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Ausgabe Bern - Ensuite

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MUSIC & SOUNDS<br />

KULTUR IM DIALOG<br />

Über das partnerschaftliche Miteinanderleben<br />

von Jungen und älteren Generationen unter<br />

gleichzeitiger gegenseitiger Befruchtung – oder<br />

von Untoleranz seitens der Erwachsenen<br />

geprägtes Zusammenleben.<br />

Eine durchaus<br />

polemisch auftreten wollende<br />

Gegenüberstellung<br />

Von Karl Schüpbach<br />

Dankbar anerkenne ich, dass ich im Verlaufe<br />

der letzten Jahre ein mehr an Übersicht,<br />

Durchsicht, ja, an Lebensqualität gewonnen<br />

habe. Ich würde mir selbst untreu, wenn ich<br />

nicht einen Moment lang bei dieser erfreulichen<br />

Tatsache verweilen würde, bei der Frage nach<br />

dem «Warum?» Die Antwort fällt verblüffend<br />

einfach aus. Ich meine zu verstehen, dass meine<br />

regelmässige Arbeit im Kulturmagazin mich selber<br />

zur Wahrhaftigkeit zwingt, ich bin ein sehr<br />

gestrenger Selbstzensor geworden, ich kann es<br />

mir erlauben, nur dasjenige zu Papier zu bringen,<br />

woran ich selber bedingungslos glaube.<br />

Sehen Sie, liebe Leserinnen und Leser, vergegenwärtigen<br />

wir uns doch kurz, welch bodenloses<br />

Gestammel während des letzten Wahlkampfes<br />

ungeschützt auf uns losprasselte. Da wurde<br />

doch ohne zu erröten behauptet ein Fussball<br />

sei nicht rund, ausser dem Schreiberling hat es<br />

nur noch niemand gemerkt. Na ja, schreiben um<br />

des Schreibens willen. Was dabei echt ärgerlich<br />

ausfällt ist die Tatsache, dass mir in meinem<br />

Leben – nicht zu letzt wohl wegen meiner Unbeugsamkeit<br />

in wesentlich Fragen – jeglicher<br />

Erfolg verwehrt blieb, während stramm vorwärts<br />

marschierende, vornehmlich bürgerliche Partei-<br />

Bosse von Erfolg zu Erfolg eilen mit ihrem «Ausländer<br />

raus, mehr Eigenverantwortung, freier<br />

Markt, usw.» Wie man solchermassen blind gegenüber<br />

menschlicher Würde sein kann, wird<br />

für mich immer rätselhaft bleiben.<br />

Es gibt aber noch einen weiteren Grund<br />

dafür, dass ich mein Leben in letzter Zeit als<br />

déjà vu empfinde, oder anders ausgedrückt, als<br />

Abrundung. Sie werden sofort verstehen, dass<br />

ich mich dabei eng auf meinen oben gewählten<br />

Titel abstütze.<br />

Jugend in Repression Ich stamme aus einem<br />

gehobenen Milieu, beide meine Eltern arbeiteten<br />

im Lehrerberuf, also doch wohl ein günstiger<br />

Nährboden für den Heranwachsenden. Darf<br />

ich das Verfahren abkürzen: mein Elternhaus<br />

war alles Andere als kindergerecht, dafür wurde<br />

der Prügelstock zu oft bemüht.<br />

Noch ein paar Stichworte, dann schliesse<br />

ich dieses unerfreuliche Kapitel ab: keine sexuelle<br />

Aufklärung im Elternhaus, diese wurde<br />

an einen etwas älteren Knaben aus dem Nachbarhause<br />

delegiert. Ausspionieren meiner Freizeit;<br />

bis ins hohe Alter von 24 Jahren hatte ich<br />

mich jede Nacht im elterlichen Schlafzimmer<br />

zurückzumelden. Ganz schlimm: hinter meinem<br />

Rücken wurde versucht, mich von den Studien<br />

eines Berufsmusikers abzubringen, zu Gunsten<br />

der Musik-Wissenschaft. Davon habe ich Wind<br />

gekriegt, und ich war immerhin clever genug,<br />

diese Pläne ziemlich radikal zu durchkreuzen…<br />

Partnerschaftliches Zusammenleben in<br />

der Grossfamilie Ich höre Sie fragen: wie ist<br />

es möglich, dass Sie über ihre Jugend so teilnahmslos,<br />

fast kalt berichten? Ich bin froh um<br />

diese Frage, sie leitet automatisch über in den<br />

zweiten, gewichtigeren Teil meines Artikels. Er<br />

wurde im Titel eingeleitet als partnerschaftliches<br />

sich gegenseitig Befruchten von älteren<br />

Generationen und Jugendlichen.<br />

Ich bin in der Lage die Frage zu beantworten,<br />

ohne einen Blick im Zorn zurück werfen zu<br />

müssen. Ich bin nie dem eigentlich verlockenden<br />

Gedanken erlegen, «meine Kinder sollen es<br />

einmal besser haben». Als junger Familienvater<br />

wollte ich einfach verstehen, nichts als verstehen.<br />

Es war mir klar, dass es nicht an meinen<br />

Kindern lag, etwas zu verändern, sondern an<br />

mir. Die Mutter meiner Kinder, ihre Schwester<br />

und deren Mann, waren an denselben Fragen<br />

interessiert, obwohl ihre Voraussetzungen in<br />

ihrer Jugend von den meinen völlig verschieden<br />

waren. Wir inspirierten uns gegenseitig<br />

zur Lektüre von Büchern, welche Antworten<br />

auf unsere brennenden Fragen boten, was das<br />

Zusammenleben mit Kindern betraf. Noch heute<br />

läuft es mir kalt über den Rücken, wenn ich<br />

an unsere Entdeckungen denke, konkret daran,<br />

welche pädagogische Literatur in der Bibliothek<br />

meiner Eltern zur Verfügung stand.<br />

Namentlich der Psychoanalytikerin Alice Miller<br />

verdanken wir Einblick in den Begriff der<br />

«Schwarzen Pädagogik». Die Handvoll Bücher,<br />

die damals zur Verfügung standen, lassen<br />

sich, mit Nuancen, diesem Horror zuordnen:<br />

man breche vom ersten Tage an den Willen<br />

des Neugeborenen, sonst ist es für immer um<br />

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