Was ist guter Grundschulunterricht ? Qualitätsstandards für den ...
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<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>guter</strong> <strong>Grundschulunterricht</strong> ?<br />
<strong>Qualitätsstandards</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>den</strong> Anfangsunterricht<br />
(1./2. Schulbesuchsjahr)<br />
Zwischenprüfungsausarbeitung Erziehungswissenschaft von<br />
Dr. Waltraud Manschke<br />
Hermannsburg 156<br />
28259 Bremen<br />
1. Prüferin: Prof. Dr. Ursula Carle<br />
2. Prüferin: Barbara Berthold<br />
Abgabetermin: 8.Januar 2003
<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>guter</strong> <strong>Grundschulunterricht</strong>?<br />
<strong>Qualitätsstandards</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Anfangsunterricht<br />
(1./2. Schulbesuchsjahr)<br />
Einleitung ........................................................................................................................ 2<br />
Qualitätsbereiche............................................................................................................ 3<br />
Das Allgemeinbildungskonzept nach Klafki..................................................................... 5<br />
Lehren und Lernen.......................................................................................................... 8<br />
Kindheit heute ............................................................................................................. 8<br />
Forderungen an <strong>den</strong> Unterricht ................................................................................... 9<br />
Unterrichtsvorbereitung............................................................................................ 9<br />
Didaktik des integrativen Anfangsunterrichts........................................................... 9<br />
Differenzierte Förderung und Unterstützung.......................................................... 12<br />
Soziale Kompetenzen............................................................................................ 14<br />
Hausübungen und häuslicher Lernaufwand........................................................... 15<br />
Disziplin ................................................................................................................. 15<br />
Bedeutsamkeit der Lehr- und Lerninhalte.............................................................. 16<br />
Lernanforderungen ................................................................................................ 17<br />
Le<strong>ist</strong>ungsfeststellung und –beurteilung.................................................................. 17<br />
Ergebnisse des Unterrichts / Längerfr<strong>ist</strong>ige Auswirkungen.................................... 18<br />
Lebensraum Klasse und Schule................................................................................ 19<br />
Subjektives Wohlbefin<strong>den</strong> / Klassenklima / Schulklima ......................................... 19<br />
Problembewältigung .............................................................................................. 20<br />
Arbeitsplatz Schule ................................................................................................ 20<br />
Schulangebote....................................................................................................... 21<br />
Außenbeziehungen der Schule ................................................................................. 23<br />
Subjektive Zufrie<strong>den</strong>heit ........................................................................................ 23<br />
Eltern- / SchülerInnenpartizipation......................................................................... 23<br />
Schule von außen bestimmende Institutionen ....................................................... 24<br />
Nicht-lehrendes Personal....................................................................................... 24<br />
Öffnung nach außen .............................................................................................. 24<br />
Schulmanagement .................................................................................................... 26<br />
Organisation und Admin<strong>ist</strong>ration der Schule.......................................................... 26<br />
Führung der Schule durch die Schulleitung ........................................................... 27<br />
Pädagogisch – beraterische Kompetenz der Schulleitung..................................... 29<br />
Beschaffung von (zusätzlichen) Ressourcen......................................................... 29<br />
Professionalität und Personalentwicklung ................................................................. 30<br />
Gemeinsame Bewältigung von Aufgaben.............................................................. 30<br />
Pädagogische Entwicklungsarbeit ......................................................................... 30<br />
Innovationsbereitschaft der LehrerInnen................................................................ 31<br />
Sozialpädagogische Beratungs- sowie therapeutische Kompetenzen................... 32<br />
Ausblick......................................................................................................................... 33<br />
Literaturl<strong>ist</strong>e .................................................................................................................. 35<br />
1
Einleitung<br />
Gerade in der heutigen Zeit, nachdem deutsche Schulkinder in verschie<strong>den</strong>en Tests<br />
(TIMS-Studie; PISA-Studie) im internationalen Vergleich schlecht abgeschnitten haben,<br />
wird überall der Ruf nach mehr Qualität des Unterrichts an deutschen Schulen laut.<br />
Doch was bedeutet Qualität von Schule? Wie lässt sie sich messen? Wie soll diese<br />
Qualität erreicht wer<strong>den</strong>? Gibt es Standards <strong>für</strong> die Qualität der (Grund-)Schulen? Und<br />
wenn ja, wie sehen sie aus? Wie müssten sie aussehen? Ähnliche Fragen wer<strong>den</strong> auch<br />
in einem Zeitungsartikel (Weserkurier, 7.12.02, S.16) gestellt. „Um die Qualität von<br />
Schulen zu messen und zu verbessern sind ...verbindliche <strong>Qualitätsstandards</strong> unerlässlich",<br />
wird Bildungssenator Lemke in diesem Artikel zitiert. Um solche Qualitätsstandard<br />
<strong>für</strong> alle Schularten zu erarbeiten wird mit Unterstützung der Wirtschaft ein 4-jähriges<br />
Projekt ins Leben gerufen.<br />
Bisher war es in der Bundesrepublik so, dass Überlegungen und Veränderungen fast<br />
nur auf der organisatorischen, aber kaum auf der didaktischen bzw. unterrichtlichen<br />
Ebene vorgenommen wur<strong>den</strong>. Es besteht jedoch ein enger Zusammenhang zwischen<br />
didaktischen und organisatorischen Überlegungen. Organisatorisch sollte man erst etwas<br />
ändern, wenn didaktische Vorentscheidungen getroffen sind, sonst sind alle organisatorischen<br />
Änderungen ineffektiv. Die Didaktik hat eindeutig Vorrang (Rosenthal &<br />
Dahlke, 2002).<br />
In dieser Arbeit wird versucht, <strong>Qualitätsstandards</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Anfangsunterricht zu definieren.<br />
Dabei wird der Anfangsunterricht als der Unterricht verstan<strong>den</strong>, der von der Einschulung<br />
über die ersten zwei Schulbesuchsjahre geht. Da die Grundlagen <strong>für</strong> alles<br />
weitere Lernen in diesen ersten Schuljahren gelegt wer<strong>den</strong>, <strong>ist</strong> es vor allem wichtig in<br />
dieser Anfangszeit sehr gute Lernumgebungen in der Schule zu schaffen. Doch was <strong>ist</strong><br />
eine gute Lernumgebung? Wovon hängt sie ab?<br />
Um diese vielen Fragen zu beantworten, werde ich eine Einteilung von schulischer<br />
Ausbildung in Qualitätsbereiche nach Haider (1999) vorstellen, die alle Bereiche schulischen<br />
Lebens umfasst, und die mir daher <strong>für</strong> diese Untersuchung sehr sinnvoll erscheint.<br />
Zu der Frage, welche Kompetenzen Kinder am Ende ihrer Schulzeit haben<br />
sollten, und wie die Schulen diese <strong>den</strong> Kindern vermitteln können, werde ich mich auf<br />
einen Artikel von Klafki (1995) beziehen. Um die dort gestellten Forderungen Klafkis an<br />
die Ausbildung zu erfüllen, sind bestimmte <strong>Qualitätsstandards</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> Unterricht nötig.<br />
In der Kürze dieser Arbeit können viele Aspekte nur angerissen wer<strong>den</strong>.<br />
Da der Anfangsunterricht die Grundlage <strong>für</strong> die gesamte Ausbildungszeit legt, sind<br />
viele in dieser Arbeit geforderte <strong>Qualitätsstandards</strong>, auch wenn sie nicht ausdrücklich<br />
auf <strong>den</strong> Anfangsunterricht bezogen wer<strong>den</strong>, schon im Anfangsunterricht einzuhalten.<br />
Um die <strong>Qualitätsstandards</strong> festzulegen werde ich nach <strong>den</strong> jeweils von Haider unterschie<strong>den</strong>en<br />
Qualitätsbereichen vorgehen. Wo möglich habe ich Literatur herangezogen,<br />
um meine Thesen zu stützen. Ansonsten habe ich meine Einschätzung der Sachlage<br />
beschrieben.<br />
2
Qualitätsbereiche<br />
Haider (1999) hat versucht, das komplexe System „Schule“ nach Qualitätsbereichen zu<br />
strukturieren. Er unterscheidet fünf Qualitätsbereiche:<br />
• Lehren und Lernen<br />
• Lebensraum Klasse und Schule<br />
• Schulpartnerschaften und Außenbeziehungen<br />
• Schulmanagement<br />
• Professionalität und Personalentwicklung<br />
Diese Einteilung, vor allem die im Folgen<strong>den</strong> beschriebenen Unterpunkte dieser fünf<br />
Qualitätsbereiche finde ich sehr sinnvoll, da sie eine systematische Untersuchung von<br />
<strong>Qualitätsstandards</strong> auf allen Ebenen schulischen Lebens ermöglicht. Wo es sinnvoll<br />
war, habe ich in der Ausarbeitung einzelne Punkte dieser Aufl<strong>ist</strong>ung zusammengefasst,<br />
zu allen aber Qualitätsforderungen formuliert.<br />
Lehren und Lernen<br />
1. Vorbereitung des Unterrichts durch die Lehrperson/en<br />
2. Didaktische Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrperson/en<br />
3. Differenzierte Förderung und Unterstützung aller SchülerInnen<br />
4. Hausübungen und häuslicher Lernaufwand<br />
5. Sozialkompetenzen<br />
6. Motivations- und lernförderndes Verhalten der LehrerInnen und Lernbereitschaft der<br />
SchülerInnen<br />
7. Strenge / Disziplin<br />
8. Bedeutsamkeit der gewählten Lehr- und Lerninhalte<br />
9. Lernanforderungen und Stress / Le<strong>ist</strong>ungsdruck<br />
10. Le<strong>ist</strong>ungsfeststellung und –beurteilung, Rückmeldekultur<br />
11. Ergebnisse des Unterrichts<br />
12. Längerfr<strong>ist</strong>ige Auswirkungen<br />
Lebensraum Klasse und Schule<br />
1. Individuelles / subjektives Wohlbefin<strong>den</strong> („psychologisches Klima“)<br />
2. „Klassenklima“ – Bezugsebene Klasse / Gruppe: LehrerInnen – SchülerInnen-<br />
Beziehungen und SchülerInnen – SchülerInnen-Beziehungen<br />
3. „Schulklima“ – Bezugsebene Schule: Soziale Qualität in der Schule<br />
4. Ausmaß von / Umgang mit Problemen<br />
5. Arbeitsplatz Schule: Gestaltung der Räumlichkeiten<br />
6. Reichhaltiges Schulleben / Angebote der Schule<br />
3
Schulpartnerschaft und Außenbeziehung<br />
1. Subjektive Zufrie<strong>den</strong>heit der Eltern /SchülerInnen / LehrerInnen<br />
2. Elternpartizipation<br />
3. SchülerInnenpartizipation<br />
4. Schule von außen bestimmende Institutionen<br />
5. Nicht-lehrendes Personal<br />
6. Öffnung nach außen<br />
Schulmanagement<br />
1. Organisation und Admin<strong>ist</strong>ration der Schule:<br />
2. Führung der Schule durch die Schulleitung:<br />
3. Pädagogisch – beraterische Kompetenz der Schulleitung<br />
4. Beschaffung von (zusätzlichen) Ressourcen<br />
Professionalität und Personalentwicklung<br />
1. Gemeinsame Bewältigung der Aufgaben an der Schule<br />
2. Pädagogische Entwicklungsarbeit an der Schule: systematische Qualitätsentwicklung<br />
und –sicherung,<br />
3. Systematische Personalentwicklung (lehrendes Personal)<br />
4. Innovationsbereitschaft<br />
5. sozialpädagogische Beratungs- / oder therapeutische Kompetenzen an der Schule<br />
Dies sind die Kernbegriffe der von Haider vorgenommenen Einteilung in Qualitätsbereiche.<br />
Da diese Einteilung die verschie<strong>den</strong>en Interaktionsebenen der Schule berücksichtigt<br />
(Schulleitung / LehrerInnen / SchülerInnen / nichtlehrende Beschäftigte /<br />
Außerschulisches), <strong>ist</strong> sie <strong>für</strong> mich eine wertvolle Hilfe, um differenzierte <strong>Qualitätsstandards</strong><br />
<strong>für</strong> die verschie<strong>den</strong>en Bereiche der Schule besonders im Anfangsunterricht festzulegen.<br />
4
Das Allgemeinbildungskonzept nach Klafki<br />
Immer wieder liest man in <strong>den</strong> Medien, die Ausbildung an <strong>den</strong> Schulen sei in der Krise<br />
(z. B. „Abitur: Der stete Niedergang der deutschen Reifeprüfung“, in: Spiegel special,<br />
2002). Doch was müssen heutige und zukünftige SchulabsolventInnen <strong>den</strong>n eigentlich<br />
wissen? <strong>Was</strong> soll Schule sie lehren? Dazu hat sich auch Klafki (1995) Gedanken gemacht<br />
und ein Konzept entwickelt (12 Thesen Klafkis (1995) zusammengefasst in Abb.<br />
1 1 ), welches in der Ausbildung berücksichtigt wer<strong>den</strong> muss, damit die SchülerInnen am<br />
Ende ihrer Schulzeit erkenntnisfähig und sensibel (d. h. mitempfindungs-, handlungsund<br />
urteilsfähig) sind. Erkenntnisfähig und sensibel zu sein bedeutet, dass jede/r SchülerIn<br />
ihr/sein individuelles Interessen- und Tätigkeitsprofil entwickeln kann und soll und<br />
jede/r SchülerIn ein Bewusstsein <strong>für</strong> die epochaltypischen Schlüsselprobleme (s.u.)<br />
entwickelt.<br />
Um diese bei<strong>den</strong> <strong>für</strong> Klafki wichtigsten Fähigkeiten zu erlangen, muss sich die Ausbildung<br />
ändern. Es muss ein ganz neues Konzept <strong>für</strong> die zu erwerbende Allgemeinbildung<br />
entwickelt wer<strong>den</strong>. Dazu muss auf der einen Seite die Bildungstheorie, aber auch die<br />
Bildungspraxis die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse und die in ihr ablaufen<strong>den</strong><br />
Prozesse beobachten und beurteilen. Danach wird entschie<strong>den</strong>, welche Verhältnisse<br />
bzw. Prozesse relevant <strong>für</strong> <strong>den</strong> Unterricht, also epochaltypische Schlüsselprobleme<br />
sind, und welche Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse durch die Ausbildung der<br />
SchülerInnen ermöglicht wer<strong>den</strong> soll.<br />
Dieses neue Allgemeinbildungskonzept erfordert vier Neuerungen im Unterrichten:<br />
Zum einen muss es eine Bildung <strong>für</strong> alle sein. Damit darf keine Selektion der Schulstruktur<br />
oder der Lerninhalte und –formen (also keine äußere Differenzierung) mehr<br />
auftreten. Zum zweiten müssen diese Lerninhalte durch ein breites Angebot an Lernmöglichkeiten<br />
angeboten wer<strong>den</strong>, so dass die SchülerInnen die Möglichkeit haben zu<br />
wählen, wie sie lernen und damit nach ihren individuellen Fähigkeiten gefördert wer<strong>den</strong><br />
können (innere Differenzierung). Weiterhin müssen sie die Fähigkeit erwerben, ihren<br />
Lernprozess selbstbestimmt zu gestalten (Metho<strong>den</strong>- Ziel- und Handlungskompetenz).<br />
Sie müssen Mitbestimmungsrecht haben und lernen, solidarisch mit ihrer Lerngruppe /<br />
Klasse zu sein (Sozialkompetenz). Die vierte Forderung Klafkis <strong>für</strong> sein Allgemeinbildungskonzept<br />
<strong>ist</strong> die Auseinandersetzung der Schüler mit epochaltypischen Schlüsselproblemen.<br />
Dabei nennt er 8 Schlüsselprobleme: Frie<strong>den</strong>sproblem, Nationalität / Internationalität,<br />
Umweltprobleme, Bevölkerungsexplosion, Heterogenität, Gegensatz<br />
Entwicklungsland – Industrieland, Neue Medien (Arbeitsplatzveränderungen durch<br />
Computer, Internet ...) und geändertes (freieres) Sexualverhalten. Diese L<strong>ist</strong>e muss a-<br />
ber immer wieder der aktuellen Gesellschaft angepasst wer<strong>den</strong>. Heute kämen sicher<br />
die Probleme mit Rechtsextremismus und Terrorismus / religiösem Fanatismus hinzu.<br />
Diese Auseinandersetzung mit epochaltypischen Schlüsselproblemen lässt aber einen<br />
Unterricht, wie er bis jetzt überwiegend durchgeführt wird, nicht mehr zu. Ein solches<br />
Schlüsselproblem kann man nicht mehr in einem bestimmten Unterrichtsfach behandeln,<br />
man muss es fächerübergreifend unterrichten.<br />
1 Begriffe aus Abbildung 1 wer<strong>den</strong> in diesem Abschnitt kursiv gedruckt, da sie direkt von Klafki (1995)<br />
übernommen wor<strong>den</strong> sind.<br />
5
Das wiederum setzt vor allem bei <strong>den</strong> weiterführen<strong>den</strong> Schulen voraus, dass die FachlehrerInnen<br />
sich zu LehrerInnenteams zusammentun, um gemeinsame Unterrichtsplanungen<br />
auch über längere Zeiträume durchzuführen. Diesen Lehrerteams müssen „erhebliche<br />
Spielräume der inhaltlichen, unterrichtsorganisatorischen und methodischen<br />
Gestaltung“ (Klafki, 1995, S. 13) eingeräumt wer<strong>den</strong>.<br />
Auch <strong>ist</strong> mit einem Schlüsselproblem nicht nur ein Thema angesprochen, sondern es<br />
setzt themenübergreifende Fähigkeiten der SchülerInnen und eine andere Einstellung<br />
zu „Fächern“ voraus. Themenübergreifende Einstellungen und Fähigkeiten bedeuten<br />
aber, dass die SchülerInnen in der Lage sind Kritik zu üben und mit Kritik positiv umzugehen.<br />
Des weiteren müssen sie in der Lage und willens sein, ihre Standpunkte durch<br />
Argumente zu vertreten. Sie müssen auch fähig sein, sich in andere hinein zu <strong>den</strong>ken<br />
(Empathie) und alles Erlernte themenübergreifend zu vernetzen.<br />
Um diese Schlüsselprobleme zu behandeln, müssen die Unterrichtsprinzipien metho<strong>den</strong>orientiert,<br />
handlungsorientiert, exemplarisch sein und sachbezogenes soziales Lernen<br />
fördern.<br />
Wenn man <strong>den</strong> gesamten Unterricht derartigen Änderungen unterwirft funktioniert auch<br />
die jetzt übliche Le<strong>ist</strong>ungsbewertung nicht mehr. Die Le<strong>ist</strong>ungen der SchülerInnen wer<strong>den</strong><br />
dann nicht mehr punktuell überprüft, sondern wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> SchülerInnen dynamisch<br />
über Kommunikation, Kritik etc. erbracht. Le<strong>ist</strong>ungen hängen dann auch nicht<br />
mehr nur von <strong>den</strong> individuellen Fähigkeiten der Einzelnen ab, sondern davon, dass sie<br />
in Kooperation mit anderen erbracht wird. Dann kann aber eine Le<strong>ist</strong>ungsbeurteilung<br />
auch nur noch dazu dienen, dem Einzelnen zu zeigen, wie weit er in seinem Lernprozess<br />
gekommen <strong>ist</strong> und wohin sein Lernweg weiter führen kann oder soll. Noten sind<br />
dann unsinnig.<br />
Solche Konzepte gab es schon in der Zeit der Reformschulen (etwa 20er Jahre) mit<br />
didaktischen Konzepten von Gaudig (1922) mit dem „Prinzip der Selbsttätigkeit, Kerschensteiner<br />
(1912) mit seiner „Arbeitsschule“ etc.. Auch heute gibt es Schulformen<br />
bzw. Unterrichtsformen, die <strong>den</strong> Forderungen Klafkis weitestgehend entsprechen, z. B.<br />
die Laborschule Bielefeld (s.a. Goetze-Emer, Klaus, Walluks, Ziebell-Schrank, 2000).<br />
Gerade diese Schulen haben bei einem freiwilligen PISA-Test viel besser als alle „normalen“<br />
Schulen abgeschnitten, z. T. so gut wie die Spitzenreiter aus Finnland, z. B. in<br />
der Lesekompetenz 529 Punkte, also nur 17 weniger als Finnland (TAZ, 14.11.2002).<br />
Schulen, wie der Laborschule, gelingt es besonders gut, SchülerInnen sehr unterschiedlicher<br />
Lernniveaus zu fördern und unterschiedliche Voraussetzungen auszugleichen<br />
(TAZ, 20.11.2002).<br />
Klafki (1992) fordert nachdrücklich die Behandlung von epochaltypischen Schlüsselproblemen<br />
im <strong>Grundschulunterricht</strong>, da diese die Gegenwart und die Zukunft der heutigen<br />
Grundschulkinder betreffen. Vielfach sind <strong>den</strong> Kindern die Problematiken schon<br />
aus <strong>den</strong> Medien bekannt. Außerdem bezeichnet er die Grundschulbildung als <strong>den</strong> „Anfang<br />
der Allgemeinbildung“ (S. 15). Weiterhin muss im <strong>Grundschulunterricht</strong> eine „vielseitige<br />
Interessen- und Fähigkeitsförderung durch die Entwicklung von elementaren<br />
Kategorien und Formen des Wirklichkeits- und Selbstverständnisses von Grundschulkindern“<br />
(S. 24)erfolgen.<br />
Das legt <strong>den</strong> Schluss nahe, dass eine Umsetzung von Klafkis Forderungen an die Ausbildung<br />
erfordert, dass die Kinder schon gleich im Anfangsunterricht mit solchen Lernmetho<strong>den</strong><br />
(das Lernen lernen), mit Eigenverantwortlichkeit und mit sozialen Verhaltensmustern<br />
vertraut gemacht wer<strong>den</strong> müssen.<br />
6
Bildungstheorie und –praxis muss gesellschaftl.<br />
Verhältnisse u. Prozesse beurteilen und mit<br />
gestalten.<br />
Bildung <strong>für</strong> alle<br />
keine Selektion der<br />
Schulstruktur, Lerninhalte<br />
und -formen<br />
Kritikbereitschaft<br />
und<br />
-fähigkeit<br />
themenübergreifende Einstellungen<br />
u. Fähigkeiten nötig<br />
(Aus-)<br />
Bildung<br />
Neues Allgemeinbildungskonzept<br />
Auseinandersetzung mit epochaltypischen Schlüsselproblemen<br />
(ca. 8: Frie<strong>den</strong> / Nationalitäten / Umwelt / Bevölkerungsexplosion /<br />
Heterogenität / Industrie- Entwicklungsland / Neue Medien /<br />
(freie) Sexualität<br />
Argumentationsbereitschaft<br />
u. -fähigkeit<br />
fächerübergreifend<br />
vernetzendes<br />
Denken<br />
Empathie<br />
Abb.1: 12 Thesen Klafkis zur „Allgemeinbildung“ (1995), schematisch dargestellt<br />
7<br />
Spielräume in<br />
der Unterrichtsgestaltung<br />
Le<strong>ist</strong>ungen dynamisch (Kommun., Kritik ...)<br />
metho<strong>den</strong>orientiert<br />
Unterrichtsprinzipien<br />
exemplarisch<br />
kooperative Lernle<strong>ist</strong>ung<br />
Le<strong>ist</strong>ungsbeurteilung nur als<br />
Orientierungshilfe<br />
breites Angebot an<br />
Lernmöglichkeiten<br />
(Wahlmögl. u. Individualisierung)<br />
Fähigkeit zur Selbstbestimmung,<br />
Mitbestimmung u. Solidarität<br />
Lehrerteams<br />
handlungsorientiert<br />
sachbezogenes<br />
soziales Lernen
Lehren und Lernen<br />
Kindheit heute<br />
Kinder leben heute in einer anderen Welt als noch vor ca. 20 Jahren (Struck, 1996 und<br />
Beck, 1997). Da <strong>ist</strong> zum einen die Zunahme an „Ein-Kind-Familien“, die erhöhte Erwerbstätigkeit<br />
beider Elternteile, eine neue Vielfalt an Familienkonstellationen (Leben<br />
mit einem Stiefelternteil, mit Stiefgeschw<strong>ist</strong>ern, mit 2 Vätern oder 2 Müttern....) bzw. die<br />
zunehmende Zahl Alleinerziehender.<br />
Die Kinder haben selten noch Gelegenheit auf Straßen oder freien Plätzen zu spielen,<br />
wodurch es nur noch selten zu Spielen in größeren Gruppen kommt. Me<strong>ist</strong> kommt es<br />
nur zu „Ein-Kind-Spielkontakten“ mit Gleichaltrigen. Auf der anderen Seite nehmen die<br />
Kinder zunehmend institutionalisierte Freizeitangebote wahr, wodurch es zu vollen<br />
Terminkalendern auch schon bei 6-jährigen kommt. Diese Art von Freizeitangeboten<br />
schließt zudem ärmere Kinder häufig aus.<br />
Einige Schulanfänger haben schon ein eigenes Fernsehgerät auf dem Zimmer, fast alle<br />
aber Kassettenrekorder, viele haben einen Gameboy oder sogar eine Playstation,<br />
manche auch schon einen Computer. Für manche Kinder sind diese Geräte die Hauptspielpartner,<br />
mit ihnen verbringen sie einen Großteil der Freizeit.<br />
Darüber hinaus hat sich das Erziehungsbild bzw. haben sich die Erziehungsnormen<br />
gewandelt. Erziehung <strong>ist</strong> heute sehr viel liberaler. Viele Eltern fühlen sich inzwischen<br />
(z.B. auch durch die zusätzliche berufliche Belastung) mit der Erziehung ihrer Kinder<br />
überfordert. Heute <strong>ist</strong> die Beziehung zum Kind häufig wichtiger als die Erziehung. Zudem<br />
kommt es durch die kulturelle und soziale Mischung in Schule und Familie zu einer<br />
Pluralisierung des Erziehungsstils und der vermittelten Werte.<br />
Insgesamt kann man von einer Verarmung der Kindheit sprechen: Die Kinder sind häufig<br />
arm an Arbeits- und Verantwortungserfahrung, (vor allem in <strong>den</strong> Städten) arm an<br />
gefahrloser Erkundung der Umwelt und somit arm an eigenständiger Bewegungsfreiheit,<br />
arm an „Straßensozialisation“, arm an Geschw<strong>ist</strong>ern, arm an Bezugspersonen,<br />
einige auch zuwendungsarm, arm an erzieherischem Widerstand (Kinder machen etwas<br />
falsch und keiner sagt was).<br />
Hinzu kommt, dass die Kinder bei ihrer Einschulung einen Altersunterschied von bis zu<br />
3 Jahren aufweisen. Die Unterschiede in ihrer Entwicklung sind z. T. noch größer, und<br />
auch von Fach zu Fach weisen die Kinder unterschiedliche Entwicklungsniveaus auf.<br />
„Den typischen Schulanfänger gibt es nicht: ... Die Begabung, der Wissensstand, das<br />
Verständnis <strong>für</strong> Schrift, das Zahlenverständnis und die motorische Geschicklichkeit sowie<br />
das Konzentrationsvermögen und die Arbeitsgeschwindigkeit sind beim einzelnen<br />
Kind verschie<strong>den</strong> ausgeprägt.“ (Kultusmin<strong>ist</strong>erium Ba<strong>den</strong>-Württemberg, 2002). Auch<br />
Klafki (1992) betont, dass durch die veränderte Gesellschaft (Medienpräsenz, größerer<br />
Aktionsradius, Schnelllebigkeit etc.) bei heutigen SchulanfängerInnen die Differenzierung<br />
der verschie<strong>den</strong>en Dimensionen der kindlichen Persönlichkeit bereits begonnen<br />
hat, und diese Persönlichkeitsfacetten stehe oft in Spannung zueinander, offenbaren<br />
Widersprüche und Unstimmigkeiten.<br />
Eine heutige Kindheit läuft also viel individueller ab als vor etwa 20 Jahren und die<br />
Schnelligkeit der Veränderung hat zugenommen. Durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes,<br />
dass die Möglichkeit einer sonderpädagogischen Förderung in<br />
einer Regelschule verfassungsrechtlich geboten <strong>ist</strong>, muss der Unterricht sich auch auf<br />
diese <strong>für</strong> Regelklassen neue SchülerInnengruppe einstellen (Zöllner, 2002).<br />
8
Forderungen an <strong>den</strong> Unterricht<br />
Unterricht hat, um Klafkis Forderungen gerecht zu wer<strong>den</strong>, heute ganz neue Ansprüche:<br />
Eine Lehrperson bereitet nicht mehr einen Unterricht <strong>für</strong> alle Kinder vor, sie kann<br />
aber auch nicht <strong>für</strong> 25 – 30 Kinder jeweils eigene Angebote machen, um die unterschiedlichen<br />
Lernvoraussetzungen (soziale, ge<strong>ist</strong>ige, motorische ...) der SchülerInnen<br />
individuell zu berücksichtigen. Damit wäre jede Lehrperson überfordert (Carle, 2001).<br />
Trotzdem <strong>ist</strong> laut Brügelmann (2001/I) die Integration und individuelle Förderung die<br />
zentrale pädagogische Aufgabe der Grundschule und vor allem eine Anforderung an<br />
<strong>den</strong> Anfangsunterricht („Bildung <strong>für</strong> alle“ <strong>ist</strong> eine Forderung Klafkis, 1995). Eine Differenzierung<br />
„von oben“ überfordert die Lehrperson nicht nur vom Aufwand (<strong>den</strong> didaktischen<br />
Möglichkeiten), sondern auch von ihrer Diagnosefähigkeit her. Eine Individualisierung<br />
muss also „von unten“, durch die SchülerInnen passieren, indem ihnen<br />
Wahlmöglichkeiten <strong>für</strong> verschie<strong>den</strong>e Inhalte, Anspruchsniveaus und Wege des Lernens<br />
geboten wer<strong>den</strong>: Der Unterricht muss geöffnet wer<strong>den</strong>. Das Konzept der Öffnung<br />
basiert laut Brügelmann (2001/I) auf drei Annahmen:<br />
• Die Unterschiedlichkeit der Kinder erlaubt keinen gleichschrittigen Unterricht.<br />
• Lernen lässt sich von außen nicht steuern und kontrollieren, sondern nur anregen<br />
und stützen.<br />
• Die Rechte der Kinder begrenzen <strong>den</strong> pädagogischen Anspruch der Erwachsenen.<br />
Unterrichtsvorbereitung<br />
Durch die Öffnung des Unterrichts wird die Vorbereitung <strong>für</strong> <strong>den</strong> Unterricht stark verändert.<br />
Offener Unterricht <strong>ist</strong> nicht planbar wie herkömmlicher Unterricht. Planung <strong>ist</strong> aber<br />
auch kein Widerspruch zu Offenheit, wenn die Planung selber offen bleibt. Nach Zehnpfennig<br />
et al. (2002) <strong>ist</strong> Planung offen, „wenn sie<br />
• von einer ungeplant eingetretenen „zufälligen“ Situation aus weiterplant, aber<br />
mögliche Abläufe nicht festlegt, sondern als Alternativen bereithält<br />
• mit Beteiligung aller Plansubjekte (dazu gehören auch die Kinder!) verändert<br />
wer<strong>den</strong> kann.“<br />
Dabei umfasst die Planung durch die Lehrperson überwiegend die Materialbeschaffung<br />
und –bereitstellung sowie die Vorbereitung von Impulsen, die <strong>den</strong> Lernweg der Kinder,<br />
sofern es die Kinder anspricht, in eine bestimmte Richtung lenken und erweitern können.<br />
Diese Art von Unterrichtsplanung erfordert von der Lehrperson sehr viel Flexibilität<br />
und Spontanität.<br />
Didaktik des integrativen Anfangsunterrichts<br />
Die nach Klafki (1995) zu erwerben<strong>den</strong> Kompetenzen der Kinder beruhen vor allem<br />
darauf, dass die Kinder eigenständig und eigenverantwortlich zu Lernen lernen. Da die<br />
Interessen, das Vorwissen und die Fähigkeiten der Kinder so unterschiedlich (hetero-<br />
9
gen) sind, sollten drei didaktische Forderungen an <strong>den</strong> Unterricht erfüllt sein: Es sollte<br />
ein 1. offenes, 2. handlungsorientiertes Lehr- und Lernangebot <strong>für</strong> die Kinder in<br />
3. altersgemischten Gruppen geben.<br />
Offener Unterricht<br />
<strong>Was</strong> aber <strong>ist</strong> „offener Unterricht“?<br />
Für die Durchführung offenen Unterrichts hat Peschel (2002/I) ein Stufenmodell entwickelt<br />
2 :<br />
Stufe 0: Die organisatorische Öffnung<br />
als Vorstufe „Geöffneter Unterricht“ – nicht „Offener Unterricht“<br />
• Organisatorische Öffnung durch „Differenzierung von oben“ (durch <strong>den</strong> Lehrer)<br />
• Arbeitsformen: freie Arbeit, Wochenplan, Werkstätten, Stationen etc.<br />
• Inhalte und Metho<strong>den</strong> wie im traditionellen Unterricht (Vorgabe des Lernwegs durch<br />
Lehrererklärungen, lehrgangsmäßige Gestaltung der Arbeitsmaterialien<br />
• Lernen muss Passung haben (lernpsychologisch – didaktische Begründung)<br />
Stufe 1: Die methodische Öffnung<br />
als Grundbedingung <strong>für</strong> je<strong>den</strong> „Offenen Unterricht“<br />
• Methodische Öffnung durch „Individualisierung von unten“ (durch <strong>den</strong> Schüler)<br />
• Arbeitsformen: Reisetagebücherunterricht (Ruf / Gallin 1998)<br />
• Freigabe des Lernwegs<br />
• Wahl der Inhalte und Problemstellungen oftmals allein durch die Lehrperson<br />
(ein Beispiel dazu: vgl. Gallin & Ruf, 1995)<br />
• Lernen <strong>ist</strong> ein eigenaktiver Konstruktionsprozess des Einzelnen (lern- und entwicklungspsychologische<br />
Begründung)<br />
Stufe 2: Die methodische und inhaltliche Öffnung<br />
als weitgehende Umsetzung eines „Offenen Unterrichts“<br />
• Zusätzlich zur methodischen auch inhaltliche Öffnung durch stoffbezogene Mit- /<br />
Selbstbestimmung des Schülers<br />
• Aufgabe der Lehrperson: Sicherung der „Lernatmosphäre“, Impulse geben, strukturieren,<br />
Lernfortschritte der Kinder verfolgen ....<br />
(Beispiel: vgl. „Die Didaktik des weißen Blattes“ von H. Zehnpfennig, 1992)<br />
• Lernen <strong>ist</strong> am effektivsten, wenn es vom Lernen<strong>den</strong> als selbstbestimmt und signifikant<br />
erlebt wird (lern- und motivationspsychologische Begründung)<br />
Stufe 3: Die soziale Öffnung<br />
<strong>ist</strong> die Öffnung des Unterrichts in Richtung Demokratie und Selbstverwaltung<br />
• Soziale / persönliche Öffnung durch Basisdemokratie und Schülermitgestaltung (Unterrichtsablauf,<br />
Rahmenbedingungen, Regelstrukturen etc.)<br />
• Arbeitsformen: „Didaktik der sozialen Integration“ (Peschel, 2002)<br />
• Ergänzung eines je<strong>den</strong> Unterrichts auf der Ebene des sozialen Miteinanders<br />
• Verwirklichung von Basisdemokratie und Schülermitgestaltung<br />
2 Die kursiv gedruckten Teile stammen direkt aus Peschel, 2002/I, die normal gedruckten sind erläuternde<br />
Ergänzungen aus Peschel (2000).<br />
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• Soziale Erziehung <strong>ist</strong> am effektivsten, wenn die Strukturen vom Einzelnen selbst<br />
mitgeschaffen und als notwendig / sinnvoll erlebt wer<strong>den</strong> (bildungstheoretisch – politische<br />
Begründung)<br />
Darüber wur<strong>den</strong> von Brügelmann (1997) in einer Studie LehrerInnen befragt. Rund zwei<br />
Drittel der befragten LehrerInnen sind der Ansicht, dass sie am besten auf die Heterogenität<br />
einer Klasse eingehen, indem eine Individualisierung des Lehrangebots durch<br />
die Lehrperson gemacht wird (organisatorisch – methodische Öffnung; Stufe 0). Noch<br />
knapp die Hälfte der Befragten war der Ansicht, dass mit der Öffnung des Unterrichts<br />
auch eine didaktisch – inhaltliche Öffnung einhergehen muss (Stufe 1). Und nur noch<br />
knapp 10 % der Befragten lassen in ihrem Unterricht auch die Kinder mitentschei<strong>den</strong>,<br />
was gelernt wird und wie, also trauen <strong>den</strong> Kindern Eigenverantwortlichkeit zu (Stufe<br />
2).Wie die Befragung von Brügelmann (1997) zeigt, sind die me<strong>ist</strong>en Lehrpersonen mit<br />
der Öffnung ihres Unterrichts nur bis zu Stufe 0 oder vielleicht noch Stufe 1 vorgedrungen.<br />
Stationenlernen an sich <strong>ist</strong> noch kein offener Unterricht. Die Arbeitsanweisungen<br />
müssen auf je<strong>den</strong> Fall so gestaltet sein, dass die Kinder zum Nach<strong>den</strong>ken über ihre<br />
Beobachtungen angeregt wer<strong>den</strong> und versuchen, eigene Lösungsstrategien <strong>für</strong> Probleme<br />
zu entwickeln. Bis zu Stufe 3 kommen allerdings nur die wenigsten LehrerInnen<br />
mit ihrem Unterricht, da diese Form von Unterricht eine hohe Belastbarkeit der Lehrperson<br />
und ein immenses Vertrauen in die SchülerInnen voraussetzt, da die SchülerInnen<br />
bei allen Entscheidungen gleiches Stimmrecht wie die Lehrperson haben und diese unter<br />
Umstän<strong>den</strong> auch mal überstimmen. Peschel (2002) hat einen solchen Unterricht bis<br />
in letzter Konsequenz durchgeführt. Auch die Summerhill-Schule arbeitet nach einem<br />
solchen Öffnungsprinzip. Aus der Geschichte bekannt <strong>ist</strong> dieses System der Basisdemokratie<br />
in der Schule auch von Korczak (Kluge, 1981). Gerade <strong>für</strong> verhaltensauffällige<br />
Kinder <strong>ist</strong> diese Form der Öffnung, in der die Erziehung überwiegend durch die MitschülerInnen<br />
erfolgt, häufig die Chance, auf neue Wege gebracht und vor der Versetzung in<br />
Sonderschulen bewahrt zu wer<strong>den</strong> (Peschel, 1997).<br />
Ganz wichtig <strong>ist</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> offenen Unterricht der Austausch über das Gelernte mit <strong>den</strong><br />
MitschülerInnen und der Lehrperson z. B. über Leseversammlung oder Rechenkonferenz.<br />
Das „Lernen mit allen Sinnen darf nicht Vorrang vor bewusster (und damit auch<br />
sprachlicher) Verarbeitung von Erfahrungen bekommen“ (Brügelmann, 2001/I).<br />
Das wichtigste <strong>ist</strong> aber, dass die SchülerInnen lernen, über ihren Lernprozess zu reflektieren<br />
(z. B. mit Hilfe eines Lerntagebuchs) und zu abstrahieren. Brügelmann (2001/I)<br />
nennt es das „Denken über das Denken“.<br />
Handlungsorientierung<br />
Und was bedeutet Handlungsorientierung? „Handlungsorientierter Unterricht <strong>ist</strong> ein<br />
Unterrichtskonzept, das <strong>den</strong> Schülern einen handeln<strong>den</strong> Umgang mit <strong>den</strong> Lerngegenstän<strong>den</strong><br />
und –inhalten des Unterrichts ermöglichen soll. Die materiellen Tätigkeiten<br />
der Schüler bil<strong>den</strong> dabei <strong>den</strong> Ausgangspunkt des Lernprozesses, und es sollen Handlungsprodukte<br />
als konkrete Ergebnisse des Lern- und Arbeitsprozesses erstellt wer<strong>den</strong>“<br />
(Wopp, 1986). Dabei sollten die Kinder die Möglichkeit haben, sich die Welt durch entdeckendes<br />
Lernen selbst zu erschließen (Danckwerts, 1997). Gerade <strong>für</strong> die Integrationsarbeit<br />
<strong>ist</strong> Anschaulichkeit und Handlungsorientierung von besonderer Bedeutung<br />
(Zöllner, 2002).<br />
Nach neueren Erkenntnissen der Hirnforschung lernen Kinder (und auch Erwachsene)<br />
am besten, wenn sie beide Hirnhälften gleichzeitig nutzen. Das passiert vor allem über<br />
Spiele (vor allem mit Körperbewegung), Anfassen der Lerngegenstände, Lieder, Farben<br />
11
und Bilder („One picture is worth a thousand words“, Fletcher, 2001/2)(Fletcher,<br />
2001/1). Beispiele zur Umsetzung fin<strong>den</strong> sich z. B. bei Birkenbihl (2001) und Gallin &<br />
Ruf (1995). Gerade solche Möglichkeiten des Lernens, das Verknüpfen von theoretischer<br />
Information mit Musik, Bewegung oder Farbe ermöglicht langanhaltende Lernerfolge<br />
und sollte im Anfangsunterricht seinen Raum haben. Kinder in diesem Alter<br />
sprechen auf solche Angebote ja auch sehr gut an. Und bringt es Spaß und damit mehr<br />
Motivation in <strong>den</strong> Unterricht.<br />
Altersgemischtes Lernen<br />
Die dritte wichtige didaktische Forderung <strong>ist</strong> das gemeinsame Lernen von Kindern<br />
unterschiedlicher Altersgruppen in einer Lerngruppe. Wenn alle Kinder ihre individuellen<br />
Fähigkeiten nicht nur <strong>für</strong> sich nutzen, sondern sie auch anderen zur Verfügung<br />
stellen, können alle Kinder sehr viel größere Lernfortschritte zustande bringen, als das<br />
heute mit dem Lernen in ständiger Konkurrenz zu <strong>den</strong> MitschülerInnen möglich <strong>ist</strong>. Vielfach<br />
sehr unterschätzt wird dabei die Fähigkeit der Kinder voneinander zu lernen.<br />
Auf der einen Seite lernt das Kind, das eine Sache erklären muss, noch einmal mehr<br />
über diese Sache. Auf der anderen Seite kann ein Kind die Erklärung eines anderen<br />
Kindes oft sehr viel besser verstehen oder <strong>ist</strong> sehr viel interessierter als bei einer Erklärung<br />
durch die Lehrperson. Laut einer amerikanischen Studie profitieren beide Kinder<br />
bei einem solchen Lehr-/Lernprozess zwischen Kindern (Birkenbihl, 2001).<br />
Das zeigt ganz deutlich auch die Vorteile von altersgemischtem Lernen. In der Tat sind<br />
ja in <strong>den</strong> Grundschulklassen schon jetzt Altersunterschiede von 2 – 3 Jahren vertreten.<br />
Für das Lernen wäre eine Mischung der Kinder über drei oder sogar alle vier Grundschulklassen<br />
sicherlich sinnvoll. Laut Struckmeyer (1995) hat das <strong>für</strong> <strong>den</strong> Anfangsunterricht<br />
<strong>den</strong> Vorteil, dass neu in die Schule kommende Kinder Klassenregeln, Orientierung<br />
in der Schule, Rituale am Vormittag oder andere Gegebenheiten schon von <strong>den</strong> älteren<br />
SchülerInnen der Lerngruppe lernen können (wie das ja auch in der Flexiblen Eingangsphase<br />
(vgl. Prengel, Geiling, Carle, 2001) geschieht). Auf der anderen Seite hat es <strong>den</strong><br />
Vorteil, dass das Spektrum dessen, was die Kinder voneinander lernen können breiter<br />
gefächert <strong>ist</strong>. In einer Montessori-Schule in Osterholz-Scharmbeck besucht z. B. ein<br />
Kind, das eigentlich im dritten Schuljahr <strong>ist</strong>, <strong>den</strong> Deutschunterricht der zweiten Klasse,<br />
aber <strong>den</strong> Matheunterricht der vierten. Da auch dort altersgemischt gelernt wird, hat es in<br />
dieser Schule dazu die Möglichkeit. In einer normalen Schule wäre es in Deutsch überund<br />
in Mathematik unterfordert.<br />
Differenzierte Förderung und Unterstützung<br />
Die heutigen Schulanfänger sind nicht fachlich bei Null. Kinder haben schon erste Lernerfahrungen<br />
gemacht und haben vielfach auch schon Kenntnisse von Buchstaben, Zahlen<br />
usw.. Anfangsunterricht kann daher heute kein traditioneller Unterricht mit Leseoder<br />
Rechenfibel mehr sein, der eine „Einführung“ in die Welt der Schrift und des Rechnens<br />
geben soll (Brügelmann, 2001/I).<br />
Auch heute noch spricht im Unterricht überwiegend die Lehrperson. Die Kinder sollen<br />
überwiegend rezipieren. Gerade der Anfangsunterricht sollte aber möglichst mit völlig<br />
unterschiedlichen Sprachhandlungsformen vor allem durch die Kinder gestaltet wer<strong>den</strong><br />
(Trautmann, 2002). Nur so lernen die Kinder Sprachverständnis, welches nachher<br />
auch <strong>für</strong> das Textverständnis Voraussetzung <strong>ist</strong>. Viel Kommunikation vor allem unter<br />
<strong>den</strong> SchülerInnen, wie sie bei offenem Unterricht ja unerlässlich <strong>ist</strong>, fördert die Sprach-<br />
12
kompetenz. Und die <strong>ist</strong> heute nicht nur bei Ausländerkindern förderbedürftig, sondern<br />
auch bei solchen Kindern, die Sprache viel durch das Fernsehen (also nur durch zuhören,<br />
Brügelmann, 2001/I) lernen und nur einen eingeschränkten eigenen Sprachschatz<br />
haben.<br />
Für <strong>den</strong> Schriftspracherwerb <strong>ist</strong> das Konzept des Lesens durch Schreiben (Reichen,<br />
1982) eine Möglichkeit im offenen Unterricht. Dabei haben die Kinder die Möglichkeit,<br />
die Welt des Lesens und Schreibens nach eigenem Tempo und Vermögen selbsttätig<br />
zu erlernen. Dehn (2002) spricht davon, dass das Lesenlernen ein Problemlöseprozess<br />
<strong>ist</strong>. Um ein neues schwieriges Wort zu lesen muss der Schüler / die Schülerin „Wissen<br />
(z. B. Buchstabenkenntnis, Sachwissen, Textsortenwissen) einsetzen, müssen Hypothesen<br />
formuliert und geprüft wer<strong>den</strong>... Das erfordert Flexibilität und die „Sensibilität <strong>für</strong><br />
Nicht-Passungen“. ... Wenn der Leselernprozess gewinnbringend als Problemlöseprozess<br />
betrachtet wer<strong>den</strong> kann und wenn die Entfaltung und Schulung allgemeiner Problemlösefähigkeiten<br />
förderlich <strong>ist</strong> <strong>für</strong> das Lesenlernen, sollte Lesenlernen auch so unterrichtet<br />
wer<strong>den</strong>“. Dabei lernt jedes Kind die Buchstaben, die es gerade <strong>für</strong> die Wörter<br />
braucht, die es schreiben will. Es wird nicht mit allen Kindern gleichzeitig ein Buchstabe<br />
gelernt. Da die Kinder sich selbsttätig mit der Anlauttabelle beschäftigen, bleibt <strong>für</strong> die<br />
Lehrperson oder <strong>für</strong> Kinder, die schon weiter sind, die Zeit, sich mit <strong>den</strong> Kindern zu beschäftigen,<br />
die mit diesem Schreiblernprozess noch Schwierigkeiten haben.<br />
In der Mathematik wäre ein solches offenes Konzept z. B. das von Hülswitt (2001) mit<br />
einheitlichem Material in großer Menge. Die Kinder haben hier die Möglichkeit aus einheitlichem<br />
Material (z. B. 1-Cent-Stücken, Holzwürfeln, Eislöffeln etc.) kreativ etwas zu<br />
schaffen, ein Produkt herzustellen, welches mathematische Problemstellungen ergibt<br />
(im Anfangsunterricht sind das durchaus nicht nur bis 20 zählen und einfachere Plusoder<br />
Minusaufgaben). Jedes Kind kann sich mit <strong>den</strong> Aufgaben beschäftigen, die es<br />
spannend findet, die es sich schon zutraut oder mit <strong>den</strong>en etwas Neues ausprobiert<br />
wer<strong>den</strong> kann. So hat sich in Bremen in einer Grundschule ein Kind nach 5 Monaten<br />
Schulzeit alleine erarbeitet, dass es größere Cent-Mengen nachvollziehbarer zählen<br />
kann, wenn es die Centstücke immer in Zehnerreihen legt und dann nur noch die Zehnerreihen<br />
und die übriggebliebenen Centstücke zählen muss. Ein anderes Kind hat angefangen,<br />
mit Centstücken regelmäßige Dreiecke zu legen. Nachdem es erst mal eins<br />
geschafft hatte, versuchte es möglichst viele andere regelmäßige Dreiecke zu legen,<br />
also mit jeweils anderer Anzahl in der Grundlinie. Dabei bekam es heraus, dass das<br />
kleinste Dreieck, das es legen kann, aus drei Centstücken besteht. Andere legen mit<br />
<strong>den</strong> Centstücken Bilder oder lange Schlangen und beginnen zu zählen. Jeder arbeitet<br />
so, wie es ihm Spaß macht, aber alle wissen, dass es um Mathematik geht und sie versuchen<br />
sollen, in ihren Produkten mathematische Probleme zu fin<strong>den</strong>.<br />
Das Gute bei solchen Unterrichtskonzeptionen <strong>ist</strong>, dass die Kinder sich gegenseitig<br />
sehr viel helfen können. Wie oben schon erwähnt lernen Kinder von Kindern sehr viel<br />
besser als von Erwachsenen. Ein bestimmtes im „Mathematik-erfin<strong>den</strong>-Unterricht“ erfun<strong>den</strong>es<br />
Produkt (z. B. ein Armband aus Klebeband mit Centstücken beklebt) war nach<br />
kurzer Zeit auf fast allen Tischen der Kinder zu fin<strong>den</strong>.<br />
Auch im Sachunterricht kann man wunderbar mit entdeckendem Lernen arbeiten. Viele<br />
Themen bieten die Möglichkeit des von Klafki (1995) geforderten fächerübergreifen<strong>den</strong><br />
Unterrichts. Die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sachunterricht nötigen Worte oder Textformen wer<strong>den</strong><br />
im Deutschunterricht gelernt und geübt, <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sachunterricht nötige und interessante<br />
Rechenoperationen schaffen Verbindungen zum Mathematikunterricht. Auch Lieder <strong>für</strong><br />
<strong>den</strong> Musikunterricht und Produkte <strong>für</strong> <strong>den</strong> Kunstunterrichts sind im Zusammenhang mit<br />
<strong>den</strong> anderen Fächern sinnvoll einbindbar. Ein Manko des heutigen Sachunterrichts <strong>ist</strong><br />
aber nach wie vor das Unterrichten der Naturwissenschaften. Viele gute naturwissen-<br />
13
schaftliche LehrerInnen gehen nicht an die Grundschule, viele GrundschullehrerInnen<br />
wer<strong>den</strong> durch die viele Theorie und Abstraktion von Fächern wie Physik oder Chemie<br />
abgeschreckt. Gute Naturwissenschaftler sind aber schon <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Grundschulunterricht</strong><br />
wichtig. Inzwischen <strong>ist</strong> aus didaktischen Studien bekannt, wie man Naturwissenschaften<br />
<strong>für</strong> die Kinder interessant macht: sie „müssen selber experimentieren, Ideen entwickeln,<br />
diese überprüfen und immer wieder anwen<strong>den</strong>“ (Rauner, 2002).<br />
Bei einem solchen offenen Unterricht sind allerdings auch die Lernziele neu zu definieren.<br />
Es kann nicht erwartet wer<strong>den</strong>, dass alle Kinder am Ende des ersten Schuljahres<br />
alle Buchstaben schreiben, alle Rechenoperationen bis 20 durchführen können etc.. Die<br />
Lernziele müssen so zielorientiert sein, dass <strong>für</strong> jede/n SchülerIn individuell definierte<br />
Ziele formuliert wer<strong>den</strong>, deren Erreichung die/der SchülerIn und die Lehrperson überwachen<br />
muss. Dabei gibt es erst einmal die Lernzielkontrolle durch das Material selbst<br />
(integrierte und selbsttätige Lernkontrolle durch die/<strong>den</strong> SchülerIn) und durch die Lehrkraft<br />
mit Fortschrittsl<strong>ist</strong>en über jede/n SchülerIn und Kontrolle der vom Schüler / von der<br />
Schülerin geführten Hefte oder Lerntagebücher sowie Kontrollen in regelmäßigen Abstän<strong>den</strong><br />
mit Erstellung von Lernfortschrittsberichten (Struckmeyer, 1995). Diese Kontrollen<br />
sollten in Zusammenarbeit und Gespräch mit der/dem SchülerIn erfolgen.<br />
Das Einüben von Arbeitsverfahren und Handlungskompetenz (dass die SchülerInnen<br />
lernen <strong>für</strong> ihren Lernprozess Verantwortung zu tragen) <strong>ist</strong> schon im Anfangsunterricht<br />
ein Hauptlernziel.<br />
Soziale Kompetenzen<br />
Gerade in der Anfangsphase des Schulunterrichts <strong>ist</strong> ein weiteres wichtiges Lernziel<br />
das Ausbil<strong>den</strong> sozialer Kompetenzen. Meine Erfahrung aus einer 4. Grundschulklasse<br />
<strong>ist</strong>, dass in jeder Stunde viel Zeit darauf verwendet wer<strong>den</strong> muss, <strong>für</strong> die Klasse gültige,<br />
aber nicht von ihr erarbeitete Regeln des Zusammenarbeitens durchzusetzen. Soziale<br />
Kompetenzen zu erlernen <strong>ist</strong> Teil des Sachunterrichts laut Rahmenplan Grundschule<br />
des Landes Bremen (2002). Meiner Meinung nach <strong>ist</strong> es aber Grundbedingung und<br />
Lernstoff in allen Unterrichtsfächern.<br />
Der Wechsel der Kinder aus der Familie bzw. dem Kindergarten in die Schule erfordert<br />
von <strong>den</strong> SchülerInnen eine Neuorientierung in der Klasse und Schule. Dabei stoßen<br />
sehr viele unterschiedliche Charaktere aufeinander, die z. T. noch kein soziales Miteinander<br />
in einer solchen großen Kindergruppe mit nur einer erwachsenen Bezugsperson<br />
(LehrerIn) erlebt haben. Es muss eine eigene Entwicklung jeder Persönlichkeit ermöglicht<br />
wer<strong>den</strong> ohne dabei andere Persönlichkeitsentwicklungen mehr als nötig zu beschnei<strong>den</strong>.<br />
Dazu muss möglichst bald gelernt wer<strong>den</strong> (auch innere) Spannungen auszubalancieren<br />
(Brügelmann, 2001/I).<br />
Zudem müssen die Kinder lernen, ihre Aufmerksamkeit auf die Inhalte des Unterrichts<br />
zu lenken. Vielen fallen längere Konzentrationsphasen noch sehr schwer. Vor<br />
allem verschie<strong>den</strong>e Ebenen des Lernens <strong>für</strong> sich zu entdecken <strong>ist</strong> wichtig. Dazu gehört<br />
auch, dass die SchülerInnen sich gegenseitig und mit der Lehrperson über ihre Lernprobleme<br />
und –fortschritte austauschen bzw. informieren, also viel Kommunikation zwischen<br />
<strong>den</strong> SchülerInnen und zwischen LehrerInnen und SchülerInnen stattfindet.<br />
Weiterhin wichtig <strong>ist</strong>, dass die Kinder es lernen, sich nicht gegenseitig als Konkurrenten<br />
zu sehen, sondern als Team, das sich gegenseitig Hilfe und Anregungen geben kann.<br />
Auch eine Eigenverantwortung und Mitarbeit bei Aktivitäten der Klasse oder der<br />
Schule muss <strong>für</strong> die Kinder zu einer Selbstverständlichkeit wer<strong>den</strong>. Dazu muss <strong>den</strong><br />
Kindern aber auch bei Entscheidungen über diese Aktivitäten bzw. Unterrichtsinhalte<br />
und andere Geschehnisse in Klasse und Schule Mitbestimmung eingeräumt wer<strong>den</strong>.<br />
14
Soziale Kompetenz <strong>ist</strong> eine der wichtigsten Unterrichtsvoraussetzungen und muss im<br />
Anfangsunterricht erarbeitet wer<strong>den</strong>.<br />
Hausübungen und häuslicher Lernaufwand<br />
Heute <strong>ist</strong> es üblich, <strong>den</strong> Kindern ein bestimmtes Aufgabenpensum als Hausaufgabe zu<br />
geben. Dabei <strong>ist</strong> der Zeitaufwand <strong>für</strong> Hausaufgaben innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich.<br />
Bremen <strong>ist</strong> bezüglich des Hausaufgabenaufwands sehr zurückhaltend. <strong>Was</strong><br />
mich aber vor allem an <strong>den</strong> Hausaufgaben stört <strong>ist</strong>, dass die Kinder z. B. Aufgabe 5 und<br />
7 aufbekommen. Das eine Kind hat das in zwei Minuten fertig, andere brauchen vielleicht<br />
Stun<strong>den</strong>. Und vor allem entwickeln Kinder das Gefühl: „Wenn ich mit diesen Aufgaben<br />
fertig bin, habe ich genug gelernt.“ Es gibt keinerlei Ansporn, weiter zu lernen<br />
oder zu forschen, häufig wird das <strong>den</strong> Kindern sogar ausdrücklich untersagt, um die<br />
Einheit der Klasse zu gewährle<strong>ist</strong>en.<br />
Immer häufiger müssen Eltern ihren Kinder helfen, die Hausaufgaben zu machen, da<br />
die Schule es offensichtlich nicht le<strong>ist</strong>et, das nötige Wissen zu vermitteln. (In einer dritten<br />
Klasse in München wurde die Mutter von der Schwimmlehrerin aufgefordert, mit<br />
ihrem Kind privat <strong>den</strong> Freischwimmer zu machen, da es eins von 4 Kindern dieser Klasse<br />
<strong>ist</strong>, das noch nicht schwimmen kann. Wozu haben die Kinder dann überhaupt<br />
Schwimmunterricht, wenn nicht dort <strong>den</strong> Kindern das Schwimmen beigebracht wird?)<br />
Jedes dritte deutsche Kind braucht und bekommt zudem noch Nachhilfe, um das nötige<br />
Schulwissen zu erarbeiten (Spiegel special, 2002, S.56). Hierdurch wer<strong>den</strong> natürlich<br />
wieder ärmere Bevölkerungsschichten benachteiligt, <strong>den</strong>n <strong>guter</strong> Nachhilfeunterricht <strong>ist</strong><br />
teuer.<br />
Ein mir bekannter Lehrer aus Kleve hat statt einer bestimmten zu lösen<strong>den</strong> Aufgabe <strong>für</strong><br />
seine Grundschulklassen eingeführt, dass jedes Kind zu Hause z. B. eine Stunde Mathematik<br />
machen soll. <strong>Was</strong> das Kind dabei rechnet, <strong>ist</strong> nicht vorgegeben, aber es muss<br />
seine Arbeiten und Überlegungen in sein Heft schreiben, das der Lehrer dann kontrolliert.<br />
Auf diese Weise erfährt der Lehrer viel mehr über die tatsächlichen Fähigkeiten<br />
des Kindes, als er über „normale“ Hausaufgaben je erfahren würde. Und die Kinder haben<br />
die Möglichkeit, Aufgaben auf ihrem Le<strong>ist</strong>ungsniveau zu üben die ihnen auch noch<br />
Spaß machen, Erfolgserlebnisse zu bekommen und eigenständige Lernfortschritte zu<br />
machen.<br />
Disziplin<br />
Vielfach geht mit der Vorstellung von offenem Unterricht die Vorstellung von Regellosigkeit<br />
einher. Das <strong>ist</strong> aber keineswegs der Fall. Im Gegenteil: Bei offenem Unterricht<br />
muss es klare Regeln geben, sonst geht alles drunter und drüber. Doch <strong>ist</strong> es sinnvoll,<br />
diese Regeln mit <strong>den</strong> Kindern zusammen aufzustellen. Auch Kinder haben ein Bedürfnis<br />
nach Ordnung (wenn es sich auch nicht unbedingt mit unserer Vorstellung von Ordnung<br />
deckt). Eine Ordnungsvorgabe, die mit <strong>den</strong> Kindern entwickelt wird, hat <strong>für</strong> die<br />
Kinder eine viel größere Bedeutung. Die Kinder selbst wer<strong>den</strong> sehr viel mehr mit daran<br />
arbeiten, dass die von ihnen aufgestellte Ordnung auch eingehalten wird.<br />
Wichtig <strong>ist</strong> auch, dass schwerere Regelverstöße sofort mit der ganzen Klasse besprochen<br />
wer<strong>den</strong> (Nicolas, 1997). Nur wenn man solche Vorkommnisse (z. B. gewalttätige<br />
Auseinandersetzungen zwischen <strong>den</strong> Kindern) sofort bespricht, haben die betroffenen<br />
Kinder noch <strong>den</strong> richtigen Bezug zum Geschehen. Später <strong>ist</strong> die Dringlichkeit dieses<br />
Geschehens bei <strong>den</strong> Kindern vielleicht schon wieder durch andere Geschehnisse ver-<br />
15
drängt wor<strong>den</strong>. Auch <strong>ist</strong> es so, dass die betroffenen Kinder me<strong>ist</strong> direkt nach einer solchen<br />
Auseinandersetzung innerlich noch so aufgewühlt sind, dass an konzentriertes<br />
Arbeiten sowieso nicht gedacht wer<strong>den</strong> kann. Daher: Störungen haben Vorrang! Erst<br />
muss die Störung besprochen wer<strong>den</strong>. Natürlich fin<strong>den</strong> nicht alle Konflikte sofort eine<br />
Lösung; zerstrittene Kinder können sich nicht immer direkt wieder vertragen. Aber die<br />
Diskussion mit der Klasse und die Kritik oder die Einschätzung der Situation durch die<br />
anderen Kinder beeindrucken die Kinder me<strong>ist</strong> mehr, als jede Standpauke der Lehrperson<br />
es vermag.<br />
Regeln, die die Kinder unnötig in ihrem Bewegungsdrang einengen oder die es <strong>den</strong><br />
Kindern verwehren, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen (essen, trinken, auf Toilette<br />
gehen ...) sind dem Lernen nicht förderlich. Im offenen Unterricht gelten statt dessen<br />
Regeln, die <strong>für</strong> <strong>den</strong> Lernprozess aller wichtig sind. Bei Zehnpfennig (2002) fin<strong>den</strong> sich<br />
folgende Beispiele <strong>für</strong> Regeln:<br />
• Andere nicht bei der Arbeit stören<br />
• Anderen zuhören und sich in sie hineinversetzen<br />
• Nicht in Arbeitsgruppen Trittbrett fahren<br />
• Erst selbst versuchen, dann andere fragen<br />
• Jeder <strong>ist</strong> anders, auch du. Akzeptiere also andere oder andersartige Kinder.<br />
• Konkurriere nicht mit <strong>den</strong> anderen Kindern. Freue dich über deine und ihre Le<strong>ist</strong>ungen<br />
• Gib dein Wissen weiter. Hilf Kindern, die noch nicht so weit sind.<br />
Diese Regeln sind allmählich aus dem Miteinander der Klasse entstan<strong>den</strong>, weil sie <strong>den</strong><br />
Kindern sinnvoll und notwendig erschienen. So <strong>ist</strong> die Akzeptanz natürlich sehr viel höher<br />
als bei von der Lehrkraft verordneten, nicht immer nachvollziehbaren Regeln.<br />
Bedeutsamkeit der Lehr- und Lerninhalte<br />
<strong>Was</strong> sind „bedeutsame“ Lehr- und Lerninhalte? Sicherlich <strong>ist</strong> es von Kind zu Kind verschie<strong>den</strong>,<br />
was <strong>für</strong> bedeutsam gehalten wird. Und dieses unterscheidet sich sicher wieder<br />
von der Einschätzung der Lehrperson.<br />
Trotzdem müssen die Kinder natürlich dem Lehrplan entsprechend Lernstoff erarbeiten.<br />
Interessanterweise führt aber die intensive Auseinandersetzung mit einem Problem, wie<br />
es im offenen Unterricht ja vorgesehen <strong>ist</strong>, durch die fast immer themenübergreifende<br />
Dimension eines solchen Problems fast automatisch zu einer fächerübergreifen<strong>den</strong><br />
Vorgehensweise, wie sie von Klafki (1995) gefordert wird. In der Klasse von Frau Zehnpfennig<br />
(2002) kommt z. B. durch Zufall Interesse <strong>für</strong> das Thema „Hexen“ auf. Dieses<br />
Thema wird genutzt<br />
• „als Schreibanlass <strong>für</strong> unterschiedliche Textsorten<br />
• als Anlass zum Weiterlesen, da es zum Film (<strong>den</strong> ein Kind mitgebracht hat) ein Buch<br />
gibt<br />
• als Grundlage <strong>für</strong> Diskussionen über Vorurteile und Diskriminierung von Minderheiten<br />
• als Aufforderung zum szenischen Spiel<br />
• als Anregung <strong>für</strong> künstlerische Betätigung (Hexenlieder, Hexenmasken, Hexenbuch)<br />
• als Auseinandersetzung mit der Geschichte der Hexenverfolgung“<br />
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Dabei müssen nicht alle Kinder der Klasse sich mit diesem Thema beschäftigen. Wenn<br />
sie vernünftige Gründe angeben können, warum sie sich von diesem Thema ausschließen<br />
und einer sinnvollen anderen Arbeit nachgehen <strong>ist</strong> das in Ordnung.<br />
Lernanforderungen<br />
So umschließen die Lernanforderungen nicht, dass alle Kinder zur gleichen Zeit das<br />
Gleiche lernen, sondern dass sich jedes Kind mit dem beschäftigt, was zu der Zeit <strong>für</strong><br />
das Kind und seinen Lernweg wichtig <strong>ist</strong>. Dann <strong>ist</strong> auch die Lernmotivation hoch. Es<br />
muss allerdings darauf geachtet wer<strong>den</strong>, dass sich ein Kind nicht auf Dauer von einem<br />
bestimmten Lernbereich ausschließt. Das passiert aber auch nur selten, da alle Kinder<br />
bald merken, dass sie zur Lösung der sie gerade interessieren<strong>den</strong> Probleme Kenntnisse<br />
aus allen Fächern einmal brauchen.<br />
<strong>Was</strong> die Kinder schon im Anfangsunterricht lernen müssen, <strong>ist</strong>, dass sie ein sich selbst<br />
gestelltes Thema zu einem sinnvollen Ende bringen. Sie dürfen nicht einfach mit irgendetwas<br />
anfangen und dann am nächsten Tag etwas ganz anderes tun, wenn ihre<br />
Vortagesarbeit noch nicht abgeschlossen <strong>ist</strong> (Bauer, 1997).<br />
Sie müssen lernen, wie sie zu welchen Problemen Informationen bekommen können<br />
(MitschülerInnen, Bücher, Experimente und Beobachtungen, Zeitzeugen etc.). Sie müssen<br />
lernen ihren Arbeitsprozess zu dokumentieren und zu reflektieren. Sie müssen lernen,<br />
die in einem Problemfeld erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse auch auf andere<br />
Fragen übertragen und anwen<strong>den</strong> zu können, also ihr Wissen zu vernetzen. Sie müssen<br />
in der Lage sein, andere Arbeiten zu bewerten (zu kritisieren) und auch Kritik an<br />
ihrer eigenen Arbeit als Hilfe zu erkennen und zu akzeptieren lernen. Sie müssen vor<br />
allem lernen, <strong>für</strong> ihren Lernprozess selber Verantwortung zu tragen. Dazu müssen in<br />
ihrer Klasse aber auch die Sozialstrukturen passen. Auch das Leben in Gemeinschaft<br />
und das eigene Einbringen in Gemeinschaft und gemeinsamen Lernprozess müssen<br />
viele noch lernen. Dies sollte so früh wie möglich geschehen (s. o.).<br />
Wenn sie alle diese Dinge gut können, wer<strong>den</strong> sie auch die Lerninhalte lernen, da sie<br />
sich mit Interesse aus Eigenmotivation und mit ihrem ganzen Sein mit <strong>den</strong> Lerninhalten<br />
auseinandersetzen. So haben die Kinder ein sehr viel tieferes Verständnis der Dinge<br />
und der Zusammenhänge (sie haben ja aus Zusammenhängen heraus gelernt) als das<br />
bei rein lehrerzentriertem Unterricht der Fall <strong>ist</strong> (Fletcher, 2002/II).<br />
Le<strong>ist</strong>ungsfeststellung und –beurteilung<br />
Wie schon im Artikel von Klafki (1995) gefordert muss sich die Le<strong>ist</strong>ungsfeststellung<br />
und damit auch die Le<strong>ist</strong>ungsbeurteilung ändern. Die Lehrperson kann nicht mehr mit<br />
der ganzen Klasse am selben Tag in einem Test das gleiche Wissen abfragen. Und<br />
wenn man ehrlich <strong>ist</strong>, muss man zugeben, dass sich mit diesen Tests zeigt, dass auch<br />
im herkömmlichen Unterricht alle Kinder einen anderen Wissensstand haben. <strong>Was</strong> man<br />
aber nicht herausbekommt, <strong>ist</strong> der tatsächliche Wissensstand des Kindes. Wenn es eine<br />
Mathematikaufgabe falsch gerechnet hat, hat es die Aufgabe dann gar nicht verstan<strong>den</strong><br />
oder nur einen kleinen Rechenfehler gemacht? Oder vielleicht unter der Aufgabe<br />
etwas ganz anderes verstan<strong>den</strong>?<br />
Es <strong>ist</strong> also wichtig, die Le<strong>ist</strong>ung der SchülerInnen anders zu bewerten. Aber wie?<br />
Vor allem <strong>den</strong>ke ich, sollte nicht nur die tatsächlich erbrachte Le<strong>ist</strong>ung der SchülerInnen<br />
(wie viele Fehler hat er/sie gemacht) entschei<strong>den</strong>d <strong>für</strong> die Bewertung sein, sondern<br />
sein/ihr Lernfortschritt (wie viele Fehler hat er/sie weniger gemacht?) und sein/ihr Einsatz,<br />
mit dem er/sie versucht besser zu wer<strong>den</strong>. Gerade lernschwache SchülerInnen<br />
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wer<strong>den</strong> mit dem jetzt üblichen Le<strong>ist</strong>ungsbewertungssystem ständig demotiviert, bis sie<br />
irgendwann apathisch resignieren (Rheinberg (1997) zitiert in: Zehnpfennig, 2002). Gerade<br />
das herkömmliche Bewertungssystem macht aus einer anfänglichen Lernschwierigkeit<br />
häufig eine Lernstörung, die sich zu einer Lernschwäche entwickelt (Brügelmann,<br />
2001/I).<br />
Darüber hinaus <strong>ist</strong> es unerlässlich, die Kinder ihren Lösungsweg immer dokumentieren<br />
zu lassen, um zu sehen, wo ihre Schwierigkeiten sind. Nur so kann man sinnvoll versuchen,<br />
diese Fehler mit <strong>den</strong> Kindern zu beheben.<br />
Jedes Kind muss die Möglichkeit haben, sich einem Le<strong>ist</strong>ungstest zu unterziehen, wenn<br />
es glaubt, <strong>den</strong> da<strong>für</strong> nötigen Lernstoff zu beherrschen. So <strong>ist</strong> es in der Laborschule Bielefeld<br />
üblich, nach eigenem Abarbeiten bestimmter Aufgaben der Lehrkraft zu sagen,<br />
dass man nun <strong>den</strong> Test über diese Aufgaben machen will. Erst wenn der Test gut geschafft<br />
wurde, kann mit darauf aufbauendem Material weitergearbeitet wer<strong>den</strong>. War der<br />
Test nicht gut wird gemeinsam mit der Lehrperson überprüft, woran es lag und gemeinsam<br />
überlegt, welche Aufgaben sinnvolle Übungen sind, um diesen Fehler künftig zu<br />
vermei<strong>den</strong>.<br />
Dabei <strong>ist</strong> auch eine Neubewertung des Begriffs „Fehler“ nötig. Ein Fehler darf nicht länger<br />
als ein Makel und eine Schwäche angesehen wer<strong>den</strong>. Ein/e SchülerIn, die/der viele<br />
Fehler macht <strong>ist</strong> auch nicht automatisch dumm. Ein Fehler <strong>ist</strong> vielmehr ein nötiger<br />
Schritt auf dem Weg zu neuem, erweitertem Wissen. Gerade durch Fehler lernt man<br />
besonders viel. Wenn man nicht <strong>den</strong> Mut hat Fehler zu machen, wird man nicht unbefangen<br />
an die Lösung von Problemen herangehen und kommt in seinem Lernprozess<br />
nur langsam weiter.<br />
Laut Brügelmann (2001/I) sind Fehler Vereinfachungen, die auf dem jeweiligen Entwicklungsstand<br />
eines Kindes aus seinem bisherigen Wissen heraus gemacht wer<strong>den</strong>. Bestimmte<br />
Fehler zeigen sich häufig bei verschie<strong>den</strong>en Kindern in einer typischen Abfolge<br />
und lassen sich z. T. in Entwicklungsmodelle einbin<strong>den</strong>. Wichtig <strong>ist</strong> es die Ursache des<br />
Fehlers zu untersuchen und mit diesem Wissen daran zu arbeiten.<br />
Ergebnisse des Unterrichts / Längerfr<strong>ist</strong>ige Auswirkungen<br />
Haben die SchülerInnen gelernt so zu arbeiten, nutzt ihnen diese Fähigkeit <strong>für</strong> die ganze<br />
weitere Schulzeit. Das erlernte Wissen <strong>ist</strong> so gelernt wor<strong>den</strong>, dass es länger im Gedächtnis<br />
bleibt (s.o.). Und die Fähigkeit selbsttätig und eigenverantwortlich zu lernen<br />
wird das gesamte weitere Leben eine wichtige Grundlage sein. Gerade heute wird von<br />
<strong>den</strong> Arbeitgebern sehr viel Flexibilität und Eigenverantwortlichkeit gefordert sowie die<br />
Fähigkeit, sich in neue Sachverhalte hinein<strong>den</strong>ken zu können. Eine ebenfalls häufig<br />
geäußerte Forderung <strong>ist</strong> Kommunikationsbereitschaft. Für alle diese im weiteren Leben<br />
der Kinder wichtigen Fähigkeiten wer<strong>den</strong> schon im Anfangsunterricht die Grundlagen<br />
gelegt. Da nach der Forderung von Klafki die epochaltypischen Schlüsselprobleme immer<br />
wieder neu definiert wer<strong>den</strong> müssen, <strong>ist</strong> die Schule in der Lage, auf Veränderungen<br />
in der Gesellschaft flexibel zu reagieren.<br />
18
Lebensraum Klasse und Schule<br />
Subjektives Wohlbefin<strong>den</strong> / Klassenklima / Schulklima<br />
Es <strong>ist</strong> sicher sofort verständlich, dass Kinder sehr viel besser lernen können, wenn die<br />
äußere Umgebung stimmt und sie sich wohlfühlen. Da<strong>für</strong> <strong>ist</strong> zuallererst natürlich entschei<strong>den</strong>d,<br />
wie das einzelne Kind sich in seiner Klasse aufgenommen und akzeptiert<br />
fühlt. Beim offenen Unterricht wer<strong>den</strong> die Eigenheiten der Kinder nicht als lästig, sondern<br />
als wichtige Bereicherung der Klassengemeinschaft gesehen. Da nicht alle zu<br />
gleicher Zeit das gleiche lernen müssen, häufig aber alle gemeinsam an einem Projekt<br />
arbeiten, hat jedes Kind die Möglichkeiten seine Stärken in dieses Projekt einfließen zu<br />
lassen. Ein lernschwaches Kind wird von <strong>den</strong> anderen Kindern auch nicht als „Bremser“<br />
angesehen (Mann, wegen der/dem konnten wir schon wieder nicht weiterlernen!). Jedes<br />
Kind wird nach seinem individuellen Lernfortschritt beurteilt, nicht nach seinem relativen<br />
Le<strong>ist</strong>ungsstand zum Klassenverband. Dies alles trägt sicherlich dazu bei, dass<br />
sich ein Kind wohlfühlen kann. Da es keinen Le<strong>ist</strong>ungsstress gibt (keine Klassenarbeiten,<br />
keine Noten) fällt auch eine Menge Schulangst weg. Die Betonung des und das<br />
gegenseitige Erziehen zu sozialem Miteinander trägt ebenfalls dazu bei, Spannungen<br />
und Ängste abzubauen.<br />
Gibt es größere Probleme im häuslichen Bereich (z. B. Scheidung der Eltern) gibt es im<br />
offenen Unterricht die Möglichkeit <strong>für</strong> das Kind, auch mal kurzzeitig eine „Auszeit“ zu<br />
nehmen und sich die Zeit zu nehmen, Erfahrungen zu verarbeiten. Eine solche „Auszeit“<br />
<strong>ist</strong> im normalen Frontalunterricht nur sehr schwer wieder aufzuholen.<br />
Aufgabe der Lehrperson im offenen Unterricht (wie natürlich in jedem Unterricht) <strong>ist</strong> es,<br />
auch Minderheiten zu schützen, z.B. schüchterne SchülerInnen auch mal vor der Klasse<br />
zu vertreten oder ihnen bei der Durchsetzung ihrer Interessen Hilfestellung zu geben,<br />
wenn es nötig <strong>ist</strong>.<br />
Das Klassenklima <strong>ist</strong> auch geprägt durch die Regeln, die dort herrschen. Sind die Regeln<br />
von und mit <strong>den</strong> Kindern aufgestellt wor<strong>den</strong>, dann sind diese Regeln <strong>für</strong> die Kinder<br />
mit Sinn gefüllt, und es fällt ihnen leichter sich daran zu halten. Da die anderen Kinder<br />
diese Regeln mit entworfen haben, <strong>ist</strong> auch ihnen daran gelegen, diese Regeln durchzusetzen,<br />
und die Einhaltung der Regeln wird von allen überwacht, nicht nur durch die<br />
Lehrperson. Regeln vermitteln Sicherheit, die im Zusammenleben mit anderen und <strong>für</strong><br />
das eigene Wohlbefin<strong>den</strong> wichtig <strong>ist</strong>.<br />
Aber nicht nur das Klassenklima muss stimmen, sondern auch das Klima in der Schule<br />
muss <strong>den</strong> Kindern <strong>den</strong> nötigen Freiraum und die nötigen Grenzen geben. Gerade bei<br />
der Grundschule <strong>ist</strong> auch die Größe der Schule (Anzahl der SchülerInnen) wichtig. Ist<br />
sie zu groß entsteht zuviel Anonymität. Mit Zunahme der Anonymität verringert sich<br />
auch das Verantwortungsgefühl <strong>für</strong> die MitschülerInnen und <strong>für</strong> die Schule.<br />
Ein gutes Schulklima kann auch nur herrschen, wenn sich das Lehrerkollegium gut versteht<br />
und zusammenarbeitet. Auch hier muss eine Offenheit und Akzeptanz unterschiedlicher<br />
Herangehensweisen an Unterricht da sein. Wie kann man sie sonst von<br />
seinen SchülerInnen erwarten?<br />
Unterstützung braucht man als Lehrperson auch von seiner Schulleitung. Diese muss<br />
immer wieder bereit sein, um die Belange der Schule zu kämpfen und mit <strong>den</strong> LehrerInnen,<br />
nicht gegen sie zu arbeiten (das scheint heute bei der schwierigen Personalsituation<br />
an <strong>den</strong> Schulen leider nicht immer gewährle<strong>ist</strong>et zu sein).<br />
19
Und ein letzter Punkt <strong>ist</strong> mitentschei<strong>den</strong>d <strong>für</strong> ein gutes Schulklima: Das gute Verhältnis<br />
zu dem nicht-lehren<strong>den</strong> Personal. Soll während eines Projektes der Klassenraum einmal<br />
nicht geputzt wer<strong>den</strong> oder fällt besonders viel Abfall an, kann mit einem klären<strong>den</strong><br />
Gespräch mit dem Reinigungspersonal im Voraus schon viel Ärger vermie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>.<br />
Ebenso <strong>ist</strong> es wichtig, dass ein Hausme<strong>ist</strong>er da <strong>ist</strong>, der hilfsbereit und kinderlieb <strong>ist</strong>.<br />
Auch hier <strong>ist</strong> eine gute Kommunikation die Voraussetzung <strong>für</strong> gute Zusammenarbeit.<br />
Problembewältigung<br />
Kinder mit problematischen Verhaltensweisen und hohem Störungs- oder gar Aggressionspotential<br />
müssen von der Lehrperson und von <strong>den</strong> MitschülerInnen Verständnis erfahren.<br />
Wie oben schon erwähnt, sollen die Kinder viele anfallende Probleme selbst<br />
lösen lernen. Dazu sollen sie auch immer wieder angehalten wer<strong>den</strong>. Die Lehrperson<br />
muss aber unter Umstän<strong>den</strong> vor allem zu Anfang Anstöße geben, wie man z. B. Streit<br />
gewaltfrei austragen kann. Kommt es im Anfangsunterricht zu Störungen, so gehen diese<br />
immer vor. An Konzentration auf <strong>den</strong> Unterricht <strong>ist</strong> in einer Störungssituation sowieso<br />
nicht zu <strong>den</strong>ken. Nicolas (1997) lädt im Falle einer solchen Störung immer alle Kinder in<br />
<strong>den</strong> Sitzkreis zur „Problembesprechung“. Dort haben die betroffenen Kinder die Möglichkeit<br />
ihre Sicht des Vorfalls zu schildern. Dann haben die anderen Kinder die Möglichkeit<br />
dazu Stellung zu nehmen. So findet ein Erziehungsprozess unter <strong>den</strong> Kindern<br />
statt.<br />
Andere Probleme kommen aus dem schulischen Umfeld, entweder aus der Familie o-<br />
der aus der Nachbarschaft der Schule oder des Zuhauses. Auch solche Probleme wollen<br />
die Kinder häufig loswer<strong>den</strong>. Bei familiären Problemen <strong>ist</strong> das sicherlich kein Gesprächsstoff<br />
<strong>für</strong> die Klassenversammlung, aber es müssen dem Kind Möglichkeiten gegeben<br />
wer<strong>den</strong> über die Probleme zu sprechen und wenn schon keine Lösung, so zumindest<br />
Verständnis zu fin<strong>den</strong>. Der offene Unterricht gibt dem Kind Raum durch Niederschreiben,<br />
Malen etc. Möglichkeiten zur Verarbeitung seines Problemes zu geben.<br />
Ein weiteres Problem <strong>ist</strong> <strong>für</strong> mich die Nachhilfe. Wie oben schon erwähnt bekommt jedes<br />
dritte Kind Nachhilfe. Rechnet man die Nachhilfe zu <strong>den</strong> Bildungsausgaben dazu,<br />
dann <strong>ist</strong> Deutschland eines der Länder mit <strong>den</strong> höchsten Bildungsausgaben. Im offenen<br />
Unterricht <strong>ist</strong> Nachhilfe nicht nötig. Kein Kind wird gezwungen Le<strong>ist</strong>ungen zu erbringen,<br />
die es noch gar nicht erbringen kann. Die Nachhilfe erfolgt gerade bei Altersmischung<br />
innerhalb der Klasse durch die SchülerInnen, die schon weiter sind im Unterrichtsstoff<br />
und <strong>ist</strong> Teil des ganz normalen Unterrichts. Da es keinen gemeinsamen Wissensstand<br />
der Klasse gibt, kann auch kein Kind dahinter zurückbleiben. Deshalb lernen die Kinder<br />
aber im offenen Unterricht keineswegs weniger als im Frontalunterricht. Gerade die<br />
Schulen hier in Deutschland mit offenem Unterricht haben bei einer freiwilligen PISA-<br />
Studie sehr gut abgeschnitten. Und das ganz ohne Nachhilfe!<br />
Arbeitsplatz Schule<br />
Für die Kinder bietet der Klassenraum ein ansprechendes Ambiente, wenn sie an seiner<br />
Gestaltung entschei<strong>den</strong>d mit beteiligt sind. Das kann auch bedeuten, dass die Stellung<br />
der Möbel in der Klasse je nach Bedarf jederzeit geändert wer<strong>den</strong> kann. Je nachdem,<br />
ob ein Kind heute alleine oder in einer Gruppe etwas arbeiten will, müssen natürlich<br />
auch die Tische anders angeordnet sein. Vielleicht braucht eine Gruppe ein bisschen<br />
mehr Ruhe und schafft sich mit Hilfe der Möbel eine eigene Ecke. Oder alle wollen zusammen<br />
im Sitzkreis ihre Arbeitsergebnisse vorstellen und man braucht dann einen<br />
20
Platz <strong>für</strong> diesen großen Stuhlkreis. Vielleicht machen auch einige Kinder gerade eine<br />
Vorleserunde und die Kinder möchten sich gemütlich auf Decken und Kissen auf die<br />
Erde legen. Alle diese Möglichkeiten sollten <strong>den</strong> Kindern ruhig gegeben wer<strong>den</strong>. Hyperaktive<br />
Kinder dagegen brauchen viel Bewegungsmöglichkeiten zwischendurch. Sie<br />
wechseln vielleicht häufiger mal <strong>den</strong> Platz oder gehen zwischendurch einmal durch die<br />
Klasse, um <strong>den</strong> anderen zuzusehen. Wenn sie trotzdem mit ihrer Arbeit gut vorankommen<br />
<strong>ist</strong> das kein Problem.<br />
Wichtig <strong>für</strong> jede Klasse finde ich die Ausstattung mit Nachschlagewerken. Ich kenne<br />
einige Klassen, ja sogar ganze Schulen, in <strong>den</strong>en ich noch kein Lexikon gesehen habe,<br />
welches <strong>den</strong> SchülerInnen unmittelbar zugänglich wäre. Wenn ich be<strong>den</strong>ke, wie oft wir<br />
zuhause in einem Lexikon etwas nachschlagen, wie viel sinnvoller <strong>ist</strong> diese Möglichkeit<br />
dann <strong>für</strong> <strong>den</strong> Unterricht. Schließlich <strong>ist</strong> man als LehrerIn auch nicht allwissend.<br />
Gut fände ich auch, wenn die Klassen die Möglichkeit und die Ausstattung hätten, auch<br />
mal Experimente durchzuführen. Wenn eine interessante Frage auftaucht muss es die<br />
Möglichkeit geben, auszuprobieren, wie die Antwort lautet. Im Rahmenplan <strong>für</strong> die<br />
Grundschule Bremen 2002 / Sachunterricht sollen die Kinder am Ende des vierten<br />
Schuljahres in der Lage sein, Fragestellungen und Lösungsmöglichkeiten zu Problemen<br />
zu entwickeln, kleine Experimente zu planen und durchzuführen, technische Anwendungen<br />
und Messverfahren zu nutzen, Abläufe und Ergebnisse von Beobachtungen zu<br />
dokumentieren, Ergebnisse zu folgern und zu präsentieren. Schon im Anfangsunterricht<br />
kann man das mit kleinen Experimenten üben. Können die Kinder noch nicht ausreichend<br />
schreiben, so können sie <strong>den</strong> Versuchsaufbau malen. Wichtig <strong>ist</strong>, dass die Kinder<br />
schon sehr früh Metho<strong>den</strong> lernen ihre Ideen und Theorien zu dokumentieren, zu<br />
überprüfen, zu bestätigen, zu verwerfen oder sie zu modifizieren.<br />
Ob ein Klassenraum dagegen mit Computern ausgestattet sein muss, kommt darauf an,<br />
wie er im Unterricht genutzt wer<strong>den</strong> soll. Wenn die Lehrperson bei jedem Thema<br />
krampfhaft überlegt, was man am Computer zu diesem Thema machen kann <strong>ist</strong> es sicher<br />
nicht sehr sinnvoll. Jeder, der viel am Computer arbeitet, weiß, dass z. B. eine Internetrecherche<br />
u. U. sehr viel mehr Zeit kostet als sie Nutzen bringt (es gibt schließlich<br />
auch gute Bücher). Es <strong>ist</strong> sicher wichtig, dass die Kinder mit dem Medium Computer<br />
vertraut wer<strong>den</strong>. Es <strong>ist</strong> auch sehr sinnvoll, ein didaktisch gutes Computerprogramm <strong>den</strong><br />
Kindern zugänglich zu machen (z. B. „Matheland“ (Cornelsen) <strong>für</strong> <strong>den</strong> Mathematikunterricht<br />
oder „Lesen durch Schreiben“ (Heinevetter-Verlag) <strong>für</strong> <strong>den</strong> Deutschunterricht).<br />
Auch zu Übungszwecken können Computer als ergänzendes Angebot im Unterricht<br />
eingesetzt wer<strong>den</strong> (Kastel & Reincke, 2002). Aber zu erwarten, dass die Kinder, weil sie<br />
in der Grundschule am Computer gesessen haben später im Berufsleben auch gut mit<br />
Computern zurechtkommen, <strong>ist</strong> sicher illusorisch. Dazu verläuft die Entwicklung auf diesem<br />
Markt viel zu schnell, zu unvorhersehbar und in zu viele verschie<strong>den</strong>e Richtungen<br />
(Windows, Unix, Linux, Mac.....).<br />
Schulangebote<br />
Ein weiteres Qualitätsmerkmal <strong>für</strong> Schule sind ein reichhaltiges Schulleben sowie die<br />
Angebote der Schule. Gibt es Wahlmöglichkeiten der Fächer? Gibt es außerschulische<br />
Angebote und Aktivitäten? Wer<strong>den</strong> Schulfeste von und mit <strong>den</strong> SchülerInnen veranstaltet?<br />
Führen auch die Lehrer mal ein Theaterstück vor?<br />
Hier <strong>ist</strong> die Palette an Möglichkeiten nahezu unbegrenzt. Früher gab es sehr viele von<br />
LehrerInnen angebotene AGs (Arbeitsgruppen zu einem bestimmten Thema, z. B. Volleyball<br />
- AG, Computer - AG etc.). Durch die Erhöhung der Stun<strong>den</strong>zahl <strong>für</strong> die Lehre-<br />
21
Innen und die manchmal mangelnde Anerkennung dieses persönlichen Einsatzes<br />
durch Schulleitung und Elternschaft sind diese Angebote an vielen Schulen leider sehr<br />
zurück gegangen. Angebote, wie z. B. hier in Bremen auch die Teilnahme einer Klasse<br />
am Leseclub sind vielfach Einzelinitiativen von Lehrpersonen, die bei deren Weggang<br />
sofort wieder einschlafen. Hier müsste sich vielleicht die gesamte Schule mehr zuständig<br />
fühlen und die Kooperation zwischen <strong>den</strong> Lehrkräften und der Schulleitung besser<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
22
Außenbeziehungen der Schule<br />
Subjektive Zufrie<strong>den</strong>heit<br />
Eltern nehmen heute großen Anteil an der Entwicklung ihrer Kinder und haben oft sehr<br />
bestimmte Ansichten darüber, wie Schule sein müsste. Das führt hin und wieder auch<br />
zu Spannungen zwischen <strong>den</strong> Eltern, <strong>den</strong> LehrerInnen und der Schulleitung. Da Eltern<br />
<strong>für</strong> die Erziehung ihrer Kinder zuständig sind, haben sie auch ein Recht kritisch zu prüfen,<br />
ob die Schule ihre Kinder optimal fördert. Hier <strong>ist</strong> sehr viel Dialog nötig zwischen<br />
<strong>den</strong> LehrerInnen und <strong>den</strong> Eltern um sich über unterschiedliche Ansichten auszutauschen<br />
und Verständnis und Akzeptanz zu bekommen. Wenn Lehrpersonen und Eltern<br />
nicht zusammenarbeiten, kann das <strong>für</strong> das Kind nur von Nachteil sein.<br />
Für die LehrerInnen <strong>ist</strong> es wichtig, von der Schulleitung, aber auch von <strong>den</strong> Eltern,<br />
Anerkennung <strong>für</strong> ihre Arbeit, Verständnis <strong>für</strong> ihre Lehrziele und Unterstützung bei ihrer<br />
Arbeit zu bekommen. Dasselbe gilt natürlich auch <strong>für</strong> die Schulleitung. Lob <strong>ist</strong> immer<br />
auch eine gute Motivation. Auch die Zusammenarbeit im Lehrerkollegium muss gut<br />
sein.<br />
Auch die SchülerInnen müssen das Gefühl haben von Schulleitung und LehrerInnen<br />
als ernst zu nehmende Gesprächspartner anerkannt zu sein (MBWW, 1999). Sie müssen<br />
merken, dass sie <strong>für</strong> selbstgeplante Veranstaltungen (Theaterstück, Klassenfest ...)<br />
Unterstützung und Anerkennung <strong>für</strong> ihren Einsatz bekommen. „Nicht Disziplin- und<br />
Le<strong>ist</strong>ungsanforderungen unterschei<strong>den</strong> gute von schlechten Schulen, sondern der Stil<br />
des Umgangs mit Schüler/innen und die Annahme der pädagogischen Herausforderung<br />
durch einzelne SchülerInnengruppen (Fend, 1986 S. 285 zitiert in: Holtappels, 1994)<br />
Eltern- / SchülerInnenpartizipation<br />
Leider <strong>ist</strong> die Bereitschaft der Eltern zu aktiver Mitarbeit bei Schulfesten, Klassenfesten,<br />
Projekten etc. vielerorts zurückgegangen. Zum Teil <strong>ist</strong> eine solche „Einmischung“ der<br />
Eltern aber auch von der Schulleitung unerwünscht. Dabei <strong>ist</strong> laut MBWW-<br />
Thesenpapier (1999) eine gute Zusammenarbeit mit <strong>den</strong> Eltern und deren aktive Mitarbeit<br />
eine große Bereicherung <strong>für</strong> jede Schule (musikalische Unterstützung von Theaterstücken<br />
der Kinder, Vorstellung der Berufe der Eltern vor der Klasse, Begleitung zum<br />
Schwimmen oder ins Theater, Hilfe bei der Durchführung von Projekten etc.).<br />
Dazu müssen regelmäßige Gesprächsrun<strong>den</strong> mit Schulleitung, LehrerInnen und ElternvertreterInnen<br />
stattfin<strong>den</strong>, um gemeinsam planen und handeln zu können. Gerade<br />
durch mangeln<strong>den</strong> Informationsaustausch entstehen viele unnötige Spannungen.<br />
Dabei <strong>ist</strong> das gute Beispiel der Eltern sicherlich auch eine zusätzliche Motivation <strong>für</strong> die<br />
SchülerInnen sich <strong>für</strong> die Schule einzusetzen, am Schulleben aktiv teilzunehmen und<br />
eigene Fähigkeiten einzubringen. Die SchülerInnen müssen sich <strong>für</strong> ihre Schule mit<br />
verantwortlich fühlen. Nur so kann Schule lebendig wer<strong>den</strong> und ein Ort sein, wo die<br />
Schüler gerne hingehen und sich wohlfühlen.<br />
23
Schule von außen bestimmende Institutionen<br />
Die <strong>den</strong> Anfangsunterricht zuerst mitbestimmende Institution <strong>ist</strong> die, von der die Kinder<br />
kommen, das Elternhaus und der Kindergarten. Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn<br />
schon vor Schuljahresbeginn ein intensiver Austausch mit <strong>den</strong> KindergartenerzieherInnen<br />
stattfin<strong>den</strong> würde. Die IHK Koblenz (2002) fordert dazu differenzierte Empfehlungen<br />
(Förderpläne) <strong>für</strong> jedes Kind von <strong>den</strong> ErzieherInnen, die an Schule und Elternhaus<br />
weitergegeben wer<strong>den</strong> sollen. Nur so können die Kinder in der Schule und im Elternhaus<br />
ihren individuellen Schwächen und Stärken entsprechend gefördert wer<strong>den</strong>. Dann<br />
muss die Schule eine „institutionelle Verankerung der Kontakte“ zum Elternhaus entwickeln,<br />
um die Eltern nicht aus der Verantwortung <strong>für</strong> ihre Kinder zu entlassen. In regelmäßigen<br />
Abstän<strong>den</strong> müssen Gespräche mit <strong>den</strong> Eltern über <strong>den</strong> Entwicklungsstand<br />
ihres Kindes geführt wer<strong>den</strong>, und <strong>den</strong> Eltern wer<strong>den</strong> Tipps gegeben, wie sie ihrem Kind<br />
bei seiner Weiterentwicklung am Besten helfen können.<br />
Eine weitere bestimmende Institution <strong>ist</strong> die zuständigen Schulbehörde. Sie muss zwar<br />
die Schulen auf ihre Qualität hin prüfen (Schulaufsicht) aber sie sollte <strong>den</strong> Schulen auch<br />
Freiräume zugestehen, um ein eigenes didaktisches Profil zu erarbeiten. Auch hier <strong>ist</strong><br />
wieder sehr viel Kommunikation und Austausch gefragt, um <strong>für</strong> alle akzeptable Lösungen<br />
zu fin<strong>den</strong>.<br />
Es wäre <strong>für</strong> die Schulen auch gut in ständigem Kontakt zu <strong>den</strong> Universitäten zu stehen,<br />
um über neuere Entwicklungen in Wissenschaft und Pädagogik auf dem Laufen<strong>den</strong><br />
zu bleiben. Dabei gibt es auch immer wieder Angebote von <strong>den</strong> Universitäten <strong>für</strong><br />
LehrerInnen als Fortbildungen oder als Austauschforen.<br />
Auch über <strong>den</strong> Austausch mit Lehramtsstu<strong>den</strong>tInnen, die als PraktikantInnen in <strong>den</strong><br />
Unterricht kommen, kann man über neuere Theorien des Lehrens auf dem Laufen<strong>den</strong><br />
bleiben und wichtige Praxiserfahrungen an diese zukünftigen LehrerInnen weitergeben.<br />
Nicht-lehrendes Personal<br />
Wie oben schon erwähnt <strong>ist</strong> auch ein <strong>guter</strong> Kontakt des Lehrkörpers aber auch der Eltern<br />
zu dem nicht-lehren<strong>den</strong> Personal (Reinigungskräfte, Hausme<strong>ist</strong>er, Sekretariat,<br />
BetreuerInnen der Verlässlichen Grundschule etc.) wichtig. Gerade mit BetreuerInnen<br />
im Hort oder in der Verlässlichen Grundschule <strong>ist</strong> Austausch sehr wichtig: Welche<br />
Kinder sind krank, welches hat zuhause Probleme, welches sucht immer Streit..... Dabei<br />
machen manchmal die nicht-lehren<strong>den</strong> Bezugspersonen ganz andere Beobachtungen<br />
als die Lehrperson. Alleine deshalb <strong>ist</strong> ein reger Kontakt zu diesen Beschäftigten<br />
nötig.<br />
Aber auch Absprachen darüber, wann von wem welcher Raum genutzt wird, ob geputzt<br />
wer<strong>den</strong> soll oder gerade nicht, ob man die Hilfe des Sekretariats <strong>für</strong> eine Sache<br />
braucht: Es <strong>ist</strong> immer sinnvoll über das aktuelle Geschehen und Planungen mit allen<br />
Beteiligten zu re<strong>den</strong>, um Spannungen von vornherein auszuschließen.<br />
Öffnung nach außen<br />
Hier kommt eine der Forderungen von Klafki (1995) zum Tragen: Die gesellschaftlichen<br />
Entwicklungen beobachten und entsprechend dieser Vorgaben die Bildungsinhalte immer<br />
wieder zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Das muss natürlich auch von und<br />
zusammen mit der Bildungstheorie gele<strong>ist</strong>et wer<strong>den</strong>, aber umsetzen muss es die<br />
Schule bzw. die Lehrperson.<br />
24
Mit schulexternen Institutionen muss kommuniziert und kooperiert wer<strong>den</strong>. Vielleicht<br />
kann die Klasse mal einen Betrieb besichtigen (im Anfangsunterricht vielleicht einen<br />
Bauernhof, ein Museumsdorf, einen Markt etc.). Der Poliz<strong>ist</strong> kommt zur Verkehrserziehung<br />
in die Klasse, man besucht zusammen einen Zahnarzt usw.<br />
Die Schule hat aber auch eine Wirkung nach außen. Das fängt vielleicht schon damit<br />
an, ob der Schulpausenhof nachmittags als Spielplatz genutzt wer<strong>den</strong> darf. Ob in Schulräumen<br />
nachmittags oder abends andere Veranstaltungen stattfin<strong>den</strong> dürfen (z. B.<br />
Deutschunterricht <strong>für</strong> die ausländischen Eltern). Wie wird die Schule nach außen hin<br />
dargestellt? Wissen Außenstehende etwas über diese Schule (vielleicht, weil eine Veranstaltung<br />
einer Klasse in der Zeitung war)? Oder beteiligt sich die Schule bei regionalen<br />
Festen mit eigenen Darbietungen? Hat die Schule inzwischen eine von <strong>den</strong> Kindern<br />
selbst entworfene Internetseite, auf der Berichte über Projekte und aktuelle Vorhaben<br />
der Klasse zu fin<strong>den</strong> sind?<br />
Eine weitere Öffnung nach außen <strong>ist</strong> die Teilnahme der Schule oder einzelner Klassen<br />
an regionalen, nationalen oder internationalen Wettbewerben (z. B. Malwettbewerben,<br />
etc.). Es <strong>ist</strong> sehr wichtig <strong>für</strong> eine Schule sich auch dem Vergleich mit anderen zu stellen.<br />
Eine Schule hat viele Möglichkeiten Schulgeschehen auch nach außen zu tragen. Über<br />
solche Veranstaltungen oder Berichte wird Interesse <strong>für</strong> die Schule geweckt und <strong>für</strong><br />
spätere Projekte leichter Unterstützung gefun<strong>den</strong>.<br />
25
Schulmanagement<br />
Organisation und Admin<strong>ist</strong>ration der Schule<br />
Äußere Rahmenbedingungen<br />
Die Schule sollte die Möglichkeit haben unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen<br />
ein eigenes Schulprofil bzw. Schulkonzept zu entwickeln. Das bedeutet, jede<br />
Schule hat die Verpflichtung, aufgrund der gelten<strong>den</strong> Lehrpläne und der äußeren<br />
Rahmenbedingungen innovative Antworten auf die heutigen Herausforderungen selber<br />
zu entwickeln (MBWW, 1999).<br />
Als äußere Rahmenbedingung ergibt sich <strong>für</strong> die Schule die Frage, ob sie eine Verlässliche<br />
Grundschule, eine Volle Halbtagsschule oder eine Ganztagsschule <strong>ist</strong>. Diese<br />
Entscheidung liegt nicht in der Hand der Schulen, sondern des übergeordneten Bildungsmin<strong>ist</strong>eriums.<br />
Dabei bedeutet Verlässliche Grundschule, dass zwischen 8.00 Uhr und 13.00 Uhr je<br />
nach Stun<strong>den</strong>plan Unterricht oder Betreuung der Kinder stattfindet. Volle Halbtagsschule<br />
bedeutet, dass die Kinder von 8 – 13 Uhr Unterricht haben und nicht nur Betreuung.<br />
Es sind genügend Lehrerkapazitäten <strong>für</strong> Vertretungsstun<strong>den</strong> im Krankheitsfalle vorhan<strong>den</strong><br />
(jetzt wer<strong>den</strong> die Kinder oft bei Krankheit ihres Lehrers auf andere Klassen aufgeteilt,<br />
so dass <strong>für</strong> alle Kinder kein vernünftiger Unterricht mehr möglich <strong>ist</strong>). Außerdem<br />
sind Doppelbesetzungen <strong>für</strong> einzelne Stun<strong>den</strong> vorgesehen, wodurch sich Differenzierungsmöglichkeiten<br />
im Unterricht ergeben. Für die Ganztagsschule gibt es unterschiedliche<br />
Konzepte. Allen gemeinsam <strong>ist</strong>, dass es von der Schule organisierte Veranstaltungsangebote<br />
auch <strong>für</strong> <strong>den</strong> Nachmittag gibt.<br />
Im Moment wird in der Bundesrepublik Deutschland die Ganztagsschule als das Modell<br />
der Zukunft angesehen und entsprechend finanziell unterstützt. Auch hier in Bremen<br />
wer<strong>den</strong> ab nächsten Sommer vier Grundschulen zu Ganztagsschulen (Weser Kurier,<br />
20.12.2002). Doch die me<strong>ist</strong>en GrundschulleiterInnen legen gegen die <strong>für</strong> Bremen<br />
geplante Form von Ganztagsschulen Protest ein, da <strong>für</strong> <strong>den</strong> Nachmittag nur Betreuungsangebote<br />
mit dementsprechend geringem Entgelt <strong>für</strong> die Betreuungskräfte geplant<br />
und finanzierbar <strong>ist</strong>. Die Angebote nachmittags sind freiwillig, wodurch themenbezogene<br />
Projekte mit ständig wechselnd teilnehmen<strong>den</strong> Kindern nicht möglich sind. Es wird<br />
vor allem kein Unterricht nachmittags stattfin<strong>den</strong> (nur an einer Schule sind verbindliche<br />
Unterrichtsanteile auch am Nachmittag vorgesehen). Das <strong>ist</strong> bei <strong>den</strong> zu Verfügung stehen<strong>den</strong><br />
Mitteln <strong>für</strong> dieses Projekt nicht bezahlbar. Nicht bezahlbar <strong>ist</strong> auch die Einführung<br />
der Ganztagsschulen an allen Bremer Schulen, womit die Forderung Klafkis<br />
(1995) nach Gleichheit der Lerninhalte und Lernformen nicht mehr gewährle<strong>ist</strong>et <strong>ist</strong>.<br />
Schon das eigentlich sehr erfolgreiche Modell der Vollen Halbtagsschule wäre eine<br />
große Verbesserung <strong>für</strong> die Ausbildungssituation an <strong>den</strong> Grundschulen. In Rheinland-<br />
Pfalz (MBWW, 1999) <strong>ist</strong> dieses Konzept der Vollen Halbtagsschule ein wichtiger Schritt<br />
zur Qualitätssicherung an Schulen: „Das Konzept der Vollen Halbtagschule zielt darauf<br />
ab, dass sich die Lernorganisation einer Schule, das Schulleben, die Unterrichtsinhalte<br />
in einem von jeder Schule selbst gesteuerten und selbst verantworteten Prozess verändern.<br />
Vielleicht wäre die Volle Halbtagsschule mit Unterstützung durch <strong>den</strong> Bund tatsächlich<br />
<strong>für</strong> alle Bremer Grundschulen finanzierbar und ein großer Schritt in die richtige<br />
Richtung. Leider wurde dieses Konzept trotz erfolgreicher Modellversuche aus Finanzgrün<strong>den</strong><br />
in Bremen zugunsten der Verlässlichen Grundschule aufgegeben.<br />
26
Diese Entscheidungen liegen allerdings, wie gesagt, nicht in der Hand der Schulen, genauso<br />
wenig wie die von Lemke <strong>für</strong> Bremen geforderte 6-jährige Grundschule (Bremer<br />
Anzeiger, 13.11.2002, S. 3), ebenfalls eine der eingangs erwähnten äußeren Rahmenbedingung.<br />
Diese Neuerung halte ich nur dann <strong>für</strong> sinnvoll, wenn sich Unterricht<br />
inhaltlich ändert, und tatsächlich alle Kinder individuell gefordert und gefördert wer<strong>den</strong>.<br />
Bleibt der Unterricht so wie er größtenteils noch <strong>ist</strong>, würde die Verlängerung der Grundschulzeit<br />
kaum Vorteile zur jetzigen Orientierungsstufe bringen, aber großen organisatorischen<br />
Aufwand bedeuten (die me<strong>ist</strong>en Grundschulen haben keinen Platz <strong>für</strong> zwei<br />
weitere Jahrgänge). Bei einer 6-jährigen Grundschule ergäbe sich dann allerdings die<br />
Möglichkeit, die ersten drei Klassen sowie die Klassen 4, 5 und 6 jeweils altersgemischt<br />
zu unterrichten.<br />
Für <strong>den</strong> Anfangsunterricht sicherlich sehr sinnvoll wäre es auch, wenn das LehrerInnen<br />
– SchülerInnen – Verhältnis sich verbessern würde. Wenn so viele Grundfertigkeiten<br />
im Anfangsunterricht erarbeitet wer<strong>den</strong> müssen, <strong>ist</strong> entweder die Möglichkeit zu zeitweisem<br />
Halbgruppenunterricht oder aber das zeitweise Vorhan<strong>den</strong>sein einer zweiten<br />
Lehrkraft eine große Hilfe. In Finnland wird Anfangsunterricht ausschließlich von zwei<br />
Lehrkräften gemeinsam gegeben (Bergk, 2002). Darauf wagt man in der Bundesrepublik<br />
Deutschland gar nicht zu hoffen.<br />
Innere Rahmenbedingungen<br />
Wenn sich die Schule dazu entschließt, offenen Unterricht in ihr Schulkonzept aufzunehmen,<br />
ergeben sich daraus notwendigerweise Änderungen in der schulinternen Admin<strong>ist</strong>ration<br />
und Organisation.<br />
Eine wichtige Änderung im normalen Schulalltag, die von der Schule selbsttätig entschie<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong> kann, liegt in der Abschaffung der 45 -min – Stun<strong>den</strong>. Wenn Kinder<br />
wirklich die Möglichkeit haben sollen, konzentriert in ihrem Tempo an einer Sache zu<br />
arbeiten, kann der Gong nach einer ¾ Stunde nur störend sein (Rolff, 2002). Das eine<br />
Kind war vielleicht schon viel früher mit seiner Arbeit fertig, konnte also seine Pause<br />
früher sinnvoll einbauen – das andere Kind <strong>ist</strong> aber vielleicht gerade in einer wichtigen<br />
Arbeitsphase und hat gar keine Zeit eine Pause zu machen. Wichtig <strong>ist</strong> dann nur, dass<br />
jedes Kind bei seiner Pause darauf achtet, die anderen Kinder nicht zu stören. Dabei<br />
können die Kinder selbstverständlich nach eigener Entscheidung auch alle zusammen<br />
Pause machen, sie müssen sich aber nicht alle an einen einengen<strong>den</strong> Zeitplan halten.<br />
Wenn aber keine <strong>für</strong> alle Klassen gleichzeitigen Pausen mehr gemacht wer<strong>den</strong>, muss<br />
natürlich auch die Lehrfächerorganisation (FachlehrerInnen gibt es ja zum Teil auch<br />
schon in der ersten Klasse) daran angepasst wer<strong>den</strong>. Auch Aufsichtspläne müssen sich<br />
gänzlich ändern. Hier <strong>ist</strong> die Schulleitung gefragt, eine <strong>für</strong> alle akzeptable Lösung zu<br />
fin<strong>den</strong>. Auch der Austausch zwischen <strong>den</strong> LehrerInnen und zwischen SchülerInnen verschie<strong>den</strong>er<br />
Klassen bzw. Lerngruppen <strong>ist</strong> neu zu organisieren (Informationsweitergabe).<br />
Führung der Schule durch die Schulleitung<br />
Die Schule mit ihren Zielen und Vorstellungen muss gegenüber <strong>den</strong> übergeordneten<br />
Schulbehör<strong>den</strong> vertreten wer<strong>den</strong>. Diese Möglichkeit gibt die Kultusmin<strong>ist</strong>erin von Niedersachsen<br />
(Jürgens-Pieper) jetzt verstärkt <strong>den</strong> SchulleiterInnen. Ihrer Meinung nach<br />
sind die Schulen <strong>für</strong> <strong>den</strong> Lernerfolg der SchülerInnen verantwortlich. Somit gibt sie <strong>den</strong><br />
Schulen die Möglichkeit selbstständig zu wer<strong>den</strong>. Die SchulleiterInnen dürfen selbstständig<br />
Personal aussuchen, die LehrerInnen können bei Einhaltung ihrer Stun<strong>den</strong>ver-<br />
27
pflichtung eigene Teilzeitmodelle entwickeln und die Schulleitung verwaltet selbstständig<br />
das Budget <strong>für</strong> Sachmittel, Reisekosten und u. U. Ass<strong>ist</strong>enzkräfte. Da<strong>für</strong> müssen die<br />
Schulen nachweislich die Qualität ihrer Ausbildung verbessern. Diese Qualität soll jährlich<br />
überprüft wer<strong>den</strong>. Die Art der Qualitätsprüfung <strong>ist</strong> nicht näher erläutert (Weser Kurier,<br />
4.12.2002).<br />
Auch die IHK Koblenz (2002) erhebt ähnliche Forderungen zur Ausweitung der SchulleiterInnenkompetenzen.<br />
Nach ihrer Meinung vertragen sich die starren Regeln des öffentlichen<br />
Dienstrechts nicht mit der Forderung nach mehr Eigenverantwortung und damit<br />
Gestaltungsfreiheit <strong>für</strong> die Schulen. Sie fordert daher, dass die Schulleitung<br />
• selbstständig über Einstellungen, Beförderungen etc. der Lehrkräfte entschei<strong>den</strong><br />
und die LehrerInnen le<strong>ist</strong>ungsorientiert vergüten kann<br />
• Budgets zum Einkauf von Dienstle<strong>ist</strong>ungen (z. B. DV-Betreuung) eigenverantwortlich<br />
verwaltet, aber u. U. damit LehrerInnenstun<strong>den</strong> bezahlt<br />
• freie Hand hat bei der Unterrichtsorganisation und der Wahl des pädagogischen<br />
Konzeptes.<br />
Damit sind schon einige Aufgaben der Schulleitung genannt wor<strong>den</strong>. Doch die Schulleitung<br />
hat noch mehr zu tun. Sie <strong>ist</strong> <strong>für</strong> ein gutes Klima und viel Austausch mit SchülerInnen,<br />
LehrerInnen, nicht-lehrendem Personal, Eltern, der Schulbehörde und anderen<br />
außerschulischen Institutionen verantwortlich. Sie muss in der Lage sein, Spannungen<br />
wo möglich auszugleichen, zugunsten der Schule aber auch mal auszuhalten. Die<br />
Schulleitung muss <strong>für</strong> die LehrerInnen und das andere Personal Lob und Anerkennung<br />
zum Ausdruck bringen, aber auch mal offen Kritik üben können. Vor allem muss sie motivieren<br />
können.<br />
Sie muss die Qualität des Unterrichts und der Ausstattung der Schule im Blick haben.<br />
Hier gibt es jetzt in Bremen eine Kooperation zwischen Vertretern von Unternehmensund<br />
Schulleiterverbän<strong>den</strong> zusammen mit Bildungssenator Lemke zur Qualitätssicherung<br />
an Schulen (Weser Kurier, 7.12.2002, S.16). Danach sollen die Schulen <strong>den</strong> Prozess<br />
der Qualitätssicherung selbstständig gestalten und umsetzen. Auch wirtschaftlich<br />
muss die Schulleitung kompetent sein, da sie z. T. große finanzielle Mittel zu verwalten<br />
hat.<br />
Auch <strong>für</strong> die Öffnung der Schule nach außen <strong>ist</strong> die Schulleitung verantwortlich. E-<br />
benso da<strong>für</strong>, dass zu allen Beteiligten und Interessierten Informationen fließen. Darüber<br />
hinaus muss die Schulleitung neue Impulse an alle Schulbeteiligten geben und<br />
bereit sein, Impulsen von anderen offen gegenüber zu stehen.<br />
Die Schulleitung muss in der Lage sein Entscheidungen zu treffen und dazu zu stehen.<br />
Sie muss Fortbildungen <strong>für</strong> die LehrerInnen organisieren und auch selber an eigener<br />
Fortbildung interessiert sein.<br />
Somit erfordert die Stellung eines Schulleiters oder einer Schulleiterin viele Kompetenzen,<br />
die man als LehrerIn vorher nicht erworben hat. Daher <strong>ist</strong> es wichtig, dass mit der<br />
Berufung oder Ernennung zum Schulleiter auch eine Ausbildung einher geht, die das<br />
nötige Know-how <strong>für</strong> diese vielen Tätigkeiten vermittelt. Im Lande Niedersachsen wird<br />
seit neuestem die Aufgabe der Schulleitung als eigenständiger Beruf anerkannt<br />
(Weser Kurier, 7.12.2002). Da<strong>für</strong> wird <strong>den</strong> SchulleiterInnen je nach Größe der Schule<br />
„Leitungszeit“ anerkannt. Zusätzlich nehmen die SchulleiterInnen an einem Qualifizierungsprogramm<br />
teil. Gerade diese „Leitungszeit“ wird häufig von Seiten der Bildungsmin<strong>ist</strong>erien<br />
unterschätzt und da<strong>für</strong> <strong>den</strong> SchulleiterInnen zuwenig Zeit zugestan<strong>den</strong>. Ein<br />
gut geführter Betrieb, also auch eine gute Schule braucht aber eine gute Leitung, und<br />
diese kostet Zeit.<br />
28
Pädagogisch – beraterische Kompetenz der Schulleitung<br />
Die Schulleitung muss in der Lage sein, das pädagogische Konzept der Schule im<br />
normalen Schullalltag umzusetzen. Dazu muss sie auch LehrerInnen bei auftreten<strong>den</strong><br />
Problemen beraten und pädagogische Entscheidungen treffen können.<br />
Vor allem Konfliktmanagement <strong>ist</strong> eine wichtige Kompetenz <strong>für</strong> die Schulleitung. Auf<br />
der einen Seite muss sie Streit zwischen SchülerInnen oder zwischen SchülerInnen und<br />
LehrerInnen schlichten können. Auf der anderen Seite muss sie es schaffen einen generellen<br />
Konsens unter <strong>den</strong> LehrerInnen herzustellen.<br />
Dazu <strong>ist</strong> auch ein gutes Personalmanagement nötig. Die Schulleitung muss sich gut<br />
überlegen, wie viel Personal sie <strong>für</strong> die Umsetzung des Schulkonzeptes braucht oder<br />
wie sie mit weniger Personal das Schulkonzept trotzdem sinnvoll durchführen kann. In<br />
der Diskussion mit Schulbehör<strong>den</strong> muss sie pädagogisch fundiert <strong>für</strong> ihre Zielvorstellungen<br />
argumentieren können.<br />
Beschaffung von (zusätzlichen) Ressourcen<br />
Ideal wäre es, wenn die Schulleitung bei der Pflege der Kontakte zu außerschulischen<br />
Einrichtung auch zusätzliche Mittel <strong>für</strong> das Anschaffen von Unterrichts- und Arbeitsmaterialien,<br />
<strong>für</strong> Veranstaltungen, <strong>für</strong> die Ausstattung der Schule etc. einwerben könnte.<br />
Einige SchulleiterInnen scheinen diese Fähigkeiten zu besitzen und sind so in der Lage,<br />
in ihrer Schule vielfältige Projekte und Forschungsvorhaben durchzuführen. Wie oben<br />
schon erwähnt, <strong>ist</strong> da<strong>für</strong> auch Öffentlichkeitsarbeit nötig. Ob Kontakte zur Zeitung, Teilnahme<br />
an regionalen Festen, Gestaltung von Internetseiten, Schulfeste <strong>für</strong> <strong>den</strong> Stadtteil<br />
etc. – alle diese Dinge können helfen, bei der angespannten finanziellen Situation der<br />
me<strong>ist</strong>en Schulen Gelder von außen einzuwerben.<br />
29
Professionalität und Personalentwicklung<br />
Gemeinsame Bewältigung von Aufgaben<br />
In <strong>den</strong> heutigen Schulen wird immer mehr die auch schon von Klafki (1995) geforderte<br />
Teamarbeit gebraucht (Prengel et al., 2001). Die Zeiten, wo jeder Lehrer / jede Lehrerin<br />
seinen / ihren Unterricht ganz allein und ohne jede Einwirkung von Schulleitung und<br />
Kollegen nach immer demselben Schema durchzog sind hoffentlich jetzt vorbei. Warum<br />
soll ein gutes entwickeltes Konzept nicht auch von <strong>den</strong> KollegInnen <strong>für</strong> ihren Unterricht<br />
benutzt wer<strong>den</strong>? Die IHK Koblenz (2002) schlägt vor, dass sich LehrerInnen als Teams<br />
zusammentun, und jede/r sich auf einem bestimmten Gebiet fortbildet, und dieses Wissen<br />
nachher an ihre/seine TeamkollegInnen wieder weitergibt.<br />
Gerade im Internet zeigt sich, dass der Austausch über Unterrichtseinheiten und Projekte<br />
stetig zunimmt. <strong>Was</strong> <strong>für</strong> die SchülerInnen gilt, nämlich dass die SchülerInnen<br />
durch <strong>den</strong> Austausch von Informationen und Erkenntnissen und <strong>den</strong> ihnen eigenen Fähigkeiten<br />
voneinander lernen und profitieren können, gilt genauso auch <strong>für</strong> die LehrerInnen.<br />
Auch das Thesenpapier des MBWW (1999) betont die Wichtigkeit der Beziehungsebene<br />
im Schulkollegium.<br />
In der Zeit der Reformpädagogen fühlten sich die LehrerInnen genau wie Schulleitung<br />
und SchülerInnen <strong>für</strong> „ihre“ Schule verantwortlich. Das Treffen im Lehrerkollegium zum<br />
Austausch über gemachte Erfahrungen, Schwierigkeiten und Pläne war ein wichtiger<br />
Bestandteil des Lehrerseins (Gaudig, 1922).<br />
Wenn alle LehrerInnen (und auch die anderen Schulpersonen) die Schule <strong>für</strong> sich zu<br />
einem wichtigen Ort wer<strong>den</strong> lassen, wird die Qualitätsentwicklung nachhaltig gelingen<br />
(MBWW, 1999). Dann können die notwendigen Aufgaben, um eine „gute Schule“ zu erhalten,<br />
durch gemeinsames Erarbeiten tragfähiger Vorstellungen und deren Umsetzung<br />
eigenverantwortlich in Angriff genommen wer<strong>den</strong>.<br />
Da offener Unterricht im allgemeinen auch fächerübergreifend <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> es doch sinnvoll,<br />
wenn die jeweiligen FachlehrerInnen eines Lehrerkollegiums sich über ihre Stoffgebiete<br />
austauschen. Bei verhaltensauffälligen Kindern oder Kindern mit Lernschwierigkeiten <strong>ist</strong><br />
es sicherlich sinnvoll, sich mit Sonderpädagogen oder Schulpsychologen zu beraten.<br />
Pädagogische Entwicklungsarbeit<br />
Ein solcher Austausch mit anderen an der Schule Beschäftigten aber auch über die<br />
Schule hinaus z. B. mit Universitätsdozenten/innen fördert auch die Qualitätsentwicklung<br />
des Unterrichts und der Schule. Erst die Zusammenarbeit der LehrerInnen ermöglicht<br />
die Umsetzung eines Schulprogramms. Weiterhin müssen sich die LehrerInnen mit<br />
<strong>den</strong> Vorgaben des Lehrplans auseinandersetzen, um die vom Lehrplan geforderten<br />
Lernziele bei <strong>den</strong> einzelnen SchülerInnen zu überwachen. Auch im offenen Unterricht<br />
muss selbstverständlich versucht wer<strong>den</strong>, bei möglichst allen Kindern am Ende der<br />
Grundschulzeit die vorgegebenen Lernziele zu erreichen. Nur die Wege dahin sind freigegeben.<br />
Die LehrerInnen müssen auch bereit sein, ihren Unterricht von anderen beobachten und<br />
kritisieren zu lassen und u. U. zu verbessern. Auch der Lehrberuf <strong>ist</strong> ein ständiger Lernprozess,<br />
der sich nur durch Beurteilung und durch Diskussion mit anderen entwickeln<br />
kann. Dazu sollte es an der Schule auch möglich sein, dass eine systematische Personalentwicklung<br />
des lehren<strong>den</strong> Personals durch Fort- und Weiterbildung möglich <strong>ist</strong>. Da-<br />
30
ei können durchaus auch LehrerInnen der eigenen Schule Fortbildungsveranstaltungen<br />
<strong>für</strong> ihre Kollegen anbieten, wenn sie auf einem bestimmten Gebiet besondere Erfahrungen<br />
gesammelt haben oder sich selber weitergebildet haben (IHK Koblenz,<br />
2002).<br />
Ein wichtiger Punkt, <strong>für</strong> <strong>den</strong> noch Entwicklungsarbeit bei <strong>den</strong> LehrerInnen gele<strong>ist</strong>et wer<strong>den</strong><br />
müsste <strong>ist</strong> „die Diagnosefähigkeit der individuellen Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit der Schüler –<br />
ein Hauptmangel deutscher Lehrer lt. PISA-Studie“ (IHK Koblenz, 2002).<br />
Innovationsbereitschaft der LehrerInnen<br />
Dabei <strong>ist</strong> <strong>für</strong> so manche Lehrkraft die fehlende Innovationsbereitschaft ein großer<br />
Hemmschuh. Laut Bach (1996) <strong>ist</strong> die Lehrperson gefangen in einem Spektrum von<br />
Alltagstheorien, die sie oft gar nicht bewusst vor Augen hat, die aber ihr Handeln entschei<strong>den</strong>d<br />
mitbestimmen. Die Lehrperson hat in ihrer Zeit als SchülerIn oder Stu<strong>den</strong>tIn<br />
ihre LehrerIn in einer bestimmten Rolle wahrgenommen und übernimmt diese Wahrnehmung<br />
häufig unreflektiert in das eigene Handeln im Unterricht. Es <strong>ist</strong> wichtig, dass<br />
die Lehrperson erst einmal dazu gezwungen wird, ihr eigenes Handeln kritisch unter die<br />
Lupe zu nehmen. Nur so kann sie sich unbewusster Handlungen bewusst wer<strong>den</strong>. Und<br />
erst, wenn sie sich ihrer Handlungsweisen und ihrer Motivation bewusst <strong>ist</strong>, kann sie<br />
offen wer<strong>den</strong> <strong>für</strong> Änderungen. Dabei tritt zuerst eine Verunsicherung auf, da die althergebrachten<br />
Verhaltensweisen sich vielleicht doch als nicht so gut erweisen. Erst nach<br />
einer solchen Verunsicherung besteht die Möglichkeit zu tatsächlicher Veränderung.<br />
Genau wie beim Lernen <strong>ist</strong> auch das Lehren ein ständiger Prozess. Zunächst muss die<br />
Lehrperson eine Standortbestimmung durchführen: Wie sehe ich meine Rolle als LehrerIn?<br />
Die Lehrperson hat Theorien entwickelt, die auf Erfahrungen beruhen und entwickelt<br />
Theorien, die neues Wissen einschließen. Mit diesen Theorien muss sie sich ständig<br />
wieder an die tatsächlich Situation in ihrer Klasse bzw. Schule anpassen bzw. ihre<br />
Position und ihre Ziele neu aushandeln. Das geht nur zusammen mit <strong>den</strong> SchülerInnen,<br />
<strong>den</strong>n nur durch sie kann sie erfahren, wie die SchülerInnen sie sehen und wie bestimmte<br />
Verhaltensweisen der Lehrperson auf sie wirken.<br />
Da aber diese Verunsicherung nicht immer leicht auszuhalten <strong>ist</strong>, schrecken viele vor<br />
dem Neuen zurück und verbleiben lieber bei dem „Altbewährten“, auch wenn es sich<br />
vielleicht gar nicht so gut bewährt hat. Hier <strong>ist</strong> auch viel Dialog mit <strong>den</strong> LehrerInnen,<br />
sehr viel Aufklärungsarbeit über neue Konzepte und sehr viel Ermutigung und Hilfe nötig,<br />
um Unterricht inhaltlich didaktisch zu verändern. Es <strong>ist</strong> natürlich viel einfacher, wenn<br />
wie bisher nur äußere Strukturen verändert wer<strong>den</strong> müssen.<br />
Doch nötig wäre gerade heute, die Innovationsbereitschaft der LehrerInnen zu fördern,<br />
ihnen Hilfe bei Veränderungen zu geben und etwas in Bewegung zu setzen.<br />
Das muss auch schon bei der LehrerInnenausbildung anfangen. Den Stu<strong>den</strong>t/innen<br />
wird vielerorts an <strong>den</strong> Universitäten offener Unterricht oder zumindest geöffneter Unterricht<br />
als Ziel vorgestellt, aber es gibt wenig Möglichkeiten, offenen Unterricht tatsächlich<br />
mal zu erleben und damit Ängste vor dieser unbekannten Unterrichtsform zu nehmen.<br />
Es gibt nur wenige Schulen, die offenen, altersgemischten Unterricht durchführen. Aber<br />
Informationen darüber zu erhalten, welche Schulen das sind (außer vielleicht bei so bekannten<br />
wie der Laborschule Bielefeld) <strong>ist</strong> schwierig. Darüber hinaus <strong>ist</strong> der Universitätsbetrieb<br />
selber in keiner Weise offen. Im Gegenteil, manchmal hat man als Stu<strong>den</strong>t<br />
weniger Freiheiten als als OberstufenschülerIn. Braucht eine Lehrperson <strong>für</strong> offenen<br />
Unterricht viel Vertrauen in ihre SchülerInnen, so bräuchten viele UniprofessorInnen viel<br />
mehr Vertrauen in ihre Stu<strong>den</strong>tInnen.<br />
31
Auch der Mut der LehrerInnen mit der Klasse an regionalen, nationalen oder internationalen<br />
Wettbewerben teilzunehmen und auch ein schlechtes Abschnei<strong>den</strong> in Kauf zu<br />
nehmen, um einfach mal zu sehen, wo die eigene Klasse im Vergleich tatsächlich steht,<br />
<strong>ist</strong> gefragt. Gerade da<strong>für</strong> <strong>ist</strong> natürlich eine gute Zusammenarbeit mit KollegInnen wichtig,<br />
die auch mal Misserfolge auffangen und Hilfestellung geben können.<br />
Sozialpädagogische Beratungs- sowie therapeutische Kompetenzen<br />
Da es das Ziel <strong>ist</strong>, behinderte Kinder nach Möglichkeit in normale Klassen zu integrieren<br />
(Urteil des Bundesverfassungsgerichtes s.o.), brauchen die Schulen Unterstützung<br />
durch Sonderpädagogen. Da die Anzahl der Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten zunimmt,<br />
wer<strong>den</strong> psychologisch/therapeutische Kompetenzen immer wichtiger. Dabei<br />
fehlt heute in der Ausbildung der GrundschullehrerInnen oft noch die Verpflichtung zur<br />
Belegung sonderpädagogischer Veranstaltungen, um zumindest ein Grundgerüst zum<br />
Umgang mit behinderten SchülerInnen zu haben. Ein solches Grundwissen ersetzt keinesfalls<br />
die SonderpädagogInnen. Aus der Erfahrung mit Integrationskindergärten kann<br />
man sagen, dass auch nicht-behinderte Kinder aus der Arbeit der SonderpädagogInnen,<br />
die ja mit allen Kindern gemeinsam ihre Förderübungen durchführen, durchaus<br />
profitieren. Unauffälligere Sprach- oder Haltungsfehler können durch das Mittun aller<br />
Kinder bei <strong>den</strong> Übungen, die eigentlich <strong>für</strong> die behinderten Schüler gedacht sind, ganz<br />
nebenbei behoben wer<strong>den</strong>. Auch Hilfe <strong>für</strong> solche Kinder, die unter häuslichen Problemen<br />
lei<strong>den</strong>, findet die Lehrkraft bei diesen Spezial<strong>ist</strong>Innen <strong>für</strong> Sonderpädagogik oder<br />
Psychologie.<br />
32
Ausblick<br />
Bei <strong>den</strong> ganzen Diskussionen um Qualitätsverbesserung der Ausbildung an deutschen<br />
Schulen wird me<strong>ist</strong> geäußert, dass sich die Qualität durch Veränderung der äußeren<br />
Gegebenheiten steigern lässt. Da <strong>ist</strong> die Forderung nach Ganztagsschulen, nach weniger<br />
„faulen“ LehrerInnen, nach kleineren Klassen, nach weniger AusländerInnen oder<br />
aber deren Sprachförderung vor Schuleintritt usw..<br />
Selten jedoch ertönt der Ruf nach einer Änderung des Unterrichts selbst. Das liegt zum<br />
einen sicher daran, dass die me<strong>ist</strong>en Entscheidungsträger noch in keinem heutigen Unterricht<br />
über längere Zeit dabei waren. Oder daran, dass man Unterricht früher selber so<br />
erlebt hat und ja auch etwas gewor<strong>den</strong> <strong>ist</strong>.<br />
Doch die Kindheit gestaltet sich <strong>für</strong> die SchülerInnen heute anders als noch vor 20 Jahren.<br />
Die Lerngruppen sind heterogener, und es <strong>ist</strong> dringend nötig, dass Unterricht sich<br />
endlich ändert, um optimal auf die Vielfalt und Einzigartigkeit der Kinder einzugehen<br />
und jedes seinen Lernvoraussetzungen entsprechend zu fördern.<br />
Das geht meiner Meinung nach nur mit offenem, von <strong>den</strong> Kindern mitbestimmtem Unterricht,<br />
in dem die Kinder sozialen Umgang lernen, viel sprechen müssen / dürfen, viele<br />
eigene Gestaltungsmöglichkeiten haben und Eigenverantwortung <strong>für</strong> ihr Tun, vor allem<br />
aber <strong>für</strong> ihren Lernprozess lernen. Man kann <strong>für</strong> 20 unterschiedliche Kinder nicht 20<br />
Lernangebote machen. Wobei noch nicht einmal sichergestellt <strong>ist</strong>, dass das von der<br />
Lehrperson <strong>für</strong> ein Kind entworfene Lernangebot tatsächlich dem Lernniveau dieses<br />
Kindes entspricht. Ist es da nicht viel sinnvoller, die Kinder selber entschei<strong>den</strong> zu lassen,<br />
was ihrem Lernniveau entspricht? Dann haben sie sicherlich sehr viel mehr Ehrgeiz,<br />
die selbst ausgesuchte Aufgabe auch zu lösen.<br />
Offener Unterricht fordert aber von vielen LehrerInnen einen großen Um<strong>den</strong>kprozess<br />
und viel Mut. Dazu muss ihnen Hilfestellung gegeben wer<strong>den</strong>.<br />
Das ganze Konzept des offenen Unterrichts erfordert sehr viel Kommunikation und Offenheit<br />
gegenüber anderen Menschen, seien es SchülerInnen, LehrerInnen, Schulleitung,<br />
nicht-lehrendes Personal, Eltern, Schulbehörde oder andere in Beziehung zur<br />
Schule stehende Institutionen und Personen.<br />
Doch wie steht es nun mit der inhaltlichen Änderung von Unterricht? Das Konzept des<br />
offenen Unterrichts <strong>ist</strong> schon länger bekannt und in der Diskussion, doch bis jetzt hat<br />
sich kaum etwas an der Unterrichtssituation geändert. Wer also kümmert sich darum,<br />
dass tatsächlich mehr Öffnung an <strong>den</strong> Schulen in allen Bereichen stattfindet?<br />
Anfangen müssen wahrscheinlich die Universitäten, indem sie <strong>den</strong> Stu<strong>den</strong>tInnen praktische<br />
Erfahrungen mit offenem Unterricht an der Universität und an Schulen ermöglichen.<br />
Darüber hinaus sollten sich Universitäten aber auch als Ausbildungsinstitution <strong>für</strong><br />
LehrerInnen verstehen, und diesen gezielt Angebote zur Weiterbildung und zu Um<strong>den</strong>kprozessen<br />
geben. Vor allem könnten die Universitäten ein Forum schaffen, in dem LehrerInnen<br />
mit Interesse an offenem Unterricht eine Möglichkeit des Austausches haben<br />
und Hilfestellung bekommen.<br />
Qualitätsvergleiche zwischen Schulen mit offenem und herkömmlichem Unterricht zeigen<br />
schon jetzt die Vorteile dieses offenen Unterrichts. Diese wer<strong>den</strong> aber in der Öffentlichkeit<br />
zu wenig wahrgenommen. Hier <strong>ist</strong> mehr Öffentlichkeitsarbeit nötig, um offenen<br />
Unterricht mehr in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Wenn Eltern mehr<br />
Kenntnisse über offenen Unterricht haben, wird auch von ihrer Seite verstärkt der<br />
Wunsch nach solcher Öffnung des Unterrichts an die Schulen herangetragen.<br />
33
Es bleibt sehr zu hoffen, dass der Anteil an geöffnetem Unterricht stetig zunimmt um so<br />
der heutigen Lernausgangslage der Kinder besser Rechnung zu tragen und die Bildungsmisere<br />
in Deutschland der Vergangenheit angehören zu lassen.<br />
Ein Traum von Schule wäre allerdings das von Kahl (2002) in Schwe<strong>den</strong> beobachtete<br />
neue Schulmodell „Futurum“:<br />
• Fast dreiviertel aller 1 – 6-jährigen gehen in die von akademisch ausgebildeten<br />
Pädagogen geführte Vorschule.<br />
• Alle SchülerInnen wer<strong>den</strong> bis zur neunten Klasse zusammen unterrichtet.<br />
• Neudefinierung von Raum und Zeit <strong>für</strong> <strong>den</strong> Unterricht: Die Schule bietet viele offene<br />
Räumlichkeiten, wo die SchülerInnen alleine oder in Gruppen lernen können.<br />
In der Schule befin<strong>den</strong> sich Ateliers und Labors und ein professionelles Musikstudio.<br />
Im Lehrerzimmer hat jeder Pädagoge seinen Schreibtisch und seinen<br />
Computer. In der Mitte zwischen diesen Räumlichkeiten <strong>ist</strong> ein großer Versammlungsort.<br />
Der Vormittag <strong>ist</strong> nicht zeitlich von außen strukturiert<br />
• Lehrpläne und Metho<strong>den</strong> des Unterrichts wer<strong>den</strong> reformiert.<br />
• Je älter die SchülerInnen, desto stärker sind die Altersgruppen gemischt. Es gibt<br />
zwei „Stämme“: die Klassen von der ersten bis zur Vierten und die Klassen von<br />
der Fünften bis zur Neunten.<br />
• Keine Trennung der Lerngruppen nach Le<strong>ist</strong>ung und Intelligenz.<br />
• Ein Logbuch dokumentiert die Lernfortschritte oder die angestrebten Lernziele<br />
jedes Schülers / jeder Schülerin, <strong>ist</strong> also sein / ihr individueller Lehrplan.<br />
• Es fin<strong>den</strong> verabredungsgemäß Besprechungen mit <strong>den</strong> LehrerInnen über die Arbeit<br />
der SchülerInnen statt.<br />
• Noten gibt es erst ab der achten Klasse.<br />
• Drei Pädagogen: Das Kind selbst, die Lehrperson und der Raum mit seinem Interieur.<br />
• Auf rund tausend SchülerInnen kommen 180 LehrerInnen, z. T. Teilzeitkräfte (also<br />
6 –8 SchülerInnen pro LehrerIn).<br />
• Den Abschlusstest müssen alle schwedischen SchülerInnen am Ende ihrer<br />
Schulzeit machen. Er ermöglicht einen landesweiten Vergleich und die Ergebnisse<br />
wer<strong>den</strong> im Internet veröffentlicht.<br />
34
Literaturl<strong>ist</strong>e<br />
Bach, Gerhard; Timm, Englischunterricht<br />
Johannes-Peter, 1996 A.Francke Verlag /Tübingen und Basel<br />
Bauer, Roland, 1997 Lernen an Stationen in der Grundschule<br />
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Beck, Ulrich, 1997<br />
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Suhrkamp, Frankfurt<br />
Bergk, Marion, 2002 Mehr Startchancen <strong>für</strong> >>schriftfern
Gallin, Peter; Ruf, Urs 1995<br />
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Chr<strong>ist</strong>iane 2000<br />
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Ich mache das so! Wie machst du es? Das machen wir ab.<br />
Sprache und Mathematik. 1 – 3. Schuljahr<br />
Lehrmittelverlag Zürich<br />
Freie ge<strong>ist</strong>ige Schularbeit in Theorie und Praxis<br />
Hirt, Breslau<br />
Projektunterricht in altersgemischten Lern-Gruppen<br />
Schneider Verlag, Hohengehren<br />
Die 5 Qualitätsbereiche<br />
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praxis erprobtes Konzept zur Diskussion<br />
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Lesedidaktische, lernpsychologische und schulpädagogische<br />
Grundlagen eines vom Schüler selbstgesteuerten Schriftspracherwerbs.<br />
Sabe, Zürich<br />
Ein Traum von einer Lehranstalt<br />
in: Die Zeit; Wissen 06<br />
Unser Weg ... zu einem subjektorientierten, entwicklungspsychologischen,<br />
kooperativen und integrativen Unterricht<br />
Verlag Fallenstein, Schandelah<br />
Lernen zum Erfolg<br />
Nr.3, Spiegel-Verlag, Hamburg<br />
Die Schule der Zukunft: Von der Belehrungsanstalt zur<br />
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Altergemischte Anfangsklassen<br />
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>>Ic will dein freunt sein
Zehnpfennig, Hannelore, Holli,<br />
Heike; Zehnpfennig, Helmut,<br />
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Individualisierung im offenen Unterricht – Die Förderung<br />
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Es <strong>ist</strong> normal, verschie<strong>den</strong> zu sein<br />
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Integrativer Anfangsunterricht<br />
pz.bildung-rp.de/pzinfo/08_2002/0802s18.pdf<br />
38