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Wesen und Bedeutung des Spiels - do-it-werkstatt.ch

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Ein Be<strong>it</strong>rag zur Spieltheorie<br />

<strong>Wesen</strong> <strong>und</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>des</strong> <strong>Spiels</strong><br />

Der na<strong>ch</strong>folgende Be<strong>it</strong>rag ist ein stark gekürzter Auszug aus der Diplomarbe<strong>it</strong> «Spiel <strong>und</strong> emotionale<br />

Intelligenz». Der Werklehrer Thomas Stuber hat sie zum Abs<strong>ch</strong>luss seiner We<strong>it</strong>erbildung am Didaktis<strong>ch</strong>en<br />

Inst<strong>it</strong>ut in Solothurn 1998 eingerei<strong>ch</strong>t.<br />

Zur Begriffli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong><br />

«Kultur in ihren ursprüngli<strong>ch</strong>en Phasen<br />

wird gespielt. Sie entspringt ni<strong>ch</strong>t<br />

aus Spiel (...),sie entfaltet si<strong>ch</strong> in Spiel<br />

<strong>und</strong> als Spiel» (Huizinga 1987, 189).<br />

Die Aufnahme dieses Gedankens<br />

hat si<strong>ch</strong> im Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong> deutli<strong>ch</strong><br />

niederges<strong>ch</strong>lagen. Das Wort Spiel<br />

hat eine beinahe universale <strong>Bedeutung</strong><br />

erhalten:<br />

• Das Phänomen Spiel betrifft ni<strong>ch</strong>t<br />

nur den mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Berei<strong>ch</strong>: das<br />

Mückenspiel, das Wellenspiel, das<br />

Spiel der Rada<strong>ch</strong>se,Tiere spielen.<br />

• Die Spra<strong>ch</strong>e spielt, einige Beispiele:<br />

«Es spielt keine Rolle», «Lass<br />

mi<strong>ch</strong> b<strong>it</strong>te aus dem Spiel», «Du<br />

treibst ein gefährli<strong>ch</strong>es Spiel», «Es<br />

wird ein Na<strong>ch</strong>spiel haben», «Geld ist<br />

im Spiel»,«Da spielt si<strong>ch</strong> etwas ab».<br />

Dass «Spielen» ursprüngli<strong>ch</strong> m<strong>it</strong> Bewegung<br />

zu tun hat, lässt si<strong>ch</strong> aus etymologis<strong>ch</strong>er<br />

Si<strong>ch</strong>t lei<strong>ch</strong>t na<strong>ch</strong>weisen.<br />

Das altho<strong>ch</strong>deuts<strong>ch</strong>e «Spil» bedeutet<br />

«lebhafte <strong>und</strong> belebte,effektvolle<br />

beseelte Körperbewegung», au<strong>ch</strong><br />

«reine Gemütsbewegung» oder «bewegte<br />

Naturers<strong>ch</strong>einung». «Spil» erstreckt<br />

si<strong>ch</strong> also über vers<strong>ch</strong>iedene<br />

Berei<strong>ch</strong>e, s<strong>ch</strong>liesst aber immer Bewegung<br />

m<strong>it</strong> ein. Im Rahmen dieses<br />

Be<strong>it</strong>rags ist der Begriff auf jene Spielphänomene<br />

einges<strong>ch</strong>ränkt, die Tätigke<strong>it</strong>en<br />

m<strong>it</strong> Mens<strong>ch</strong>en darstellen.<br />

<strong>Wesen</strong>smerkmale<br />

Auf die Frage «Was ist Spiel?» gibt es<br />

keine einfa<strong>ch</strong>e Antwort.S<strong>ch</strong>on in begriffli<strong>ch</strong>er<br />

Hinsi<strong>ch</strong>t herrs<strong>ch</strong>t Vieldeutigke<strong>it</strong>.<br />

Jede theoretis<strong>ch</strong>e <strong>und</strong><br />

praktis<strong>ch</strong>e Bes<strong>ch</strong>äftigung m<strong>it</strong> dem<br />

Spielen ges<strong>ch</strong>ieht auf dem Hintergr<strong>und</strong><br />

anthropologis<strong>ch</strong>er Gr<strong>und</strong>annahmen.<br />

Unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e Deutungen<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Daseins führen zu<br />

vers<strong>ch</strong>iedenen Eins<strong>ch</strong>ätzungen der<br />

<strong>Bedeutung</strong> <strong>und</strong> Bes<strong>ch</strong>reibung <strong>des</strong><br />

Phänomens Spielen.<br />

Relativ we<strong>it</strong> gefasst ist die Defin<strong>it</strong>ion<br />

<strong>des</strong> vor 50 Jahren verstorbenen<br />

holländis<strong>ch</strong>en Kulturphilosophen,<br />

Historikers <strong>und</strong> Spielförderers Jan<br />

Huizinga, der in seinem berühmten<br />

Werk «Homo Ludens» ges<strong>ch</strong>rieben<br />

hat, Spiel sei «eine freiwillige Handlung<br />

oder Bes<strong>ch</strong>äftigung, die innerhalb<br />

gewisser festgesetzter Grenzen<br />

von Ze<strong>it</strong> <strong>und</strong> Raum na<strong>ch</strong> freiwillig angenommenen,<br />

aber unbedingt bindenden<br />

Regeln verri<strong>ch</strong>tet, ihr Ziel in<br />

si<strong>ch</strong> selber hat <strong>und</strong> begle<strong>it</strong>et wird von<br />

einem Gefühl der Spannung <strong>und</strong><br />

Freude <strong>und</strong> einem Bewusstsein <strong>des</strong><br />

Andersseins als das gewöhnli<strong>ch</strong>e Leben»<br />

(Huizinga 1987,37).<br />

Der Begriff «Spiel» wird in der L<strong>it</strong>eratur<br />

häufig dur<strong>ch</strong> Abgrenzung gegenüber<br />

dem Begriff «Arbe<strong>it</strong>» zu erfassen<br />

versu<strong>ch</strong>t. Im Duden ist folgende<br />

Ums<strong>ch</strong>reibung der beiden Begriffe<br />

zu finden:<br />

•Spiel ist eine «Tätigke<strong>it</strong>, die ohne<br />

bewussten Zweck zum Vergnügen,<br />

zur Entspannung, aus Freude an ihr<br />

selbst <strong>und</strong> an ihrem Resultat ausgeübt<br />

wird.»<br />

•Arbe<strong>it</strong> ist eine «Tätigke<strong>it</strong> m<strong>it</strong> einzelnen<br />

Verri<strong>ch</strong>tungen, Ausführungen<br />

eines Auftrags.»<br />

Dem Spiel liegt kein bewusster<br />

Zweck zugr<strong>und</strong>e, darin s<strong>ch</strong>eint der<br />

Hauptunters<strong>ch</strong>ied dieser allgemeinen<br />

Ums<strong>ch</strong>reibungen zu bestehen.<br />

«Im kindli<strong>ch</strong>en Spiel sehen wir, dass<br />

Spiel <strong>und</strong> Ernst ni<strong>ch</strong>t Gegensätze zu<br />

sein brau<strong>ch</strong>en. Das Spiel ist ni<strong>ch</strong>t einfa<strong>ch</strong><br />

das Unernste, das nur “Spieleris<strong>ch</strong>e”.<br />

Im kindli<strong>ch</strong>en Spiel ist im Gegenteil<br />

gerade der ganze Lebensernst<br />

no<strong>ch</strong> enthalten, der Ernst der Arbe<strong>it</strong>,<br />

(...).Erst m<strong>it</strong> der Ze<strong>it</strong> treten die in ihm<br />

enthaltenen Momente auseinander;<br />

<strong>und</strong> dam<strong>it</strong> wird dann au<strong>ch</strong> aus dem<br />

Spiel etwas anderes, als es ursprüngli<strong>ch</strong><br />

war.Ob dieser Vorgang – wir nennen<br />

ihn die Entwicklung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> –<br />

in derjenigen Art <strong>und</strong> Weise, wie er<br />

si<strong>ch</strong> heute tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vollzieht, au<strong>ch</strong><br />

notwendig <strong>und</strong> wüns<strong>ch</strong>bar ist,das fragen<br />

wir.Gewiss ist zunä<strong>ch</strong>st,dass si<strong>ch</strong><br />

die spätere Arbe<strong>it</strong>shaltung aus der ursprüngli<strong>ch</strong>en<br />

Spielhaltung heraus<br />

entwickelt (...).» Moor (1973, 39f)<br />

Na<strong>ch</strong> der Auffassung von Moor führt<br />

also das Spiel das heranwa<strong>ch</strong>sende<br />

Kind zu einer Spielhaltung, die<br />

Gr<strong>und</strong>lage bildet für das Aufbauen<br />

einer Arbe<strong>it</strong>shaltung für die Bewältigung<br />

von Lebensaufgaben. Dass die<br />

Abgrenzung Spiel-Arbe<strong>it</strong> ni<strong>ch</strong>t eindeutig<br />

zu bestimmen ist, soll folgen<strong>des</strong><br />

Z<strong>it</strong>at zeigen:<br />

«Spiel bedeutet für mi<strong>ch</strong> was für andere<br />

Arbe<strong>it</strong>, die Abgrenzung zwis<strong>ch</strong>en<br />

Spiel <strong>und</strong> Arbe<strong>it</strong> ist s<strong>ch</strong>wierig,es<br />

gibt fliessende Übergänge. Für mi<strong>ch</strong><br />

jedenfalls ist Spielen selten zweckfrei,<br />

insbesondere gehört au<strong>ch</strong> der experimentelle<br />

Berei<strong>ch</strong> dazu, im S<strong>ch</strong>ulberei<strong>ch</strong><br />

wohl der Ort, wo Problemlöseverhalten<br />

ausprobiert werden könnte»<br />

(Fluri in Stuber, 1998).<br />

Na<strong>ch</strong>dem einige Aspekte <strong>des</strong> Begriffs<br />

«Spiel» dargestellt worden<br />

sind, ist es an der Ze<strong>it</strong>, eine fassbare<br />

Begriffsklärung anzubieten. Eine<br />

differenzierte Darstellung von se<strong>ch</strong>s<br />

<strong>Wesen</strong>smerkmalen hat S<strong>ch</strong>euerl in<br />

seinem umfassenden Bu<strong>ch</strong> «Das<br />

Spiel» {1973, S. 27 ) vorgelegt:<br />

• Das Moment der Freihe<strong>it</strong>:«Wo si<strong>ch</strong><br />

die Spieler von spielfremden Zwecksetzungen<br />

ni<strong>ch</strong>t freima<strong>ch</strong>en oder zu<br />

distanzieren verstehen (wie gelegentli<strong>ch</strong><br />

im Leistungssport, bei gewinnträ<strong>ch</strong>tigen<br />

Glücksspielen oder bei berufsmässiger<br />

Ausübung artistis<strong>ch</strong>er<br />

Spielvorführungen),da geht eines der<br />

6 werkspuren 3/98<br />

werkspuren 3/98<br />

7


wi<strong>ch</strong>tigsten Momente <strong>des</strong> Spieleris<strong>ch</strong>en<br />

verloren, <strong>und</strong> das ganze Spiel<br />

wird unter Umständen <strong>des</strong>truiert.»<br />

• Das Moment der inneren Unendli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>:Das<br />

Spiel «ma<strong>ch</strong>t als sol<strong>ch</strong>es<br />

Spass <strong>und</strong> strebt <strong>des</strong>halb na<strong>ch</strong> Ausdehnung<br />

in der Ze<strong>it</strong>, gegebenenfalls<br />

um dieser Ausdehnung willen na<strong>ch</strong><br />

ständiger Selbstwiederholung.»<br />

• Das Moment der S<strong>ch</strong>einhaftigke<strong>it</strong>:<br />

«Spiele errei<strong>ch</strong>en ihre besondere<br />

Spielqual<strong>it</strong>ät auf einer eigenen, si<strong>ch</strong><br />

von der sonstigen Real<strong>it</strong>ät abhebenden<br />

s<strong>ch</strong>einhaften Ebene.»<br />

• Das Moment der Ambivalenz:<br />

«Spiele müssen für die Beteiligten dadur<strong>ch</strong><br />

spannend sein, dass ihr Ausgang<br />

offen ist. Dies ist dann der Fall,<br />

wenn etwa glei<strong>ch</strong> starke Kräfte einander<br />

entgegengesetzt sind.»<br />

• Das Moment der Ges<strong>ch</strong>lossenhe<strong>it</strong>:<br />

«Dam<strong>it</strong> Spiele ihre ambivalente Offenhe<strong>it</strong><br />

au<strong>ch</strong> nur über m<strong>it</strong>tlere Ze<strong>it</strong>strecken<br />

hinweg aufre<strong>ch</strong>terhalten<br />

können, bedürfen sie ni<strong>ch</strong>t nur eines<br />

Freiraums, sondern au<strong>ch</strong> einer Begrenzung,<br />

um ni<strong>ch</strong>t gestaltlos zu zerfliessen.»<br />

• Das Moment der Gegenwärtigke<strong>it</strong>:<br />

Spiele sind im Unters<strong>ch</strong>ied zu aussengeri<strong>ch</strong>teten<br />

Zweckhandlungen<br />

«ze<strong>it</strong>li<strong>ch</strong> derart strukturiert, dass die<br />

offene,ambivalente Spannung für die<br />

Beteiligten am jeweiligen Augenblick<br />

oder zumin<strong>des</strong>t an sehr kurzfristigen<br />

Ablaufphasen haftet.»<br />

Spieltheoretis<strong>ch</strong>e Ansätze<br />

In den Spieltheorien wird ein wesentli<strong>ch</strong>er<br />

Teil <strong>des</strong> mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Verhaltens<br />

erklärt <strong>und</strong> in den Zusammenhang<br />

von Sozialisation, Psy<strong>ch</strong>ologie<br />

<strong>und</strong> Gesells<strong>ch</strong>aftstheorien gebra<strong>ch</strong>t.<br />

Es ist <strong>des</strong>halb ni<strong>ch</strong>t erstaunli<strong>ch</strong>,<br />

dass es sehr unters<strong>ch</strong>iedli<strong>ch</strong>e<br />

Theorien gibt, <strong>und</strong> diese abhängig<br />

sind von Weltans<strong>ch</strong>auung <strong>und</strong> Mens<strong>ch</strong>enbild.<br />

In Anlehnung an U. Baer,<br />

Autor <strong>des</strong> «Wörterbu<strong>ch</strong>es der Spielpädagogik»<br />

(1981), folgt ein kurzer<br />

Abriss der vers<strong>ch</strong>iedenen Theorieansätze:<br />

• Für die Psy<strong>ch</strong>oanalyse ist Spiel eine<br />

Handlung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, m<strong>it</strong> der angstauslösende,<br />

überwältigende Erlebnisse<br />

na<strong>ch</strong>vollzogen <strong>und</strong> bewältigt<br />

werden können.<br />

• Für die Entwicklungspsy<strong>ch</strong>ologie<br />

ist das Spiel die dem Kind angemessene<br />

Form der Reifung <strong>und</strong> Anpassung.<br />

• Für Philosophie <strong>und</strong> pos<strong>it</strong>ivistis<strong>ch</strong>e<br />

Psy<strong>ch</strong>ologie ist Spiel zumeist eine<br />

(kindgemässe) Handlungsform, die<br />

ihren Zweck in si<strong>ch</strong> selbst bes<strong>it</strong>zt.<br />

• Für die Kommunikations- <strong>und</strong> Interaktionstheorien<br />

ist Spiel eine Sozialisationsform,in<br />

der das Verhalten<br />

zu Mens<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> Sa<strong>ch</strong>en (vor allem<br />

im Rollenspiel) gelernt wird.<br />

• Die materialistis<strong>ch</strong>e Spieltheorie<br />

sieht Spiel vorwiegend als kindli<strong>ch</strong>e<br />

Form der Aneignung von gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>er<br />

Wirkli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong> <strong>und</strong> Veränderung<br />

an.<br />

Anthropologis<strong>ch</strong>e Si<strong>ch</strong>t<br />

Spiele gehören zu den ältesten Kulturgütern<br />

<strong>des</strong> Mens<strong>ch</strong>en, sind älter<br />

als alle in s<strong>ch</strong>riftli<strong>ch</strong>er Form aufgezei<strong>ch</strong>neten<br />

Ideen <strong>und</strong> Gesetze. Se<strong>it</strong><br />

der Frühze<strong>it</strong> der Mens<strong>ch</strong>he<strong>it</strong> war<br />

Spiel kein Kinderkram, sondern vor<br />

allem eine kulturelle Bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

der Erwa<strong>ch</strong>senen, oft beeinflusst<br />

dur<strong>ch</strong> Mathematik, Ar<strong>ch</strong><strong>it</strong>ektur,<br />

Kriegshandwerk, Religion oder Mythologie.Bis<br />

in die Neuze<strong>it</strong> hat der erwa<strong>ch</strong>sene<br />

Mens<strong>ch</strong> Spiele als Herausforderung<br />

an seinen Geist <strong>und</strong> Verstand<br />

<strong>und</strong> zur Berei<strong>ch</strong>erung seines<br />

sozialen Wirkens erf<strong>und</strong>en. Erst in<br />

der zwe<strong>it</strong>en Hälfte unseres Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

wurde der Spieltrieb der Erwa<strong>ch</strong>senen<br />

gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> unterdrückt.Spiele<br />

wurden in der Pädagogik<br />

plötzli<strong>ch</strong> allein den Kindern zugewiesen.<br />

Kindhe<strong>it</strong> ist ni<strong>ch</strong>t nur eine biologis<strong>ch</strong><br />

bedingte Lebensphase. Vielmehr ist<br />

sie ein gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es Konstrukt,<br />

den Bedingungen der Ze<strong>it</strong> entspre<strong>ch</strong>end.Die<br />

Geburtsst<strong>und</strong>e der Kindhe<strong>it</strong><br />

fällt in die Ze<strong>it</strong> Pestalozzis im 18.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert. Natürli<strong>ch</strong> hat es s<strong>ch</strong>on<br />

immer Kinder gegeben, se<strong>it</strong> Pestalozzi<br />

wird aber deutli<strong>ch</strong>er zwis<strong>ch</strong>en<br />

Erwa<strong>ch</strong>senen- <strong>und</strong> Kinderwelt unters<strong>ch</strong>ieden.<br />

Kindhe<strong>it</strong> <strong>und</strong> Kinderkultur sind in<br />

unserer Gesells<strong>ch</strong>aft ein zentrales<br />

Thema geworden. Nie zuvor ist der<br />

Kindhe<strong>it</strong> soviel Aufmerksamke<strong>it</strong> zuteil<br />

geworden. Davon zeugen eine<br />

Flut von Erziehungsratgebern zuhanden<br />

von Eltern <strong>und</strong> Lehrpersonen,<br />

entwicklungspsy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>und</strong> soziologis<strong>ch</strong>e Studien <strong>und</strong> ganze<br />

Wirts<strong>ch</strong>aftszweige, die speziell für<br />

Kinder produzieren – insbesondere<br />

au<strong>ch</strong> in der Spielwelt. Kindhe<strong>it</strong> als<br />

Lebensraum <strong>und</strong> glei<strong>ch</strong>ze<strong>it</strong>ig als Gegenentwurf<br />

zur unzulängli<strong>ch</strong>en Welt<br />

der Erwa<strong>ch</strong>senen? Dies ist eine mögli<strong>ch</strong>e<br />

Begründung zur klaren Trennung<br />

der Kinder- <strong>und</strong> Erwa<strong>ch</strong>senenspielwelt<br />

in der zwe<strong>it</strong>en Hälfte unseres<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts.Heute zei<strong>ch</strong>net si<strong>ch</strong><br />

tendenziell eher ein kultureller Wandel<br />

ab: Der Lebensraum Kindhe<strong>it</strong><br />

wurde zugunsten der Idee der prinzipiellen<br />

Glei<strong>ch</strong>wertigke<strong>it</strong> von Kindern<br />

<strong>und</strong> Erwa<strong>ch</strong>senen aufgegeben,<br />

man beruft si<strong>ch</strong> auf jene Ze<strong>it</strong>en, wo<br />

Kinder der Welt der Erwa<strong>ch</strong>senen<br />

ganz selbstverständli<strong>ch</strong> zugehörten.<br />

Bezügli<strong>ch</strong> Spiel s<strong>ch</strong>rieb der Philosoph<br />

Nietzs<strong>ch</strong>e bere<strong>it</strong>s im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert:<br />

«Wir meinen, das (...) Spiel<br />

gehöre zur Kindhe<strong>it</strong>: wir Kurzsi<strong>ch</strong>tigen!<br />

Als ob wir in irgend einem Lebensalter<br />

ohne (...) Spiel leben würden.»<br />

Das Spiel ist anthropologis<strong>ch</strong> gesehen<br />

ein lebenslanger Begle<strong>it</strong>er geworden.<br />

«Gerade für die Entwicklung <strong>und</strong><br />

Vollendung <strong>des</strong> Mens<strong>ch</strong>en wäre es<br />

von ents<strong>ch</strong>eidender <strong>Bedeutung</strong>,wenn<br />

Spielauffassung <strong>und</strong> -verständnis (...)<br />

au<strong>ch</strong> das Erwa<strong>ch</strong>senenleben dur<strong>ch</strong>dringen<br />

könnten, um jene Lebensfreude<br />

lebendig zu erhalten, die als<br />

M<strong>it</strong>te <strong>des</strong> <strong>Spiels</strong> den Mens<strong>ch</strong>en über<br />

einen bejahenden Lebensbezug zu einem<br />

vertieften Selbstverständnis<br />

führt. Das Spiel ist in dieser übergreifenden<br />

Auslegung (...) ein stetes si<strong>ch</strong><br />

Erproben in offenen S<strong>it</strong>uationen.»<br />

(Röhrs 1981,107)<br />

In der Entwicklungspsy<strong>ch</strong>ologie<br />

spri<strong>ch</strong>t man <strong>des</strong>halb beim Spielen<br />

von der Mögli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong> <strong>des</strong> Probehandelns.<br />

Im Spiel können Verhaltensweisen<br />

erprobt,na<strong>ch</strong>geahmt,wiederholt<br />

<strong>und</strong> eingeübt werden. Der Rahmen<br />

<strong>des</strong> <strong>Spiels</strong> s<strong>ch</strong>ützt vor Verletzung<br />

<strong>und</strong> Ausstossung. Das Spiel<br />

s<strong>ch</strong>liesst einen Spiel- resp. S<strong>ch</strong>onraum<br />

ein. Es bietet die Mögli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>,<br />

Gefühle wie «si<strong>ch</strong> solidarisieren»,<br />

«austricksen», «einander übers Ohr<br />

hauen», «S<strong>ch</strong>adenfreude empfinden»<br />

usw. in geregelter <strong>und</strong> r<strong>it</strong>ualisierter<br />

Form auszuleben.<br />

Bildungspol<strong>it</strong>is<strong>ch</strong>e Relevanz<br />

Wie bere<strong>it</strong>s eingangs erwähnt,<br />

s<strong>ch</strong>reibt Huizinga, ein gr<strong>und</strong>legen<strong>des</strong><br />

Element unserer Kultur sei das<br />

Spiel. Der Mens<strong>ch</strong> als Spieler – ohne<br />

seine Lust <strong>und</strong> Fähigke<strong>it</strong> zum Spielen<br />

hätten si<strong>ch</strong> ganze Berei<strong>ch</strong>e der<br />

Kultur ni<strong>ch</strong>t entwickelt.Als Beispiel<br />

nennt er Di<strong>ch</strong>tung, das Re<strong>ch</strong>t, die<br />

Wissens<strong>ch</strong>aft,die bildende Kunst,die<br />

Philosophie <strong>und</strong> vieles andere.Aufgr<strong>und</strong><br />

der Aussagen Huizingas über<br />

das Verhältnis von Spiel <strong>und</strong> Kultur<br />

wird offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>, dass Spiel si<strong>ch</strong>er<br />

bildungspol<strong>it</strong>is<strong>ch</strong>e Relevanz hat.<br />

Spielen heisst si<strong>ch</strong> entwickeln:Bewegung,<br />

Kommunikation, soziale <strong>und</strong><br />

personale Kompetenzen, Gefühle<br />

<strong>und</strong> Kreativ<strong>it</strong>ät. Man kann si<strong>ch</strong> nun<br />

die Frage stellen,warum denn Spiele<br />

in der S<strong>ch</strong>ule, abgesehen vom Sportunterri<strong>ch</strong>t,<br />

eine re<strong>ch</strong>t untergeordnete<br />

Rolle spielen. Dazu Peter Gasser:<br />

«Die S<strong>ch</strong>ule spiegelt immer die<br />

Gesells<strong>ch</strong>aft wieder.Momentan ist die<br />

wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e S<strong>it</strong>uation in der<br />

S<strong>ch</strong>weiz härter. Man neigt als Folge<br />

davon eher zu defensivem Verhalten,<br />

setzt auf trad<strong>it</strong>ionelle, bewährte Leistungsmuster<br />

<strong>und</strong> verkennt dabei z.B.,<br />

was für ein Potential im Spiel liegt.Andererse<strong>it</strong>s<br />

weiss man, dass z.B. in der<br />

te<strong>ch</strong>nologis<strong>ch</strong>en Fors<strong>ch</strong>ung oder in<br />

jungen Unternehmen in vers<strong>ch</strong>iedenen<br />

Gebieten (z.B. Werbung, Informatik)<br />

Leute dur<strong>ch</strong> spieleris<strong>ch</strong>en<br />

Umgang m<strong>it</strong> Problemen auf ungeahnte<br />

Lösungen kommen. Die Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

hat häufig eine Art Vorre<strong>it</strong>errolle<br />

für die S<strong>ch</strong>ule,die ja eher ein trad<strong>it</strong>ionelles<br />

<strong>und</strong> systembewahren<strong>des</strong><br />

Gebilde ist. Von da her habe i<strong>ch</strong> die<br />

Hoffnung, dass m<strong>it</strong> der Ze<strong>it</strong> au<strong>ch</strong> die<br />

S<strong>ch</strong>ule die Bildungsqual<strong>it</strong>ät <strong>des</strong> <strong>Spiels</strong><br />

no<strong>ch</strong> besser erkennen wird, <strong>und</strong> ni<strong>ch</strong>t<br />

wieder beginnt, Reihen zu drillen.»<br />

(Gasser, in Stuber, 1997).<br />

Nebst der wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en S<strong>it</strong>uation<br />

sind no<strong>ch</strong> we<strong>it</strong>ere Gründe aufzuführen:Spiel<br />

ist lustbetont <strong>und</strong> zu wenig<br />

lernzielorientiert, Spiel ist etwas<br />

für Kleinkinder, Spiel ist Freize<strong>it</strong>bes<strong>ch</strong>äftigung<br />

– so lauten gehörte Argumente<br />

in diesem Kontext.<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Spieldidaktiker betonen<br />

die Wi<strong>ch</strong>tigke<strong>it</strong> <strong>des</strong> <strong>Spiels</strong> im<br />

Lernprozess. Meyer sieht im Spielen<br />

einen «zielgeri<strong>ch</strong>teten Versu<strong>ch</strong> zur<br />

Entwicklung der sozialen,kreativen,<br />

intellektuellen <strong>und</strong> ästhetis<strong>ch</strong>en<br />

Kompetenzen der S<strong>ch</strong>ülerinnen <strong>und</strong><br />

S<strong>ch</strong>üler.» (Meyer 1987, 344)<br />

Aregger begründet den Einsatz <strong>des</strong><br />

<strong>Spiels</strong> im Unterri<strong>ch</strong>t folgendermassen:<br />

Spielen ist eine umfassende<br />

Betätigungsweise <strong>des</strong> Mens<strong>ch</strong>en, in<br />

der Denken, Handeln, Fühlen <strong>und</strong><br />

Spre<strong>ch</strong>en zum Tragen kommen können.<br />

Na<strong>ch</strong> Aregger (1994, 88) sind<br />

we<strong>it</strong>ere Charakteristika:<br />

• Spielen ist eine lebenslange Mögli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>,<br />

in freudiger Weise tätig zu<br />

sein.<br />

• Spielen hat in der Entwicklung <strong>des</strong><br />

Mens<strong>ch</strong>en (vom Kleinkind bis zu allen<br />

Phasen <strong>des</strong> Erwa<strong>ch</strong>senseins) eine<br />

wesentli<strong>ch</strong>e <strong>Bedeutung</strong>.<br />

• Spieleris<strong>ch</strong>e Betätigungsweisen<br />

können in allen Phasen/Stufen eines<br />

Lehr/Lernprozesses sinnvoll eingesetzt<br />

werden.<br />

• Spielen kann alle drei Lerndimensionen<br />

anspre<strong>ch</strong>en,die kogn<strong>it</strong>ive,die<br />

psy<strong>ch</strong>omotoris<strong>ch</strong>-pragmatis<strong>ch</strong>e <strong>und</strong><br />

die emotional-soziale.<br />

• Spielen kann für einfa<strong>ch</strong>e über m<strong>it</strong>tels<strong>ch</strong>wierige<br />

bis hin zu komplexen<br />

Lernleistungen förderli<strong>ch</strong> sein.<br />

In vielen Lehrplänen der Volkss<strong>ch</strong>ule<br />

werden S<strong>ch</strong>lüsselkompetenzen<br />

als oberste Bildungsziele formuliert.<br />

Im Kanton Bern zum Beispiel<br />

sind Le<strong>it</strong>ideen zur Selbst- <strong>und</strong> Sozialkompetenz<br />

wie folgt formuliert:<br />

• Die S<strong>ch</strong>ule unterstützt die S<strong>ch</strong>ülerinnen<br />

auf dem Weg zu selbständigen<br />

Personen.<br />

• Die S<strong>ch</strong>ule hilft den S<strong>ch</strong>ülern beim<br />

Aufbau persönli<strong>ch</strong>er Werthaltungen.<br />

• Die S<strong>ch</strong>ule fördert die Beziehungsfähigke<strong>it</strong><br />

<strong>und</strong> versteht si<strong>ch</strong> als Ort <strong>des</strong><br />

sozialen Lernens.<br />

• Die S<strong>ch</strong>ule fördert die Fähigke<strong>it</strong><br />

zur Zusammenarbe<strong>it</strong>.<br />

Diese Ziele können m<strong>it</strong> entspre<strong>ch</strong>ender<br />

Spielpädagogik angestrebt<br />

werden.<br />

Ein Gr<strong>und</strong>, weshalb diese Erkenntnis<br />

no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in die S<strong>ch</strong>ulpraxis umgesetzt<br />

ist, könnte in der unausgespro<strong>ch</strong>enen<br />

Hierar<strong>ch</strong>ie der Bildungsziele<br />

liegen. No<strong>ch</strong> vor ni<strong>ch</strong>t<br />

allzu langer Ze<strong>it</strong> war in der S<strong>ch</strong>ule<br />

nur Wissen gefragt, soziale <strong>und</strong> persönli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>sbildende<br />

Lernziele waren<br />

klar untergeordnet oder gar ni<strong>ch</strong>t<br />

vorhanden.In der heutigen Ze<strong>it</strong> sind<br />

sol<strong>ch</strong>e Aspekte aus Le<strong>it</strong>bildern der<br />

S<strong>ch</strong>ulen, aber au<strong>ch</strong> der Wirts<strong>ch</strong>aft<br />

<strong>und</strong> Industrie,ni<strong>ch</strong>t mehr wegzudenken.In<br />

einer Ze<strong>it</strong>,in der Zusammenarbe<strong>it</strong><br />

nötiger denn je ers<strong>ch</strong>eint, <strong>und</strong><br />

zudem au<strong>ch</strong> (neue) Erlebnisse in der<br />

Freize<strong>it</strong>, respektive im S<strong>ch</strong>ulalltag,<br />

gesu<strong>ch</strong>t werden, ist eindeutig, dass<br />

Spiele aus pädagogis<strong>ch</strong>er Si<strong>ch</strong>t an<br />

<strong>Bedeutung</strong> gewinnen müssen.<br />

Für Hans Fluri ist Spiel Ort der<br />

Selbsterziehung <strong>und</strong> «uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>e<br />

Quelle der Selbsterfahrung»:<br />

«Das Spiel fördert die geistige <strong>und</strong><br />

körperli<strong>ch</strong>e Gewandthe<strong>it</strong>, den Mut<br />

zum Risiko <strong>und</strong> die Ausdauer, das<br />

Konzentrationsvermögen, die Angriffslust,die<br />

Freude am Sieg genauso<br />

wie die Gelassenhe<strong>it</strong> beim Verlieren.<br />

Das Spielen entwickelt das Vergnügen<br />

an vielfältigen Bewegungen, Ges<strong>ch</strong>ickli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>,<br />

S<strong>ch</strong>nelligke<strong>it</strong>, Kraft,<br />

die Fähigke<strong>it</strong>,S<strong>it</strong>uationen einzus<strong>ch</strong>ätzen<br />

<strong>und</strong> darauf zu reagieren.Spielend<br />

bekommt man Lust zum Ausprobieren<br />

<strong>und</strong> Experimentieren; der Übergang<br />

zum Lernen <strong>und</strong> wissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Arbe<strong>it</strong>en ist hier fliessend. Die<br />

Spieler entwickeln Kreativ<strong>it</strong>ät, ihr<br />

Vorstellungsvermögen. Sie lernen<br />

si<strong>ch</strong> in einem Regelwerk zu bewegen.<br />

Das Spiel ist ni<strong>ch</strong>t zuletzt eine uners<strong>ch</strong>öpfli<strong>ch</strong>e<br />

Quelle der Selbsterfahrung»<br />

(Fluri 1989,4).<br />

«Meist werden in Spieltheorien die<br />

pos<strong>it</strong>iven Se<strong>it</strong>en <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> angespro<strong>ch</strong>en,<br />

die dur<strong>ch</strong> das Spiel optimal gefördert<br />

werden. Nun ist aber jeder<br />

Mens<strong>ch</strong> anlagemässig ambivalent.<br />

Während die Pädagogik die dunklen<br />

Se<strong>it</strong>en unseres <strong>Wesen</strong>s entweder verdrängt<br />

oder unterdrückt, kann im<br />

Spiel die ‘Sau rausgelassen werden’.»<br />

(Fluri 1996, 25).<br />

8 werkspuren 3/98<br />

werkspuren 3/98<br />

9


Bezug zum Werkunteri<strong>ch</strong>t<br />

Lernen im Werkunterri<strong>ch</strong>t (gemeint<br />

ist ni<strong>ch</strong>t auss<strong>ch</strong>liessli<strong>ch</strong> Te<strong>ch</strong>nis<strong>ch</strong>es<br />

Werken, sondern Gestaltungsunterri<strong>ch</strong>t<br />

im Allgemeinen) bedeutet kogn<strong>it</strong>ives,<br />

sensomotoris<strong>ch</strong>es <strong>und</strong> affektives<br />

Ers<strong>ch</strong>liessen einer Sa<strong>ch</strong>e. Gustav<br />

Zankl spri<strong>ch</strong>t beim Herstellen<br />

eines Produktes von emotionaler<br />

Bildung.Diese entsteht dur<strong>ch</strong> spieleris<strong>ch</strong>en<br />

Umgang m<strong>it</strong> Material während<br />

<strong>des</strong> Herstellungsprozesses insbesondere<br />

bei eigenen Problemlösungen,<br />

aber au<strong>ch</strong> ans<strong>ch</strong>liessend im<br />

spieleris<strong>ch</strong>en Umgang m<strong>it</strong> dem Produkt.<br />

«Spiel ist eine wi<strong>ch</strong>tige emotionale<br />

Grösse» ist eine zentrale,si<strong>ch</strong> auf das<br />

Werkspiel beziehende Aussage von<br />

Zankl aus der Expertensi<strong>ch</strong>t. I<strong>ch</strong> bin<br />

überzeugt, dass Eigens<strong>ch</strong>aften <strong>des</strong><br />

Werkspiels im Sinne von Zankl häufig<br />

ni<strong>ch</strong>t abzutrennen sind vom Spiel<br />

im allgemeinen Sinn. Es soll nun auf<br />

ein zentrales Anliegen <strong>des</strong> heutigen<br />

Werkunterri<strong>ch</strong>ts eingegangen <strong>und</strong><br />

exemplaris<strong>ch</strong> der Bezug zum Spiel<br />

aufgezeigt werden.<br />

Die Förderung von problemlösungsorientiertem<br />

Verhalten wird gerade<br />

im Werkunterri<strong>ch</strong>t zum Thema, weil<br />

das Problemlösen als ents<strong>ch</strong>eiden<strong>des</strong><br />

Element anerkannt ist. Dabei ist<br />

m<strong>it</strong> Problemlösen das e<strong>ch</strong>te Problemlösen<br />

gemeint, das heisst, es sind<br />

neue Lösungen gefragt,ni<strong>ch</strong>t das Reproduzieren<br />

von bestehenden Lösungsvarianten.<br />

Zankl (1985, 37) unters<strong>ch</strong>eidet<br />

die rational-analytis<strong>ch</strong>e<br />

<strong>und</strong> die emotional-intu<strong>it</strong>ive Vorgehensweise.<br />

In der S<strong>ch</strong>ule <strong>und</strong> au<strong>ch</strong> in der Arbe<strong>it</strong>swelt<br />

werden die Vorgehensweisen<br />

gemis<strong>ch</strong>t. Dur<strong>ch</strong> entspre<strong>ch</strong>ende<br />

Unterri<strong>ch</strong>tsverfahren wie Analysen<br />

<strong>und</strong> Experimente kann ein Problem<br />

zielgeri<strong>ch</strong>tet gelöst werden.<br />

Im Werkunterri<strong>ch</strong>t sind Probleme<br />

no<strong>ch</strong> zu begreifen <strong>und</strong> erkennbar.<br />

Das handlungsorientierte Lernen<br />

(bei Jugendli<strong>ch</strong>en na<strong>ch</strong> Gustav<br />

Zankl die vorherrs<strong>ch</strong>ende Lernart)<br />

ist fa<strong>ch</strong>spezifis<strong>ch</strong> gegeben <strong>und</strong> grenzt<br />

si<strong>ch</strong> zum «Unterri<strong>ch</strong>t am Pult» deutli<strong>ch</strong><br />

ab. Diese Chance ist kaum in einem<br />

anderen Unterri<strong>ch</strong>tsberei<strong>ch</strong> so<br />

gut <strong>und</strong> muss <strong>des</strong>halb genutzt werden.<br />

Lernt das Kind im Werkunterri<strong>ch</strong>t<br />

«wie man Probleme löst,so kann<br />

es diese Erkenntnisse au<strong>ch</strong> in anderen<br />

Berei<strong>ch</strong>en <strong>des</strong> tägli<strong>ch</strong>en Lebens anwenden.<br />

Dadur<strong>ch</strong> kann abgele<strong>it</strong>et<br />

werden, dass es im Werkunterri<strong>ch</strong>t<br />

primär ni<strong>ch</strong>t um ästhetis<strong>ch</strong> hervorragend<br />

gelungene Endprodukte geht,<br />

sondern dass der Lernprozess ents<strong>ch</strong>eidend<br />

ist, der zu eigenständigen<br />

Problemlösungen führt.»<br />

(Zankl 1985, 56)<br />

Plä<strong>do</strong>yer für das Spiel<br />

Vers<strong>ch</strong>iedene Experten sehen das<br />

Spiel als Königszugang zu heutigen<br />

Bildungsanliegen. Gefordert sind<br />

si<strong>ch</strong> verändernde pädagogis<strong>ch</strong>e Konzepte,<br />

die ein anregen<strong>des</strong> Lernumfeld<br />

<strong>und</strong> individuelle Förderangebote<br />

s<strong>ch</strong>affen. Nur so lassen si<strong>ch</strong> Bildungsanliegen<br />

m<strong>it</strong> dem Ziel der<br />

«Mündigke<strong>it</strong>» der zu Erziehenden<br />

verwirkli<strong>ch</strong>en.<br />

«Das Spiel hat Mögli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>en wie<br />

kein anderes Medium», sagt Fluri im<br />

Zusammenhang m<strong>it</strong> der Förderung<br />

der emotionalen Intelligenz. Im<br />

«S<strong>ch</strong>onraum Spiel» lassen si<strong>ch</strong> emotionale,<br />

handlungsorientierte, soziale<br />

<strong>und</strong> au<strong>ch</strong> intellektuelle Kompetenzen<br />

fördern.Dass si<strong>ch</strong> diese Mögli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>en<br />

ni<strong>ch</strong>t automatis<strong>ch</strong> <strong>und</strong> in<br />

jedem Spiel realisieren lassen, ist<br />

ebenso offensi<strong>ch</strong>tli<strong>ch</strong>.<br />

Die Aussage von Otto S<strong>ch</strong>ärli zur<br />

Frage «Was bieten Spiele?» fasst ents<strong>ch</strong>eidende<br />

Punkte zusammen:<br />

«Gute Spiele bieten mehr als Massenware<br />

zur Befriedigung <strong>des</strong> Unterhaltungsbedürfnisses.<br />

Sie reissen den<br />

Mens<strong>ch</strong>en aus dem Alltag heraus,versetzen<br />

ihn in eine andere Welt, spre<strong>ch</strong>en<br />

alle seine Sinne an,fordern seine<br />

kreativen, intellektuellen <strong>und</strong> sozialen<br />

Kompetenzen heraus <strong>und</strong> erlauben<br />

ihm, si<strong>ch</strong> ohne äusseren Leistungszwang<br />

zu entfalten. (...)<br />

Das Spiel ist ein langsames Medium -<br />

ein Gegenpol zur allgemeinen Hektik<br />

unserer Ze<strong>it</strong>.Viele Jugendli<strong>ch</strong>e gestalten<br />

ihre Freize<strong>it</strong> na<strong>ch</strong> dem Motto:<br />

Mehr, s<strong>ch</strong>neller, weniger intensiv.<br />

Diese S<strong>ch</strong>nellebigke<strong>it</strong> hat Oberflä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong><br />

zur Folge. In der Förderung<br />

<strong>des</strong> <strong>Spiels</strong> kann dieser allgemeinen<br />

Tendenz Gegensteuer gegeben werden.<br />

Spielen verlangt Bere<strong>it</strong>s<strong>ch</strong>aft,<br />

si<strong>ch</strong> auf eine Idee oder eine Vorgabe<br />

einzulassen,aufeinander einzugehen,<br />

Toleranz zu üben,na<strong>ch</strong>zudenken,aus<br />

si<strong>ch</strong> herauszugehen <strong>und</strong> etwas von<br />

seinem <strong>Wesen</strong> zu zeigen oder zu geben.Insofern<br />

muss Spiel ein wesentli<strong>ch</strong>es<br />

Anliegen der Pädagogik sein.»<br />

(S<strong>ch</strong>ärli 1997, 234)<br />

Viele der heute tätigen Pädagoginnen<br />

<strong>und</strong> Pädagogen dur<strong>ch</strong>liefen eine<br />

S<strong>ch</strong>ule, in der der prozessorientierte<br />

Bildungsansatz ni<strong>ch</strong>t oder nur am<br />

Rande erlebt wurde. Die Angst vor<br />

Neuem, resp. vor dem Verlassen von<br />

«bewährten» Verhaltensmustern ist<br />

in einer Ze<strong>it</strong> <strong>des</strong> pädagogis<strong>ch</strong>en<br />

Wandels m<strong>it</strong> vielen Unsi<strong>ch</strong>erhe<strong>it</strong>en<br />

verständli<strong>ch</strong>. Der pädagogis<strong>ch</strong>e<br />

Wandel von einem produkt- zu einem<br />

prozessorientierten Unterri<strong>ch</strong>tsverständnis<br />

ist ni<strong>ch</strong>t in erster<br />

Linie eine Frage der Methodenwahl,<br />

sondern eine Frage der inneren<br />

pädagogis<strong>ch</strong>en Haltung.<br />

Das Spiel als Methode soll <strong>des</strong>halb<br />

nur M<strong>it</strong>tel zum Zweck einer humanen<br />

Bildung sein, einer Bildung, die<br />

emotionale <strong>und</strong> kogn<strong>it</strong>ive Kompetenzen<br />

fördert.Wi<strong>ch</strong>tig <strong>und</strong> ents<strong>ch</strong>eidend<br />

s<strong>ch</strong>eint mir,dass si<strong>ch</strong> jene Werte<br />

in der S<strong>ch</strong>ule <strong>und</strong> im Alltag dur<strong>ch</strong>setzen,<br />

die ein gutes Spiel ausma<strong>ch</strong>en:<br />

Fairness, Verlässli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>, Verbindli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>,<br />

Solidar<strong>it</strong>ät, Toleranz, Kreativ<strong>it</strong>ät,<br />

Phantasie, Sinnli<strong>ch</strong>ke<strong>it</strong>, M<strong>it</strong>fühlen<br />

usw.<br />

Während diese Werte ein gutes Spiel<br />

ausma<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> in einem guten Spiel<br />

selbstverständli<strong>ch</strong> sind,müssen sie in<br />

S<strong>ch</strong>ule <strong>und</strong> Alltag immer wieder erkämpft<br />

werden.<br />

❏<br />

Thomas Stuber<br />

Zusammenfassung Viktor D<strong>it</strong>tli<br />

Thomas Stuber<br />

Spiel <strong>und</strong> emotionale Intelligenz<br />

Was kann das Spiel zur Förderung der emotionalen<br />

Intelligenz be<strong>it</strong>ragen? Ein Be<strong>it</strong>rag zur pädagogis<strong>ch</strong>en<br />

, psy<strong>ch</strong>ologis<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> gesells<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en<br />

Relevanz <strong>des</strong> <strong>Spiels</strong>. Diplomarbe<strong>it</strong> Didaktis<strong>ch</strong>es<br />

Inst<strong>it</strong>ut der NW EDK, Solothurn 1998<br />

Kontaktadresse: Thomas Stuber,<br />

Emmentalstrasse 11, 3400 Burg<strong>do</strong>rf<br />

L<strong>it</strong>eratur<br />

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erwe<strong>it</strong>erten Lernformen <strong>und</strong> zu einer neuen<br />

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<strong>und</strong> Grenzen. Basel: Beltz 1973<br />

ZANKL, G.: Produktgestaltung. Linz: Ver<strong>it</strong>as 1985<br />

Fotos<br />

Wada Jossen<br />

10 werkspuren 3/98<br />

werkspuren 3/98<br />

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