strong> die Mall Melinh<br />

PLAZA, in ehemalige Reisfelder gepflanzt. Ein Wasserbüffelkalb hatte sich auf die<br />

Fahrbahn verirrt. Ich hielt am Fahrbahnrand <strong>und</strong> lichtete die Billboards ab. Eines<br />

nach dem Anderen. Ich hielt an, der Verkehr brauste hupend vorbei. Busschaffner<br />

schrien mich aus der Tür lehnend an. LKWs donnerten vorbei. Ich fuhr weiter,<br />

hielt an, lichtete ab. Die Gänge hakten, der Motor säuft ab, ich fuhr weiter, hielt an<br />

<strong>und</strong> lichtete ab. Desto weiter ich mich vom Fluss entfernte, desto weniger Fabriken<br />

standen auf den Reisfeldern. Die Fabriken wuchern vom Fluss die Autobahn entlang<br />

ins Landesinnere. Bauern bestellten ihre Felder unter den leeren Versprechungen<br />

der Billboards. Ich hielt an, lichtete ab <strong>und</strong> fuhr weiter. Die Bauern konnten<br />

nicht fassen, was ich da tat, lachten, winkten. Ich lächelte zurück. Ein Mann<br />

bot mir ein Kind an. Mein Lächeln gerann. Von einigen Billboards sprühten Funken,<br />

es wurde geschweißt.<br />

Es waren technische, kalte Konstruktionen, in deren Struktur sich diejenigen zu<br />

verfangen schienen, die sie errichteten. Groß, stählern <strong>und</strong> kalt. Deplatziert, ohne<br />

Sinn, nur um ihrer selbst willen. Maskulin ragten sie in den Himmel wie Phalli.<br />

Das Alien lichtete ab. Unter manchen Billboards waren kleine Zelthäuschen aus<br />

Werbeplanen errichtet, in denen die Arbeiter, welche die Billboards bauten, mit<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

ihren Familien wohnten. Bedrohlich standen die Billboards wie deplatzierte Gerippe<br />

in der Landschaft. Andere Stahlskelette wurden gerade mit neuen Versprechungshäuten<br />

bespannt. Auf vielen Reisfeldern wurden Grabstätten errichtet. Die<br />

Ahnen wachen über die Felder. Ich lichtete ab.<br />

Die Kabelfrauen Hanois<br />

Ach, all die Liebesaugen, die einem von den Häusern herab zuzwinkerten. Die erste<br />

Kabelfrau hatte ich in der Kim Ma Straße entdeckt, gegenüber dem New Sake.<br />

Ein kleines japanisches Restaurant, das unscheinbar an dieser großen vierspurigen<br />

Straße liegt. Es war bereits dunkel <strong>und</strong> einer meiner ersten Abende in Hanoi, <strong>und</strong><br />

sie, hell erleuchtet wie sie war, warf ihre Liebesblicke durch das Kabelgewirr, das<br />

sich in der Mitte der vier Spuren von Mast zu Mast hangelte. Später, als ich alleine<br />

mit dem Moped durch Hanoi fuhr, erblickte ich sie überall, an allen Ecken, ihren<br />

Blicken war nicht zu entkommen. Kabelfrauen überall in der Stadt. Da beschloss<br />

ich zurück zu blicken, sie abzulichten <strong>und</strong> zu sammeln. Vielleicht ließ sich verstehen,<br />

wer sie waren, die mit den Schleiern, mit den zerschnittenen Gesichtern, die<br />

Bondagegirls, die schwarzen Witwen. Graham Greene beschreibt die Vietnamesinnen<br />

in Der stille Amerikaner als bernsteinfarbene zerbrechliche Vögelchen mit<br />

zwitschernden Stimmchen. 4 Waren die Kabel Gitterstäbe? In der Kurzgeschichte<br />

In einem Regen der vietnamesische Gegenwartsautorin Pham Thi Hoai, sind die<br />

jungen Frauen so schutzbedürftig, dass sie sogar vom häufigen Regen gefährdet<br />

sind: „Die jungen Mädchen sind sehr zerbrechlich. Bei so einem Regen haben sie<br />

Angst, geradewegs ins Meer gespült zu werden.“ 5 Eine von ihnen traf ich immer<br />

morgens auf meinem Weg zur Universität, wo ich ein wenig unterrichtete. Immer<br />

an der gleichen Kreuzung. Keiner, dem sie nicht ihre halb ängstlichen, halb kokettierenden<br />

Blicke durch die schwarzen Gitter zugeworfen hätte. Neben ihr eine Flasche<br />

REVITALIFT WHITE von L„OREAL.<br />

„ … als ich alleine<br />

mit dem Moped<br />

durch Hanoi fuhr,<br />

erblickte ich sie<br />

überall, an allen<br />

Ecken, ihren Blicken<br />

war nicht zu<br />

entkommen.―<br />

Auch NIVEA verkauft hier Bleichungscreme. In derselben Verpackungsform, in<br />

der NIVEA bei uns seine Bräunungscreme verkauft. Dasselbe Produkt nur mit umgekehrter<br />

Wirkung. NIVEA hat verstanden: Tue so, als ob du ihnen geben könntest,<br />

was sie eigentlich niemals haben können. Zeig ihnen, dass genau das, was sie<br />

nicht haben können, ihr innigster Wunsch ist. Den Weißen immer sonnengebräunte<br />

Haut. Den Bernsteinfarbenen immer Bleiche. Ying <strong>und</strong> Yang im permanenten<br />

Ungleichgewicht.<br />

Weiß wollen vietnamesische Frauen sein, weiß wie zerbrechliches Porzellan. Sie<br />

meiden die Sonne, in der sie verdorren könnten. Und wenn man sie selbst fragt?<br />

Dann antworten die meisten jungen Frauen in Vietnam so etwas Ähnliches wie:<br />

„Frauen sind nett, anziehend <strong>und</strong> charmant <strong>und</strong> Männer stark <strong>und</strong> groß―. Ein<br />

Frauenbild, das wohl traditionell durch den Konfuzianismus geprägt ist, in dessen<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

hierarchischer Weltanschauung Frauen weniger wert sind <strong>und</strong> ihrem Mann wie<br />

einem Herrscher zu dienen haben. Nach der konfuzianischen Lehre sollten junge<br />

Frauen zu folgenden Tugenden erzogen werden: Eine Frau hat geschickt in der<br />

Hausarbeit zu sein <strong>und</strong> ist harmonisch <strong>und</strong> schön. Sie wählt ihre Worte mit Milde<br />

<strong>und</strong> ist ebenso mild in ihrem Charakter 6 . 7 Gegen die Amerikaner spielte der organisierte<br />

Widerstand der Frauen allerdings, ganz unzart, eine entscheidende Rolle.<br />

Nach dem Vorbild der in Vietnam als Revolutionärinnen verehrten Trung Schwestern,<br />

die der Legende nach den Märtyrertod wählten, um sich gegen die chinesische<br />

Herrschaft zu wehren, 8 lehnten Frauen sich als legendäre Long Haired Army<br />

mit Demonstrationen, aber auch mit Waffengewalt gegen die Amerikaner <strong>und</strong> deren<br />

Verbündete auf. “During the 1968 general insurrection not a few Americans<br />

were surprised to see bar-girls, la<strong>und</strong>resses and girl-students using machine-guns<br />

and hand-grenades to attack them.” 9 Heute sind sie wieder schwach <strong>und</strong> zerbrechlich,<br />

definieren sich selber so.<br />

Warum hat Marilyn sich ausgeixt? Sie hat die perfekte Hülle, die sie für alle war,<br />

zerstört, von der ihr Ich unwiederbringlich getrennt wurde. Weil ihr wahrer Charakter<br />

dem Warencharakter der Marilyn anheim gefallen war, konnte sie nicht<br />

mehr Norma Jeane Baker sein. Im Gegensatz zu Waren können Menschen nicht<br />

losgelöst von ihrer Haut existieren.<br />

„Eine Frau hat<br />

geschickt in der<br />

Hausarbeit zu sein<br />

<strong>und</strong> ist harmonisch<br />

<strong>und</strong> schön. Sie wählt<br />

ihre Worte mit Milde<br />

<strong>und</strong> ist ebenso mild<br />

in ihrem Charakter.―<br />

Auf meiner Suche nach den Kabelfrauen hat sich mein Blick verändert. Auch begann<br />

ich mich anders durch die Stadt zu bewegen. Immer auf der Suche nach neuen<br />

Kabelfrauen schweifte mein Blick beim Moped fahren stets oben an den Fassaden<br />

vorbei. Manchmal machte ich Abstecher, ganze Ausflüge durch Straßen <strong>und</strong><br />

Stadtteile, in die ich mich zuvor noch nicht verirrt hatte. So ist mein Hanoi auch<br />

das Hanoi der Kabelfrauen, jener zu westlichen Posen verrenkten, ambivalenten,<br />

ungreifbaren Hüllenwesen, mit den melancholischen Blicken durch das Kabelgewirr,<br />

in dem sie sich irgendwo zwischen Tradition <strong>und</strong> Moderne verfangen haben.<br />

Paare<br />

Ich frage mich selbst, wie sie zusammengef<strong>und</strong>en haben. Ich weiß nur, dass sie<br />

zusammen gehören. Die Farbfotografien der Billboardskelette dokumentieren keinen<br />

Verlust, sondern deuten einen bereits stattfindenden Prozess an. Der Ausgang<br />

bleibt offen. Durch die Ausschnitthaftigkeit der Kabelfrauen <strong>und</strong> den Blickkontakt,<br />

der durch das Kabelgewirr gesucht wird, scheint es, als ob die Werbeikonen einen<br />

Kontakt mit dem Betrachter aufnähmen. Die Oberfläche ist jedoch durch die Kabellagen<br />

mit Störungen versehen, die auf die Konstruktion <strong>und</strong> Hüllenhaftigkeit<br />

verweisen. So wären nach Haug die Billboardskelette der „Warenleib“ <strong>und</strong> die Kabelfrauen<br />

die leeren Versprechungen, die „schön präparierte Oberfläche“, (die sie<br />

nicht erfüllen können). 10<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Inhaltlich gehören die Plakatikonen auch tatsächlich auf die Billboardskelette gespannt.<br />

Formal setzen sich die grafischen Elemente der Skelettstruktur in den Kabellagen<br />

der Kabelfrauen fort.<br />

Eigentlich kommt so zusammen, was zusammen gehört – jedoch als Paare miteinander<br />

konfrontiert <strong>und</strong> nicht als Einheit. Die deplatzierten Phallus-Gerippe mit<br />

ihrer beschwörend drohenden Leere <strong>und</strong> die schwer verletzten, zu westlichen Posen<br />

verrenkten Kabelfrauen, die Marilyns Hanois. Es entstehen Paare wie zwei<br />

Pole. Unvereinbar <strong>und</strong> unzertrennlich. In Disharmonie vereint. Ein Klischee von<br />

Männlichkeit <strong>und</strong> Weiblichkeit, ein modernes Ying <strong>und</strong> Yang, Romeo <strong>und</strong> Julia in<br />

verhängnisvoller Zweisamkeit, denn nomen est omen <strong>und</strong> da ihrer beider (Nach-)<br />

Namen, von Romeo <strong>und</strong> von Julia, nicht ihr Selbst sein können, endet Shakespeares<br />

Drama im körperlosen Tod - so wie Marilyn Monroe <strong>und</strong> Norma Jeane Baker.<br />

_________________<br />

1 Haug 1972, S. 20.<br />

2 Stern 1992, S. 27.<br />

3 Ebd., S. 28.<br />

4 Greene 1956, S. 12.<br />

5 Thi Hoai 2005, S. 92.<br />

6 Tu/Le Thi Nham 1978, S. 41 ff.<br />

7 Le Thi Nham 2005, S. 7 f.<br />

8 Eisenschmid 2007, S. 90 f.<br />

9 Tu/Le Thi Nham 1978, S. 191.<br />

10 Haug 1972, S. 60 f.<br />

Der Text setzt sich aus Auszügen aus Ungers “Berichte <strong>und</strong> Erläuterungen zur künstlerischen<br />

Arbeit” zusammen.<br />

Verwendete Literatur:<br />

Eisenschmid, Rainer (Chefredakteur) (2007): Baedeker Vietnam. Ostfildern:<br />

Karl Baedeker Verlag.<br />

Greene, Graham (1956): Der stille Amerikaner. Hamburg/Wien: Zsolnay.<br />

Haug, Wolfgang Fritz (1972): Kritik der Warenästhetik. Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp.<br />

Stern, Bert (1992): Marilyn Monroe: The Complete Last Sitting. München:<br />

Schirmer/Mosel.<br />

Thi Hoai, Pham (2005): Sonntagsmenü. Zürich: Unionsverlag.<br />

Tu, Mai Thi; Le Thi Nham, Tuyet (1978): Women in Viet Nam. Hanoi: Foreign<br />

Languages Publishing House.<br />

„Ein Klischee von<br />

Männlichkeit <strong>und</strong><br />

Weiblichkeit, ein<br />

modernes Ying <strong>und</strong><br />

Yang, Romeo <strong>und</strong><br />

Julia in<br />

verhängnisvoller<br />

Zweisamkeit … ―<br />

Tuyet, Le Thi Nham (2005): Images of the Vietnamese Woman in the 21st Century.<br />

Hanoi: The Gioi Publishers.<br />

Die im Folgenden abgebildeten Fotografien (Paar 01-06) sind eine Auswahl aus<br />

Moritz Ungers Fotoserie “doi moi” von 2009, die insgesamt 39 Paare / 78 Bilder<br />

umfasst.<br />

Seite 35


gender <strong>geblickt</strong><br />

Foto: Moritz Unger, Paar 01, Doi Moi (2009)<br />

Foto: Moritz Unger, Paar 02, Doi Moi (2009)<br />

Seite 36


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Foto: Moritz Unger, Paar 03, Doi Moi (2009)<br />

Foto: Moritz Unger, Paar 04, Doi Moi (2009)<br />

Seite 37


gender <strong>geblickt</strong><br />

Foto: Moritz Unger, Paar 05, Doi Moi (2009)<br />

Foto: Moritz Unger, Paar 06, Doi Moi (2009)<br />

Seite 38


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Doi Moi <strong>und</strong> Geschlechterwandel<br />

in Vietnam:<br />

Eine einleitende Auseinandersetzung<br />

mit der Fotoarbeit Doi Moi<br />

von Moritz Unger<br />

unter Berücksichtigung<br />

der Kategorie Geschlecht<br />

Von Kristoff Kerl<br />

„Wir sollten versuchen, die Unterwerfung im wesentlichen als Konstituierung von<br />

Subjekten zu begreifen.“ 1 (Michel Foucault, „Zwei Vorlesungen“)<br />

Seit der Kolonialzeit, den Dekolonisierungskämpfen, den verschiedenen Besetzungen<br />

<strong>und</strong> den sich verändernden ökonomischen Ausrichtungen ist Vietnam permanentem<br />

gesellschaftlichen Wandel <strong>und</strong> kulturellen Diskontinuitäten ausgesetzt.<br />

Heinz Schütte kommt in Hanoi, eine nachsozialistische Moderne gar zu dem<br />

Schluss, dass zumindest Hanoi „im Laufe des 20. <strong>und</strong> in den ersten zehn Jahren<br />

des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts mehr Wandel als Kontinuität erlebt“ 2 habe. Eine weitere bedeutende,<br />

<strong>und</strong> für die momentane gesellschaftliche Verfasstheit Vietnams gr<strong>und</strong>legende<br />

Transformation wurde in den 1980er Jahren mit der Doi Moi 3 Phase eingeleitet.<br />

Mitte der 1980er Jahre hatte sich die zuvor schon bescheidene Wirtschaftslage<br />

Vietnams weiter verschlechtert. Als Reaktion auf diese Entwicklung beschloss<br />

die KP Vietnams auf dem 6. Parteikongress im Dezember 1986, die strikte Planwirtschaft<br />

durch privatwirtschaftliche Elemente zu ergänzen, also eine Liberalisierung<br />

der Wirtschaft <strong>und</strong> somit einen schrittweisen Übergang von der Plan- zur<br />

Marktwirtschaft einzuleiten. 4 Als Konsequenz dieser kontrollierten Liberalisierung<br />

<strong>und</strong> der dadurch ausgelösten hohen wirtschaftlichen Wachstumsraten kam es in<br />

Vietnam zu der Ausbildung einer wachsenden Mittelklasse, die sich zumindest in<br />

Hinblick auf ihr Konsumverhalten an westlichen Gesellschaften orientierte. Verwoben<br />

ist mit dieser Neuausrichtung auf Konsum <strong>und</strong> der expandierenden Mittelklasse<br />

eine neue Ordnung <strong>und</strong> Disziplinierung des (städtischen) Raumes <strong>und</strong> damit<br />

der (städtischen) Lebensweisen.<br />

„Mitte der 1980er<br />

Jahre hatte sich die<br />

zuvor schon<br />

bescheidene<br />

Wirtschaftslage<br />

Vietnams weiter<br />

verschlechtert. Als<br />

Reaktion auf diese<br />

Entwicklung<br />

beschloss die KP<br />

Vietnams auf dem 6.<br />

Parteikongress im<br />

Dezember 1986, die<br />

strikte<br />

Planwirtschaft …―<br />

Jedoch ist diese Expansion der westlichen konsumorientierten Ordnung <strong>und</strong><br />

Seite 39


gender <strong>geblickt</strong><br />

Kultur <strong>und</strong> die Ausdehnung der mit ihnen verb<strong>und</strong>enen neuen Diskurse keineswegs<br />

allumfassend. Vielmehr verorten sich diese neben weiterhin bestehenden<br />

Diskursen. So existieren in Vietnam <strong>und</strong> in der urbanen Metropole Hanoi nach wie<br />

vor kulturelle <strong>und</strong> ökonomische Modelle, die zwar durch die zunehmende Expansion<br />

der kapitalistischen Ordnung verstärkt unter Druck geraten, sich dieser jedoch<br />

weiterhin entziehen <strong>und</strong> diskursive Gegenmodelle zum hegemonialen westlichkapitalistischen<br />

Modell darstellen. 5 Diese Widerständigkeit äußert sich z.B. in der<br />

den Plänen der KP sich widersetzenden Nutzung des öffentlichen Raumes. Während<br />

die KP im Zuge ihrer Bemühung, urbane Räume in „Konsumtempel“ zu verwandeln,<br />

sich bemüht zeigt, das auf der Straße sich ereignende Leben aus dem<br />

Stadtbild zu vertreiben, um u.a. TouristInnen einen „angenehmen“ <strong>und</strong> „sicheren“<br />

Aufenthalt zu ermöglichen, scheint dieser Wandel an einigen Gebieten spurlos vorbeizugehen.<br />

Dabei bedienen sich die BewohnerInnen dieser Gegenden u.a. der Bestechung,<br />

um die Durchsetzung der Verordnungen zu unterwandern. 6<br />

„Diese<br />

Widerständigkeit<br />

äußert sich z.B. in<br />

der den Plänen<br />

der KP sich<br />

widersetzenden<br />

Nutzung des<br />

öffentlichen<br />

Raumes.―<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser durch Doi Moi ausgelösten Expansion einer am westlichen<br />

Kapitalismus orientierten Ordnung <strong>und</strong> dem Fortleben von dazu im Widerspruch<br />

stehenden präkapitalistischen Lebensentwürfen, lassen sich für das heutige<br />

Vietnam eine Vielzahl an gesellschaftlichen Spannungen <strong>und</strong> Widersprüchen feststellen,<br />

die sich auf verschiedenen kulturellen, sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Ebenen<br />

artikulieren. Eine wichtige Rolle innerhalb dieser kapitalistischen Modernisierung<br />

der vietnamesischen Gesellschaft fällt dabei den erst seit Doi Moi erlaubten <strong>und</strong><br />

auch heute noch von der KP mit Argusaugen beäugten riesigen Billboards zu, denen<br />

sich die Arbeit „Doi Moi“ 7 von Moritz Unger, Meisterschüler von Urs Lüthi an<br />

der Kunsthochschule Kassel, widmet. Unger beschreibt die ursprüngliche Motivation<br />

zu seiner Arbeit als das Bemühen „die Spannungen <strong>und</strong> Gegensätze zwischen<br />

Tradition <strong>und</strong> Moderne, asiatischer <strong>und</strong> westlicher Kultur, Sozialismus <strong>und</strong> Kapitalismus,<br />

die diese Leerplakate für mich illustrierten“ 8 zu dokumentieren <strong>und</strong><br />

künstlerisch zu inszenieren. Im Kontext dieser Auseinandersetzung zwischen kapitalistischer<br />

Modernisierung <strong>und</strong> dem Festhalten an anderen Gesellschaftsmodellen<br />

kommen den riesigen Werbeplakaten zumindest zwei wesentliche Aufgaben zu:<br />

Zum einen sind sie Mittel zum Zweck, um den Menschen Bedürfnisse nach Waren<br />

einzupflanzen <strong>und</strong> somit das kapitalistische System mit seinem inhärenten Streben<br />

nach Expansion am Leben zu erhalten <strong>und</strong> zu reproduzieren. 9 Zum anderen nehmen<br />

Billboards als Träger gesellschaftlicher Diskurse mit der Zurschaustellung<br />

ihrer (zumeist weiblichen <strong>und</strong> sexualisierten) Modelle Einfluss auf die Subjektivierung.<br />

Judith Butler beschreibt in der Einleitung zu ihrem Werk „Psyche der Macht<br />

– Das Subjekt der Unterwerfung“ den Prozess der Subjektivation als gr<strong>und</strong>legend<br />

abhängig „von einem Diskurs, den wir uns nicht ausgesucht haben, der jedoch paradoxerweise<br />

erst unsere Handlungsfähigkeit ermöglicht <strong>und</strong> erhält. 10 Das heißt,<br />

dass die Konstituierung von Subjekten sich immer in Abhängigkeit von Diskursen<br />

Seite 40


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

vollzieht, wobei dies nicht so zu verstehen ist, dass die Diskurse losgelöst von den<br />

Subjekten existieren. Vielmehr verhält es sich so, dass die Diskurse in ihrer Entstehung<br />

<strong>und</strong> Reproduktion wiederum von den Subjekten abhängig sind.<br />

In Bezug auf die Konstruktion von Geschlecht <strong>und</strong> Geschlechterverhältnissen statten<br />

Diskurse Menschen mit dem Wissen darüber aus, welches Verhalten oder welche<br />

Inszenierung des Körpers der gesellschaftlichen Norm von Weiblichkeit bzw.<br />

Männlichkeit entspricht oder welche Geschlechterentwürfe mit Sanktionen belegt<br />

sind <strong>und</strong> Disziplinierungen nach sich ziehen. Dieses Wissen wird den Subjekten<br />

durch die Diskurse eingeschrieben, so dass es in internalisierter Form vorliegt. Nur<br />

so ist es möglich, dass die sozial konstruierten Geschlechterunterschiede häufig<br />

mittels biologistischer Erklärungsmodelle legitimiert werden.<br />

Da in einer Gesellschaft jedoch nie lediglich ein Diskurs zu Geschlecht existiert,<br />

sondern auf Gr<strong>und</strong> der Intersektionalität von Kategorien wie race, class <strong>und</strong> gender<br />

immer eine Vielzahl verschiedener Geschlechterdiskurse bestehen, gibt es innerhalb<br />

einer Gesellschaft nicht bloß eine Weiblichkeit bzw. eine Männlichkeit, 11<br />

sondern eine Pluralität an Geschlechtlichkeiten. Diese konstituieren sich in Abgrenzung<br />

zueinander <strong>und</strong> konkurrieren miteinander um den Zugang zu sozialem,<br />

kulturellem <strong>und</strong> ökonomischem Kapital. 12 Dass bedeutet zum Beispiel, dass Weiblichkeiten<br />

nicht nur qua Relationalität zu Männlichkeiten, sondern auch in ihrem<br />

Verhältnis zu anderen Weiblichkeiten sozial konstruiert werden.<br />

Historisch betrachtet unterliegt die Kategorie Geschlecht einem permanenten Prozess<br />

der Neuverhandlung, in dem die jeweiligen hegemonialen Weiblichkeits- bzw.<br />

Männlichkeitsentwürfe innerhalb einer bestehenden Gesellschaftsformation bestimmt<br />

werden, d.h. es wird ein Weiblichkeits- bzw. Männlichkeitsideal definiert,<br />

das den Individuen einer Gesellschaft als Norm gilt. Eine besondere Virulenz erhalten<br />

diese diskursiven Auseinandersetzungen in Zeiten gesellschaftlicher, kultureller<br />

oder ökonomischer Umbrüche <strong>und</strong> Transformationen <strong>und</strong> der damit einhergehenden<br />

Neuverteilung der Zugänge zu ökonomischen, sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Ressourcen. Insofern sind die im Zuge des Doi Moi wie Pilze aus dem Boden schießenden<br />

Billboards nicht bloß als Werbeträger für ein bestimmtes Produkt zu verstehen,<br />

sondern sie sind gleichzeitig Träger <strong>und</strong> Ausdruck eines mit der zunehmenden<br />

Ausbildung einer Konsumgesellschaft um sich greifenden neuen Geschlechterdiskurses,<br />

der eine sexualisierte <strong>und</strong> an Weißsein orientierte Weiblichkeit<br />

propagiert.<br />

„Dass bedeutet ...,<br />

dass Weiblichkeiten<br />

nicht nur qua<br />

Relationalität zu<br />

Männlichkeiten,<br />

sondern auch in<br />

ihrem Verhältnis zu<br />

anderen<br />

Weiblichkeiten<br />

sozial konstruiert<br />

werden.―<br />

_________________<br />

1 Butler 2001, S.7.<br />

2 Schütte 2010, S.20.<br />

3 Doi Moi: vietnamesisch für „neues Zeitalter―.<br />

4 Schütte 2010, S.107f.<br />

Seite 41


gender <strong>geblickt</strong><br />

5 Ebd., S. 37.<br />

6 Ebd., S. 25-27.<br />

7 Die Arbeit Doi Moi von Moritz Unger (2009) besteht aus 39 Paaren. In diesen Artikel hat<br />

lediglich eine Auswahl von sechs Paaren Eingang gef<strong>und</strong>en.<br />

8 Unger 2009, S.7.<br />

9 Haug 1973, S. 65f.<br />

10 Butler 2001, S.8.<br />

11 Für <strong>Gender</strong> als nützliche Kategorie der historischen Analyse vgl. Scott 1994, S. 52; zur Intersektionalität<br />

vgl. Degele/Winkler 2009.<br />

12 Für die bestehenden Hierarchien unter den verschiedenen Männlichkeiten hat die australische<br />

Soziologin Raewyn Connell das sehr fruchtbare Konzept der hegemonialen Männlichkeit<br />

entwickelt, vgl. Connell 1994.<br />

Verwendete Literatur:<br />

Butler, Judith (2001): Psyche der Macht – Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt<br />

am Main: Suhrkamp Verlag.<br />

Connell, Robert W. (1999): Der gemachte Mann. Opladen: Leske + Budrich.<br />

Degele, Nina; Gabriele Winker (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer<br />

Ungleichheiten. Bielefeld: Transcript.<br />

Haug, Wolfgang Fritz (1973): Kritik der Warengesellschaft. Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp Verlag.<br />

Schütte, Heinz (2010): Hanoi, eine nachsozialistische Moderne. Berlin: regiospectra<br />

Verlag.<br />

Scott, Joan Wallach (1994): „<strong>Gender</strong>, Eine nützliche Kategorie der historischen<br />

Analyse“. In: Nancy Kaiser (Hg.): Selbst Bewusst. Frauen in den USA.<br />

Leipzig: Reclam.<br />

Unger, Moritz (2009): Doi Moi. Unveröffentlichte Examensarbeit. Kassel: Universität<br />

der Künste Kassel.<br />

Seite 42<br />

Wigstöckel Pinkglitzamädchenwagen, transgenialer CSD, Berlin X-Berg (2011):<br />

„Prinzess_innen für Queer-Feminismus. Mein <strong>Gender</strong> ist nicht Mainstream―<br />

Foto: Sterneck, flickr; Lizenz: cc, Attribution-NonCommercial 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

―Sie kontrollieren unser Leben<br />

noch immer.‖<br />

Gesellschaftliche Ausgrenzung <strong>und</strong><br />

polizeiliche Verfolgung von travestis in<br />

Argentinien<br />

Von Anja Feth<br />

Buenos Aires ist für vieles bekannt: europäische Küche, lebendige Literatur-, Film<strong>und</strong><br />

Theaterszene, Fußballclubs wie Boca Juniors <strong>und</strong> River Plate – <strong>und</strong> natürlich<br />

Tango. Die Stadt ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Reiseziel geworden –<br />

auch weil die Folgen der Wirtschaftskrise 2001 einen Aufenthalt am Río de la Plata<br />

insbesondere für Europäer_innen <strong>und</strong> US-Amerikaner_innen erschwinglich<br />

machte. Eine spezifisch homosexuelle Klientel wird zudem gelockt durch ein<br />

breites Angebot an einschlägigen Restaurants, Clubs, Tangobars, Hotels u. a. m.<br />

Doch der Anschein sexueller Freiheit trügt. Gewiss wurde in den letzten 28 Jahren,<br />

seit Rückkehr zur Demokratie, viel erreicht, <strong>und</strong> schwul-lesbisches Leben mag in<br />

Buenos Aires heute einfacher sein als im Rest der Region. Trotzdem ist die Freiheit<br />

der sexuellen Orientierung <strong>und</strong> Geschlechtsidentität begrenzt. Wer gegen die<br />

binäre heterosexuelle Geschlechternorm verstößt, hat im Alltag mit vielerlei<br />

Diskriminierung zu kämpfen. Dies gilt für Schwule, Lesben, insbesondere aber für<br />

travestis 1 , weil die argentinische Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptieren will, dass<br />

biologische “Männer” sich nicht als solche fühlen, nicht so aussehen <strong>und</strong> leben<br />

möchten. In der formellen Ökonomie des Landes bekommen sie selten eine<br />

Chance, weshalb vielen nur der Weg in die Sexarbeit bleibt. Auch deshalb sind sie<br />

der Polizei auf besondere Weise ausgeliefert. Was dies alles für den Alltag von<br />

travestis bedeutet <strong>und</strong> wie sie sich gegen gesellschaftliche <strong>und</strong> staatliche<br />

Diskriminierung wehren, davon erzählt das nachstehende Interview mit Marcela<br />

Romero, Päsidentin einer einschlägigen argentinischen Nichtregierungsorganisation<br />

mit Sitz in Buenos Aires.<br />

Travestis Sex-Arbeiter_innen<br />

Foto: VHGU, flickr<br />

Lizenz: creative commons, Attribution-NonCommercial<br />

2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)<br />

― ... die Freiheit der<br />

sexuellen<br />

Orientierung <strong>und</strong><br />

Geschlechtsidentität<br />

[ist] begrenzt.”<br />

ATTTA<br />

Die Abkürzung steht für Asociación de Travestis, Transexuales y Transgéneros de<br />

Argentina. ATTTA gründete sich 1993 <strong>und</strong> setzt sich für die Rechte von travestis,<br />

Transsexuellen <strong>und</strong> Transgender in Argentinien <strong>und</strong> Lateinamerika ein. Die Orga-<br />

Seite 43


gender <strong>geblickt</strong><br />

nisation ist Teil <strong>und</strong> zentraler Sitz des Netzwerks Red Latinoamericana y del<br />

Caribe de Personas Trans, Travestis, Transexuales y Transgéneros. In den<br />

1990er Jahren engagierte sich ATTTA zusammen mit anderen argentinischen<br />

NGOs erfolgreich für die Abschaffung der Polizeierlasse in Buenos Aires.<br />

Polizeierlasse<br />

―Um die öffentliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong><br />

Ordnung<br />

aufrechtzuerhalten,<br />

hat die Polizei in<br />

Buenos Aires u. a.<br />

die Befugnis<br />

Personen<br />

festzunehmen, um<br />

deren Identität zu<br />

ermitteln.‖<br />

Edictos policiales [Polizeierlasse] ermöglichten der Polizei von Buenos Aires bis<br />

Ende der 1990er Jahre einen nahezu unbeschränkten Zugriff auf Prostituierte,<br />

Homosexuelle, travestis <strong>und</strong> das sexuelle Gewerbe der Stadt. Die Polizei konnte<br />

Prostituierte, Homosexuelle <strong>und</strong> travestis willkürlich festnehmen <strong>und</strong> st<strong>und</strong>enlang<br />

auf der Wache festhalten. Oftmals war dies mit Erniedrigungen <strong>und</strong> körperlicher<br />

Gewalt verb<strong>und</strong>en. Als sich an diesen Praktiken auch nach der Rückkehr<br />

Argentiniens zur demokratischen Staatsform (1983) nichts änderte, gründeten die<br />

Betroffenen verschiedene Initiativen, um für ihre Rechte, insbesondere die<br />

Abschaffung der Polizeierlasse, zu kämpfen. Neben ATTTA entstanden u. a. die<br />

Asociación de Mujeres Meretrices Argentina (AMMAR) <strong>und</strong> die Comunidad<br />

Homosexual Argentina (CHA). Durch die Kooperation mit bekannten<br />

argentinischen Nichtregierungsorganisationen wie dem Centro de Estudios<br />

Sociales y Legales (CELS) gelang es Ende der 1990er Jahre durchzusetzen, dass<br />

die Stadt Buenos Aires die Polizeierlasse für ungültig erklärte. An deren Stelle trat<br />

1998 das Gesetz zum städtischen Zusammenleben (Código de Convivencia<br />

Urbana oder Código Contravencional).<br />

Gesetz zum städtischen Zusammenleben<br />

Nach einer anfänglich sehr liberalen Variante wurde das Gesetz zum städtischen<br />

Zusammenleben mehrfach verschärft. In seiner aktuellen Fassung aus dem Jahr<br />

2004 sind Angebot <strong>und</strong> Nachfrage sexueller Dienstleistungen im öffentlichen<br />

Raum nicht verboten. Jedoch wird dafür ein Mindestabstand von 200 Metern zu<br />

Wohnhäusern, Bildungsstätten <strong>und</strong> religiösen Einrichtungen gefordert. Da es in<br />

der dicht bebauten Stadt fast keinen Ort gibt, wo diese Bedingungen gegeben sind,<br />

wird regelmäßig gegen die Norm verstoßen. Dies wiederum ermöglicht es der<br />

Polizei gegen die Sexarbeiter_innen vorzugehen.<br />

Festnahmen zur Festellung der Identität<br />

Um die öffentliche Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung aufrechtzuerhalten, hat die Polizei in<br />

Buenos Aires u. a. die Befugnis Personen festzunehmen, um deren Identität zu<br />

ermitteln. Da viele travestis entweder keinen Ausweis besitzen <strong>und</strong>/oder diesen<br />

ablehnen, sind sie besonders häufig von dieser Art der Festnahme betroffen.<br />

Es folgt ein Interview mit Marcela Romero, Präsidentin von ATTTA, Buenos<br />

Aires 2008. Interview <strong>und</strong> deutsche Übersetzung Anja Feth.<br />

Seite 44


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Bitte erzähle von ATTTA. Was macht eure Organisation, wofür setzt Ihr euch ein?<br />

Die Arbeit unserer Organisation zielt auf die Rechte von Trans*Personen [personas<br />

trans]. In Argentinien existiert diesbezüglich immer noch polizeiliche Verfolgung.<br />

Es gibt repressive Gesetze <strong>und</strong> Polizeierlasse aus der Militärdiktatur, die immer<br />

noch gegen die Trans*Community angewendet werden. Derzeit gelten solche<br />

Erlasse in 14 argentinischen Provinzen. Auf deren Basis werden unsere<br />

Kolleginnen [compañeras] zwischen 24 St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> 30 Tagen inhaftiert, <strong>und</strong> sie<br />

müssen Strafen zwischen 50 <strong>und</strong> 500 Pesos 2 zahlen. Deshalb sagen wir, dass die<br />

Demokratie für uns noch nicht gekommen ist. Oftmals erfahren wir bei<br />

Festnahmen verbale <strong>und</strong> natürlich auch physische Gewalt durch die Polizei.<br />

ATTTA interveniert politisch. Wir stellen Forderungen, organisieren<br />

Demonstrationen...Wir sind die größte argentinische Trans*Organisation, ein<br />

landesweites Netzwerk. In den Provinzen haben wir insgesamt 18 Referentinnen,<br />

die sich gegen Trans*Phobie [transfobia] engagieren. Wir sprechen übrigens von<br />

Trans*Phobie, nicht von Homophobie, denn unsere Problematik ist anders<br />

gelagert. In Argentinien gibt es keine öffentliche Politiken für unsere Community.<br />

Wir sind aus dem System ausgeschlossen <strong>und</strong> werden diskriminiert: seitens<br />

unserer Familien, in den Bereichen Bildung, Ges<strong>und</strong>heit..., wir haben keinen<br />

Zugang ohne Diskriminierung. Wir fordern Rechte als Bürgerinnen. Aktuell haben<br />

wir ein Gesetz für Geschlechtliche Identität 3 vorgelegt. Zum Beispiel ist unser<br />

Ausweis für uns gar nicht gültig, weil darin nicht die Person ausgewiesen wird, die<br />

frau [una] ist. Die Tatsache, dass wir kein Dokument haben, das unsere Identität<br />

ausweist, erschwert uns den Zugang zu vielen Dingen.<br />

Habt ihr Verbindungen zu Organisationen in anderen Ländern?<br />

Ja. Wir haben unser Organisationsmodell in das übrige Lateinamerika getragen.<br />

Unser Büro ist gleichzeitig die Zentrale des Red Latinoamericana y del Caribe de<br />

Personas Trans, Travestis, Transexuales y Transgéneros. Dieses Netzwerk<br />

umfasst 15 Länder. Selbstverständlich stehen wir alle für das Gleiche: dem “Nein<br />

zur Trans*Phobie”. Das Netzwerk setzt sich seit drei Jahren dafür ein, in den<br />

Regierungsagenden berücksichtigt zu werden. Und natürlich in den Agenden der<br />

Kooperationspartner. Für die existieren wir doch gar nicht.<br />

―Die Tatsache, dass<br />

wir kein Dokument<br />

haben, das unsere<br />

Identität ausweist,<br />

erschwert uns den<br />

Zugang zu vielen<br />

Dingen.‖<br />

Was sind Kooperationspartner?<br />

Das sind Geldgeber wie beispielsweise der Worldf<strong>und</strong>, der Global F<strong>und</strong>, Lusida,<br />

OPS [ Pan amerikan isch e Ge su n dh e itsorgan is ation ] , u n d alle<br />

Menschenrechtsorganisationen. Wir zeigen den Regierungen <strong>und</strong> ganz<br />

Lateinamerika, dass wir eine vulnerable Bevölkerungsgruppe sind <strong>und</strong> in den<br />

Dokumenten berücksichtigt werden müssen. Man erwähnte uns darin als Män-,<br />

Seite 45


gender <strong>geblickt</strong><br />

ner, die Sex mit Männern haben – unsere Geschlechtsidentität wurde nicht<br />

respektiert. Deshalb haben wir uns mit den Regierungen zusammengesetzt, uns als<br />

Bevölkerungsgruppe sichtbar gemacht. Zum Beispiel konnten wir die Indikatoren<br />

des Worldf<strong>und</strong> in unserem Sinne beeinflussen <strong>und</strong> werden nun unter den<br />

vulnerablen Bevölkerungsgruppen aufgeführt.<br />

Wie habt ihr es geschafft, so professionell zu abeiten?<br />

―Zum Beispiel<br />

konnten wir die<br />

Indikatoren des<br />

Worldf<strong>und</strong> in<br />

unserem Sinne<br />

beeinflussen <strong>und</strong><br />

werden nun unter<br />

den vulnerablen<br />

Bevölkerungsgruppen<br />

aufgeführt.‖<br />

Zunächst einmal war es für uns wichtig zu erkennen, dass uns das LGBT-Kollektiv 4<br />

in seinen Projekten nicht mit drin hatte. Unsere Geschlechtsidentität wurde nicht<br />

respektiert; sie haben uns in Lateinamerika total unsichtbar gemacht. Dann haben<br />

wir angefangen, uns selbst sichtbar zu machen <strong>und</strong> Orte der<br />

Entscheidungsfindungen, die R<strong>und</strong>en Tische zu besetzen. Den Ort, der uns<br />

zusteht, damit man unsere Stimme hört <strong>und</strong> nicht ein Herr in Anzug <strong>und</strong> Krawatte<br />

oder eine Dame für uns sprechen. Denn solche Personen stehen nicht um drei, vier<br />

Uhr morgens [auf der Straße], sie wissen nicht, was Sexarbeit ist. Sie wissen nicht,<br />

was es heißt, auf einem Polizeirevier festgehalten, misshandelt <strong>und</strong> vergewaltigt zu<br />

werden. Sie wissen nicht, was es heißt, sich als Trans*Person <strong>und</strong> mit HIV in<br />

einem Krankenhaus zu befinden, wo die eigene Geschlechtsidentität nicht<br />

respektiert wird. Das alles haben wir in diesen Jahren gezeigt. 2006 wurde das Red<br />

Latinoamericana das erste Mal zu einer Sitzung der Vereinten Nationen<br />

eingeladen. Das war unser erster Schritt. Dann wurden wir letztes Jahr zum<br />

Treffen der OAS [Organisation Amerikanischer Staaten] in Panama eingeladen.<br />

Dort haben wir unser Gesetz für Geschlechtliche Identität vorgestellt <strong>und</strong><br />

dargelegt, welche Probleme es mit sich bringt, einen Ausweis zu haben, der die<br />

Person nicht identifiziert. So haben wir nach <strong>und</strong> nach Räume besetzt, uns sichtbar<br />

gemacht <strong>und</strong> die Finanzierung unserer Arbeit erreicht. Es war wichtig, uns<br />

zusammenzuschließen <strong>und</strong> von den lateinamerikanischen Schwulenorganisationen<br />

zu lösen.<br />

Was ist deine Perspektive auf Polizeigewalt in anderen lateinamerikanischen<br />

Ländern im Vergleich zu hier?<br />

Ja, die gibt es. Wir wissen, dass es Gewalt in Mittelamerika gibt. In El Salvador,<br />

Honduras, Guatemala, Costa Rica gibt es Gewalt- bzw. Hassverbrechen gegen<br />

unsere Community. Wir arbeiten mit den Kolleginnen aus Mittelamerika<br />

zusammen <strong>und</strong> wollen diese Gewalt sichtbar machen. Wir werden in<br />

Lateinamerika zwar durch trans*phobe Hassverbrechen getötet, werden in der<br />

Statistik aber als Männer ausgewiesen.<br />

Und im Fall der Hauptstadt Buenos Aires? Wie siehst du das im Vergleich zum<br />

Rest des Landes?<br />

Seite 46


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Die Hauptstadt ist nicht mehr als ein Schaufenster Argentiniens. Die argentinische<br />

Realität liegt im Landesinneren: die Gewalt, die Verfolgung, Armut. Unsere<br />

Community lebt unterhalb der Armutsgrenze, aber nicht weil wir das wollen,<br />

sondern weil man uns nicht vorankommen lässt, weil es Gesetze gibt, die uns<br />

verfolgen. Buenos Aires ist ein Schaufenster, nicht mehr: nur das Schöne zeigen,<br />

sonst nichts. Wenn du aber die Avendia General Paz 5 überquerst, bist du gleich in<br />

einer anderen Welt. Du überquerst diese Straße <strong>und</strong> du weißt nicht, ob die Polizei<br />

dich umbringt, festnimmt, erpesst, ob sie dir Geld abnimmt...<br />

Das heißt aber, dass die Abschaffung der Polizeierlasse die polizeiliche Praxis in<br />

der Stadt Buenos Aires stark beeinflusst hat?<br />

Ja, in Buenos Aires haben wir das geschafft, aber die Verfolgung ist immer da, das<br />

Schmiergeld, die Zuhälterei wie wir sagen. Die Zuhälterei des Staates, der<br />

Regierung gibt es weiterhin. Sie kontrollieren unser Leben noch immer. Die<br />

Kolleginnen aus unserer Community kommen zum Arbeiten in die Hauptstadt,<br />

denn hier gibt es eine stärkere Wirtschaft, mehr Geld. Sie kommen aber auch<br />

aufgr<strong>und</strong> der Repression, der sie in ihren Provinzen ausgesetzt sind, aufgr<strong>und</strong> der<br />

polizeilichen Verfolgung.<br />

Seit der Abschaffung der Polizeierlasse gibt es in Buenos Aires ein Gesetz zum<br />

städtischen Zusammenleben, das euch auch Vorgaben macht. Hat sich das<br />

Verhalten der Polizei vor diesem Hintergr<strong>und</strong> in den letzten zehn Jahren stark<br />

verändert?<br />

Ich würde sagen, dass es sich nicht verändert hat – in Anführungszeichen. Es hat<br />

sich nicht verändert, weil die Polizei ihre Macht weiterhin missbraucht <strong>und</strong> nach<br />

wie vor unsere Menschenrechte verletzt. Wir sind für sie wie eine Statistik. Die<br />

Polizei verlangt weiterhin unsere Papiere, sie stellt uns weiterhin Verweise [actas]<br />

aus, <strong>und</strong> in vielen Fällen schlägt sie die Mädchen noch immer. In der Hauptstadt<br />

liegen entsprechende Anzeigen aus den Stadtteilen Flores oder Constitución vor.<br />

Das sind Gegenden, wo die Mädchen von der Polizei geschlagen <strong>und</strong> misshandelt<br />

werden.<br />

―Die Regierung ist<br />

scheinheilig, weil sie<br />

die Realität nicht<br />

zeigen will. Sie will<br />

nicht zeigen, dass<br />

wir existieren, dass<br />

99% der Kolleginnen<br />

rechtlose<br />

Sexarbeiterinnen<br />

sind.‖<br />

Welche Rolle spielt die Regierung?<br />

Die Regierung ist scheinheilig, weil sie die Realität nicht zeigen will. Sie will nicht<br />

zeigen, dass wir existieren, dass 99% der Kolleginnen rechtlose Sexarbeiterinnen<br />

sind. Dass wir zur Sexarbeit kommen, weil wir keine Chancen haben. In unserem<br />

Leben können wir nicht wählen, was wir sein wollen <strong>und</strong> wenn wir<br />

Sexarbeiterinnen sein wollen, erfahren wir auch Gewalt [también somos<br />

violentadas]. Es gibt in Argentinien keine Rechte als Sexarbeiter_in. Die<br />

Scheinheiligkeit der Regierungen besteht darin, dass sie uns nicht auf den<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

Straßen sehen wollen <strong>und</strong> dass sie nicht anerkennen, dass unsere Community in<br />

den Regierungspolitiken vergessen wird. Ich sage immer, dass die aktuelle<br />

Regierung <strong>und</strong> die vorherigen eine Schuld gegenüber unserer Community haben,<br />

eine Schuld der sozialen Einbindung. Das Wichtigste wäre für uns die Abschaffung<br />

aller Polizeierlasse <strong>und</strong> das Gesetz für Geschlechtliche Identität.<br />

Dokumentiert ATTTA Gewalt- <strong>und</strong> Missbrauchsvorfälle? Und wenn ja, was<br />

macht ATTTA mit den Daten? Werden diese veröffentlicht?<br />

Ja. Wir gehen damit an die Öffentlichkeit, in Argentinien <strong>und</strong> bei der OAS. Und<br />

wir geben sie anderen internationalen Menschenrechtsorganisationen. Letztes<br />

Jahr hatten wir 15 tote Kolleginnen zu beklagen. Diese Fälle sind bis heute nicht<br />

aufgeklärt, weil die Polizei selbst darin verwickelt ist [asesinatos hechos por la<br />

misma policía].<br />

Kommen wir noch einmal auf das Gesetz zum städtischen Zusammenleben zu<br />

sprechen. Kritisiert ATTTA das Gesetz oder akzeptiert sie es?<br />

Nein, wir akzeptieren das Gesetz nicht, denn wir fordern Bewegungsfreiheit im<br />

öffentlichen Raum. Wir wollen uns im öffentlichen Raum frei bewegen können.<br />

―Ich sage immer,<br />

dass die aktuelle<br />

Regierung <strong>und</strong> die<br />

vorherigen eine<br />

Schuld gegenüber<br />

unserer Community<br />

haben, eine Schuld<br />

der sozialen<br />

Einbindung.‖<br />

Und das Gesetz fordert mehrere h<strong>und</strong>ert Meter Mindestabstand...?<br />

Ja, 200 Meter von einer Kirche, 200 Meter von einer Schule, 200 Meter von einem<br />

Wohnhaus, immer 200 Meter. Aber die Kolleginnen leben im Zentrum, sie leben<br />

in der Stadt. Sie stehen morgens auf, gehen mittags essen oder einkaufen...So oder<br />

so werden sie festgenommen oder bekommen Verweise, weil sie sich im<br />

öffentlichen Raum bewegen.<br />

Und mit welcher Begründung?<br />

Mit der Ausrede, dass sie gerade Sexarbeit ausübt. Ich sage immer, das sind<br />

Statistiken, die die Polizei macht. Um Statistiken zu haben <strong>und</strong> häufig auch, um<br />

sagen zu können, dass sie arbeitet. In deinem Privatleben kannst du dich jedenfalls<br />

nicht ohne Angst bewegen. Wenn ich jetzt Lust habe rauszugehen, um etwas zu<br />

kaufen oder um spazieren zu gehen – weil ich das Recht habe rauszugehen, mich<br />

zu zerstreuen, Schaufenster anzuschauen –, dann kann ich doch nicht davon<br />

abhängig sein, dass die Polizei mir einen Verweis ausstellt, weil sie mich kennt.<br />

Das ist polizeiliche Verfolgung.<br />

Kommt so etwas täglich vor?<br />

So etwas kommt täglich vor, ja. Dazu kommt, dass viele der Kolleginnen ihre<br />

Rechte nicht kennen. Sie nehmen das als etwas Alltägliches.<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Unterscheidet die Polizei zwischen den Mädchen? Zum Beispiel zwischen<br />

Mädchen aus der Provinz oder aus dem Ausland, die vielleicht keine Papiere<br />

haben? Ich habe gehört, dass die Polizei so etwas ausnutzt.<br />

Na klar, die Polizei nutzt alles aus, weil wir keine Rechte haben, die uns schützen.<br />

Wenn du keinen Ausweis hast – <strong>und</strong> ich wiederhole, dass die Mehrheit von uns<br />

keinen hat, weil es sie nicht interessiert, einen Ausweis zu haben, der sie nicht<br />

identifiziert, weil du mit dem Dokument nichts machen kannst, keinen Kredit<br />

kriegen kannst, nichts. Sie haben keinen Ausweis <strong>und</strong> wenn du Ausländerin bist,<br />

hast du auch keinen Ausweis. Was die Polizei macht ist: herauskriegen, welches die<br />

Ausländerinnen sind, diese verfolgen <strong>und</strong> Geld abknöpfen. Das passiert überall auf<br />

der Welt.<br />

Kommen wir zum Stadtteil Palermo. Was bedeutet es für euch, dass dort das<br />

erste offizielle Rotlichtviertel [zona roja] der Stadt eingerichtet wird?<br />

Für uns ist das ein Schritt, nicht mehr, für das Recht der einzelnen Person. Die<br />

Personen, die dort sind, sind Sexarbeiterinnen. Sie müssen ihre Rechte<br />

bekommen. Wir haben von der Regierung Toiletten <strong>und</strong> bakteriologische<br />

Mülleimer gefordert; Beleuchtung; dass sich die Polizei fernhält, denn bislang<br />

pflegte die Polizei den K<strong>und</strong>en Geld abzunehmen. Aber das ist nicht alles. Wir<br />

fordern eine andere soziale Einbindung, dass wir wählen können. Die Kolleginnen<br />

haben keine Möglichkeit zu wählen. Um leben zu können, ist das Einzige was<br />

ihnen bleibt, die Sexarbeit. Denn du musst essen <strong>und</strong> Miete bezahlen.<br />

Ursprünglich habt ihr in der Straße Godoy Cruz gearbeitet. Warum war es<br />

notwendig von dort in den Rosedal 6 zu wechseln <strong>und</strong> jetzt erneut den Ort zu<br />

verändern?<br />

Aus der Straße Godoy Cruz mussten wir wegen der Anwohner_innen [vecinos]<br />

weg. Es gab dort viele Schwierigkeiten. Wir sind dann erst in den Rosedal, aber<br />

dort gibt es einen Club <strong>und</strong> viel Publikumsverkehr. Es kam zu vielen Aggressionen.<br />

Leute kamen rein, um Stress zu machen. Die Polizei kam rein, um den K<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

den Sexarbeiterinnen Geld abzuziehen. Jetzt haben wir einen anderen Ort, wo es<br />

diesen Publikumsverkehr nicht gibt. Wer dahin geht, sucht eine Sexarbeiterin.<br />

―Wir haben von der<br />

Regierung Toiletten<br />

<strong>und</strong> bakteriologische<br />

Mülleimer<br />

gefordert;<br />

Beleuchtung; dass<br />

sich die Polizei<br />

fernhält, denn<br />

bislang pflegte die<br />

Polizei den K<strong>und</strong>en<br />

Geld abzunehmen.‖<br />

Stimmt es, dass ihr in der Straße Godoy Cruz Drohungen seitens der<br />

Anwohner_innen ausgesetzt wart?<br />

Das gibt es nach wie vor in der ganzen Stadt. Das gleiche Problem haben die<br />

Mädchen in Flores, die Mädchen in Constitución. Sie werden regelmäßig von<br />

Anwohner_innen bedroht, viele geschlagen. Das geht so weiter, das geht so weiter.<br />

In der Zeitung liest man davon nichts.<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

Nein. Wir haben demnächst einen Termin mit dem Polizeirevier in Flores, denn<br />

die Anwohner_innen wollen die Mädchen dort nicht. Es gibt eine Übereinkunft,<br />

dass es einen Ort in Flores geben soll, wo die Mädchen nachts arbeiten können.<br />

Aber das betrifft nur die, nicht nachts da sind.<br />

Zum Schluss noch eine Frage: In meinem Reiseführer erscheint Buenos Aires als<br />

das Paradies für Schwule in Lateinamerika. Wie seht ihr das?<br />

Das, was dort gezeigt wird, hat mit uns nichts zu tun. Ich wiederhole: Für uns ist<br />

Buenos Aires nur ein Schaufenster, aber die Realität in Argentinien ist eine andere.<br />

Wir können nicht nur von der Stadt sprechen; es muss über das ganze Land<br />

geredet werden. Uns scheint das eine Lüge, denn es gibt weiterhin Gesetze, die uns<br />

diskriminieren. Für uns ist das eine Lüge.<br />

_________________<br />

―Für uns ist Buenos<br />

Aires nur ein<br />

Schaufenster, aber<br />

die Realität in<br />

Argentinien ist eine<br />

andere.‖<br />

1 Im lateinamerikanischen Kontext hat die Bezeichnung travesti eine andere Bedeutung als<br />

das deutsche Wort “Transvestit”. Letzteres bezeichnet biologische Männer, die gerne<br />

“Frauenkleidung” tragen. Travesti ist dagegen eine Identitätskategorie, die sich Menschen<br />

angeeignet haben, welche das ihnen bei Geburt zugewiesene biologische Geschlecht ablehnen.<br />

2 Diese Beträge entsprachen zum Zeitpunkt des Interviews einem Wert zwischen 12 <strong>und</strong> 120<br />

Euro.<br />

3 Damit zielt ATTTA auf die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität einer<br />

Person, unabhängig ihres biologischen oder ihr bei Geburt zugewiesenen Geschlechts. Damit<br />

verb<strong>und</strong>en wäre das Recht auf Änderung von Namen <strong>und</strong> Geschlecht in Ausweisdokumenten.<br />

Mehr dazu unter www.attta.org.ar.<br />

4 Die Abkürzung steht für Lesbianas, Gays, Bisexuales, Transgéneros (auf Deutsch abgekürzt<br />

im Akronym LSBT für lesbisch, schwul, bisexuell <strong>und</strong> trans*).<br />

5 Trennt das Territorium der Hauptstadt von der angrenzenden Provinz Buenos Aires.<br />

6 Der Rosedal gehört zur Parkanlage Parque Tres de Febrero, auch Bosques de Palermo<br />

genannt, eine der größten öffentlichen Grünanlagen in Buenos Aires.<br />

Travestis Sexarbeiter_in<br />

Foto: Huasonic, flickr<br />

Lizenz: cc-Attribution-<br />

NonCommercial 2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

<strong>Gender</strong>queere<br />

Identitätsentwürfe in den<br />

antillischen<br />

Gegenwartliteraturen:<br />

Travestie <strong>und</strong> Cross-Dressing als<br />

postkoloniale <strong>Gender</strong>positionierungen<br />

Von Martina Urioste-Buschmann<br />

Antillische Gegenwartsliteraturen werden seit mehreren Jahren verstärkt von einer<br />

globalen Leserschaft rezipiert. Zur aktuellen literarischen Popularität dieser<br />

Region trägt sicherlich die Tatsache bei, dass innerhalb von neun Jahren zwei Literaturnobelpreise<br />

an anglokaribische Autoren verliehen wurden. 1 Jene zunehmende<br />

Rezeption fiktionaler Texte aus der antillischen Karibik kann jedoch nicht nur mit<br />

einer der Region zugeschriebenen ethnozentrischen Exotik erklärt werden. Vielmehr<br />

bieten jene Texte einen facettenreichen Raum zur kritischen Auseinandersetzung<br />

mit postkolonialen Identitätsaushandlungen. Diese Eigenschaft ist eng mit<br />

den kolonialen Geschichten der tropischen Inselregion verb<strong>und</strong>en. Die drei Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

lang währende britische, französische, niederländische <strong>und</strong> spanische<br />

Kolonialisierung <strong>und</strong> Plantagenwirtschaft haben die westindischen Inseln zu einem<br />

transozeanischen Kreuzungspunkt von Migrationen <strong>und</strong> Kulturtraditionen<br />

werden lassen. Auch die wirtschaftliche Ausbeutung billiger Tagelöhner_innen aus<br />

China <strong>und</strong> Indien nach Abschaffung der Sklaverei hat zu jenen erzwungenen multiethnischen<br />

Gesellschaften geführt, die mittels eigener Kulturproduktionen hinsichtlich<br />

Küche, Musik, Tanz <strong>und</strong> Literatur ein transkulturelles Zusammenspiel<br />

aus Farben, Klängen, Geschmäckern <strong>und</strong> Sprachen praktizieren: die créolisation 2 .<br />

Jene geschichtlichen Erfahrungen haben aber auch dazu geführt, dass in der Karibik<br />

zu verortende individuelle <strong>und</strong> kulturelle Identitätskonstruktionen von Brüchen,<br />

Rissen, Diskontinuitäten <strong>und</strong> Hybridität geprägt sind, die sich binären Oppositionen<br />

entziehen <strong>und</strong> immer wieder neu ausgehandelt werden müssen. Karibische<br />

Realität lehrt dabei, dass die zentralen Identitätskategorien class, race <strong>und</strong><br />

gender im Rahmen identitärer Aushandlungen weder klar voneinander abgegrenzt<br />

noch als geschlossene Entitäten betrachtet werden können. Gerade die transkulturellen<br />

Identitätskonstruktionen bieten eine inspirierende F<strong>und</strong>grube zur literaturwissenschaftlichen<br />

Untersuchung genderqueerer Positionierungen in postkolonialen<br />

Kontexten.<br />

„ … die<br />

wirtschaftliche<br />

Ausbeutung billiger<br />

Tagelöhner_innen<br />

aus China <strong>und</strong><br />

Indien nach<br />

Abschaffung der<br />

Sklaverei hat zu<br />

jenen erzwungenen<br />

multiethnischen<br />

Gesellschaften<br />

geführt … „<br />

Seite 51


gender <strong>geblickt</strong><br />

Denn die Entessentialisierung von Identitäten erfährt in den antillischen Gegenwartsliteraturen<br />

eine zunehmende Thematisierung. Jene Unabgrenzbarkeit postkolonialer<br />

Subjektivität eröffnet gleichzeitig einen fiktionalen Raum, um queere<br />

Diskurse transdifferenter 3 Selbstfindungen denk- <strong>und</strong> lesbar zu machen. Dass antillische<br />

Gegenwartstexte auch als Erprobungsräume genderqueerer Positionen<br />

verstanden werden können, soll im Folgenden anhand zweier anglophoner Erzählungen<br />

schlaglichtartig in Bezug auf die Inszenierungen von Körperlichkeit <strong>und</strong> der<br />

multiplen Überlappung soziokultureller Kategorien aufgezeigt werden. Es handelt<br />

sich dabei um die Romane „Sirena Selena” (2000) <strong>und</strong> „The Pagoda” (1998) die<br />

von den afrokaribischen Autorinnen Mayra Santos-Febres aus Puerto Rico <strong>und</strong><br />

Patricia Powell aus Jamaika verfasst wurden.<br />

Karibische Grenzgänger_innen<br />

„Beide Werke stellen<br />

Figuren in den<br />

Vordergr<strong>und</strong>, deren<br />

Geschlechterrollen<br />

sich der<br />

Heteronormativität<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Transgeschlechtlichkeit<br />

entziehen.―<br />

Beide Werke stellen Figuren in den Vordergr<strong>und</strong>, deren Geschlechterrollen sich<br />

der Heteronormativität aufgr<strong>und</strong> ihrer Transgeschlechtlichkeit entziehen. So wird<br />

in „Sirena Selena“ der Weg einer gleichnamigen Protagonistin nachgezeichnet, die<br />

sich zunächst als Strichjunge auf den Straßen San Juans den Lebensunterhalt verdient.<br />

15-jährig wird sie schließlich von der bekannten puertoricanischen Drag<br />

Queen Martha Divine aufgelesen. Martha erkennt Serenas großes Talent, gefühlvolle<br />

Boleros singen zu können <strong>und</strong> verschafft ihr einen Job als Entertainment-<br />

Künstlerin im Travestiekabarett ihres eigenen Clubs Blue Danube. Sirenas Karriere<br />

scheint ihren Höhepunkt zu erreichen, als ein Hotelier aus der Dominikanischen<br />

Republik ihr die Möglichkeit bietet, im Rahmen einer festen Anstellung regelmäßig<br />

ein Unterhaltungsprogramm in seinem Hotel El Conquistador zu<br />

bestreiten. Doch um den Job zu bekommen, muss Sirena zunächst vor einer Jury<br />

vorsingen, in der auch der reiche dominikanische Hotelier Hugo Graubel sitzt. Er<br />

ist von Sirenas Erscheinung als „Transfrau“ fasziniert, fühlt sich von ihr sexuell<br />

angezogen <strong>und</strong> will sie verführen. Daher bietet er Sirena an, sie für eine Show auf<br />

seinem privaten Anwesen außerhalb von Santo Domingo zu buchen. Im Rahmen<br />

dieses Vorschlags soll Sirena bereits zwei Tage vor dem Event anreisen, um sich<br />

entsprechend vorzubereiten. Sirena willigt ein <strong>und</strong> lässt sich dort – zum Entsetzen<br />

von Hugo Graubels Ehefrau - auf ein erotisches Abenteuer mit dem Hotelier ein.<br />

Am Ende wartet ihre Mentorin Martha Divine vergeblich in der dominikanischen<br />

Hauptstadt auf Sirenas Rückkehr <strong>und</strong> kehrt ohne sie nach Puerto Rico zurück. Um<br />

einen chinesischen Vertragsarbeiter, der in den 1880er Jahren als junges Mädchen<br />

von seinem Vater an einen Händler verkauft <strong>und</strong> nach Jamaika verschifft wird,<br />

geht es in „The Pagoda“. Lowe – obwohl bereits als junger Mann verkleidet an<br />

Bord – wird auf der Überfahrt von seinem Händler Cecil, der einst afrikanische<br />

Sklav_innen in die Karibik importierte <strong>und</strong> sich nun auf den Kuli-Handel 4 spezialisiert<br />

hat, in einem Versteck entdeckt. Cecil verschleppt Lowe in seine Schiffska-<br />

Seite 52


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

bine <strong>und</strong> vergewaltigt ihn mehrfach. Lowe kann bei ihm in der Kabine versteckt<br />

bleiben, wird mit Nahrung versorgt <strong>und</strong> muss sich nicht als Kuli an der harten körperlichen<br />

Arbeit auf dem Schiff beteiligen. Aufgr<strong>und</strong> der Vergewaltigungen wird er<br />

schwanger <strong>und</strong> gebärt kurz nach der Ankunft in Jamaika seine Tochter Liz. Schnell<br />

ist klar, dass Lowes weibliche Geschlechtsidentität in Verbindung mit seiner chinesischen<br />

Herkunft auf der Insel verborgen bleiben muss, da sein Weg ansonsten in<br />

die Zwangsprostitution führt. Daher arrangiert Cecil eine Heirat zwischen Lowe<br />

<strong>und</strong> Miss Sylvie, einer Frau afrokaribischer Herkunft, die vor Jahren ihren Ehemann,<br />

einen Fre<strong>und</strong> Cecils, ermordet hat. Aufgr<strong>und</strong> ihrer Tat sucht auch sie<br />

Schutz in einer neuen Identität. Nach der Heirat ziehen Lowe <strong>und</strong> Miss Sylvie die<br />

Tochter Liz in der Rolle von Vater <strong>und</strong> Mutter groß. Zwischen beiden Eheleuten<br />

entwickelt sich im Laufe der Zeit eine erotische Paarbeziehung. Beide werden jedoch<br />

von Cecil mit ihren jeweiligen Geheimnissen erpresst <strong>und</strong> müssen sich seinen<br />

Vorstellungen der Lebensführung fügen. So muss Lowe zwar nicht auf den Plantagen<br />

als Tagelöhner schuften, aber einen Gemischtwarenladen in einem kleinen<br />

jamaikanischen Dorf namens Manchester führen. Miss Sylvie soll sich dagegen<br />

zurückgezogen um Lowes <strong>und</strong> Cecils Tochter kümmern. Viele Jahre später stirbt<br />

Cecil bei einem Brandanschlag auf Lowes Laden. Für Lowe <strong>und</strong> Miss Sylvie – beide<br />

gehen mittlerweile auf die sechzig zu – eröffnen sich dadurch Chancen, ein selbstbestimmtes<br />

Leben zu führen. So entwickelt Lowe die Idee, ein Begegnungshaus für<br />

chinesische Einwanderer auf der Insel zu errichten. Miss Sylvie dagegen strebt für<br />

einen Neuanfang ins Ausland. Am Ende schaffen es beide nicht, ihre unterschiedlichen<br />

Vorstellungen in die Partnerschaft zu integrieren <strong>und</strong> trennen sich.<br />

„Bodies that matter“ - Narrationen queerer Körperinszenierungen<br />

Die queeren Identitäten der Protagonist_innen Sirena <strong>und</strong> Lowe gewinnen in beiden<br />

Romanen an Plastizität aufgr<strong>und</strong> ihrer Körperinszenierungen. Diese Inszenierungen<br />

bilden auch eine Projektionsfläche für die Sehnsüchte <strong>und</strong> Ängste anderer<br />

Romanfiguren. So werden in „Sirena Selena“ minutiös die aufwendigen Vorbereitungen<br />

zur Verwandlung der knabenhaften Sirena in eine schillernde Bolerosängerin<br />

beschrieben. Als Martha Divine den überdimensional großen Penis ihres<br />

Schützlings abbinden muss, um Sirena eine weibliche Erscheinungsform beim<br />

Vorsingen zu geben, sagt sie: „Ah mija, I can’t wait for you to start taking hormones<br />

to see if that thing shrinks a little. I am going to have to start charging you<br />

more, to cover the cost of the extra tape.“ Auch die genderkonnotierten Wahrnehmungen,<br />

welche Sirena bei ihren Betrachter_innen hervorruft, können polarisierender<br />

nicht sein. So sieht der Verehrer Graubel in ihr eine „wicked boy-woman<br />

gracefully setting the stage for her intricate love song.“ Seine Ehefrau Solange sieht<br />

in ihr dagegen eine eheliche Bedrohung. Für sie ist Sirena ein groteskes „monster“<br />

mit „traces of adolescence, the incipient Adam‟s apple on her throat, the feet, the<br />

hands that were to big for her height...“.<br />

„Aufgr<strong>und</strong> der<br />

Vergewaltigungen<br />

wird er schwanger<br />

<strong>und</strong> gebärt kurz<br />

nach der Ankunft in<br />

Jamaika seine<br />

Tochter Liz.―<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

Auch Lowes Körperlichkeit wird in „The Pagoda“ detailreich beschrieben. So trägt<br />

dieser normalerweise einen angeklebten Oberlippenbart. Nachdem sein Gemischtwarenladen<br />

abgebrannt ist, beschließt Lowe jedoch, den Kunstbart nicht mehr zu<br />

tragen. Anfänglich ist dies für ihn sehr ungewohnt: „He felt especially naked without<br />

the mustache and vulnerable, and he wondered if it had been such a good idea<br />

to abandon it.“ Bereits dieses kleine fehlende Merkmal seiner äußeren Erscheinungsform<br />

lässt Lowe seine Geschlechtlichkeit weiblicher bzw. verletzlicher empfinden:<br />

„For after forty years he wore his costume like a glove, like a second skin. After<br />

forty years there was nothing womanly about him, not even his voice, which<br />

was a soft harsh bark, its octaves mellowing with time.“<br />

Sein biologisches Geschlecht offenbart Lowe in einer dramatischen Szene seinem<br />

Mitarbeiter Omar: „Lowe howled, tearing at the mesh merino, tearing at the swaddling<br />

band, plucking at the knobby nipples of his breasts, soothing the thin wisps<br />

of fur at his groin.“ Diese Offenbarung führt bei Omar zu hysterischen Reaktionen<br />

<strong>und</strong> Flucht: „‟Oh God, Mr. Lowe.‟ Omar was starting to<br />

cry...croaked...disappeared“. Viele weitere Textstellen, die aus Platzmangel hier<br />

nicht zitiert werden können, verweisen auf geschlechtliches Grenzgänger_innentum<br />

als subversive Körperakte, die sich dem Gesetz der Binarität<br />

entziehen <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> soziokulturell heterogener (post-)kolonialer<br />

Gesellschaften vielfältige Konfliktlinien zeichnen.<br />

„Sein biologisches<br />

Geschlecht offenbart<br />

Lowe in einer<br />

dramatischen<br />

Szene … ―<br />

Class, Race <strong>und</strong> <strong>Gender</strong> als transdifferente Zugehörigkeiten<br />

Lowe <strong>und</strong> Sirena handeln als narrative Figuren nicht nur immer wieder von Neuem<br />

ihre genderqueeren Positionierungen aus. Vielmehr finden sich in diesen Positionierungen<br />

auch hinsichtlich der sozialen Kategorie race Einschreibungen, die<br />

soziale Marginalisierungen hervorrufen <strong>und</strong> abgeschlossene identitäre Grenzziehungen<br />

unmöglich machen. So wird Serena als „negro“ mit „black curled hair― <strong>und</strong><br />

„tanned skin― beschrieben, die in einer armen Stadtrandsiedlung aufwächst <strong>und</strong><br />

sich nach dem Tod der Großmutter zunächst auf der Straße durch das Sammeln<br />

von Blechbüchsen <strong>und</strong> mit Prostitution durchschlägt. Auf dem Höhepunkt ihrer<br />

Showkarriere blickt Sirena mit Grauen auf ihre Vergangenheit als Strichjunge zurück<br />

<strong>und</strong> schwört: „Opportunity doesn‟t knock twice...I‟m never, never going back<br />

to the streets.“ Die spätere erotische Beziehung zum hellhäutigen Hotelier Graubel<br />

setzt schließlich eine für beide Seiten profitable, aber hierarchische <strong>und</strong> durch colour<br />

geprägte Beziehung in Szene, bei der Sirena ihren glamourösen Charme als<br />

„Drag Princess― innerhalb jener Machtsstruktur ausspielen kann.<br />

Auch der asiatischstämmige Lowe kommt aus armen Verhältnissen. Seine im Süden<br />

Chinas lebenden Eltern hielten sich mit gelegentlichen Handwerksarbeiten<br />

des Vaters über Wasser. Durch die Überseefahrt nach Jamaika hört Lowe auf,<br />

Seite 54


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

eine arme Chinesin vom Land zu sein <strong>und</strong> wird zum ausgebeuteten Kuli, was ihm<br />

eine soziokulturelle Brandmarkung durch andere karibische Bevölkerungsgruppen<br />

beschert. Seine männlich konnotierte Kleidung <strong>und</strong> seine damit nach außen kommunizierte<br />

Geschlechtsidentität bewahrt Lowe jedoch vor einer weiteren gewalttätigen<br />

Stigmatisierung als Frau in der brutalen heteronormativen Welt der Siedler,<br />

Händler <strong>und</strong> ehemaligen Sklaven. Dies wird vor allem deutlich, als Lowe vom<br />

Menschenhändler Cecil, dem eine pinke Hautfarbe zugeschrieben wird, ausgelacht<br />

wird, weil er sich darüber beschwert, bei seiner Ankunft auf Jamaika von niemandem<br />

nach seinen Lebenswünschen gefragt worden zu sein. Cecil kommentiert<br />

verächtlich: „You, the only Chinese woman on the island. Is that? What do you<br />

think they would have done with you? Miss China Doll. Miss China Porcelain. You<br />

know what them do with the Chinese women in British Guinea. In Cuba. In Trinidad?<br />

Bring them to whorehouse. Is that what you wanted?“. Die zitierten Stellen<br />

machen deutlich, wie sich in beiden Romanen herkunftsbezogene Perspektiven der<br />

Marginalisierung mit genderqueeren Identitätsperformances überlappen <strong>und</strong><br />

dadurch den Figuren eine komplexe, von Brüchen gezeichnete Tiefe verleihen.<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich offenbaren die fiktiven Figuren beider Romanbeispiele eine postkoloniale<br />

Kontextualisierung queerer Körper- <strong>und</strong> Lebenspraktiken, welche binär<br />

konstruierten Geschlechterkategorien radikal entgegentritt. Die fiktiven Identitätsentwürfe<br />

ermöglichen auf der Rezeptionsebene eine Ausweitung des Erfahrungshorizonts,<br />

da hier sich überlappende Geschlechter- <strong>und</strong> Herkunftskategorien als<br />

ambivalent, prozessual <strong>und</strong> konstruiert dargestellt werden. Die Aushandlungen<br />

dieser Identitätspositionierungen problematisieren dabei aus der <strong>Gender</strong>perspektive<br />

rassistische <strong>und</strong> koloniale Bedeutungszusammenhänge. Abschließend bleibt<br />

festzuhalten, dass „Sirena Selena“ <strong>und</strong> „The Pagoda“ Räume zur Kritik am hetero<strong>und</strong><br />

eurozentrischen Wissen über Geschlechterrollen anbieten. Sie reihen sich damit<br />

in eine junge insulär-karibische Textlandschaft ein, die seit den 1990er Jahren<br />

heteronormative Geschlechterpositionen zunehmend in Frage stellt 5 <strong>und</strong> aus der<br />

erzählerischen Perspektive des globalen Südens dazu beiträgt, ein Bewusstsein für<br />

den Konstruktionscharakter binärer Zwangsidentitäten zu schaffen.<br />

„Gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

offenbaren die<br />

fiktiven Figuren<br />

beider<br />

Romanbeispiele eine<br />

postkoloniale<br />

Kontextualisierung<br />

queerer Körper- <strong>und</strong><br />

Lebenspraktiken … „<br />

_________________<br />

1 So erhielten 1992 der auf St. Lucia geborene Schriftsteller <strong>und</strong> Dichter Derek Walcott sowie<br />

2001 der auf Trinidad geborene Schriftsteller Vidiadhar Surajprasad Naipaul die begehrte<br />

Ehrung.<br />

2 Der Begriff geht auf den martinikanischen Essayisten <strong>und</strong> Literaten Édouard Glissant zurück.<br />

Er beschreibt damit in seinem Essay „Traité du Tout-Monde“ (dt. Übersetzung „Traktat<br />

über die Welt“) die Beziehung verschiedener kultureller Elemente, die an einem Ort der Begegnung<br />

aufeinander treffen <strong>und</strong> dabei einen unkontrollierbaren Vermischungsprozess in<br />

Gang setzen, dessen Ausgang nicht vorhersehbar ist.<br />

3 Die Begrifflichkeit der Transdifferenz kann als eine übergeordnete Kategorie für all jene<br />

Konzepte verstanden werden, die sich mit Modellen des Dritten, der sogenannten Unreinheit<br />

<strong>und</strong> der Vermischung beschäftigen. Die Anwendung jenes Begriffs erlaubt es, die durch eine<br />

Differenzsetzung ausgeschlossenen Momente der Unsicherheit, Unentscheidbarkeit <strong>und</strong> Widersprüchlichkeit<br />

in Identitätsbildungsprozessen zu beschreiben.<br />

Seite 55


gender <strong>geblickt</strong><br />

Nähere Ausführungen dazu in: Breining, Helmbrecht 2002.<br />

4 Der Begriff Kuli bezeichnet ostasiatische Tagelöhner_innen, die zwischen der Mitte des 19.<br />

<strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts nach Mittel- <strong>und</strong> Südamerika verschifft wurden. Sie arbeiteten zu<br />

Dumpinglöhnen vor allem auf den karibischen Zucker-, Tabak- <strong>und</strong> Kaffeeplantagen.<br />

5 Weitere Beispiele für die prosaische Thematisierung queerer <strong>Gender</strong>identitäten <strong>und</strong> sexueller<br />

Orientierungen sind z.B. „La nada cotidiana“ der kubanischen Autorin Zoé Valdes, „La<br />

travesía secreta“ des kubanischen Autors Carlos Victoria, die Kurzgeschichtensammlung<br />

„Nocturno y otros desamparos― des puertoricanischen Schriftstellers Moises Agosto-Rosario<br />

<strong>und</strong> der Roman „La Patografía“ des puertoricanischen Autors Ángel Lozada.<br />

Verwendete Literatur:<br />

Breining, Helmbrecht (2002): Multiculturalism in contemporary societies: perspectives<br />

on difference and transdifference. Erlangen: Univ.-Bibliothek.<br />

Glissant, Édouard (1997): Traité du Tout-Monde. Paris: Gallimard.<br />

Lozada, Ángel (1998): La patografía. Colonia del Valle: Éd. Planeta Mexicana.<br />

Moises, Agosto-Rosario (2007): Nocturno y otros desamparos. San Juan:<br />

Terranova Ed.<br />

Powell, Patria (1998): The Pagoda. New York: Knopf.<br />

Santos-Febres, Mayra (2000): Serena Silena vestida de pena. Barcelona:<br />

Mondadori.<br />

Valdés, Zoé (1995): La nada cotidiana. Barcelona: Emecé Ed.<br />

Victoria, Carlos (1994): La travesía secreta. Miami: Ed. Universal.<br />

Ladyfest<br />

Foto: Sterneck, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0 Generic (CC BY<br />

-NC 2.0)<br />

Seite 56


AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

H A R T Ă<br />

rumänisch hartă, ceartă, artă<br />

deutsch Landkarte, Auseinandersetzung, Kunst<br />

Von Sandra Hettmann<br />

Die Städte mit B.<br />

Dritte Station.<br />

Katzen haben hier neun Leben.<br />

Die magische Zahl sieben plus eins plus eins.<br />

Wie viele Auseinandersetzungen kann meine literarische Figur aushalten? Sie läuft<br />

durch die Stadt <strong>und</strong> versucht in Fragmenten die Narrativik zu finden. Gespenster.<br />

Die Wucht der Erinnerungen manifestiert sich in auswuchernden Träumen.<br />

Vorbei. Vorbei am Piaţa Revoluţiei, Piaţa Victoriei, Piaţa Universităţii. Wie in spiralförmigen<br />

Kreisen drehen sich die Gedanken hoch, schrauben ihre Formen in<br />

latenten Bildlichkeiten von Berührungen, die keine Grenzen kennen <strong>und</strong> vernarbte<br />

Oberflächen zurücklassen. Sie läuft weiter, um nicht auf der Standspur zu verharren.<br />

Die Worte dringen nicht durch die Hüllen. Das Echo verdoppelt sich <strong>und</strong><br />

kommt zurück. Sie kennt die Antworten, weiß um die Fakten <strong>und</strong> die Heimlichkeiten.<br />

Unheimlicherweise sind die Geräusche wie punktuelle Nadelstiche, welche die<br />

Blasen zum Platzen bringen.<br />

Bukarest eine Mischung aus Apotheken, die in grün blinkenden Zeichen <strong>und</strong> Plakaten<br />

eine Überpräsenz von Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Behaglichkeit anrufen wollen;<br />

daneben reihen sich die mächtigen Namen der Banken. Plastikscheine, glatt <strong>und</strong><br />

sauber liegen auf der Maskerade zwischen Einsamkeit <strong>und</strong> der Sehnsucht nach<br />

festhalten <strong>und</strong> festgehalten werden. In den Casinos <strong>und</strong> Spielhallen der Stadt visualisieren<br />

sich die unausgesprochenen Wünsche. Glitzernde <strong>und</strong> blinkende Automaten<br />

scheinen die Erfüllung von Assoziationsgewittern zu befriedigen.<br />

Hier an diesen anonymen Orten, wo die Blicke auf den Symbolen zum verschmähten-verwunschenen<br />

Reichtum ruhen, entstehen Zeitlichkeiten, welche den verdorbenen<br />

Anspruch tragen, die Fetzen erneut zu zerreißen, um sie dann mit Kleber<br />

wieder zu angeschlagenen Standbildern zusammenzubringen.<br />

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gender <strong>geblickt</strong><br />

Du läufst auf der unübersetzbaren Gestik an himmlischen Verfluchungen weiter.<br />

Auf einem deplatzierten Metallgitter schaust du durch die Stäbe in die Öffnung<br />

deiner fest verschlossenen Befindlichkeiten. Wie kannst du die Er_Innen-<br />

Perspektive wechseln?<br />

Foto: Sterneck, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)<br />

Schwer so schwer. Wie eintreten? Wie diese Bastion an anachronistischen Bewegungen<br />

sortieren?<br />

Ein Zwinkern von dir.<br />

Du, der die Codes der Verwunschenen spricht.<br />

Mit feuriger Melodie die Worte in deine Blasen hauchst <strong>und</strong> singst <strong>und</strong> stoßt.<br />

Ich liege auf Dir uns spüre die sanften Fingerspitzen auf meiner Haut. Elektrisierend<br />

<strong>und</strong> pulsierend finden sie ihren Weg auf meinen Körperlandschaften.<br />

Ich schaue zurück. Zurück zu Dir. Zurück ins Jetzt.<br />

Bukarest scheint eloquent <strong>und</strong> äquivalent <strong>und</strong> eklatant zu sein.<br />

Die dritte Station.<br />

Drei e.<br />

Mir gefallen die Dunstkurven, die um die Ecke biegen <strong>und</strong> gepunktete Verwechslungen<br />

provozieren. Bald haben wir den Kanal durchquert <strong>und</strong> können auf der anderen<br />

Seite emporsteigen. Du streckst mir deine Zungenspitze entgegen.<br />

Ich versuche mich tragen zu lassen. Wir reisen durch Rumänien. Ich fange an zu<br />

verstehen. Mechanismen meines Selbst <strong>und</strong> das der Anderen. Ein großes Wort,<br />

welches Subjektivitäten birgt. Es geht hier nicht um Konzepte oder systemtheoretische<br />

Ansätze <strong>und</strong> auch nicht um Sprengungen. Diese Reise ist eine Fahrt durch<br />

meinen Wissenskörper. Ich spüre Bewegungen in mir. Muskelgruppen, die vertieft<br />

mit <strong>und</strong> an der Kapillarversorgung arbeiten. Ich nähere mich den Karpaten. Das<br />

schwarze Meer <strong>und</strong> die Halbinsel Portiţei über Jurilovca liegen hinter uns. Dieses<br />

Land ist gezeichnet von aufmerksamen Widersprüchen. Von abwechslungsreichen<br />

Läufen. Gelegentlich summt <strong>und</strong> stottert mein Kompass, weil die Nadel in die<br />

Luftblasen trifft, die bunt <strong>und</strong> durchsichtig meine Lebenslust huldigen.<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Gespannt schaue ich mich um <strong>und</strong> entdecke Spuren, deren Konturen in meinem<br />

Unterbewusstsein Figurationen skizzieren <strong>und</strong> Erkenntnisse verbildlichen, die notwendigerweise<br />

mit Topologien unverkennbarer Erinnerungen kämpfen. Ein vorsichtiges<br />

Abtasten von Körperzonen.<br />

Die Sonne geht über Brăila auf, als ich um 6:03 von Elena geweckt werde. Die Federkernmatratze<br />

spannt ein letztes Mal ihre Drähte <strong>und</strong> während ich mein Gewicht<br />

verlagere <strong>und</strong> mich dem Tag entgegenstrecke, perlen die Wassertropfen auf<br />

deiner glatten Haut wie glitzernde Fäden in Richtung Badewannenboden.<br />

Vermischt mit Schaum folge ich deinen einladenden Blicken <strong>und</strong> blinzele Dir zu.<br />

Unsere Blicke treffen sich.<br />

Blitzlichter <strong>und</strong> eine Zugstation, die im satten Morgenlicht die Übergänge von<br />

schwarz <strong>und</strong> weiß vermeintlich filtriert <strong>und</strong> in Bündeln zurückwirft.<br />

Du.<br />

Stehst dazwischen.<br />

Versuchst den bündelnden Halmen zu entkommen.<br />

Wie ein verwunschener Jaguar tanzt Du geschmeidig mit mir.<br />

Morgen früh wirst du meinen Nacken küssen <strong>und</strong> die Abdrücke deiner Schatten<br />

bedauern.<br />

Du wirst weiter an deiner Identität bauen. Zwischen den Zeilen lugt die Ungeduld<br />

deiner brennenden Sehnsucht hervor.<br />

Ohh mein Katzentier spannt den Bogen, um mit den Tatzen gegen den Wind zu<br />

kämpfen. Ich steige weiter empor, auf den herunterfallenden Strickleitern. Die<br />

schwarzen Stoppeln auf meinem Dildo-Kopf versprühen wieder Glanz in diesen<br />

Zufällen an Begehrensrelationen. Relativ rumorvoll steckte ich mit <strong>und</strong> ohne Dildo<br />

in diesen Machenschaften an unausgesprochenen Gefühlen.<br />

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Foto: Sterneck, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)


gender <strong>geblickt</strong><br />

Die Autor_innen<br />

(in alphabetischer Reihenfolge)<br />

Feth, Anja<br />

Anja Feth ist Politologin <strong>und</strong> war von 2006-2009 Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

am DFG-geförderten Sonderforschungsbereich 700 „Governance in Räumen begrenzter<br />

Staatlichkeit“ (Freie Universität Berlin). In diesem Rahmen führte sie Ende<br />

2008 das hier abgedruckte Interview. Sie promoviert zur Territorialisierung<br />

städtischer Sicherheit am Beispiel Buenos Aires.<br />

Kontakt: afeth [at] zedat.fu-berlin.de<br />

Hettmann, Sandra<br />

Sandra Hettmann, M.A., studierte Hispanistik, <strong>Gender</strong> Studies <strong>und</strong> poetische Improvisation<br />

in Buenos Aires, Berlin <strong>und</strong> Potsdam. Magistraarbeit zu Luciana Romano<br />

<strong>und</strong> Ariel Devincenzo: Zeitgenössische Lyrik aus Buenos Aires - queerfeministische<br />

<strong>und</strong> poetkritische Perspektiven. Sie war Studienstipendiatin der Heinrich<br />

-Böll-Stiftung. Sie lebt in Berlin <strong>und</strong> bereitet ihr Promotionsprojekt über die Fotografin<br />

<strong>und</strong> Lyrikerin Susana Thénon vor.<br />

Kontakt: sandra.hettmann [at] gmx.de<br />

Kerl, Kristoff<br />

Kristoff Kerl ist Doktorand an der Universität zu Köln. Seine Dissertation beschäftigt<br />

sich mit dem Zusammenhang von empf<strong>und</strong>ener Krise weißer Männlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Antisemitismus in den Südstaaten der USA zwischen den 1890ern <strong>und</strong> den<br />

1920ern. Zu diesem thematischen Zusammenhang hat er den Aufsatz „The Pure<br />

and the Sodomite: Masculinity, Sexuality and Antisemitism in the Leo Frank Case“<br />

in der Onlinezeitschrift <strong>Gender</strong> Forum publiziert. Seit dem SoSe 2010 ist Kristoff<br />

Kerl als Lehrbeauftragter in der Anglo-Amerikanischen Abteilung des Historischen<br />

Seminars der Universität zu Köln tätig.<br />

Kontakt: Kristoff-Kerl [at] gmx.de<br />

Sauer, Arn<br />

Arn Sauer, M.A., promoviert derzeit als Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung am<br />

Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung an der Humboldt Universität<br />

zu Berlin zu internationalen Instrumenten der gleichstellungsorientierten Folgenabschätzung.<br />

Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter am <strong>Gender</strong>Kompetenz-<br />

Zentrum <strong>und</strong> Research Associate am Simone de Beauvoir <strong>Institut</strong> der Concordia<br />

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AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

Universität in Montreal. Er war Sprecher der AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus <strong>und</strong> engagiert<br />

sich auch für TransInterQueer e.V.<br />

Kontakt: arn.sauer [at] gmx.net, www.transinterqueer.org<br />

Scheidle, Ilona<br />

Ilona Scheidle: Historikerin, Publikationen <strong>und</strong> Forschungen zur Frauen- <strong>und</strong> Geschlechtergeschichte,<br />

Geschichtsvermittlung, Mitarbeit bei Miss Marples Schwestern<br />

– Netzwerk zur Frauengeschichte vor Ort, kreative Interventionen in den<br />

städtischen <strong>und</strong> intellektuellen Raum.<br />

Kontakt: ilonascheidle [at] web.de, www.miss-marples.net<br />

Schulte, Sarah<br />

Sarah Schulte studiert Politikwissenschaft, Soziologie <strong>und</strong> Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München <strong>und</strong> interessiert sich für Politische Philosphie,<br />

<strong>Gender</strong> Studies <strong>und</strong> Sozialpolitik. Sie arbeitet als studentische Hilfskraft<br />

bei der Geschäftsstelle Gleichstellungsbericht. Sie war Sprecherin der AG <strong>Gender</strong>+<br />

Feminismus.<br />

Kontakt: sarahirene.schulte [at] googlemail.com<br />

Unger, Moritz<br />

Moritz Unger ist Studienstipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung. Seit 2010 ist er ist<br />

Meisterschüler an der Kunsthochschule Kassel bei Professor Urs Lüthi. Zuvor studierte<br />

er Bildende Kunst, sowie Germanistik <strong>und</strong> Kunstpädagogik für das gymnasiale<br />

Lehramt.<br />

Kontakt: moritz.unger [at) yahoo.de<br />

Urioste-Buschmann, Martina<br />

Martina Urioste-Buschmann promoviert am Lateinamerika <strong>Institut</strong> der Freien<br />

Universität Berlin zum Thema "Konstruktionen von Chaos, Sakralität <strong>und</strong> Geschlecht<br />

im Motiv des rituellen Festes am Beispiel zeitgenössischer anglo-, franko<strong>und</strong><br />

hispanokaribischer Literaturen".<br />

Kontakt: martinidad.bu [at] googlemail.com<br />

Foto: Sterneck, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-<br />

NonCommercial 2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)<br />

Seite 61


queer-feministische ein–, aus– <strong>und</strong> <strong>durchblicke</strong><br />

gender <strong>geblickt</strong>. queer-feministische ein-, aus<br />

– <strong>und</strong> <strong>durchblicke</strong><br />

Impressum:<br />

Eine Publikation der AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus im<br />

Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung, in<br />

Kooperation mit dem G<strong>und</strong>a-<strong>Werner</strong>-<strong>Institut</strong><br />

Redaktion: Anja Feth, Arn Sauer<br />

Projektmanagement: Arn Sauer<br />

Lektorat: Anja Feth, Arn Sauer, Caroline Zöllner,<br />

Martina Urioste-Buschmann, Sarah Schulte, Sonya<br />

Wellhausen<br />

Satz/Design/Layout: Arn Sauer<br />

Sprecher_innen der AG <strong>Gender</strong>+ Feminismus<br />

im Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung<br />

(2009-2011): Arn Sauer, Sarah Schulte<br />

V.i.S.d.P.: Arn Sauer,<br />

Adresse: Weisestr. 50, D-12049 Berlin<br />

Kommentare, Fragen, Rückmeldungen bitte per<br />

E-Mail an: arn.sauer [at] gmx.net<br />

Rückblick—Dankeschön!<br />

Foto: Moe, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution 2.0<br />

Generic (CC BY 2.0)<br />

Ohne die Unterstützung von Fre<strong>und</strong>_innen,<br />

Partner_innen <strong>und</strong> Familien aller Couleur<br />

<strong>und</strong> Zusammensetzung bzw. ohne die privilegierte<br />

Sicherheit eines Studien- oder Promotionsstipendiums<br />

wäre dieses Magazin ebenso<br />

wenig möglich gewesen wie ohne die Kontakte<br />

<strong>und</strong> Infrastruktur der Heinrich-Böll-<br />

Stiftung. Exemplarisch gedankt sei, neben<br />

den Autor_innen, Lektorierenden, AG-<br />

Treffen Organisierenden (Arn Sauer, Caroline<br />

Zöllner, Gifta Martial, Magdalena Herzog,<br />

Martin Mettin <strong>und</strong> Sonya Wellhausen) <strong>und</strong><br />

Campus-Seminar Gebenden (Arn Sauer, Ilka<br />

Johanning, Sandra Hettmann) der AG <strong>Gender</strong>+<br />

Feminismus (2009-2011), auch Gabriele<br />

Tellenbach, für die jahrelange, kompetente<br />

<strong>und</strong> (fast) alles möglich machende Betreuung,<br />

<strong>und</strong> Gosia Lewandowska vom Studienwerk<br />

der Heinrich-Böll-Stiftung sowie Susanne<br />

Diehr <strong>und</strong> Francesca Schmidt vom<br />

G<strong>und</strong>a-<strong>Werner</strong>-<strong>Institut</strong>.<br />

Ladyfest Frankfurt<br />

Foto: Sterneck, flickr<br />

Lizenz: cc, Attribution-NonCommercial 2.0 Generic<br />

(CC BY-NC 2.0)

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