artensuite Schweizer Kunstmagazin Februar 2011 | 16 Zerfall und Schönheit Von Heidi Schlumpf Steimer Ruedi Bechtler, (Entropie / Elipse) Insert, 2008, Pigmetdruck auf Büttenpapier, 112 x 85 cm Ruedi Bechtler, (Kaktus) Drehkreis, 2008, Pigmentdruck auf Büttenpapier, 112 x 85 cm ■ Die Kraft der Natur und ihr Zerfall sind Gegenpole, die Ruedi Bechtler in seiner Arbeit inspirieren. In seiner vierten Ausstellung in der Galerie Ziegler zeigt der Zürcher Künstler seinen spielerischen Umgang mit diesen grossen Themen. Strandgut, Lichtinstallationen, Mobiles und grossflächige Fotografien illustrieren seine Wahrnehmungen und er entpuppt sich dabei als Neugieriger und Forscher. Im Rahmen der Ausstellung erscheint eine Publikation, die Einblick in die Vielfalt und Fülle des gesamten Œuvres gibt. Erstmals präsentiert Bechtler in der Ausstellung seine «Beach Walks» – Gegenstände, die durch die Meeresströmungen an die Strände gespült werden und die er während vieler Jahre auf Reisen gesammelt hat. Es sind Plastikteile in allen Grössen, Formen und Farben, die achtlos weggeworfen unsere Meere und Strände belasten. Dieser Zivilisationsmüll zieht ihn magisch an und er fädelt diesen an Schnüren auf, die ebenfalls Fundstücke sind. Ruedi Bechtler Galerie Ziegler SA, Rämistrasse 34, 8001 Zürich www.artnet.de/galerieziegler.html Geöffnet Mittwoch bis Freitag 13:00–18:00 h und nach Vereinbarung Bis 18. Februar Künstlerbuch: Ruedi Bechtler, Flip Flop, JRP Ringier, 155 Seiten, Fr. 58.00 Das Aufreihen überlässt er dem Zufall und mit dem Zuknoten der Schnur ist das Werk vollendet. In dieser Form wirken die Funde vom Strand eher wie schmucke Halsketten oder ethnologische Funde. Erst auf den zweiten Blick entlarven sie sich als Strandgut. Doch keineswegs tritt der Sammler mit dem Zeigfinger auf oder beschwört das verlorene Paradies. Viel eher ringt er dem Umweltzerfall Dinge ab, die er spielerisch kombiniert, verwandelt und in einen neuen Zusammenhang stellt. Auch die Bestandteile der luftigsten Arbeit der Ausstellung mit dem Titel «Blenden und Überlagerungen mit Lochfolien» sind Ausschussmaterial. Folien einer Druckerei wurden zu einem schwebenden Mobile mit einer Glühbirne als Lichtobjekt verbunden. Durch den Luftzug bewegt sich das Gebilde und lässt durch die Löcher immer wieder neue Durchblicke zu. Das Objekt steht für die Verwirrungen der menschlichen Wahrnehmung und illustriert zugleich Spielfreude und Leichtigkeit. Die Fotografie ist ein zentraler Bestandteil der Arbeit Bechtlers. Er verwendet selbst aufgenommene oder fremde Bilder und Ansichtskarten. Oft stellt er zwei Fotos unterschiedlicher Sujets einander gegenüber, dabei steht die unten montierte Fotografie auf dem Kopf. Durch diese Montage entstehen Kippbilder, die von zwei Seiten betrachtet werden können und die Welt kopfstehen lassen. In der Galerie Ziegler sind grossflächige Fotos von Abfallsituationen ausgestellt: Da türmen sich Kartonschachteln, Holzstücke, Glasscheiben und Plastikteile. Wie Fremdkörper sind in der Abbildung sogenannte «Inserts», Bildblasen oder Spiegel eingeblendet. Die Verknüpfung verschiedenartiger Sujets setzt überraschende Akzente und durchbricht die Unordnung des Mülls. Die Einblendungen fordern den Betrachter auf, die verschiedenen Wahrnehmungsebenen gleichzeitig zu etwas Neuem zu verarbeiten und damit unbekannte Sichtweisen zu entdecken. Bechtlers Anziehung zu Naturwissenschaft und Technik offenbart sich insbesondere in den geometrischen Lichtinstallationen mit Kreisen und Dreiecken. Arbeiten wiederum, welche die Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Hirns auf die Probe stellen. Imposant und zugleich irritierend ist das Bild des riesigen Kaktus aus Peru, der wie ein Urgetier wirkt. Subtil eingefügt ist ein Drehkreis mit einem Foto der Pflanze, welche die Erscheinung vervielfacht. Soll die Einblendung seine Schönheit multiplizieren oder eine andere Wirklichkeit zeigen? Bechtler stellt mit seinem Werk immer wieder Fragen – durchaus nicht nur dem Publikum, sondern auch sich selbst.
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