Als PDF speichern - European Health Forum Gastein
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EHFG 2012: Riskante Impfmüdigkeit in Europa - Studien<br />
belegen auch wirtschaftlichen Impf-Nutzen<br />
Europäische Impfprogramme zählen zu den Erfolgsgeschichten der Medizin. Doch beim<br />
Impfen sind die Europäer/-innen zunehmend zurückhaltend - mit der Folge, dass besiegt<br />
geglaubte Infektionskrankheiten wie Masern in Europa wieder vermehrt auftreten. Europa-<br />
Parlamentarierin Karin Kadenbach forderte beim <strong>European</strong> <strong>Health</strong> <strong>Forum</strong> <strong>Gastein</strong><br />
gemeinsame europäische Anstrengungen, um Impfungen wieder „in die Köpfe der Menschen<br />
zu bringen“. Weltbank-Experte Dr. Armin Fidler unterstrich den hohen Kosten-Nutzen-<br />
Faktor von öffentlichen Impfprogrammen.<br />
Bad Hofgastein, 3. Oktober 2012 – Bei Kinderlähmung oder Pocken war Europa mit<br />
flächendeckenden Impfprogrammen erfolgreich. Die Pocken gelten inzwischen als ausgerottet<br />
und 2012 wurde die WHO Region Europa zum zehnten Mal in Folge als poliofrei zertifiziert.<br />
An anderen schweren Infektionskrankheiten laboriert Europa allerdings noch: „Derzeit<br />
flammen zum Beispiel Masern und Röteln in Europa wieder auf. Die<br />
Weltgesundheitsorganisation WHO musste daher das Ziel, diese Krankheiten endgültig zu<br />
besiegen, von 2010 auf 2015 verschieben. Grund dafür ist eine fallenden Impfquote, was zu<br />
einem Anstieg der Infektionen geführt hat“, bedauerte die österreichische EU-<br />
Parlamentarierin Karin Kadenbach beim <strong>European</strong> <strong>Health</strong> <strong>Forum</strong> <strong>Gastein</strong>. Nur wenn 95<br />
Prozent der Population gegen Masern geschützt sind, können Viren nicht mehr zirkulieren. In<br />
den 53 Ländern der WHO-Europaregion ist die Impfrate jedoch nicht annähernd hoch genug,<br />
um die extrem ansteckende Krankheit zu eliminieren. Mit gefährlichen Folgen, wie eine<br />
kürzlich veröffentlichte Studie i zeigt: Die Zahl der Masernfälle ist von 2010 bis 2011 in der<br />
EU um den Faktor 4 angestiegen.<br />
Hemmschuhe für Immunisierungen: Impfmüdigkeit, Skepsis und Kosten<br />
„Europäische Impfprogramme geraten als Erfolgsstory der Gesundheitsversorgung leider in<br />
Vergessenheit, paradoxerweise gerade deshalb, weil sie so erfolgreich sind“, so Karin<br />
Kadenbach. Der Stellenwert von Impfungen werde verkannt, weil bestimmte Krankheiten<br />
kaum mehr ein Thema sind. Das verleite viele zur Einschätzung, dass die Impfungen nicht<br />
mehr nötig sind. Aufgrund von kontroversen Diskussionen, insbesondere im Internet, leiden<br />
Impfungen zudem an Imageproblemen. Viele Eltern sind verunsichert und lassen ihre Kinder<br />
nicht mehr gegen Masern, Röteln und Co. impfen. „Fast 650.000 Kinder in der Europäischen<br />
WHO-Region erhalten zum Beispiel nicht die erste Dosis des Masernimpfstoffes, um die<br />
Bedingungen für den grundlegenden Impfschutz zu erfüllen“, berichtete Kadenbach. Eine<br />
sehr bedauerliche Bilanz, zumal Masernerkrankungen keine Bagatelle sind, sondern zu<br />
schweren Schädigungen neurologischer Natur oder an den Organen führen können oder im<br />
schlimmsten Fall tödlich ausgehen.<br />
Die mit Impfungen verbundenen Kosten halten viele von Immunisierungen ab, wie sich am<br />
Beispiel der Grippe-Impfungen zeigt. Länder, die die saisonale Influenza-Impfung am<br />
wenigsten finanziell stützen, weisen auch die niedrigsten Durchimpfungsraten auf. Im<br />
Europavergleich ist Österreich gemeinsam mit Tschechien und Polen auf den hinteren Plätzen<br />
zu finden. Oft wird auch verabsäumt, besonders gefährdeten Personengruppen<br />
Immunisierungen nahezubringen. „Nur 37 Prozent der über 65-Jährigen sind in Österreich<br />
gegen Influenza geimpft, empfohlenes Ziel ist eine Rate von 75 Prozent. Im Vergleich dazu<br />
sind es in Spanien 71 Prozent, in Großbritannien 70 Prozent, in Frankreich 68 Prozent, also<br />
fast doppelt so viele“, so Karin Kadenbach.
Neben ökomischen Barrieren können auch physische Barrieren daran schuld<br />
sein, dass sich zu wenige Menschen impfen lassen. Niederschwellige<br />
Ansätze wie Grippeimpfungen im Betrieb oder in einer Impfinsel in<br />
Einkaufszentren erweisen sich bereits in vielen Ländern als erfolgreich.<br />
Kosten-Nutzen-Faktor erwiesen<br />
Für Dr. Armin Fidler, führender Berater der Weltbank in Fragen der Gesundheitspolitik, ist es<br />
auch ökonomisch sinnvoll, dass bestimmte Impfungen von der öffentlichen Hand finanziell<br />
stark gestützt und möglichst kostenlos angeboten werden: „Es ist klar erwiesen, dass<br />
Immunisierungen zu den kosteneffizientesten Interventionen im Bereich Public <strong>Health</strong><br />
zählen.“ Dies auch dann, wenn die Impfstoffe kostspielig sind, wie der „State of the world's<br />
vaccines and immunization report“ der WHO unterstreicht. „Das positive Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis zeigt sich deutlich am Beispiel von Pneumokokken-Impfungen. Aus einer 2011<br />
erschienen US-Studie geht hervor, dass bei ausreichender Durchimpfung in jenen<br />
Entwicklungsländern, die Unterstützung durch die Entwicklungshilfe-Organisation GAVI<br />
Alliance (Global Alliance for Vaccines and Immunisation) erhalten, im Zeitraum zwischen<br />
2010 und 2019 zwischen 986 Millionen und 1,2 Milliarden US-Dollar an Kosten vermieden<br />
werden können, also rund 85 Prozent der Ausgaben, die durch Lungenentzündung entstehen<br />
würden – einer Krankheit, an der übrigens allein 2008 über 1,5 Millionen Kinder in<br />
Entwicklungsländern gestorben sind“, berichtete Dr. Fidler. „Noch nicht in dieser Berechnung<br />
enthalten sind die weiteren Krankheiten, die man Kindern und Gesundheitsbudgets durch eine<br />
Pneumokokken-Impfung ersparen könnte. So sind Pneumokokken bei Kindern unter fünf<br />
Jahren die zweithäufigste Ursache für akute bakterielle Gehirnhautentzündungen, die oft letal<br />
oder mit schweren Behinderungen enden.“<br />
Impfungen an Sozialleistungen knüpfen<br />
Nicht nur bezogen auf Entwicklungsländer stelle sich daher die Frage, so der Weltbank-<br />
Experte, warum man Menschen für eine medizinische Intervention zahlen lassen soll und<br />
dadurch vielleicht von einer Impfung fernhält, die nicht nur schwere Krankheit, Invalidität<br />
und Tod verhindern kann, sondern auch ökonomisch Sinn macht. „Selbst in vielen Ländern<br />
mit geringen oder mittleren Einkommen sind die öffentlichen Haushalte nicht nur bereit, auf<br />
Kostenbeteiligungen an den Immunisierungen zu verzichten – sie bezahlen die Menschen<br />
sogar buchstäblich dafür, um so die Durchimpfungsrate zu steigern. So sind in Staaten wie<br />
Brasilien, Mexiko oder der Türkei manche sozialen Leistungen wie etwa Schulgeld an<br />
Impfungen geknüpft. Diese 'conditional cash transfers' machen sich angesichts der hohen<br />
Kosten-Nutzen-Rechnung von Impfungen bezahlt“, so Dr. Fidler.<br />
Kadenbach: Gemeinsame europäische Initiative nötig<br />
„Die Bedeutung von Impfungen muss wieder in die Köpfe der Menschen zurückgebracht<br />
werden“, forderte beim EHFG die Europa-Abgeordnete Kadenbach. „Dazu braucht es eine<br />
gemeinsame europäische Initiative, bei der Gesundheitsexperten/-innen und<br />
Entscheidungsträger/-innen eingebunden sind. Impfungen müssen weiterhin unvermindert<br />
politisch unterstützt werden. Andernfalls riskiert die WHO-Region, dass hochansteckende<br />
Krankheiten wieder auftreten, die Leiden, Behinderungen sowie Todesfälle verursachen und<br />
Gesundheitssysteme wie Eltern großen Belastungen aussetzen.“ Um die Impfbeteiligung zu<br />
erhöhen, brauche es Ärzte/-innen, die eine Impfempfehlung abgeben, vermehrte Information<br />
über Infektionskrankheiten und Schutzmaßnahmen dagegen und nicht zuletzt eine adäquate<br />
Finanzierung und Impfadministration.
Das EHFG ist der wichtigste gesundheitspolitische Kongress der<br />
Europäischen Union, mehr als 600 Entscheidungsträger aus 45 Ländern<br />
diskutieren vom 3. bis 6. Oktober 2012 bereits zum 15. Mal zentrale<br />
Zukunftsthemen der europäischen Gesundheitssysteme.<br />
Fotos zum diesjährigen <strong>European</strong> <strong>Health</strong> <strong>Forum</strong> <strong>Gastein</strong> finden Sie unter<br />
http://www.ehfg.org/940.html.<br />
EHFG Pressebüro<br />
Dr. Birgit Kofler<br />
B&K Kommunikationsberatung GmbH<br />
Tel. während des Kongresses: +43 6432 3393 239<br />
Mobil: +43 676 636 89 30<br />
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E-Mail: presse@ehfg.org<br />
i Carillo-Santisteve, Clin Micribiol Infect, August 2012