31.12.2013 Aufrufe

Ausgabe Zürich - Ensuite

Ausgabe Zürich - Ensuite

Ausgabe Zürich - Ensuite

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ensuite<br />

K U L T U R M A G A Z I N<br />

NR. 84 DEZ. 2009 | 7. JAHRGANG<br />

K U L T U R M A G A Z I N<br />

Inkl. Kunstbeilage artensuite<br />

Schweiz sFr. 7.90,<br />

Deutschland, Österreich,<br />

Frankreich, Italien € 6.50<br />

<strong>Ausgabe</strong> <strong>Zürich</strong><br />

Mit übersichtlicher Kulturagenda


Habib Asal<br />

Zora Berweger<br />

Boris Billaud<br />

Manuel Burgener<br />

Raffaella Chiara<br />

Jürg Grünig<br />

Christoph Gugger<br />

Stefan Guggisberg<br />

Haus am Gern<br />

Nina Heinzel<br />

Peter Iseli<br />

Alain Jenzer<br />

Heidi Künzler<br />

Karin Lehmann<br />

Andrea Loux<br />

Marius Lüscher<br />

Renée Magaña<br />

Christina Niederberger<br />

Mariann Oppliger<br />

Nadin Maria Rüfenacht<br />

Irene Schubiger<br />

Dominik Stauch<br />

Sereina Steinemann<br />

Weihnachtsausstellung<br />

09/10<br />

Kunsthalle Bern<br />

-<br />

19.12.09 − 31.01.10<br />

SIMONE<br />

AUGHTERLONY<br />

&<br />

ISABELLE<br />

SCHAD<br />

«SWEET DREAMS<br />

ARE MADE»<br />

FR, 18. & SA, 19. DEZEMBER<br />

20:00 UHR<br />

VVK: WWW.STARTICKET.CH / INFOS: WWW.DAMPFZENTRALE.CH<br />

DAMPFZENTRALE BERN, MARZILISTRASSE 47, 3005 BERN<br />

UNTERSTÜTZT VON: STADT BERN, KANTON BERN, BURGERGEMEINDE BERN,<br />

ERNST GÖNER STIFTUNG, MIGROS KULTURPROZENT, HOTEL NATIONAL BERN.<br />

Geschichten<br />

mit Sáppho, Dido und Steffi<br />

22. und 23. Januar 2010<br />

INNOVANTIQUA WINTERTHUR - das andere Alte Musik Festival<br />

Meisterkonzert<br />

Sonderkonzert – Junge Meister<br />

Patronat:<br />

Maja Ingold, Fritz Näf<br />

Juliane Heutjer, Barockflöte; Katharina Heutjer, Barockvioline;<br />

Jonathan Pešek, Barockvioloncello; Sebastian Wienand, Cembalo.<br />

1. Preis und Publikumspreis «Musica Antiqua Brügge»<br />

Melpomen (CH,I)<br />

Contraband (D)<br />

Morethanmusic (Basel)<br />

Les haulz et les bas (D)<br />

Basler Madrigalisten<br />

Freitagsakademie Bern<br />

www.innovantiqua.ch<br />

Vorverkauf ab<br />

4. Januar 2010<br />

Winterthur Tourismus<br />

im Hauptbahnhof<br />

www.ticket.winterthur.ch<br />

Tel. 052 267 67 00<br />

Werke von RC. Monteverdi, T. Merula, D. Castello, G. Fr. Händel,<br />

A. Vivaldi, L. Boccherini<br />

So 13. Dezember 2009, 17 Uhr<br />

Auditorium Martha Müller, ZPK<br />

Vorverkauf: www.kulturticket.ch,<br />

Tel. 0900 585 887 (CHF 1.20/Min.)<br />

Eintritt inkl. Willkommensgetränk<br />

und Ausstellungsbesuch.<br />

www.zpk.org


12<br />

Inhalt<br />

30<br />

28<br />

34<br />

24<br />

PERMANENT<br />

6 SENIOREN IM WEB<br />

6 KURZNACHRICHTEN<br />

8 FILOSOFENECKE<br />

11 ÉPIS FINES<br />

18 KULTUR DER POLITIK<br />

19 CARTOON / MENSCHEN & MEDIEN<br />

21 LITERATUR-TIPPS<br />

25 INSOMNIA<br />

36 TRATSCHUNDLABER<br />

38 IMPRESSUM<br />

39 KULTURAGENDA ZÜRICH<br />

Bild Titelseite: Die legendären «Depeche Mode» spielen<br />

am 6. und 7. Dezember im ausverkauften Hallenstadion.<br />

5 KULTURESSAYS<br />

5 Hochkultur<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

7 «Kultur ist etwas vom Wichtigsten»<br />

Von Barbara Neugel<br />

9 Zukuntfsmusik<br />

Von Irina Mahlstein<br />

10 Samichlaus in der Badewanne<br />

Von Barbara Roelli<br />

11 Herbstwetterklassiker<br />

Von Simone Weber<br />

12 Kunst zwischen Apfelkuchen<br />

und Anrufbeantworter<br />

Von Rebecka Domig und Sonja Gasser<br />

14 KunstLiebeGeld<br />

Von Jarom Radzik<br />

16 Inne- und Aushalten<br />

Von Ursula Lüthi<br />

38 Sensorreiniger, YB und harter Kaugummi<br />

Von Isabelle Haklar<br />

20 LITERATUR<br />

20 Seit jeher unterwegs<br />

Von Konrad Pauli<br />

23 TANZ & THEATER<br />

22 Theater Zinnober / o.N. aus Berlin<br />

Von Robert Salzer<br />

23 Weltbürger oder Neandertaler?<br />

Von Alexandra Portmann<br />

24 «Bern ist mein Gotthard»<br />

Von Luca D’Alessandro<br />

27 MUSIC & SOUNDS<br />

27 15 Jahre Subversiv Records<br />

Von Ruth Kofmel<br />

28 Das Monster von Losone<br />

Interview: Luca D’Alessandro<br />

30 «...das Symphonieorchester als<br />

verzaubernder Klangkörper, ein Ort<br />

passionierter Konzentration»<br />

Interview: Karl Schüpbach<br />

32 KINO & FILM<br />

32 A Serious Man - eine Hommage<br />

ans Jüdischsein<br />

Von Guy Huracek<br />

33 Vom Film zurück zur Geschichte<br />

Von Florian Imbach<br />

34 Weihnachtskino: Fürsorger,<br />

Breath Made Visible, Amerrika<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

36 Law abiding citizen<br />

Von Sonja Wenger<br />

36 New Moon – Bis(s) zur Mittagsstunde<br />

Von Sonja Wenger<br />

37 Gutes Genrekino? Im TV!<br />

Von Morgane A. Ghilardi<br />

ensuite.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 3


Klaus Huber in Bern<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

anlässlich des 85. Geburtstages des Komponisten<br />

Donnerstag—Samstag, 10.—12. Dezember 2009<br />

Hochschule der Künste Bern, Papiermühlestrasse 13, 3014 Bern<br />

10. 12. 2009, 17.00 Uhr, Kammermusiksaal<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Podiumsdiskussion<br />

11. / 12. 12. 2009, diverse Säle<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Kompositions- und Interpretationsworkshops<br />

11. 12. 2009, 20.00 Uhr, Grosser Konzertsaal<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

öffentliche Probe von «… à l’âme de descendre de sa monture …»<br />

12. 12. 2009, Grosser Konzertsaal<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

14.30 Uhr, «El pueblo nunca muere»<br />

Film von Matthias Knauer zum Werk «erniedrigt, geknechtet, beleidigt»<br />

17.00 Uhr, «… à l’âme de descendre de sa monture …»<br />

weitere Informationen: www.hkb.bfh.ch<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Eine Koproduktion der IGNM Bern und der Hochschule der Künste Bern<br />

Herzlichen Dank für die Unterstützung durch


Kulturessays<br />

Immer mehr<br />

Menschen<br />

brauchen ein<br />

ensuite-Abo.<br />

Dank für die finanzielle Unterstützung an:<br />

EDITORIAL<br />

Hochkultur<br />

ensuite im Dezember<br />

Künstler beharren heute sehr präzise auf<br />

dem Wert ihrer Arbeit. Kunst kostet – das<br />

stellten wir in der Redaktion wieder mal fest,<br />

als wir die Preise eines klassischen Konzertes<br />

oder einer Oper vor Augen hatten und als uns<br />

die Fachstelle Kultur aus <strong>Zürich</strong> mitteilte, dass<br />

sie nur «professionelles, das heisst angemessen<br />

entlöhntes Kulturschaffen mit Kulturfördermitteln»<br />

finanzieren wolle. Es ist so: Den Preis für<br />

Kulturelles und Kunst zu bezahlen setzt die Bereitschaft<br />

dafür voraus – sonst funktioniert der<br />

Kunstmarkt nicht und dabei ist es egal, ob wir<br />

von einem Konzert, Theater oder einem Bild<br />

sprechen. Ohne dieses Geld bleibt jede künstlerische<br />

Tätigkeit brotlos. Dem Gegenüber ist<br />

der Inhalt, der Sinn und die Idee hinter einem<br />

Projekt oder einem Werk selten Gegenstand einer<br />

Diskussion. Das Philosophieren gehört nicht<br />

mehr zu unserem getwitterten und facebookenen<br />

Alltag. Wir leben heute flüchtig – auch finanziell.<br />

Der Staat oder die öffentliche Hand sind deswegen<br />

wichtige Förderstellen, ein gutes Beispiel<br />

ist dabei der Film. Ein kultureller Film (wie das<br />

auch zu definieren sein soll) kostet in der Entstehung<br />

viel Geld und man geht nicht davon aus,<br />

dass jener durch Aufführungsgewinne dies wieder<br />

einspielt – zumindest im Filmmarkt Schweiz.<br />

Also muss ein Film vor der Produktion bereits<br />

durchfinanziert sein.<br />

Da entsteht natürlich ein Problem für die<br />

Filmbranche und bei den Fördergeldern herrscht<br />

Gedränge: Der Bund muss seine Kulturausgaben<br />

politisch und juristisch erklären können. Ihm<br />

geht es nicht um die Wichtigkeit des Inhalts,<br />

sondern um die Repräsentation gegenüber der<br />

Politik oder den anderen Staaten im allgemeinen<br />

Wettbewerb. So hat das Bundesamt für Kultur<br />

(BAK) die Leuchtturm-Philosophie durchgesetzt<br />

und stärkt vor allem Erfolgsprojekte – ausgerechnet<br />

jene, die an der Kinokasse noch am meisten<br />

Erfolg haben könnten. Doch im Gegenzug erhält<br />

die Schweiz dadurch Filme, die sich im internationalen<br />

Wettbewerb zeigen und damit wieder<br />

Geld für den Film, durch Co-Produktionen zum<br />

Beispiel mit anderen Ländern, in die Schweiz<br />

bringen könnten. «Könnten», denn das ist ein<br />

Prozess, der Zeit braucht. Ergebnisse sind noch<br />

keine greifbar, was die Branche verständlicherweise<br />

ärgert.<br />

Die vielen Filmschaffenden, die nicht zu dieser<br />

Erfolgskategorie oder zu diesen Hype-FilmerInnen<br />

gehören, müssen mit der regionalen<br />

Filmförderung zurechtkommen. Das heisst weniger<br />

Geld und mehr Konkurrenz und dadurch<br />

weniger Möglichkeiten aufzusteigen. Für die<br />

regionale Filmförderung hingegen ist die Situation<br />

ganz blöd: Sie ermöglichen das Überleben<br />

der Filmschaffenden so lange, bis diese ihren<br />

Film beim BAK unterbringen können oder keine<br />

Kraft mehr haben und aufgeben. Die Regionalen<br />

mutieren damit zur Sozialhilfe – denn diese<br />

Filme haben kaum eine Chance im Wettbewerb.<br />

Wer’s trotzdem schafft, wird von der nationalen<br />

Politik gelobt und gehätschelt – als wären sie<br />

die Helden und verantwortlich dafür. Irgendwie<br />

auch verständlich, dass dies Frust hervorruft –<br />

für alle Beteiligten. Es scheint, dass hier ein Gedanke<br />

nicht wirklich gedacht worden ist.<br />

Aber wer jetzt meint, dass die Verbände oder<br />

die Filmschaffenden selber an einer konstruktiven<br />

Lösung interessiert wären, ist getäuscht.<br />

Das Einzige, was gefordert wird, ist noch mehr<br />

Geld für den Film. Dabei bräuchte es schlaue Lösungen.<br />

40 Millionen werden jährlich vom BAK<br />

für den Film ausgegeben – und eben, irgendjemand<br />

muss das bezahlen. Dass die Steuerzahler-<br />

Innen nicht unbedingt Lust haben, jeden Rappen<br />

in die Wirtschaftsförderung zu stecken, die<br />

schlussendlich, wie wir von der Krise her wissen,<br />

den anschliessenden Erfolg für sich behalten,<br />

ist doch verständlich. Die Filmschaffenden<br />

wollen Geld, das BAK will qualitativen Film und<br />

gestärkt werden durch die Politik – und irgendwie<br />

finden diese Gruppen nicht zusammen. Und<br />

vielleicht hat dann irgendwann das Publikum<br />

auch noch was zu sagen.<br />

Lukas Vogelsang<br />

Chefredaktor<br />

ensuite.ch<br />

Die nächste ensuite-<strong>Ausgabe</strong> erscheint erst am<br />

7. Januar 2010! Frohe Weihnachten und so...<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 5


SENIOREN IM WEB<br />

Von Willy Vogelsang, Senior<br />

Verstehen Sie Denglisch? Oder sprechen<br />

Sie selbst dieses Sprachgemisch,<br />

wenn Sie von Ihrem Handy, dem beweglichen,<br />

handlichen Telefonkästchen oder von Ihrem<br />

Laptop, der flachen, kompakten, tragbaren<br />

elektronischen Datenverarbeitungsmaschine<br />

erzählen? Das berühmteste denglische Wort<br />

ist wohl «gedownloadet». Wir haben schlicht<br />

vergessen, dass ein Programm über das Internet<br />

(weltweites Kommunikationsnetzwerk)<br />

heruntergeladen werden kann.<br />

Wenn Sie gar keinen PC (persönlichen,<br />

elektronischen Datenrechner) im Haus haben,<br />

dann lesen Sie nicht weiter. Es wird sowieso<br />

«spanisch» für Sie!<br />

Wer in den vergangenen zehn Jahren den<br />

Einstieg in die elektronische, digitale Kommunikation<br />

und Datenverarbeitung nicht mitgemacht<br />

hat – ich sage bewusst nicht «verpasst»<br />

–, wird es je länger je schwieriger haben, die<br />

damit verbundene Fachsprache zu verstehen.<br />

Ich habe zwar längst begriffen, dass die Bestandteile,<br />

Programme, Funktionen, Befehle<br />

oder Anweisungen in digitaler Form in Englisch<br />

quasi als «Muttersprache» definiert<br />

werden. So ist gewährleistet, dass der grösste<br />

Teil der Weltbevölkerung mit einer einzigen<br />

Terminologie zurechtkommt. Zudem weiss der<br />

Rechner heute mit einem kleinen Aufwand die<br />

Begriffe in die meisten Sprachen der Welt zu<br />

übersetzen. Nicht umsonst heisst er ja auch<br />

Interpreter!<br />

Haben Sie dennoch Mühe, sich in der Sprache<br />

der Computerei zurecht zu finden? Läuft<br />

Ihnen bei «interner Festplatte» das Wasser<br />

im Mund zusammen, weil es Sie an eine reich<br />

gedeckte Berner-Platte oder Züri Gschnätzlets<br />

denken lässt? Dann besuchen (surfen) Sie die<br />

Seite von seniorweb.ch. Sie wird von Senioren<br />

wie Sie und ich gemacht, für die Generation<br />

über 50, die nur zu einem Teil mit dieser modernen<br />

Technik in Berührung gekommen, geschweige<br />

denn damit aufgewachsen ist.<br />

Die Seite ist interaktiv. Das bedeutet, Sie<br />

können erste Schritte machen, mit Ihren eigenen<br />

Worten auf Artikel oder Forenbeiträge reagieren,<br />

sich zu Wort melden, Ihre Meinung,<br />

aber auch Ihre Fragen anbringen. Das ist doch<br />

eine Chance. Sie werden Übersetzer finden,<br />

einfühlsame Menschen, die ihre Erfahrungen<br />

mit Ihnen teilen, einen fachlichen Rat geben;<br />

oder mit der Zeit sogar Freunde, die gerne mit<br />

Ihnen etwas zusammen unternehmen. Es muss<br />

gar nichts mit dem Computer zu tun haben!<br />

Und – man spricht Deutsch auf<br />

www.seniorweb.ch<br />

BONE 12<br />

Kurznachrichten<br />

Die 12. <strong>Ausgabe</strong> des internationalen Festivals<br />

für Aktionskunst BONE findet vom<br />

2. bis 6. Dezember im Schlachthaus Theater<br />

und im Progr (Sonntag, 6. Dezember) statt.<br />

BONE 12 trägt den Titel «An den Rändern der<br />

Performance Art». Bone möchten die Grauzone<br />

zwischen traditionellen Kunstsparten (wie<br />

Theater, Tanz, Oper, bildender Kunst) und der<br />

Performance Art erkunden. Wann ist zum Beispiel<br />

eine theatralische Darbietung nicht mehr<br />

nur Theater, sondern wird zu etwas, was man<br />

Performance nennt? Es existieren auch viele<br />

alltägliche Darbietungen, die nicht als «Kunst»<br />

gedacht sind, die aber, wenn man sie in einem<br />

solchen Kontext erlebt, durchaus als Performance<br />

Art bezeichnet werden könnten. So hat<br />

die Festivalleitung, Norbert Klassen und Peter<br />

Zumstein, verschiedene KünstlerInnen beauftragt,<br />

sich konkret mit den Rändern der Performance<br />

zu beschäftigen. Bone ist seit Jahren<br />

eines der spannendsten und provokativsten<br />

Performance-Festivals in der Schweiz. (Pressetext/vl)<br />

Mehr zum Festival ist auf unserer Website<br />

www.ensuite.ch zu finden.<br />

DER HKB-<br />

ADVENTSKALENDER<br />

Weihnachten steht bald vor der Tür und<br />

wie dieses Fest Bestandteil unserer<br />

Kultur ist, so ist es auch der Adventskalender.<br />

Als Countdown schreibt er die vergangenen<br />

Tage und weckt Erwartungen auf das Kommende.<br />

Um die Vorfreude gemeinsam zu feiern, laden<br />

Sarah Tenthorey und Oliver Frei zu einem<br />

Adventskalender der besonderen Art ein. Die<br />

HKB öffnet im Dezember die Pforte der CabaneB<br />

und überrascht mit einem abwechslungsreichen<br />

Programm: Studenten, Kultur- und<br />

Kunstschaffende aus diversen Bereichen der<br />

HKB setzen sich mit der Thematik des Advents<br />

auseinander und gewähren Einblick in vierundzwanzig<br />

«Kalenderfenster». Im Vordergrund<br />

stehen die Studierenden der HKB aus den verschiedenen<br />

Studienbereichen Gestaltung und<br />

Kunst, Konservierung und Restaurierung, Musik,<br />

Oper/Theater, sowie des Schweizerischen<br />

Literaturinstitutes und Y. Die CabaneB wird in<br />

der Adventszeit täglich von neuem von Studierenden<br />

bespielt und steht ihnen während dieser<br />

Zeit als offene Plattform für Ideen und Projekte<br />

zur Verfügung. Die Aktionen können zwischen<br />

4 Minuten und 24 Stunden dauern.<br />

Die CabaneB ist eine vom Pariser Architekten<br />

Jean Nouvel für die Expo02 entworfene<br />

Stahlkonstruktion, welche nun beim Bahnhof<br />

Bümpliz Nord als Kunstraum dient. (Pressetext/<br />

vl)<br />

Initianten: Sarah Tenthorey und Oliver Frei (Master<br />

Art Education), Hochschule der Künste Bern<br />

6


Kulturessays<br />

10 JAHRE KULTURVEREIN MURI-GÜMLIGEN<br />

«Kultur ist etwas<br />

vom Wichtigsten»<br />

Von Barbara Neugel Foto: XXX<br />

Kultur findet überall statt. Nur redet man<br />

nicht davon. Oder besser: Man spricht<br />

nur von den sogenannten Highlights, von Kulturveranstaltungen,<br />

die in grossen und grösseren<br />

Städten stattfinden, von grossen Künstlerinnen<br />

und Künstlern. Man geht hin zum Sehen<br />

und Gesehen werden. Nun, das sind ja alles Klischees.<br />

Und trotzdem ist etwas Wahres dran.<br />

Aber es gibt noch eine andere Kultur. Kultur,<br />

die nicht in den grossen Zentren stattfindet,<br />

sondern in der Agglomeration, in kleineren<br />

und grösseren Gemeinden ausserhalb der Städte.<br />

Diese Kultur ist nicht in aller Leute Munde,<br />

oft steht nichts davon in der Zeitung, weder<br />

vor einem Anlass noch danach. Und trotzdem<br />

ist diese Kultur sehr lebendig. Da finden Veranstaltungen<br />

statt für ein kleines Publikum,<br />

manchmal auch nur für wenige Interessierte.<br />

Da werden Veranstaltungen organisiert,<br />

Gäste eingeladen, da wird kommentiert und<br />

Hintergrundinformation geliefert. Diejenigen,<br />

die sich für solche Anlässe einsetzen und auf<br />

freiwilliger Basis engagieren, sind Leute aus<br />

der Gemeinde. Das ist lebendige und gelebte<br />

Kultur.<br />

Kultur in der Region also. Nehmen wir als<br />

Beispiel dafür die Gemeinde Muri-Gümligen.<br />

Seit genau zehn Jahren besteht in Muri-Gümligen<br />

der Kulturverein. Da setzen sich Leute<br />

ein, engagieren sich auf freiwilliger Basis, versuchen,<br />

anderen etwas zu bieten, Kommentare<br />

und Hintergrundinformationen zu liefern. Ueli<br />

Thomet, Gründungsmitglied, erster Präsident<br />

und heutiger Ehrenpräsident des Vereins, erzählt<br />

aus der Anfangszeit: «Jede Gemeinde hat<br />

verschiedene Kommissionen – eine Sportkommission,<br />

eine Bau- und eine Schulkommission<br />

und so weiter und eben auch eine Kulturkommission<br />

beziehungsweise einen Ausschuss für<br />

Erwachsenenbildung. Dieser Ausschuss wurde<br />

politisch zusammengestellt, die Leute wurden<br />

hineindelegiert. Nicht alle von ihnen waren<br />

aber auch an Kultur interessiert, und politisch<br />

waren in diesem Ausschuss auch keine Lorbeeren<br />

zu holen. Der damalige Gemeinderat Hans<br />

Aeschbacher hatte das Problem erkannt und<br />

festgestellt, dass eine Trennung vorgenommen<br />

werden müsste. Kultur sollte nicht mit Politik<br />

verbunden sein, und es sollten sich Leute um<br />

die Kultur kümmern, die auch wirklich an der<br />

Sache interessiert sind. Die Kulturkommission<br />

war überfordert mit all den Anfragen, die an sie<br />

gerichtet wurden. Darauf wurde der Kulturverein<br />

gegründet, im November 1999, mit einem<br />

harten Kern von 40 Leuten. Und das war eine<br />

Chance für die Gemeinde. Ein bescheidener<br />

Anfang wurde gemacht, finanzielle Unterstützung<br />

erfolgte durch die Gemeinde, da der Kulturverein<br />

ja auch die Idee der Gemeinde war.<br />

Auf dem Programm stand jeden Monat eine<br />

Veranstaltung. Viel wurde selber gemacht.»<br />

Und das Unternehmen Kulturverein begann<br />

sich zu entwickeln. Heute zählt der Verein 400<br />

Mitglieder, was gemäss Thomet «extrem erfreulich»<br />

ist. Auch Gründungsmitglieder seien<br />

noch dabei, sagt er. Dann blickt Thomet zurück<br />

auf die Anfangszeit. Ja, damals sei alles<br />

viel weniger professionell gemacht worden. Sie<br />

hätten viel gelernt, vor allem aus Fehlern und<br />

aus Dingen, die nicht so gut gelaufen seien. Er<br />

selber hätte Volkshochschulkurse besucht für<br />

Public Relations, um den richtigen Umgang mit<br />

Journalistinnen und Journalisten zu lernen. Die<br />

neue Präsidentin, Regula Mäder, sei Gymnasiallehrerin<br />

und ausgebildete Kulturmanagerin,<br />

also prädestiniert für dieses Amt.<br />

«Die Idee, die dem Kulturverein zugrunde<br />

liegt, ist Kulturvermittlung für Leute, die sich<br />

nicht unbedingt für Kultur interessieren. Mit<br />

einem sanften Einstieg sollen die Leute an die<br />

Sache herangeführt werden. Sehr wichtig dabei<br />

ist auch ein breit gefächertes Angebot», sagt<br />

Ueli Thomet. Gerade in Muri-Gümligen hätte es<br />

sofort Stimmen gegeben, die gesagt hätten, die<br />

Leute gingen für Kultur nach Bern oder nach<br />

London oder irgendwohin, die könnten sich<br />

das leisten, führt Thomet aus. Er hätte das zur<br />

Kenntnis genommen. Es war aber überhaupt<br />

nicht so: «Der Aufbau war schnell möglich.<br />

Heute ist der Kulturverein aus der Kulturszene<br />

Muri nicht mehr wegzudenken. Viele Anfragen<br />

kommen auch dank Mund-zu-Mund-Propaganda.»<br />

Weiter erzählt Ueli Thomet, dass vor zwei<br />

Jahren eine Anfrage aus Münchenbuchsee gekommen<br />

sei. Man wollte wissen, wie der Kulturverein<br />

Muri-Gümligen funktioniere. Er sei nach<br />

Münchenbuchsee gegangen und hätte darüber<br />

referiert. Aber seither hätte er nichts mehr gehört.<br />

Schade eigentlich. Schade findet Ueli Thomet<br />

auch, dass seine Idee, dass die Gemeinden<br />

der näheren Umgebung sich gemeinsam für<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 7


8<br />

FILOSOFENECKE<br />

NUR KRÜPPEL<br />

WERDEN<br />

ÜBERLEBEN.<br />

Peter Sloterdijk 2009<br />

Nein, nicht sorglose Unempfindsamkeit<br />

des arrivierten Gegenwartsphilosophen<br />

setzt sich über den correctness-Zeitgeist hinweg,<br />

Sloterdijk stützt sich auf die Krüppelanthropologie,<br />

welche in der Wissenschaftssprache<br />

bis ins 20. Jh. ihren unbedenklichen<br />

Platz hatte. In ihr erscheint der Mensch als<br />

Animal, das sich damit zu befassen hat, wie<br />

es in diesem Leben vorankommen kann, trotzdem<br />

es behindert wird. Unter diesem Aspekt<br />

wird Sloterdijks Ansatz zur Philosophie des<br />

Trotzdem, zur Trotzanthropologie – was nicht<br />

die Existenz einer Minderheit meint, es geht<br />

um die Konvergenz der Begrifflichkeit von<br />

Krüppel und Mensch. In der vermeintlichen<br />

Standard-Perfektion der Einen wird die Nähe<br />

zu den tatsächlichen Lebensumständen, verkörpert<br />

durch die «behinderten» Anderen,<br />

verdrängt. Die Täuschung von der Ganzheit<br />

erweist sich als lebensfern im Vergleich zum<br />

Torso Mensch. Es gilt die Geworfenheit in<br />

die Behinderung Leben zu begreifen. Dies<br />

ist Ausgangspunkt für das Üben der Lebenskunst,<br />

für die Selbstwahl des Menschen in<br />

der Zwangslage seines Daseins im Krüppelexistentialismus.<br />

Wir sind behinderte, übende<br />

Wesen im Versuch, unser Leben zu leben.<br />

Diese Einsicht hindert uns daran, Mitläufer<br />

zu werden in einer schönen neuen Welt des<br />

kollektiven Selbstbetrugs. Doch dazu «sind<br />

die meisten Menschen nicht behindert genug»,<br />

denkt Sloterdijk.<br />

Wo lässt sich im philosophischen Denkgebäude<br />

diese Sicht der Welt festmachen? In<br />

der existenzialistischen Absurdität des Nichtwissens<br />

woher und wohin, der Grundbehinderung<br />

des menschlichen Daseins. Am radikalsten<br />

wohl im Anarchismus, wo das Trotzdem<br />

konsequent zur Philosophie des Ohne gedacht<br />

wird: ohne die politische Krücke Staat,<br />

ohne die ökonomische Krücke Kapitalismus,<br />

ohne die religiöse Krücke Kirche. Allerdings<br />

gehen diese aufklärerischen und Bewusstsein<br />

schaffenden Entwürfe vom real existierenden<br />

mündigen Menschen aus, der nicht nur in der<br />

Lage ist, diese «Behinderung» zu erkennen,<br />

sondern auch seine Handlungsentscheide<br />

dementsprechend trifft und den Gefahren der<br />

Krücken-Illusionen nicht erliegt.<br />

Bleibt die Frage, wo der Schritt vom Überleben<br />

zum Leben ist. Und ob unsereiner erst<br />

im Verzicht zum relativen Glück findet.<br />

Das Gespräch: Mittwoch, 30. Dezember,<br />

19:15h, Kramgasse 10, 1. Stock<br />

Kulturessays<br />

ein Kulturprojekt engagieren könnten, nicht<br />

zustande gekommen sei. «Das Konkurrenzdenken<br />

ist immer noch vorhanden. Dabei könnte<br />

man sich gemeinsam gewisse Dinge leisten, die<br />

sonst nicht möglich sind. Man könnte bekannte<br />

Leute einladen, die in jeder Gemeinde gastieren<br />

und dafür nur einmal anreisen müssten.<br />

Aber jeder schaut für sich. Das ist schade. Gemeinsam<br />

ist man stärker.» Weiter stellt Thomet<br />

fest, dass auch nie eine Anfrage von anderen<br />

Kulturvereinen komme für eine grössere, speziellere<br />

Veranstaltung in der Region.<br />

Dafür funktioniert die Zusammenarbeit in<br />

der Gemeinde. Ueli Thomet: «Wir haben die<br />

Zusammenarbeit mit anderen gesucht. In Muri-<br />

Gümligen wird beispielsweise eine sehr gute<br />

und enge Zusammenarbeit mit der Musikschule<br />

Muri gepflegt. Konzerte werden von der Musikschule<br />

organisiert, der Kulturverein grenzt sich<br />

ab. Trotzdem profitieren beide Seiten von den<br />

Kontakten.»<br />

Das Programm für 2010 steht bereits. «Vorausarbeit<br />

ist nötig. Wenn man gute Sachen machen<br />

will, muss man die Leute rechtzeitig anfragen,<br />

sonst sind sie bereits ausgebucht», sagt<br />

Thomet. Ein weiteres wichtiges Anliegen von<br />

Ueli Thomet ist der Einbezug von jungen Leuten.<br />

Sie werden immer wieder angesprochen, und es<br />

wird auch einiges für sie gemacht. Der Kulturverein<br />

will ihnen eine Plattform bieten. «Trotzdem,»<br />

stellt Ueli Thomet fest, «ist die Kundschaft<br />

des Kulturvereins vorwiegend im Alter von 40<br />

bis 90 Jahren. Auch wenn die älteren Leute nicht<br />

unbedingt an den Veranstaltungen teilnehmen,<br />

so sind sie immerhin informiert und können mitreden.»<br />

«Kultur ist etwas vom Wichtigsten,» sagt<br />

Ueli Thomet. Er hat sich während all der Jahre<br />

für Kultur und für den Kulturverein engagiert.<br />

Nun ist er erster Ehrenpräsident geworden.<br />

«Das macht Freude,» stellt Thomet fest. Er arbeitet<br />

immer noch im Vorstand mit und erläutert,<br />

dass jedes Vorstandsmitglied auch eine<br />

Aufgabe habe. Selbstverständlich ist auch eine<br />

Vertreterin der Gemeinde von Amtes wegen<br />

dabei, da die Gemeinde finanzielle Mittel zur<br />

Verfügung stellt. Auch dabei sind ein Vertreter<br />

der Musikschule und ein Vertreter der Kulturkommission.<br />

«Das Wichtigste ist die Gesinnung.<br />

Die Freude an der Sache spielt eine grosse<br />

Rolle. Aus Kostengründen wird viel selber gemacht.<br />

Aber es war bisher nie ein Problem,<br />

Leute zu finden für die Kasse an Anlässen oder<br />

zum Aufbau und andere Arbeiten.» Ansonsten<br />

arbeitet der Kulturverein heute professioneller<br />

als früher. Es gibt eine Presseverantwortliche,<br />

die elektronischen Medien werden eingesetzt,<br />

eine Homepage ist eingerichtet worden. «Wir<br />

verschicken einen Mitgliederbrief, aber wir schreiben<br />

die Leute auch per E-Mail an, auch wenn<br />

ein Teil der Mitglieder über keine E-Mail-Adresse<br />

verfügt. Ganz wichtige Sachen schicken wir<br />

per Post, wenn’s rasch gehen muss, schicken wir<br />

E-Mails,» hält Ueli Thomet fest.<br />

Das Geburtstagsfest des Kulturvereins Muri-<br />

Gümligen hat Anfang November stattgefunden.<br />

Man wollte nicht zu viel Werbung dafür machen,<br />

sondern eher unter Gleichgesinnten bleiben.<br />

Trotzdem seien etwas mehr als 100 Leute gekommen,<br />

erzählt Ueli Thomet erfreut. Im Programm<br />

für 2010 sollen gemäss den Worten von<br />

Ueli Thomet wiederum einige Rosinen zu finden<br />

sein. Aber zunächst steht noch der Dezember-<br />

Anlass vor der Tür, als Abschluss des Jubiläumsprogamms<br />

2009: «In 80 Minuten um die Welt»,<br />

eine «exklusive Ballonfahrt von und mit Gerhard<br />

Tschan», am Donnerstag, 31. Dezember 2009,<br />

17.00 Uhr im Bärtschihus in Gümligen.<br />

Infos: www.kulturverein-muri.ch<br />

Ruedi Geiser:<br />

«KalberMatten bringt die Nöte unseres<br />

Lebens in Kürze gefasst auf den Punkt.»<br />

edition ■ ensuite<br />

ISBN 978-3-9523061-2-3<br />

www.edition.ensuite.ch


Kulturessays<br />

Es ist soweit! Ich habe mein Datum gekriegt.<br />

Ich habe mir immer vorgestellt, wenn man<br />

sein Datum kennt, dass dann der Stresslevel in<br />

unvorstellbare Höhen klettert. Irgendwie, dachte<br />

ich mir, geht das doch gar nicht anders. Und<br />

genau so ist es auch gekommen. Für eine Sekunde<br />

stockt der Atem und irgendwann sickert es<br />

durch, bis in die hinterste und letzte Hirnwindung:<br />

Es geht zu Ende. Die Zeit als Doktorandin<br />

ist ab jetzt nur noch ein Countdown. Obwohl,<br />

in meinem Fall, ein speziell langer Countdown.<br />

Aber langsam sieht man Licht am Ende des Tunnels.<br />

Unvorstellbar. Innerhalb von ein paar wenigen<br />

Tagen haben sich viele Fragen geklärt. Die<br />

erste eben wie gesagt: «Wann entscheidet sich<br />

endgültig, ob ich Frau Doktor werde?» Und die<br />

zweite: «Wo und bei wem arbeite ich danach?»<br />

Es ist wie immer ein wenig erstaunlich, und<br />

dies möchte ich hier wirklich ohne anzugeben<br />

schreiben, schulische und berufliche Dinge sind<br />

mir immer ein wenig in den Schoss gefallen. Klar<br />

bin ich brav und fleissig, aber in so vielen Situationen<br />

hatte ich auch einfach die nötige Portion<br />

Glück. Tja, den Dummen gehört die Welt.<br />

Ich bin gerade dran, mir ein kleines Stück dieser<br />

Welt zu erobern. Vorausgesetzt, alle Mäuse<br />

kommen mit an Bord des Schiffs in die Staaten.<br />

Die Chancen stehen nämlich gerade sehr gut,<br />

dass es mich in diese Gegend verschlägt. Und<br />

KOLUMNE AUS DEM BAU<br />

Zukunftsmusik<br />

Von Irina Mahlstein Bild: Barbara Ineichen<br />

wo werde ich wohl sein? Die Leser, die auch<br />

brav über den Sommer meine Kolumne gelesen<br />

haben, wissen es schon. Und den anderen reibe<br />

ich es gerne unter die Nase: Ich werde vielleicht<br />

nach Boulder, Colorado, gehen.<br />

Ihr seht, mein Leben danach formt sich gerade,<br />

die Zukunftsmusik dudelt mir so laut in die<br />

Ohren, dass ich bald einen Hörschaden davon<br />

trage. Und es verdreht mir den Kopf, aber zünftig!<br />

Doch als erstes muss ich jetzt eine anständige<br />

Doktorarbeit auf den Tisch bringen. Sonst<br />

wird die Zukunftsmusik bald zur schmerzenden<br />

Dissonante. Denn meine zukünftige Chefin wird<br />

die Ehre haben (oder wohl eher ich habe die<br />

Ehre) meine Doktorarbeit auf das Genaueste zu<br />

prüfen. Soweit scheint also alles in Ordnung zu<br />

sein. Doch je mehr ich versuche, meiner Zukunft<br />

Form zu geben, umso mehr Hürden stellen sich<br />

mir in den Weg. Denn zwei Leben für einen<br />

zweijährigen Auslandaufenthalt zu koordinieren,<br />

ist echt eine Herausforderung! Zurzeit herrscht<br />

Chaos. Ich mag kein Chaos. Ich benötige zu jedem<br />

Zeitpunkt einen Lebensplan, und genau<br />

dies wird mir im Moment nicht vergönnt.<br />

Der Tiger will da nämlich studieren. Die<br />

da drüben meinen nun, es sei sinnvoll, zu dem<br />

Zeitpunkt das Semester zu beginnen, welcher<br />

für meinen (unseren?) Lebensplan extrem nicht<br />

sinnvoll ist. Können die da drüben nicht einmal<br />

ein wenig Rücksicht auf die alte Welt nehmen?<br />

Uns gibt’s schon länger, also wissen wir auch,<br />

wie man gewisse Dinge richtig macht! Ich werde<br />

davon ausgehen müssen, dass mein Appell ungehört<br />

bleibt. Irgendwie müssen sich die Dinge<br />

folglich sonst irgendwie fügen. Und das werden<br />

sie wohl auch. Nur hindert mich meine dämliche<br />

Ungeduld daran, dies alles gelassen zu nehmen.<br />

Denn ich brauche jetzt einen Plan. Es ist mir<br />

schon klar, dass dies eine doofe und nicht flexible<br />

Einstellung ist, welche gerade heutzutage<br />

nicht haltbar ist, weil heute jedermann flexibel<br />

ist. Aber ich bin nun mal nur bedingt flexibel.<br />

Und es gibt auch Blöderes als das. Zum Beispiel<br />

den Welttoilettentag (Nicht, dass ich die Sache<br />

an sich, also das Klo, nicht schätzen täte. Die<br />

Wichtigkeit dieser Erfindung ist mir absolut bewusst,<br />

vor allem als Stadtbewohnerin). Und aus<br />

Freude dieses Anlasses war im Netz eine Bildstrecke<br />

mit den spektakulärsten stillen Örtchen<br />

der Welt zu sehen. Da hat jemand tatsächlich<br />

sein Klo mit Swarovski-Kristallen überzogen.<br />

Ob dies meiner Prinzessin wohl gefallen würde?<br />

So lange meine Zukunft nicht die Toilette<br />

runtergespült wird, ist auch ein Gedenktag an<br />

diese Dinger verkraftbar.<br />

Notiz: Es dauert noch sieben Monate, bis ich<br />

meine Arbeit abgeben muss.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 9


Kulturessays<br />

ESSEN UND TRINKEN<br />

Samichlaus in der Badewanne<br />

Von Barbara Roelli Bild: Barbara Roelli<br />

Sie heisst Nuss, ist aber eigentlich eine<br />

Hülsenfrucht. Ihr Samen hat zwei Samenlappen,<br />

der vom Keim zusammengehalten wird.<br />

Und aus diesem Keim wird - trennt man die<br />

zwei Samenlappen mit dem Fingernagel ganz<br />

vorsichtig voneinander - ein Samichlaus in der<br />

Badewanne. Ein Zaubertrick, mit dem man Kinderaugen<br />

zum Leuchten bringt. Aber nicht in<br />

jedem Samen ist sein Kopf so ausgeprägt, sind<br />

Barthaare und Kapuze so detailreich gelungen.<br />

Etwas Glück braucht es, um schöne Exemplare<br />

zu finden. Erfreulicherweise liegt es in der<br />

Natur dieser Nuss, dass sich pro Schale ein<br />

bis vier Samen befinden. Was die Chance, auf<br />

schöne Badewannen-Chläuse zu stossen, ungemein<br />

steigert. Praktischerweise gibt es die<br />

Nuss auch immer in grossen Mengen zu kaufen.<br />

Oder der Samichlaus bringt sie und verteilt<br />

so seinen Samen unter den Menschen - auf<br />

dass die Kinder ihre schlechten Gewohnheiten<br />

verlieren und sich seine weisen Worte mit den<br />

Nüsslisamen einverleiben. Doch der Chlaus-<br />

Samen ist heimtückisch. Hat man nämlich erst<br />

einmal begonnen mit dem Ritual, ihn aus der<br />

Schale zu lösen, von dem feinen, rotbraunen<br />

Häutchen zu befreien und ihn zum Mund zu<br />

führen, ist man seinem Geschmack auch schon<br />

verfallen.<br />

Beim Zerkleinern im Mund knackt der<br />

Samen noch – aber kaum werden seine Geschmacksstoffe<br />

durch die mahlende Bewegung<br />

der Zähne freigelegt, kommt sein herzhaft cremiger<br />

Geschmack zum Tragen. Und auf diesen<br />

mag sich irgendwie kein Sättigungsgefühl einstellen.<br />

Als ob es ewig so weitergehen könnte<br />

mit Schälen, Samen vom Häutchen trennen<br />

und ab in den Mund... Bis wir uns eine Reserve<br />

Winterspeck angefressen haben, diesen unter<br />

dicken Wollpullovern warm halten und so der<br />

Kälte trotzen.<br />

Die spanischen Nüssli treffen in der kalten<br />

Jahreszeit bei uns ein und setzen sich gekonnt<br />

in Szene. Mit ihren Chlaus-Samen sind sie die<br />

Begleiter des Dezembers schlechthin. Während<br />

sich die Menschen am Glühwein wärmen und<br />

bei langen Gesprächen in der warmen Stube<br />

sitzen, schälen sie spanische Nüssli in rohen<br />

Mengen. Ihr Fett gibt Energie. Vielleicht werden<br />

die Nüssli vermehrt in den Beizen angeboten<br />

(natürlich auf Kosten des Hauses), um<br />

den Rauchern, die ihrem Laster dort nicht<br />

mehr frönen dürfen, wenigstens als eine Art<br />

Beschäftigungstherapie zu dienen.<br />

Fraglich ist, ob man sich überhaupt so eingehend<br />

mit einer Nuss beschäftigen sollte, deren<br />

Fettanteil bei rund 50 Prozent liegt und<br />

die einem zum gedankenlosen «Reinschaufeln»<br />

verleitet. Aber einfach «reinschaufeln» kann<br />

man die spanischen Nüssli eigentlich nicht,<br />

zeigen sie ihre Haut doch erst – anders als ihre<br />

Mitstreiter auf dem Erdnussmarkt - wenn die<br />

Schale aufgebrochen ist. Die Mitstreiter sind<br />

einfacher zu handhaben. Sie sind bereits nackt<br />

und verarbeitet: Geschält, kräftig gesalzen,<br />

ummantelt von Wasabi, Chili oder Schokolade.<br />

Mit immer neuen Geschmackskombinationen<br />

schreien sie nach Aufmerksamkeit, stehen<br />

dann aber als Fernsehnüsschen neben Fussballmatch<br />

und Krimi doch an zweiter Stelle.<br />

Die spanischen Nüssli in der Schale müssen<br />

sich nicht verstellen. Sie kokettieren im natürlichen<br />

Look. Doch gleicht dieser Look einem<br />

Aschenputtel-Gewand: Unscheinbares Beige<br />

mit Linienstruktur, die sich wie Adern vom<br />

oberen Ende der Schale, wo manchmal noch<br />

ein Stiel vorhanden ist, ans untere Ende ziehen.<br />

Und zwischen diesen Längslinien bilden<br />

kurze Querlinien ein netzartiges Geflecht. Wie<br />

bei einem Jutesack. Aber von weitem betrachtet<br />

verschwindet das Geflecht und man sieht<br />

vor allem die Dellen in der Schale – wie Dellen<br />

in der narbigen Haut eines Menschen, der in<br />

jungen Jahren mit Akne kämpfte.<br />

Die Form der Nüssli gleicht denen von Engerlingen,<br />

Maden – irgendetwas proteinreich<br />

Weichem, dessen Verzehr in unseren Breitengraden<br />

keine Tradition hat. Trotzdem lassen<br />

wir uns nicht beirren vom Äusseren dieser vermeintlichen<br />

Nuss. Was einmal mehr beweist:<br />

Nur das Innere zählt.<br />

10


ÉPIS FINES<br />

Von Michael Lack<br />

TIRAMISU<br />

CLASSICO<br />

Tiramisu, ein alter Klassiker aus Norditalien,<br />

ist auch hier zu Lande eine sehr bekannte<br />

Süssspeise. In der Herstellung nicht aufwändig,<br />

wirkt sie doch so verführerisch gut.<br />

Zutaten<br />

250g Mascarpone<br />

50g Puderzucker<br />

40g Eigelb<br />

Ω Vanilleschote<br />

80g leicht geschlagene Sahne<br />

1 dl Kaffee<br />

Ωdl Rum oder Cognac<br />

80g Löffelbisquits<br />

Vorbereitung<br />

Eigelb und Puderzucker schaumig schlagen.<br />

Vanilleschote auskratzen. Löffelbisquits in<br />

eine Form geben. Kaffee und Rum oder Cognac<br />

mischen. Rahm leicht schlagen und kalt<br />

stellen.<br />

Zubereitung<br />

Löffelbisquits mit dem Kaffee-Alkohol-Mix<br />

überträuffeln. Schaumig geschlagenes Ei und<br />

Zuckermasse mit der Mascarpone und der ausgekratzten<br />

Vanilleschote verrühren und den<br />

geschlagenen Rahm vorsichtig darunter ziehen.<br />

Nun die Mascarponemasse auf die mit Kaffee<br />

und Alkohol eingezogenen Löffelbisquits streichen<br />

und kalt stellen. Etwa 2- 3 Stunden kühlen<br />

lassen. Zum Abschluss etwas Kakaopuder darüber<br />

streuen und servieren.<br />

Kulturessays<br />

KLEIDER MACHEN LEUTE<br />

Herbstwetterklassiker<br />

Von Simone Weber<br />

Audrey Hepburn trug ihn im legendären<br />

Film «Frühstück bei Tiffany» und<br />

Humphray Bogart, als er Ingrid Bergmann am<br />

Flughafen von Casablanca für immer verabschiedete.<br />

Beworben von der amerikanischen<br />

Filmindustrie schaffte er es, unsere Modeherzen<br />

im Sturm zu erobern. Und die Verliebtheit<br />

dauert an. Gerade bietet das nasskühle Herbstwetter<br />

die ideale Voraussetzung zum Tragen<br />

dieses absolut zeitlosen Klassikers. Die Rede<br />

ist vom Trenchcoat. Erfunden wurde dieses<br />

wunderbare Stück Ende des 19. Jahrhunderts<br />

von dem Engländer Thomas Burberry. Und<br />

noch heute ist der Allwettermantel Aushängeschild<br />

des gleichnamigen britischen Modehauses.<br />

Verwunderlich ist es ja nicht, dass der<br />

Ursprung dieses Kleidungsstücks das verregnete<br />

Grossbritannien ist. Seine Aufgabe war<br />

es, den Körper vor Regen und Feuchtigkeit zu<br />

schützen. Deshalb schneiderte Mister Burberry<br />

sein Werk aus Gabardine - ein imprägnierter,<br />

äusserst strapazierfähiger und wetterfester<br />

Baumwollstoff, der zudem atmungsaktiv und<br />

angenehm zu tragen ist.<br />

Der neue Mantel erfreute sich innert kürzester<br />

Zeit grosser Beliebtheit und wurde zur<br />

Standardausrüstung der britischen Armee. Die<br />

englischen Soldaten schütze er im Ersten Weltkrieg<br />

vor Wind und Regen, woher der Trenchcoat<br />

übrigens seinen Namen hat: «Trench» ist<br />

das englische Wort für Schützengraben. Die<br />

typischen Elemente des Mantels, namentlich<br />

die Bindegürtel, Schulterriegel, Ärmelspangen<br />

und eine zweite Lage Stoff über Schulter- und<br />

Brustpartie erinnern bis heute an Kriegszeiten.<br />

Denn diese Details hatten damals natürlich<br />

tatsächlich praktischen Nutzen: An den Schulterriegeln,<br />

den Brustklappen und Gürtelringen<br />

konnten beispielsweise Rangabzüge, Gasmasken,<br />

Ferngläser oder Handgranaten befestigt<br />

werden.<br />

Den Soldaten gefielen ihre Militärmäntel so<br />

gut, dass sie sie nach dem Krieg mit nach Hause<br />

nahmen und ihn zur Alltagskleidung machten<br />

– für sich und für ihre Frauen. So wurde der<br />

Trenchcoat populär und auch die Filmindustrie<br />

entdeckte das tolle Kleidungsstück, machte es<br />

zum Erkennungszeichen von Agenten und Privatdetektiven.<br />

So weckte der englische Mantel<br />

immer grösseres Interesse auf der ganzen Welt.<br />

Er sah nicht nur total lässig aus, sein gerader<br />

Schnitt mit der doppelreihigen Knopfleiste<br />

streckte optisch die Silhouette. Im Trenchcoat<br />

sah einfach jeder elegant aus.<br />

Und genau deshalb erfreut er sich bis heute<br />

grosser Beliebtheit. Seine besonderen Merkmale<br />

hat der Militärmantel behalten. Noch immer<br />

hat er Schulterschnallen, ein breites Revers, die<br />

typische doppelreihige Knopfreihe und einen<br />

Taillengürtel – dieser muss übrigens geknotet<br />

und nicht wie ein normaler Gürtel geschlossen<br />

werden. Trotzdem ist heute einiges ganz<br />

anders. Knöchellang wie das Ursprungsmodell<br />

sieht man ihn nur noch selten. Vor allem Frauen<br />

lieben den Trench figurbetont, zeigen gerne<br />

Bein und tragen den kultigen Mantel knielang<br />

oder sogar noch kürzer, bis knapp über den<br />

Hintern – also eher als Jacke. Wird der Trenchcoat<br />

zugeknöpft und mit eng anliegendem Gürtel<br />

getragen, wirkt er sehr feminin. Aber auch<br />

offen oder etwas lockerer getragen sieht der<br />

Mantel grossartig aus – egal, wie der Körper,<br />

den er umhüllt, geformt ist. Im Gegensatz zu<br />

den Frauen mögen die Männer den Trenchcoat<br />

eher altbewährt, etwas länger, gerader und weniger<br />

eng anliegend. Schliesslich wurde er ursprünglich<br />

auch für sie entworfen. Und Hollywood<br />

sei Dank sehen sie darin heute noch genauso<br />

so gut aus wie Bogart damals.<br />

In Stoff und Farbe ist der englische Armeemantel<br />

enorm vielseitig geworden. Die Trenchcoatfarbe<br />

schlechthin - beige - ist heute nicht<br />

mehr typisch. Es gibt ihn in schwarz, weiss,<br />

rot, blau, braun, gelb, grau und allen weiteren<br />

erdenklichen Farben. Und auch die Stoffe, aus<br />

denen er geschneidert wird, sind längst nicht<br />

mehr auf wasserfeste Gabardine und Popeline<br />

beschränkt. Wollstoffe sorgen für nötige Wärme,<br />

Polyester für Glanzeffekte, Leder für Coolness<br />

und Baumwolle für Leichtigkeit. Natürlich<br />

ist der Trenchcoat von heute nicht mehr in jeder<br />

Ausführung allwettertauglich.<br />

Die enorme Vielseitigkeit des Klassikers<br />

macht es möglich, dass er der perfekte Begleiter<br />

für unzählige Looks ist. Der farbige Baumwolltrench<br />

passt zu Jeans und T-Shirt, ein glänzig<br />

schwarzer zu eleganten Röcken an edlen<br />

Abenden. Er kann mit Anzügen, Hüten, Sonnenbrillen,<br />

Turnschuhen, Ballerinas, High-Heels<br />

und Gummistiefel getragen werden. Kurz: Sein<br />

klassischer Schnitt passt zu fast allem. Sogar<br />

Queen Elisabeth soll ein Modell tragen, wenn<br />

sie zur Jagd geht.<br />

Seit über hundert Jahren ist der Trenchcoat<br />

nun auf dem Markt. Die Sportlichen, die<br />

Schicken, die Modischen und die Lässigen<br />

tragen einen und sogar die Queen rennt in<br />

diesem Ding durch Wald und Wiese! Wie viele<br />

hundert Jahre dauert es wohl noch, bis der<br />

Menschheit das Trenchcoattragen verleidet ist?<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 11


Kulturessays<br />

KUNST FÜR MENSCHEN<br />

Kunst zwischen Apfelkuchen<br />

und Anrufbeantworter<br />

Von Rebecka Domig und Sonja Gasser – Ein Gespräch mit Chantal Michel<br />

auf dem Schloss Kiesen Bild: zVg.<br />

Zahlreiche Ausflügler und Kunstbegeisterte<br />

durchwanderten vier Monate<br />

lang die Gemeinde Kiesen. Ziel war<br />

das Schloss, auf einem bewaldeten<br />

Hügel gelegen. In zwanzig Räumen<br />

zeigte Chantal Michel eigene Werke.<br />

Ihre Foto- und Videoarbeiten hatte<br />

sie in stimmige Rauminstallationen<br />

eingebunden, die zum Eintauchen in<br />

eine andere Welt einluden. Wer vom<br />

Umherirren im Schloss müde geworden<br />

war, setzte sich im Garten an einen<br />

der bereitgestellten Tische. An der<br />

Sonne servierte die Künstlerin Kaffee<br />

und selbstgebackenen Kuchen.<br />

<strong>Ensuite</strong> - kulturmagazin: Beim Eintreten in<br />

das Schloss Kiesen liest man einleitend:<br />

«Die Künstlerin zeigt keine Ausstellung, sondern<br />

öffnet ein Phantasiereich für alle.» Was<br />

kann man sich darunter vorstellen; wie ist das<br />

gemeint mit dem Phantasiereich?<br />

Chantal Michel: Eine Ausstellung ist es,<br />

wenn man die Bilder in ein Museum hängt. Das<br />

hier ist viel mehr; es ist eine ganze Installation,<br />

in der alles dazugehört – auch der Gemüsegarten.<br />

Das gesamte Haus ist inszeniert. Ich<br />

habe nicht Fotos in ein schon besetztes Haus<br />

gehängt, es war vielmehr ein Miteinander. Ich<br />

habe die Dinge einander anverwandelt. Ich<br />

möchte einfach, dass man in eine Welt eintaucht,<br />

die einen ein wenig entführt; an die<br />

man glaubt; in der alles möglich ist. Eine Welt,<br />

in der die Dinge zu leben beginnen. Eine sinnliche<br />

Welt, in der sich Geruch, Ton, Visuelles<br />

bis hin zum Kulinarischen vermischen.<br />

Beduftest du die Räume auch?<br />

Ja. Also, nicht alle. Manche duften schon von<br />

sich aus, da muss man gar nicht nachhelfen.<br />

Einige riechen modrig – und wenn ich unten<br />

Apfelkuchen backe, duftet das bis oben hin,<br />

durchs ganze Haus.<br />

Das Schloss Kiesen befindet sich ja in einer<br />

kleinen Gemeinde im Grünen. Es wird Kunst<br />

ausgestellt und ein Publikum angesprochen,<br />

das vielleicht sonst nicht unbedingt in ein Museum<br />

gehen würde. Warum bist du interessiert,<br />

im Schloss etwas zu machen und nicht in einem<br />

Museum?<br />

Du hast es ja schon gesagt. Eben, um möglichst<br />

ein neues Publikum anzusprechen und<br />

den Leuten diese Hemmschwelle zu nehmen.<br />

Die Leute haben Angst vor der Kunst. Man<br />

muss versuchen diese Hemmungen aufzulösen<br />

und ich glaube, das ist mir hier wirklich gelungen.<br />

Es kommen Menschen hierher, die noch<br />

nie in einem Museum waren. Manche habe ich<br />

im Dorf gesehen und eingeladen und sie haben<br />

abgelehnt: «Nein, das ist doch nichts für<br />

mich. Ich verstehe doch nichts von Kunst!» Ich<br />

antworte auf so etwas dann: «Du brauchst es<br />

ja auch nicht zu verstehen. Komm nur und ich<br />

bin sicher, es wird dir gefallen!» Die Leute sind<br />

dann ganz skeptisch, sagen aber zu. Nach ihrem<br />

Besuch sind mir manche fast um den Hals<br />

gefallen. Die waren so begeistert und haben<br />

gemeint, dass sie so etwas noch nie gesehen<br />

hätten. Das berührt, wenn man das erreicht.<br />

Hat sich in Kiesen etwas verändert seit die<br />

Ausstellung existiert?<br />

Nicht nur in Kiesen. Ich habe das Ganze<br />

ja auch schon mal in Bern gemacht, im Hotel<br />

Schweizerhof. Da kamen 5 000 Leute in<br />

drei Tagen. Das ist Wahnsinn; das kriegt kein<br />

Museum hin! Das war für mich auch der ausschlaggebende<br />

Punkt, an dem ich mir gedacht<br />

habe: «Okay, wenn die Leute nicht ins Museum<br />

wollen, dann muss ich das irgendwie anders<br />

machen.» Ich mache ja auch diese Essen, und<br />

12 ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09


wenn dann ein Bauer neben der Museumsdirektorin<br />

von Thun sitzt und die miteinander<br />

ein normales Gespräch führen können, dann<br />

finde ich das einfach toll. Und dass dabei alles<br />

ein bisschen normaler wird und nicht so<br />

abgehoben. Das hier ist ein sehr offener und<br />

«normaler» Ort. Man kann hier Kaffee trinken,<br />

man kann Pasta essen. Man kann hier sein und<br />

bleiben. Die Leute fühlen sich wohl.<br />

Du betonst die Gesamtwirkung des Schlosses.<br />

Doch auch hier hat man das Gefühl, sich<br />

in einem klassischen Ausstellungskontext zu<br />

befinden. Immerhin hängen Bilder an den Wänden.<br />

Wie siehst du das?<br />

Es sind nicht nur die Bilder, die wichtig sind.<br />

Es ist das ganze Schloss als Gesamtinstallation,<br />

in der jedes Detail seine Berechtigung hat und<br />

eine wichtige Rolle spielt. Ich möchte mich<br />

nicht festlegen auf ein bestimmtes Medium.<br />

Ich glaube, ich arbeite doch sehr vielschichtig.<br />

Ich mache Fotos, Videos, Performances und Installationen.<br />

Vielleicht müsste ich auch einfach<br />

mal gar kein Bild zeigen. Nächstes Jahr mache<br />

ich etwas im Keller, vielleicht nur mit Ton und<br />

Licht.<br />

Du konzipierst jetzt im Winter deine nächste<br />

Ausstellung?<br />

Ich arbeite diesen Winter daran, so dass sie<br />

im nächsten Sommer gezeigt werden kann. Die<br />

Stadtbehörden verstehen das nicht und wollen<br />

mich deshalb nicht unterstützen. Sie fragen:<br />

«Wieso wieder am selben Ort?» Das hier ist<br />

ein solch positiver Ort. Solange die Leute hierher<br />

kommen und begeistert sind, muss ich das<br />

doch ausnutzen. Solange ich hier leben kann<br />

sowieso. Zum ersten Mal fühle ich mich komplett.<br />

Hier kommt wirklich alles zusammen.<br />

Kunst und Leben ist nicht mehr trennbar.<br />

Wenn mich jemand anruft, dann hören diejenigen,<br />

die gerade Video schauen, mit. Aber das<br />

ist doch irgendwie schön. Die Besucher finden<br />

mich dann und erzählen mir, was da abgegangen<br />

ist auf meinem Anrufbeantworter: «Deine<br />

Mutter hat dich angerufen. Ich gratuliere dir<br />

auch zum Geburtstag!» (lacht)<br />

Wie wird diese Ausstellung denn aussehen?<br />

Könntest du dir vorstellen, andere bildende<br />

Künstler einzuladen? Beim jetzigen Rahmenprogramm<br />

wirken ja auch andere Leute mit.<br />

Bildende Künstler weniger, das ist mir zu<br />

nah. Das wäre dann fast wie eine Konkurrenz<br />

– oder ich würde ganz einfach zur Kuratorin.<br />

Aber wenn es ein anderes Medium ist, dann<br />

ist das befruchtend und gut. Mit der Tänzerin<br />

Anna Huber zum Beispiel möchte ich gerne etwas<br />

machen. Ich finde sie eine tolle Frau und<br />

es geht uns in unserer Arbeit eigentlich um genau<br />

dasselbe, um Körper und Raum. Das passt<br />

einfach super zusammen. Eine ähnliche Zusammenarbeit<br />

kann ich mir mit einer Sängerin<br />

vorstellen. Ich möchte Medien vermischen und<br />

vor allem dieses Denken in festen Kategorien<br />

aufheben.<br />

Du hast in Thun in einer Ateliergemeinschaft<br />

gearbeitet. Wie ist das denn, wenn man<br />

auf so engem Raum mit anderen Künstlern zusammenarbeitet?<br />

Ich konnte das eben nie. Ich habe dort selten<br />

gearbeitet und wenn, dann nachts. Ich fühlte<br />

mich dann immer beobachtet. Ich schliesse<br />

mich lieber in Häuser ein und komme erst wieder<br />

heraus, wenn eine Arbeit fertig ist. Auf<br />

dem Bürgenstock habe ich ein halbes Jahr gelebt<br />

und gearbeitet. Im Schweizerhof in Bern<br />

auch. Das war toll, total intensiv. Ich war ganz<br />

alleine mit diesem Haus und konnte mich wirklich<br />

austoben. Und doch war dieses konstante<br />

Alleinsein ein bisschen krank, fand ich; die totale<br />

Vereinsamung. Dagegen bin ich hier so offen<br />

wie noch nie. Ich komme besser mit Leuten<br />

klar. Alles ist anders und das tut mir gut.<br />

Du hast hier im Schloss also keinen Raum,<br />

von dem du sagen könntest, dass er dir gehört?<br />

Hältst du dich überall auf?<br />

Ja, genau. Die Leute fragen mich immer:<br />

«Wo wohnst du eigentlich?» Ich wohne überall<br />

und nirgends. Zum Wohnen habe ich nicht<br />

viel Zeit. Alles ist öffentlich. Mein Büro ist in<br />

die hinterste Ecke gedrängt, hinter die grosse<br />

Leinwand mit dem Video. Mein Privatleben ist<br />

beschränkt auf das Minimum. Am persönlichsten<br />

ist noch die Küche, da lasse ich nur meine<br />

engsten Freunde hinein.<br />

Gibt es für dich denn auch keine Trennung<br />

zwischen Privatsphäre und Kunst?<br />

Nein. Ich finde das auch schön; alles ist offen<br />

und läuft ineinander über. Ich weiss auch<br />

nicht genau, wo meine Kunst anfängt und wo<br />

sie aufhört, wo meine Inszenierungen anfangen.<br />

Bin ich jetzt inszeniert? (Chantal Michel<br />

zeigt auf ihre Kleidung.) Ich weiss es nicht.<br />

Schon bei der Kleidung war es immer so. Ich<br />

wusste nie, ob das jetzt übertrieben ist. Sind<br />

wir Menschen nicht alle total inszeniert?<br />

Am Wochenende kochst du für die Gäste und<br />

trittst dabei als Dienstmädchen oder Köchin in<br />

Erscheinung. In Berichten wirst du aber auch<br />

oft als Schlossherrin bezeichnet. Was bist du<br />

denn, Serviertochter oder Schlossbesitzerin?<br />

Ich bin von allem ein bisschen. Ich bin das,<br />

was es gerade braucht. Wieso muss man alles<br />

so trennen? Wieso muss man alles so definieren?<br />

Ich bin das, was ich bin und zum ersten<br />

Mal fühle ich mich komplett, weil ich alles leben<br />

kann, was in mir steckt. Man ist doch nicht<br />

nur das eine oder andere.<br />

Dies bringt uns auch auf die Inhalte deiner<br />

Arbeiten. Sobald man sich als Frau vor der Kamera<br />

inszeniert, wird man in einem feministischen<br />

Diskurs verhandelt. Wie wohl fühlst du<br />

dich damit?<br />

Ich verstehe nie, wieso man diese Inhalte<br />

direkt auf meine Person überträgt. Ich thematisiere<br />

einfach Dinge, die mich beschäftigen,<br />

die um mich herum passieren. Ich bin ein Spiegel<br />

der Gesellschaft. Aber ich bin keine Feministin,<br />

überhaupt nicht. Ich bin einfach eine<br />

Frau, die ihren Körper als Material verwendet,<br />

ähnlich wie eine Tänzerin vielleicht. Wenn ich<br />

ein Mann wäre, würde es ein wenig anders<br />

aussehen, aber ich denke, es würde im Prinzip<br />

um dasselbe gehen. Um Männerklischees<br />

vielleicht.<br />

Ich finde es in diesem Zusammenhang interessant,<br />

dass du bei der Bilderserie Victor nicht<br />

deinen eigenen Körper verwendet hast, sondern<br />

einen männlichen Körper.<br />

Das war ein Zufall. Ich kann nicht zu jemandem<br />

sagen: «Hey, stell dich da hin und mach<br />

das!» Ich muss den Raum selber erleben, ihn<br />

mit meinem Körper erforschen und aufspüren.<br />

Ich kann das auch nicht erklären. Es ist wie ein<br />

Verliebtsein, irgendwie passiert da etwas zwischen<br />

mir und dem Raum und dann kommen<br />

auch die Ideen. Doch ich habe nicht wirklich<br />

eine Idee oder ein Konzept, ich gehe ganz intuitiv<br />

auf den Raum ein. Und dann brauche ich<br />

immer einen Assistenten. Jemanden, den ich<br />

vor die Kamera stelle, damit ich das Licht einstellen<br />

und die Position der Figur bestimmen<br />

kann. Der Mann auf den Fotos ist ein Freund<br />

von mir, den ich damals bei den Vorbereitungen<br />

im Hotel Schweizerhof in Bern kennengelernt<br />

habe und der wissen wollte, wie ich arbeite.<br />

Er konnte sich nicht vorstellen, was ich ein<br />

halbes Jahr lang in diesem Hotel getan habe. So<br />

habe ich ihn zu meinem Assistenten gemacht<br />

und ihn mitgenommen zu einem neuen Fotoshooting.<br />

Als er vor der Kamera stand, war das<br />

einfach super; dieser eckige Mann mit diesen<br />

Polstermöbeln. Mit mir funktionierte das halb<br />

so gut. Darum hat sich das dann mit Victor ergeben.<br />

Heute ist er einer meiner besten Freunde.<br />

Wenn durch das harte Arbeiten auch noch<br />

menschliche Dinge passieren, finde ich das<br />

wunderschön. Ich kann dann sagen: «Hey, es<br />

hat sich gelohnt!»<br />

Was machst du denn, wenn eine künstlerische<br />

Blockade eintritt?<br />

Ich hatte das früher oft. Heute habe ich dieses<br />

Vertrauen, dass es immer irgendwie weitergeht.<br />

Die Welt ist voller Überraschungen, die<br />

ich mir nie hätte träumen lassen. Man muss die<br />

Dinge in Angriff nehmen und sie einfach tun.<br />

Nicht träumen – machen!<br />

Mittlerweile sind die Tore von Schloss Kiesen<br />

geschlossen. Aber nicht ganz: Wer im neuen<br />

Jahr an einem Dinner von Chantal Michel<br />

teilnimmt, den lässt die Künstlerin noch einmal<br />

in die unveränderten Räume eintreten. Zum<br />

Essen lädt sie am 30. Januar sowie am 6., 13.,<br />

20. und 27. Februar ein. Der Abend kostet 48<br />

Franken. Anmeldungen obligatorisch unter der<br />

Nummer 031 311 21 90 (Tel./Fax.). Hinterlassen<br />

Sie Name und Telefonnummer!<br />

Infos: www.chantalmichel.ch<br />

13


Kulturessays<br />

KUNST IN DER DEFINITION<br />

KunstLiebeGeld<br />

Von Jarom Radzik - Die Suche nach guter Kunst im Geld<br />

Jeder weiss, mit Kunst lässt sich gut<br />

Geld verdienen. Angebot und Nachfrage<br />

verteilen Kunst besser als jeder<br />

Weihnachtsmann. Nicht zuletzt, weil<br />

Kunst neben Autos, Häusern und leichten<br />

Mädchen als wirtschaftliches Statussymbol<br />

fungiert, wird es in seiner<br />

Qualität in erster Linie nach seinem<br />

Preis bemessen. Aber kann anhand des<br />

Preises tatsächlich abgelesen werden,<br />

ob Kunst gut ist? Entgegen den gegen<br />

ihn herrschenden Vorurteilen zeigt der<br />

Schweizer Kunstmäzen, Willy Michel,<br />

mit einem Kunstkauf, dass sich Kunst<br />

mehr als an wirtschaftlichen Kriterien<br />

messen lässt.<br />

Seit dem Spätsommer 2009 steht im Schlosspark<br />

des Kunstmäzens Willy Michel ein<br />

Kunstwerk von Christian Bolt. Die dreiteilige<br />

Bronzeskulptur trägt den Werktitel «Trapasso».<br />

Mit ihren zweieinhalb Metern Höhe ist die Skulptur<br />

am Eingang des Parks auch kaum zu übersehen.<br />

Grosse Skulpturen sind aufwändig: «Trapasso»<br />

zu konzipieren und umzusetzen dauerte<br />

fast ein Jahr. Was ist so besonders daran, dass ein<br />

Mann wie Willy Michel ein grosses Kunstwerk<br />

von Christian Bolt kauft? Der Künstler wurde bisher<br />

noch von keiner namhaften Galerie vertreten<br />

und auch noch auf keiner einschlägigen Kunstmesse<br />

ausgestellt. Das ist besonders, denn der<br />

Kunstmäzen hat «Trapasso» nicht einfach wegen<br />

des Künstlers gekauft, sondern wegen seiner<br />

Formsprache, seiner Ausdruckskraft und seiner<br />

Inhalte. Ein Antibeispiel für die Kunstwelt sozusagen.<br />

Was «Trapasso» für Willy Michel übrigens<br />

so besonders macht, ist sein Inhalt. In diesem<br />

Werk ist nichts Geringeres als die Lebensgeschichte<br />

des Sammlers verarbeitet.<br />

Kriterien guter Kunst «Trapasso», ein Werk à<br />

la Werkvertrag, ein übliches Rechtsgeschäft, aber<br />

unüblich für die Kunstbranche. Auftragskunst ist<br />

heute eher selten, das sagt auch das allwissende<br />

Wikipedia und verbannt diese Art des Verkaufs<br />

deshalb gerne ins Mittelalter. Richtig, über die<br />

Qualität sagt dies freilich noch nicht viel aus. Immerhin<br />

gab es bei «Trapasso» weder in Bezug auf<br />

das Material, die Ausführung oder den Inhalt etwas<br />

zu beanstanden. Das ist im Zeitalter der Discounter<br />

gar nicht so selbstverständlich. Im Gegenteil,<br />

die Erwartungen des Sammlers wurden<br />

sogar noch übertroffen. Logisch, ist ja auch echte<br />

Schweizer Handarbeit. Wenn es nach ihm und<br />

dem Künstler Christian Bolt geht, ist mit «Trapasso»<br />

ein exzellentes Kunstwerk entstanden.<br />

Nach Massstäben der Branche stehen die beiden<br />

mit ihrer Meinung aber ziemlich alleine da. Die<br />

Qualität misst Kunst nämlich anhand ganz anderer<br />

Kriterien. Kriterien beispielsweise von einer<br />

Zürcher Galeristin, vorgetragen während einer<br />

Veranstaltung an der Kunstmesse Kunst <strong>Zürich</strong><br />

2009. Auch viele andere hätten ihr in etwa zugestimmt.<br />

Die Kriterien guter Kunst sind Preis und<br />

Preisentwicklung, Neuheit im Lichte der Kunstgeschichte,<br />

Authentizität von Kunstwerk und<br />

Künstler und Bauchgefühl. Klingt logisch. Aber<br />

machen wir doch die Probe aufs Exempel und<br />

schauen wir, ob diese gut klingenden Kriterien<br />

tatsächlich etwas taugen.<br />

Preis Für gute Kunst gibt es eine Nachfrage.<br />

Deshalb liegen die Preise für gute Kunst höher.<br />

Zudem besitzt gute Kunst eine Preisstabilität mit<br />

einer kontinuierlichen Tendenz zur Preissteigerung.<br />

«Trapasso» ist neu. Eine Preisentwicklung<br />

gibt es nicht, das Werk wurde direkt vom Sammler<br />

erworben. Den Preis haben Willy Michel und<br />

Christian Bolt vor allem auf Herstellungskosten<br />

abgestellt. Der Marktwert des Künstlers ist<br />

schwierig zu bestimmen, weil die Werke Christian<br />

Bolts bisher nicht in grösserem Umfang gehandelt,<br />

sondern einmal verkauft wurden. Verkauft<br />

hat der Künstler bisher immer gut – was<br />

also ist sein Marktwert und welcher Preis ist für<br />

«Trapasso» angemessen?<br />

Neuheit Manche, die Christian Bolt kennen,<br />

nennen ihn den Michelangelo des 21. Jahrhunderts.<br />

Seine Formsprache bedient sich genauso<br />

der Figuration wie der Abstraktion. Er besitzt<br />

ausgezeichnete Kenntnisse der Anatomie und<br />

beherrscht alte wie neue Bildhauertechniken.<br />

Chritstian Bolt arbeitet mit der Masse des Körpers.<br />

Das zentrale Motiv, der menschliche Körper,<br />

macht es für den Betrachter einfach, Parallelen<br />

zur Geschichte zu ziehen. Da mag die Formsprache<br />

neu und eigenständig sein, der menschliche<br />

Körper ist der gleiche geblieben. Auch die Arbeitsweise<br />

des Künstlers: Überhosen und Spitzeisen<br />

erinnern eher an vergangene Zeiten als an<br />

die Moderne. Selbst das Medium, Skulpturen und<br />

Bilder sind traditionell. Schliesslich ist der Künstler<br />

der Meinung, dass Kunst die Geschichte fortführen<br />

sollte. In Anbetracht all dieser Umstände<br />

wird die Kunst von Christian Bolt rasch als alt<br />

abgetan.<br />

Authentizität Ein Werk ist Ausdruck seines<br />

Erschaffers. Wenn Kunst tatsächlich ein Teil des<br />

Lebens des Künstlers ist, entspricht es dem, was<br />

der Künstler sagt, denkt und lebt. Christian Bolt<br />

ist freischaffender Künstler, ganz der Kunst verpflichtet.<br />

Wer ihn persönlich kennt, weiss, dass<br />

das, was er tut, mit dem übereinstimmt, was er<br />

sagt. Rein äusserlich entspricht Christian Bolt allerdings<br />

nicht dem Stereotyp eines Künstlers. Die<br />

Haare sind kurz geschnitten, das Gesicht frisch<br />

rasiert, die Kleider ordentlich. Er trinkt nicht,<br />

raucht nicht und ist obendrein auch noch stubenrein.<br />

Kann das, diese langweilig gewöhnliche<br />

Figur, ein authentischer Künstler sein?<br />

Bauchgefühl Nun, mir gefällt «Trapasso». Das<br />

ist mein Bauchgefühl. Ich finde «Trapasso» auch<br />

nach zehnmaligem Betrachten noch spannend.<br />

Zufrieden? Nein? Aber so ist mein Bauchgefühl<br />

nun mal. Jemand, der sich zum Beispiel der Neuheit<br />

verpflichtet hat und menschliche Körper<br />

14 ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09


nicht ausstehen kann, würde mir in diesem Punkt<br />

aber nicht beipflichten.<br />

Bilanz Soweit anhand der vier Kriterien allgemeingültige<br />

Aussagen gemacht werden können,<br />

entspricht «Trapasso» nicht dem, was man unter<br />

guter Kunst verstehen würde. Für das Kunstwerk<br />

selbst gibt es noch keine Preisentwicklung. Und<br />

weil die Kunstwerke des Künstlers noch nicht<br />

auf dem Kunstmarkt gehandelt werden, hat der<br />

Künstler noch keinen Marktwert. In diesem Sinne<br />

spricht der Preis gegen die Güte von «Trapasso».<br />

Neu ist das Werk im Lichte der Kunstgeschichte<br />

nur für den, der Kunstwerke als Weiterführung<br />

der Kunstgeschichte versteht. Die anderen beiden<br />

Kriterien, Authentizität und Bauchgefühl,<br />

sind subjektiv. Sie färben die Meinung über das<br />

Kunstwerk je nach Eindruck und Geschmack.<br />

Schlussfolgerungen In diesem Sinne kann der<br />

Preis als sicheres Kriterium angesehen werden.<br />

Das Kriterium Preis heisst konkret, dass Kunst<br />

erst dann gut sein kann, wenn sie verkauft werden<br />

kann. Erst ein gewisser Erfahrungswert im<br />

Verkauf lässt zu, dass auch tatsächlich ein Urteil<br />

abgegeben werden kann. Neuheit kann zwar<br />

fachlich begründet werden, hängt aber immer<br />

von den persönlichen Ansichten des Interpreten<br />

ab. Neue Kunst ist gute Kunst. Und Kunst<br />

ist heute genial, wenn sie an nichts erinnert,<br />

was vorher gewesen ist. Wird dieses Kriterium<br />

gedanklich aber konsequent durchgespielt, darf<br />

Kunst eigentlich keine Farbe, keine Form und<br />

keinen Geruch mehr besitzen. Selbst die Idee an<br />

sich darf in keinster Weise mehr an irgendetwas<br />

in der uns umgebenden Wirklichkeit erinnern.<br />

Denn jedes Element, egal welcher Beschaffenheit,<br />

das in der gemeinsamen Wirklichkeit der<br />

Menschen vorkommt, provoziert Erinnerungen<br />

an bereits gemachte Erfahrungen und damit an<br />

Geschichte. Neu ist aber per Definition etwas,<br />

was bisher noch nicht existiert hat. Alles, was aus<br />

bereits Bestehendem herausgearbeitet wird, ist<br />

also per Definition alt. Neue Kunst darf deshalb<br />

nachweislich keinen Bezug zu etwas Bestehendem<br />

haben. Aber haben Sie schon einmal Kunst<br />

gesehen, die dieses Kriterium erfüllt? Wenn ja,<br />

dann ist sie leider bereits nicht mehr neu, denn<br />

sie können sich ja daran erinnern. Das Kriterium<br />

der Neuheit ist also untauglich.<br />

Besser als Neuheit wäre ein Begriff wie Weiterentwicklung,<br />

denn Innovation in der Technik,<br />

im Recht oder in der Literatur baut immer auf<br />

der Geschichte auf. Nur die Kunst darf, wenn sie<br />

gemäss den Kunstexperten gut sein soll, keine<br />

Geschichte haben. In der Kunstgeschichte hat<br />

dies dazu geführt, dass Künstler sich davor hüten,<br />

selbst explizite Bezüge zur Kunstgeschichte<br />

zu machen. Natürlich baut jede Kunst auf Vorangehendem<br />

auf, nur darf man nichts verraten,<br />

sonst ist sie ja nicht mehr eigenständig.<br />

Authentizität ist da zwar als Kriterium realistischer,<br />

allerdings stellt sich die Frage, wie lange<br />

man einen Menschen kennen muss, bis man<br />

wirklich sagen kann, er sei in seinem Sein und<br />

Schaffen authentisch. Auch für dieses Kriterium<br />

gibt es keine allgemeine Regelung, deshalb ist<br />

sie genauso eine Leerformel wie das Kriterium<br />

der Neuheit. Oder glauben sie ernsthaft, ein Experte<br />

ziehe jeweils in eine Wohngemeinschaft<br />

mit Künstlern, damit er sie nach Jahren des Zusammenlebens<br />

auch wirklich in ihrer Authentizität<br />

beurteilen kann?<br />

Bleibt noch das berühmte und beliebte Bauchgefühl.<br />

Das Tolle am Bauchgefühl ist, dass es garantiert<br />

immer rein subjektiv ist. Als allgemeinverbindliches<br />

Kriterium ist es also völlig unnütz.<br />

Bauchgefühl meint einen emotionellen Rapport.<br />

Ein Gefühl, das sich einstellt, weil ich, der Betrachter,<br />

mit dem Wahrgenommenen irgendeine<br />

Erinnerung verbinde. Das würde das Kriterium<br />

der Neuheit zwar ausschliessen, wurde bisher<br />

aber noch nicht in Frage gestellt. Das liegt wohl<br />

daran, dass das Bauchgefühl ein so wunderbar<br />

einfaches Kriterium ist. Spricht das Kunstwerk<br />

mein Inneres an. Ja oder nein? Fertig. Der Wahrnehmende<br />

muss nicht einmal hinterfragen, was<br />

denn das Wahrgenommene eigentlich anspricht,<br />

Hauptsache es spricht an. Zudem ist mit dem<br />

Bauchgefühl implizit immer auch das Gefallen<br />

verbunden. Natürlich nur implizit, weil gefallen<br />

muss Kunst ja nicht.<br />

Mit Geld und Gefühl zu guter Kunst Schlimm<br />

daran ist aber nicht, dass es gleichgültig ist, ob<br />

sich ein zustimmendes oder ablehnendes Bauchgefühl<br />

einstellt, schlimm ist, wozu dieses Bauchgefühl<br />

eingesetzt wird. So wird mit dem Bauchgefühl<br />

und alleine mit dem Bauchgefühl darüber<br />

entschieden, was überhaupt als Kunst wahrgenommen<br />

werden soll und was nicht. Galeristen<br />

und Kuratoren vertrauen bei der Auswahl von<br />

Kunst auf ihr Bauchgefühl, zumindest bei Newcomers<br />

und No Names. Bei Stars und Cash Cows<br />

vertrauen sie hingegen wie manch ein Banker<br />

oder Auktionator auf das Prinzip des kleinsten<br />

Risikos. Dort spricht das sichere Kriterium des<br />

Preises für sich. Ach ja, und wenn wir gerade bei<br />

Risiko und Bauchgefühl sind. Damit könnte auch<br />

die Tendenz erklärt werden, warum viele Entscheidungsträger<br />

Newcomer unter den Bildhauern<br />

meiden wie der Teufel das Weihwasser. Hohe<br />

Herstellungs- und Transportkosten, die Versicherungskosten<br />

schon gar nicht zu erwähnen. Nein,<br />

da würde sich doch jedem der Bauch umdrehen.<br />

Ob Bildhauer oder nicht, Newcomer unter den<br />

Kunstschaffenden sind für alle im Markt, die<br />

nicht selbst Kunst machen oder kaufen wollen,<br />

ein finanzielles Risiko. Das Prädikat «gut» erhält<br />

also nur jene Kunst, die sich auch gut verkaufen<br />

lässt. Laut dieser Logik war Van Gogh sein Leben<br />

lang ein miserabler Künstler. Die genau gleiche<br />

Kunst nach seinem Tod aber genial.<br />

Was gute Kunst nicht ist Der Preis als sicheres<br />

Kriterium ist ja gut und recht, aber ist es<br />

nicht ein wenig tragisch, dass es eigentlich keine<br />

verbindlichen Kriterien für die Qualität von<br />

Kunst an sich gibt? In Erwägung dieser Umstände<br />

verstehe ich zumindest, warum sich viele beim<br />

Kauf von Kunst lieber den harten Fakten als dem<br />

Bauchgefühl zuwenden. Leider ist selbst diese<br />

Sicherheit trügerisch, vor allem wenn man gute<br />

Kunst sucht. Rekapitulieren wir kurz: Kuratoren<br />

und Galeristen sagen, dass gute Kunst ist, was sie<br />

bei sich ausstellen. Gute Kunst ist in erster Linie<br />

jene Kunst, die verkauft werden kann. Und Kunst<br />

muss verkauft werden, damit sie dem Preiskriterium<br />

gute Kunst entspricht. Ein Zirkelschluss, oh<br />

nein! Und zudem hat er eigentlich nichts mehr<br />

mit Kunst zu tun, denn dasselbe könnte man von<br />

jedem x-beliebigen Gut behaupten. Wenn Galeristen<br />

behaupten, Kunst gemäss ihrer Qualität<br />

auszuwählen, Qualität aber bedeutet, dass Kunst<br />

von einem Galeristen ausgestellt und verkauft<br />

wird, bedeutet das, dass der Kunstmarkt, seit er<br />

existiert, eigentlich nie darauf geachtet hat, was<br />

gute Kunst ist, sondern nur darauf, ob das, was<br />

ausgestellt wird, auch verkauft werden kann.<br />

Das heisst, der Galerist verkauft Kunstwerke, die<br />

er vielleicht selber nicht kaufen würde, weil er<br />

weiss, dass sie sich besser verkaufen lassen. Und<br />

in diesem Dilemma stecken alle, die Kunst für<br />

die Öffentlichkeit zugänglich machen, Galeristen,<br />

Kuratoren wie auch Auktionatoren. Die Prämisse<br />

ist nicht die Liebe zur Kunst, sondern der Umsatz.<br />

Museen müssen möglichst viele Besucher<br />

anziehen, damit Einnahmen erzielt werden und<br />

die Gelder der öffentlichen Hand rechtfertigt<br />

werden können. Fixkosten wie Mieten und Löhne<br />

müssen gezahlt sein. Laufen sie in der Befolgung<br />

dieses Kriteriums nicht Gefahr, vor allem Kunst<br />

für den breiten Geschmack zu verkaufen? Und<br />

was nicht angeboten wird, kann auch nicht verkauft<br />

werden.<br />

KunstLiebeGeld Ich bezweifle, dass gute<br />

Kunst einfach mit verkaufbarer Kunst gleichgestellt<br />

werden kann. Wenn dem so ist, kauft man<br />

sich besser eine Deko, die ist nämlich wesentlich<br />

billiger. Andererseits, wird Kunst nur noch nach<br />

dem Kriterium Geld bewertet, wird alles viel einfacher.<br />

Das Vertrauen in den Analysten bereitet<br />

relative Unbeschwertheit und grösste Befriedigung.<br />

Nicht nur punkto Preis und Performance,<br />

sondern auch in Bezug auf persönliche Zufriedenheit.<br />

Hat man doch in etwas investiert, was<br />

lange währen wird und eine breite Anerkennung<br />

einbringt. Ein Warhol, ach wie schön und stattlich<br />

im Preis.<br />

Leider kann man nicht zwei Herren dienen.<br />

Entweder liebt man Kunst um der Kunst oder um<br />

des Geldes willen. Dumm nur, dass alle Entscheidungsträger<br />

auf Geld angewiesen sind, und ihre<br />

Entscheidungen deshalb stets auch wirtschaftlich<br />

begründet sein müssen. Dafür erklärt dies, warum<br />

Inhalt oder Fertigungsweise nicht als Kriterien<br />

für gute Kunst herangezogen werden. Vielleicht<br />

wird Kunst einst wie das Geld selbst nur noch<br />

zur fiktiven Währung. Gute Ideen ausgedrückt in<br />

den Bytes elektronischer Zahlen, und man kann<br />

sagen: «Hey, ich habe gerade mit einem Giacometti<br />

Brot gekauft, toll, nicht?» – Oder aber, man<br />

kauft Kunst, die man liebt und lässt sie zu dem<br />

Grossartigen werden, die sie tatsächlich ist.<br />

15


Kulturessays<br />

In den drei vergangenen Heften wurden einerseits<br />

allgemeine Gedanken, Definitionen<br />

und Umfelder, in denen es Burnout geben kann,<br />

dargestellt. In diesem Beitrag wird das Empfinden<br />

von Menschen und Arbeiten beleuchtet.<br />

Ein letzter Bericht im nächsten Heft dieser kurzen<br />

Serie zum Phänomen Burnout wird sich mit<br />

aufblühenden Aussichten befassen. Wo immer<br />

die eigene körperliche, seelische und geistige<br />

Gesundheit steht, jeder kann seine Ausgewogenheit<br />

und das damit verbundene Glücksempfinden<br />

beziehungsweise die Zufriedenheit mit<br />

sich selber mit bestem Gewissen und Empfinden<br />

selber gestalten oder erobern. Etwas Mut<br />

zur Veränderung, wenn es nicht mehr gut geht<br />

oder schon lange nicht mehr geht, und ein Bestreben<br />

nach dem Wohlsein und der Freude<br />

sind die Ratgeber in dieser Sache. Diese Bestreben<br />

stehen jedem eigens zur Verfügung<br />

und lassen sich bestens nutzen.<br />

Ehrliche Zufriedenheit aushalten Burnout-<br />

Forscher meinen: «Es ist weder möglich, Burnout<br />

sicher zu diagnostizieren, noch, einem Menschen,<br />

der sich ausgebrannt fühlt, zu beweisen,<br />

dass er kein Burnout(-Syndrom) hat». Die Studie<br />

von Hillert und Marwitz halten fest: «Es ist<br />

schlicht Energiemangel infolge von vorangegangener<br />

Überstrapazierung. Die Batterien der<br />

Betroffenen sind leer.» Burnout hat keine deutlichen<br />

Anfänge oder Enden. Es schleicht sich<br />

über unterschiedlichen Energieverbrauch ein<br />

und lässt sich durch individuelle Aufarbeitung<br />

eindämmen. In welcher Hinsicht Rückstände<br />

bleiben, so lässt sich höchstens sagen, dass der<br />

Betroffene sich mit seinen Grenzen und Kräften<br />

seinen Möglichkeiten und Freuden besser<br />

kennenlernt. Aronson, Pines und Ditsa fassen<br />

zusammen und schreiben einfühlend: «Dieses<br />

ausserordentlich schmerzliche und quälende<br />

Erlebnis ist durch geeignete Gegenmassnahmen<br />

zu bewältigen. Es kann den Weg zu<br />

klareren Einsichten in das Selbst weisen, das<br />

Einfühlungsvermögen anderer Menschen gegenüber<br />

verfeinern und wichtige Lebensveränderungen,<br />

Wachstum und Entwicklung einleiten.<br />

Menschen, die das Ausbrennen erlebt und<br />

überwunden haben, finden fast ausnahmslos zu<br />

allgemein besseren, anregenderen und weniger<br />

einengenden Lebensbedingungen.» Mit dem<br />

Zurückgewinnen der Kontrolle über die realistischen<br />

Leistungsmöglichkeiten sowie den<br />

PSYCHOLOGIE IM ALLTAG<br />

Inne- und Aushalten<br />

Von Ursula Lüthi<br />

eigenen Bedürfnissen und Wünschen, kann<br />

dem Ausbrennen entgegengewirkt werden und<br />

Kraftquellen wieder belebt werden. Dies erfordert<br />

jedoch ein Bewusstwerden der eigenen<br />

Bedürfnisse und Wünsche und eine ernstzunehmende<br />

Zeitspanne der Reserveschaffung<br />

für eigene Kräfte; das heisst, der Mensch muss<br />

sich selber wieder lieb werden und Leistung<br />

für sein Wohlbefinden erbringen lernen. Das<br />

Nein-Sagen gegenüber nächsten Personen ist<br />

oftmals beizuziehen, Pausen machen darf nicht<br />

mit schonungslosem Freizeitstress ausgefüllt<br />

sein und es gilt zu akzeptieren, dass auch die<br />

Stärksten irgendwann einmal ihre Ressourcen<br />

verbraucht haben und dies keine Unmenschlichkeit<br />

an sich ist, sondern zum Zyklus von<br />

Leistung und Wertschätzung im Zusammenleben<br />

mit Arbeit, Familie und Freunden jedem widerfahren<br />

kann - so beraten Litzcke und Schuh.<br />

Das Ausbrennen «hält uns nicht den Spiegel<br />

vor, sondern bietet Hilfen zur Bewältigung<br />

der beschriebenen Zustände. Das Ausbrennen<br />

kann man meiden. Wo es eingesetzt hat, kann<br />

man den Prozess bremsen und rückgängig machen»,<br />

schreiben Aronson, Pines und Ditsa. Es<br />

bedarf in gewissem Sinne einer Trauerphase,<br />

um sich von alten, verfahrenen Mustern von<br />

Beruf und Leben zu verabschieden und sich<br />

neuer Lebensqualität und Leistung bewusst zu<br />

werden. Aronson, Pines und Ditsa raten weiter:<br />

«Wir empfehlen allen Leuten, nicht immer zu<br />

wiederholen, was sie gut können, sondern ihr<br />

Leben und ihren Beruf durch Abwechslung und<br />

neue Herausforderung vielfältiger zu gestalten.<br />

Wenn man mit neuen Ideen, Fertigkeiten und<br />

Annäherungsversuchen experimentiert, kann<br />

man sich selbst auch einmal gestatten, nicht<br />

ganz perfekt zu sein»; und: «Um Erfolg zu einem<br />

positiven Lebensereignis zu machen, muss<br />

man lernen, erfolgreich vollbrachte Leistungen<br />

in Ruhe zu geniessen und dieses Erlebnis zu<br />

einem Teil des Selbst zu verarbeiten, ehe man<br />

sich aufmacht, um neuen Herausforderungen<br />

zu begegnen»,so Aronson, Pines und Ditsa.<br />

(Alle Quellenreferenzen sind aus gestalterischen<br />

Gründen unterlassen.)<br />

Signale von Innen empfangen Im Buch «Das<br />

psychosomatische Lexikon, das schon beim Lesen<br />

hilft: Mein Körper - Barometer der Seele»<br />

von Jacques Martel (Psychotherapeut) findet<br />

sich folgende Sprache zum Burnout-Syndrom<br />

oder zur Erschöpfung: Ein Burnout-Syndrom<br />

äussert sich im Allgemeinen, wenn ich einen<br />

Kampf um ein bestimmtes Ideal erfolglos aufgegeben<br />

habe. Die in die Umsetzung dieses<br />

Ideals investierte Zeit und Energie sind so<br />

gross, dass ich erschöpft und krank geworden<br />

bin. Es handelt sich um eine tiefe innere Leere,<br />

weil ich eine Situation ablehne, in der ich eine<br />

wirkliche, konkrete und dauerhafte Veränderung<br />

sehen möchte, beispielsweise an meinem<br />

Arbeitsplatz, in meiner Familie oder meiner<br />

Partnerschaft. Ich bin Perfektionist und opfere<br />

mich auf, ich will meine Ideale erreichen.<br />

Vielleicht ist es auch ein Teil meiner selbst,<br />

den ich nicht akzeptiere. Ich fühle mich so, als<br />

ob ich gegen die ganze Menschheit kämpfen<br />

müsste, da es mir so scheint, als ob sie meinen<br />

Erwartungen und tiefen Überzeugungen nicht<br />

entspricht. Warum weitermachen? Ich gebe<br />

auf, es wird mir zu viel. Es handelt sich um<br />

eine Art Zwang, denn ich will das System mit<br />

neuzeitlicheren Methoden um jeden Preis ändern.<br />

Wenn ich den Eindruck habe, dass ich die<br />

Welt retten muss, dann muss ich sofort meine<br />

Einstellung überprüfen. Ein Burnout-Syndrom<br />

ist auch eine Art Flucht. Ich sollte mich fragen:<br />

Wovor will ich durch mein exzessives Arbeiten<br />

flüchten? Habe ich Angst, mit mir alleine<br />

zu sein? Brauche ich einen Vorwand, um nicht<br />

mit einem Lebenspartner zusammen zu sein,<br />

den ich nicht mehr ertrage? Was will ich beweisen,<br />

während ich gleichzeitig vor der Angst<br />

vor Misserfolg flüchte? Die Symptome eines<br />

Burnout-Syndroms sind ziemlich deutlich:<br />

geistige und körperliche Erschöpfung, nachlassende<br />

Lebensenergie, unzusammenhängende<br />

Gedanken! Zuerst kommt die Erschöpfung und<br />

dann die Ruhe und Erholung, damit ich meine<br />

Energien wieder aufladen kann. Vor allem<br />

muss ich aufhören zu glauben, dass ich es allen<br />

recht machen muss! Das ist eine Idealvorstellung<br />

und die Wirklichkeit liegt darin zu wissen,<br />

dass ich für das, was ich zu tun habe, mein<br />

Bestes gebe und mich vollständig einbringe. So<br />

finde ich wieder Gelassenheit, inneren Frieden<br />

und wirkliche Liebe in meinem Handeln. In<br />

der Kurzform schreibt Martel zur Bedeutung<br />

des Burnout-Syndroms: «Das Burnout-Syndrom<br />

steht oft im Zusammenhang mit der Flucht vor<br />

einer starken Gemütsbewegung, die bei der Arbeit<br />

oder anderen Beschäftigungen auftritt.»<br />

16


ensuite<br />

Das Abonnement<br />

Monatlich, 11 <strong>Ausgabe</strong>n,<br />

inkl. Kunstmagazin artensuite<br />

K U L T U R M A G A Z I N<br />

<br />

Ja, ich will ab sofort ensuite abonnieren (nur im ABO inklusive Beilage artensuite)!<br />

✓Pro Jahr 11 <strong>Ausgabe</strong>n (Juni/Juli ist eine Doppelnummer)<br />

«Ein Kulturmagazin ist selbst ein Stück<br />

Kultur - und Kultur ist Kultur und bleibt<br />

diese im Herzen. Es geht dabei nicht um<br />

Unterhaltung oder Nachrichten, sondern<br />

um die dauernde Definition und<br />

Standortbestimmung unseres Selbst.»<br />

Bestellen Sie noch heute Ihr Abonnement<br />

und tun Sie damit nicht nur etwas für Ihr<br />

persönliches Sozialleben: Ein Verlag lebt von<br />

der Unterstützung der Abonnenten und damit<br />

wird Kulturellem und der Kunst weiterhin ein<br />

wichtiger Platz in der Medienwelt garantiert.<br />

Die kulturelle Berichterstattung wird in den<br />

Tagesmedien zum Massenprodukt gekürzt.<br />

Berichtet wird noch, was alle oder nur Insider<br />

interessiert - nicht aber, was entdeckt werden<br />

muss. Täglich hören und sehen wir in den Tagesmedien<br />

und Fernsehstationen Glimmer und<br />

Glamour, Stars und Sternchen. Das Kleine, Feine,<br />

Sensible geht dabei oftmals verloren.<br />

ensuite kann natürlich nicht alles thematisch<br />

auffangen. Aber wir versuchen zumindest,<br />

ohne zu Werten Themen darzustellen<br />

und sichtbar zu machen. Wir sind sozusagen<br />

die Nase im Wind: Viele KünstlerInnen und<br />

Kulturschaffende haben wir entdeckt, bevor<br />

diese in der Masse vorgestellt wurden. Dass<br />

uns dabei die Tagesmedien über die Schultern<br />

gucken, ist kein Geheimnis mehr.<br />

Ein Kulturmagazin ist selbst ein Stück Kultur.<br />

Tragen wir Sorge darum - mit einem Abonnement,<br />

welches uns selbst verpflichtet, unsere<br />

Kultur weiterhin im Dialog zu behalten.<br />

Für jene, die ein ensuite-Abonnement verschenken,<br />

haben wir auch ein kleines Geschenk<br />

bereit: «The artist’s residence: Donal McLaughlin».<br />

Donal war von Februar bis Juli 2004 in<br />

Bern und hat seine Erlebnisse in einem kleinen<br />

Büchlein verewigt. Das «artist’s-in-residence»-<br />

Programm wurde von der Stadt Bern und dem<br />

Kanton Bern mitfinanziert. Das Büchlein ist<br />

mehrheitlich in englischer Sprache geschrieben<br />

- in original Irisch-Schottisch eben -, bis auf das<br />

Interview von Stephan Fuchs mit dem Autor.<br />

Füllen Sie einfach den untenstehenden Talon<br />

aus und überlassen Sie uns den Rest. Apropos:<br />

Mit einem Geschenk kann man auch ohne<br />

Abonnement bei ensuite jemandem eine Freude<br />

machen - das Büchlein gehört auf jeden Fall Ihnen.<br />

Lukas Vogelsang<br />

Chefredaktor<br />

✄<br />

Das Abonnement kostet je Stadt Fr. 77.00<br />

Name, Vorname des neuen Abonennten<br />

Strasse, Nummer<br />

PLZ, Wohnort<br />

<strong>Ausgabe</strong> Bern / inkl. artensuite<br />

<strong>Ausgabe</strong> <strong>Zürich</strong> / inkl. artensuite<br />

Reduktion für Studierende/AHV/IV Fr. 52.00<br />

Ich möchte ein Abo verschenken.<br />

Hier mein Name, Adresse und Wohnort:<br />

E-Mail<br />

☞<br />

oder Telefonnummer<br />

Ort, Datum und Unterschrift<br />

Ein Abonnement ist ab Rechnungsdatum für ein Jahr gültig. Ohne Kündigung<br />

wird es automatisch um ein Jahr verlängert. Eine Kündigung ist jeweils jährlich,<br />

2 Monate vor Ablauf des Abonnements, möglich.<br />

Ausschneiden und Einsenden an:<br />

ensuite - kulturmagazin | Sandrainstrasse 3 | 3007 Bern<br />

<strong>Ausgabe</strong> Bern, <strong>Zürich</strong> & artensuite<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 17<br />

Wissen, was in Deiner Stadt lebt - monatlich im Briefkasten


Kulturessays<br />

KULTUR DER POLITIK<br />

Keiner mag ihn hören<br />

Von Peter J. Betts<br />

«<br />

Keiner mag ihn hören, keiner sieht ihn an, /<br />

Und die Hunde knurren um den alten Mann.<br />

/ Und er lässt es gehen, alles wie es will», so lauten<br />

drei Zeilen aus dem letzten Lied von Schuberts<br />

«Winterreise». Der Titel: «Der Leiermann»,<br />

und den Text hat Wilhelm Müller (genannt<br />

Griechen-Müller) geschrieben. Der Dichter hat<br />

als Freiwilliger an den Befreiungskriegen teilgenommen<br />

und starb vierunddreissigjährig 1827.<br />

Das herzzerreissende Lied setzt sich mit einer<br />

Gesellschaft auseinander, die, kurz charakterisiert,<br />

zur Empathie unfähig ist. Sie denken<br />

an das erste Drittel des neunzehnten Jahrhunderts?<br />

Sie sind gebildet. Im Text geht es um einen<br />

Randständigen, der barfuss auf dem Eis am<br />

Leierkasten dreht, auch wenn sein kleiner Teller<br />

immer leer bleibt; dieser Randständige wird<br />

durch einen randständigen Sänger eingeladen,<br />

zusammenzuspannen. Beide werden ungehört<br />

und übersehen bleiben. Mit der Zeit wurde das<br />

Lied selber aber durchaus gehört: in Salons, in<br />

Konzertsälen, es liegt in Diskotheken und Plattensammlungen<br />

auf, und heute habe ich es mit<br />

einer originellen Begleitung durch ein kanadisches<br />

Bläserensemble am Radio gehört. Dietrich<br />

Fischer-Dieskau und Gerald Moore haben uns<br />

zusammen sehr eindrückliche Interpretationen<br />

hinterlassen. Andere auch. Kulturerbe: gepflegt.<br />

Im Bahnhof Bern finden sich keine Bettlerinnen<br />

oder Bettler. Der Fluss der Eilenden repräsentiert<br />

eine Gesellschaft, in der es jeder und jedem<br />

einzelnen gut geht: Einzeln fotografiert, zeigen<br />

sie alle zähnefletschendes Lächeln. Das entblösste<br />

Gebiss deutet nicht nur auf Aggression hin.<br />

Die u.a. fotografischen Kosmetikvorschriften<br />

haben uns schon längst das Lesen natürlicher<br />

Zeichen unzugänglich gemacht. Haltung, bitte<br />

schön. Auch nach dem kleinen Rückschlag der<br />

UBS und den unstetig, aber stets ansteigenden<br />

Krankenkassenprämien, der zunehmenden Menge<br />

Arbeitsloser, der Zwang der Spekulierenden,<br />

nach neuen Jagdgründen zu suchen, den nachlassenden<br />

Exportzahlen der Metallbranche. In<br />

der Laube unter dem Käfigturm sitzen am Eingang<br />

links und rechts am Samstag während des<br />

Einkaufwettrennens je ein altersloser Mann auf<br />

einem Stühlchen. Auf ihrem Plakätchen steht:<br />

«Wir sammeln für die Gassenküche». Keiner<br />

mag sie hören, keiner sieht sie an. Am Radio hat<br />

kürzlich ein Neurobiologe erklärt, warum gerade<br />

auch bei jüngeren Menschen die Fähigkeit<br />

zur Empathie abnimmt. Durch vorgeburtliche<br />

und frühkindliche Traumata entstünden u.a.<br />

mess- und nachweisbare Veränderungen in den<br />

jungen Gehirnen, die offenbar für alle Zeiten<br />

Unfähigkeit zur Empathie zementierten. So erklärten<br />

sich nicht nur die Lust, mit groben Schuhen<br />

so lange nach liegenden Opfern zu treten,<br />

bis sie tot oder lebenslänglich behindert seien,<br />

sondern es erkläre auch, warum zahllose Menschen<br />

in Managementpositionen, ohne Rücksicht<br />

auf jegliche Verluste anderer, sich selbst<br />

bereicherten. Was muss also den gewissenlosen<br />

Spitzenmagern (und den vereinzelten Spitzenmanagerinnen)<br />

in ihren Mutterbäuchen oder<br />

kurz nach der Geburt zugestossen sein? Auch<br />

ich begreife, dass, wenn man bis ein paar Tage<br />

vor der Geburt unter Vollstress arbeiten muss,<br />

wenig Zeit, Musse, Zuwendungsmöglichkeit<br />

auf das im Bauch wachsende Kind mobilisiert<br />

werden können. Nein, ich bin nicht dagegen,<br />

dass Frauen im Erwerbsleben eine entscheidende<br />

Rolle spielen, im Gegenteil; aber vielleicht<br />

müsste nach kindförderlichen Möglichkeiten<br />

bei Zusammenarbeitsformen gesucht werden?<br />

Nach kindförderlicher Zusammenarbeit in der<br />

Gesellschaft überhaupt? In unserer Gesellschaft<br />

gäbe es doch Möglichkeiten dazu, wenn nicht<br />

alle, Männlein und Weiblein und möglichst früh<br />

schon Kindlein dem allen physikalischen Prinzipien<br />

spottenden Mehr, Mehr, Mehr nachhechelten?<br />

Anderseits: Einem Grossteil der Bevölkerung<br />

Deutschlands muss von 1933 bis 1945<br />

zunehmend jegliche Empathie völlig abhanden<br />

gekommen sein. Wie erklärte sich sonst das von<br />

fast allen mitgetragene Morden an Millionen<br />

von Menschen in den KZs? Es kann sich bei diesem<br />

Gewissensmangel nicht nur um die Bösen<br />

in Deutschland gehandelt haben. Es hat sicher<br />

vor allem auch bei den Guten funktioniert. Das<br />

macht Angst. Was ist in Deutschland nach dem<br />

Zusammenbruch 1945 abgelaufen? Und 1929:<br />

global? Wann hat die Kreativität in Destruktion<br />

umgeschlagen? Warum? Und was eigentlich<br />

ermöglicht die globalisierte Ausbeutung heute,<br />

von uns allen mitgetragen? Wenn man still die<br />

hetzenden Ströme im Bahnhof Bern, unbehindert<br />

durch Bettlerinnen und Bettler, beobachtet;<br />

wenn man das durchstrukturierte, zahlenmässig<br />

stetig abnehmende Pflegepersonal in Spitälern<br />

erlebt, alle politisch korrekt, freundlich die entblössten<br />

Zähne bleckend, ungeheuer effizient<br />

und bis zum Brechen unter Druck; wenn man<br />

das Publikum beim Laubenbogen am Käfigturm<br />

an den beiden Männern, die für die Gassenküche<br />

sammeln, vorbeiströmen sieht, kommt einem<br />

vor allem unsere Unfähigkeit zu Empathie<br />

in den Sinn. Anderseits: In München gab es zum<br />

Beispiel bereits 1946 (bis 1949) «die Schaubude»;<br />

mitten im Trümmerfeld des Landes entstand<br />

ein Kabarett, das Tausende von Verzweifelten,<br />

Mut- und Perspektivelosen besuchten; zeitkritische<br />

Kunst, Kunst als Motor zu Selbstkritik, als<br />

Ansporn, im Interesse aller kreativ zu werden,<br />

die Menschlichkeit wieder zu entdecken. Empathie<br />

im Verbund mit Vernunft. Schriftsteller<br />

mit Berufsverbot während der Nazizeit, andere,<br />

die emigriert und zum Wiederaufbau zurückgekehrt<br />

waren, hochkarätige Künstlerinnen und<br />

Künstler verwendeten Geist als unverzichtbaren<br />

Rohstoff gegen das Chaos. Der «Pinguin», eine<br />

Kinderzeitschrift, wurde gegründet und im Rowohlt<br />

Verlag herausgegeben («Pinguin ist mein<br />

Name... Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen<br />

ist... Ich lache, wie es mir gefällt... Ich will<br />

euch begeistern für all das, was wir selber tun<br />

können, um uns selbst ein besseres Leben zu<br />

schaffen...»). Von der Destruktion zur Kreation.<br />

Damals ein langer Weg. Und dann kam das<br />

Wirtschaftswunder. Und heute? Den Blick starr<br />

auf den Bildschirm fixiert, im Ohr das akustische<br />

Individualprogramm: effiziente Vorstudien<br />

zum Autismus. Und dabei, glaube ich, dass<br />

Kinder noch immer kreativ wären. Ich klaue<br />

Kästner eine Idee. Erich Kästner, eine zentrale<br />

Kraft in jenem existentiellen geistigen Aufbau<br />

in den Nachkriegsjahren in Deutschland, plädiert<br />

(damals...) erfolglos für eine geniale Idee:<br />

ein Projekt zur Errichtung ständiger Kindertheater<br />

(«Die Klassiker stehen Pate», Oktober 1946,<br />

«Neue Zeitung»). In festen Häusern spielen Kinder<br />

für Kinder, einmal als Zuschauende, einmal<br />

als Schreibende, Spielende, Regieführende, Bühnenbildmalende,<br />

und all das in Zusammenarbeit<br />

mit hervorragenden Künstlerinnen und Künstlern,<br />

die einen glaubwürdigen Zugang zu Kindern<br />

haben und anständig bezahlt werden. Das<br />

Theater: Drehscheibe der Kultur. Wie finanzieren?<br />

Eben: Oft gespielte Autoren und Autorinnen,<br />

für deren Stücke, fünfzig Jahre nach ihrem<br />

Tod, keine Tantiemen bezahlt werden müssen<br />

und wohl nicht zuletzt deshalb bei Theaterleitungen<br />

beliebt sind, werden wieder tantiemenpflichtig.<br />

So würden Sophokles, Shakespeare,<br />

Molière, Büchner und so weiter und so fort eben<br />

zu Paten... Vielleicht würde, da ja eh Tantiemen<br />

bezahlt werden müssen, sogar gelegentlich mit<br />

zeitgenössischen DamatikerInnen zusammengearbeitet:<br />

ein schönes Nebenergebnis. Die<br />

Plüschpaläste und deren hehre Besucherschaft<br />

bekämen endlich wieder existentiellen Sinn.<br />

Lächeln ohne Zähnefletschen? Ein Beitrag, die<br />

Fähigkeit zur Empathie in unserer Gesellschaft<br />

wieder zu entdecken? Warum nicht angesichts<br />

der keineswegs unproblematischen Gegenwartssituation<br />

HEUTE DIE VERANTWORTUNG FÜR<br />

MORGEN ÜBERNEHMEN?<br />

18


CARTOON<br />

Kulturessays<br />

www.fauser.ch<br />

VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />

Wenn Berner Medien tagen<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

Es kommt mir vor wie ein Besuch in einem<br />

Sozitreff. Der 19. Berner Medientag<br />

ist besucht von hoffnungsvollen VisionistInnen,<br />

die nichts zu sagen haben, entlassenen<br />

GewerkschaftlerInnen, die viel fordern, und<br />

einem Mittelfeld, welches man sofort vergessen<br />

hat. Ich zähle mich zu der ersten Kategorie.<br />

Das Fordern der zweiten Gruppe ist nicht<br />

mein Ding und mit dem langsamen Sterben des<br />

Mittelfeld will ich nichts zu tun haben. Doch<br />

der Medientag ist eine hervorragende Sache,<br />

da sich hier eine Branche begegnen kann, die<br />

zwar täglich in den Medien präsent ist, jedoch<br />

kaum Zeit findet, den KollegInnen mal die<br />

Hand zu schütteln – auch wenn es schlussendlich<br />

nur ein Kragenweinen ist. Der Ort des<br />

Treffens, das neu renovierte Gebäude der SRG,<br />

Radiostudio Bern, war ein ideal neutraler und<br />

protziger Ort.<br />

Das Tagesthema «Ist die abonnierte Zeitung<br />

am Ende?» hatte aber diesmal so wenig Spuren<br />

hinterlassen wie die Frage selbst. Das hat zum<br />

einen mit der falschen Zusammensetzung der<br />

Referenten zu tun, zum anderen mit der flachen<br />

Diskussion. Immerhin sind am Medientag nur<br />

professionelle Medienschaffende anwesend.<br />

Als dann ein Journalist an dieser Form Kritik<br />

übte, wurde er mit einer übermässigen Tirade<br />

abgekanzelt. Zu Unrecht, denn der Einwurf<br />

war an diesem Nachmittag mit Abstand die<br />

lebendigste Interaktion. Denn die Verlegerrepräsentatoren<br />

von Tamedia, Ueli Eckstein (Verlag)<br />

und Arthur Vogel («Bund»), taten, was sie<br />

in solchen Momenten immer tun: Schönreden.<br />

Auffallend dabei war die sichtliche Distanzierung<br />

vom ehemaligen «Bund»-Chefredaktor<br />

Hanspeter Spörri, der sich von dem immer unsinnigere,<br />

arrogante Haltungen einnehmenden<br />

Arthur Vogel zentimeterweise entfernte. In den<br />

Diskussionen auf der Bühne wurde dann auch<br />

schnell klar, dass Vogel und Eckstein keine Ahnung<br />

haben – wohl von Zahlen, aber nicht von<br />

ihrer funktionellen Aufgabe. So selbstherrlich<br />

kann kein nüchterner Medienverlagsvertreter<br />

daherreden – oder wenn, dann müssten die Resultate<br />

entsprechend stimmen.<br />

Beat Soltermann vom DRS konnte mit seinem<br />

Referat am meisten Punkte sammeln –<br />

leider ist mir nichts hängen geblieben davon.<br />

Aber in Erinnerung habe ich Souveränität,<br />

klare Argumente und dass er keinen Anzug,<br />

dafür ein fürchterliches rosa Hemd trug. Urs<br />

Rueb von der Media Plus glänzte typisch als<br />

Vertreter der Werbebranche, der mit sehr<br />

vielen Worten immer weniger sagte und jede<br />

Diskussionsmöglichkeit zum Erliegen brachte.<br />

Das Einzige, was er auslöste, war ein Stöhnen<br />

im Publikum. This Born, ein jüngerer Nachzögling<br />

der «Berner Zeitung» und Student der Uni<br />

Freiburg, erzielte mit seinem Vortrag über die<br />

E-Reader, also den elektronischen Papierlesegeräten,<br />

über die er anscheinend eine Studie<br />

geschrieben hatte, keine Aussage. Während<br />

seinem Referat fragte ich mich ernsthaft,<br />

ob Universitäten noch in irgendeiner Weise<br />

brauchbar sind. Er hätte genauso gut Rüstmesser<br />

für die Gemüseküchen verkaufen können.<br />

Neu war hier nichts – schon gar nicht für die<br />

JournalistInnen.<br />

Was mich allerdings faszinierte, war der<br />

Fakt, dass die Verlage mit der Swisscom im<br />

E-Reader-Bereich Arbeitsgruppen gebildet haben.<br />

Damit zeigten sich die Medienleute wieder<br />

bereit, den Markt an die Konkurrenz weiterzugeben.<br />

Den Autohandel haben die Medien<br />

an die IT-Firmen verloren, die Immobilien und<br />

die Stellenmärkte ebenfalls. Jetzt bereiten sie<br />

sich vor, auch den elektronischen Vertrieb der<br />

Zeitungen der Telekommunikationsbranche<br />

abzugeben. Die Schweizer Medien haben keine<br />

Märkte geschaffen, sondern sich immer wieder<br />

nur als Trittbrettfahrer versucht und schlussendlich<br />

klein beigegeben. Jetzt jammern sie.<br />

Investitionen wurden nur im Gratisbereich gemacht<br />

– neue Märkte wurden nicht erschlossen.<br />

So investierten die Tamedias, Ringiers, NZZs<br />

Millionen in neue Gratiszeitungen oder Gratisangebote.<br />

Doch ins Internet wurde nicht ein<br />

Bruchteil davon investiert – und wenn, dann<br />

schrecklich schlecht und unwissend.<br />

Wenn Berner Medien tagen, dann bringen<br />

sie die ganze Visionslosigkeit ans Licht. Schade.<br />

Dafür brauchen wir keinen Medientag. Das<br />

demotiviert die Hoffnung der letzten JournalistInnen<br />

und freut all jene, die erkannt haben,<br />

dass immer noch nicht die Quantität, sondern<br />

die Qualität Massstäbe setzt. Und zum Schluss:<br />

Der Berner Medientag hat zwar eine eigene<br />

Webseite, doch in der Presse war kaum ein<br />

Wort über den Nachmittag in der SRG/DRS<br />

nachzulesen. Und wieder eine vertane Chance,<br />

neue Medien zu nutzen...<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 19


Literatur<br />

An diesem sonnigen Märztag gestattete<br />

er sich auf dem Fussweg in die Stadt einen<br />

Umweg und geriet in ein schmales, abfallendes<br />

Strässchen überm Fluss. Hier standen<br />

Villen und Vorgärten, wo man eben dran war,<br />

den Kies zu rechen und den Boden unter den<br />

Büschen zu säubern. Still war es sonst um diese<br />

frühe Nachmittagsstunde - die Stille schien<br />

aus der Vornehmheit der Villen mit den verschwiegenen<br />

Parks zu kommen, und ein langsam<br />

fahrendes Auto vermochte sie kaum zu<br />

durchbrechen.<br />

Aus einem halboffenen Gartentor kam unvermutet<br />

eine Tigerkatze herangerannt, drückte<br />

sich auch gleich mit hochgestelltem Schwanz<br />

LITERARISCHE FRAGMENTE 1<br />

Seit jeher unterwegs<br />

Von Konrad Pauli<br />

zwischen seine Beine. Er fuhr ihr über das<br />

knisternde Fell, und zum Dank bohrte sie ihre<br />

feuchte Nase und auch den Kopf in seine hohle<br />

Hand. Die Katze schnurrte so vernehmlich, als<br />

wolle sie mitteilen, er möge doch nie mehr aufhören<br />

mit seinen Zärtlichkeiten. Er hatte Zeit<br />

und war neugierig, wie lange die Katze Lust<br />

zum Verweilen haben würde. Ihr und ihm gefiel<br />

das Beisammensein so sehr, dass sie sich<br />

wechselseitig diesen Gefallen taten.<br />

Auf einmal knirschten Schritte im Kies hinter<br />

der Hecke, und ein kleines blondes Mädchen<br />

schlüpfte aus dem Tor, kauerte zu der Katze<br />

hin und half sogleich mit, sie zu streicheln.<br />

Wohlig streckte und reckte und kugelte sich<br />

ensuite<br />

<br />

<br />

«Kultur braucht Plattform»<br />

die Katze und genoss die doppelte Zuwendung<br />

in vollen Zügen. Bald fanden der Mann und das<br />

Mädchen zu ungezwungener Plauderei. Ohne<br />

Scheu erzählte das Mädchen von dem Tier, das<br />

sie zu Weihnachten von Mama geschenkt bekommen<br />

habe. Jetzt sei Frühling, endlich dürfe<br />

sie mit der Katze im Garten spielen, sie habe<br />

bloss ein wenig Angst, das Tier laufe weg. Der<br />

Mann und das Mädchen gerieten plaudernd<br />

und streichelnd in einen Eifer, dass sich ihre<br />

Hände im Katzenfell zuweilen berührten, und<br />

zum feinen Haar kam die zarte Kinderhaut.<br />

Lange hatten die Drei so miteinander zu tun,<br />

ohne dass ein falscher Ton, gar ein Missgriff<br />

die Innigkeit und Schönheit des Augenblicks<br />

getrübt oder zerstört hätte.<br />

In seinem Rücken spürte der Mann auf einmal<br />

ein Auto langsam heranfahren, und wie er<br />

sich umwandte, sah er zwei Polizisten aus dem<br />

Wagen steigen. Als gäbe es etwas zu verscheuchen,<br />

blieben die Uniformierten stehen, hatten<br />

freilich nicht im Sinn, sich am Streicheln zu beteiligen.<br />

Höflich verlangte man seine Ausweispapiere.<br />

Diesen Unterbruch nutzte die Katze,<br />

endlich zum Haus zurückzueilen, und das<br />

Mädchen rannte ihr nach. Die Papiere waren<br />

in Ordnung, aber im Gesicht der Beamten klebte<br />

das Misstrauen. Endlich vernahm der Mann,<br />

die Polizei habe einen Anruf erhalten, draussen<br />

auf dem Gehsteig spiele ein Mann mit einem<br />

blonden Mädchen, eine Katze sei auch dabei,<br />

und man wisse ja, so etwas diene oft bloss als<br />

Vorwand zu Schlimmem. Der Mann verzichtete<br />

auf die Rechtfertigung, es sei ganz und gar<br />

nichts dabei gewesen im Spiel mit der Katze<br />

und dem Mädchen, zu sehr hatte er das Verweilen<br />

genossen. Während die Beamten ins Auto<br />

stiegen und lange nicht wussten, ob sie weiterfahren<br />

wollten, setzte der Mann seinen Weg<br />

fort. In seiner Hand nahm er den Duft von Tier<br />

und Mädchenhaut mit. An einem Brunnen ging<br />

er vorbei, hütete sich aber, sie zu waschen, war<br />

sie doch in keinerlei Weise schmutzig geworden.<br />

Konrad Pauli ist Schriftsteller aus Bern.<br />

20


Literatur-Tipps<br />

Djebar, Assia: Nirgendwo im<br />

Haus meines Vaters. Roman. Aus<br />

dem Französischen von Marlene<br />

Frucht. S. Fischer Verlag. Frankfurt<br />

am Main 2009. 442 Seiten.<br />

ISBN 978-3-10-014500-0.<br />

Krausser, Helmut: Einsamkeit<br />

und Sex und Mitleid. Roman.<br />

DuMont. Köln 2009. 223 Seiten.<br />

ISBN 978-3-8321-8092-8.<br />

Krohn, Tim: Ans Meer. Roman.<br />

Galiani. Berlin 2009. 303 Seiten.<br />

ISBN 978-3-86971-002-0.<br />

Eine Reise in eine andere Welt<br />

Assia Djebar: Nirgendwo im Haus meines Vaters.<br />

Roman. Aus dem Französischen von Marlene<br />

Frucht.<br />

«<br />

Nirgendwo im Haus meines Vaters» ist<br />

wohl das persönlichste Buch der bekannten<br />

algerischen Autorin Djebar.<br />

Sie schildert hier ihre Kindheit und Jugend,<br />

ihrem strengen, doch liebevollen Vater<br />

scheint sie aufs Tiefste ergeben. Die elegante,<br />

europäisch anmutende Mutter bewundert und<br />

liebt sie. Sie erzählt uns von ihrem Leben in<br />

der Lehrerwohnung, von ihren Gängen durch<br />

das Dorf an der Hand ihrer im städtischen Stil<br />

verhüllten Mutter, welche nicht nur unter den<br />

Einheimischen, sondern auch unter den französischen<br />

Kolonialisten Begehrlichkeiten weckt.<br />

Diese fühlt sie, wenn sie sie auch als Kleinkind<br />

nicht in Wort fassen könnte.<br />

Wir erfahren vom Tod ihres kleinen Bruders,<br />

der mit nur sechs Monaten verstorben ist,<br />

und über den in der Familie nicht gesprochen<br />

werden darf.<br />

Sowohl im Dorf als auch später in der Internatschule,<br />

wo die arabischen Mädchen unter<br />

den «Französinnen» eine Minderheit darstellen,<br />

repräsentiert Fatima/Assia das Andere.<br />

Sie ist ein Hybrid in einer Welt, welche sich<br />

mit klaren Grenzen konstitutiert: hier sind die<br />

Besatzer, dort die Einheimischen. Doch sie,<br />

das kleine und später das grössere Mädchen,<br />

scheint keines von beidem zu sein.<br />

Auf diesem Weg, der ein einsamer ist, weil<br />

sie in einer Welt des Ausschlusses gross wird,<br />

verleiht ihr die Literatur Flügel. Das erste französische<br />

Gedicht, welches ihr von ihrer Französischlehrerin<br />

Madame Blasi vorgetragen wird,<br />

empfindet sie als Offenbarung. Sie, die schüchterne<br />

Elfjährige sieht einen Kosmos jenseits<br />

ihres bisherigen vertrauten.<br />

Assia Djebar ist ein sensibles, kluges Buch<br />

über ihre ersten und ganz persönlichen Schritte<br />

als Beobachterin und Schriftstellerin gelungen.<br />

Sie lässt uns eintauchen in ein Leben, das heute<br />

so fern und in ihren Beschreibungen doch so<br />

nah scheint. (sw)<br />

Bäumchen wechsle dich in der Grossstadt<br />

Helmut Krausser: Einsamkeit und Sex und Mitleid.<br />

Roman.<br />

Vincent, ein Berliner Callboy, sitzt an Weihnachten<br />

allein über seinem Bier, um kurz<br />

darauf in seiner Wohnung eine Einbrecherin<br />

zu überraschen, doch statt die Polizei zu rufen,<br />

lässt er die vor Schmutz starrende junge Frau<br />

ein Bad nehmen und verliebt sich ins sie. Ekki,<br />

zwangspensionierter Lateinlehrer, trifft ebenfalls<br />

am Weichnachtsabend in seiner Stammkneipe<br />

Nachtmar auf die beleibte Kellnerin Minnie,<br />

deren grosse Leidenschaft den teuren Cauldron<br />

Chips gehört. Julia König hingegen beschliesst,<br />

sich gerade an diesem Abend bei ihrem alljährlichen<br />

Sushi-Ritual von ihrem Mann Uwe, einem<br />

Marktleiter, zu trennen.<br />

Im Mai, fünf Monate später also, werden Dr.<br />

Thomas Stern im ICE von Berlin nach Bielefeld<br />

die Schuhe geklaut. Diese, weisse Sneakers, tauchen<br />

kurze Zeit später an den Füssen von Holger,<br />

einem Punk, in Berlin wieder auf. Holger, seines<br />

Zeichens etwas exaltiert, mischt eine Gruppe von<br />

jungen Obdachlosen in einem Abbruchhaus neu<br />

auf und gebärdet sich als neuer Leader, wozu<br />

ihm unter anderem der Überfall auf Uwe König<br />

verhilft. Janine hingegen, Primaballerina aus<br />

Darmstadt, heute Tanzlehrerin in Berlin, macht<br />

mit eben diesem Uwe alias Brandbeschleuniger<br />

im Internet Bekanntschaft. Seine baldige Exfrau<br />

Julia hingegen bestellt sich Vincent zu sich nach<br />

Hause. Ekki, der seinen Rauswurf aus dem Gymnasium<br />

bis heute nicht ganz verwunden hat, entführt<br />

Sonia, die kleine Schwester von Swentja,<br />

welche damals das Gerücht von einem sexuellen<br />

Übergriff gestreut hat. Swentja verliebt sich Hals<br />

über Kopf in Muhammad, obwohl eigentlich mit<br />

dem gläubigen Johnny liiert.<br />

Der Reigen, welchen Krausser in seinem Roman<br />

entspinnt, erinnert nicht nur von ungefähr an<br />

Schnitzler und dessen gleichnamiges Werk. Doch<br />

fehlt es ihm, wenn man sich auch der Situationskomik<br />

oftmals nicht zu entziehen vermag, einerseits<br />

an Leichtigkeit, und andererseits an Tiefe.<br />

Die Charaktere geraten zu reinen Abziehbildern,<br />

Anekdote folgt auf Anekdote. Berlin verkommt<br />

hier zum Dorf mit der Dorfkneipe Nachtmar, die<br />

alle früher oder später betreten, in der sie feiern,<br />

sich betrinken, verlieben und demütigen lassen.<br />

Ein etwas zweifelhaftes Lesevergnügen. (sw)<br />

Von Glarus an die Ostsee<br />

Tim Krohn: Ans Meer. Roman.<br />

Unser Schweizer Kultautor schenkte uns<br />

«Quatemberkinder» und «Vrenelis Gärtli».<br />

Nun hat er aber offenbar Grösseres im Sinn. Den<br />

deutschen Markt nämlich gilt es zu erobern.<br />

Nicht ungeschickt und ganz in der Manier<br />

eines waschechten Enthüllungsromans beginnt<br />

er im Jetzt und arbeitet sich dann mittels Rückblenden<br />

zu des Pudels Kern vor.<br />

Wir lernen Anna kennen, eine junge Psychologin,<br />

deren drängender Kinderwunsch dazu<br />

führt, dass sie ihren zeugungsunfähigen Freund<br />

Kalle verlässt, nachdem dessen Geheimnis<br />

durch Dritte enthüllt wird. Sie sehnt sich nach<br />

ihrer einstigen Weggefährtin Josefa zurück,<br />

welche nach dem Tod ihrer Mutter Margot, an<br />

dem Anna nicht unbeteiligt war, das Dorf und<br />

vor allem das Wochenendhäuschen sowie ihr<br />

geliebtes Segelboot an der Ostsee verlassen hat.<br />

Der draufgängerische Vater trinkt sich danach<br />

innerhalb nur weniger Monate zu Tode. Josefa,<br />

inzwischen im Tessin, nimmt die Nachricht offenbar<br />

ohne grosse Gefühlsregung entgegen. Sie<br />

wird bald darauf Mutter von Jens, den sie, nach<br />

einem Ortswechsel nach <strong>Zürich</strong> alleine grosszieht.<br />

Mehr schlecht als recht bringt sie sich und<br />

ihren Jungen durchs Leben, dennoch gehören<br />

die Kapitel, welche sich Josefa und Jens widmen,<br />

zu den stärksten des Buches. Hier erleben<br />

wir Krohn als feinfühligen Beobachter und nicht<br />

als verkappten Psychologen. Denn sein neuer<br />

Roman verkommt allzu oft zu einem psychologischen<br />

Ratgeberbuch mit der Kernbotschaft:<br />

Man muss die Vergangenheit aufarbeiten, wenn<br />

man im Hier und Jetzt leben will.<br />

Josefa nun hat nämlich nie erfahren, dass<br />

ihre Mutter nicht etwa Suizid begangen hat,<br />

nachdem sie ihren Vater mit einer anderen überrascht<br />

hatte, sondern dass sie an einem Aneurysma<br />

gestorben ist, welches nun auch Josefas<br />

Leben bedroht. Ein Seilziehen um Jens beginnt.<br />

Der Enthüllungen sollen noch so einige folgen.<br />

Insgesamt vermag Krohn mit seinem Roman<br />

nicht zu überzeugen, dies mag vor allem daran<br />

liegen, dass er sich allzu oft in Klischees verfängt.<br />

Fazit: Etwas weniger dick aufgetragen,<br />

wäre eindeutig mehr. (sw)<br />

buchhandlung@amkronenplatz.ch<br />

www.buchhandlung-amkronenplatz.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 21


Tanz & Theater<br />

PAPPTHEATER<br />

Theater Zinnober / o.N.<br />

aus Berlin<br />

Von Robert Salzer – Ein freies Theater seit 1979 Bild: zVg.<br />

«Es war einmal ein Mann, der hatte<br />

einen Esel, welcher schon lange Jahre<br />

unverdrossen die Säcke in die Mühle<br />

getragen hatte. Nun aber gingen die<br />

Kräfte des Esels zu Ende, so daß er zur<br />

Arbeit nicht mehr taugte...» So beginnt<br />

die Geschichte der «Bremer Stadtmusikanten»,<br />

wohl einem der bekanntesten<br />

Märchen der Brüder Grimm, das auch<br />

heute noch, fast 200 Jahre nach dessen<br />

Erscheinen, den Zuschauern und<br />

Zuhörern Freude bereitet.<br />

Um die Phantasie von Kindern anzuregen<br />

braucht es oft nicht viel. Eine Leinwand,<br />

Schattenfiguren aus Pappkarton, einige Kerzen<br />

und drei Spieler: So sieht die Anordnung der<br />

Stadtmusikanten in der Version von Uta Schulz,<br />

Günther Lindner und Iduna Hegen, dreien Mitgliedern<br />

des Theater Zinnobers, aus. Mit einfachen<br />

Musikinstrumenten und viel Gesang wird<br />

das Märchen untermalt.<br />

Das Theater Zinnober wurde 1979/1980 von<br />

Puppen- und Schauspielern gegründet. Es war<br />

das erste und lange Zeit einzige freie Theater<br />

der DDR. Dass die Aufführung vor 25 Jahren in<br />

Berlin Premiere hatte, kann ein Kind nicht verstehen.<br />

Muss es auch nicht, denn die Freude an<br />

der Geschichte vom Esel, dem Hund, der Katze<br />

und dem Hahn, die in ihrer Funktion nicht<br />

mehr gebraucht werden und nun Stadtmusikanten<br />

werden wollen, überwiegt. Die «Bremer<br />

Stadtmusikanten» sind eines der ersten Stücke<br />

im deutschsprachigen Raum, in welchem die<br />

Puppenspieler sich nicht mehr hinter Wänden<br />

und im Dunkeln hinter den Figuren verstecken,<br />

sondern offen zeigen. Was heute eigentlich<br />

gang und gäbe ist – der Spieler nimmt als<br />

Erzähler, Spielender oder Figur der Geschichte<br />

selbst eine Rolle auf der Bühne ein - hatte damals<br />

seine Wurzeln. Erst haben das Stück die<br />

eigenen Kinder der Spieler gesehen und nun<br />

sind gar schon die Enkelkinder an der Reihe,<br />

was eigentlich so nicht gedacht gewesen sei.<br />

Im Interview sagt die Gruppe, dass sich in<br />

dieser langen Zeit nicht viel verändert habe.<br />

Die Geschichte sei die gleiche geblieben, die<br />

Figuren immer noch aus der alten DDR-Pappe.<br />

Sie staunen heute wie damals, wie sich die Kinder<br />

im Zeitalter von Elektronik und Fernseher<br />

auf einfache Dinge konzentrieren, auf die reduzierte<br />

Ästhetik des Stücks einlassen können.<br />

Die Spieler seien mittlerweile etwas älter und<br />

faltiger geworden. Wichtig ist den dreien, dass<br />

sie das Stück nicht durchgängig spielen, sondern<br />

selten, damit es auch für sie frisch bleibt.<br />

Ganz bestimmt verändert hat sich die Interpretation<br />

des Stücks. In der DDR-Zeit hatte es<br />

auch eine politische Komponente. Wenn Tiere<br />

sich aufmachen nach Bremen zu gehen - das<br />

kann auch anders verstanden werden. Eine<br />

gewisse Sprengkraft habe das Stück schon<br />

gehabt, aber die DDR-Obrigkeit konnte ein<br />

Kindermärchen nicht gut verbieten. Wenn Uta<br />

Schulz jeweils sagte: «Da machten sich die drei<br />

Landesflüchtigen auf...» habe es im Osten jedes<br />

Mal einen Lacher gegeben. «Landesflüchtige»<br />

war damals ein Reizwort, ist aber auch original<br />

Grimmsche Sprache. Diese politische Komponente<br />

war so von den Künstlern gar nicht intendiert.<br />

Man wollte einfach nur dieses schöne<br />

Stück machen, mit Tieren und Räubern.<br />

Im Abendprogramm der Gruppe war im Zürcher<br />

Theater Stadelhofen das Kunstmärchen<br />

«Zar Saltan» von Puschkin zu sehen. Diesmal<br />

steht Uta Schulz alleine auf der Bühne. Erst<br />

ist sie nur Erzählerin, beginnt die Geschichte<br />

des Zaren Saltan, seiner Gattin und deren Sohn<br />

zu berichten. Plötzlich aber bricht sie aus ins<br />

Spiel, ist mal Zar Saltan, dann dessen Ehefrau,<br />

Sohn Gwidon und dessen Schwanenprinzessin.<br />

Rasch wechselt sie zwischen den Charakteren,<br />

zwischen Kopfbedeckungen, Kostümen,<br />

Stimmfärbungen und singt, spielt, erzählt oder<br />

tanzt, dass es eine wahre Freude ist. Puschkins<br />

Märchen erzählt eine Geschichte über das Erwachsenwerden,<br />

über einen Jungen, der Respekt<br />

von seinem abwesenden Vater erlangen<br />

will, bis er diesen nicht mehr braucht, weil er<br />

seinen eigenen Weg gefunden hat und geht.<br />

Aber auch Magie, Neid und Liebe kommen bei<br />

Puschkin nicht zu kurz. Uta Schulz schafft es<br />

auf eindrückliche Weise, all dies in einer Person<br />

zu bündeln. Mit traumwandlerischer Sicherheit<br />

navigiert sie durch den in Versform<br />

abgefassten Text von 1840 - dabei helfen ihr<br />

Holzorgelpfeifen, die sie mal zu Schiffshörnern<br />

wandelt, mal als Teile der Stadt in Szene setzt.<br />

Von diesen einfachsten Mitteln verzaubert,<br />

lässt man sich bereitwillig in eine andere Welt<br />

entführen, in der es noch Zaren gibt und sprechende<br />

Schwäne...<br />

Das Theater Zinnober zeigt sich an diesem<br />

Nachmittags- und Abendprogramm von zwei<br />

völlig unterschiedlichen Seiten und genau diese<br />

Vielfalt zeichnet die Truppe aus. Die Freude<br />

am Geschichtenerzählen, sei es mit Figurenoder<br />

Sprechtheater, führt dazu, dass die Truppe<br />

auch 30 Jahre nach ihrer Gründung jung<br />

und alt begeistert.<br />

Nächste Spieltermine:<br />

16. bis 20. Dezember: «Die Weihnachtsgans<br />

Auguste» (der Kinderbuchklassiker als farbiges<br />

Schattentheater für Kinder ab 6) und «Marley»<br />

(ein Weihnachtslied in Prosa von Charles Dickens,<br />

Abendprogramm)<br />

Infos: www.theater-stadelhofen.ch<br />

22


Tanz & Theater<br />

BÜHNE<br />

Weltbürger oder Neandertaler?<br />

Von Alexandra Portmann Foto: Philipp Zinniker<br />

«Die Kunst des zivilisierten Umgangs»<br />

ist das brüchige Schlagwort in Yasmina<br />

Rezas «Der Gott des Gemetzels».<br />

Seit dem 6. November ist das Erfolgsstück<br />

in der Inszenierung von Gabriel<br />

Diaz in den Vidmarhallen des Berner<br />

Stadttheaters zu sehen.<br />

Das Publikum trifft auf eine in ein Terrarium<br />

versetzte Designerwohnlandschaft,<br />

in der verschiedene Repräsentationsgüter der<br />

modernen Wohlstandsgesellschaft angeführt<br />

sind. Die weisse, zum Sofa passende Nespressomaschine<br />

steht auf einem separaten Tisch mit<br />

weissem Service, bereit, die Gäste reichlich mit<br />

Kaffee zu versorgen. Kunstbücher und frisch<br />

aus Holland importierte Tulpen unterstreichen<br />

die zivilisierte Idylle, die von Paolo Contes «Via<br />

con me» begleitet wird. Der sterile Glasboden<br />

unterstreicht die tadellose Ordnung eines Mittelklassenhaushaltes.<br />

Die angestrengt wirkende<br />

Gemütlichkeit wird von Bühnenbildner Beni<br />

Küng offensichtlich durchbrochen. Unter dem<br />

Glasboden befindet sich ein wild mit Pflanzen<br />

überwucherter Erdboden, der mit einzelnen<br />

Versatzstücken der westlichen Zivilisation, beispielsweise<br />

einer Coladose, versehen ist. Die<br />

grüne Pflanzenwand im Hintergrund der Bühne<br />

entpuppt sich während der Vorstellung als<br />

multifunktionale Küche und die Toilette ist mit<br />

Schilf überwachsen. Das Wilde scheint in Diaz’<br />

Inszenierung in die geometrische Ordnung des<br />

Menschen einzubrechen. Das Thema des Stückes<br />

ist expliziert und ein Theaterabend voller<br />

Gegensätze kann beginnen. Mensch gegen Natur,<br />

Nespresso gegen Rum, Weltbürger gegen<br />

Neandertaler.<br />

Ausgangspunkt des Stücks ist das Treffen<br />

zweier Elternpaare, dessen Anlass ein Streit<br />

zwischen ihren Söhnen ist. Der elfjährige Ferdinand<br />

hat seinem Klassenkameraden Bruno<br />

während eines Streits mit einem Bambusstock<br />

einen Schneidezahn ausgeschlagen. Diese<br />

scheinbar absichtliche Aggressivität seitens<br />

Ferdinands wird von Brunos Eltern nicht einfach<br />

hingenommen. Deshalb laden sie Ferdinands<br />

Eltern zum gemeinsamen Erfassen des<br />

Tatprotokolls ein. Es soll ein vernünftiges, fast<br />

freundschaftliches Gespräch über die pädagogischen<br />

Konsequenzen des Vorfalls werden,<br />

doch das Treffen läuft anders als geplant. Mit<br />

den zwei Elternpaaren treffen zwei Lebenskonzepte<br />

aufeinander. Auf der einen Seite stehen<br />

die Eltern des Opfers, Véronique und Michel,<br />

gespielt von Sabine Martin und Ernst C. Sigrist.<br />

Sie sind die Repräsentanten der integren<br />

Kunstliebhaber, versucht, ihren Kindern all das<br />

beizubringen, was die Schule versäumt. Auf<br />

der anderen Seite sind Alain und Annette, die<br />

Eltern des Täters. Heiner Take und Marianne<br />

Hamre zeigen, gestylt und gestresst, die Stereotypen<br />

der erfolgreichen Upperclassgesellschaft.<br />

Alain, Anwalt eines Pharmakonzerns,<br />

stört den Verlauf des Gesprächs durch ständige<br />

Handytelefonate. Sein offensichtlicher<br />

Wunsch, die erzwungene Zusammenkunft so<br />

schnell wie möglich zu beenden, provoziert Michel<br />

und Véronique umso mehr, die Dringlichkeit<br />

des Gesprächs immer wieder aufs Neue<br />

zu betonen. In einer zivilisierten Welt ist das<br />

Gespräch der einzige Weg zur Konfliktlösung.<br />

Ausfallendes Verhalten ist unerwünscht, wird<br />

aber gerade dadurch herbeigerufen. Je länger<br />

sich die vier Personen gemeinsam im Terrarium<br />

aufhalten, desto häufiger werden Verhaltensregeln<br />

gebrochen. Das Gespräch entwickelt sich<br />

von der geschickten Argumentation über die<br />

plakative Schuldzuweisung bis hin zur offenen<br />

Beleidigung. Der Kaffee wird durch Rum aus<br />

Guadeloupe ersetzt und das nervige Handy landet<br />

in der Tulpenvase. Die Paargemeinschaften<br />

werden aufgebrochen, deren Zugehörigkeit<br />

hinterfragt und die Wohnlandschaft verwüstet.<br />

Dabei wird nichts ausgelassen. Der Kreativität<br />

der Zerstörung sind keine Grenzen gesetzt.<br />

Das Chaos bricht in die Ordnung ein.<br />

Rezas Stück parodiert den Kosmos der modernen,<br />

zivilisierten, bürgerlichen Gesellschaft<br />

und untersucht so deren Konfliktpotential. Das<br />

Stück läuft, vom Motor des Textes angetrieben,<br />

wie «geschmiert». Die treffsicheren Pointen<br />

sind platziert und ansprechend. Rhythmus und<br />

Ruhe, Nähe und Distanz sind die Pulsadern des<br />

Stücks. Gabriel Diaz und sein Ensemble zeigen<br />

die Gegensätze und Widersprüche, die bereits<br />

durch das originelle Bühnenbild eingeführt<br />

wurden. Die Situationskomik wird durch Rezas<br />

bissige Dialoge garantiert und in Rekurs<br />

auf unser aller Alltagserfahrung sowie auf die<br />

kleinen Nachbarschaftskämpfe verspricht die<br />

Berner Inszenierung von «Der Gott des Gemetzels»<br />

einen unterhaltsamen Theaterabend.<br />

Weitere Vorstellungen:<br />

05. Dezember: Vidmar1<br />

13. Dezember: Vidmar1<br />

19. Dezember: Vidmar1<br />

27. Dezember: Vidmar1<br />

08. Januar 2010: Vidmar1<br />

09. Januar 2010: Vidmar1<br />

Infos: www.stadttheaterbern.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 23


Tanz & Theater<br />

ROCCHIPEDIA<br />

«Bern ist mein Gotthard»<br />

Von Luca D’Alessandro Bild: Michael Stahl<br />

«RocCHipedia» ist eine Parodie auf die<br />

Entstehungsgeschichte der Eidgenossenschaft;<br />

eine Schweiz-Enzyklopädie<br />

aus der Feder des Kabarettisten Massimo<br />

Rocchi. Die Geschichte beginnt mit<br />

den drei Vertretern von Uri, Schwyz und<br />

Unterwalden, die sich auf der Rütliwiese<br />

«zum Brätlä» treffen und aus purer<br />

Geselligkeit – typisch schweizerisch<br />

– einen Verein gründen: die Eidgenossenschaft.<br />

Rocchi durchstreift die Ereignisse<br />

der vergangenen Jahrhunderte<br />

und bringt sie in Verbindung mit dem<br />

heutigen Schweizer Alltag – zu dem<br />

übrigens auch er gehört: Er legt seinen<br />

italienischen Mantel ab und zieht sich<br />

das Schweizer Trikot über.<br />

Massimo Rocchi hat sich mit der Kultur<br />

seiner neuen Heimat befasst wie kaum<br />

ein anderer. Er hat sich in die Bibliotheken<br />

und Archive begeben, Universitätsprofessoren<br />

um Rat gebeten und Museen besucht. Er<br />

ist eingetaucht in die Eigentümlichkeiten der<br />

Eidgenossenschaft, die geschichtlichen Ereignisse<br />

hat er bis ins letzte Detail studiert. Entstanden<br />

ist «RocCHipedia», eine Lektion der<br />

besonderen Art.<br />

In «RocCHipedia» lässt der Komiker keine<br />

Wissenschaft aus: Er nimmt die Konkordanz<br />

auf die Schippe, steckt Calvin und Zwingli in<br />

den Zwinger, analysiert Gesellschaft und Religion,<br />

Sport und Technik, Kunst und Kultur.<br />

Es ist eine Enzyklopädie, die uns in die Täler<br />

der Urschweiz führt, hinauf ins Gotthardmassiv,<br />

dann wieder hinunter nach Mailand,<br />

genauer nach Marignano, wo 1515 eidgenössische<br />

Söldner erfolglos das Herzogtum Mailand<br />

gegen ein übermächtiges französisches Heer<br />

verteidigten. «Seither leiden Schweizerinnen<br />

und Schweizer am Marignano-Komplex», so<br />

Rocchi, «die Geburtsstunde der Neutralitätspolitik.»<br />

Rocchi selbst hat einen Wandel vollzogen.<br />

War er 1994 in seinem Bühnenprogramm<br />

«Äuä» noch der überwältigte Italiener, der seine<br />

ersten Eindrücke vom Grenzübertritt Italien-<br />

Schweiz und die Begegnung mit den Bernern<br />

beschreibt, wandelte er sich in den darauf folgenden<br />

zehn Jahren zum Italo-Schweizer. Dieses<br />

Thema führte er in «Circo Massimo» aus.<br />

«RocCHipedia» vollendet die Trilogie: Rocchi<br />

macht den Schritt und wird Schweizer. «Rocchipedia<br />

war ein grosser Schritt für mich.»<br />

Ist das jetzt dein letzter gewesen?<br />

Ich weiss es nicht. Die Arbeit an «RocCHipedia»<br />

hat meine gegenwärtige Identität eindeutig<br />

definiert.<br />

Deine Identität als Kabarettist oder als<br />

Mensch?<br />

Ein Kabarettist bezieht sich immer auf das<br />

Leben. Er braucht die Fiktion, um sich mit der<br />

Realität zu konfrontieren. In «Äuä» thematisierte<br />

ich den typischen Italiener, in «Roc-<br />

CHipedia» hingegen lebe ich meine Rolle als<br />

Schweizer. Es brauchte Zeit, mich zu diesem<br />

Schritt zu überwinden, ganze sechzehn Jahre.<br />

Was ist deine Botschaft?<br />

Ich will zu meiner Aussage stehen und bekräftigen,<br />

Schweizer zu sein. Ich kann nicht<br />

den Schweizer Pass benutzen und gleichzeitig<br />

so tun, als wäre ich Franzose, Engländer oder<br />

Italiener. Ein Pass ist kein Taschentuch, das<br />

man sich bei Bedarf unter die Nase reibt. Er<br />

symbolisiert eine Identität. Immer bekomme<br />

ich von Italo-Schweizern zu hören: «Wir sind<br />

Italiener» oder «Ich fahre heim nach Italien».<br />

Mit solchen Äusserungen kann ich nichts anfangen.<br />

Ich lebe in der Schweiz, benutze die<br />

Infrastruktur, bezahle Steuern. Kurzum: Ich<br />

interagiere mit meinem Umfeld. Wenn ich also<br />

ins Ausland fahre, bekenne ich mich zu meiner<br />

Identität als Schweizer, zu den Privilegien<br />

und Rechten, die ich hier geniessen darf. Ich<br />

wünschte mir, alle Einwanderer, die heute in<br />

Italien leben, hätten ähnliche Privilegien. Das<br />

ist leider nicht der Fall. Sie dürfen sich am politischen<br />

Geschehen nicht beteiligen. Ich als<br />

24


Auslanditaliener habe quasi mehr Mitspracherecht<br />

als die Einwanderer in Italien. Das finde<br />

ich nicht gerecht.<br />

Wie ist diese Aussage in Zusammenhang<br />

mit «RocCHipedia» zu verstehen?<br />

Ich habe eine Bühnenshow verfasst, die<br />

sich nicht auf ein geografisches Territorium<br />

bezieht, sondern auf eine Kultur, die mich von<br />

Anfang an geschätzt hat. Diese Kultur wird von<br />

Menschen geprägt, die mir zugehört haben, als<br />

es schwer war, mich überhaupt zu verstehen.<br />

Zu ihr bekenne ich mich heute, obwohl es<br />

trendiger wäre zu sagen «I am English», «Je<br />

suis français» oder «Je suis marocain». Wenn<br />

wir sagen, wir seien Schweizer, geben wir<br />

uns bescheiden und erwecken den Eindruck,<br />

Bürger eines Zweitliga-Landes zu sein: Profiteure,<br />

geldbesessen, reich und protzig. Warum<br />

eigentlich? Wir leben in einem wunderbaren<br />

Land, das wir tagtäglich aufs Neue mitgestalten.<br />

In «RocCHipedia» will ich die Leute motivieren,<br />

sich als Teil der Schweiz zu sehen.<br />

Da fällt mir dein Leitspruch ein: «Es isch<br />

eso und fertig.»<br />

Ein Leitmotiv, das am Ende der aktuellen<br />

Show mit dem Satz «Es isch eso und faht ersch<br />

aa» durchbrochen wird. Wir Schweizer müssen<br />

selbstbewusster werden und nach vorne schauen.<br />

Sind es externe Faktoren, die dich dazu<br />

bringen, dich so deutlich zur Schweiz zu bekennen?<br />

Unter anderem auch. Es gibt Menschen in<br />

Italien, die – wenn ich sie sehe – immer wieder<br />

behaupten: «Für euch in der Schweiz ist alles<br />

einfach». Ich bin Schauspieler, ich gehe nicht<br />

um halb zehn in eine Bar, um es mir bei einem<br />

Cornetto und Cappuccino gut gehen zu lassen.<br />

Ich stehe um halb sieben auf und beginne zu<br />

arbeiten. In der Schweiz ist nichts einfach, du<br />

musst etwas leisten. Es ist ein Land mit einer<br />

starken sozialen Kultur und das Denken ist<br />

gemeinhin liberal. Als Einwanderer habe ich<br />

erleben dürfen, wie gut ich in der Schweiz aufgenommen<br />

worden bin.<br />

Trotzdem: Schweiz ist nicht gleich Schweiz.<br />

Am deutlichsten sind die Unterschiede entlang<br />

der Sprachgrenzen erkennbar…<br />

…das ist korrekt…<br />

…und nächstens wirst du im Théâtre Boulimie<br />

in Lausanne auf der Bühne stehen. Wirst<br />

du da dieselben Anekdoten bringen wie in <strong>Zürich</strong>?<br />

Wieso nicht? Ich spreche überall von denselben<br />

Dingen – sowohl in der Westschweiz,<br />

als auch in <strong>Zürich</strong> oder in Bern. Da mache<br />

ich keinen Unterschied. Wenn ich in <strong>Zürich</strong><br />

einen Witz über die Romandie mache, werde<br />

ich diesen auch in Lausanne bringen. Wir<br />

müssen aufhören, allbekannte Klischees unter<br />

den Teppich zu kehren. Es gibt sie ja! Es ist<br />

notwendig, dass darüber geredet wird. Ich setze<br />

mich für den offenen Dialog ein. Ich habe<br />

schwarzafrikanische Freunde, die mir gegenüber<br />

immer wieder betonen «I am black». Ich<br />

antworte jeweils «Schatz, ig bi e Tschingg.» Solange<br />

ich nämlich von mir selbst behaupte, ein<br />

«Tschingg» zu sein, kann mein Gegenüber das<br />

nicht mehr sagen. Ich sage es ja selbst.<br />

Willst du damit einer möglichen Beleidigung<br />

zuvorkommen?<br />

Ich will die Worte befreien – die Angst wegnehmen.<br />

Welche Angst?<br />

In der Schweiz hat man stets das Gefühl,<br />

sich für alles rechtfertigen zu müssen. In<br />

«RocCHipedia» spreche ich vom «Marignano-<br />

Komplex», sprich: sich nirgends einmischen<br />

wollen und es möglichst allen Recht machen.<br />

Wieso diese Bescheidenheit? Die Schweiz war<br />

im neunzehnten Jahrhundert eines der ersten<br />

Länder, das Eisenbahnlinien gebaut hat und<br />

heute über ein vorbildliches ÖV-Netz verfügt.<br />

Wir dürfen zu dem stehen, was wir sind.<br />

Dann würdest du also behaupten, in der<br />

Schweiz funktioniere alles reibungslos?<br />

Nein, nicht alles. Aber es funktioniert – «ça<br />

marche.»<br />

Und in Italien?<br />

Italien ist mir egal. Wenn ein Volk dreimal<br />

denselben Premierminister an die Macht stellt,<br />

liegt das Problem nicht in der gewählten Person,<br />

sondern im Land selbst. Ich mag nicht<br />

über ihn sprechen, denn er interessiert mich<br />

nicht. Ich habe mein Zuhause in Basel gefunden,<br />

wo ich meine eigene Kultur erschaffen<br />

durfte. Alle Italiener, die in der Schweiz leben,<br />

haben sich ihre eigene Kultur geschaffen. Sie<br />

sind Schweizer.<br />

Trotzdem werden sie im Alltag als Italiener<br />

gesehen.<br />

Das mag sein, aber sie verhalten sich wie<br />

Schweizer. Sie stehen um halb sieben Uhr auf,<br />

fahren zur Arbeit, gehen am Abend ins Kino<br />

oder ins Theater.<br />

Dich zieht es schon bald nach Bern. Für Dezember<br />

und Januar sind Auftritte im «Zelt» geplant.<br />

Welche Bedeutung hat Bern für dich?<br />

Ah, Bern! Ich liebe es. Hier hat alles angefangen.<br />

Bern ist mein Gotthard.<br />

Infos: www.massimorocchi.ch<br />

Viele Aufführungen von Massimo Rocchi sind<br />

ausverkauft. Hier hat es noch Tickets:<br />

Donnerstag 17.12 / 20 h<br />

Kursaal, Interlaken<br />

Freitag 15.01 / 20 h<br />

Casino, Frauenfeld<br />

Montag 18.01 & Dienstag 19.01. / 20 h<br />

Das Zelt, Langenthal<br />

Freitag 22.01 / 20 h<br />

Bürenmatte, Suhr<br />

Samstag 23.01 20 h & Sonntag 24.01. / 18 h<br />

Kreuz, Jona-Rapperswil<br />

Freitag 29.01 / 20 h<br />

Das Zelt, Lenk<br />

INSOMNIA<br />

Von Eva Pfirter<br />

DÄHEI<br />

Jeweils ab der dritten Stunde, in der ich<br />

durch <strong>Zürich</strong>s Strassen schlendere, überfällt<br />

mich der unerklärliche Drang, den Zug<br />

Richtung Bern zu besteigen. Ich denke zwar<br />

daran, dass ich noch ins Landesmuseum könnte,<br />

dass ich noch dieses und jenes sollte – aber<br />

ich tue es nicht. Plötzlich überkommt mich<br />

die Sehnsucht nach Bern, nach den Strassen<br />

von Bern, nach der Sonne von Bern, nach dem<br />

Licht von Bern. Warum? Jedes Mal, wenn ich<br />

im Hirschengraben ankomme, frage ich mich<br />

das: Warum? Warum kann ich hier ankommen?<br />

Was macht Bern aus? Was macht dieses<br />

Gefühl von Zuhause, von «dähei» aus?<br />

Das Zuhause ist nicht nur der Ort, wo unser<br />

Bett steht und ein paar gute Freunde wohnen.<br />

Es ist mehr als das. Das richtige Zuhause ist<br />

ein Ort, wo wir uns auch bei den Menschen in<br />

den Strassen zu Hause fühlen. Zumindest bei<br />

den meisten von ihnen.<br />

Von diesem Ort gibt es manchmal mehr als<br />

nur einen, aber doch nur ganz, ganz wenige.<br />

Denn es ist eine geheimnisvolle Mischung, die<br />

das Gefühl von «dähei» ausmacht. Es ist die<br />

Art, wie die Luft in der Abendsonne flimmert,<br />

es ist das Rattern des Trams, das gemächlich<br />

um die Ecke biegt, es ist das Gesicht der<br />

Bäckersfrau, die uns wohlwollend anschaut,<br />

wenn wir ihr am Morgen in Trainerhosen und<br />

ungekämmt begegnen. Es ist die hügelige<br />

Landschaft, in der wir uns geborgen fühlen, es<br />

ist die Art, wie der Mond vom Himmel scheint,<br />

es sind die Fussgänger, die uns nicht hastig<br />

abdrängen von unserem Plätzchen auf dem<br />

Trottoir. Es ist der Geruch der Aare, der in<br />

der Luft hängt, es ist das Lachen der Kinder<br />

in der Quartierstrasse, es ist der Duft des Kaffees<br />

unserer Lieblingsbar.<br />

Es mag pathetisch klingen, aber der Ort,<br />

den wir Zuhause nennen, ist derjenige, an dem<br />

unsere Seele ankommen kann. Milan Kundera<br />

hat so Liebe definiert: Wenn die Seele an die<br />

Oberfläche des Körpers steigt. Ich glaube, bei<br />

dem Ort unseres Herzens ist es genau so: Die<br />

Seele schaut vorsichtig hinter dem Ohrläppchen<br />

hervor, weil es ihr wohl ist, weil sie sich<br />

strecken und recken kann.<br />

Manchmal gibt es zwei dieser Orte auf der<br />

Welt und jedes Mal, wenn man den einen verlässt,<br />

zieht es in der Brust und man hätte Lust,<br />

sich unter einem Rockzipfel zu verstecken<br />

und nicht mehr fortgehen zu müssen. Und<br />

doch gehen wir immer wieder fort und das ist<br />

auch gut so. Denn irgendwo da draussen liegt<br />

vielleicht ein anderes Fleckchen Erde, das uns<br />

ganz unverhofft ankommen und bleiben lässt.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 25


KONZERTE<br />

IM PROGR<br />

CabaneB<br />

Mühledorfstr. 18<br />

3018 Bern<br />

1. – 24.<br />

Dezember<br />

HKB<br />

Adventskalender<br />

Jazz, Weltmusik, neues Songwriting und Elektronik: bei bee-flat<br />

prägen schweizer ische und internationale Bands ein Live-Programm,<br />

das Innovation und Qualität bietet – jeden Mittwoch und jeden<br />

Sonntag in einem der stimmungsvollsten Lokale in Berns Stadtmitte.<br />

02.12.09 Selah Sue (Belgium) / Aliose (CH)<br />

04.12.09 Electronic Tribal Dancefloor<br />

06.12.09 Hell's Kitchen (CH)<br />

09.12.09 In The Country (Norway)<br />

13.12.09 Dhafer Youssef Quartet (Tunisia)<br />

16.12.09 Emily Loizeau (France)<br />

20.12.09 Hildegaard lernt fliegen (CH)<br />

23.12.09 Feigenwinter 3 (CH)<br />

27.12.09 Erika Stucky – Bubbles & Bangs (CH)<br />

06.01.10 Stefan Aeby Trio (CH)<br />

08.01.10 Electronic Tribal Dancefloor<br />

10.01.10 Rupa & The April Fishes (USA)<br />

13.01.10 Eivind Aarset Sonic Codex 4tet (Norway)<br />

17.01.10 Fatoumata Diawara (Mali)<br />

20.01.10 Anna Aaron (CH)<br />

24.01.10 Gutbucket (USA)<br />

27.01.10 Filewile (CH)<br />

31.01.10 New Generation Orchestra (CH)<br />

dezembern<br />

adventen<br />

plattformen<br />

cabanen<br />

Studierende der HKB adventen in<br />

der CabaneB. An 24 Tagen<br />

öffnen sie deren Pforte für 24 überraschende<br />

Einblicke in Musik,<br />

Medienkunst, Literatur, Bildende<br />

Kunst oder Visuelle Kommunikation.<br />

Dezembern Sie mit und lassen<br />

Sie sich verzaubern.<br />

Details unter:<br />

www.hkb.bfh.ch<br />

www.cabaneb.ch<br />

Konzertort: Turnhalle im PROGR<br />

Speichergasse 4<br />

3011 Bern<br />

Programminfos: www.bee-flat.ch<br />

Vorverkauf/Tickets:<br />

www.starticket.ch<br />

www.petzi.ch<br />

OLMO Ticket,<br />

Zeughausgasse 14, 3011 Bern


Music & Sounds<br />

Music & Sounds<br />

SZENE BERN<br />

15 Jahre Subversiv Records<br />

Ich weiss ja nicht, wie es Ihnen geht, wenn<br />

Sie sich so richtig in ein Thema reinknien -<br />

bei mir besteht immer die Gefahr, dass mir das<br />

eine oder andere dann auch verleidet. Momentan<br />

geht es mir mit meiner Musik so. Sie ist<br />

mir über, es tönt gerade alles gleich. Soul, Jazz,<br />

Hip-Hop: na ja... Gähhhn. Und weil die Welt irgendwie<br />

doch ganz gut eingerichtet scheint,<br />

komme ich auf Umwegen dazu, einen Artikel<br />

zu schreiben, der sich um ein Label dreht, das<br />

all den Sound vertritt, von dem ich keine Ahnung<br />

habe. Subversiv Records wird fünfzehn<br />

Jahre alt und ich muss - damit ich nicht ganz<br />

unwissend bin - Musik hören, die mir die Zähne<br />

zum Flattern bringt. Es ist ein Riesenspass,<br />

sag ich Ihnen. Ich schlage mir hier lauter Genres<br />

um die Ohren, die ich in keinster Weise<br />

zuordnen kann, mir fehlt jede Referenz, ich<br />

drehe die Anlage auf und lasse mir von Gitarren,<br />

Schlagzeug, Bass und rauen Stimmen das<br />

Testosteron erklären.<br />

Ziel eines jeden Labels, welches mehr als<br />

einen Musikstil vertritt, ist es wohl, die geneigten<br />

Zuhörer ein wenig aufzuknöpfen und einen<br />

Musikgeschmack soweit auszudehnen, dass<br />

mehrere Stilrichtungen darin Platz finden. Im<br />

besten Fall ist ein Label eine Qualitätsgarantie,<br />

welches allen Musikliebenden ermöglicht, im<br />

heutigen Überfluss zu ihrem Stoff zu kommen,<br />

ohne sich gross zu verfransen. Auch wenn Musik<br />

zum festen Bestandteil fast jeden Alltags<br />

gehört, ist es abseits vom Mainstream extrem<br />

schwierig, sich zurechtzufinden. Die Suche<br />

nach guter Musik wird also durch das Label<br />

Von Ruth Kofmel Bild: zVg.<br />

des Vertrauens enorm erleichtert und Subversiv<br />

Records ist ganz offensichtlich eines dieser<br />

Labels, welches sogar Novizinnen innerhalb eines<br />

Nachmittags dazu bringt, mit dem festen<br />

Vorhaben durch die Welt zu gehen, mehr «so<br />

Gitarremusig» zu hören.<br />

Angefangen hat das alles aber natürlich viel<br />

bescheidener: Wie tönen Berge eigentlich?<br />

Massiv. Kein Wunder also, verschreibt sich<br />

eine Horde Teenager, umgeben von hohen Gipfeln,<br />

massiver Musik. Subversiv Records fand<br />

seinen Anfang auf einem Pausenhof im Berner<br />

Oberland, dort war die Tauschbörse für Kassetten<br />

mit Musik der härteren Gangart. Es musste<br />

anders klingen als das übliche Pop-Rock-Gesäusel,<br />

welches einem Teenager in ländlichen<br />

Schweizer Regionen Mitte der Neunzigerjahre<br />

serviert wurde. Am besten war Musik aus Amerika;<br />

wo Grosses auch gross klingt. Rund zehn<br />

Jungs fanden sich also zusammen - aber nur<br />

Musik zu hören und darüber zu lesen reichte<br />

als ernstzunehmende Revolution gegen das Alteingesessene<br />

nicht aus und sie wollten selbst<br />

Hand anlegen. Also fuhren sie nach Bern, kauften<br />

ein paar Instrumente und legten los. So entstanden<br />

zwei Bands: Unhold und Amokadatum,<br />

sie spielten bald die ersten Konzerte, und auf<br />

Kassetten aufgenommen und vervielfältigt wurden<br />

diese ihren Fans zugänglich gemacht; das<br />

Grafiktalent unter ihnen erschuf ein zeitloses<br />

Sujet - Subversiv Records war aus der Wiege<br />

gehoben. Dieser eingeschworene Kreis huldigte<br />

der Musik und weitete sich im Verlauf der<br />

Jahre von den Höhen aus in die Niederungen.<br />

In den Jugendtagen wurde das Fundament gelegt<br />

und man war mit Feuereifer, Improvisation<br />

und durchwachten Nächten mit dabei. Das Anderssein<br />

war Programm, dem Untergrund anzugehören<br />

ist es gewissermassen immer noch.<br />

Die Lebensläufe der Bergbuben entwickelten<br />

sich selbstverständlich in verschiedene Richtungen,<br />

ein harter Kern hat aber die fünfzehn<br />

Jahre überdauert und ist mit ungebrochener<br />

Energie am Werke. Dazu gehören Dani Fischer<br />

und Philipp Thöni, die zwei «Chefs» von Subversiv<br />

Records.<br />

Für viele stellt sich einmal die Frage, wie<br />

es mit den jugendlichen Passionen weiter geht:<br />

Entweder abgeklärt werden oder aber die Idee<br />

verfolgen, das Feuer weiter brennen lassen.<br />

Professioneller versteht sich, organisierter,<br />

vielleicht etwas vernünftiger - aber es ist immer<br />

noch dasselbe Feuer und es schlägt einem im<br />

Gespräch mit Dani auch ungebremst entgegen.<br />

Der Treibstoff ist an diesem Abend Koffein in<br />

seinen verschiedenen Erscheinungsformen, die<br />

Sätze sprudeln und zwischendurch eignet sich<br />

ein Holzstäbchen und ein Glas optimal, um die<br />

Erzählungen nebenbei mit kleinen Rhythmen<br />

zu unterlegen. Dani erzählt davon, wie das Label<br />

kontinuierlich gewachsen ist. Wie er mit<br />

24 Jahren nicht mehr in der Bank, sondern<br />

im Plattenladen arbeiten wollte und das auch<br />

tat. Wie er immer mehr über Musik lernte und<br />

lernte, seinem Gespür für Qualität zu vertrauen.<br />

Wie er sich immer noch die Nächte um die<br />

Ohren schlägt, um Bands zu hören, die vielleicht<br />

auf das Label passen würden. Kurz: Er<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 27


Music & Sounds<br />

erzählt davon, wie er die Musik zu seinem Lebensinhalt<br />

gemacht hat. Wie sein Alltag davon<br />

durchdrungen ist, das Private ins Berufliche<br />

spielt und umgekehrt, er also eigentlich immer<br />

mehr oder weniger am Arbeiten ist - es klingt<br />

anstrengend und sehr, sehr spannend.<br />

Der zweite im Bunde, Philipp Thöni, ist einerseits<br />

als Grafiker eine bestehende Grösse<br />

und widmet sich andererseits mit ebenso viel<br />

Begeisterung der Musik. Bei der Labelarbeit<br />

ist er vor allem für den visuellen Auftritt zuständig,<br />

berät, setzt um und hilft auch sonst<br />

wo er kann. Grafik und Musik sind für ihn eng<br />

verknüpft, genaustes Analysieren der Plattencover<br />

gehörte für ihn von Anfang an dazu und<br />

hat seinen Zeichenstil massgeblich geprägt.<br />

Auch für ihn war es immer Ziel und Wunsch,<br />

die Musik fest in seinem Leben verankert zu<br />

wissen, auch er lebt ein Leben, dass sich nicht<br />

in Arbeit und Freizeit einteilen lässt - es sind<br />

lediglich verschiedene Formen der Umsetzung<br />

von Gedanken und Empfindungen. Philipp<br />

kommt ins Philosophieren, wenn er nach den<br />

Beweggründen für das fünfzehnjährige Bestehen<br />

sucht: Es sei eine Eigenart von ihnen,<br />

dieser Zusammenhalt, das Weitermachen, wohl<br />

auch eine gewisse Sturheit; und es sei auch<br />

nicht immer lustig, aber je länger man dabei<br />

sei, desto mehr fühle man sich irgendwie auch<br />

verpflichtet und zugehörig - ganz ähnlich einer<br />

Familie.<br />

Selbstverständlich muss auch die Familienfeier<br />

zum Fünfzehnten mächtig werden. Mehrere<br />

Nächte lang gibt es in der Stadt Bern einen<br />

regelrechten Subversiv-Marathon, praktisch<br />

alle Bands des Labels werden im Verlauf dieses<br />

Wochenendes ihre Verstärker hochschrauben<br />

und in alles reinhauen, was da an Tasten, Saiten,<br />

Klangkörpern zur Verfügung steht, Stimmorgane<br />

frohgemut in den Ruin treiben und dem<br />

lieben Gott Musik seine Ehre erweisen. Damit<br />

auch der visuelle Hunger gestillt wird, ist ein<br />

abendfüllender Film abgedreht, der die Labelgeschichte<br />

nacherzählt: «Unter Strom» von Jan<br />

Mühlethaler und Matthias Hämmerly ist eine<br />

Collage von altem und neuem Filmmaterial aus<br />

der Subversiv-Welt und dürfte für Neulinge wie<br />

alte Hasen ein wahrer Leckerbissen sein.<br />

JAZZ MUSIK<br />

Das Monster von Loson<br />

Interview: Luca D’Alessandro Bild: zVg.<br />

Der Tessiner Pianist Gabriele Pezzoli<br />

kommt ins Moods nach <strong>Zürich</strong>. Am 22.<br />

Dezember stellt er gemeinsam mit Cédric<br />

Gysler am Bass und Roberto Titocci<br />

am Schlagzeug sein Konzept eines<br />

Rendez-vous vor. Das gleichnamige Album<br />

führt er mit im Gepäck.<br />

Am Lago Maggiore lebt ein Monster – «il<br />

mostro del pianoforte», wie der Jazzpianist<br />

aus Losone, Gabriele Pezzoli, in Tessiner<br />

Jazzkreisen hochachtungsvoll bezeichnet wird.<br />

Nach Abschluss seines Musikstudiums in Lausanne<br />

macht sich der Tessiner gemeinsam mit<br />

dem Kontrabassisten Cédric Gysler und dem<br />

Schlagzeuger Roberto Titocci auf, um schrittweise<br />

die Jazzbühnen im Tessin und Norditalien<br />

zu erobern. Das Unterfangen gelingt. So gut,<br />

dass das Montreux Jazz Label Gefallen an Pezzoli<br />

findet und die Kosten für die Produktion<br />

zweier Tonträger übernimmt. «Rendez-vous»,<br />

das zweite Album, ist seit April 2009 auf dem<br />

Markt und setzt im Bereich des Piano-Jazz<br />

neue Massstäbe.<br />

ensuite - kulturmagazin hat sich das Album<br />

geschnappt und sich über das Coverbild mit<br />

dem kargen Baum und den daran hängenden<br />

roten Pullis gewundert. Gabriele Pezzoli half<br />

mit bei der Deutung des Bildes und gab mit<br />

seinen Argumenten einen Vorgeschmack auf<br />

das bevorstehende Konzert im Moods in <strong>Zürich</strong>.<br />

ensuite - kulturmagazin: Gabriele Pezzoli,<br />

das Feedback auf dein Album ist – durchs Band<br />

weg – positiv. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?<br />

Gabriele Pezzoli: Vermutlich hat das mit der<br />

ausserordentlich guten Qualität der Aufnahmen<br />

zu tun.<br />

Du gibst dich bescheiden. Die musikalische<br />

Substanz ist doch auch was Wert.<br />

Natürlich, ich möchte jedoch die Qualität<br />

der Aufnahmen hervorheben. Diese sind im Artesuono<br />

Recording Studio in Udine, Norditalien,<br />

entstanden. Artesuono ist eines der besten<br />

Aufnahmestudios überhaupt in Europa, dessen<br />

Besitzer, Stefano Amerio, sich im Gebiet der<br />

Akustikaufnahmen einen Namen gemacht hat<br />

und genau weiss, worauf es ankommt.<br />

Im Albumbooklet ist ein weiteres Studio erwähnt:<br />

Das Canaa Studio in Losone, deiner Heimatgemeinde.<br />

Gehört das dir?<br />

Nein, Mauro Fiero. Im Canaa haben Roberto<br />

Titocci, Cédric Gysler und ich den Feinschliff<br />

gemacht, also jenes Material, welches wir in<br />

Udine aufgenommen hatten, gestrafft und passend<br />

zusammengefügt. Am Ende ist das entstanden,<br />

was wir uns vorstellten.<br />

Das wäre?<br />

Die Vertonung unseres Konzepts einer Begegnung<br />

– eines Rendez-vous.<br />

In deinem Fall keine einfache Aufgabe: Jedes<br />

Mitglied des Trios lebt in einer anderen Schweizer<br />

Stadt.<br />

Cédric Gysler und Roberto Titocci haben<br />

mit mir in Lausanne Musik studiert. Bereits<br />

während des Studiums arbeiteten wir gemeinsam<br />

in verschiedenen Projekten. Danach trennten<br />

sich zwar unsere Wege, trotzdem ist der<br />

Kontakt geblieben. Wir pflegen einen regen<br />

Austausch, dies mithilfe der modernen Kommunikationsmittel.<br />

Man könnte demzufolge behaupten, dass die<br />

CD «Rendez-vous» die Begegnung unter euch<br />

Musikern versinnbildlicht?<br />

Durchaus. In einem Rendez-vous fliessen<br />

verschiedene Energien zusammen. Zwei oder<br />

mehrere Personen beschliessen, sich zu treffen,<br />

mit der Absicht, Erlebtes und Bevorstehendes<br />

zu diskutieren. Dafür legen sie einen Termin<br />

28


fest. Ob das Rendez-vous am Ende telefonisch,<br />

übers Internet oder an einem definierten Ort<br />

stattfindet, ist sekundär. Einzig der Zeitpunkt<br />

muss harmonieren.<br />

Und vermutlich auch der Inhalt der Diskussion.<br />

Am Anfang nein, am Ende ja. Wenn wir<br />

uns treffen, geht es erst einmal darum, unsere<br />

Ideen und Visionen, seien sie noch so unterschiedlich,<br />

unter einen Hut zu bringen. Das ist<br />

gar nicht so einfach, der Nebeneffekt aber ist<br />

sehr positiv: Die Kreativität geht uns nicht aus,<br />

dadurch sind auch unsere Konzerte nie gleich.<br />

Es gibt kaum etwas, das wir vorhersagen könnten.<br />

Die Improvisation geniessen wir in vollen<br />

Zügen.<br />

Auch eine Improvisation muss nach einem<br />

vordefinierten Schema ablaufen.<br />

Den Pfad, den wir an unseren Konzerten<br />

begehen, geben wir in den ersten drei Tönen<br />

vor. Wir definieren einen Startpunkt und<br />

der Rest ergibt sich von selbst. Wir sind ein<br />

eingespieltes Team, hören uns zu, jeder wagt<br />

einen Schritt nach vorne, dann wieder einen<br />

zurück. Schritt für Schritt entsteht aus dieser<br />

Arbeit eine Geschichte, von der nicht einmal<br />

wir wissen, wie sie enden wird. Die Stimmung<br />

während des Konzerts beeinflusst diesen Weg<br />

wesentlich.<br />

Zuerst kommt also die Stimmung und dann<br />

die Geschichte?<br />

So ist es.<br />

Eure scheint eine abstrakte Geschichte zu<br />

sein. Beim Betrachten des Albumcover fällt ein<br />

Baum ohne Blätter auf. An ihm hängen vier rote<br />

Pullis. Das Ganze macht einen bedrückten Eindruck.<br />

Nein, das finde ich nicht. Ein Baum, der<br />

keine Blätter trägt, kann voller Hoffnung sein.<br />

Die Hoffnung, dass etwas wachsen wird, oder<br />

anders gesagt, dass aus diesem leblosen Zue<br />

stand Leben entsteht. Ehrlich gesagt, weiss ich<br />

auch nicht, weshalb wir uns am Ende für dieses<br />

Coverbild entschlossen haben. Vermutlich deshalb,<br />

weil das Bild während der Produktion des<br />

Albums die hitzigsten Diskussionen entfacht<br />

hat. Oftmals haben wir uns gefragt: «Weshalb<br />

spricht uns dieses Bild so an? Weshalb hängen<br />

an ihm vier Pullis und nicht drei? Wir sind<br />

doch ein Trio.»<br />

Habt ihr eine Antwort auf eure Fragen gefunden?<br />

Für mich steht der vierte Pulli für all die<br />

Leute, die wir auf unserem musikalischen Weg<br />

getroffen haben und in Zukunft treffen werden:<br />

Journalisten, Tour-Manager, Techniker, Publikum.<br />

Wer auch immer: Für mich ist das Cover<br />

das perfekte Symbol eines «Rendez-vous».<br />

Gabriele Pezzoli Trio in concert<br />

22. Dezember: Gabriele Pezzoli Trio.<br />

Moods im Schiffbau, <strong>Zürich</strong>, 20:30h<br />

Diskographie<br />

Rendez-vous, 2009 (TCB)<br />

Improvviso, 2006 (TCB)<br />

Infos: www.tcb.ch<br />

Celtic<br />

tunes<br />

Neujahrskonzert<br />

Sa, 02. Januar 2010<br />

17h00, Kultur-Casino Bern<br />

Andrey Boreyko Dirigent<br />

Máiréad Nesbitt, Celtic Violin<br />

Christian Holenstein, Horn<br />

Michael Reid<br />

Dudelsack<br />

Emilie und<br />

Sophie Rupp<br />

Tap-Dancers<br />

Karl Nesbitt<br />

Flöte, Low Whistle, Bouzouki,<br />

Bodhrán<br />

Werke von:<br />

Mendessohn, Balfe<br />

Gould, McNeely, Downes<br />

Sir Arnold, Sir Davies,<br />

O’Foghl<br />

«Wahlverwandtschaften»<br />

Das Abonnement<br />

Für BSO-Chefdirigent Andrey Boreyko<br />

sind Seele und Mentalität von Mozart,<br />

Tschaikowsky und Strawinsky sehr eng<br />

miteinander verbunden. Ab Januar 2010<br />

geht er diesen Bezügen in drei Konzerten unter<br />

dem Titel «Wahlverwandtschaften» nach.<br />

Folgen Sie dieser musikalischen Entdeckungsreise:<br />

Sie werden die «Wahlverwandtschaften» besonders<br />

eindrücklich erleben, wenn Sie alle<br />

drei Konzerte besuchen – deshalb gibt es sie<br />

auch im Abonnement mit 15% Rabatt<br />

zum Einzelkartenpreis!<br />

Alle Infos unter:<br />

www.bernorchester.ch<br />

Beratung und Verkauf bei:<br />

Bern Billett, T: 031 329 52 52<br />

www.bernbillett.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 29


«...das S<br />

verzaubern<br />

passion<br />

Ingo Becker, Jahrgang 1944, ist im damaligen<br />

Ost-Berlin aufgewachsen, ab 1958 in<br />

West-Berlin, wo er nach vielen beruflichen<br />

Umwegen ab 1966 an der Musikhochschule<br />

Fagott studierte. 1971 erhielt er seine erste<br />

Orchester-Stelle in Biel, von 1974-2009 war<br />

er Solo-Fagottist im Berner Symphonieorchester.<br />

In diesen langen Orchesterjahren<br />

entfaltete er neben seinem musikalischen<br />

Einsatz eine rege Anteilnahme am Geschick<br />

des BSO mit gewerkschaftlich-hoffnungsvollem<br />

Engagement.<br />

Während mehr als 25 Jahren wirkte er an<br />

der Musikschule Konservatorium Bern und<br />

an der Berner Musikhochschule als Lehrer<br />

für Fagott. Als Mitbegründer des Ensembles<br />

«Die Schweizer Bläser-Solisten» hat er zahlreiche<br />

Bearbeitungen für Bläserensembles<br />

verfasst. Seit 1994 leitet er das Jugend-Sinfonieorchester<br />

des Konservatoriums Bern.<br />

Ingo Becker, mit dem Eintritt in das Bieler<br />

Symphonieorchester hast du deine Laufbahn<br />

als Fagottist begonnen. Das war im Jahre 1971.<br />

Ende 2009 verlässt du als alternierender Solo-<br />

Fagottist das Berner Symphonieorchester (BSO).<br />

Das Erreichen des Pensionsalters erlaubt dir einen<br />

Rückblick auf eine beträchtliche Zeitspanne.<br />

Welche Veränderungen des Phänomens Symphonieorchester<br />

ortest du von 1971 bis 2009?<br />

Ingo Becker: Möglicherweise erleben wir einen<br />

Bedeutungsverlust der klassischen Musik,<br />

der Rechtfertigungsdruck fürs BSO war jedenfalls<br />

noch nie so gross wie jetzt, und die Gewissheiten<br />

von damals schwinden (was ja auch<br />

schon unseren Vorgängern auffiel).<br />

Auch bei meinem Start in Bern war das Orchester<br />

keine Insel der Seligen, aber alles war<br />

schön übersichtlich. Heute ist der Musikkonsum<br />

deutlich anders, wir können auf «YouTube»<br />

sehen, wie unterschiedlich weltweit Musik<br />

gemacht wird, und wir stehen vor der Frage,<br />

mit welchen Attraktionen man den Zuhörer<br />

aufhorchen lassen kann.<br />

Deine Ehefrau Elisabeth Becker-Grimm<br />

führt ihre anspruchsvolle Arbeit als Mitglied<br />

des Registers der 1. Violinen im BSO weiter. Du<br />

bist ein Experte für die Anforderungen, die an<br />

einen Solisten eines Symphonieorchesters gestellt<br />

werden. Jedes Orchestermitglied kennt<br />

den Dualismus Solo-Tutti. Wie definierst du ihn<br />

gegenüber einem breiteren Publikum?<br />

Unsere interne Hierarchie ist dem Publikum<br />

ziemlich egal. Wichtig war mir immer die<br />

Anerkennung für die Kollegen im Tutti, die<br />

im Gegensatz zu uns Bläsern alles gemeinsam<br />

spielen müssen, sie müssen eine unglaubliche<br />

Anpassungsleistung an ihre Gruppe zeigen. Dafür<br />

ernten sie aber immer wieder Missachtung<br />

durch die Dirigenten, die hinteren Pulte werden<br />

ja kaum wahrgenommen. Als Solobläser ist<br />

man privilegiert, man darf Impulse setzen und<br />

sich wichtig fühlen, und nach einer exponierten<br />

Stelle gibt es ein freundliches «Bravo!» der<br />

Kollegen und einen dankbaren Blick meiner<br />

Frau. Anders an schlechten Tagen: Da bläst<br />

man so schön ins Instrument und es kommt so<br />

scheusslich raus!<br />

In deinem Register arbeitet Monika Schneider<br />

als gleichberechtigte Partnerin. Wenn man<br />

euch auf dem Konzertpodium zuhört – aber<br />

30 ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09


INGO BECKER<br />

ymphonieorchester als<br />

der Klangkörper, ein Ort<br />

ierter Konzentration»<br />

Interview: Karl Schüpbach Bild: zVg.<br />

auch zusieht – fällt eine grosse Übereinstimmung<br />

auf, wie zuletzt während des Konzertes<br />

für Orchester von Bela Bartok. Welches sind<br />

die Bedingungen für eine solche Harmonie zwischen<br />

zwei Musikern in einer Position, die bestimmt<br />

auch ihre Probleme beinhaltet?<br />

Diese als verschworen erlebten Orchestermomente,<br />

wenn es zwischen zwei Kollegen<br />

kammermusikalisch knistert, sind unbeschreiblich!<br />

Das Sich-Zuspielen, der musikalisch inspirierte<br />

Dialog, der ja in die Partituren hineinkomponiert<br />

wurde – das schafft Euphorie und<br />

Dankbarkeit, umso mehr, wenn die Kollegin<br />

etwas vom Tuten und Blasen versteht. Zuhören<br />

können, aufeinander eingehen, sich anpassen:<br />

Wir Orchestermusiker müssten doch eigentlich<br />

die perfekten Lebens-Partner sein!<br />

Das BSO ist ein Konzertorchester, das einen<br />

Teil seiner Arbeit als Opernorchester im Stadttheater<br />

Bern leistet. Wie hast du diese Doppelbelastung<br />

empfunden?<br />

Das war eher ein doppeltes Glück, in diesen<br />

beiden Welten zu spielen. Schon der Blick hoch<br />

in die 1. Reihe, und das Publikum strahlen oder<br />

heulen sehen! «Figaros Hochzeit», «Salome»,<br />

«Falstaff» sind selbst für uns Kellerkinder im<br />

Orchestergraben ein Fest mit grossen Gefühlen.<br />

Der Wahnsinn auf der Opernbühne, das<br />

herzerweichende Singen (und die verschleppten<br />

Tempi) dringen ja zu uns durch. Regenerierend<br />

sind dann wieder die Ansprüche auf dem<br />

Konzert-Podium: Hier geht es um musikalische<br />

Inhalte, um das Symphonieorchester als verzaubernder<br />

Klangkörper, ein Ort passionierter<br />

Konzentration.<br />

Als Leiter des Jugend-Sinfonieorchesters des<br />

Konservatoriums Bern leistest du Jugendarbeit<br />

und du hast dadurch Einblick in Probleme, die<br />

unsere Jugend beschäftigen. Wie erklärst du<br />

dir die enorme Spannbreite zwischen höchstem<br />

Engagement – wie bei deinen jungen Musikerinnen<br />

und Musikern – und sinnloser, stetig zunehmender<br />

Gewaltbereitschaft der heranwachsenden<br />

Generation?<br />

Diese (männliche!) Generation wächst in<br />

einer gewalttätigen Welt auf, aber es gibt ja<br />

Hoffnung: Viele Projekte, die die Jugend an die<br />

Musik heranführen, zzum Beispiel Menuhins<br />

«MUSE» oder die Sistema-Bewegung in Venezuela<br />

(«Gib mir deine Pistole und ich gebe dir<br />

eine Geige»). Wir müssen allen Eltern und Erziehern<br />

dankbar sein, wenn sie die Kinder instrumental<br />

fördern können. Und ich erlebe junge<br />

Leute, die mit glühenden Ohren richtig ernste,<br />

grosse Kunst machen wollen - Kunst nicht<br />

als Schmerzmittel fürs falsche Leben, sondern<br />

als Schlüssel zur Überhöhung und Grenzerfahrung.<br />

Etwas weniger geschwollen: Sie suchen<br />

die Lust am Zusammenspiel und entwickeln<br />

beträchtlichen Stolz aufs eigene Orchester.<br />

Zurück zum Orchester: Die Struktur des<br />

Orchesters und die Zusammenarbeit mit dem<br />

Stadttheater sind Gegenstand von Diskussionen<br />

auf politischer Ebene, mit vorläufig ungewissem<br />

Ausgang. Wenn ich dich frage, wo das<br />

BSO in zehn Jahren stehen wird, würdest du in<br />

die Haut eines Propheten schlüpfen?<br />

Unser absolut nicht elitäres Publikum sollte<br />

unbedingt verhindern, dass sein Sinfonieorchester<br />

als Opernorchester verkümmert, mit<br />

gelegentlichen Auftritten im Casino - das wäre<br />

die schlimmstmögliche Wendung. Der Verzicht<br />

auf grosse Symphonik – eigentlich ist das un-<br />

Music & Sounds<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

denkbar! Ein Abbau beim BSO hinterlässt Verarmung,<br />

Kultur aber ist ein Lebensmittel! Ich<br />

bin sicher: Je kleiner das Angebot, umso kleiner<br />

das Publikumsinteresse. Es bleiben dann<br />

nur noch massentaugliche Wohlfühlmusik und<br />

Kuschel-Klassik.<br />

Ingo, jeder Mensch, der das Pensionsalter erreicht,<br />

wird von der Frage begleitet: «Was nun?»<br />

Deine Familie, deine Freundinnen und Freunde,<br />

deine Kolleginnen und Kollegen, deine Schülerinnen<br />

und Schüler, dein Publikum stellen sie.<br />

Wir sind gespannt auf deine Antwort und deine<br />

Pläne.<br />

Jetzt kommt erstmal ein selbstkritisches<br />

kurzes Aufräumen der Biografie, kein Durchatmen,<br />

sondern voller Einsatz für das Jugend-<br />

Sinfonieorchester. Dieses Kraftfeld «Orchester»<br />

vibriert für mich immer weiter, ich bin süchtig<br />

nach diesen wabernden symphonischen Entladungen.<br />

Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch<br />

und ich wünsche dir für die Zukunft<br />

alles Gute!<br />

<br />

31


Kino & Film<br />

FILMROSINEN<br />

«A Serious Man» - eine<br />

Hommage ans Jüdischsein<br />

Von Guy Huracek Bild: zVg.<br />

Larry Gropnik lebt ein beschauliches<br />

Leben in einer kleinen jüdischen Gemeinde<br />

im Mittleren Westen der USA.<br />

Er ist ein liebender Ehemann, fürsorglicher<br />

Vater und erfolgreicher Physikprofessor.<br />

Doch plötzlich läuft alles aus<br />

dem Ruder: Seine Frau Judith verlangt<br />

plötzlich die Scheidung, Sohn Danny<br />

schwänzt die Schule, Tochter Sarah<br />

bestiehlt ihn, anonyme Briefschreiber<br />

verbreiten falsche Anschuldigungen<br />

über ihn, und ein Student versucht ihn<br />

zu bestechen. Larry sucht Hilfe und<br />

hofft, diese bei einem Rabbi zu finden,<br />

doch dieser ist zu sehr mit Denken beschäftigt,<br />

um ihm helfen zu können.<br />

Ein fast schon klassischer Hollywood-Plot,<br />

wäre Gropnik nicht konservativer Jude -<br />

die Coens zeigen einmal mehr die komödiantischen<br />

Seiten ihres Glaubens. Ein Film, der ihre<br />

Kindheit wiederspiegelt. Auf ihre Herkunft aus<br />

einer jüdisch-amerikanischen Akademikerfamilie<br />

bezieht sich die Geschichte ihres Films.<br />

Die Coen-Brüder sind in St. Louis Park, einem<br />

Vorort von Minneapolis, in einer jüdischen<br />

Nachbarschaft aufgewachsen. Ihre Eltern, Edward<br />

und Rena Coen, waren Professoren, der<br />

Vater im Bereich Wirtschaft und die Mutter im<br />

Bereich Kunstgeschichte. Joel Coen sparte sich<br />

als Kind durch Rasenmähen genug Geld zusammen,<br />

um sich eine Super-8-Kamera zu kaufen,<br />

und die beiden Brüder drehten zusammen mit<br />

einem Nachbarsjungen Filme aus dem Fernsehen<br />

nach. Den Bezug von «A Serious Man» zu<br />

ihrer Kindheit streiten die Coen-Brüder jedoch<br />

in ihren Interviews ab. Unbeantwortet bleibt<br />

somit die Frage, warum zahlreiche Figuren<br />

nach ihren Jugendfreunden benannt sind.<br />

Ein schräger Heimatfilm, gespickt mit tragischen<br />

und komischen Elementen. Genickschläge<br />

folgen auf Genickschläge. Obwohl das<br />

Drehbuch konsequent einem roten Faden folgt,<br />

geschehen unvorhersehbare Handlungen, die<br />

dem ganzen Film einen absurden Touch verleihen.<br />

Beispielsweise muss er ausgerechnet dem<br />

Rabbi erklären, was ein «Gett», eine kirchlich<br />

sanktionierte Scheidung, ist, die seine Frau<br />

braucht, um wieder heiraten zu dürfen.<br />

Genau wie in «Burn After Reading» spielen<br />

auch diesmal Kino-Unbekannte. Weiter fällt<br />

auf, dass die Frauen bei den Coens die Hosen<br />

anhaben - vor allem jüdische Mütter sind unbesiegbar.<br />

Das macht schon der Jiddisch gehaltene<br />

Vorspann klar, eine kleine Geschichte aus<br />

dem Shtetl, in der eine resolute Ehefrau dem<br />

Dybbuk die Tür weist - nachhaltig und endgültig.<br />

Eine weitere Eigenart der Coens ist das<br />

Pseudonym Roderick Jaynes, dass sie benützen,<br />

wenn sie als Cutter an ihren Filmen arbeiten.<br />

Die Message des Films könnte folgendermassen<br />

zu deuten sein: Lerne deine Probleme<br />

schätzen, denn es kann immer noch schlimmer<br />

kommen. Der Film wirft viele Fragen auf, doch<br />

beantwortet die wenigsten. Es ist wie im wahren<br />

Leben - man hat das Gefühl, es trifft immer<br />

nur einen selber, man weiss nicht, ob alles nur<br />

Zufall ist oder ob man einen Gott beleidigte.<br />

Unter den vielen absurden Charakteren wirkt<br />

Larry fast schon normal, als ob er im falschen<br />

Film sitzt. Der Humor von «A Serious Man» ist<br />

schwierig zu beschreiben. Es ist die Art und<br />

Weise, wie die Charaktere ihre Dialoge sprechen,<br />

weniger der Inhalt. Die Mimik und Gestik<br />

der Figuren bergen einen ausgefeilten, hintergründigen<br />

Humor, der auch in den Dialogen<br />

vorwiegend wegen dem Nichtgesagten funktioniert.<br />

Für eine unheimliche Vorahnung sorgt<br />

die musikalische Untermalung, die, wie bei<br />

einem Horrorfilm, den Zuschauern Angst einflösst.<br />

So baut sich in vielen Szenen Spannung<br />

auf, die sich jedoch nicht in den erwarteten Ereignissen<br />

entlädt, sondern ihre Bedeutung erst<br />

später offenbart - oder eben nicht -; ganz wie<br />

im wahren Leben.<br />

Wer «A Serious Man» sehen will, muss<br />

sich noch ein wenig gedulden. Er kommt am<br />

im 21. Januar 2010 ins Kino. Ein kleiner Vorgeschmack<br />

liefert der Trailer: Geräusche von<br />

Schlägen, Röcheln und die Stimme von Larrys<br />

künftiger Ex-Frau fliessen ineinander und verleihen<br />

dem Trailer eine enorme Spannung.<br />

32


Kino & Film<br />

FILM MAL ANDERS<br />

Vom Film zurück zur Geschichte<br />

Von Florian Imbach<br />

Ein Festival des Filmnacherzählens ist<br />

wahrlich nicht der Publikumsrenner –<br />

könnte man meinen. Doch siehe da, die<br />

Zürcher Szene rennt den Veranstaltern<br />

die Bude ein.<br />

Der Saal ist schon recht voll. Nach und<br />

nach laufen gestylte schöne Menschen<br />

hinein, bis der letzte Platz des grossen Saals<br />

besetzt ist. Die Gessnerallee ist ausverkauft,<br />

einige Unglückliche stehen am Rand. Mit imposanter<br />

Musik wird das Festival eröffnet. Bereits<br />

zum vierten Mal findet es in <strong>Zürich</strong> statt,<br />

daneben jährlich noch in Fribourg und Berlin.<br />

Die Veranstalter Bernd Terstegge und Axel<br />

Ganz machen gleich zu Anfang darauf aufmerksam,<br />

dass sich einige Teilnehmer abgemeldet<br />

hätten. Offensichtlich: Im Programmheft sind<br />

nur die Hälfte der «Sprechplätze» belegt, die<br />

Hälfte des Abends sozusagen «ungeplant». Die<br />

Szene hat den Anlass in Beschlag genommen,<br />

was leidet, ist der Anlass selbst. Sollte sich niemand<br />

spontan zum Nacherzählen melden, droht<br />

das Festival zum Desaster zu werden. Wie soll<br />

das gehen? Meldet sich wohl wer? Soll etwa<br />

ich… Fragt sich der Zuschauer und wird gleich<br />

durchzuckt vom Gefühl des Improvisierten –<br />

ein wahres Festival –, hier entsteht etwas.<br />

Die Spielregeln sind simpel Es gilt, einen<br />

Film nachzuerzählen. Hilfsmittel sind nicht<br />

erlaubt. Man darf alleine oder zu zweit auftreten.<br />

Wie das gemacht wird, darüber gibt es<br />

keine Vorgaben. Das Nacherzählen könne laut<br />

Veranstalter «ein neues Licht auf das Medium<br />

Film und die Erinnerung daran werfen». Unterschiedliche<br />

Vorstellungen, wie das zu realisieren<br />

ist, gibt es, wie die Teilnehmer dieses<br />

Jahres zeigen.<br />

Das Publikum entscheidet. Auf einer Skala<br />

von Null bis Neun dürfen Punkte vergeben<br />

werden, die beste Nacherzählung erhält den<br />

Festivalpreis, die «Silberne Linde». Dieses Jahr<br />

gewann eine Nacherzählung des Filmes «Die<br />

Klavierspielerin» mit Isabelle Huppert. Leider<br />

war die Nacherzählung nicht wirklich nacherzählend.<br />

Die Gewinnerin erzählte eine wahrlich<br />

lustige Geschichte über ein misslungenes Date.<br />

Sie, die Erzählerin, wählte für das Treffen eben<br />

diesen Film aus, was dann zu einigen peinlichen<br />

Szenen im Kino und einem alles in allem<br />

ziemlich absurden Date führte. Ausserdem war<br />

da noch die sexy Mutter der Erzählerin, die anscheinend<br />

gerne einen über den Durst trank.<br />

Mit gut bedienten Klischees und einer interessanten<br />

Erzählweise, immer den roten Faden<br />

haltend, schaffte es die Österreicherin, eine<br />

Mehrheit des Publikums zu überzeugen. Dass<br />

ihre Geschichte nicht viel mit dem Film an sich<br />

zu tun hatte, ging völlig unter. Schade.<br />

Von Star Trek zu Hot Fuzz Einige der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer mochten aber<br />

wirklich zu überzeugen. Die humoristische Abrechnung<br />

mit Jean-Luc Piccard, Will Riker und<br />

all den anderen aus «Star Trek: Next Generation»<br />

brachte nicht nur den Science-Fiction-liebenden<br />

Verfasser dieses Artikels zum Lachen.<br />

Eine französische Erzählerin kokettierte zwar<br />

mit ihrem Akzent, erzählte aber «Le Diner de<br />

Cons» auf eine solch witzige Art, das man den<br />

Fakt, dass der Text wohl einstudiert war, gerne<br />

übersah. Ja, die witzige Art. Beiträge, die nicht<br />

zum Lachen anregten, hatten es schwer. So<br />

etwa die Erzählung von «Wie im Himmel». Eine<br />

nette Gutenachtgeschichte, aber leider, leider<br />

nicht mehr. Auch Sonja Wenger, die wohl rüberbrachte,<br />

dass «Hot Fuzz» ein witziger Film<br />

ist, aber die Begeisterung nicht übertragen<br />

konnte, ging leider unter. Übrigens ist «Hot<br />

Fuzz» ein Film, den ich auch sehr empfehlen<br />

kann (GB, 2007). Eine nette Idee, wenn auch<br />

keine neue, setzte der Erzähler von «Star Wars<br />

IV» um. Er dachte darüber nach, wie wohl der<br />

Film mit Schweizerdeutschen Dialekten herausgekommen<br />

wäre. «Dr Todesstärn» wirkt<br />

eben wirklich witzig – dem Publikum gefiels.<br />

Ganz und gar nicht passte die blonde Schönheit,<br />

die derart offensichtlich mit ihren weiblichen<br />

Vorzügen spielte und auf Dummerchen<br />

machte, dass selbst gut umgesetzte Elemente<br />

ihrer Aschenbrödelerzählung billig wirkten.<br />

Eine nette Nebennote schrieb ein Deutscher,<br />

der sich ausgerechnet den Film «Dutti,<br />

der Riese» aussuchte und in einer sehr überzeugenden<br />

Darbietung witzige Details erzählte,<br />

die manchen hart gesottenen Zürcher überraschten.<br />

Das Festival ist gerettet In der Mitte der<br />

Veranstaltung fühlte das Publikum die erwähnte<br />

Improvisation. Eben das, dass jetzt etwas<br />

gerade im Moment entsteht, das nicht reproduzierbar<br />

ist. Eine Nacherzählung ist eben etwas<br />

Einmaliges und im Idealfall nicht wiederholbar.<br />

«Wir machen das Festival so lange, bis<br />

niemand mehr auftritt», erklärt Bernd Terstegge<br />

vor vollem Saal. Und dies könnte heute der<br />

Fall sein, fügt er an. Nach einigen peinlichen<br />

Augenblicken und Momenten bangen Wartens<br />

melden sich dann doch tatsächlich spontan Erzählerinnen<br />

und Erzähler, was zu lang anhaltendem<br />

Applaus führt. Die Spontanmeldungen<br />

führen zu einer Kettenreaktion, das Programm<br />

ist gefüllt, das Festival aufs Neue gerettet. Der<br />

Szene sei Dank. Oder doch eher der Szene zum<br />

Trotz?<br />

Besuchte Veranstaltung:<br />

Internationales Festival des<br />

nacherzählten Films<br />

7. November in der Gessnerallee<br />

Infos: www.total-recall.org<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 33


DIE ANDERE<br />

DVD-EDITION<br />

Filmische Perlen<br />

aus Süd und Ost<br />

Faszinierendes<br />

Indochina<br />

Nach dem Roman<br />

von Marguerite<br />

Duras<br />

Pulsierendes<br />

Musikdokument<br />

James Brown,<br />

Miriam Makeba,<br />

B.B. King und<br />

viele mehr<br />

Roadmovie<br />

durch die<br />

Anden<br />

Der Publikumsliebling<br />

aus<br />

Ecuador<br />

Dostojewskis<br />

Idiot<br />

Von Akira Kurosawa<br />

in Japans Winter<br />

getragen<br />

Und ein Blick ins 2010 verrät<br />

Auf keinen Fall verpassen:<br />

Die skurrile Komödie aus Mexiko<br />

ab 7. Januar in den Kinos<br />

www.trigon-film.org<br />

Tel. +41 56 430 12 30<br />

Kino & Film<br />

Weihnachtskino<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

FÜRSORGER<br />

Hanspeter Streit war in den 70ern ein kleiner<br />

«Madoff» und schaffte es als «Millionenbetrüger»<br />

in die Schweizer Presse. Im Film heisst<br />

Streit Stalder und ist Fürsorger und stolpert im<br />

Leben. Er erfindet eine Strategie zum Glück, ein<br />

Geheimcode, und lockt damit die Anleger und Finanzheinis<br />

und auch die Frauen. Saus und Braus<br />

– so die Idee – endet nach dreizehn Jahren durch<br />

einen plumpen Fehler. Es waren schlussendlich<br />

nicht die selbstgemalten Aktien, die ihn zu Fall<br />

brachten, sondern fehlende Identitätspapiere.<br />

Doch im Film fängt das Ganze erst an: Zeit, die<br />

Geschichte nochmals aufzurollen.<br />

Mit Roeland Wiesnekker in der Hauptrolle ist<br />

dem Film mit der aktuellen und wirren Geschichte<br />

eine wunderbare Schweizerkomödie gelungen.<br />

Man versteht, dass ein Betrüger eben nur ein<br />

Teil, ein Mechanismus im Getriebe ist. Geld, Gier,<br />

Frauen und Blindheit haben schon immer die<br />

Welt regiert. Doch immerhin haben wir hier einen<br />

Betrüger, der «andere glücklich machen wollte».<br />

Madoff lässt grüssen.<br />

Es ist fast schade, dass der Film mehrheitlich<br />

Schweizerdeutsch gesprochen ist. Es wäre<br />

ein wunderbar selbstkritischer Film für unsere<br />

Nachbarländer geworden. Auf jeden Fall ein lustiger<br />

Schweizer Film mit einem wunderbaren Geschichtenerzähler.<br />

BREATH MADE<br />

VISIBLE<br />

Anna Halprin ist eine Tanzpionierin aus den<br />

USA. Schon früh stellte die sich die Frage:<br />

«Was ist Tanz?» Ihre Suche nach einer Antwort<br />

dauerte über achtzig Jahre und hinterliess tiefe<br />

Spuren in der Tanzgeschichte. Sie experimentierte<br />

mit den verschiedensten Kunstformen und beeinflusste<br />

viele KünstlerInnen über Generationen<br />

hinweg.<br />

«Before I had cancer I lived my life for my art,<br />

after I had cancer I lived my art for my life.» Anna<br />

Halprin erkrankte mit fünfzig Jahren an Krebs.<br />

Sie selber meinte danach, sie habe sich den Weg<br />

zur Heilung freigetanzt. Nach der Krankheit war<br />

sie nicht mehr auf der Bühne anzutreffen, sie gab<br />

Tanzkurse für Krebs- und Aidskranke und arbeitete<br />

später mit älteren Menschen zusammen. Doch<br />

dann wurde ihr Mann, der Landschaftsarchitekt<br />

Lawrence Halprin, schwer krank. Anna Halprin,<br />

durch die vielen Spitalaufenthalte inspiriert, ist<br />

wieder auf die Bühne zurückgekommen: 2004,<br />

mit achtzig Jahren, steht sie mit «Intensive Care»<br />

mit grossem Erfolg wieder auf den Brettern, beginnt<br />

zu touren und ruft ins Publikum: «Es sind<br />

noch so viele Tänze zu machen!»<br />

«Breath Made Visible» ist ein unheimlich faszinierendes<br />

Porträt über eine noch viel beeindruckendere<br />

Frau. Sie verkörpert das Alter in einer<br />

neuen Dimension und zeigt uns, als selber wahrhaftig<br />

physisch gewordener Tanz, wie mit inniger<br />

Intensität in einer Bewegung Leben entsteht.<br />

Wer diese Frau im Film sieht, beginnt selber die<br />

Bewegungen zu fühlen. Anna Halprin stellt uns<br />

die Frage, was Tanz ist und bewegt uns, damit<br />

wir die Antwort selber finden können. Noch selten<br />

wurde Tanz so wunderbar verständlich und<br />

einfühlsam vermittelt. Ein grosses Lob an den<br />

Schweizer Regisseur Ruedi Gerber: «Danach<br />

folgte ein 15-minütiges Solo, in dem sie ihre Lebensgeschichte<br />

tanzte und erzählte. Im Laufe des<br />

Stücks bemerkte ich, dass manchen Zuschauern<br />

die Tränen kamen. Und plötzlich fühlte auch ich<br />

mich tief von dieser Frau berührt. In einer Welt<br />

von Posen und konkurrierenden Stilisierungen<br />

war die Präsenz von jemandem, den ich als ganz<br />

und gar authentisch empfand und dessen Botschaft<br />

universell war, eine erholsame Befreiung.»<br />

Berner Kunstmuseum Datum: 05.01 / 10 h<br />

AMERRIKA<br />

Den Kritikerpreis in Cannes (2009) muss<br />

man sich erst verdienen. Doch mit Charme<br />

und der richtigen Filmidee ist das zu schaffen:<br />

«Amerrika». Dazu nimmt man ein hochaktuelles<br />

Thema, wie zum Beispiel Palästina, und setzt dem<br />

gegenüber die fast surreal anmutenden USA oder<br />

eben Amerrika. Der grosse Traum und die Illusion<br />

- was dann auch gleich die einzigen Gemeinsamkeiten<br />

dieser Länder sind. Es spielt keine Rolle,<br />

in welcher Ecke dieses Planeten wir illusorisch<br />

Leben wollen und oft vergessen wir, dass Träume<br />

die einzige Funktion haben, Träume zu bleiben –<br />

alles andere würde man einen Plan nennen.<br />

«Amerrika» bleibt den Zuschauern tief unter<br />

der Haut sitzen. Da sind zum einen die eindrücklichen<br />

Realitäten beider Länder, zum anderen die<br />

Kulturunterschiede, die so weit nicht auseinander<br />

liegen – und doch grundverschieden sind. «Amerrika<br />

ist besser, als gefangen im eigenen Land»,<br />

meint der sechzehnjährige Fadi zu seiner Mutter<br />

Muna noch vor der Abreise. Wir begleiten die beiden<br />

zu ihren Verwandten in Illinois. Viele Scherben<br />

bringen anscheinend Glück, aber es müssen<br />

erst noch mehr werden.<br />

Sehr schön ist im Film die Darstellung der<br />

Palästinenser als «normale» und «moderne» Menschen<br />

(was sie eigentlich immer waren). Es sind<br />

keine Aliens, die keine Ahnung von der Welt haben.<br />

So zeigt «Amerrika» einen sehr wertvollen<br />

Teil der arabischen Kultur groteskerweise durch<br />

den Vergleich mit den USA. Fantastisches Kino<br />

mit feinem Humor.<br />

34


Sieht so ein<br />

Lügner aus?<br />

JETZT IM KINO<br />

Roeland WIESNEKKER ist<br />

DERFÜRSORGER<br />

in einem Film von Lutz KONERMANN<br />

Ab 10. Dezember im Kino<br />

Johanna<br />

BANTZER<br />

Katharina<br />

WACKERNAGEL<br />

Claude<br />

DE DEMO<br />

Andrea<br />

GUYER<br />

Leonardo<br />

NIGRO<br />

www.fuersorger.ch<br />

Thierry<br />

VAN WERVEKE<br />

Michael<br />

NEUENSCHWANDER<br />

A film by Cherien Dabis<br />

<br />

AB 23. DEZEMBER IM KINO<br />

MÜNSTERGASSE 47 3011 BERN TEL/FAX 031 312 14 01<br />

Ein Film von Fatih Akin<br />

ADAM BOUSDOUKOS MORITZ BLEIBTREU BIROL ÜNEL


TRATSCHUNDLABER<br />

36<br />

Von Sonja Wenger<br />

In einer Zürcher Bar wird ein Barhocker gestohlen,<br />

und die Redaktion von «20Minuten»<br />

findet Platz für einen Aufruf. Da hat ein Leser<br />

«trotz Grippe Lust auf Selbstbefriedigung» und<br />

holt sich Rat bei Doktorsex. Und ein Musikvideo<br />

von Rihanna ist «schwere Kost» – nicht etwa das<br />

lächerliche Resultat des Welthungergipfels in<br />

Rom.<br />

Es ist eine perverse Welt, alleine durch die<br />

Tatsache, dass es das Wort Welthunger überhaupt<br />

gibt; dass statt Grippeviren offenbar Hirnzellen<br />

absterben; dass der Autokannibalismus<br />

der Gratismedien dazu geführt hat, auch noch die<br />

letzte Banalität als Information zu tarnen - und<br />

alle damit ungestraft davon kommen.<br />

Um in den Medien zu arbeten, braucht es keinen<br />

Ehrgeiz mehr, gute Fragen stellen zu wollen.<br />

Beten allein genügt: Denn lasset uns lobpreisen<br />

all jene, die ohne Inhalt und mit schöner Verpackung<br />

die Welt, die veröffentlichte Meinung, unser<br />

Sinnen und Streben beherrschen. «Gegrüsset<br />

seist du, Hohepriesterin Paris, voll von Nichts.<br />

Die Presse ist mit dir. Gelobt sei dein Stil und verehrt<br />

dein Geschäftssinn. Mutter aller Tussis, zeig<br />

uns wie es geht, jetzt und in der Stunde unseres<br />

Begreifens. Gib uns unser tägliches Bild», ach ne<br />

- das ist ja wieder was anderes. Aber immerhin:<br />

Das Tussitum lebt, das schrieb gar die NZZ.<br />

Keine Wunder aber auch, sei doch alles in<br />

unserer Gesellschaft in Watte gepackt. Das sagte<br />

kürzlich eine Freundin aus Südmexiko, wo die<br />

Leute andere Probleme haben als mit perversen<br />

Prophetinnen. Unser Denken, unser Handeln, unsere<br />

Prioritäten, nichts ist noch gefährlich: Kanten<br />

abgedeckt, Ecken geschliffen, Fragen erstickt<br />

und die Erkenntnis verzögert. Und statt uns zusammenzutun<br />

gegen die pervers Reichen und<br />

ihren Kampf gegen den Rest der Welt, gieren<br />

wir brav gesteuert nach einem perversen Konsum,<br />

den man nicht einmal mehr verdauen muss.<br />

Lieber glauben wir auch nach der hundertsten<br />

perversen Lüge weiter unseren politischen, wirtschaftlichen<br />

und religiösen VertreterInnen, weil<br />

Angst doch so viel leichter fällt als verstehen. Selber<br />

denken: Pfui!<br />

«Erklär mir die Welt», der Wunsch aller Kinder,<br />

war nämlich noch nie so schwer zu erfüllen<br />

wie heute. Der verantwortungsvolle Umgang mit<br />

dem hochexplosiven Gut Information ist perversen<br />

Verlockungen ausgesetzt. Kein Ritter in<br />

scheinender Rüstung verteidigt noch ein aufgeklärtes<br />

Volk oder die Integrität der Medien. Unsere<br />

Helden sind Blutsauger, egal ob im Kino oder<br />

im realen Leben. «Yes, we can» hatte wie wenig<br />

zuvor den Nerv der Zeit getroffen. Der Leitspruch<br />

ist Ausdruck des kollektiven Wunsches nach Veränderung,<br />

aber bitte ohne Konsequenzen. Denn<br />

«wir» heisst nicht «ich», und anfangen sollen immer<br />

die anderen: ein perverser Teufelskreis.<br />

Kino & Film<br />

LAW ABIDING<br />

CITIZEN Bild: zVg.<br />

Ein gesetzestreuer Bürger vertraut auf das<br />

Recht und darauf, dass es ihm Gerechtigkeit<br />

bringt – so die Idee eines Justizsystems,<br />

so unser Wunsch. Doch dass die Gerechtigkeit<br />

auf einer Etage wohnt, zu der die Justiz keinen<br />

Zutritt hat, schrieb schon Friedrich Dürrenmatt.<br />

Und auch der Ingenieur Clyde Shelton<br />

(Gerard Butler) muss schmerzhaft erfahren,<br />

dass Wunsch und Realität nicht immer Hand<br />

in Hand gehen.<br />

Gleich in der ersten Szene von «Law abiding<br />

Citizen» muss Shelton mitansehen, wie seine<br />

Frau und seine Tochter bei einem Raubüberfall<br />

ermordet werden. Schwer verletzt überlebt er.<br />

Die Täter sind schnell gefasst. Mit ihm als Augenzeuge<br />

sollte eine Verurteilung kein Problem<br />

sein.<br />

Wenn da nur der Staatsanwalt Nick Rice (Jamie<br />

Foxx) etwas mehr Lust auf einen Prozess<br />

gehabt hätte. Stattdessen macht Rice einen<br />

dürftig begründeten Deal mit einem der Mörder.<br />

Der um Gerechtigkeit geprellte Shelton ist<br />

im Büro des Staatsanwalts den Tränen nahe.<br />

Vor dem Gericht sieht er, wie Rice dem freigelassenen<br />

Killer die Hand schüttelt.<br />

Zehn Jahre später kehrt er zurück und will -<br />

man ahnt es - Rache für seine Familie. Shelton<br />

ist, wie sich herausstellt, dafür auch noch gut<br />

gerüstet. Er sei ein Meisterplaner für superspezielle<br />

Morde im Auftrag des CIA, flüstert ein<br />

Informant. Rice und seinem Team dämmert es<br />

bald, dass Shelton über eine geballte Ladung<br />

krimineller Energie, eine sarkastische Ader und<br />

ziemlich viel Sadismus verfügt.<br />

Den Frauen- und Kindesmörder schneidet<br />

er in kleine Stücke und auch sonst bringt Shelton<br />

noch jede Menge Leute um, damit Rice endlich<br />

kapiert, dass Deals mit bösen Buben eine<br />

schlechte Sache sind. Es geht also nicht nur um<br />

Gerechtigkeit, sondern auch um Moral, oder<br />

so etwas Ähnliches. Denn ganz klar wird im<br />

Film nie, was Shelton mit seinen Brachialmethoden<br />

denn nun beweisen oder verändern will.<br />

Aus Opfer wird Täter, und dieser Täter macht<br />

wieder neue Opfer. Aber egal. In «Law abiding<br />

Citizen» streiten sich zwei Alphatierchen unter<br />

der Regie von F. Gary Gray um Leinwandpräsenz.<br />

Das bietet kurzweilige Unterhaltung ohne<br />

Nachhaltigkeit, Ablenkung ohne Tiefgang, Drama<br />

ohne Gehalt. Ideal für unsere Zeit. (sjw)<br />

Der Film dauert 109 Minuten und kommt am<br />

10. Dezember ins Kino.<br />

NEW MOON<br />

– BIS(S) ZUR<br />

MITTAGSSTUNDE<br />

Zugegeben, es ist hart, ein Teenager zu sein.<br />

Die Suche nach dem Selbstbewusstsein,<br />

der Liebe und dem Sinn des Lebens. Romeo<br />

und Julia sind daran dramatisch gescheitert.<br />

Und selbst wenn man bis zum Erwachsensein<br />

durchhält, bleiben jede Menge Probleme. Besonders,<br />

wenn die grosse Liebe ein Vampir ist,<br />

der auch noch als Klonvorlage für Adonis herhalten<br />

könnte.<br />

Das kann ja nicht gut gehen, denkt man sich<br />

und weiss gleichzeitig, dass es einfach länger<br />

dauert, bis das Paar zueinander finden wird.<br />

Denn «New Moon – Bis(s) zur Mittagsstunde»<br />

ist schliesslich ein Hollywoodfilm, ein modernes<br />

Märchen, eine mystische Liebesgeschichte<br />

- und eine Geldmaschine. «New Moon» ist<br />

der zweite Teil der vierteiligen Bis(s)-Serie der<br />

US-Autorin Stephenia Meyer. Filme wie Bücher<br />

erfreuen sich einer riesigen Fangemeinde, die<br />

es nach Romantik und bedingungsloser Liebe<br />

dürstet. Eine Liebe, die alle Hürden überwindet,<br />

die den Raum relativiert und über die Zeit<br />

hinausreicht.<br />

Oh ja, man kann Bella Swan (Kristen Steward)<br />

verstehen, dass sie ihr Herz an den schönen<br />

Vampir Edward Cullen (Robert Pattinson)<br />

verloren hat. Der erste Film, «Twilight», handelte<br />

im Wesentlichen vom Finden dieser Liebe.<br />

Nur ein Jahr später erfahren wir in «New<br />

Moon» bereits, wie es weitergeht. Aber ach,<br />

diesmal dauert es länger, ist alles langsamer,<br />

passiert so gut wie nichts. Dies, obwohl genug<br />

zwischenmenschlicher Zündstoff und Potenzial<br />

für rasante Action vorhanden wäre.<br />

Denn Bella und Edward haben sich inzwischen<br />

mit Jacob Black (Taylor Lautner) zu einem<br />

Trio ergänzt. Beide Jungs lieben Bella,<br />

aber beide können nicht mit ihr zusammen sein,<br />

ohne sie zu verletzen. So was tut weh. Edward<br />

trennt sich gar von seiner Liebsten, damit sie<br />

ein «normales, glückliches Leben führen kann».<br />

Verständlich, dass Bella wenig Begeisterung<br />

dafür zeigt.<br />

Bis das Publikum dann das zweite Viertels-<br />

Happyend vorgeführt bekommt, tauchen noch<br />

ein paar gute, böse und halbböse Vampire auf,<br />

sowie neu auch Werwölfe. Und natürlich wird<br />

wieder selten schön gelitten und gegrübelt. Er<br />

liebt mich, er liebt mich nicht. Nur eines geht<br />

bei all dem Herzschmerz vergessen: Die Spannung,<br />

das Knistern und das Fleisch am Knochen<br />

der Filmgeschichte, damit man mit den<br />

Charakteren mitfühlen mag. Im Gegensatz zu<br />

«Twilight», der das ganz gut hingekriegt hat, ist<br />

«New Moon» nur eine teure Schlafpille. (sjw)<br />

Der Film dauert 131 Minuten und ist bereits<br />

in den Kinos.


Kino & Film<br />

GROSSES KINO<br />

Gutes Genrekino? Im TV!<br />

Von Morgane A. Ghilardi – Wie und wo Science-Fiction und Horror im Serienformat<br />

besser umgesetzt werden. Bild: Die Schlafpille im Kino: The Twilight Saga - New Moon<br />

Science-Fiction, Fantasy und Horror<br />

– drei Genres, die auf Grossleinwand<br />

nicht immer gut umgesetzt werden.<br />

Im Jahr 2009 sind drei von sechs grossen<br />

SciFi-Filmen Fortsetzungen von Franchises,<br />

der Serienform des Kinos: «Transformers<br />

2», «Terminator: Salvation» und «Star Trek».<br />

Keiner der drei wurde von Kritikern besonders<br />

geschätzt. Aber wenn wir ehrlich sind, können<br />

wir seit langem nicht mehr mit grossen Erwartungen<br />

solche Blockbuster sehen gehen. Wir<br />

lassen uns begeistern von den überwältigenden<br />

Möglichkeiten des CGI und erfreuen uns<br />

an den smarten Sprüchen, die der Held ab und<br />

zu klopfen darf. Doch manchmal schützen uns<br />

auch die niedrigen Erwartungen und genialen<br />

Effekte nicht vor grottenschlechten Plots. Die<br />

Plotentwicklungen in «Star Trek» waren unerträglich<br />

schmerzhaft – Hommage an das Original<br />

hin oder her. Wo Potential für cooles Actionkino<br />

der anderen Art besteht, macht sich<br />

Hollywood daran, alles auf das intellektuelle<br />

Niveau eines Zwölfjährigen zu bringen. Die Devise<br />

ist leichte, hirnlose Unterhaltung und ein<br />

Vermarktungskonzept, das den Verkauf vieler<br />

Spielzeuge erlaubt. Gute Schauspieler und Ressourcen<br />

werden verschwendet.<br />

Aber vielleicht sind es eben die grossen Ressourcen,<br />

die gutem Genrekino im Weg stehen.<br />

Das Format, welches überzeugend SciFi, Fantasy<br />

und Horror umsetzt, ist die Fernsehserie. Natürlich<br />

erlaubt dieses Format, komplexere Plots<br />

und Charaktere zu entwickeln, aber auch dies<br />

hängt von der Qualität der Drehbücher und der<br />

Originalität der Ideen ab.<br />

In den letzten 15 Jahren waren es Serien wie<br />

«Babylon 5», «Stargate», «Farscape», «X-Files»,<br />

«Battlestar Galactica» und «Doctor Who»,<br />

welche im Bereich SciFi-Serien den Standard<br />

für Qualität und Originalität gesetzt haben.<br />

«Babylon 5» aus den 90ern war eine sehr gut<br />

geschriebene Serie, die einen mit komplexen<br />

Plotentwicklungen mitriss und unter Fans Kultstatus<br />

geniesst. Die in der fernen Zukunft angesiedelte<br />

Story handelt von Rassenkonflikten<br />

und intergalaktischer Politik. «Battlestar Galactica»<br />

ist das Remake einer trashigen Serie<br />

aus den 70ern. Von der komplexen Thematik<br />

zur Kameraführung und Musik beeindruckt<br />

die Serie auf der ganzen Linie. Und zuletzt ist<br />

natürlich «Doctor Who» zu erwähnen, welche<br />

ursprünglich erstmals in den 60ern von BBC<br />

ausgestrahlt wurde. Die Geschichte um den<br />

wandelbaren und unsterblichen Zeitreisenden<br />

wurde im Jahr 2005 neu aufgenommen und mit<br />

einer genialen Crew umgesetzt. Das Resultat<br />

sind (bis jetzt) vier Staffeln einer originellen,<br />

menschlichen und tragisch-komischen Serie, die<br />

einen mit jeder Episode aus den Socken haut.<br />

Es ist der Traum eines jeden SciFi-Liebhabers,<br />

dass sich die Drehbuchautoren und Produzenten<br />

all dieser Serien (ausser J. J. Abrahms – der<br />

soll beim TV bleiben, bitte) ab und zu dem Kino<br />

widmen und ein geniessbares SciFi-Spektakel<br />

auf Grossleinwand herstellen, welches man<br />

auch schätzen kann.<br />

Horror und Fantasy, zwei Genre, die sich<br />

gegenseitig oft einschliessen, haben in letzter<br />

Zeit wieder mehr an Prestige gewonnen. Sie<br />

sind nicht mehr ausschliesslich für Legolas-<br />

Anbeter und Splatterfans. Mit «Twilight» hat<br />

sich das Horror-Genre den Bedürfnissen der<br />

(weiblichen) Teenies angepasst. Der Vampir<br />

bewegte sich schon immer auf dem schmalen<br />

Grad zwischen Horror und Fantasy. Er ist in<br />

unseren Köpfen eher eine mythisch-magische<br />

Kreatur mit Sexappeal geworden als zu einem<br />

blutrünstigen Monster. Denn wenn Vampire in<br />

der Sonne glitzern, anstatt in Flammen aufzugehen,<br />

ist der Horror-Aspekt definitiv nicht mehr<br />

so prominent. Die Romantik hat die Überhand<br />

gewonnen, und das ist keinesfalls zu beklagen,<br />

vor allem nicht, wenn Werwölfe und andere<br />

scharfe Beisserchen dazukommen.<br />

Aber auch in diesem Bereich sind die TV-<br />

Versionen mit mehr Pep realisiert. Die Kultserie<br />

«Buffy – The Vampire Slayer» hat das von Anne<br />

Rice stark romantisierte Genre für Teenies brillant<br />

umgesetzt. Pubertät, Schulstress, Dämonen,<br />

Zombies – nichts wird ausgelassen. Das gute<br />

Setting, die intelligenten und zackigen Dialoge,<br />

sowie viel Humor und Tragik garantieren gute<br />

Unterhaltung. Den Buffy-Macher Joss Whedon<br />

hat es übrigens auch in die Welt des SciFi verschlagen.<br />

Seine Serie «Firefly» besteht leider<br />

nur aus 14 Episoden, wurde dann aber mit dem<br />

Kinofilm «Serenity» abgeschlossen.<br />

«True Blood» von «Six-Feet-Under»-Macher<br />

Alan Ball ist ebenfalls eine Buchadaption und<br />

stellt eine erwachsenere Version des Vampirthemas<br />

dar. Etwas Blut, etwas Sex und der<br />

hinreissende Südstaatencharme – diese Elemente,<br />

neben guten Darstellern wie Anna Paquin,<br />

entzücken immer wieder. Hier übrigens ein<br />

anderer Hinweis, dass das Serienformat einen<br />

neuen Status errungen hat: Die Hollywoodstars,<br />

die zum Serienformat konvertieren.<br />

Dies ist kein Aufruf dazu, dem Kino völlig<br />

abzuschwören. Aber es ist eine Aufforderung,<br />

sich mit der Genrevielfalt des Serienformat des<br />

TVs auseinanderzusetzen, da sich dort oft der<br />

originellere Stoff wiederfindet.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 84 | Dezember 09 37


Kulturessays<br />

INTERMEZZO<br />

Sensorreiniger, YB<br />

und harter Kaugummi<br />

Von Isabelle Haklar<br />

Ich mag es, wenn der Milchschaum meines<br />

Kaffees mit mir spricht. Ich mag den<br />

Ton, der zu hören ist, wenn ein soeben ausgelöschtes<br />

Streichholz mit Wasser in Berührung<br />

kommt. Ich mag das Zischen eines Zigarettenstummels,<br />

wenn er auf einen nassen Teebeutel<br />

trifft. Ich mag das leise Geräusch einer Canon,<br />

das bei der Sensorreinigung ertönt.<br />

Ich mag ungerade Zahlen. Ich mag es, in<br />

fremden Städten zum Frisör zu gehen. Ich mag<br />

die kleinen Schönheitsprodukte-Gratismuster.<br />

Ich mag es, als Lehrfahrer zu hupen.<br />

Ich mag den kurzen Moment im Winter,<br />

wenn das Bett langsam warm wird. Ich mag<br />

es, wenn mich mein Kater beim Kursaal abholt<br />

und nach Hause eskortiert. Ich mag es, wenn<br />

die Abendsonne ein orangefarbenes Gitter an<br />

meine Zimmerwand wirft.<br />

Ich mag Gratins, doch nicht das Abwaschen<br />

der Form. Ich mag den Augenblick, wenn ich<br />

meine Linsen eingesetzt habe und die Welt<br />

plötzlich an Tiefe gewinnt, doch nicht das Herausklauben<br />

der Sehhilfen nach dem Tragen. Ich<br />

mag es, als Beifahrer im Auto die Füsse hoch<br />

zu halten, doch nicht die Spuren, die die feuchten<br />

Socken am Fenster hinterlassen. Ich mag<br />

Kaugummiautomaten, nicht jedoch, dass die<br />

bunten Bälle schon nach fünfminütigem Kauen<br />

hart und bitter werden. Ich mag es, wenn<br />

YB gewinnt, nicht jedoch die Tatsache, dass<br />

für Seydou Doumbia 22 Millionen Euro geboten<br />

werden. Ich mag grosse Handtaschen, doch<br />

nicht das minutenlange darin Herumangeln<br />

nach meinem Portemonnaie. Ich mag Museen,<br />

doch nicht das Feststellen, dass die Ausstellung<br />

am Vortag gewechselt hat, wenn ich bereits vor<br />

dem Gebäude stehe. Ich mag Zeitungen, deren<br />

Blätter die Grösse von Leintüchern haben,<br />

doch nicht deren Wirtschaftsteil. Ich mag das<br />

Schnitzel im «Tramway», doch ich mag nie das<br />

Ganze.<br />

Ich mag es nicht, wenn man mir nach dem<br />

Bezahlen das Wechselgeld nicht in die Hand<br />

drückt. Ich mag keine Warenhauskassen, die<br />

nach dem Rollband eine statische Ablage haben.<br />

Ich mag es nicht, wenn nach dem Haarewaschen<br />

nasse Haare an meinem Rücken kleben.<br />

Ich mag keine Rollkoffer. Ich mag es nicht,<br />

mit nackten Füssen auf Hotelteppichböden zu<br />

laufen. Ich mag den letzten Schluck in meinem<br />

Glas nicht. Ich mag es nicht, dass ich mich<br />

immer noch nicht bei Facebook abgemeldet<br />

habe.<br />

Ich mag das Arbeiten in meiner Küche,<br />

wenn die Blumenlichterkette brennt. Ich mag<br />

die Lichterkette so sehr, dass ich sie oft nachts<br />

brennen lasse. Ich mag den Vermicelles-Block<br />

aus der Migros. Ich mag ihn so sehr, dass ich<br />

oft den Ganzen aufs Mal esse.<br />

Ich mag elektronische Gadgets und das<br />

Wort «Nippes». Ich mag Marienbilder und das<br />

Suchen auf Flohmärkten und in Trödelläden danach.<br />

Ich mag den Start und die Landung beim<br />

Fliegen. Ich mag die Vorfreude auf die Ferien<br />

und ein Abendessen im Postgässli. Ich mag es,<br />

ohne je einen Reiseführer gelesen zu haben,<br />

in fremden Ländern anzukommen und in den<br />

Städten ohne Stadtplan herumzuspazieren.<br />

Ich mag Brotaufstriche aus dem Osten. Ich<br />

mag bengalische Wunderkerzen am Tannenbaum.<br />

Ich mag es, nicht zu wissen, was das<br />

neue Jahr bringt.<br />

interwerk gmbh<br />

Kulturmanagement | Consulting<br />

Sandrainstrasse 3 | CH-3007 Bern<br />

Telefon +41(0)31 318 6050<br />

Fax +41(0)31 318 6051<br />

Email info@interwerk.ch<br />

Web www.interwerk.ch<br />

Kommunikationskultur in der<br />

Kulturkommunikation<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion:<br />

Lukas Vogelsang (vl); Anna Vershinova,<br />

Janine Reitmann (jr, Prakt.), Nicole Marmet<br />

(nm, Prakt.) // Peter J. Betts (pjb), Luca<br />

D’Alessandro (ld), Morgane A. Ghilardi, Isabelle<br />

Haklar, Guy Huracek (gh), Florian Imbach,<br />

Ruth Kofmel (rk), Mariel Kreis, Hannes Liechti<br />

(hl), Ursula Lüthi, Irina Mahlstein, Barbara<br />

Neugel (bn), Eva Pfirter (ep), Barbara Roelli,<br />

Anna Roos, Karl Schüpbach, Kristina Soldati<br />

(kso), Willy Vogelsang, Simone Wahli (sw),<br />

Simone Weber, Sonja Wenger (sjw), Gabriela<br />

Wild (gw), Ueli Zingg (uz).<br />

Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Kulturagenda:<br />

kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin,<br />

allevents, Biel; Abteilung für Kulturelles Biel,<br />

Abteilung für Kulturelles Thun, interwerk<br />

gmbh. Korrektorat: Lukas Ramseyer<br />

Abonnemente: 77 Franken für ein Jahr / 11<br />

<strong>Ausgabe</strong>n, inkl. artensuite (Kunstmagazin)<br />

Abodienst: 031 318 6050 / abo@ensuite.ch<br />

ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich.<br />

Auflage: 10 000 Bern, 20 000 <strong>Zürich</strong><br />

Anzeigenverkauf: inserate@ensuite.ch Layout:<br />

interwerk gmbh, Lukas Vogelsang Produktion<br />

& Druckvorstufe: interwerk gmbh,<br />

Bern Druck: Fischer AG für Data und Print<br />

Vertrieb: Abonnemente, Gratisauflage in Bern<br />

und <strong>Zürich</strong> - interwerk gmbh 031 318 60 50;<br />

Web: interwerk gmbh<br />

Hinweise für redaktionelle Themen erwünscht<br />

bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation<br />

entscheidet die Redaktion. Bildmaterial<br />

digital oder im Original senden. Wir senden<br />

kein Material zurück. Es besteht keine Publikationspflicht.<br />

Agendahinweise bis spätestens<br />

am 18. des Vormonates über unsere Webseiten<br />

eingeben. Redaktionsschluss der <strong>Ausgabe</strong> ist<br />

jeweils am 18. des Vormonates (www.kulturagenda.ch).<br />

Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch,<br />

wirtschaftlich und ethisch unabhängig<br />

und selbständig. Die Texte repräsentieren die<br />

Meinungen der AutorInnen, nicht jene der Redaktion.<br />

Copyrights für alle Informationen und<br />

Bilder liegen beim Verein WE ARE in Bern und<br />

der edition ensuite. «ensuite» ist ein eingetragener<br />

Markenname.<br />

Redaktionsadresse:<br />

ensuite – kulturmagazin<br />

Sandrainstrasse 3; CH-3007 Bern<br />

Telefon 031 318 60 50<br />

Fax 031 318 60 51<br />

E-Mail: redaktion@ensuite.ch<br />

www.ensuite.ch<br />

38

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!