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Was sind Farben

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BERICHT<br />

Ralph Schumacher:<br />

<strong>Was</strong> <strong>sind</strong> <strong>Farben</strong>?<br />

Ein Forschungsbericht über die Wahrnehmung und den<br />

Status sekundärer Qualitäten<br />

<strong>Was</strong> <strong>sind</strong> sekundäre Qualitäten?<br />

Wenn man uns auffordert, Beispiele für<br />

wahrnehmbare Eigenschaften zu nennen,<br />

dann werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

Qualitäten wie <strong>Farben</strong>, Geschmackseigenschaften,<br />

Geräusche und Gerüche aufführen.<br />

Aber obwohl wir diese Qualitäten umgangssprachlich<br />

realen Dingen als Eigenschaften<br />

zuschreiben - wenn wir beispielsweise<br />

behaupten, dass die Tomate rot ist, der<br />

Zucker süß schmeckt oder der Braten verbrannt<br />

riecht - stellt sich bei näherer Betrachtung<br />

die Frage, ob es tatsächlich angemessen<br />

ist, sie zu den Bestandteilen der Wirklichkeit<br />

zu rechnen.<br />

(2) Unsere Begriffe sekundärer Qualitäten<br />

(1) Im Essay concerning Human Understanding<br />

führt John Locke eine Unterscheidung Subjekte bezogen. So werden beispielsweise<br />

<strong>sind</strong> in besonderer Weise auf wahrnehmende<br />

zwischen zwei Arten von Eigenschaften ein, Farbbegriffe unter Bezugnahme auf das Aussehen<br />

von Dingen unter normalen Beleuch-<br />

die er als primäre und sekundäre Qualitäten<br />

bezeichnet (II, viii, 8 – 26). In sachlicher tungsverhältnissen für normalsichtige<br />

Hinsicht findet sich diese Unterscheidung menschliche Subjekte festgelegt. Demnach<br />

zwar bereits bei Galeio Galilei, Robert Boyle,<br />

René Descartes und Nicolas Malebranche. Tageslichtbedingungen für normalsichtige<br />

ist ein Objekt genau dann rot, wenn es unter<br />

Aber diese Autoren verwenden noch nicht Menschen rot aussieht. In die Definition sekundärer<br />

Qualitäten gehen damit durch den<br />

die erst seit Locke gebräuchlich gewordenen<br />

Bezeichnungen „primäre“ und „sekundäre“ Bezug auf Wahrnehmungsbedingungen und<br />

Qualitäten. Zu den primären Qualitäten rechnet<br />

Locke Eigenschaften, die im Rahmen najektive<br />

Bestimmungen wesentlich ein. Dieser<br />

sinnesphysiologische Voraussetzungen subturwissenschaftlicher<br />

Erklärungen zugrunde Bezug auf subjektive Faktoren wird vor allem<br />

deshalb als etwas angesehen, das mit der<br />

gelegt werden. Vor dem Hintergrund der zu<br />

seiner Zeit gängigen mechanistischen Modelle<br />

zählt Locke vor allem geometrische und lich ist, weil die Entscheidung darüber, wel-<br />

Realität sekundärer Eigenschaften unverträg-<br />

kinematische Eigenschaften wie Form, Größe,<br />

Gewicht und Bewegung zu den primären Beobachter als normal gelten sollen, letztlich<br />

che Wahrnehmungsbedingungen und welche<br />

Qualitäten. Als sekundäre Qualitäten betrachtet<br />

er hingegen Eigenschaften wie Farmaten<br />

für den einen rot und für den anderen<br />

von Konventionen abhängig ist: Wenn Toben,<br />

Geschmackseigenschaften, Geräusche grün aussehen, wie lässt sich dann ohne mehr<br />

und Gerüche, die keine Erklärungsfunktion oder minder willkürliche Festsetzungen entscheiden,<br />

welches ihre wirkliche Farbe ist?<br />

in naturwissenschaftlichen Theorien besitzen<br />

sollen. Primären und sekundären Eigenschaf-<br />

Hingegen stellt sich dieses Problem im Fall<br />

1<br />

ten ist laut Locke zwar gemeinsam, dass beide<br />

sinnlich wahrnehmbar <strong>sind</strong>. Sie sollen<br />

sich aber darin unterscheiden, dass für die<br />

Erklärung des Auftretens von Wahrnehmungen<br />

primärer und sekundärer Qualitäten allein<br />

die Existenz primärer Qualitäten angenommen<br />

werden muss. Seit dem 17. Jahrhundert<br />

ist diese Überlegung in verschiedenen<br />

Versionen immer wieder vorgebracht<br />

worden, um dafür zu argumentieren, dass es<br />

aus der Sicht der Naturwissenschaften ausreicht,<br />

ausschließlich primäre Qualitäten - zu<br />

denen in erster Linie physikalische Eigenschaften<br />

gerechnet werden - als real und kausal<br />

wirksam anzusehen.


BERICHT<br />

der primären Eigenschaften nicht. Während<br />

man zwar festlegen kann, dass Tomaten rot<br />

<strong>sind</strong>, weil sie unter normalen Beleuchtungsverhältnissen<br />

für normalsichtige Menschen<br />

rot aussehen, lässt sich dies auf geometrische<br />

und physikalische Eigenschaften nicht übertragen.<br />

Schließlich wird man zum Beispiel<br />

dem Begriff „würfelförmig“ nicht gerecht,<br />

wenn man ihn dadurch definiert, unter Standardbedingungen<br />

für normalsichtige Subjekte<br />

würfelförmig auszusehen. Vielmehr verhält<br />

es sich in diesem Fall gerade andersherum:<br />

Dinge sehen nämlich würfelförmig aus,<br />

weil sie würfelförmig <strong>sind</strong>. Dieser Unterschied<br />

kommt dadurch zustande, dass die Eigenschaft,<br />

würfelförmig zu sein, in erster Linie<br />

nicht über das Aussehen, sondern über<br />

die kausalen Eigenschaften bestimmt wird,<br />

die die Interaktion würfelförmiger Objekte<br />

mit anderen Dingen charakterisieren.<br />

dieser Auffassung existieren sekundäre Qualitäten<br />

außerhalb des Geistes nicht so, wie sie<br />

von uns erfahren werden.<br />

Im folgenden Überblick über die wichtigsten<br />

Positionen und Fragestellungen zur Wahrnehmung<br />

und zum ontologischen Status sekundärer<br />

Qualitäten, die als Reaktion auf die<br />

dargestellten Überlegungen gegenwärtig diskutiert<br />

werden, konzentriere ich mich auf einen<br />

bestimmten Typ sekundärer Qualitäten,<br />

nämlich auf Farbeigenschaften. Die Diskussion<br />

über die Wahrnehmung und den ontologischen<br />

Status von <strong>Farben</strong> ist bei weitem<br />

stärker ausdifferenziert als die Diskussion<br />

über andere Typen sekundärer Qualitäten,<br />

weil dem Gesichtssinn unter unseren Sinnen<br />

eine herausragende Rolle zukommt.<br />

Theoretische Anforderungen<br />

(3) Um über Begriffe sekundärer Qualitäten<br />

verfügen zu können, ist es erforderlich, die<br />

betreffenden Eigenschaften selber wahrzunehmen.<br />

So lässt sich einer Person, die blind<br />

geboren wurde, allein durch Beschreibungen<br />

nicht verständlich machen, welche Eigenschaften<br />

wir mit Farbbegriffen bezeichnen.<br />

Auch Geschmackseigenschaften, Gerüche<br />

und Geräusche muss man selber erfahren haben,<br />

um die entsprechenden Begriffe verstehen<br />

zu können. Anders verhält es sich mit<br />

Begriffen primärer Eigenschaften. Zum Beispiel<br />

kann man jemandem, der noch nie ein<br />

Dreieck gesehen hat, durchaus erklären, dass<br />

ein Dreieck eine Figur ist, die entsteht, wenn<br />

man zwei einander gegenüberliegende Eckpunkte<br />

eines Quadrates durch eine gerade<br />

Linie verbindet. Der Gehalt von Begriffen<br />

sekundärer Qualitäten scheint demnach in<br />

besonderer Weise durch die subjektiven Eindrücke<br />

bestimmt zu sein, die wir beim<br />

Wahrnehmen dieser Eigenschaften erhalten.<br />

Aus diesem Grund vertritt beispielsweise<br />

Descartes in den Prinzipien der Philosophie<br />

die Position, dass wir mit Begriffen sekundärer<br />

Qualitäten nicht die Natur außerhalb des<br />

Geistes existierender Eigenschaften erfassen,<br />

sondern beschreiben, auf welche Weise bestimmte<br />

Kombinationen primärer Qualitäten<br />

von uns erlebt werden (I, §§ 68 – 70). Nach<br />

2<br />

Folgende Anforderungen müssen an eine<br />

Theorie zur Wahrnehmung und zum ontologischen<br />

Status von <strong>Farben</strong> gestellt werden:<br />

(1) <strong>Farben</strong> <strong>sind</strong> sinnlich wahrnehmbar. Sie<br />

sollten daher nicht mit Entitäten identifiziert<br />

werden, die grundsätzlich nicht wahrnehmbar<br />

<strong>sind</strong>.<br />

(2) Nach Auffassung vieler Autoren (wie<br />

z.B. Paul Boghossian, John Campbell, Gilbert<br />

Harman, Colin McGinn und David Velleman)<br />

werden <strong>Farben</strong> von uns normalerweise<br />

als intrinsische Oberflächeneigenschaften<br />

realer Dinge wahrgenommen. Um zu vermeiden,<br />

dass unsere normale Farbwahrnehmung<br />

als vollständig fehlerhaft aufgefasst<br />

werden muss, sollte man demnach <strong>Farben</strong><br />

weder als relationale Eigenschaften noch als<br />

Eigenschaften beschreiben, die nicht realen<br />

physischen Dingen, sondern „im Geist“ existierenden<br />

mentalen Entitäten wie Sinnesdaten<br />

zukommen.<br />

(3) Es sollte berücksichtigt werden, dass wir<br />

<strong>Farben</strong> umgangssprachlich kausale Rollen<br />

zuschreiben, indem wir sie zum Beispiel als<br />

Ursachen für das Auftreten von Farbwahrnehmungen<br />

ansehen.


(4) Dem Unterschied zwischen realen und<br />

scheinbaren <strong>Farben</strong> sollte theoretisch Rechnung<br />

getragen werden.<br />

(5) Man sollte erklären können, warum die<br />

Definitionen von <strong>Farben</strong> wesentlich auf das<br />

Aussehen von Dingen (unter normalen Beleuchtungsverhältnissen<br />

und für normalsichtige<br />

menschliche Subjekte) bezogen <strong>sind</strong>.<br />

(6) Viele Autoren der Gegenwart wie Boghossian,<br />

Alex Byrne, Campbell, Mark Johnston,<br />

McGinn, Galen Strawson und Velleman<br />

vertreten die Auffassung, dass uns im Zuge<br />

der sinnlichen Wahrnehmung die Natur von<br />

<strong>Farben</strong> entweder vollständig oder zumindest<br />

in wesentlichen Hinsichten offen gelegt wird.<br />

Demnach verfügt man genau dann, wenn<br />

man <strong>Farben</strong> selber wahrgenommen hat, über<br />

alle wesentlichen Informationen, die für die<br />

Verwendung der betreffenden Farbbegriffe<br />

erforderlich <strong>sind</strong>. Eine Theorie der Farbwahrnehmung<br />

sollte demnach diese besondere<br />

Form kognitiver Transparenz erklären<br />

können.<br />

Lösungsansätze<br />

Eliminativismus<br />

Die Ausgangsfrage, ob die Gegenstände farbig<br />

<strong>sind</strong>, wird von eliminativistischen Theorien<br />

negativ beantwortet. Demnach handelt<br />

es sich bei <strong>Farben</strong> um subjektive Qualitäten<br />

unserer Wahrnehmungen, die wir fälschlich<br />

auf physische Dinge projizieren. Eliminativistischen<br />

Konzeptionen liegt in erster Linie<br />

das theoretische Motiv zugrunde, nur solche<br />

Entitäten als real anzuerkennen, die im Rahmen<br />

physikalischer Erklärungen zugrunde<br />

gelegt werden. Da <strong>Farben</strong> in solchen Erklärungen<br />

keine Rolle spielen sollen, werden sie<br />

folglich nicht als real betrachtet.<br />

BERICHT<br />

Diese Position ist aus mehreren Gründen<br />

problematisch, zu denen hauptsächlich die<br />

folgenden drei Schwierigkeiten zählen: Erstens<br />

ist sie unbefriedigend, weil sie uns einen<br />

kollektiven Irrtum hinsichtlich unserer normalen<br />

Farbwahrnehmungen unterstellt, denn Physikalismus<br />

nach dieser Konzeption kommt keine der von<br />

3<br />

uns für real gehaltenen <strong>Farben</strong> den Dingen<br />

tatsächlich als Eigenschaft zu. Der eliminativistische<br />

Ansatz wird damit den theoretischen<br />

Anforderungen (2), (3), (4) und (6)<br />

nicht gerecht. Zweitens ist der in Bezug auf<br />

die Physik vertretene Exklusivitätsanspruch<br />

unangemessen: Der Umstand, dass sich die<br />

Wirklichkeit mithilfe physikalischer Begriffe<br />

beschreiben lässt, impliziert nicht, dass sie<br />

ausschließlich aus physikalischen Entitäten<br />

besteht - schließlich beziehen wir uns auch<br />

noch mit anderen Beschreibungsweisen auf<br />

die Wirklichkeit. Daraus, dass Farbbegriffe<br />

in physikalischen Erklärungen keine Verwendung<br />

finden, folgt also ebenso wenig,<br />

dass <strong>Farben</strong> nicht real <strong>sind</strong>, wie sich diese<br />

Konsequenz daraus ergibt, dass Farbbegriffe<br />

in beliebigen anderen Erklärungsweisen<br />

nicht vorkommen. Drittens beanspruchen<br />

eliminativistische Ansätze, das Zustandekommen<br />

von Farbwahrnehmungen zu erklären,<br />

ohne dabei die Existenz von <strong>Farben</strong> annehmen<br />

zu müssen. Daraus ergibt sich aber<br />

ein Problem, denn um anderen Subjekten<br />

Farbwahrnehmungen überhaupt zuschreiben<br />

zu können, muss das interpretierende Subjekt<br />

selber die Existenz von <strong>Farben</strong> annehmen<br />

(siehe die Argumentation von Barry Stroud<br />

in 4, Kap. 7). Schließlich kann ein Subjekt S<br />

nicht von einem anderen Subjekt S´ behaupten,<br />

dass S´ eine rote Tomate wahrnimmt,<br />

ohne selber die betreffende Farbe als real anzusehen.<br />

Dies folgt daraus, dass es sich bei<br />

Wahrnehmungsverben um Erfolgsverben<br />

handelt, die wir Subjekten nur dann korrekt<br />

zuschreiben, wenn die Inhalte der betreffenden<br />

Wahrnehmungen mit der Wirklichkeit<br />

übereinstimmen. Damit ergibt sich folgendes<br />

Dilemma: Entweder wir können Subjekten<br />

Farbwahrnehmungen zuschreiben. In diesem<br />

Fall müssen wir selber <strong>Farben</strong> als real betrachten.<br />

Oder wir bestreiten die Realität von<br />

<strong>Farben</strong>. Aber dann <strong>sind</strong> wir nicht mehr in der<br />

Lage, Subjekten Farbwahrnehmungen zuzuschreiben.<br />

Dem eliminativistischen Projekt,<br />

das Zustandekommen von Farbwahrnehmungen<br />

ohne die Annahme realer <strong>Farben</strong> zu<br />

erklären, wird damit die Grundlage entzogen.


Im Unterschied zum Eliminativismus wird<br />

im Rahmen physikalistischer Theorien die<br />

Frage, ob die Gegenstände farbig <strong>sind</strong>, positiv<br />

beantwortet, denn nach diesen Theorien<br />

handelt es sich bei <strong>Farben</strong> um physikalische<br />

Eigenschaften. Das zentrale theoretische Motiv<br />

physikalistischer Ansätze besteht darin,<br />

eine Konzeption bereitzustellen, die es erlaubt,<br />

<strong>Farben</strong> als reale Eigenschaften aufzufassen,<br />

die unseren Farbwahrnehmungen als<br />

Ursachen zugrunde liegen.<br />

Um erklären zu können, warum Dinge für<br />

verschiedene Subjekte sowie unter verschiedenen<br />

Beobachtungsbedingungen in farblicher<br />

Hinsicht unterschiedlich aussehen können,<br />

setzen Frank Jackson und Robert Pargetter<br />

<strong>Farben</strong> mit Disjunktionen physikalischer<br />

Eigenschaften gleich. Demnach wird<br />

beispielsweise die Eigenschaft, rot zu sein,<br />

für Subjekte mit verschiedenen Sinnesorganen<br />

durch unterschiedliche physikalische Eigenschaften<br />

realisiert. Ebenso soll es möglich<br />

sein, dass ein und dieselbe physikalische<br />

Eigenschaft unter verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen<br />

bei einem Subjekt unterschiedliche<br />

Farbwahrnehmungen verursacht.<br />

Der Begriff der Röte soll daher die Disjunktion<br />

der physikalischen Eigenschaften umfassen,<br />

die bei unterschiedlichen Subjekten<br />

sowie unter verschiedenen Wahrnehmungsbedingungen<br />

Rot-Wahrnehmungen hervorrufen.<br />

Dieser Ansatz ist in der Lage, den engen Zusammenhang<br />

zwischen der Eigenschaft, beispielsweise<br />

rot zu sein, und dem roten Aussehen<br />

zu erklären: Zwar existieren die physikalischen<br />

Eigenschaften, die die Farbe rot<br />

konstituieren, völlig subjektunabhängig.<br />

Aber welche physikalischen Eigenschaften<br />

welche <strong>Farben</strong> darstellen, ist nicht unabhängig<br />

davon, wie sie für bestimmte Subjekte<br />

unter bestimmten Beleuchtungsverhältnissen<br />

aussehen.<br />

BERICHT<br />

Eigenschaften verursacht werden, gibt es<br />

kein kausales Kriterium zur Unterscheidung<br />

realer und scheinbarer <strong>Farben</strong>. Damit stellt<br />

sich die Frage, ob diesem Unterschied im<br />

Rahmen des Physikalismus überhaupt angemessen<br />

Rechnung getragen werden kann.<br />

Laut Jackson und Pargetter besteht zwischen<br />

wirklichen und scheinbaren <strong>Farben</strong> kein metaphysischer,<br />

sondern lediglich ein konventioneller<br />

Unterschied: Ebenso, wie es eine<br />

Konvention darstellt, Tennisbälle als rund zu<br />

bezeichnen - obwohl diese während eines<br />

Spiels verschiedene andere Formen annehmen<br />

-, soll es auch eine bloße Konvention<br />

sein, die bei Tageslicht wahrgenommenen<br />

<strong>Farben</strong> als real anzusehen und sie von den<br />

scheinbaren <strong>Farben</strong> zu unterscheiden, die wir<br />

beispielsweise unter blauem Licht wahrnehmen.<br />

Es ist aber fraglich, ob man mit diesem<br />

Ansatz der oben genannten theoretischen<br />

Anforderung (4) tatsächlich gerecht wird.<br />

Vielmehr entsteht der Eindruck, dass ein<br />

ernstzunehmendes Problem physikalistischer<br />

Konzeptionen gerade darin liegt, letztlich alle<br />

wahrnehmbaren <strong>Farben</strong> mit physikalischen<br />

Eigenschaften zu identifizieren.<br />

Ein weiteres grundsätzliches Problem physikalistischer<br />

Ansätze besteht darin, dass wir<br />

in Alltagssituationen <strong>Farben</strong> nicht als physikalische<br />

Eigenschaften von Dingen wahrnehmen:<br />

Wenn zum Beispiel eine Tomate für<br />

uns rot aussieht, dann erfahren wir mit dieser<br />

Wahrnehmung normalerweise nichts über die<br />

physikalische Natur dieser Farbe. Es gibt<br />

zwei Optionen, um auf diesen Einwand zu<br />

reagieren. Jackson versucht ihn zu entkräften,<br />

indem er argumentiert, die Grundannahme.<br />

die sinnliche Wahrnehmung würde<br />

uns tatsächlich die Natur von <strong>Farben</strong> offen<br />

legen (siehe 13) sei unzutreffend. Für Byrne<br />

und Hilbert dagegen verteidigen die These,<br />

dass es im hingegen ist es Rahmen physikalistischer<br />

Theorien durchaus Anforderung (6)<br />

zu erfüllen. Sie antworten<br />

damit auf die<br />

Da die Eindrücke von <strong>Farben</strong>, die wir umgangssprachlich<br />

als scheinbare <strong>Farben</strong> bemuskritik<br />

von Boghossian und Velleman<br />

ebenso umfassende wie subtile Physikaliszeichnen,<br />

gleichermaßen wie die Eindrücke (siehe 7 und 9).<br />

von <strong>Farben</strong>, die wir normalerweise als wirkliche<br />

<strong>Farben</strong> auffassen, von physikalischen<br />

4


Ralph Schumacher<br />

BERICHT<br />

Der Kern dieser Kritik betrifft das Verhältnis<br />

zwischen dem repräsentationalen und dem<br />

phänomenalen Gehalt von Farbwahrnehmungen:<br />

Der repräsentationale Gehalt von<br />

Farbwahrnehmungen legt fest, auf welche<br />

Eigenschaften sie sich repräsentierend beziehen.<br />

Im Unterschied dazu bestimmt der phänomenale<br />

Gehalt die Art und Weise, in der<br />

Farbwahrnehmungen von Subjekten erlebt<br />

werden. Dieser Gehalt wird in den meisten<br />

Theorien unter Bezugnahme auf subjektive<br />

Erlebnisqualitäten wie Farbeindrücke charakterisiert,<br />

die uns in der Wahrnehmung<br />

präsentiert werden. Für Boghossian und Velleman<br />

kann im Rahmen physikalistischer<br />

Theorien das Verhältnis zwischen dem<br />

repräsentationalen und dem phänomenalen<br />

Gehalt von Farbwahrnehmungen nur als kontingent<br />

beschrieben werden. Physikalistische<br />

Theorien können demnach nicht die bereits<br />

von Malebranche, Arnauld und Locke diskutierte<br />

Möglichkeit ausschließen, dass zum<br />

Beispiel Farbwahrnehmungen, welche die<br />

Eigenschaft, rot zu sein, repräsentieren, von<br />

phänomenalen Grün-Eindrücken begleitet<br />

werden. Da für Subjekte, bei denen repräsentationaler<br />

und phänomenaler Gehalt in dieser<br />

Weise vertauscht <strong>sind</strong>, rote Dinge grün aussehen<br />

sollen, folgern Boghossian und Velleman,<br />

dass ihnen die Natur von <strong>Farben</strong> im<br />

Zuge der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugänglich<br />

sein kann. Als Reaktion auf diesen<br />

Einwand entwickeln Byrne und David Hilbert<br />

ein Gedankenexperiment, mit dem die<br />

Möglichkeit solcher invertierter Farbspektren<br />

ausgeschlossen werden soll, indem gezeigt<br />

wird, dass repräsentationaler und phänomenaler<br />

Gehalt einander notwendigerweise entsprechen.<br />

Neben der Frage, ob dieses Gedankenexperiment<br />

überzeugend ist, stellt<br />

sich grundsätzlich die Frage, welche Rolle<br />

der phänomenale Gehalt unserer Wahrnehmungen<br />

für das geistige Erfassen von sekundären<br />

Eigenschaften wie <strong>Farben</strong> spielt.<br />

Dispositionale Theorien<br />

Ebenso wie physikalistische Theorien beschreiben<br />

auch dispositionale Theorien <strong>Farben</strong><br />

als reale Eigenschaften physischer Objekte.<br />

Allerdings werden <strong>Farben</strong> im Rahmen<br />

dieses Theorietyps nicht mit Disjunktionen<br />

physikalischer Eigenschaften, sondern mit<br />

den Dispositionen von Dingen identifiziert,<br />

unter normalen Beleuchtungsverhältnissen<br />

bei normalsichtigen menschlichen Subjekten<br />

bestimmte Farbeindrücke hervorzurufen.<br />

Dispositionen dieser Art werden mit Bikonditionalen<br />

der folgenden allgemeinen Form<br />

beschrieben:<br />

Ein Objekt x besitzt die Farbe F genau<br />

dann, wenn x unter den Wahrnehmungsbedingungen<br />

W bei Subjekten mit den Sinnesorganen<br />

S Wahrnehmungen mit dem<br />

Inhalt „F“ hervorruft.<br />

Dispositionalen Theorien liegt vor allem das<br />

theoretische Motiv zugrunde, den subjektiven<br />

und objektiven Aspekten von <strong>Farben</strong><br />

gleichermaßen gerecht zu werden: Einerseits<br />

kann man den subjektiven Aspekten theoretisch<br />

Rechnung tragen, indem man die<br />

Wahrnehmungsbedingungen und die sinnesphysiologische<br />

Verfassung der wahrnehmenden<br />

Subjekte in die Definition von Farbbegriffen<br />

aufnimmt. Andererseits berücksichtigt<br />

man den objektiven Aspekt, indem<br />

man <strong>Farben</strong> als Dispositionen auffasst, die<br />

Dingen unabhängig von der aktuellen Manifestation<br />

in bestimmten Wahrnehmungssituationen<br />

zukommen.<br />

Obgleich dispositionale Theorien auf den<br />

ersten Blick eine gewisse Plausibilität zu besitzen<br />

scheinen, <strong>sind</strong> sie mit zahlreichen<br />

ernstzunehmenden Problemen behaftet. Erstens<br />

können Dispositionen nicht Ursachen<br />

5


sein. Wenn wir beispielsweise das Zerbrechen<br />

eines Glases kausal erklären wollen,<br />

dann dürfen wir uns dazu nicht auf dessen<br />

Disposition beziehen, zerbrechlich zu sein,<br />

sondern wir müssen die mikrophysikalischen<br />

Eigenschaften heranziehen, die dieser Disposition<br />

zugrunde liegen. Setzt man also <strong>Farben</strong><br />

mit Dispositionen des obigen Typs<br />

gleich, dann können sie nicht als Ursachen<br />

unserer Farbwahrnehmungen aufgefasst<br />

werden, womit die unter Punkt (3) genannte<br />

Anforderung nicht erfüllt wird. Dies ist ein<br />

wesentlicher Grund dafür, warum Physikalisten<br />

wie Jackson und Pargetter <strong>Farben</strong> nicht<br />

mit Dispositionen, sondern mit den physikalischen<br />

Eigenschaften identifizieren, die diese<br />

Dispositionen konstituieren. Zweitens<br />

zählen Dispositionen nicht zu den wahrnehmbaren<br />

Eigenschaften, weil in die Definitionen<br />

von Dispositionen kontrafaktische<br />

Konditionale eingehen, die sich auf verschiedene<br />

mögliche Welten beziehen, um auf<br />

diese Weise festzulegen, unter welchen Bedingungen<br />

und mit welchen Folgen sich die<br />

betreffenden Dispositionen manifestieren.<br />

Zwar können wir Manifestationen beispielsweise<br />

der Disposition, zerbrechlich zu sein,<br />

sinnlich wahrnehmen, aber die Zerbrechlichkeit<br />

selber ist nicht wahrnehmbar. Statt dessen<br />

handelt es sich bei Dispositionen um<br />

theoretische Entitäten. Die Identifikation von<br />

<strong>Farben</strong> mit Dispositionen würde also die unplausible<br />

Konsequenz nach sich ziehen, dass<br />

wir <strong>Farben</strong> nicht länger als sinnlich wahrnehmbare<br />

Eigenschaften ansehen könnten.<br />

Drittens werden dispositionale Ansätze nach<br />

Auffassung einiger Autoren (wie z.B. Boghossian,<br />

McGinn und Velleman) der Phänomenologie<br />

unserer Farbwahrnehmung nicht<br />

gerecht, weil wir nach ihrer Ansicht <strong>Farben</strong><br />

normalerweise als nicht-relationale Oberflächeneigenschaften<br />

von Dingen wahrnehmen,<br />

während es sich bei Dispositionen um relationale<br />

Eigenschaften handelt (siehe 6 und<br />

17). Die sinnliche Wahrnehmung würde uns<br />

demnach systematisch über die wahre Natur<br />

von <strong>Farben</strong> täuschen, wenn <strong>Farben</strong> tatsächlich<br />

Dispositionen wären.<br />

BERICHT<br />

der Farbprädikate, die in Bikonditionalen des<br />

oben dargestellten Typs vorkommen. Angenommen,<br />

die Eigenschaft, rot zu sein, wird<br />

folgendermaßen definiert:<br />

Ein Objekt x ist rot genau dann, wenn x unter<br />

normalen Beleuchtungsverhältnissen bei<br />

normalsichtigen Menschen Rot-Wahrnehmungen<br />

hervorruft.<br />

Wenn „rot“ auf der linken und rechten Seite<br />

des Bikonditionals dieselbe Bedeutung besitzt,<br />

dann ist diese Definition zirkulär, denn<br />

sie setzt voraus, dass wir bereits wissen, auf<br />

welche Eigenschaften sich Rot-<br />

Wahrnehmungen repräsentierend beziehen.<br />

Diese Option scheidet daher aus. Soll hingegen<br />

„rot“ auf der linken Seite des Bikonditionals<br />

eine andere Eigenschaft bezeichnen als<br />

„rot*“ auf der rechten Seite, dann stellt sich<br />

erstens die Frage, auf welche Eigenschaft<br />

sich das Prädikat „rot*“ beziehen kann. Um<br />

die unplausible These zu umgehen, dass<br />

„rot*“ eine Eigenschaft von Sinnesdaten bezeichnet,<br />

schlägt zum Beispiel Peacocke vor,<br />

dass sich dieses Prädikat auf eine Eigenschaft<br />

eines Teils unseres Gesichtfeldes bezieht<br />

(siehe 19).<br />

Die dispositionale Theorie steht vor der anspruchsvollen<br />

Aufgabe, nicht nur geeignete<br />

Entitäten als Träger für Eigenschaften wie<br />

die Röte* ausfindig zu machen, sondern zudem<br />

die erkenntnistheoretische These zu<br />

plausibilisieren, dass wir auf dem Wege der<br />

Introspektion diese Eigenschaften unabhängig<br />

von den <strong>Farben</strong> identifizieren können,<br />

die wir realen Dingen zuschreiben.<br />

Auf ein weiteres Grundproblem hat Barry<br />

Stroud hingewiesen (siehe 4, Kap. 6): Nach<br />

dem dargestellten Ansatz beziehen sich<br />

Farbbegriffe in Aussagen über reale Dinge<br />

wie „Die Zitrone ist gelb“ und in Aussagen<br />

über Überzeugungen wie „S glaubt, dass die<br />

Zitrone gelb ist“ auf andere Eigenschaften<br />

als in Aussagen über Wahrnehmungen wie<br />

„S sieht etwas Gelbes“. Denn in den beiden<br />

ersten Fällen sollen Farbbegriffe Eigenschaften<br />

realer physischer Dinge bezeichnen, während<br />

sie sich im dritten Fall auf Eigenschaf-<br />

Das vierte Problem betrifft die Bedeutung<br />

6


ten mentaler Entitäten wie Teilen unseres<br />

Gesichtsfeldes beziehen sollen. Dies ist aber<br />

nicht haltbar, weil es mit dem prädikationalen<br />

(z.B. „S nimmt die Zitrone als gelb<br />

wahr“) und dem propositionalen Gebrauch<br />

von Wahrnehmungsverben (z.B. „S sieht,<br />

dass die Zitrone gelb ist“) unverträglich ist.<br />

Schließlich werden <strong>Farben</strong> in diesen Zusammenhängen<br />

als Eigenschaften realer<br />

Dinge wahrgenommen. Folglich ist es auch<br />

in Aussagen über Wahrnehmungen erforderlich,<br />

Farbbegriffe nicht auf Eigenschaften<br />

des Gesichtsfeldes, sondern auf Eigenschaften<br />

außerhalb des Geistes existierender physischer<br />

Dinge zu beziehen. Die theoretische<br />

Option, durch eine Unterscheidung der Bedeutungen<br />

der Farbprädikate auf der linken<br />

und rechten Seite des obigen Bikonditionals<br />

zu einer zirkelfreien dispositionalen Theorie<br />

zu gelangen, besteht demnach nicht.<br />

Primitivistische Theorien<br />

Primitivistische Ansätze stimmen mit physikalistischen<br />

und dispositionalen Theorien<br />

darin überein, dass sie <strong>Farben</strong> ebenfalls als<br />

reale Eigenschaften von Dingen beschreiben.<br />

Allerdings unterscheiden sie sich von diesen<br />

Positionen in dem Punkt, dass sie <strong>Farben</strong><br />

nicht auf andere Arten von Entitäten reduzieren,<br />

sondern als einen eigenständigen Typ<br />

von Entitäten auffassen. Beispielsweise lokalisiert<br />

John Campbell, der eine solche nichtreduktionistische<br />

Theorie vertritt, <strong>Farben</strong> in<br />

einem dreistufigen Modell zwischen physikalischen<br />

Eigenschaften und Dispositionen<br />

zur Erzeugung von Farbwahrnehmungen, indem<br />

er behauptet, dass <strong>Farben</strong> über physikalische<br />

Eigenschaften supervenieren und<br />

zugleich die kategorische Basis von Dispositionen<br />

bilden, Farbwahrnehmungen hervorzurufen<br />

(siehe 10). Obwohl <strong>Farben</strong> demnach<br />

nicht mit physikalischen Eigenschaften identisch<br />

<strong>sind</strong>, sollen ihnen dennoch eigene kausale<br />

Kräfte zukommen, aufgrund derer sie<br />

Ursachen für das Auftreten von Farbwahrnehmungen<br />

sein können.<br />

BERICHT<br />

Erfüllung im Rahmen physikalistischer und<br />

dispositionaler Positionen nicht möglich sein<br />

soll: Zum einen sollen <strong>Farben</strong> als Eigenschaften<br />

aufgefasst werden, die eine kausale<br />

Rolle besitzen und realen Dingen zukommen.<br />

Zum anderen soll der Phänomenologie<br />

unserer Farbwahrnehmung Rechnung getragen<br />

werden, indem man <strong>Farben</strong> so beschreibt,<br />

wie sie uns die sinnliche Wahrnehmung<br />

nach Auffassung dieser Autoren präsentieren<br />

soll, nämlich als einfache, nichtrelationale<br />

Oberflächeneigenschaften von<br />

Dingen - und nicht als physikalische Eigenschaften<br />

oder als Dispositionen. Primitivistische<br />

Ansätze hätten demnach den Vorteil,<br />

dass <strong>Farben</strong> nicht nur als Ursachen unserer<br />

Wahrnehmungen betrachtet werden können,<br />

sondern sie ermöglichen zudem, die sinnliche<br />

Wahrnehmung in dem Sinne als transparent<br />

aufzufassen, dass sie uns die Natur der<br />

<strong>Farben</strong> tatsächlich offen legt.<br />

Das Hauptproblem dieses Ansatzes ergibt<br />

sich aus der ontologischen These, dass <strong>Farben</strong><br />

von physikalischen Eigenschaften verschieden<br />

<strong>sind</strong> und trotzdem über eigene kausale<br />

Kräfte verfügen. Diese These führt nämlich<br />

dazu, dass das Auftreten von Farbwahrnehmungen<br />

in kausaler Hinsicht überdeterminiert<br />

ist, wenn es unter Bezugnahme sowohl<br />

auf physikalische Eigenschaften als<br />

auch auf Farbeigenschaften kausal erklärbar<br />

sein soll. Um diese Überdetermination zu<br />

vermeiden, hat man die beiden folgenden<br />

Optionen: Entweder man betrachtet <strong>Farben</strong><br />

als Epiphänomene, die selber keine kausalen<br />

Kräfte besitzen, oder man vertritt die These,<br />

dass sich alle kausalen Erklärungen mit<br />

Farbbegriffen im Prinzip auf kausale Erklärungen<br />

mit Begriffen physikalischer Eigenschaften<br />

reduzieren lassen. Beide Optionen<br />

laufen auf eine Revision der für den primitivistischen<br />

Ansatz zentralen These hinaus,<br />

<strong>Farben</strong> wären mit eigenen kausalen Kräften<br />

ausgestattet. Um entscheiden zu können, ob<br />

der primitivistische Ansatz haltbar ist, muss<br />

also untersucht werden, wie sich die Kausalerklärungen<br />

dieser beiden verschiedenen Beschreibungsebenen<br />

zueinander verhalten: Ist<br />

es möglich, das Auftreten ein und desselben<br />

Diesem Ansatz liegt in erster Linie das theoretische<br />

Motiv zugrunde, zwei Anforderungen<br />

Rechnung zu tragen, deren gemeinsame Ereignisses unter Bezug auf unterschiedliche<br />

7


Ursachen zu erklären, ohne dass dazu eine<br />

der Kausalerklärungen als auf die andere Erklärung<br />

rückführbar angesehen werden<br />

muss? Eine Lösung dieses Problems würde<br />

ebenfalls das in der Philosophie des Geistes<br />

angesiedelte Problem mentaler Verursachung<br />

betreffen, das gleichfalls das Verhältnis von<br />

Kausalerklärungen verschiedener theoretischer<br />

Ebenen betrifft.<br />

Zentrale Problemfelder<br />

Diese Grundprobleme zeigen, dass keine der<br />

gegenwärtig verfügbaren Theorien zur<br />

Wahrnehmung und zum ontologischen Status<br />

von <strong>Farben</strong> völlig zufrieden stellend ist, denn<br />

keinem dieser Ansätze gelingt es, alle theoretischen<br />

Anforderungen zu erfüllen. Folgende<br />

Fragen <strong>sind</strong> für das Problem der Farbwahrnehmung<br />

zentral:<br />

<strong>Was</strong> bedeutet es, eine wahrnehmbare Eigenschaft<br />

zu sein?<br />

Die Unterscheidung zwischen wahrnehmbaren<br />

und nicht-wahrnehmbaren Eigenschaften<br />

zählt zu unseren gängigen alltagssprachlichen<br />

Differenzierungen. Sie wird auch von<br />

dem gegen dispositionale Theorien vorgebrachten<br />

Einwand in Anspruch genommen,<br />

dass wir zwar Manifestationen von Dispositionen,<br />

aber nicht Dispositionen selber wahrnehmen<br />

können. <strong>Farben</strong> <strong>sind</strong> demnach nicht<br />

wahrnehmbar, wenn man sie mit Dispositionen<br />

gleichsetzt. Der Unterschied zwischen<br />

wahrnehmbaren und nicht-wahrnehmbaren<br />

Eigenschaften wird seit George Berkeley<br />

häufig als Differenz zwischen direkt und indirekt<br />

wahrnehmbaren Eigenschaften beschrieben.<br />

Demzufolge kann nur die direkte<br />

Wahrnehmung als sinnliche Wahrnehmung<br />

im strikten Sinne betrachtet werden. Hingegen<br />

soll es sich bei der indirekten Wahrnehmung<br />

um eine kognitive Leistung handeln,<br />

an der nicht nur die Sinne, sondern auch andere<br />

geistige Vermögen wie Verstand und<br />

Einbildungskraft beteiligt <strong>sind</strong>. Da Objekte<br />

indirekt wahrgenommen werden, indem<br />

BERICHT<br />

8<br />

Paul Boghossian<br />

andere Objekte, die als Zeichen für die erstgenannten<br />

Objekte interpretiert werden, direkt<br />

wahrgenommen werden, können folglich<br />

nicht alle Objekte indirekt wahrnehmbar<br />

sein. Wodurch zeichnen sich nun die Objekte<br />

unserer direkten Wahrnehmung aus? Ohne<br />

ein überzeugendes Kriterium zur Auszeichnung<br />

der Objekte direkter Wahrnehmungen<br />

lässt sich die oben dargestellte Kritik dispositionaler<br />

Theorien nicht aufrechterhalten,<br />

denn es ließe sich ebenso gut argumentieren,<br />

dass - in Abhängigkeit vom Kenntnisstand<br />

der wahrnehmenden Subjekte - letztlich alle<br />

Eigenschaften wahrnehmbar <strong>sind</strong>. Beispielsweise<br />

kann für eine Person mit geeignetem<br />

metereologischem Wissen eine Wolke nach<br />

Regen aussehen. Diese Person wäre damit in<br />

der Lage, die Disposition der Wolke, Regen<br />

zu bringen, sinnlich wahrzunehmen. Um also<br />

den obigen Einwand gegen dispositionale<br />

Theorien und verwandte Einwände beurteilen<br />

zu können, ist es erforderlich zu untersuchen,<br />

ob zwischen Eigenschaften, die als<br />

wahrnehmbar und nicht-wahrnehmbar differenziert<br />

werden, tatsächlich ein prinzipieller<br />

erkenntnistheoretischer Unterschied besteht.<br />

Wie werden uns <strong>Farben</strong> in der Wahrnehmung<br />

normalerweise präsentiert?<br />

Mehrere Autoren wie zum Beispiel Boghossian,<br />

Campbell, Harman, McGinn und Velleman<br />

gehen davon aus, dass uns <strong>Farben</strong> in<br />

der sinnlichen Wahrnehmung normalerweise<br />

als nicht-relationale bzw. intrinsische Eigenschaften<br />

der Oberflächen realer Dinge präsentiert<br />

werden. Aus dieser Voraussetzung


leiten sie die im zweiten Abschnitt genannte<br />

theoretische Anforderung ab, dass philosophische<br />

Theorien versuchen sollten, diesen<br />

Inhalten von Farbwahrnehmungen gerecht zu<br />

werden, indem sie <strong>Farben</strong> in einer Weise beschreiben,<br />

die mit unserer normalen Farbwahrnehmung<br />

verträglich ist.<br />

Gibt es tatsächlich so etwas wie eine normale<br />

Phänomenologie der Farbwahrnehmung<br />

und lässt sich aus ihr die aufgeführte theoretische<br />

Anforderung ableiten? Der Grund für<br />

diese Frage liegt darin, dass es im Gegensatz<br />

zur Auffassung der genannten Autoren<br />

durchaus nicht eindeutig ist, in welcher Weise<br />

uns sinnliche Wahrnehmungen <strong>Farben</strong><br />

normalerweise präsentieren. Vielmehr besteht<br />

in diesem Punkt sogar erheblicher Dissens:<br />

Während beispielsweise John Mackie<br />

behauptet, dass uns die Wahrnehmung systematisch<br />

in die Irre führt, indem sie suggeriert,<br />

<strong>Farben</strong> wären sowohl objektive als<br />

auch nicht-physikalische Eigenschaften, verteidigt<br />

John McDowell die These, dass unsere<br />

alltäglichen Wahrnehmungen <strong>Farben</strong> korrekt<br />

als Dispositionen präsentieren.<br />

Zudem muss berücksichtigt werden, dass alle<br />

Wahrnehmungen, bei denen etwas unter einer<br />

Beschreibung als etwas wahrgenommen<br />

wird, epistemische Wahrnehmungen <strong>sind</strong>,<br />

die vom Kenntnisstand der wahrnehmenden<br />

Subjekte abhängen und damit grundsätzlich<br />

veränderlich <strong>sind</strong>. Wahrnehmungen von <strong>Farben</strong><br />

als Oberflächeneigenschaften realer<br />

Dinge <strong>sind</strong> lediglich in dem Sinne „normal“,<br />

dass es sich dabei um epistemische Wahrnehmung<br />

handelt, denen unsere alltagssprachlichen<br />

Überzeugungen über <strong>Farben</strong><br />

zugrunde liegen. Die Inhalte dieser „normalen“<br />

Wahrnehmungen <strong>sind</strong> also nicht unveränderlich,<br />

sondern variieren in Abhängigkeit<br />

davon, was zu unseren alltäglichen Überzeugungen<br />

gerechnet wird.<br />

BERICHT<br />

auch, dass uns diese Art der Wahrnehmung<br />

<strong>Farben</strong> nicht unter einer bestimmten Beschreibung<br />

- und damit auch nicht als Oberflächeneigenschaften<br />

realer Dinge - präsentieren<br />

kann. Falls es also eine natürliche und<br />

unveränderliche Erscheinungsweise von <strong>Farben</strong><br />

gibt, dann kann ihr Inhalt nur derart beschaffen<br />

sein, dass er nicht mit dem Inhalt<br />

unserer alltagssprachlichen und wissenschaftlichen<br />

Überzeugungen in Konflikt geraten<br />

kann. Denn dieser Inhalt muss selber<br />

gegenüber allen Überzeugungen neutral sein,<br />

weil er sich sonst in Abhängigkeit von ihnen<br />

verändern würde. Die Frage, ob es eine natürliche<br />

und unveränderliche Phänomenologie<br />

der Farbwahrnehmung gibt, führt damit<br />

zu dem erkenntnistheoretischen Grundproblem,<br />

ob Wahrnehmungen neben begrifflichen<br />

Inhalten auch nicht-begriffliche Inhalte haben<br />

können.<br />

Aus diesen Überlegungen ergeben sich die<br />

folgenden Konsequenzen: Wenn philosophische<br />

Farbkonzeptionen mit den Inhalten<br />

„normaler“ Farbwahrnehmungen unverträglich<br />

<strong>sind</strong>, dann stehen sie nicht in Konflikt<br />

mit der unveränderlichen Natur unserer<br />

Farbwahrnehmung, sondern mit einem prinzipiell<br />

revidierbaren System von Alltagsüberzeugungen.<br />

Um beurteilen zu können,<br />

ob bestimmte Farbkonzeptionen tatsächlich<br />

mit den Inhalten unserer „normalen“ Farbwahrnehmungen<br />

unvereinbar <strong>sind</strong>, ist also<br />

eine sorgfältige Analyse des umgangssprachlichen<br />

Farbbegriffs erforderlich. Darüber<br />

hinaus muss erörtert werden, ob ein Konflikt<br />

zwischen dem alltäglichen und einem philosophischen<br />

Farbbegriff zwangsläufig zu Lasten<br />

des letzteren gehen muss.<br />

Legt uns die sinnliche Wahrnehmung tatsächlich<br />

die Natur von <strong>Farben</strong> offen?<br />

Eine weitere Annahme besteht in der Behauptung,<br />

unsere Wahrnehmung sei in dem<br />

Sinne kognitiv völlig transparent, dass sie<br />

uns die Natur von <strong>Farben</strong> vollständig offen<br />

legt. Diese These findet sich beispielsweise<br />

bei Bertrand Russell, der sie verwendet, um<br />

den Unterschied zwischen „knowledge by<br />

Weiter kann von einer „natürlichen“ Erscheinungsweise<br />

von <strong>Farben</strong> nur in einem<br />

nicht-epistemischen Sinne die Rede sein,<br />

wenn die Art und Weise, in der uns <strong>Farben</strong><br />

von der Wahrnehmung präsentiert werden,<br />

unveränderlich sein soll. Dies impliziert aber acquaintance“ und „knowledge by descripti-<br />

9


on“ zu illustrieren. Demnach erschließt sich<br />

uns die Natur von <strong>Farben</strong> allein durch die direkte<br />

Bekanntschaft mit ihnen im Zuge sinnlicher<br />

Wahrnehmung, während wir durch<br />

Beschreibungen zwar zusätzliche Informationen<br />

über <strong>Farben</strong> erhalten sollen (wie z.B.<br />

Informationen über Ähnlichkeitsbeziehungen<br />

zwischen <strong>Farben</strong>). Aber diese Informationen<br />

betreffen laut Russell keine wesentlichen<br />

Merkmale von <strong>Farben</strong>. In gegenwärtigen<br />

Diskussionen wird diese These insbesondere<br />

von Galen Strawson sowie von Boghossian,<br />

Campbell, Johnston, McGinn und Velleman<br />

vertreten.<br />

BERICHT<br />

Die Transparenzthese besitzt zum einen auf<br />

den ersten Blick eine gewisse Plausibilität,<br />

weil es sich tatsächlich so verhält, dass man<br />

Farbbegriffe nur verstehen kann, wenn man<br />

<strong>Farben</strong> selber gesehen hat. Bloße Beschreibungen<br />

können ein solches Verständnis hingegen<br />

nicht vermitteln, weshalb man blind<br />

geborenen Personen die Bedeutungen von<br />

Farbbegriffen nicht verständlich machen<br />

kann. Zum anderen ist aber grundsätzlich<br />

unklar, um welche Art von Kenntnissen es<br />

sich bei den Informationen über das Wesen<br />

von <strong>Farben</strong> handeln soll, die wir im Zuge<br />

sinnlicher Wahrnehmungen nach Auffassung<br />

der genannten Autoren erhalten. Handelt es<br />

sich dabei um Überzeugungen, zu denen wir<br />

durch epistemische Wahrnehmungen gelangen?<br />

In diesem Fall wären die Inhalte dieser nomenalen und dem repräsentationalen Ge-<br />

Ist der Zusammenhang zwischen dem phä-<br />

Wahrnehmungen abhängig vom Kenntnisstand<br />

der wahrnehmenden Subjekte, was be-<br />

der kontingent?<br />

halt von Farbwahrnehmungen notwendig o-<br />

deuten würde, dass sich die Natur der <strong>Farben</strong><br />

nur Subjekten mit den „richtigen“ Überzeugungen<br />

erschließt. Da aber viele Autoren da-<br />

Gehalt, der das subjektive Erleben dieser<br />

Farbwahrnehmungen besitzen phänomenalen<br />

von ausgehen, dass es eine natürliche und Wahrnehmungen charakterisiert. Ihr Inhalt<br />

unveränderliche Erscheinungsweise von <strong>Farben</strong><br />

gibt, verstehen sie die Transparenzthese Gehalt erschöpfen, weil sie sonst nicht ge-<br />

kann sich aber nicht in diesem phänomenalen<br />

hingegen so, dass grundsätzlich jedem Subjekt<br />

- unabhängig von dessen Kenntnisstand - von Dingen zu rechtfertigen. Indem wir<br />

eignet wären, um Aussagen über die <strong>Farben</strong><br />

die Natur von <strong>Farben</strong> in der Wahrnehmung Farbwahrnehmungen zur Begründung solcher<br />

Aussagen heranziehen, setzen wir also<br />

offen gelegt wird. Dies spricht dafür, die<br />

betreffende Art der Farbwahrnehmung als voraus, dass sie nicht nur phänomenalen,<br />

nicht-epistemisch zu charakterisieren. Wenn sondern auch repräsentationalen Gehalt besitzen.<br />

Die zentrale Frage ist nun, in wel-<br />

aber dies der Fall ist, dann muss die Information<br />

über die Natur von <strong>Farben</strong> unabhängig chem Verhältnis diese beiden Arten von Inhalt<br />

zueinander stehen: Liegt zwischen ihnen<br />

von unseren Überzeugungen und folglich in<br />

Form von nicht-begrifflichen bzw. nicht-<br />

eine kontingente oder eine notwendige Be-<br />

10<br />

propositionalen Inhalten vorliegen. Auch der<br />

Umstand, dass diese Transparenz für jede<br />

unserer Farbwahrnehmungen charakteristisch<br />

sein soll, spricht für den nicht-epistemischen<br />

Charakter der betreffenden Wahrnehmung.<br />

Diese Überlegungen führen zu den folgenden<br />

Grundfragen: Lässt sich die sinnliche Wahrnehmung,<br />

die uns die Natur von <strong>Farben</strong> offen<br />

legen soll, überzeugend als eine Form der<br />

nicht-epistemischen Wahrnehmung beschreiben?<br />

Ist insbesondere die These, dass<br />

damit Wissen über die Natur von <strong>Farben</strong> erworben<br />

wird, damit vereinbar, dass alle Subjekte<br />

unabhängig von ihrem Kenntnisstand<br />

ein solches Wissen erwerben sollen? In welcher<br />

Weise soll dieses Wissen überhaupt vorliegen,<br />

wenn nicht in begrifflicher oder propositionaler<br />

Form? Erst wenn diese Fragen<br />

geklärt <strong>sind</strong>, lässt sich beurteilen, ob die theoretische<br />

Anforderung, man müsste der<br />

Transparenz unserer Farbwahrnehmungen<br />

Rechnung tragen, tatsächlich zu Recht erhoben<br />

wird. Weiter muss, um die These der<br />

kognitiven Transparenz unserer Farbwahrnehmung<br />

beurteilen zu können, untersucht<br />

werden, ob sie mit den Annahmen über den<br />

Mechanismus unser Wahrnehmung in Übereinstimmung<br />

gebracht werden kann.


ziehung vor? Besteht zum Beispiel die von<br />

Locke beschriebene Möglichkeit, dass<br />

Wahrnehmungen, die die Eigenschaft der<br />

Röte repräsentieren, von einigen Subjekten<br />

als Rot-Wahrnehmungen und von anderen<br />

als Grün-Wahrnehmungen erlebt werden?<br />

Die Vertreter dispositionaler Theorien haben<br />

ein starkes Interesse daran, dieses Verhältnis<br />

als kontingent zu beschreiben. Wenn man<br />

zum Beispiel die Eigenschaft der Röte als<br />

diejenige Eigenschaft definieren will, die das<br />

Auftreten von Rot-Wahrnehmungen verursacht,<br />

dann muß man Rot-Wahrnehmungen<br />

unabhängig von den durch sie repräsentierten<br />

Eigenschaften identifizieren können. Ansonsten<br />

würde diese Definition bereits das<br />

Verständnis des Prädikats „rot“ voraussetzen<br />

und wäre damit zirkulär. Im Rahmen dispositionaler<br />

Theorien wird daher häufig vorausgesetzt,<br />

dass man den Begriff der Rot-<br />

Wahrnehmung im phänomenalen Sinne verstehen<br />

kann, ohne die Eigenschaft kennen zu<br />

müssen, die diese Wahrnehmung (kontingenterweise)<br />

repräsentiert. Folglich verteidigen<br />

die Vertreter dieser Theorien die These,<br />

dass der phänomenale Gehalt von Farbwahrnehmungen<br />

nicht durch deren repräsentationalen<br />

Gehalt festgelegt wird. Wären hingegen<br />

repräsentationaler und phänomenaler<br />

Gehalt notwendigerweise miteinander verbunden,<br />

dann könnte man den phänomenalen<br />

Gehalt nicht ohne den repräsentationalen<br />

Gehalt erfassen.<br />

BERICHT<br />

repräsentationalem Gehalt für die philosophische<br />

Theorie der <strong>Farben</strong> stellt sich also<br />

die Frage, wie dieses Verhältnis tatsächlich<br />

beschaffen ist.<br />

Wie verhalten sich „rot aussehen“ und „rot<br />

sein“ zueinander?<br />

Im Unterschied zu den Definitionen primärer<br />

Eigenschaften <strong>sind</strong> die Definitionen sekundärer<br />

Eigenschaften wesentlich darauf bezogen,<br />

wie diese Eigenschaften unter bestimmten<br />

Bedingungen von bestimmten Subjekten<br />

wahrgenommen werden. Beispielsweise<br />

stellt die Aussage, dass ein Objekt genau<br />

dann rot ist, wenn es unter normalen Beleuchtungsverhältnissen<br />

für normalsichtige<br />

menschliche Subjekte rot aussieht, eine begriffliche<br />

Wahrheit dar. Damit stellt sich die<br />

Frage, was in begrifflicher Hinsicht grundlegender<br />

ist: die Eigenschaft, rot zu sein, oder<br />

das rote Aussehen? In diesem Fall gibt es<br />

zwei widerstreitende Intuitionen: Zum einen<br />

scheint es so zu sein, als sei das Aussehen<br />

begrifflich grundlegender, weil die Eigenschaft,<br />

rot zu sein, üblicherweise unter Bezugnahme<br />

auf dieses Aussehen definiert<br />

wird. Zum anderen spricht aber der Umstand,<br />

dass der komplexe Ausdruck „rot aussehen“<br />

den Ausdruck „rot“ als Bestandteil enthält,<br />

dafür, dass die Eigenschaft der Röte in begrifflicher<br />

Hinsicht grundlegender ist als das<br />

Aussehen.<br />

Christopher Peacocke zufolge schlägt der<br />

Im Unterschied zur dispositionalen Theorie Versuch fehl, das Prädikat „rot“ als grundlegend<br />

zu betrachten und mit ihm den Begriff<br />

setzt die These, die sinnliche Wahrnehmung<br />

würde uns die Natur von <strong>Farben</strong> offen legen, des roten Aussehens zu definieren. Dies soll<br />

voraus, dass zwischen repräsentationalem vor allem daran liegen, dass es nicht gelingt,<br />

und phänomenalem Gehalt ein notwendiger Farbeigenschaften unter ausschließlicher Bezugnahme<br />

auf physikalische und sinnesphy-<br />

Zusammenhang besteht. Denn Subjekten, bei<br />

denen beide Gehalte in der Weise vertauscht siologische Begriffe zu definieren. Laut Peacocke<br />

können solche Definitionen bestenfalls<br />

<strong>sind</strong>, dass für sie zum Beispiel rote Dinge<br />

grün aussehen, soll die Natur der <strong>Farben</strong> im in extensionaler, aber nicht in intensionaler<br />

Zuge der Wahrnehmung nicht zugänglich Hinsicht angemessen sein. Das heißt, sie<br />

sein. Vertreter der Transparenzthese, wie greifen die betreffenden Eigenschaften unter<br />

beispielsweise Byrne und Hilbert, argumentieren<br />

deshalb dafür, dass der repräsentatiolich<br />

machen, was wir zum Beispiel mit „rot“<br />

Beschreibungen heraus, die nicht verständnale<br />

Gehalt den phänomenalen Gehalt festlegt.<br />

Angesichts dieser zentralen Rolle der sen Begriff so eng an das Erleben von Rotmeinen,<br />

und warum das Verfügen über die-<br />

Beziehung zwischen phänomenalem und Eindrücken geknüpft ist. Er wählt daher die<br />

11


entgegen gesetzte Option und schlägt vor,<br />

zunächst zwischen zwei verschiedenen Begriffen<br />

zu unterscheiden - nämlich zwischen<br />

dem Begriff „rot“, der eine Oberflächeneigenschaft<br />

physischer Dinge bezeichnet, und<br />

dem Begriff „rot*“, der eine Eigenschaft beschreibt,<br />

die einem Teil unseres Gesichtsfeldes<br />

zukommen soll. Anschließend definiert<br />

Peacocke „rot“ als die Eigenschaft von Dingen,<br />

die das Auftreten von „rot*“ im Gesichtsfeld<br />

hervorruft. Er argumentiert dafür,<br />

dass das Prädikat „rot*“ gegenüber dem Prädikat<br />

„rot“ in definitorischer Hinsicht grundlegend<br />

ist. In kognitiver Hinsicht soll aber<br />

der Begriff der Röte gegenüber dem Prädikat<br />

„rot*“ grundlegend sein, weil Subjekte erst<br />

rote Dinge wahrgenommen haben müssen,<br />

um den Begriff „rot*“ bilden zu können.<br />

Man verfügt demnach über den Begriff „rot“,<br />

wenn man ihn auf Dinge anwenden kann, die<br />

das Auftreten der Eigenschaft „rot*“ in unserem<br />

Gesichtsfeld hervorrufen. Das Verfügen<br />

über diesen Begriff der Röte soll wiederum<br />

kein subtiles Wissen über die Eigenschaften<br />

unseres Gesichtsfeldes voraussetzen, sondern<br />

nur eine gewisse Sensibilität hinsichtlich des<br />

Auftretens von „rot*“-Zuständen.<br />

Es ist allerdings sehr fraglich, ob sich die<br />

kognitive und definitorische Hinsicht tatsächlich<br />

in der von Peacocke vorgeschlagenen<br />

Weise voneinander trennen lassen. Denn<br />

um den Begriff „rot*“ bilden zu können, ist<br />

es nicht nur erforderlich, zuvor rote Dinge<br />

wahrzunehmen, sondern man muss diese<br />

Dinge als rot wahrnehmen. Ansonsten könnte<br />

man keine Beziehung zwischen den Oberflächeneigenschaften<br />

von Dingen und den<br />

Eigenschaften von Teilen unseres Gesichtsfeldes<br />

herstellen. Dies bedeutet aber, dass die<br />

wahrnehmenden Subjekte bereits über den<br />

Begriff der Röte verfügen müssen, um das<br />

Prädikat „rot*“ bilden zu können. Die Ausgangsfrage<br />

nach einem überzeugenden Verfahren<br />

zur Definition von Farbbegriffen<br />

bleibt damit weiterhin offen.<br />

LITERATUR ZUM THEMA<br />

Einführungstexte<br />

BERICHT<br />

12<br />

1.) Byrne, Alex und David Hilbert (Hg.) (1997):<br />

Readings on Color. The Philosophy of Color.<br />

Cambridge / Mass., London. Sammelband mit<br />

zentralen Texten zur Theorie der <strong>Farben</strong> und einer<br />

informativen Einleitung.<br />

2.) Byrne, Alex und David Hilbert (2003): Color<br />

Realism and Color Science. In: Behavioural and<br />

Brain Sciences, Vol. 26. Umfassende Verteidigung<br />

einer realistischen Theorie der <strong>Farben</strong>.<br />

3.) Maund, Barry (2002): Color. In: Stanford<br />

Encyclopedia of Philosophy, Stanford Ausführliche<br />

Darstellung aller Grundpositionen und<br />

Fragestellungen.<br />

4.) Stroud, Barry (2000): The Quest for Reality.<br />

Subjectivism and the Metaphysics of Colour.<br />

New York, Oxford. Eine umfassende Einführung<br />

in die Theorie der <strong>Farben</strong>, die grundlegende<br />

Einwände gegen subjektivistische Farbtheorien<br />

vorbringt.<br />

Forschungstexte<br />

5.) Boghossian, Paul (2002): Seeking the Real.<br />

In: Philosophical Studies, Vol. 108, S. 223 –<br />

238. Kritik an Barry Strouds Überlegungen gegen<br />

subjektivistische Farbtheorien.<br />

6.) Boghossian, Paul und David Velleman<br />

(1989): Colour as a Secondary Quality. In:<br />

Mind, Vol. 98, S. 81 - 103. Eingehende Kritik<br />

dispositionaler Farbtheorien.<br />

7.) Boghossian, Paul und David Velleman<br />

(1991): Physicalist Theories of Color., in: Philosophical<br />

Review, Vol. 100, S. 67 - 106. Eingehende<br />

Kritik physikalistischer Farbtheorien.<br />

8.) Byrne, Alex (2002): Yes, Virginia, Lemons<br />

are Yellow. In: Philosophical Studies, Vol. 108,<br />

S. 213 – 222. Kritik an Barry Strouds Überlegungen<br />

gegen subjektivistische Farbtheorien.<br />

9.) Byrne, Alex und David Hilbert (1997): Colors<br />

and Reflectances. In: dies. (Hg.): Readings<br />

on Color. Vol. 1: The Philosophy of Color.<br />

Cambridge / Mass., London, S. 263 - 288. Verteidigung<br />

der These dass der Physikalismus damit<br />

vereinbar ist, dass uns die sinnliche Wahr-


BERICHT<br />

nehmung die Natur von <strong>Farben</strong> offen legt.<br />

10.) Campbell, John (1993): A Simple View of<br />

Colour. In: J. Haldane u. C. Wright (Hg.): Reality,<br />

Representation, and Projection. Oxford, S.<br />

257 - 268. Eine Verteidigung der primitivistischen<br />

Position.<br />

11.) Harman, Gilbert (1996): Explaining Objective<br />

Color in Terms of Subjective Reactions. In:<br />

E. Villanueva (Hg.): Philosophical Issues. Vol.<br />

7, Atascadero, S. 1 - 17. Entwicklung eines<br />

dispositionalen Ansatzes sowie Kritik an der<br />

Annahme von Farb-Qualia.<br />

12.) Jackson, Frank und Robert Pargetter (1987):<br />

An Objectivist´s Guide to Subjectivism about<br />

Colour. In: Revue Internationale de Philosophie,<br />

Vol. 41, S. 127 - 141. Verteidigung der physikalistischen<br />

Theorie der <strong>Farben</strong> gegen subjektivistische<br />

Einwände.<br />

13.) Jackson, Frank (1996): The Primary Quality<br />

View of Color. In: Philosophical Perspectives,<br />

Vol. 10, S. 199 - 219. Verteidigung der physikalistischen<br />

Theorie der <strong>Farben</strong> gegen subjektivistische<br />

Einwände.<br />

14.) Johnston, Mark (1992): How to Speak of<br />

the Colors. In: Philosophical Studies, Vol. 68,<br />

S. 221 - 263. Entwicklung eines dispositionalen<br />

Ansatzes.<br />

15.) Mausfeld, Rainer und Dieter Heyer (Hg.)<br />

(2003): Colour Perception. Mind and the physical<br />

world. Oxford, interdisziplinärer Band, der<br />

den aktuellen Stand der philosophischen und<br />

empirischen Forschung repräsentiert.<br />

of Colour. In: ders.: Knowledge and Reality. Selected<br />

Essays. Oxford, S. 314 - 325. Untersuchung<br />

des ontologischen Informationsgehalts<br />

von Farbwahrnehmungen.<br />

19.) Peacocke, Christopher (1984): Colour Concepts<br />

and Colour Experience. In: Synthese,Vol.<br />

58, S. 365 - 382. Überlegungen zur Definition<br />

von Farbbegriffen.<br />

20.) Schumacher, Ralph (Hg.) (2004a): Perception<br />

and Reality. From Descartes to the Present.<br />

Paderborn, Sammelband zu historischen und<br />

neueren Konzeptionen sekundärer Qualitäten.<br />

21.) Schumacher, Ralph (2004b): On Attributing<br />

Colour Perceptions. In: Experience and Analysis.<br />

M. Reicher et al. (Hg.), Kirchberg am<br />

Wechsel, S. 338 – 339. Kritik an Strouds zentralem<br />

Argument gegen subjektivistische Farbtheorien.<br />

22.) Strawson, Galen (1989): Red and ‚Red‘. In:<br />

Synthese, Vol. 78, S. 193 - 232. Überlegungen<br />

zur Definition von Farbbegriffen.<br />

23.) Stroud, Barry (2002): Explaining the Quest<br />

and its Prospects. Reply to Boghossian and<br />

Byrne. In: Philosophical Studies, Vol. 108, S.<br />

239 – 247. Widerlegung der Einwände von Boghossian<br />

und Byrne.<br />

UNSER AUTOR:<br />

Ralph Schumacher ist Privatdozent für Philosophie<br />

an der Humboldt-Universität Berlin und<br />

arbeitet gegenwärtig als Visiting Associate Professor<br />

an der Temple University in Philadelphia.<br />

16.) McDowell, John (1985): Values and Secondary<br />

Qualities. In: T. Honderich (Hg.): Morality<br />

and Objectivity: A Tribute to J. L. Mackie. London.<br />

Verteidigung der dispositionalen Farbtheorie.<br />

17.) McGinn, Colin (1999 a): Another Look at<br />

Color. In: ders.: Knowledge and Reality. Selected<br />

Essays. Oxford, S. 298 - 313. Kritik der<br />

dispositionalen Theorie der <strong>Farben</strong>.<br />

18.) McGinn, Colin (1999 b): The Appearance<br />

13

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