Grenzwerte und Akzeptanz - IKU-DIE DIALOGGESTALTER
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Die Rolle von Grenz- <strong>und</strong> Vorsorgewerten<br />
in der Diskussion um die<br />
<strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen<br />
Dortm<strong>und</strong> / Berlin im April 2013<br />
<strong>IKU</strong> GmbH ∙ Olpe 39 ∙ 44135 Dortm<strong>und</strong> ∙ Tel. 0231_931103-0 ∙ Fax. 0231_31894<br />
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Geschäftsführer: Marcus Bloser ∙ Dr. Frank Claus ∙ HRB 9583 ∙ Amtsgericht Dortm<strong>und</strong><br />
Dortm<strong>und</strong>er Volksbank ∙ Konto 2606066900 ∙ BLZ 44160014 ∙ Sparkasse Dortm<strong>und</strong> ∙ Konto 231004335 ∙ BLZ 44050199<br />
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Executive Summary<br />
Inhalt<br />
Executive Summary ........................................................................................3<br />
1. Einleitung ....................................................................................................5<br />
2. Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n in der bisherigen Diskussion um den<br />
Bau von Stromtrassen ....................................................................................5<br />
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n ...................................................................................................7<br />
3.1. Risiko-Wahrnehmung von NF EMF der Stromversorgung .................7<br />
3.2 Informationsverhalten ..........................................................................8<br />
3.3 Wirkung von Informationen ..................................................................9<br />
3.4 <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen ............................................................. 10<br />
3.5 <strong>Grenzwerte</strong> <strong>und</strong> Vorsorge .................................................................. 11<br />
3.6 Einflussfaktoren bei der Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n ............... 13<br />
3.7 Zusammenfassung der Literaturanalyse ........................................... 16<br />
4. Eigene Studie ............................................................................................ 16<br />
4.1. Methodischer Ansatz ......................................................................... 16<br />
4.2 Ergebnisse .......................................................................................... 18<br />
4.3 Zusammenfassung der wichtigsten Bef<strong>und</strong>e .................................... 20<br />
5. Schlussfolgerungen .................................................................................. 21<br />
6. Literatur .................................................................................................... 22<br />
Anhang .......................................................................................................... 26<br />
2
Executive Summary<br />
Executive Summary<br />
Helfen striktere<br />
<strong>Grenzwerte</strong>, Ängste<br />
<strong>und</strong> Bedenken zu<br />
reduzieren?<br />
Keine Korrelation<br />
zwischen Höhe von<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n <strong>und</strong><br />
Risikowahrnehmung<br />
Überschreitung =<br />
Gefahr;<br />
Unterschreitung: keine<br />
Sicherheit<br />
Im Weiteren steht die Frage im Mittelpunkt, ob <strong>Grenzwerte</strong> für die Kommunikation<br />
von Sicherheit taugen. Genauer: Helfen striktere <strong>Grenzwerte</strong><br />
Ängste <strong>und</strong> Bedenken zu reduzieren <strong>und</strong> somit den Bau von Höchstspannungsleitungen<br />
akzeptabel zu machen? Zur Beantwortung dieser Frage<br />
wurden in der vorliegenden Studie die verfügbaren Praxis-Erfahrungen<br />
analysiert, die wissenschaftliche Literatur zur Risikokommunikation ausgewertet<br />
<strong>und</strong> eine eigene experimentelle Studie durchgeführt.<br />
Ob <strong>und</strong> inwiefern <strong>Grenzwerte</strong> auch dem Ges<strong>und</strong>heitsschutz dienen, ist<br />
hier nicht Thema. Es geht auch nicht um den Nutzen von Vorsorge zur<br />
Vermeidung möglicher Ges<strong>und</strong>heits-Risiken.<br />
Für die Hypothese, dass Grenzwertverschärfungen helfen <strong>Akzeptanz</strong> zu<br />
sichern, finden sich keine Belege. Die Bef<strong>und</strong>e des Eurobarometers von<br />
2010 zur Risikowahrnehmung des Mobilfunks verweisen im Gegenteil darauf,<br />
dass die Beziehungen zwischen Risikowahrnehmung <strong>und</strong> Status der<br />
Grenzwert-Regelung komplex sind. Länder mit Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
wie Italien haben eine hohe Risikowahrnehmung, während solche ohne<br />
Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> wie Deutschland niedrige Risikowahrnehmungen<br />
aufweisen. Hinzu kommt, dass ein Wettbewerb um den schärfsten Grenzwert<br />
als Indiz für die Beliebigkeit der Grenzwert-Setzung verstanden<br />
werden kann. Denn prinzipiell lässt sich, unabhängig von der Höhe eines<br />
<strong>Grenzwerte</strong>s, immerfort eine weitere Verschärfung einfordern. Es wird<br />
immer Kritiker geben, die beklagen, dass der vorhandene Grenzwert nicht<br />
schützt. Auch dieser Umstand ist für die Argumentation mit einer Grenzwert-Verschärfung,<br />
die Sicherheit kommunizieren will, von Nachteil.<br />
Die Literaturanalyse zeigt, dass die Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n<br />
schwierig ist, da sie oft von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Allerdings<br />
ist im Falle von <strong>Grenzwerte</strong>n, die als Distanzangaben gegeben werden<br />
(Wie weit muss eine Stromtrasse entfernt sein?), nicht mit solchen<br />
Verständnis-Schwierigkeiten zu rechnen.<br />
Die intuitive Wahrnehmung von <strong>Grenzwerte</strong>n ist durch Besonderheiten<br />
geprägt: Überschreitungen von <strong>Grenzwerte</strong>n werden als Zeichen von Gefahr<br />
verstanden. Werte unterhalb eines <strong>Grenzwerte</strong>s werden dagegen<br />
nicht als Zeichen von ausreichender Sicherheit interpretiert. Auch bei einem<br />
10fach niedrigeren Grenzwert bliebe diese Skepsis erhalten.<br />
In einem Experiment wurde zudem geprüft, ob die Vorgabe eines strikteren<br />
<strong>Grenzwerte</strong>s, die Distanz beeinflusst, in der man bereit ist, eine<br />
Stromtrasse in der eigenen Nachbarschaft zu akzeptieren. Bei einem solchen<br />
Experiment kommt es nicht auf die Repräsentativität der Stichprobe<br />
an, sondern darauf, ob die Stichprobengröße ausreicht, um einen Effekt,<br />
wenn er existiert, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auch finden zu<br />
können. Es geht um die Feststellung von Wirkungen <strong>und</strong> nicht um Meinungen.<br />
3
Executive Summary<br />
Nur 20 bzw. 30 % der<br />
Befragten akzeptieren<br />
eine Entfernung von<br />
300 Metern<br />
Die nachstehende Abbildung 1 zeigt, dass eine Entfernung der eigenen<br />
Wohnung zu einer Stromtrasse bis 350 m nur für zirka 32 % der Probanden,<br />
die über einen Vorsorge-Grenzwert von 350 m Distanz informiert<br />
wurden, akzeptabel ist. Anders ausgedrückt: 68 % der Befragten, die über<br />
den Vorsorgegrenzwert informiert wurden, lehnen eine Stromtrasse in<br />
einer Entfernung von etwa 350 Metern ab, in der ein derartiger Vorsorge-<br />
Grenzwert eingehalten wird. Dieser Prozentsatz der Ablehnenden ändert<br />
sich nur unwesentlich, wenn nicht über Vorsorge informiert wird (67%)<br />
Abbildung 1:<br />
Akzeptable Entfernung<br />
von Höchstspannungsleitungen<br />
unter der<br />
Bedingung mit <strong>und</strong><br />
ohne Vorsorge<br />
Skepsis gegenüber<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n als<br />
Maßstab von Sicherheit<br />
Strengere <strong>Grenzwerte</strong><br />
werden als Gefahrenhinweis<br />
verstanden<br />
Wie zu erwarten ist die geringfügige Verschlechterung der <strong>Akzeptanz</strong><br />
durch Vorsorgeinformation nicht statistisch signifikant. Zudem ist es auch<br />
nicht bedeutsam, ob die Versuchsteilnehmer aufgefordert werden, bei der<br />
Bewertung gründlicher nachzudenken: Zwar werden dann im Mittel eine<br />
höhere Distanz zu einer Höchstspannungsleitung angegeben als wenn<br />
rasch geurteilt werden muss. Aber auch dieser Effekt ist statistisch nicht<br />
signifikant.<br />
Werden die Versuchspersonen gefragt, ob die Einhaltung eines Grenzwerts<br />
ihre Ängste <strong>und</strong> Befürchtungen ausräumt, so spielt es keine Rolle,<br />
ob mit einem Vorsorge-Grenzwert argumentiert wird. Die Versuchsteilnehmer<br />
reagieren immer skeptisch bis ablehnend.<br />
Für die Annahme, dass mit schärferen <strong>Grenzwerte</strong>n <strong>Akzeptanz</strong> gewonnen<br />
werden kann, finden sich in unserer Studie keine Belege. Im Gegenteil,<br />
die vorhandene Evidenz spricht eher dafür, dass striktere <strong>Grenzwerte</strong> als<br />
Gefahrenhinweise interpretiert werden.<br />
4
1. Einleitung<br />
1. Einleitung<br />
<strong>Akzeptanz</strong> ist für<br />
Netzausbau wesentlich<br />
Wie reagieren<br />
Menschen, wenn ihnen<br />
eine Grenzwertsenkung<br />
mitgeteilt wird?<br />
In der gegenwärtigen Diskussion um den Ausbau von Stromtrassen in Deutschland<br />
ist die <strong>Akzeptanz</strong> solcher Bauvorhaben seitens der Anlieger eine entscheidende<br />
Frage für das Tempo des Netzausbaus <strong>und</strong> damit für die Energiewende.<br />
Zur Problemlösung wird manchmal vorgeschlagen, freiwillig <strong>Grenzwerte</strong> zu verschärfen<br />
bzw. Vorsorge-Werte einzufügen. Einige Akteure erwarten sich davon<br />
eine <strong>Akzeptanz</strong>steigerung, andere warnen dagegen vor diesem Schritt. Sie bezweifeln,<br />
dass ein solches Vorgehen auf die <strong>Akzeptanz</strong> von Höchstspannungsleitungen<br />
verbessert.<br />
Die vorliegende Studie hat deshalb das Ziel, folgende Fragen zu beantworten:<br />
<br />
<br />
<br />
Wie reagieren Menschen, wenn sie über eine Grenzwertsenkung informiert<br />
werden?<br />
Sind sie eher beruhigt oder beunruhigt, wenn sie erfahren, dass aus Vorsorge-Gründen<br />
die zulässigen Immissionen reduziert werden?<br />
Welche Wirkungen haben Grenzwertveränderungen auf die <strong>Akzeptanz</strong><br />
von Leitungsbauvorhaben?<br />
2. Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n in<br />
der bisherigen Diskussion um den Bau<br />
von Stromtrassen<br />
BUND fordert<br />
schärfere <strong>Grenzwerte</strong><br />
Nicht alle teilen die Auffassung der Strahlenschutzkommission, dass „auch nach<br />
Bewertung der neueren wissenschaftlichen Literatur keine wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse in Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen der Ges<strong>und</strong>heit durch<br />
niederfrequente elektrische <strong>und</strong> magnetische Felder vorliegen, die ausreichend<br />
belastungsfähig wären, um eine Veränderung der bestehenden Grenzwertregelung<br />
der 26. BImSchV zu rechtfertigen.“ 1<br />
Der B<strong>und</strong> für Umwelt <strong>und</strong> Naturschutz Deutschland (BUND) hat seine Auffassung<br />
von der Notwendigkeit einer Verschärfung der <strong>Grenzwerte</strong> wiederholt vorgetragen<br />
(BUND 2008). Der wissenschaftliche Berater des BUND, W. Kühling, fordert<br />
in seiner Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der B<strong>und</strong>esregierung über<br />
die „Verordnung zur Änderung der Vorschriften über elektromagnetische Felder“<br />
Ende Februar 2013 einen neuen Grenzwert von 0,01 μT. Aus dieser Forderung<br />
folgt ein Schutzabstand von etwa 600 m bei einer Freileitung mit 380 kV. Der<br />
„Verein für Elektrosensible <strong>und</strong> Mobilfunkgeschädigte“ verlangt in seiner Stellungnahme<br />
zur Novellierung der 26. BImSchVO einen Grenzwert 10 nT für von<br />
außen in Wohnungen eindringende magnetische Flussdichten. Neitzke vom<br />
ECOLOG-Institut plädierte dagegen bei Freileitungen für einen Abstand von 400<br />
Metern. Die Partei die Linke befürwortet in ihrem Entschließungsantrag zur<br />
„Verordnung zur Änderung der Vorschriften über elektromagnetische Felder <strong>und</strong><br />
das kommunikationsrechtliche Nachweisverfahren“ einen Grenzwert 0,2 μT. In<br />
NRW werden aus Gründen des Immissionsschutzes bei der Planung neuer<br />
Wohngebiete folgende Schutzabstände zu Anlagen der elektrischen Energiewei-<br />
1<br />
Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 221. Sitzung der Strahlenschutzkommission<br />
am 21./22. Februar 2008<br />
5
2. Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n in der bisherigen Diskussion um den<br />
Bau von Stromtrassen<br />
terleitung gefordert: 380 kV / 50 Hz : 40 m, 220 kV / 50 Hz : 20 m <strong>und</strong> 110 kV / 50<br />
Hz : 10 m (NRW, Abstandserlass 2007).<br />
Vielzahl von<br />
Orientierungs- <strong>und</strong><br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Risikowahrnehmung<br />
<strong>und</strong> Vorsorge<br />
Diese Vielzahl unterschiedlicher Orientierungs- <strong>und</strong> <strong>Grenzwerte</strong> ist aus kommunikationspsychologischer<br />
Sicht ungünstig, weil sie als Indiz für die Beliebigkeit<br />
der Grenzwert-Setzung verstanden werden kann. Hinzu kommt, dass es offenbar<br />
einen Wettbewerb um den schärfsten Grenzwert gibt. Prinzipiell kann, unabhängig<br />
von der Höhe eines <strong>Grenzwerte</strong>s, immer eine weitere Verschärfung gefordert<br />
werden, selbst dann, wenn es kaum noch Sinn macht 2 . Es wird immer Kritiker<br />
geben, die beklagen, dass der Grenzwert nicht ausreichend schützt. Auch dieser<br />
Umstand hat negative Konsequenzen für die Argumentation mit einer Grenzwert-<br />
Verschärfung.<br />
Ob Grenzwertverschärfungen helfen, <strong>Akzeptanz</strong> zu sichern, ist fraglich. Skepsis<br />
ist angebracht: die Bef<strong>und</strong>e des Eurobarometers von 2010 zur Risikowahrnehmung<br />
des Mobilfunks verweisen darauf, dass die gedankliche Verbindung von<br />
Risikowahrnehmung <strong>und</strong> Status der Grenzwert-Regelung komplex ist. Länder<br />
mit Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>n wie Italien haben eine hohe Risikowahrnehmung,<br />
während solche ohne Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> wie Deutschland niedrige Risikowahrnehmungen<br />
aufweisen.<br />
Abbildung 2:<br />
Risikowahrnehmung<br />
EMF in Europa. Quelle:<br />
Eurobarometer 2010<br />
2<br />
Dazu heißt es in der Zusammenfassung der Anhörung: „Hans-Peter Neitzke machte deutlich, dass<br />
man bei Freileitungen zum Teil Werte erreichen würde, „die in Wohnungen ohnehin erreicht würden<br />
Ab einem Wert von 0,1 Microtesla „kommt man nicht vorbei“, sagte er. Man sei daher, in dem, was<br />
man machen könne, „begrenzt“.“<br />
(siehe http://www.b<strong>und</strong>estag.de/presse/hib/2013_02/2013_105/01.html)<br />
6
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der<br />
Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Um die Bef<strong>und</strong>e zu Grenz- <strong>und</strong> Vorsorgewerten richtig einordnen zu können, wir<br />
zuerst, wie die Risikopotenziale von NF EMF der Stromversorgung wahrgenommen<br />
werden. Im Anschluss daran geht es um die Wirkung von Risiko-Informationen<br />
auf die Risikowahrnehmung. Schließlich werden die vorhandenen Studien<br />
zur <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen vorgestellt. Dann folgt der wichtigste Teil: Die<br />
Bef<strong>und</strong>e zur Wirkung von <strong>Grenzwerte</strong>n <strong>und</strong> anderen Schutzkonzepten (wie z.B.<br />
Vorsorgemaßnahmen) auf die Risikowahrnehmung <strong>und</strong> auf die <strong>Akzeptanz</strong> von<br />
Bauvorhaben im Rahmen des Ausbaus des Stromnetzes. Zum Schluss werden<br />
Bef<strong>und</strong>e diskutiert, die erklären, warum die Kommunikation mit <strong>Grenzwerte</strong>n auf<br />
Schwierigkeiten stößt.<br />
3.1. Risiko-Wahrnehmung von NF EMF der<br />
Stromversorgung<br />
Unterschiede in der<br />
Risikowahrnehmung in<br />
Deutschland<br />
Abbildung 3<br />
Risikowahrnehmung<br />
von Hochspannungsleitungen<br />
Quelle: Claus et al.<br />
2012, gemessen auf<br />
einer 4-stufigen<br />
Likert-Skala<br />
(1= ungefährlich,<br />
4= sehr gefährlich))<br />
Die Studie von Claus et. al. (2012) zeigt Unterschiede der Risikowahrnehmung<br />
von Hochspannungsleitungen in Bezug auf Geschlecht, Bildungsstand sowie der<br />
Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative <strong>und</strong> in Bezug auf den Migration-<br />
Hintergr<strong>und</strong>. Frauen sehen größere Risiken als Männer <strong>und</strong> Befragte mit Abitur<br />
oder Hochschulabschluss geringere Risiken als Personen mit geringerer Bildung.<br />
Die Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative geht einher mit einer höheren<br />
Risikowahrnehmung von Hochspannungsleitung. Das Wohnen in der Nähe von<br />
Hochspannungsleitungen hat dagegen hat keine Auswirkungen auf die Risikowahrnehmung.<br />
7
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Etwa 29% der<br />
Deutschen sind besorgt<br />
über EMF<br />
Auch finden sich keine Unterschiede zwischen den neuen <strong>und</strong> alten B<strong>und</strong>esländern,<br />
wohl aber bei einer Betrachtung der einzelnen B<strong>und</strong>esländer. In Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Brandenburg <strong>und</strong> Bremen ist die Risikowahrnehmung am<br />
höchsten <strong>und</strong> im Saarland am geringsten (siehe Abb. 3). Bei Personen mit Migration-Hintergr<strong>und</strong><br />
ist die Risikowahrnehmung bezüglich Hochspannungsleitungen<br />
stärker ausgeprägt als bei Personen ohne dieses Merkmal.<br />
Die Eurobarometer Studie von 2010 weist darauf hin, dass fast 70% der befragten<br />
Deutschen glauben, dass EMF von Hochspannungsleitungen ihre Ges<strong>und</strong>heit beeinflussen<br />
können. Für elektrische Haushaltsgeräte ist das etwas anders: Hier<br />
sind es unter 60%, die solchen Geräten einen Einfluss auf ihre eigene Ges<strong>und</strong>heit<br />
zusprechen.<br />
Schließlich ergibt sich in Bezug auf die affektive Bewertung solcher Einflüsse folgendes<br />
Bild: Etwa 29% der Deutschen sind ziemlich oder sehr besorgt über die<br />
potenziellen Ges<strong>und</strong>heitsrisiken von EMF. Allerdings wird bei dieser Frage nicht<br />
zwischen HF <strong>und</strong> NF unterschieden.<br />
Auch die Bef<strong>und</strong>e von Brohmann et al. (2009)deuten nicht auf eine besonders<br />
ausgeprägte Risiko-Wahrnehmung in Bezug auf Stromtrassen hin. Hier sind es<br />
zirka 20% der Befragten, die sich ziemliche oder große Sorgen wegen der Einflüsse<br />
von Hochspannungsleitungen auf die Ges<strong>und</strong>heit machen. Nur 12% denjenigen,<br />
die u ber NF-Außenanlagen in Wohnhausnähe berichten, bejahen Sorgen<br />
<strong>und</strong> Beeinträchtigungen.<br />
Die Studie von Frick et al. (2002) demonstriert, dass Elektro-Sensible, also solche<br />
Personen, die EMF eine krankmachende Wirkung zuschreiben, sich durch eine<br />
ausgeprägte <strong>und</strong> stabile Risiko-Wahrnehmung auszeichnen. Leitgeb et al. (2005)<br />
zeigen, dass auch Ärzte glauben, dass Elektrosmog Krankheiten verursachen<br />
kann.<br />
Schweizer-Ries & Rau (2010) haben in einer Fallstudie zur <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen<br />
in zwei Gemeinden in einer betroffenen Region auch die Risiko-Wahrnehmung<br />
erfasst. Zirka 70% ihrer Befragten stufen Freileitungen als ein<br />
Ges<strong>und</strong>heitsrisiko ein. Dagegen werden Erdkabel als weniger bedrohlich eingeschätzt.<br />
Schließlich konnten Visschers et al. (2007) zeigen, dass Stromtrassen intuitiv<br />
stärker mit Ges<strong>und</strong>heits-Schäden assoziiert sind als mit Ges<strong>und</strong>heit. Ein ähnlicher<br />
Bef<strong>und</strong> stammt von Siegrist et al. (2006), die mittels eines speziellen Assoziations-Tests<br />
ebenfalls zeigen, dass Stromtrassen eine negative affektive Bewertung<br />
aufweisen.<br />
Schließlich konnten Morgan et al. (1990) nachweisen, dass Laien die Rate deutlich<br />
unterschätzen, mit der sich die Stärke der NF EMF mit zunehmender Entfernung<br />
von ihrer Quelle reduziert. Diesen Bef<strong>und</strong> haben Read <strong>und</strong> Morgan (1998)<br />
repliziert.<br />
3.2 Informationsverhalten<br />
Hauptquelle für<br />
Information: TV <strong>und</strong><br />
Zeitschriften<br />
Claus et al. (2012) haben in einer Studie für das B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />
(BfS) auch untersucht, wo sich die deutsche Bevölkerung über den Strahlenschutz<br />
informiert.<br />
Informationen der Strahlenschutzkommission werden von 4.9 % der Befragten<br />
als „bekannt“ eingeschätzt. 5,5% der Interviewten geben an, Informationsmaterialien<br />
zu Hochspannungsleitungen zu kennen, die vom BfS verfasst sind. Informa-<br />
8
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Internet nutzen 39 %<br />
Nur Minderheit kennt<br />
wissenschaftliche<br />
Materialien<br />
tionen der Netzbetreiber sind 4,1% der Befragten bekannt. Hauptquelle sind jedoch<br />
Medien (TV <strong>und</strong> Zeitschriften) <strong>und</strong> auch Internetseiten sind von Bedeutung.<br />
Die Angaben sind im Detail schwer zu interpretieren. Denn es finden sich - jedenfalls<br />
in Bezug auf Risikopotenziale <strong>und</strong> Strahlenschutz - auf den Webseiten der<br />
verschiedenen Verbraucherzentralen nur vereinzelt 3 <strong>und</strong> auf der Seite der Deutschen<br />
Umwelthilfe gar keine Informationen zum Strahlenschutz bei Hochspannungsleitungen.<br />
Auf den Internetseiten des BfS waren jedoch - nach eigenen Angaben - schon<br />
einmal 16,5% der Befragten. Ob die diesbezüglichen Angaben so stimmen, ist jedoch<br />
ungewiss. Vorsicht scheint angebracht zu sein: Bei einer Befragung im Auftrag<br />
des B<strong>und</strong>esinstitutes für Risikobewertung (Aproxima 2008) stellte sich heraus,<br />
dass - bei einer offenen Nachfrage - die Bekanntheit von B<strong>und</strong>esämtern<br />
bzw. -instituten im einstelligen Prozentbereich <strong>und</strong> darunter liegt.<br />
Insgesamt ist festzuhalten:<br />
Hauptsächliche Informationsquellen zu Themen des Strahlenschutzes<br />
sind Fernsehen <strong>und</strong> Printmedien.<br />
Das Internet nutzen 39% der Befragten. In der Altersklasse zwischen 30-<br />
39 sind es allerdings bereits 57% <strong>und</strong> bei Personen mit Abitur <strong>und</strong> Hochschulabschluss<br />
sind es 52%, die sich im Internet zum Strahlenschutz informieren.<br />
Nur einer Minderheit sind Informationsmaterialen aus Wissenschaft, von<br />
Behörden, NGOs <strong>und</strong> Industrie bekannt.<br />
Informationsmaterial des BfS zu Hochspannungsleitungen ist fast 95%<br />
der Befragten unbekannt.<br />
Allerdings geben 16,5% der Untersuchungsteilnehmer an, schon einmal<br />
auf den Internetseiten des BfS gewesen zu sein.<br />
3.3 Wirkung von Informationen<br />
Risikoinformation<br />
erhöht<br />
Risikowahrnehmung<br />
Einstellung bestimmt<br />
Auswahl der<br />
Argumente<br />
MacGregor et al. (1994) haben untersucht, wie Befragte auf eine EMF-Informationsbroschu<br />
re reagieren. Die Ergebnisse verweisen auf einen signifikanten Anstieg<br />
der Risiko-Wahrnehmung. Nach Lesen der Broschüre vertreten die Probanden<br />
in höherem Masse die Meinung, dass elektromagnetische Felder physiologische<br />
<strong>und</strong> kognitive Parameter beeinflussen können <strong>und</strong> dass solche Felder<br />
Krankheiten verursachen können. Dieses Ergebnis stimmt mit anderen Untersuchungen<br />
überein, wonach Information über weitgehend neue <strong>und</strong> unbekannte Risiken<br />
zur einer erhöhten Risikowahrnehmung führt (siehe u.a. Cousin & Sigrist<br />
2010).<br />
Read <strong>und</strong> Morgan (1998) können nachweisen, dass die fehlerhafte Unterschätzung<br />
der Rate, mit der NF EMF mit wachsendem Abstand von ihrer Quelle abnehmen,<br />
sich durch Information <strong>und</strong> Aufklärung teilweise korrigieren lässt.<br />
Die Risikowahrnehmung selbst ist jedoch änderungsresistenter. In einer Mobilfunk-bezogenen<br />
Untersuchung demonstriert Wiedemann (2010), dass die Bewertung<br />
von Pro- <strong>und</strong> Contra-Argumenten in der Debatte, ob Mobilfunk ein Risiko<br />
darstellt, von der Einstellung der Befragten abhängt. Wer glaubt, dass der Mobilfunk<br />
ein Risiko ist bevorzugt Pro-Risikoargumente. Wer das nicht glaubt, bevor-<br />
3<br />
Eine Ausnahme: http://www.vz-nrw.de/mediabig/41762A.pdf<br />
9
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
zugt Contra-Risiko-Argumente. Es ist davon auszugehen, dass diese Tendenz zu<br />
einem Bestätigungsfehler auch für die Bewertung der Risiken der NF EMF der<br />
Stromversorgung gilt.<br />
3.4 <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen<br />
Abbildung 4:Entfernung<br />
im Meter, in der eine<br />
Hochspannungsleitung<br />
akzeptiert wird.<br />
Quelle: Wiedemann &<br />
Claus (2009)<br />
Wiedemann <strong>und</strong> Claus (2009) haben in einer Umfrage in NRW ermittelt, ob <strong>und</strong><br />
welche Bedingungen sich auf die akzeptierte Entfernung der eigenen Wohnung<br />
zu einer Stromtrasse auswirken können. Die durchschnittliche Entfernung der<br />
Trasse von der eigenen Wohnung, in der diese akzeptiert wird, beträgt ungefähr<br />
7,8 km.<br />
Schon diese Zahl macht das Dilemma deutlich: ein akzeptanzgetriebener Netzausbau<br />
ist bei dieser Entfernung im dicht besiedelten Deutschland unmöglich.<br />
Wer industriefern lebt,<br />
möchte sich das<br />
erhalten<br />
Einflussfaktoren für<br />
akzeptierte Abstände<br />
Im<br />
Hinblick auf die angegebene Entfernung gibt es einen deutlichen Geschlechter-<br />
Effekt. Männer (M = 5,7 km) geben geringere Entfernungen an als Frauen (M= 9,9<br />
km). Von Bedeutung ist noch, dass zirka 16 % der Befragten erst in einer Entfernung<br />
über 20 km eine Hochspannungsleitung akzeptieren würden. Zu dieser Extremgruppe<br />
gehören mehr Frauen als Männer. Zusammenhänge zeigen sich auch<br />
mit der Entfernung des eigenen Wohnorts zu Industrieanlagen: Je größer diese<br />
Entfernung, desto eher gehört man zur Extremgruppe. Generell gilt: Wer industriefern<br />
lebt, möchte sich das erhalten. Und das gilt auch für den Netzausbau. Mit<br />
wachsendem Abstand des eigenen Wohnortes zu bestehenden Industrieanlagen<br />
sinkt auch die Bereitschaft, eine Anlage in direkter Nachbarschaft zu akzeptieren.<br />
Folgende Informationen verringern gemäß der o.g. Studie die Entfernung, in der<br />
Stromtrassen akzeptabel sind (in absteigender Anordnung):<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Umweltverbände befürworten die Trassen (60% bejahen eine Verringerung<br />
der Entfernung).<br />
Ges<strong>und</strong>heitliche Risiken fu r die Anwohner sind praktisch ausgeschlossen<br />
(60% bejahen eine Verringerung der Entfernung).<br />
Soziale Projekte können aus den Steuereinnahmen finanziert werden<br />
(56% bejahen eine Verringerung der Entfernung).<br />
Soziale Verwurzelung des Unternehmens in der Region (50%bejahen<br />
eine Verringerung der Entfernung),<br />
Das Genehmigungsverfahren ist unter Beteiligung von Vertretern der<br />
Anwohner durchgeführt worden (44% bejahen eine Verringerung der<br />
Entfernung),<br />
Die Mehrheit der Anwohner hat sich für den Bau der Stromtrasse<br />
ausgesprochen (43% bejahen eine Verringerung der Entfernung),<br />
10
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
<br />
<br />
Sie haben von Ihrer Wohnung aus keinen Sichtkontakt zu der Stromtrasse<br />
(41% bejahen eine Verringerung der Entfernung),<br />
Ihr Bürgermeister ist dafür (24% bejahen eine Verringerung der Entfernung).<br />
Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist aber zu beachten, dass es sich hier<br />
um eine sehr kleine Teilstichprobe handelt (N=51). Des Weiteren muss auch berücksichtigt<br />
werden, dass die akzeptablen Entfernungen der Befragten eine hohe<br />
Varianz aufweisen. Die Prozentwerte lassen sich nur als Tendenz zur Verringerung<br />
des Abstandes interpretieren. Weiterhin handelt es sich um die Meinung der<br />
Befragten bei der Beantwortung eines Fragebogens. Ob sich die gleichen Bef<strong>und</strong>e<br />
in einer realen Situation ergeben, ist nicht sicher. Nichtsdestotrotz sind die<br />
vorliegenden Bef<strong>und</strong>e aber aufschlussreich, weisen sie doch auf Handlungsmöglichkeiten<br />
für die Verbesserung der <strong>Akzeptanz</strong> hin.<br />
Schweizer-Ries& Rau (2010) beschreiben in einer Fallstudie Einflussfaktoren auf<br />
die <strong>Akzeptanz</strong> von Stromleitungen. Ihren Bef<strong>und</strong>en nach sind die wichtigsten<br />
Prädiktoren für die Bewertung der <strong>Akzeptanz</strong> bzw. Nichtakzeptanz von Stromtrassen:<br />
(1) die Befürchtung vor ges<strong>und</strong>heitlichen Beeinträchtigungen, (2) die erwarteten<br />
negativen Auswirkungen auf die Natur, (3) der störende Anblick in<br />
Hausnähe <strong>und</strong> (4) die Fairness im Planungsverfahren.<br />
Devine-Wright et al. (2010) untersuchten mittels einer repräsentativen Umfrage<br />
in den UK die Wahrnehmung <strong>und</strong> Bewertung von Unternehmen der Stromversorgung<br />
<strong>und</strong> der entsprechenden Infrastruktur. Sie weisen darauf hin, dass diese<br />
Unternehmen der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Weiterhin besteht<br />
die Überzeugung in der Bevölkerung, dass Anwohner auf die Planung von Stromtrassen<br />
kaum Einfluss haben. Schließlich präferieren die Befragten Erdkabel,<br />
wobei die Kostenfrage für sie keine Rolle spielt.<br />
3.5 <strong>Grenzwerte</strong> <strong>und</strong> Vorsorge<br />
Bei der Interpretation von Studien zur <strong>Akzeptanz</strong> von Grenz- <strong>und</strong> Vorsorgewerten<br />
ist zu beachten, ob subjektive Bewertungen von oder Reaktionen auf <strong>Grenzwerte</strong><br />
ermittelt werden. Am aufschlussreichsten wäre es, wenn man die realen Reaktionen<br />
messen würde, z.B. vor <strong>und</strong> nach einer Grenzwert-Erhöhung. Etwas schwächere,<br />
aber immer noch belastbare Aussagen erhält man in Experimenten, in den<br />
die Reaktionen auf fiktive Situationen erfasst werden. Die schwächste Evidenz<br />
liegt vor, wenn die Befragten nur gefragt werden, ob sie <strong>Grenzwerte</strong> (oder einen<br />
bestimmten Grenzwert)für geeignet halten, die Ges<strong>und</strong>heit zu schützen, bzw. allgemeiner,<br />
ob sie für oder gegen Grenzwert-Verschärfungen sind. Solche subjektive<br />
Meinungen können das Verhalten der Befragten nur bedingt voraussagen.<br />
Bislang gibt es keine Studien, die untersuchen, ob Grenz- oder Vorsorgewerte im<br />
NF Bereich die Risikowahrnehmung <strong>und</strong> die <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen beeinflussen.<br />
Es finden sich aber eine Reihe von Studien im Mobilfunkbereich, die zu<br />
einer ersten Orientierung herangezogen werden können.<br />
Wiedemann et al. (2009) haben in einer experimentellen Studie geprüft, ob die Informationen<br />
zu Unsicherheiten, die sich auf das Risikomanagement beziehen, die<br />
Risikowahrnehmung beeinflussen. Eine der Fragen, um die es dabei ging, betraf<br />
11
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Vorsorge-Maßnahmen<br />
werden als Gefahrenhinweis<br />
verstanden<br />
Vorsorgemaßnahmen<br />
senken nicht die<br />
Risikowahrnehmung<br />
das Vertrauen in die <strong>Grenzwerte</strong> der 26.BImSchV 4 (Wie groß ist ihr Vertrauen,<br />
dass die <strong>Grenzwerte</strong> ausreichen, um die Ges<strong>und</strong>heit zu schützen?). Das Vertrauen<br />
(gemessen auf einer Skala von 1 =„ganz <strong>und</strong> gar nicht“ bis 7 = „volle Zustimmung/sehr“)<br />
lag dabei konstant zwischen 3 <strong>und</strong> 4. Dabei spielte es keine Rolle,<br />
ob <strong>Grenzwerte</strong> genauer erklärt werden oder ob auf Unsicherheiten des Wissens<br />
bei der Risikoabschätzung aufmerksam gemacht wird. Dem Konzept „<strong>Grenzwerte</strong>“<br />
wird weder vertraut, noch wird ihm ganz <strong>und</strong> gar misstraut.<br />
Eine Umfrage von Wiedemann, Häder & Schütz (2010) belegt, dass Vorsorge-Empfehlungen<br />
zum Handy-Telefonieren allgemeine Zustimmung finden. Dagegen<br />
belegen Barnett et al. (2008) in einer UK-Studie, dass die Befragten eher skeptisch<br />
sind, wenn sie gefragt werden, ob Vorsorgemaßnahmen beim Mobilfunk<br />
„Good governance“ signalisieren. Die Befragten tendieren eher dazu, Vorsorge-<br />
Maßnahmen als Handlungen anzusehen, die Menschen dazu bringen, sich unnötig<br />
zu ängstigen.<br />
Auch andere Studien zum Mobilfunk weisen darauf hin, dass Vorsorge-Maßnahmen<br />
als Gefahrenhinweise verstanden werden <strong>und</strong> zu einer Verstärkung der Risikowahrnehmung<br />
führen (Wiedemann & Schütz 2005. Wiedemann et al. 2006).<br />
Weiterhin belegen diese Studien, dass Vorsorge-Maßnahmen keinen positiven Effekt<br />
auf das Vertrauen in den öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsschutz haben. Die Studie<br />
von Wiedemann <strong>und</strong> Schütz (2005) findet sogar einen negativen Zusammenhang:<br />
Information über Vorsorge mindert das Vertrauen in das Risiko-Management.<br />
Wiedemann et al. (2013) haben diese Bef<strong>und</strong>e in einer weltweiten Studie in 9<br />
Ländern in Afrika, Amerika, Asien, Australien <strong>und</strong> Europa überprüft. Dabei ergab<br />
sich folgendes Bild: Nicht alle Mobilfunk-bezogenen Vorsorgemaßnahmen führen<br />
in allen untersuchten Ländern dazu, dass die Risikowahrnehmung steigt.<br />
Aber in keinem Fall kommt es zu einer Reduktion der Risikowahrnehmung oder<br />
zu einer Verstärkung des Vertrauens in das Risikomanagement. Das gilt in der<br />
deutschen Teilstudie auch für die Einführung von Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>n. Diese<br />
helfen nicht Vertrauen zu schaffen <strong>und</strong> führen eher dazu, dass die Risikowahrnehmung<br />
steigt. Letzterer Bef<strong>und</strong> ist aber statistisch nicht signifikant.<br />
Cousin &Siegrist (2011) finden keine Effekte auf die Risikowahrnehmung von Mobiltelefonen,<br />
wenn speziell auf das Mobil-Telefonieren bezogene Vorsorgeinformation<br />
gegeben wird. Allerdings geben sie immer ausführliche Informationen zu<br />
den möglichen Risiken von HF EMF, so dass schon diese Information dazu führt,<br />
dass die Risikowahrnehmung steigt - unabhängig davon, ob Vorsorge-<br />
Information gegeben wird oder nicht.<br />
Wiedemann et al. (2006) haben in einer experimentellen Studie untersucht, ob die<br />
Information, dass der SAR-Wert eines Handys unterhalb des Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>s<br />
des Blauen Engels von 0,6 Watt/kg liegt, einen Einfluss auf die Sicherheits-Bewertung<br />
von Handys hat. Es zeigt sich, dass der Hinweis auf den Vorsorgegrenzwert<br />
die Sicherheitsbewertung nicht beeinflusst. Dabei spielt es keine<br />
Rolle, ob die Einführung dieses <strong>Grenzwerte</strong>s (in der Studie) Bemühungen der<br />
Verbraucherverbände oder einer B<strong>und</strong>esbehörde zugeschrieben wird.<br />
4<br />
Die Basisvariante der vorgegebenen Texte lautete: „In Deutschland wurde zum Schutz der Bevölkerung<br />
am 16.12.1996 die "Verordnung über elektromagnetische Felder - 26.BImSchV" erlassen. Diese<br />
Verordnung legt <strong>Grenzwerte</strong> für den Ges<strong>und</strong>heitsschutz fest. Bei Einhaltung dieser <strong>Grenzwerte</strong> ist der<br />
Mensch vor den wissenschaftlich nachgewiesenen Risiken geschützt, die durch elektromagnetische<br />
Felder ausgelöst werden können.“<br />
12
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Keine Sicherheit, auch<br />
bei deutlicher Grenzwertunterschreitung<br />
Die subjektive Bewertung der Sicherheit fällt umso höher aus, je geringer der jeweils<br />
angegebene SAR-Wert ist. Aber selbst der geringste SAR-Wert (0,3 W/kg)<br />
wird nicht als 100% sicher eingeschätzt. Das heißt: Für die Studienteilnehmer<br />
gibt es keine völlige Sicherheit, auch wenn der Grenzwert deutlich unterschritten<br />
wird.<br />
Roth et al. (1990) untersuchen in einer Arbeit zu Risikovergleichen u.a., wie Laien<br />
den Vergleich eines Risikos (genauer: Expositionswert eines Schadstoffes) mit<br />
einem Grenzwert oder einem anderen Standard, bewerten. Solche Vergleiche<br />
waren von den Befragten auf Verständlichkeit, Verstehens-Hilfe, den Informationsgehalt,<br />
den Einfluss auf die <strong>Akzeptanz</strong> sowie auf die Risikowahrnehmung <strong>und</strong><br />
auf Vertrauen in den verantwortlichen Risikomanager zu beurteilen. Auf allen<br />
Bewertungsdimensionen werden nur Werte erreicht, die eine unterdurchschnittliche<br />
Bewertung signalisieren. Offenbar stößt die Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n<br />
auf Skepsis. Johnson hat diese Studie 2003 wiederholt <strong>und</strong> kommt zu vergleichbaren<br />
Bef<strong>und</strong>en. In Bezug auf die <strong>Grenzwerte</strong> (bei Trinkwasser) finden sich<br />
ähnliche Vorbehalte gegenüber <strong>Grenzwerte</strong>n (Johnson & Chess 2004): Konzentrationen<br />
unterhalb des <strong>Grenzwerte</strong>s werden von einer Mehrheit der Befragten<br />
nicht als sicher angesehen.<br />
3.6 Einflussfaktoren bei der Argumentation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Im Weiteren sollen Studien zu den psychologischen Einflussfaktoren auf die<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> intuitive Bewertung von <strong>Grenzwerte</strong>n zusammengefasst werden.<br />
Dabei geht es um (1) das Zahlenverständnis, (2) die Vertrautheit mit den Gefahrstoffen,<br />
(3) die Stigmatisierung <strong>und</strong> (4) Einstellungen <strong>und</strong> Meinungen <strong>und</strong> der<br />
Kontext.<br />
Zahlenverständnis<br />
Das Verständnis von <strong>Grenzwerte</strong>n ist eine wichtige Voraussetzung für deren Bewertung.<br />
Dabei kommt es auf das Zahlenverständnis 5 an. Hier zeigen sich deutliche<br />
Probleme. In der Studie von Lipkus et al. (2001) sind etwa 20%der befragten<br />
Personen, die überwiegend über eine College-Bildung verfügten, nicht in der Lage<br />
anzugeben, was das größte Krankheitsrisiko ist:1 in 100, 1 in 1000 oder 1 in 10.<br />
Die unzureichende Fähigkeit, mit Zahlen umzugehen, ist auch eine wesentliche<br />
Einschränkung für den Umgang mit <strong>Grenzwerte</strong>n. Johnson (2000) konnte zeigen,<br />
dass weniger als 1/3 der Befragten in der Lage waren, anzugeben, ob ein Grenzwert<br />
über- oder unterschritten wurde, wenn ein numerischer Wert für die Exposition<br />
<strong>und</strong> ein numerischer Referenzwert angegeben werden. Ähnliche Bef<strong>und</strong>e<br />
konnte Johnson (2003) finden.<br />
(Un)Vertrautheit /Bekanntheit<br />
Erfahrung - d.h. die Vertrautheit mit einer Risikoquelle - kann deren Bewertung<br />
beeinflussen. In der Regel geht eine höhere Vertrautheit mit einer geringeren Risikobewertung<br />
einher (Schwarz & Song, 2009). In Bezug auf die Information über<br />
5<br />
Numeracy= „the ability to comprehend, use, and attach meaning to numbers“. (Fagerlin& Peters<br />
2011)<br />
13
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
das Einhalten von <strong>Grenzwerte</strong>n lässt sich Folgendes annehmen: Da unvertraute<br />
Substanzen als riskanter eingeschätzt werden als vertraute Substanzen, kann es<br />
der Fall sein, dass <strong>Grenzwerte</strong> für erstere als eher unzureichend eingeschätzt<br />
werden.<br />
Für diese Annahme findet sich zumindest indirekt unterstützende Evidenz.<br />
MacGregor et al. (1999) verdeutlichen, dass die Vorstellungen von chemischer<br />
Exposition <strong>und</strong> ihren möglichen ges<strong>und</strong>heitlichen Effekten bei Laien davon abhängt,<br />
ob die chemischen Stoffe bekannt sind. Wenn konkrete Beispiele zu relativ<br />
niedrigen Expositionen mit bekannten Karzinogenen gegeben werden, hält die<br />
überwiegende Mehrheit der Probanden (über 88%) eine Krebserkrankung für<br />
nicht wahrscheinlich. Wenn aber allgemein danach gefragt wird, ob es einen<br />
Schwellenwert gibt, unterhalb dessen kein Krebs verursacht wird, verändert sich<br />
das Bild: Nur noch etwa 50 % der Befragten stimmen zu, 28%lehnen ab <strong>und</strong> 22 %<br />
können die Frage nicht beantworten (MacGregor et al. 1999).<br />
Intuition geht vor<br />
Konkurrenz mit eigenen Erfahrungen<br />
Bickerstaff and Walker (1999) weisen darauf hin, dass numerische Informationen<br />
zu Schadstoffen in der Luft <strong>und</strong> damit zur Luftgüte in Konkurrenz mit eigenen intuitiven<br />
Indikatoren für die Luftbelastung geraten können. Zu diesen Indikatoren<br />
zählen z.B. sensorische Eigenschaften der Luft sowie die eigene ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Befindlichkeit. Im Falle eines Konfliktes zwischen den numerischen <strong>und</strong> den intuitiven<br />
Indikatoren, richten sich Menschen nach den letzteren.<br />
Eine solche Urteilsstrategie ist auch in Bezug auf die EMF von Stromtrassen anzunehmen<br />
wie Bef<strong>und</strong>e zu Risikowahrnehmung von Basisstationen nahelegen.<br />
Personen, die ges<strong>und</strong>heitliche Beschwerden angeben, nehmen auch ein höheres<br />
EMF-Risiko war (Blettner et al. 2009).Dieser Zusammenhang wird auch durch die<br />
Studie von Wiedemann, Schütz <strong>und</strong> Häder (2010) gestützt.<br />
Stigmatisierung<br />
Die Stigmatisierung 6 von Technologien (vgl. Kunreuther&Slovic 2002) wirkt vor allem<br />
über die Assoziation mit emotional negativ besetzten Bildern. Beispielsweise<br />
fanden Slovic et al. (1991), dass mit dem Begriff „nukleares Endlager“ vor allem<br />
„Tod“, „Verschmutzung“ oder „schlecht“ verb<strong>und</strong>en wurden. Analoges berichten<br />
Krewski et al. (1995) für den Begriff „Chemikalien“. Peters, Burraston&Mertz<br />
(2004) haben die Rolle von Emotionen bei der Stigmatisierung von Risikoquellen<br />
(Kernkraftwerke, Kernwaffen <strong>und</strong> radioaktiver Abfall aus Kernkraftwerken) genauer<br />
untersucht. Es zeigte sich, dass das Ausmaß der Stigmatisierung vor allem<br />
von den negativen Emotionen abhängt, die diese Strahlenquellen bei den Untersuchungsteilnehmern<br />
evozieren. Auch die Risikowahrnehmung dieser Strahlenquellen<br />
wurde in hohem Maße durch diese negativen Emotionen beeinflusst.<br />
Da auch Hochspannungsleitungen mit negativen Assoziationen verknüpft sind<br />
(siehe Siegrist et al. 2006 sowie Visschers et al. 2007), ist anzunehmen, dass eine<br />
rein kognitive Information - wie der Vergleich einer gegebenen Exposition mit einem<br />
Grenzwert - an Grenzen stößt, wenn es darum geht, Sicherheit zu vermitteln.<br />
Diese plausible Schlussfolgerung bedarf aber noch der empirischen Überprüfung.<br />
6<br />
Kaspersonet al. (2001, S. 19) definieren Stigma als "a mark placed on a person, place, technology, or<br />
product, associated with a particular attribute that identifies it as different and deviant, flawed, or <strong>und</strong>esirable''.<br />
14
3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />
<strong>Grenzwerte</strong>n<br />
Laien beachten Dosis-<br />
Wirkungsbeziehungen<br />
wenig<br />
Überzeugungen<br />
Laien sind gegenüber Dosis-Wirkungs-Beziehungen weitaus weniger aufmerksam<br />
als Toxikologen (Kraus et al. 1992, Neil et al. 1994). Das ist so, weil sie weitaus<br />
häufiger als Toxikologen den folgenden Aussagen zustimmen:<br />
<br />
<br />
<br />
Nicht die Menge an Pestiziden, sondern allein die Tatsache, einem Pestizid<br />
ausgesetzt zu sein, ist Gr<strong>und</strong> zur Sorge.<br />
Die Reduzierung der Konzentration eines möglichen schädlichen Stoffs<br />
im Trinkwasser würde die Ges<strong>und</strong>heitsgefahr beim Trinken dieses Wassers<br />
nicht vermindern.<br />
Es gibt kein sicheres Expositions-Niveau für ein krebsverursachendes<br />
Agens.<br />
Bei der Gewichtung der Dosis-Wirkungs-Beziehung spielen demographische<br />
Merkmale eine Rolle. Es zeigt sich, dass ges<strong>und</strong>e Personen höheren Alters <strong>und</strong><br />
mit höherer Ausbildung die Dosisabhängigkeit von Wirkungen beachten (Kraus et<br />
al. 1992).<br />
Abbildung 5: Antworten<br />
von Laien (L) <strong>und</strong><br />
Toxikologen (T)<br />
Quelle: Kraus,<br />
Malmfors & Slovic<br />
1992, 217<br />
For pesticides, it’s not how much L<br />
of the chemical you are exposed to,<br />
but whether or not you are exposed T<br />
to it at all.<br />
L<br />
There is not safe level of exposure<br />
to a cancer-causing agent. T<br />
L<br />
If you are exposed to a carcinogen,<br />
then you are likely to get cancer T<br />
If you are exposed to a toxic<br />
L<br />
chemical substance, then you are<br />
likely to suffer adverse health effects T<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Prozent Ablehnung<br />
Zustimmung<br />
Kontextabhängigkeit<br />
Die Bewertung von Informationen zu Expositionen ist offenbar kontextabhängig.<br />
So stimmen Laien eher bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln als bei chemischen<br />
Stoffen der Aussage zu, dass das Risiko von der eingenommenen Dosis abhängt<br />
(Kraus et al. 1992).<br />
15
4. Eigene Studie<br />
3.7 Zusammenfassung der Literaturanalyse<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Überschreitungen von <strong>Grenzwerte</strong>n werden als Zeichen für Risiko bewertet;<br />
Unterschreitungen aber nicht als Zeichen von Sicherheit.<br />
Die intuitive Sicherheitsbewertung beruht nicht auf einem Schwellen-<br />
Modell: Sicherheit ist eine Frage der Höhe der Exposition. Je geringer, desto<br />
sicherer. Aber selbst kleine Expositionsbeträge sind nicht ohne Risiko.<br />
Personen mit geringeren Bildungsabschlüssen verstehen den <strong>Grenzwerte</strong>-<br />
Jargon in der Regel nicht. Gründe dafür sind Zahlen-Schwäche sowie<br />
Unvertrautheit mit den üblichen Standard-Formulierungen der Grenzwert-<br />
Information. So ist nichtgarantiert, dass in der Bevölkerung Formulierungen<br />
wie „<strong>Grenzwerte</strong>werden unterschritten“ oder „werden nur zu einem geringen<br />
Prozentsatz ausgeschöpft“ auch wirklich verstanden werden.<br />
Affektive Bewertungen sind stabil. Die Risikowahrnehmung bei stigmatisierten<br />
Gefahrenstoffen ist über den Verweis auf die Einhaltung strenger<br />
<strong>Grenzwerte</strong> kaum zu beeinflussen.<br />
Das Vertrauen in regulative Behörden ist eher gering <strong>und</strong> korreliert negativ<br />
mit der Risikowahrnehmung. Hohe Risikowahrnehmung geht mit geringem<br />
Vertrauen in Behörden einher.<br />
4. Eigene Studie<br />
Im März 2013 haben wir ein Online-Experiment durchgeführt, um zu prüfen, ob<br />
Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> die <strong>Akzeptanz</strong> des Baus von Höchstspannungsleitungen im<br />
eigenen Wohnumfeld verbessern helfen.<br />
4.1. Methodischer Ansatz<br />
Tabelle 1:Text-<br />
Bausteine des<br />
Experiments<br />
In einem 2x2 faktoriellen Experiment wurde geprüft, ob (1) die Vorgabe eines<br />
strikteren <strong>Grenzwerte</strong>s, die Distanz beeinflusst, in der man bereit ist, eine<br />
Stromtrasse in der eigenen Nachbarschaft zu akzeptieren, <strong>und</strong> ob (2) die Art der<br />
Informationsverarbeitung einen Einfluss ausübt.<br />
Die im Experiment als Stimulus-Material genutzten Textbausteine zur Prüfung<br />
der Wirkung des Grenzwert-Faktors sind in Tabelle 1 zu finden..<br />
Basistext<br />
Stellen Sie sich bitte vor, dass Sie in einer Gemeinde wohnen, durch<br />
die eine 380 kV Höchstspannungsleitung gebaut werden soll. Stellen<br />
Sie sich weiterhin vor, dass Sie eine Wohnung in einem Haus bewohnen,<br />
in dessen Nähe jetzt die Höchstspannungsleitung gebaut werden<br />
soll.<br />
Seitens der Netzbetreiber wird darauf hingewiesen, dass der gesetzliche<br />
Grenzwert für die Magnetfelder der Stromversorgung 100 Mikro-Tesla<br />
beträgt.<br />
Dieser Grenzwert wird immer deutlich unterschritten.<br />
So beträgt die Stärke der Magnetfelder in einem Abstand von 20 Meter<br />
(in gleicher Höhe wie die Stromleitung) nur 10 Mikro-Tesla. Und<br />
in einer Entfernung von 100 Meter sind es unter 1,5 Mikro-Tesla.<br />
16
4. Eigene Studie<br />
Damit wird der Grenzwert nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft.<br />
Vorsorge-<br />
Text<br />
Stellen Sie sich bitte vor, dass Sie in einer Gemeinde wohnen, durch<br />
die eine 380 kV Höchstspannungsleitung gebaut werden soll. Stellen<br />
Sie sich weiterhin vor, dass Sie eine Wohnung in einem Haus bewohnen,<br />
in dessen Nähe jetzt die Höchstspannungsleitung gebaut werden<br />
soll.<br />
Seitens der Netzbetreiber wird darauf hingewiesen, dass der gesetzliche<br />
Grenzwert für die Magnetfelder der Stromversorgung 100 Mikro-Tesla<br />
beträgt.<br />
Dieser Grenzwert wird immer deutlich unterschritten.<br />
So beträgt die Stärke der Magnetfelder in einem Abstand von 20 Meter<br />
(in gleicher Höhe wie die Stromleitung) nur 10 Mikro-Tesla. Und<br />
in einer Entfernung von 100 Meter sind es unter 1,5 Mikro-Tesla.<br />
Damit wird der Grenzwert nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft.<br />
Um ganz sicher zu gehen, wurden die <strong>Grenzwerte</strong> <strong>und</strong> damit die Abstandswerte<br />
noch einmal verschärft. Der Grenzwert beträgt nun 0,1<br />
Mikro-Tesla <strong>und</strong> der Abstand zu Ihrer Wohnung muss jetzt ungefähr<br />
350 Meter betragen.<br />
Zur Prüfung des Einflusses der Art der Informationsverarbeitung wurden die<br />
Teilnehmer in einem Fall gebeten, den Text rasch durchzulesen.. Im anderen Fall<br />
sollten sie den Text sorgsam auf seine Verständlichkeit prüfen. Durch die Kombination<br />
dieser beiden Bedingungen (Basistext vs. Vorsorgetext, rasches vs. gründliches<br />
Durchlesen) entstehen 4 verschiedene Versuchsbedingungen, zu denen die<br />
Versuchspersonen per Zufall zu geordnet wurden. Das heißt, jeder Teilnehmer<br />
hatte jeweils nur einen Text zu lesen, der eine der vier Versuchsbedingungen<br />
charakterisierte. Auf diese Weise lässt sich durch Vergleiche der Reaktionen auf<br />
diese Texte ermitteln, ob die Versuchsbedingungen einen Einfluss ausüben. Wir<br />
überprüften den Einfluss auf drei verschiedene abhängige Variablen::<br />
<br />
<br />
<br />
In welcher Entfernung, würden Sie dem Bau einer Höchstspannungsleitung<br />
zustimmen? Wie viele Meter von Ihrer Wohnung muss die Stromtrasse<br />
entfernt sein?<br />
Reicht für Sie die Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um mögliche Bedenken<br />
<strong>und</strong> Ängste auszuräumen?<br />
Reicht für Sie die Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um dem Bau der<br />
Höchstspannungsleitung in Ihrer Nachbarschaft zuzustimmen?<br />
Diese drei Fragen wurden noch einmal den Befragten gestellt, um zu prüfen, ob<br />
die experimentelle Variation deren Auffassung beeinflusst, wie die Mehrheit der<br />
Anwohner regieren würde (In welcher Entfernung wird die Mehrheit der Anwohner<br />
dem Bau der Höchstspannungsleitung zustimmen? Wie viele Meter muss die<br />
Stromtrasse im Durchschnitt entfernt sein? Glauben Sie, dass die Einhaltung des<br />
<strong>Grenzwerte</strong>s ausreicht, um mögliche Bedenken <strong>und</strong> Ängste bei den Anwohnern<br />
auszuräumen? Glauben Sie, dass die Mehrheit der Anwohner dem Bau der<br />
Höchstspannungsleitung in ihrer Nachbarschaft zustimmt?).<br />
Bei einem solchen Experiment kommt es nicht auf die Repräsentativität der<br />
Stichprobe an, denn es geht nicht um die Erfassung von Meinungen, sondern um<br />
die Analyse von Wirkungen. Wesentlich ist, ob die Stichprobengröße ausreicht,<br />
17
4. Eigene Studie<br />
um einen Effekt, wenn er existiert, auch mit ausreichender Wahrscheinlichkeit<br />
auch finden zu können. Das ist in dem vorliegenden Experiment der Fall. 7<br />
4.2 Ergebnisse<br />
An dem Experiment nahmen 201 Personen teil. Das Durchschnittsalter beträgt<br />
39 Jahre, das Geschlechterverhältnis ist ausbalanciert 8 . Über 50% der Befragten<br />
haben einen Fachhochschul- bzw. Universitätsabschluss. Damit hat an dem Experiment<br />
ein Klientel teilgenommen, das von Walter et. al (2013) als typische Vertreter<br />
der neuen Protestbewegungen in Deutschland beschrieben wird.<br />
Abbildung 6:<br />
Entfernung, in der eine<br />
Stromtrasse akzeptabel<br />
ist. Dargestellt sind<br />
Distanzen in Metern (X-<br />
Achse) <strong>und</strong> die kumulativen<br />
Prozentzahlen der<br />
Zustimmungen auf der<br />
Y-Achse<br />
Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong><br />
haben keine Wirkung<br />
auf die Distanz, in der<br />
eine Stromtrasse<br />
akzeptiert wird<br />
Abbildung 6 zeigt, wie ähnlich die Versuchsteilnehmer unter Vorgabe der beiden<br />
Textbausteine reagieren. Dargestellt sind die kumulativen Prozentzahlen. Allerdings<br />
fallen auch Unterschiede auf. Um eine Lesehilfe zu geben: Eine Entfernung<br />
der eigenen Wohnung von der von 0 Metern bis 350 m ist für zirka 32% der Befragten,<br />
die den Text mit den Vor-sorge-<strong>Grenzwerte</strong> erhielten, akzeptabel. Erhalten<br />
die Befragten aber keine Vorsorge-Informationen so steigt dieser Wert auf<br />
zirka 33%%. Ob sich beiden Verteilungen der akzeptablen Distanzen statistisch<br />
signifikant unterscheiden, wurde sowohl mit parametrischen als auch nonparametrischen<br />
Verfahren überprüft . Es zeigen sich jedoch keine signifikanten<br />
Unterschiede. Somit lässt sich also schlussfolgern, dass Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong><br />
7<br />
Bei 2 x 2 Experiment mit Alpha= 0,05 <strong>und</strong> der Annahme eines mittleren Effekts mit f= 0.3 <strong>und</strong> einer<br />
Teststärke von 0.8 sind 23 Personen pro Versuchsbedingungen nötig.Die Teststärke gibt an, mit welcher<br />
Wahrscheinlichkeit eine Differenz signifikant wird, falls diese richtig ist.<br />
8<br />
Etwa 9% der Befragten gaben weder ihr Alter noch ihr Geschlecht an.<br />
18
4. Eigene Studie<br />
Abbildung 7:<br />
Entfernung, in der eine<br />
Stromtrasse akzeptabel<br />
ist<br />
bestenfalls keine Wirkung auf die Distanz haben, in der eine Stromtrasse im eigenen<br />
Wohnumfeld akzeptiert wird. Es ist jedoch ratsam, diesen Bef<strong>und</strong> in einer<br />
Replikationsstudie zu überprüfen.<br />
Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn nach der Entfernung gefragt wird, in der<br />
nach Auffassung der Befragten die Mehrheit der Anwohner eine Höchstspannungsleitung<br />
akzeptieren würde (siehe Abb. 7). Im linken Bereich der Verteilung<br />
der akzeptierten Distanzen finden sich Unterschiede. Wird über Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong><br />
informiert, so sind die Entfernungen höher, als wenn keine solche Information<br />
gegeben wird.<br />
Über die gesamte Verteilung hinweg finden sich aber keine statistisch signifikanten<br />
Effekte durch die Vorgabe von strikteren <strong>Grenzwerte</strong>n.<br />
Wie zu erwarten war, wird im Mittel für die eigene Person eine höhere Entfernung<br />
angegeben als für die Mehrheit der Anwohner. Diese Differenz beträgt im<br />
Durchschnitt 453 Meter. Am häufigsten (23% der Versuchsteilnehmer) sind jedoch<br />
die beiden Entfernungsangaben gleich.<br />
Des Weiteren haben wir noch die Effekte der experimentellen Variation auf zwei<br />
weitere abhängige Variablen überprüft, die Überzeugungen betreffen. Die erste<br />
Frage lautete: „Reicht für Sie die Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um mögliche<br />
Bedenken <strong>und</strong> Ängste auszuräumen?“ Die zweite Frage hieß: „Reicht für Sie die<br />
Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um dem Bau der Höchstspannungsleitung in Ihrer<br />
Nachbarschaft zuzustimmen?“<br />
Wie bei der Frage nach den Entfernungen hatten die Versuchsteilnehmenden<br />
einmal für ihre eigene Person <strong>und</strong> zum anderen für ihre Sicht, wie die Mehrheit<br />
der Anwohnerreagieren würde, zu antworten. Die Antworten waren auf einer 7-<br />
19
4. Eigene Studie<br />
stufigenRating-Skala zu geben, mit den Endpunkten 1 = in sehr hohem Maße <strong>und</strong><br />
7 = gar nicht.<br />
Keine Reduktion von<br />
Ängsten durch<br />
Vorsorge-Information<br />
Der Vergleich der Mittelwerte für die eigene Person zeigt keine statistisch signifikanten<br />
Effekte für die Reduktion von Ängsten an, wenn Vorsorge-Informationen<br />
gegeben werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob rasch entschieden werden soll<br />
oder ob die Versuchspersonen gründlich nachdenken sollen. Für die <strong>Akzeptanz</strong><br />
einer Stromtrasse, wenn die <strong>Grenzwerte</strong> eingehalten werden, deutet sich eine<br />
Verbesserung unter Vorsorge an. Unter der Vorsorgebedingung erhöht sich die<br />
Zustimmung. Prüft man weiterhin diese Tendenz auf ihre statistische Signifikanz,<br />
so ergibt zwar die Varianzanalyse, dass sich unter der Vorsorgebedingung die<br />
Zustimmung erhöht. Allerdings zeigen die Mittelwerte auf der Ratingskala selbst<br />
dann noch eine ablehnende Tendenz an (siehe Anhang 6). Da weiterhin nicht alle<br />
nötigen Voraussetzungen für die Anwendung einer Varianzanalyse gegeben waren,<br />
wurde noch ein non-parametrischer Test gerechnet. Hier verschwindet der<br />
signifikante Einfluss von Informationen über Vorsorge auf die <strong>Akzeptanz</strong> wieder.<br />
Werden diese Fragen gestellt, um zu erfassen, wie die nach Ansicht der Versuchsteilnehmer<br />
die Mehrheit der Anwohner reagieren würde, so zeigen ebenfalls<br />
sich keine signifikanten Effekte (siehe Anhänge 9-12).<br />
Festzustellen ist also, dass risiko-bezogene <strong>und</strong> akzeptanz-bezogene Überzeugungen<br />
durch eine Grenzwert-Argumentation nicht beeinflusst werden.<br />
4.3 Zusammenfassung der wichtigsten Bef<strong>und</strong>e<br />
<br />
<br />
Wenn über die Einhaltung eines Vorsorgegrenzwertes informiert wird,<br />
werden Distanzen, in der eine Höchstspannungsleitung akzeptiert wird,<br />
zwar größer, dieser Effekt ist aber nicht statistisch signifikant.<br />
Wer aufgefordert ist gründlicher nachzudenken, gibt im Mittel eine höhere<br />
Distanz zu einer Höchstspannungsleitung an, aber auch dieser Effekt<br />
ist statistisch nicht signifikant.<br />
Werden die Versuchspersonen nach ihrer Meinung gefragt, ob die Einhaltung<br />
eines Grenzwerts ihre Ängste <strong>und</strong> Befürchtungen ausräumt, so<br />
spielt es keine Rolle, ob mit einem Vorsorge-Grenzwert argumentiert<br />
wird. Die Versuchspersonen reagieren immer eher skeptisch bis ablehnend.<br />
<br />
<br />
Werden die Versuchspersonen nach ihrer Meinung gefragt, ob sie bei<br />
Einhaltung eines <strong>Grenzwerte</strong>s dem Bau einer Höchstspannungsleitung<br />
in ihrer Nachbarschaft zuzustimmen, so deutet sich eine Verbesserung<br />
an, wenn mit einem Vorsorge-Grenzwert argumentiert wird. Diese Verbesserung<br />
ist aber nicht statistisch signifikant. Und im Mittel bleiben die<br />
Versuchspersonen auch dann skeptisch.<br />
Die Versuchspersonen gehen davon aus, dass die Mehrheit ängstlich gegenüber<br />
dem Bau einer Höchstspannungsleitung eingestellt ist <strong>und</strong> einen<br />
solchen Bau eher ablehnt. Diese Meinung ändert sich nicht, wenn Informationen<br />
über Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> gegeben wird.<br />
20
5. Schlussfolgerungen<br />
5. Schlussfolgerungen<br />
Zurück zur Ausgangsfrage: Welche Bedeutung hat eine Grenzwertsenkung auf<br />
die <strong>Akzeptanz</strong> der entsprechenden Anlage, hier: der Stromtrasse? Hilft die Argumentation<br />
mit <strong>Grenzwerte</strong>n bzw. mit dem Hinweis auf striktere <strong>Grenzwerte</strong>?<br />
Es zeigt sich, dass die Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n schwierig ist, da sie oft<br />
von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Es macht also wenig Sinn mit Mikro-<br />
Tesla zu argumentieren. Allerdings ist im Falle von <strong>Grenzwerte</strong>n, die als Distanzangaben<br />
(wie weit muss eine Stromtrasse entfernt sein) gegeben werden,<br />
nicht mit solchen Verständnis-Schwierigkeiten zu rechnen.<br />
Mit hoher Wahrscheinlichkeit gilt aber der folgende Bef<strong>und</strong> aus der Literatur generell:<br />
Überschreitungen von <strong>Grenzwerte</strong>n werden als Zeichen von Gefahr verstanden,<br />
Werte unterhalb eines <strong>Grenzwerte</strong>s werden aber nicht als Zeichen von<br />
ausreichender Sicherheit interpretiert. Auch bei einem 10fach niedrigeren<br />
Grenzwert bliebe diese Skepsis erhalten. Soweit zu den Hinweisen aus der wissenschaftlichen<br />
Literatur.<br />
Auch unsere eigene experimentelle Studie zur Wirkung von Informationen über<br />
Grenzwert-Verschärfungen zeigt keine positiven Effekte. Die Information über<br />
Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> beim Bau einer Hochspannungsleitung führt nicht dazu,<br />
dass sich die Entfernung ändert, in der eine Höchstspannungsleitung in der eigenen<br />
Nachbarschaft akzeptiert wird. Einen Abstand von 350 Meter, der etwa<br />
einem Vorsorge-Grenzwert von 0,1 Mikro-Tesla entspricht, halten ungefähr<br />
68% der Versuchsteilnehmer, die über diesen Zusammenhang informiert wurden,<br />
für nicht ausreichend.<br />
Lassen sich für die Beantwortung der Ausgangsfrage Anleihen bei anderen Themen<br />
machen? Gibt es in jüngerer Zeit Grenzwertsenkungen, von denen man lernen<br />
könnte? Hier ist die Eurobarometer-Studie von 2010 aufschlussreich. Sie<br />
zeigt, dass es keine fixen Zusammenhänge zwischen Risikowahrnehmung <strong>und</strong><br />
Grenzwertsetzungen gibt. In Ländern mit strikteren <strong>Grenzwerte</strong>n ist die Risikowahrnehmung<br />
z.T. deutlich höher als in Ländern ohne solche Vorsorge-<br />
Regelungen.<br />
Andere, lebensweltnähere Informationen (wie z.B. Umweltverbände befürworten<br />
die Trassen, die soziale Verwurzelung des Unternehmens in der Region <strong>und</strong> das<br />
Genehmigungsverfahren ist unter Beteiligung von Vertretern der Anwohner<br />
durchgeführt worden) beeinflussen offenbar die <strong>Akzeptanz</strong> in einem höheren<br />
Maße. Dafür finden sich Hinweise in einer Studie in NRW durchgeführt wurde<br />
(Wiedemann <strong>und</strong> Claus, 2009). Wir empfehlen jedoch hierzu eine experimentelle<br />
Studie durchzuführen, um zu belastbaren Daten zu kommen.<br />
Im Falle einer Grenzwertsenkung wird die Einstellung der Bevölkerung dazu<br />
nicht nur von der Kommunikation der verantwortlichen Behörden oder des Übertragungsnetzbetreibers<br />
beeinflusst. Eine maßgebliche Rolle spielen hier Medienberichte.<br />
Daher wäre auch zu fragen, wie Journalisten solche Grenzwertsenkungen<br />
in ihren Berichten verarbeiten. In erster Näherung gehen wir davon aus, dass<br />
Journalisten nicht anders reagieren als die Befragten in den o.g. Studien. In<br />
zweiter Näherung erwarten wir eine journalistische Auseinandersetzung mit<br />
fachlichen <strong>und</strong> politischen Hintergründen, die zu einer Story verdichtet werden.<br />
Und hierbei könnten die oben aufgeführten lebenswelt-nahen Argumente für die<br />
Bewertung der <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen in Wohngebietsnähe durchaus von<br />
Bedeutung sein.<br />
21
6. Literatur<br />
renzwertverschärfungen<br />
fördern nicht<br />
die <strong>Akzeptanz</strong><br />
Fazit: Die Auswertung der wissenschaftlichen Literatur, unsere eigene empirische<br />
Studie sowie die Erfahrungen mit Grenzwertsenkungen in Bereich des Mobilfunks<br />
in Europa sprechen dafür, dass auch im Bereich der Niederfrequenz<br />
nicht davon auszugehen ist, dass Grenzwertverschärfungen zu einer <strong>Akzeptanz</strong>verbesserung<br />
führen. Bestenfalls bliebe sie in dieser Hinsicht wirkungslos.<br />
Vielmehr sollten andere, lebensweltnäheren Maßnahmen bevorzugt werden, um<br />
die Zustimmungsrate zu derartigen Vorhaben zu erhöhen.<br />
Die Studie entstand bei <strong>IKU</strong> als Dienstleister von Amprion. Verantwortlich ist Dr. Frank<br />
Claus, Geschäftsführer von <strong>IKU</strong> (Dortm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Berlin). Das sozialwissenschaftliche Experiment<br />
hat Prof. Dr. Wiedemann konzipiert <strong>und</strong> ausgewertet. Herr Prof. Dr. Wiedemann<br />
leitet das Wissenschaftsforum EMF in Berlin.<br />
6. Literatur<br />
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25
Anhang<br />
Anhang<br />
Anhang 1:Ausbildungsabschluss<br />
Anhang 2: Persönliche Entfernungsangaben<br />
26
Anhang<br />
Anhang 3:Varianzanalyse zu den persönlichen Entfernungsangaben<br />
Anhang 4:Entfernungsangaben für die Mehrheit der Anwohner<br />
27
Anhang<br />
Anhang 5: Varianzanalyse für die Entfernungsangaben für die Mehrheit der Anwohner<br />
Die Art der Informationsverarbeitung ( F2: elaboriertvs. rasch)hat keinen statistisch<br />
signifikanten Einfluss auf die persönliche Distanz, in der Stromtrassen akzeptabel<br />
sind. Vorsorge ( F1)hat einen Effekt: Mit Information über Vorsorge<br />
steigt die akzeptable Entfernung statistisch signifikant an. Da aber keine Homogenität<br />
der Varianzen vorliegt ist diese Signifikanz nicht haltbar. Der angemessenere<br />
nicht-parametrischer Test zeigt keinen signifikanten Unterschied mehr: Es<br />
macht keinen Unterschied, ob über einen Vorsorge-Grenzwert informiert wird.<br />
Anhang 6:Zusammenfassende Bewertung für die eigene Person<br />
28
Anhang<br />
Anhang 6:Zusammenfassende Bewertung für die eigene Person<br />
Anhang 7:Varianzanalysefür die zusammenfassende Bewertung für die eigene<br />
Person<br />
Anhang 8: Varianzanalyse für die zusammenfassende Bewertung für die eigene<br />
Person<br />
29
Anhang<br />
Der signifikante Effekt in der Varianzanalyse (F= 4,13, p< 0,05) für die Vorsorge(f1=<br />
Vorsorge)verschwindet jedoch bei einem Test mit nicht-parametrischen<br />
Verfahren .Da die Varianzhomogenität nicht gegeben ist, ist der nichtparametrische<br />
Bef<strong>und</strong> stärker zu gewichten.<br />
Anhang 9:Zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit der Anwohner<br />
Anhang 10: Zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit der Anwohner<br />
30
Anhang<br />
Anhang 11:Varianzanalysefür die zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit<br />
der Anwohner<br />
31
Anhang<br />
Anhang 12:Varianzanalysefür die zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit<br />
der Anwohner<br />
32