Der WählerInnenwille - Multiple Choices
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Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht<br />
WIE WIRKEN WAHLSYSTEME?<br />
Das Wahlrecht eines Landes steht in engem Zusammenhang<br />
mit seiner politischen Kultur. Demokratien<br />
werden unterschieden in:<br />
Konkurrenzdemokratien, die aufgrund des Mehrheitswahlrechts<br />
nach dem The winner takes it all-<br />
System sehr wettbewerbsorientiert sind.<br />
Konkordanzdemokratien, die – siehe das Verhältniswahlrecht<br />
mit im Regelfall aus zwei oder mehreren<br />
Parteien bestehenden Koalitionsregierungen – konsensorientiert<br />
sind.<br />
Die Konsequenzen dieser Unterscheidung sind vielfältig.<br />
Mehrheitswahlen fördern nicht nur Einparteienregierungen,<br />
sondern auch ein Zweiparteiensystem.<br />
Verhältniswahlen machen demgegenüber<br />
ein Mehrparteiensystem wahrscheinlicher. Vor- und<br />
Nachteile der beiden Modelle sind als Abwägung<br />
zwischen der Effektivität von Entscheidungen und<br />
dem Gedanken der Gerechtigkeit zu verstehen:<br />
Mehrheitswahlrecht<br />
Konkurrenzdemokratien verfügen über eine Struktur,<br />
die auf das Ziel einer „raschen“ und institutionell<br />
möglichst ungehinderten Durchsetzbarkeit<br />
des Mehrheitswillens ausgerichtet sind. In Einpersonenwahlkreisen<br />
bekommt der/die WahlsiegerIn<br />
alles, der/die VerliererIn nichts. Dahinter steht das<br />
Verständnis, dass Abgeordnete einer Partei für ihr<br />
Programm gewählt wurden und dieses nahezu 100-<br />
prozentig umzusetzen haben. Für den Bruch von<br />
Wahlversprechen gibt es keine Rechtfertigung infolge<br />
von Kompromissen mit Koalitionspartnern.<br />
Solche Kompromisszwänge werden auch abgelehnt,<br />
um nicht eine Politik des kleinsten gemeinsamen<br />
Nenners zu fördern.<br />
Verhältniswahlrecht<br />
Konkordanzdemokratien beruhen auf Prinzipien der<br />
gleichwertigen Repräsentation im Entscheidungsprozess<br />
und nehmen dafür eine Schwerfälligkeit des<br />
Entscheidungsverfahrens in Kauf. Es gilt als gerecht,<br />
wenn beispielsweise eine Partei mit etwa 25 Prozent<br />
der Stimmen auch – mit leichten Ungenauigkeiten<br />
aufgrund der Wahlarithmetik – 25 Prozent der<br />
Mandate erhält. Neben der Notwendigkeit von<br />
Kompromissen als Nachteil gibt es für WählerInnen<br />
keine Möglichkeit, bestimmte Koalitionsformen zu<br />
wünschen. Parteien entscheiden im Regelfall unabhängig<br />
vom <strong>WählerInnenwille</strong>n, ob und mit wem sie<br />
eine Regierung bilden wollen. Lediglich durch ein<br />
strategisches Wahlverhalten kann mittelbar versucht<br />
werden, Koalitionsmöglichkeiten zu beeinflussen.<br />
Historische Entwicklung in Österreich<br />
In Österreich war es vor dem Hintergrund der Ereignisse<br />
im Februar 1934 mit gewaltsamen Konflikten<br />
zwischen den politischen Lagern, dem Ständestaat<br />
bzw. Austrofaschismus 1934 bis 1938 und der Zeit des<br />
Nationalsozialismus von 1938 bis 1945 naheliegend,<br />
für die Zweite Republik einen möglichst breiten<br />
Konsens anzustreben. Logische Folge war, die Verhältniswahl<br />
mit einer anteiligen Vertretung mehrerer<br />
Parteien im Parlament und – trotz Ausnahmen<br />
etwa durch eine absolute Mehrheit und Alleinregierung<br />
der ÖVP 1966 bis 1970 sowie der SPÖ 1970 bis<br />
1983 – Koalitionsregierungen anzustreben.<br />
In den österreichischen Bundesländern gibt es sogar<br />
heute noch teilweise ein Proporzsystem, d.h., alle<br />
Parteien ab einem gewissen Stimmenanteil bzw. der<br />
daraus resultierenden Mandatszahl – je nach Wahlarithmetik<br />
bedeutet das meistens knapp über oder<br />
unter 10 Prozent der Stimmen – in der Landtagswahl<br />
müssen in der Landesregierung vertreten sein.<br />
Die Regierungsbeteiligung und Zahl der Regierungssitze<br />
für eine Partei ergeben sich somit im<br />
Unterschied zu Nationalratswahlen nicht durch eine<br />
absolute Mehrheit oder aus Koalitionsgesprächen,<br />
sondern aus dem Wahlergebnis. Lediglich die Ressort-<br />
und Kompetenzverteilung ist in diesen Ländern<br />
Gegenstand von Parteienverhandlungen.<br />
Beispiel USA<br />
In den USA wiederum entspricht die Konkurrenzdemokratie<br />
dem Wettbewerbsgedanken als Element<br />
der politischen Kultur. Allerdings hat sich in Österreich<br />
ebenfalls der Wunsch nach von der Mandatszahl<br />
her klaren Wahlergebnissen verstärkt, sodass<br />
Mischformen von Verhältnis- und Mehrheitswahl<br />
diskutiert werden.<br />
Diskussionsvorschläge<br />
Vorschläge sind u.a., als Abweichung von der reinen<br />
Verhältniswahl der erstplatzierten Partei auf jeden<br />
Fall 50 Prozent plus x der Mandate zuzusprechen,<br />
oder 100 der 183 NationalrätInnen in Einpersonenwahlkreisen<br />
nach dem Mehrheitswahlrecht zu<br />
bestimmen und lediglich die restlichen Mandate<br />
verhältnismäßig zu vergeben. In beiden Fällen würden<br />
Kleinparteien nicht aus dem Parlament gedrängt,<br />
hätten jedoch keine reale Chance auf eine<br />
Regierungsbeteiligung.<br />
Peter Filzmaier<br />
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