Verliebt,Verlobt,Verheiratet - Eurac
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egelungen, spezifischen Vereinbarungen<br />
oder dauerhaften Schutzklauseln“<br />
sprechen. Es wird hier darauf zu achten<br />
sein, dass sich in den zukünftigen Beitrittsvertrag<br />
nicht primärrechtswidrige<br />
Verletzungen des Gleichheitsgebotes zu<br />
Lasten der Türkei hineinverirren.<br />
All dies hinterlässt den für alle Beteiligten<br />
unglücklichen Eindruck, dass die Europäischen<br />
Staats- und Regierungschefs<br />
sich nur widerwillig in die Verhandlung<br />
des Ehevertrags mit einer Braut begeben,<br />
die ihnen trotz (oder wegen) übereilter<br />
Verlobung im Grunde unheimlich<br />
geblieben ist. Was bleibt zu raten? An<br />
die Adresse der EU ist zu richten, dass<br />
Verhandlungen im Völkerrecht frei von<br />
jeder böswilligen Mentalreservation des<br />
Seit 1924 hat sich<br />
die Türkei ihre<br />
eigene und eigenwillige<br />
Identität<br />
zugelegt.<br />
Scheiterns zu führen sind. An die Türkei<br />
gewandt mag man warnend vermerken,<br />
dass der Ausdruck „Beitrittsverhandlungen“<br />
ein höflicher Hilfsausdruck ist. Bald<br />
wird sich für die politischen und wirtschaftlichen<br />
Eliten in Ankara herausstellen,<br />
dass hier nicht viel zur Debatte<br />
steht, sondern die Türkei „angewiesen“<br />
wird wie, wann und wo ihr System EUropa<br />
reif zu machen ist. Es wird interessant<br />
zu beobachten sein, wie die Türkei<br />
mit diesem ersten „touch down“ auf dem<br />
postnationalen Boden der EU umgehen<br />
wird. Schließlich kann nicht ausgeblendet<br />
werden, dass die Türkei im Unterschied<br />
zu anderen neuen Mitgliedstaaten<br />
keine Systemrevolution hinter sich<br />
hat, sondern bestenfalls eine zarte Systemevolution.<br />
Zum anderen ist die Türkei<br />
keine junge, kleine und identitätsschwache<br />
Legatarin aus dem Nachlass<br />
eines Großreiches wie es die mittel- und<br />
ostdeutschen Beitrittsbräute waren. Sie<br />
ist vielmehr Alleinerbin der ehemaligen<br />
osmanischen Supermacht und hat sich<br />
bereits seit 1924 eine eigene und eigenwillige<br />
Identität zugelegt. Spannungen<br />
sind vorprogrammiert, deren Ausgang<br />
allerdings ungewiss ist. Tatsächlich wird<br />
sich erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren<br />
zeigen, wer es ist, der unter dem Namen<br />
„Türkei“ der Europäischen Union<br />
beitreten wird. Und, zum anderen, wird<br />
erst dieses kommende Jahrzehnt zeigen,<br />
wem diese neue Türkei überhaupt beitreten<br />
wird. Denn wenn es gelingt, den<br />
Verfassungsprozess in Europa wiederzubeleben,<br />
so ist dieses Europa gar nicht<br />
mehr jenes Gebilde, zu dem die Türkei<br />
Beitritt beantragt hat, sondern dessen<br />
Rechtsnachfolgerin, also eine neue Union<br />
auf der Grundlage der neuen Europäischen<br />
Verfassung. Freilich war dieser<br />
Selbstfindungsprozess Europas selten<br />
so offen wie heute. Für 2015-2020 sind<br />
damit einige Verfassungsszenarien für<br />
Europa denkbar. Jenes einer alten EU,<br />
einer neuen EU oder gar mehrerer Parallel-Unionen.<br />
Die Hochzeitsaussichten<br />
der Türkei sind unklarer denn je. Ihr<br />
Status als Braut Europas hingegen bleibt<br />
unbeschädigt. Tatsache ist, dass wohl<br />
kaum je ein Brautpaar so wenig von der<br />
gemeinsamen, sowie von der Zukunft<br />
des jeweils anderen gewusst hat, wie die<br />
Türkei und EUropa.<br />
Gabriel von Toggenburg/EURAC<br />
Institut für Minderheitenrecht<br />
gabriel.toggenburg@eurac.edu<br />
Juli - Luglio 2005 7