31.12.2013 Aufrufe

Grenzwerte und Akzeptanz - IKU-DIE DIALOGGESTALTER

Grenzwerte und Akzeptanz - IKU-DIE DIALOGGESTALTER

Grenzwerte und Akzeptanz - IKU-DIE DIALOGGESTALTER

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Rolle von Grenz- <strong>und</strong> Vorsorgewerten<br />

in der Diskussion um die<br />

<strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen<br />

Dortm<strong>und</strong> / Berlin im April 2013<br />

<strong>IKU</strong> GmbH ∙ Olpe 39 ∙ 44135 Dortm<strong>und</strong> ∙ Tel. 0231_931103-0 ∙ Fax. 0231_31894<br />

Büro Berlin ∙ Panoramastraße 1 ∙ 10178 Berlin ∙ Tel. 030_2787846-40 ∙ Fax 030_2787846-40<br />

mail@dialoggestalter.de ∙ www.dialoggestalter.de<br />

Geschäftsführer: Marcus Bloser ∙ Dr. Frank Claus ∙ HRB 9583 ∙ Amtsgericht Dortm<strong>und</strong><br />

Dortm<strong>und</strong>er Volksbank ∙ Konto 2606066900 ∙ BLZ 44160014 ∙ Sparkasse Dortm<strong>und</strong> ∙ Konto 231004335 ∙ BLZ 44050199<br />

Steuernummer: 314/5705/4494 ∙ UID (VAT): DE124654039


Executive Summary<br />

Inhalt<br />

Executive Summary ........................................................................................3<br />

1. Einleitung ....................................................................................................5<br />

2. Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n in der bisherigen Diskussion um den<br />

Bau von Stromtrassen ....................................................................................5<br />

3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n ...................................................................................................7<br />

3.1. Risiko-Wahrnehmung von NF EMF der Stromversorgung .................7<br />

3.2 Informationsverhalten ..........................................................................8<br />

3.3 Wirkung von Informationen ..................................................................9<br />

3.4 <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen ............................................................. 10<br />

3.5 <strong>Grenzwerte</strong> <strong>und</strong> Vorsorge .................................................................. 11<br />

3.6 Einflussfaktoren bei der Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n ............... 13<br />

3.7 Zusammenfassung der Literaturanalyse ........................................... 16<br />

4. Eigene Studie ............................................................................................ 16<br />

4.1. Methodischer Ansatz ......................................................................... 16<br />

4.2 Ergebnisse .......................................................................................... 18<br />

4.3 Zusammenfassung der wichtigsten Bef<strong>und</strong>e .................................... 20<br />

5. Schlussfolgerungen .................................................................................. 21<br />

6. Literatur .................................................................................................... 22<br />

Anhang .......................................................................................................... 26<br />

2


Executive Summary<br />

Executive Summary<br />

Helfen striktere<br />

<strong>Grenzwerte</strong>, Ängste<br />

<strong>und</strong> Bedenken zu<br />

reduzieren?<br />

Keine Korrelation<br />

zwischen Höhe von<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n <strong>und</strong><br />

Risikowahrnehmung<br />

Überschreitung =<br />

Gefahr;<br />

Unterschreitung: keine<br />

Sicherheit<br />

Im Weiteren steht die Frage im Mittelpunkt, ob <strong>Grenzwerte</strong> für die Kommunikation<br />

von Sicherheit taugen. Genauer: Helfen striktere <strong>Grenzwerte</strong><br />

Ängste <strong>und</strong> Bedenken zu reduzieren <strong>und</strong> somit den Bau von Höchstspannungsleitungen<br />

akzeptabel zu machen? Zur Beantwortung dieser Frage<br />

wurden in der vorliegenden Studie die verfügbaren Praxis-Erfahrungen<br />

analysiert, die wissenschaftliche Literatur zur Risikokommunikation ausgewertet<br />

<strong>und</strong> eine eigene experimentelle Studie durchgeführt.<br />

Ob <strong>und</strong> inwiefern <strong>Grenzwerte</strong> auch dem Ges<strong>und</strong>heitsschutz dienen, ist<br />

hier nicht Thema. Es geht auch nicht um den Nutzen von Vorsorge zur<br />

Vermeidung möglicher Ges<strong>und</strong>heits-Risiken.<br />

Für die Hypothese, dass Grenzwertverschärfungen helfen <strong>Akzeptanz</strong> zu<br />

sichern, finden sich keine Belege. Die Bef<strong>und</strong>e des Eurobarometers von<br />

2010 zur Risikowahrnehmung des Mobilfunks verweisen im Gegenteil darauf,<br />

dass die Beziehungen zwischen Risikowahrnehmung <strong>und</strong> Status der<br />

Grenzwert-Regelung komplex sind. Länder mit Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

wie Italien haben eine hohe Risikowahrnehmung, während solche ohne<br />

Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> wie Deutschland niedrige Risikowahrnehmungen<br />

aufweisen. Hinzu kommt, dass ein Wettbewerb um den schärfsten Grenzwert<br />

als Indiz für die Beliebigkeit der Grenzwert-Setzung verstanden<br />

werden kann. Denn prinzipiell lässt sich, unabhängig von der Höhe eines<br />

<strong>Grenzwerte</strong>s, immerfort eine weitere Verschärfung einfordern. Es wird<br />

immer Kritiker geben, die beklagen, dass der vorhandene Grenzwert nicht<br />

schützt. Auch dieser Umstand ist für die Argumentation mit einer Grenzwert-Verschärfung,<br />

die Sicherheit kommunizieren will, von Nachteil.<br />

Die Literaturanalyse zeigt, dass die Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n<br />

schwierig ist, da sie oft von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Allerdings<br />

ist im Falle von <strong>Grenzwerte</strong>n, die als Distanzangaben gegeben werden<br />

(Wie weit muss eine Stromtrasse entfernt sein?), nicht mit solchen<br />

Verständnis-Schwierigkeiten zu rechnen.<br />

Die intuitive Wahrnehmung von <strong>Grenzwerte</strong>n ist durch Besonderheiten<br />

geprägt: Überschreitungen von <strong>Grenzwerte</strong>n werden als Zeichen von Gefahr<br />

verstanden. Werte unterhalb eines <strong>Grenzwerte</strong>s werden dagegen<br />

nicht als Zeichen von ausreichender Sicherheit interpretiert. Auch bei einem<br />

10fach niedrigeren Grenzwert bliebe diese Skepsis erhalten.<br />

In einem Experiment wurde zudem geprüft, ob die Vorgabe eines strikteren<br />

<strong>Grenzwerte</strong>s, die Distanz beeinflusst, in der man bereit ist, eine<br />

Stromtrasse in der eigenen Nachbarschaft zu akzeptieren. Bei einem solchen<br />

Experiment kommt es nicht auf die Repräsentativität der Stichprobe<br />

an, sondern darauf, ob die Stichprobengröße ausreicht, um einen Effekt,<br />

wenn er existiert, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auch finden zu<br />

können. Es geht um die Feststellung von Wirkungen <strong>und</strong> nicht um Meinungen.<br />

3


Executive Summary<br />

Nur 20 bzw. 30 % der<br />

Befragten akzeptieren<br />

eine Entfernung von<br />

300 Metern<br />

Die nachstehende Abbildung 1 zeigt, dass eine Entfernung der eigenen<br />

Wohnung zu einer Stromtrasse bis 350 m nur für zirka 32 % der Probanden,<br />

die über einen Vorsorge-Grenzwert von 350 m Distanz informiert<br />

wurden, akzeptabel ist. Anders ausgedrückt: 68 % der Befragten, die über<br />

den Vorsorgegrenzwert informiert wurden, lehnen eine Stromtrasse in<br />

einer Entfernung von etwa 350 Metern ab, in der ein derartiger Vorsorge-<br />

Grenzwert eingehalten wird. Dieser Prozentsatz der Ablehnenden ändert<br />

sich nur unwesentlich, wenn nicht über Vorsorge informiert wird (67%)<br />

Abbildung 1:<br />

Akzeptable Entfernung<br />

von Höchstspannungsleitungen<br />

unter der<br />

Bedingung mit <strong>und</strong><br />

ohne Vorsorge<br />

Skepsis gegenüber<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n als<br />

Maßstab von Sicherheit<br />

Strengere <strong>Grenzwerte</strong><br />

werden als Gefahrenhinweis<br />

verstanden<br />

Wie zu erwarten ist die geringfügige Verschlechterung der <strong>Akzeptanz</strong><br />

durch Vorsorgeinformation nicht statistisch signifikant. Zudem ist es auch<br />

nicht bedeutsam, ob die Versuchsteilnehmer aufgefordert werden, bei der<br />

Bewertung gründlicher nachzudenken: Zwar werden dann im Mittel eine<br />

höhere Distanz zu einer Höchstspannungsleitung angegeben als wenn<br />

rasch geurteilt werden muss. Aber auch dieser Effekt ist statistisch nicht<br />

signifikant.<br />

Werden die Versuchspersonen gefragt, ob die Einhaltung eines Grenzwerts<br />

ihre Ängste <strong>und</strong> Befürchtungen ausräumt, so spielt es keine Rolle,<br />

ob mit einem Vorsorge-Grenzwert argumentiert wird. Die Versuchsteilnehmer<br />

reagieren immer skeptisch bis ablehnend.<br />

Für die Annahme, dass mit schärferen <strong>Grenzwerte</strong>n <strong>Akzeptanz</strong> gewonnen<br />

werden kann, finden sich in unserer Studie keine Belege. Im Gegenteil,<br />

die vorhandene Evidenz spricht eher dafür, dass striktere <strong>Grenzwerte</strong> als<br />

Gefahrenhinweise interpretiert werden.<br />

4


1. Einleitung<br />

1. Einleitung<br />

<strong>Akzeptanz</strong> ist für<br />

Netzausbau wesentlich<br />

Wie reagieren<br />

Menschen, wenn ihnen<br />

eine Grenzwertsenkung<br />

mitgeteilt wird?<br />

In der gegenwärtigen Diskussion um den Ausbau von Stromtrassen in Deutschland<br />

ist die <strong>Akzeptanz</strong> solcher Bauvorhaben seitens der Anlieger eine entscheidende<br />

Frage für das Tempo des Netzausbaus <strong>und</strong> damit für die Energiewende.<br />

Zur Problemlösung wird manchmal vorgeschlagen, freiwillig <strong>Grenzwerte</strong> zu verschärfen<br />

bzw. Vorsorge-Werte einzufügen. Einige Akteure erwarten sich davon<br />

eine <strong>Akzeptanz</strong>steigerung, andere warnen dagegen vor diesem Schritt. Sie bezweifeln,<br />

dass ein solches Vorgehen auf die <strong>Akzeptanz</strong> von Höchstspannungsleitungen<br />

verbessert.<br />

Die vorliegende Studie hat deshalb das Ziel, folgende Fragen zu beantworten:<br />

<br />

<br />

<br />

Wie reagieren Menschen, wenn sie über eine Grenzwertsenkung informiert<br />

werden?<br />

Sind sie eher beruhigt oder beunruhigt, wenn sie erfahren, dass aus Vorsorge-Gründen<br />

die zulässigen Immissionen reduziert werden?<br />

Welche Wirkungen haben Grenzwertveränderungen auf die <strong>Akzeptanz</strong><br />

von Leitungsbauvorhaben?<br />

2. Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n in<br />

der bisherigen Diskussion um den Bau<br />

von Stromtrassen<br />

BUND fordert<br />

schärfere <strong>Grenzwerte</strong><br />

Nicht alle teilen die Auffassung der Strahlenschutzkommission, dass „auch nach<br />

Bewertung der neueren wissenschaftlichen Literatur keine wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse in Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen der Ges<strong>und</strong>heit durch<br />

niederfrequente elektrische <strong>und</strong> magnetische Felder vorliegen, die ausreichend<br />

belastungsfähig wären, um eine Veränderung der bestehenden Grenzwertregelung<br />

der 26. BImSchV zu rechtfertigen.“ 1<br />

Der B<strong>und</strong> für Umwelt <strong>und</strong> Naturschutz Deutschland (BUND) hat seine Auffassung<br />

von der Notwendigkeit einer Verschärfung der <strong>Grenzwerte</strong> wiederholt vorgetragen<br />

(BUND 2008). Der wissenschaftliche Berater des BUND, W. Kühling, fordert<br />

in seiner Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung der B<strong>und</strong>esregierung über<br />

die „Verordnung zur Änderung der Vorschriften über elektromagnetische Felder“<br />

Ende Februar 2013 einen neuen Grenzwert von 0,01 μT. Aus dieser Forderung<br />

folgt ein Schutzabstand von etwa 600 m bei einer Freileitung mit 380 kV. Der<br />

„Verein für Elektrosensible <strong>und</strong> Mobilfunkgeschädigte“ verlangt in seiner Stellungnahme<br />

zur Novellierung der 26. BImSchVO einen Grenzwert 10 nT für von<br />

außen in Wohnungen eindringende magnetische Flussdichten. Neitzke vom<br />

ECOLOG-Institut plädierte dagegen bei Freileitungen für einen Abstand von 400<br />

Metern. Die Partei die Linke befürwortet in ihrem Entschließungsantrag zur<br />

„Verordnung zur Änderung der Vorschriften über elektromagnetische Felder <strong>und</strong><br />

das kommunikationsrechtliche Nachweisverfahren“ einen Grenzwert 0,2 μT. In<br />

NRW werden aus Gründen des Immissionsschutzes bei der Planung neuer<br />

Wohngebiete folgende Schutzabstände zu Anlagen der elektrischen Energiewei-<br />

1<br />

Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 221. Sitzung der Strahlenschutzkommission<br />

am 21./22. Februar 2008<br />

5


2. Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n in der bisherigen Diskussion um den<br />

Bau von Stromtrassen<br />

terleitung gefordert: 380 kV / 50 Hz : 40 m, 220 kV / 50 Hz : 20 m <strong>und</strong> 110 kV / 50<br />

Hz : 10 m (NRW, Abstandserlass 2007).<br />

Vielzahl von<br />

Orientierungs- <strong>und</strong><br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Risikowahrnehmung<br />

<strong>und</strong> Vorsorge<br />

Diese Vielzahl unterschiedlicher Orientierungs- <strong>und</strong> <strong>Grenzwerte</strong> ist aus kommunikationspsychologischer<br />

Sicht ungünstig, weil sie als Indiz für die Beliebigkeit<br />

der Grenzwert-Setzung verstanden werden kann. Hinzu kommt, dass es offenbar<br />

einen Wettbewerb um den schärfsten Grenzwert gibt. Prinzipiell kann, unabhängig<br />

von der Höhe eines <strong>Grenzwerte</strong>s, immer eine weitere Verschärfung gefordert<br />

werden, selbst dann, wenn es kaum noch Sinn macht 2 . Es wird immer Kritiker<br />

geben, die beklagen, dass der Grenzwert nicht ausreichend schützt. Auch dieser<br />

Umstand hat negative Konsequenzen für die Argumentation mit einer Grenzwert-<br />

Verschärfung.<br />

Ob Grenzwertverschärfungen helfen, <strong>Akzeptanz</strong> zu sichern, ist fraglich. Skepsis<br />

ist angebracht: die Bef<strong>und</strong>e des Eurobarometers von 2010 zur Risikowahrnehmung<br />

des Mobilfunks verweisen darauf, dass die gedankliche Verbindung von<br />

Risikowahrnehmung <strong>und</strong> Status der Grenzwert-Regelung komplex ist. Länder<br />

mit Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>n wie Italien haben eine hohe Risikowahrnehmung,<br />

während solche ohne Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> wie Deutschland niedrige Risikowahrnehmungen<br />

aufweisen.<br />

Abbildung 2:<br />

Risikowahrnehmung<br />

EMF in Europa. Quelle:<br />

Eurobarometer 2010<br />

2<br />

Dazu heißt es in der Zusammenfassung der Anhörung: „Hans-Peter Neitzke machte deutlich, dass<br />

man bei Freileitungen zum Teil Werte erreichen würde, „die in Wohnungen ohnehin erreicht würden<br />

Ab einem Wert von 0,1 Microtesla „kommt man nicht vorbei“, sagte er. Man sei daher, in dem, was<br />

man machen könne, „begrenzt“.“<br />

(siehe http://www.b<strong>und</strong>estag.de/presse/hib/2013_02/2013_105/01.html)<br />

6


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

3. Wissenschaftliche Evidenz zu der<br />

Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Um die Bef<strong>und</strong>e zu Grenz- <strong>und</strong> Vorsorgewerten richtig einordnen zu können, wir<br />

zuerst, wie die Risikopotenziale von NF EMF der Stromversorgung wahrgenommen<br />

werden. Im Anschluss daran geht es um die Wirkung von Risiko-Informationen<br />

auf die Risikowahrnehmung. Schließlich werden die vorhandenen Studien<br />

zur <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen vorgestellt. Dann folgt der wichtigste Teil: Die<br />

Bef<strong>und</strong>e zur Wirkung von <strong>Grenzwerte</strong>n <strong>und</strong> anderen Schutzkonzepten (wie z.B.<br />

Vorsorgemaßnahmen) auf die Risikowahrnehmung <strong>und</strong> auf die <strong>Akzeptanz</strong> von<br />

Bauvorhaben im Rahmen des Ausbaus des Stromnetzes. Zum Schluss werden<br />

Bef<strong>und</strong>e diskutiert, die erklären, warum die Kommunikation mit <strong>Grenzwerte</strong>n auf<br />

Schwierigkeiten stößt.<br />

3.1. Risiko-Wahrnehmung von NF EMF der<br />

Stromversorgung<br />

Unterschiede in der<br />

Risikowahrnehmung in<br />

Deutschland<br />

Abbildung 3<br />

Risikowahrnehmung<br />

von Hochspannungsleitungen<br />

Quelle: Claus et al.<br />

2012, gemessen auf<br />

einer 4-stufigen<br />

Likert-Skala<br />

(1= ungefährlich,<br />

4= sehr gefährlich))<br />

Die Studie von Claus et. al. (2012) zeigt Unterschiede der Risikowahrnehmung<br />

von Hochspannungsleitungen in Bezug auf Geschlecht, Bildungsstand sowie der<br />

Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative <strong>und</strong> in Bezug auf den Migration-<br />

Hintergr<strong>und</strong>. Frauen sehen größere Risiken als Männer <strong>und</strong> Befragte mit Abitur<br />

oder Hochschulabschluss geringere Risiken als Personen mit geringerer Bildung.<br />

Die Mitgliedschaft in einer Bürgerinitiative geht einher mit einer höheren<br />

Risikowahrnehmung von Hochspannungsleitung. Das Wohnen in der Nähe von<br />

Hochspannungsleitungen hat dagegen hat keine Auswirkungen auf die Risikowahrnehmung.<br />

7


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Etwa 29% der<br />

Deutschen sind besorgt<br />

über EMF<br />

Auch finden sich keine Unterschiede zwischen den neuen <strong>und</strong> alten B<strong>und</strong>esländern,<br />

wohl aber bei einer Betrachtung der einzelnen B<strong>und</strong>esländer. In Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Brandenburg <strong>und</strong> Bremen ist die Risikowahrnehmung am<br />

höchsten <strong>und</strong> im Saarland am geringsten (siehe Abb. 3). Bei Personen mit Migration-Hintergr<strong>und</strong><br />

ist die Risikowahrnehmung bezüglich Hochspannungsleitungen<br />

stärker ausgeprägt als bei Personen ohne dieses Merkmal.<br />

Die Eurobarometer Studie von 2010 weist darauf hin, dass fast 70% der befragten<br />

Deutschen glauben, dass EMF von Hochspannungsleitungen ihre Ges<strong>und</strong>heit beeinflussen<br />

können. Für elektrische Haushaltsgeräte ist das etwas anders: Hier<br />

sind es unter 60%, die solchen Geräten einen Einfluss auf ihre eigene Ges<strong>und</strong>heit<br />

zusprechen.<br />

Schließlich ergibt sich in Bezug auf die affektive Bewertung solcher Einflüsse folgendes<br />

Bild: Etwa 29% der Deutschen sind ziemlich oder sehr besorgt über die<br />

potenziellen Ges<strong>und</strong>heitsrisiken von EMF. Allerdings wird bei dieser Frage nicht<br />

zwischen HF <strong>und</strong> NF unterschieden.<br />

Auch die Bef<strong>und</strong>e von Brohmann et al. (2009)deuten nicht auf eine besonders<br />

ausgeprägte Risiko-Wahrnehmung in Bezug auf Stromtrassen hin. Hier sind es<br />

zirka 20% der Befragten, die sich ziemliche oder große Sorgen wegen der Einflüsse<br />

von Hochspannungsleitungen auf die Ges<strong>und</strong>heit machen. Nur 12% denjenigen,<br />

die u ber NF-Außenanlagen in Wohnhausnähe berichten, bejahen Sorgen<br />

<strong>und</strong> Beeinträchtigungen.<br />

Die Studie von Frick et al. (2002) demonstriert, dass Elektro-Sensible, also solche<br />

Personen, die EMF eine krankmachende Wirkung zuschreiben, sich durch eine<br />

ausgeprägte <strong>und</strong> stabile Risiko-Wahrnehmung auszeichnen. Leitgeb et al. (2005)<br />

zeigen, dass auch Ärzte glauben, dass Elektrosmog Krankheiten verursachen<br />

kann.<br />

Schweizer-Ries & Rau (2010) haben in einer Fallstudie zur <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen<br />

in zwei Gemeinden in einer betroffenen Region auch die Risiko-Wahrnehmung<br />

erfasst. Zirka 70% ihrer Befragten stufen Freileitungen als ein<br />

Ges<strong>und</strong>heitsrisiko ein. Dagegen werden Erdkabel als weniger bedrohlich eingeschätzt.<br />

Schließlich konnten Visschers et al. (2007) zeigen, dass Stromtrassen intuitiv<br />

stärker mit Ges<strong>und</strong>heits-Schäden assoziiert sind als mit Ges<strong>und</strong>heit. Ein ähnlicher<br />

Bef<strong>und</strong> stammt von Siegrist et al. (2006), die mittels eines speziellen Assoziations-Tests<br />

ebenfalls zeigen, dass Stromtrassen eine negative affektive Bewertung<br />

aufweisen.<br />

Schließlich konnten Morgan et al. (1990) nachweisen, dass Laien die Rate deutlich<br />

unterschätzen, mit der sich die Stärke der NF EMF mit zunehmender Entfernung<br />

von ihrer Quelle reduziert. Diesen Bef<strong>und</strong> haben Read <strong>und</strong> Morgan (1998)<br />

repliziert.<br />

3.2 Informationsverhalten<br />

Hauptquelle für<br />

Information: TV <strong>und</strong><br />

Zeitschriften<br />

Claus et al. (2012) haben in einer Studie für das B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz<br />

(BfS) auch untersucht, wo sich die deutsche Bevölkerung über den Strahlenschutz<br />

informiert.<br />

Informationen der Strahlenschutzkommission werden von 4.9 % der Befragten<br />

als „bekannt“ eingeschätzt. 5,5% der Interviewten geben an, Informationsmaterialien<br />

zu Hochspannungsleitungen zu kennen, die vom BfS verfasst sind. Informa-<br />

8


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Internet nutzen 39 %<br />

Nur Minderheit kennt<br />

wissenschaftliche<br />

Materialien<br />

tionen der Netzbetreiber sind 4,1% der Befragten bekannt. Hauptquelle sind jedoch<br />

Medien (TV <strong>und</strong> Zeitschriften) <strong>und</strong> auch Internetseiten sind von Bedeutung.<br />

Die Angaben sind im Detail schwer zu interpretieren. Denn es finden sich - jedenfalls<br />

in Bezug auf Risikopotenziale <strong>und</strong> Strahlenschutz - auf den Webseiten der<br />

verschiedenen Verbraucherzentralen nur vereinzelt 3 <strong>und</strong> auf der Seite der Deutschen<br />

Umwelthilfe gar keine Informationen zum Strahlenschutz bei Hochspannungsleitungen.<br />

Auf den Internetseiten des BfS waren jedoch - nach eigenen Angaben - schon<br />

einmal 16,5% der Befragten. Ob die diesbezüglichen Angaben so stimmen, ist jedoch<br />

ungewiss. Vorsicht scheint angebracht zu sein: Bei einer Befragung im Auftrag<br />

des B<strong>und</strong>esinstitutes für Risikobewertung (Aproxima 2008) stellte sich heraus,<br />

dass - bei einer offenen Nachfrage - die Bekanntheit von B<strong>und</strong>esämtern<br />

bzw. -instituten im einstelligen Prozentbereich <strong>und</strong> darunter liegt.<br />

Insgesamt ist festzuhalten:<br />

Hauptsächliche Informationsquellen zu Themen des Strahlenschutzes<br />

sind Fernsehen <strong>und</strong> Printmedien.<br />

Das Internet nutzen 39% der Befragten. In der Altersklasse zwischen 30-<br />

39 sind es allerdings bereits 57% <strong>und</strong> bei Personen mit Abitur <strong>und</strong> Hochschulabschluss<br />

sind es 52%, die sich im Internet zum Strahlenschutz informieren.<br />

Nur einer Minderheit sind Informationsmaterialen aus Wissenschaft, von<br />

Behörden, NGOs <strong>und</strong> Industrie bekannt.<br />

Informationsmaterial des BfS zu Hochspannungsleitungen ist fast 95%<br />

der Befragten unbekannt.<br />

Allerdings geben 16,5% der Untersuchungsteilnehmer an, schon einmal<br />

auf den Internetseiten des BfS gewesen zu sein.<br />

3.3 Wirkung von Informationen<br />

Risikoinformation<br />

erhöht<br />

Risikowahrnehmung<br />

Einstellung bestimmt<br />

Auswahl der<br />

Argumente<br />

MacGregor et al. (1994) haben untersucht, wie Befragte auf eine EMF-Informationsbroschu<br />

re reagieren. Die Ergebnisse verweisen auf einen signifikanten Anstieg<br />

der Risiko-Wahrnehmung. Nach Lesen der Broschüre vertreten die Probanden<br />

in höherem Masse die Meinung, dass elektromagnetische Felder physiologische<br />

<strong>und</strong> kognitive Parameter beeinflussen können <strong>und</strong> dass solche Felder<br />

Krankheiten verursachen können. Dieses Ergebnis stimmt mit anderen Untersuchungen<br />

überein, wonach Information über weitgehend neue <strong>und</strong> unbekannte Risiken<br />

zur einer erhöhten Risikowahrnehmung führt (siehe u.a. Cousin & Sigrist<br />

2010).<br />

Read <strong>und</strong> Morgan (1998) können nachweisen, dass die fehlerhafte Unterschätzung<br />

der Rate, mit der NF EMF mit wachsendem Abstand von ihrer Quelle abnehmen,<br />

sich durch Information <strong>und</strong> Aufklärung teilweise korrigieren lässt.<br />

Die Risikowahrnehmung selbst ist jedoch änderungsresistenter. In einer Mobilfunk-bezogenen<br />

Untersuchung demonstriert Wiedemann (2010), dass die Bewertung<br />

von Pro- <strong>und</strong> Contra-Argumenten in der Debatte, ob Mobilfunk ein Risiko<br />

darstellt, von der Einstellung der Befragten abhängt. Wer glaubt, dass der Mobilfunk<br />

ein Risiko ist bevorzugt Pro-Risikoargumente. Wer das nicht glaubt, bevor-<br />

3<br />

Eine Ausnahme: http://www.vz-nrw.de/mediabig/41762A.pdf<br />

9


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

zugt Contra-Risiko-Argumente. Es ist davon auszugehen, dass diese Tendenz zu<br />

einem Bestätigungsfehler auch für die Bewertung der Risiken der NF EMF der<br />

Stromversorgung gilt.<br />

3.4 <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen<br />

Abbildung 4:Entfernung<br />

im Meter, in der eine<br />

Hochspannungsleitung<br />

akzeptiert wird.<br />

Quelle: Wiedemann &<br />

Claus (2009)<br />

Wiedemann <strong>und</strong> Claus (2009) haben in einer Umfrage in NRW ermittelt, ob <strong>und</strong><br />

welche Bedingungen sich auf die akzeptierte Entfernung der eigenen Wohnung<br />

zu einer Stromtrasse auswirken können. Die durchschnittliche Entfernung der<br />

Trasse von der eigenen Wohnung, in der diese akzeptiert wird, beträgt ungefähr<br />

7,8 km.<br />

Schon diese Zahl macht das Dilemma deutlich: ein akzeptanzgetriebener Netzausbau<br />

ist bei dieser Entfernung im dicht besiedelten Deutschland unmöglich.<br />

Wer industriefern lebt,<br />

möchte sich das<br />

erhalten<br />

Einflussfaktoren für<br />

akzeptierte Abstände<br />

Im<br />

Hinblick auf die angegebene Entfernung gibt es einen deutlichen Geschlechter-<br />

Effekt. Männer (M = 5,7 km) geben geringere Entfernungen an als Frauen (M= 9,9<br />

km). Von Bedeutung ist noch, dass zirka 16 % der Befragten erst in einer Entfernung<br />

über 20 km eine Hochspannungsleitung akzeptieren würden. Zu dieser Extremgruppe<br />

gehören mehr Frauen als Männer. Zusammenhänge zeigen sich auch<br />

mit der Entfernung des eigenen Wohnorts zu Industrieanlagen: Je größer diese<br />

Entfernung, desto eher gehört man zur Extremgruppe. Generell gilt: Wer industriefern<br />

lebt, möchte sich das erhalten. Und das gilt auch für den Netzausbau. Mit<br />

wachsendem Abstand des eigenen Wohnortes zu bestehenden Industrieanlagen<br />

sinkt auch die Bereitschaft, eine Anlage in direkter Nachbarschaft zu akzeptieren.<br />

Folgende Informationen verringern gemäß der o.g. Studie die Entfernung, in der<br />

Stromtrassen akzeptabel sind (in absteigender Anordnung):<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Umweltverbände befürworten die Trassen (60% bejahen eine Verringerung<br />

der Entfernung).<br />

Ges<strong>und</strong>heitliche Risiken fu r die Anwohner sind praktisch ausgeschlossen<br />

(60% bejahen eine Verringerung der Entfernung).<br />

Soziale Projekte können aus den Steuereinnahmen finanziert werden<br />

(56% bejahen eine Verringerung der Entfernung).<br />

Soziale Verwurzelung des Unternehmens in der Region (50%bejahen<br />

eine Verringerung der Entfernung),<br />

Das Genehmigungsverfahren ist unter Beteiligung von Vertretern der<br />

Anwohner durchgeführt worden (44% bejahen eine Verringerung der<br />

Entfernung),<br />

Die Mehrheit der Anwohner hat sich für den Bau der Stromtrasse<br />

ausgesprochen (43% bejahen eine Verringerung der Entfernung),<br />

10


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

<br />

<br />

Sie haben von Ihrer Wohnung aus keinen Sichtkontakt zu der Stromtrasse<br />

(41% bejahen eine Verringerung der Entfernung),<br />

Ihr Bürgermeister ist dafür (24% bejahen eine Verringerung der Entfernung).<br />

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist aber zu beachten, dass es sich hier<br />

um eine sehr kleine Teilstichprobe handelt (N=51). Des Weiteren muss auch berücksichtigt<br />

werden, dass die akzeptablen Entfernungen der Befragten eine hohe<br />

Varianz aufweisen. Die Prozentwerte lassen sich nur als Tendenz zur Verringerung<br />

des Abstandes interpretieren. Weiterhin handelt es sich um die Meinung der<br />

Befragten bei der Beantwortung eines Fragebogens. Ob sich die gleichen Bef<strong>und</strong>e<br />

in einer realen Situation ergeben, ist nicht sicher. Nichtsdestotrotz sind die<br />

vorliegenden Bef<strong>und</strong>e aber aufschlussreich, weisen sie doch auf Handlungsmöglichkeiten<br />

für die Verbesserung der <strong>Akzeptanz</strong> hin.<br />

Schweizer-Ries& Rau (2010) beschreiben in einer Fallstudie Einflussfaktoren auf<br />

die <strong>Akzeptanz</strong> von Stromleitungen. Ihren Bef<strong>und</strong>en nach sind die wichtigsten<br />

Prädiktoren für die Bewertung der <strong>Akzeptanz</strong> bzw. Nichtakzeptanz von Stromtrassen:<br />

(1) die Befürchtung vor ges<strong>und</strong>heitlichen Beeinträchtigungen, (2) die erwarteten<br />

negativen Auswirkungen auf die Natur, (3) der störende Anblick in<br />

Hausnähe <strong>und</strong> (4) die Fairness im Planungsverfahren.<br />

Devine-Wright et al. (2010) untersuchten mittels einer repräsentativen Umfrage<br />

in den UK die Wahrnehmung <strong>und</strong> Bewertung von Unternehmen der Stromversorgung<br />

<strong>und</strong> der entsprechenden Infrastruktur. Sie weisen darauf hin, dass diese<br />

Unternehmen der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind. Weiterhin besteht<br />

die Überzeugung in der Bevölkerung, dass Anwohner auf die Planung von Stromtrassen<br />

kaum Einfluss haben. Schließlich präferieren die Befragten Erdkabel,<br />

wobei die Kostenfrage für sie keine Rolle spielt.<br />

3.5 <strong>Grenzwerte</strong> <strong>und</strong> Vorsorge<br />

Bei der Interpretation von Studien zur <strong>Akzeptanz</strong> von Grenz- <strong>und</strong> Vorsorgewerten<br />

ist zu beachten, ob subjektive Bewertungen von oder Reaktionen auf <strong>Grenzwerte</strong><br />

ermittelt werden. Am aufschlussreichsten wäre es, wenn man die realen Reaktionen<br />

messen würde, z.B. vor <strong>und</strong> nach einer Grenzwert-Erhöhung. Etwas schwächere,<br />

aber immer noch belastbare Aussagen erhält man in Experimenten, in den<br />

die Reaktionen auf fiktive Situationen erfasst werden. Die schwächste Evidenz<br />

liegt vor, wenn die Befragten nur gefragt werden, ob sie <strong>Grenzwerte</strong> (oder einen<br />

bestimmten Grenzwert)für geeignet halten, die Ges<strong>und</strong>heit zu schützen, bzw. allgemeiner,<br />

ob sie für oder gegen Grenzwert-Verschärfungen sind. Solche subjektive<br />

Meinungen können das Verhalten der Befragten nur bedingt voraussagen.<br />

Bislang gibt es keine Studien, die untersuchen, ob Grenz- oder Vorsorgewerte im<br />

NF Bereich die Risikowahrnehmung <strong>und</strong> die <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen beeinflussen.<br />

Es finden sich aber eine Reihe von Studien im Mobilfunkbereich, die zu<br />

einer ersten Orientierung herangezogen werden können.<br />

Wiedemann et al. (2009) haben in einer experimentellen Studie geprüft, ob die Informationen<br />

zu Unsicherheiten, die sich auf das Risikomanagement beziehen, die<br />

Risikowahrnehmung beeinflussen. Eine der Fragen, um die es dabei ging, betraf<br />

11


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Vorsorge-Maßnahmen<br />

werden als Gefahrenhinweis<br />

verstanden<br />

Vorsorgemaßnahmen<br />

senken nicht die<br />

Risikowahrnehmung<br />

das Vertrauen in die <strong>Grenzwerte</strong> der 26.BImSchV 4 (Wie groß ist ihr Vertrauen,<br />

dass die <strong>Grenzwerte</strong> ausreichen, um die Ges<strong>und</strong>heit zu schützen?). Das Vertrauen<br />

(gemessen auf einer Skala von 1 =„ganz <strong>und</strong> gar nicht“ bis 7 = „volle Zustimmung/sehr“)<br />

lag dabei konstant zwischen 3 <strong>und</strong> 4. Dabei spielte es keine Rolle,<br />

ob <strong>Grenzwerte</strong> genauer erklärt werden oder ob auf Unsicherheiten des Wissens<br />

bei der Risikoabschätzung aufmerksam gemacht wird. Dem Konzept „<strong>Grenzwerte</strong>“<br />

wird weder vertraut, noch wird ihm ganz <strong>und</strong> gar misstraut.<br />

Eine Umfrage von Wiedemann, Häder & Schütz (2010) belegt, dass Vorsorge-Empfehlungen<br />

zum Handy-Telefonieren allgemeine Zustimmung finden. Dagegen<br />

belegen Barnett et al. (2008) in einer UK-Studie, dass die Befragten eher skeptisch<br />

sind, wenn sie gefragt werden, ob Vorsorgemaßnahmen beim Mobilfunk<br />

„Good governance“ signalisieren. Die Befragten tendieren eher dazu, Vorsorge-<br />

Maßnahmen als Handlungen anzusehen, die Menschen dazu bringen, sich unnötig<br />

zu ängstigen.<br />

Auch andere Studien zum Mobilfunk weisen darauf hin, dass Vorsorge-Maßnahmen<br />

als Gefahrenhinweise verstanden werden <strong>und</strong> zu einer Verstärkung der Risikowahrnehmung<br />

führen (Wiedemann & Schütz 2005. Wiedemann et al. 2006).<br />

Weiterhin belegen diese Studien, dass Vorsorge-Maßnahmen keinen positiven Effekt<br />

auf das Vertrauen in den öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsschutz haben. Die Studie<br />

von Wiedemann <strong>und</strong> Schütz (2005) findet sogar einen negativen Zusammenhang:<br />

Information über Vorsorge mindert das Vertrauen in das Risiko-Management.<br />

Wiedemann et al. (2013) haben diese Bef<strong>und</strong>e in einer weltweiten Studie in 9<br />

Ländern in Afrika, Amerika, Asien, Australien <strong>und</strong> Europa überprüft. Dabei ergab<br />

sich folgendes Bild: Nicht alle Mobilfunk-bezogenen Vorsorgemaßnahmen führen<br />

in allen untersuchten Ländern dazu, dass die Risikowahrnehmung steigt.<br />

Aber in keinem Fall kommt es zu einer Reduktion der Risikowahrnehmung oder<br />

zu einer Verstärkung des Vertrauens in das Risikomanagement. Das gilt in der<br />

deutschen Teilstudie auch für die Einführung von Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>n. Diese<br />

helfen nicht Vertrauen zu schaffen <strong>und</strong> führen eher dazu, dass die Risikowahrnehmung<br />

steigt. Letzterer Bef<strong>und</strong> ist aber statistisch nicht signifikant.<br />

Cousin &Siegrist (2011) finden keine Effekte auf die Risikowahrnehmung von Mobiltelefonen,<br />

wenn speziell auf das Mobil-Telefonieren bezogene Vorsorgeinformation<br />

gegeben wird. Allerdings geben sie immer ausführliche Informationen zu<br />

den möglichen Risiken von HF EMF, so dass schon diese Information dazu führt,<br />

dass die Risikowahrnehmung steigt - unabhängig davon, ob Vorsorge-<br />

Information gegeben wird oder nicht.<br />

Wiedemann et al. (2006) haben in einer experimentellen Studie untersucht, ob die<br />

Information, dass der SAR-Wert eines Handys unterhalb des Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong>s<br />

des Blauen Engels von 0,6 Watt/kg liegt, einen Einfluss auf die Sicherheits-Bewertung<br />

von Handys hat. Es zeigt sich, dass der Hinweis auf den Vorsorgegrenzwert<br />

die Sicherheitsbewertung nicht beeinflusst. Dabei spielt es keine<br />

Rolle, ob die Einführung dieses <strong>Grenzwerte</strong>s (in der Studie) Bemühungen der<br />

Verbraucherverbände oder einer B<strong>und</strong>esbehörde zugeschrieben wird.<br />

4<br />

Die Basisvariante der vorgegebenen Texte lautete: „In Deutschland wurde zum Schutz der Bevölkerung<br />

am 16.12.1996 die "Verordnung über elektromagnetische Felder - 26.BImSchV" erlassen. Diese<br />

Verordnung legt <strong>Grenzwerte</strong> für den Ges<strong>und</strong>heitsschutz fest. Bei Einhaltung dieser <strong>Grenzwerte</strong> ist der<br />

Mensch vor den wissenschaftlich nachgewiesenen Risiken geschützt, die durch elektromagnetische<br />

Felder ausgelöst werden können.“<br />

12


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Keine Sicherheit, auch<br />

bei deutlicher Grenzwertunterschreitung<br />

Die subjektive Bewertung der Sicherheit fällt umso höher aus, je geringer der jeweils<br />

angegebene SAR-Wert ist. Aber selbst der geringste SAR-Wert (0,3 W/kg)<br />

wird nicht als 100% sicher eingeschätzt. Das heißt: Für die Studienteilnehmer<br />

gibt es keine völlige Sicherheit, auch wenn der Grenzwert deutlich unterschritten<br />

wird.<br />

Roth et al. (1990) untersuchen in einer Arbeit zu Risikovergleichen u.a., wie Laien<br />

den Vergleich eines Risikos (genauer: Expositionswert eines Schadstoffes) mit<br />

einem Grenzwert oder einem anderen Standard, bewerten. Solche Vergleiche<br />

waren von den Befragten auf Verständlichkeit, Verstehens-Hilfe, den Informationsgehalt,<br />

den Einfluss auf die <strong>Akzeptanz</strong> sowie auf die Risikowahrnehmung <strong>und</strong><br />

auf Vertrauen in den verantwortlichen Risikomanager zu beurteilen. Auf allen<br />

Bewertungsdimensionen werden nur Werte erreicht, die eine unterdurchschnittliche<br />

Bewertung signalisieren. Offenbar stößt die Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n<br />

auf Skepsis. Johnson hat diese Studie 2003 wiederholt <strong>und</strong> kommt zu vergleichbaren<br />

Bef<strong>und</strong>en. In Bezug auf die <strong>Grenzwerte</strong> (bei Trinkwasser) finden sich<br />

ähnliche Vorbehalte gegenüber <strong>Grenzwerte</strong>n (Johnson & Chess 2004): Konzentrationen<br />

unterhalb des <strong>Grenzwerte</strong>s werden von einer Mehrheit der Befragten<br />

nicht als sicher angesehen.<br />

3.6 Einflussfaktoren bei der Argumentation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Im Weiteren sollen Studien zu den psychologischen Einflussfaktoren auf die<br />

Wahrnehmung <strong>und</strong> intuitive Bewertung von <strong>Grenzwerte</strong>n zusammengefasst werden.<br />

Dabei geht es um (1) das Zahlenverständnis, (2) die Vertrautheit mit den Gefahrstoffen,<br />

(3) die Stigmatisierung <strong>und</strong> (4) Einstellungen <strong>und</strong> Meinungen <strong>und</strong> der<br />

Kontext.<br />

Zahlenverständnis<br />

Das Verständnis von <strong>Grenzwerte</strong>n ist eine wichtige Voraussetzung für deren Bewertung.<br />

Dabei kommt es auf das Zahlenverständnis 5 an. Hier zeigen sich deutliche<br />

Probleme. In der Studie von Lipkus et al. (2001) sind etwa 20%der befragten<br />

Personen, die überwiegend über eine College-Bildung verfügten, nicht in der Lage<br />

anzugeben, was das größte Krankheitsrisiko ist:1 in 100, 1 in 1000 oder 1 in 10.<br />

Die unzureichende Fähigkeit, mit Zahlen umzugehen, ist auch eine wesentliche<br />

Einschränkung für den Umgang mit <strong>Grenzwerte</strong>n. Johnson (2000) konnte zeigen,<br />

dass weniger als 1/3 der Befragten in der Lage waren, anzugeben, ob ein Grenzwert<br />

über- oder unterschritten wurde, wenn ein numerischer Wert für die Exposition<br />

<strong>und</strong> ein numerischer Referenzwert angegeben werden. Ähnliche Bef<strong>und</strong>e<br />

konnte Johnson (2003) finden.<br />

(Un)Vertrautheit /Bekanntheit<br />

Erfahrung - d.h. die Vertrautheit mit einer Risikoquelle - kann deren Bewertung<br />

beeinflussen. In der Regel geht eine höhere Vertrautheit mit einer geringeren Risikobewertung<br />

einher (Schwarz & Song, 2009). In Bezug auf die Information über<br />

5<br />

Numeracy= „the ability to comprehend, use, and attach meaning to numbers“. (Fagerlin& Peters<br />

2011)<br />

13


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

das Einhalten von <strong>Grenzwerte</strong>n lässt sich Folgendes annehmen: Da unvertraute<br />

Substanzen als riskanter eingeschätzt werden als vertraute Substanzen, kann es<br />

der Fall sein, dass <strong>Grenzwerte</strong> für erstere als eher unzureichend eingeschätzt<br />

werden.<br />

Für diese Annahme findet sich zumindest indirekt unterstützende Evidenz.<br />

MacGregor et al. (1999) verdeutlichen, dass die Vorstellungen von chemischer<br />

Exposition <strong>und</strong> ihren möglichen ges<strong>und</strong>heitlichen Effekten bei Laien davon abhängt,<br />

ob die chemischen Stoffe bekannt sind. Wenn konkrete Beispiele zu relativ<br />

niedrigen Expositionen mit bekannten Karzinogenen gegeben werden, hält die<br />

überwiegende Mehrheit der Probanden (über 88%) eine Krebserkrankung für<br />

nicht wahrscheinlich. Wenn aber allgemein danach gefragt wird, ob es einen<br />

Schwellenwert gibt, unterhalb dessen kein Krebs verursacht wird, verändert sich<br />

das Bild: Nur noch etwa 50 % der Befragten stimmen zu, 28%lehnen ab <strong>und</strong> 22 %<br />

können die Frage nicht beantworten (MacGregor et al. 1999).<br />

Intuition geht vor<br />

Konkurrenz mit eigenen Erfahrungen<br />

Bickerstaff and Walker (1999) weisen darauf hin, dass numerische Informationen<br />

zu Schadstoffen in der Luft <strong>und</strong> damit zur Luftgüte in Konkurrenz mit eigenen intuitiven<br />

Indikatoren für die Luftbelastung geraten können. Zu diesen Indikatoren<br />

zählen z.B. sensorische Eigenschaften der Luft sowie die eigene ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Befindlichkeit. Im Falle eines Konfliktes zwischen den numerischen <strong>und</strong> den intuitiven<br />

Indikatoren, richten sich Menschen nach den letzteren.<br />

Eine solche Urteilsstrategie ist auch in Bezug auf die EMF von Stromtrassen anzunehmen<br />

wie Bef<strong>und</strong>e zu Risikowahrnehmung von Basisstationen nahelegen.<br />

Personen, die ges<strong>und</strong>heitliche Beschwerden angeben, nehmen auch ein höheres<br />

EMF-Risiko war (Blettner et al. 2009).Dieser Zusammenhang wird auch durch die<br />

Studie von Wiedemann, Schütz <strong>und</strong> Häder (2010) gestützt.<br />

Stigmatisierung<br />

Die Stigmatisierung 6 von Technologien (vgl. Kunreuther&Slovic 2002) wirkt vor allem<br />

über die Assoziation mit emotional negativ besetzten Bildern. Beispielsweise<br />

fanden Slovic et al. (1991), dass mit dem Begriff „nukleares Endlager“ vor allem<br />

„Tod“, „Verschmutzung“ oder „schlecht“ verb<strong>und</strong>en wurden. Analoges berichten<br />

Krewski et al. (1995) für den Begriff „Chemikalien“. Peters, Burraston&Mertz<br />

(2004) haben die Rolle von Emotionen bei der Stigmatisierung von Risikoquellen<br />

(Kernkraftwerke, Kernwaffen <strong>und</strong> radioaktiver Abfall aus Kernkraftwerken) genauer<br />

untersucht. Es zeigte sich, dass das Ausmaß der Stigmatisierung vor allem<br />

von den negativen Emotionen abhängt, die diese Strahlenquellen bei den Untersuchungsteilnehmern<br />

evozieren. Auch die Risikowahrnehmung dieser Strahlenquellen<br />

wurde in hohem Maße durch diese negativen Emotionen beeinflusst.<br />

Da auch Hochspannungsleitungen mit negativen Assoziationen verknüpft sind<br />

(siehe Siegrist et al. 2006 sowie Visschers et al. 2007), ist anzunehmen, dass eine<br />

rein kognitive Information - wie der Vergleich einer gegebenen Exposition mit einem<br />

Grenzwert - an Grenzen stößt, wenn es darum geht, Sicherheit zu vermitteln.<br />

Diese plausible Schlussfolgerung bedarf aber noch der empirischen Überprüfung.<br />

6<br />

Kaspersonet al. (2001, S. 19) definieren Stigma als "a mark placed on a person, place, technology, or<br />

product, associated with a particular attribute that identifies it as different and deviant, flawed, or <strong>und</strong>esirable''.<br />

14


3. Wissenschaftliche Evidenz zu der Wirkung von Kommunikation mit<br />

<strong>Grenzwerte</strong>n<br />

Laien beachten Dosis-<br />

Wirkungsbeziehungen<br />

wenig<br />

Überzeugungen<br />

Laien sind gegenüber Dosis-Wirkungs-Beziehungen weitaus weniger aufmerksam<br />

als Toxikologen (Kraus et al. 1992, Neil et al. 1994). Das ist so, weil sie weitaus<br />

häufiger als Toxikologen den folgenden Aussagen zustimmen:<br />

<br />

<br />

<br />

Nicht die Menge an Pestiziden, sondern allein die Tatsache, einem Pestizid<br />

ausgesetzt zu sein, ist Gr<strong>und</strong> zur Sorge.<br />

Die Reduzierung der Konzentration eines möglichen schädlichen Stoffs<br />

im Trinkwasser würde die Ges<strong>und</strong>heitsgefahr beim Trinken dieses Wassers<br />

nicht vermindern.<br />

Es gibt kein sicheres Expositions-Niveau für ein krebsverursachendes<br />

Agens.<br />

Bei der Gewichtung der Dosis-Wirkungs-Beziehung spielen demographische<br />

Merkmale eine Rolle. Es zeigt sich, dass ges<strong>und</strong>e Personen höheren Alters <strong>und</strong><br />

mit höherer Ausbildung die Dosisabhängigkeit von Wirkungen beachten (Kraus et<br />

al. 1992).<br />

Abbildung 5: Antworten<br />

von Laien (L) <strong>und</strong><br />

Toxikologen (T)<br />

Quelle: Kraus,<br />

Malmfors & Slovic<br />

1992, 217<br />

For pesticides, it’s not how much L<br />

of the chemical you are exposed to,<br />

but whether or not you are exposed T<br />

to it at all.<br />

L<br />

There is not safe level of exposure<br />

to a cancer-causing agent. T<br />

L<br />

If you are exposed to a carcinogen,<br />

then you are likely to get cancer T<br />

If you are exposed to a toxic<br />

L<br />

chemical substance, then you are<br />

likely to suffer adverse health effects T<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Prozent Ablehnung<br />

Zustimmung<br />

Kontextabhängigkeit<br />

Die Bewertung von Informationen zu Expositionen ist offenbar kontextabhängig.<br />

So stimmen Laien eher bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln als bei chemischen<br />

Stoffen der Aussage zu, dass das Risiko von der eingenommenen Dosis abhängt<br />

(Kraus et al. 1992).<br />

15


4. Eigene Studie<br />

3.7 Zusammenfassung der Literaturanalyse<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Überschreitungen von <strong>Grenzwerte</strong>n werden als Zeichen für Risiko bewertet;<br />

Unterschreitungen aber nicht als Zeichen von Sicherheit.<br />

Die intuitive Sicherheitsbewertung beruht nicht auf einem Schwellen-<br />

Modell: Sicherheit ist eine Frage der Höhe der Exposition. Je geringer, desto<br />

sicherer. Aber selbst kleine Expositionsbeträge sind nicht ohne Risiko.<br />

Personen mit geringeren Bildungsabschlüssen verstehen den <strong>Grenzwerte</strong>-<br />

Jargon in der Regel nicht. Gründe dafür sind Zahlen-Schwäche sowie<br />

Unvertrautheit mit den üblichen Standard-Formulierungen der Grenzwert-<br />

Information. So ist nichtgarantiert, dass in der Bevölkerung Formulierungen<br />

wie „<strong>Grenzwerte</strong>werden unterschritten“ oder „werden nur zu einem geringen<br />

Prozentsatz ausgeschöpft“ auch wirklich verstanden werden.<br />

Affektive Bewertungen sind stabil. Die Risikowahrnehmung bei stigmatisierten<br />

Gefahrenstoffen ist über den Verweis auf die Einhaltung strenger<br />

<strong>Grenzwerte</strong> kaum zu beeinflussen.<br />

Das Vertrauen in regulative Behörden ist eher gering <strong>und</strong> korreliert negativ<br />

mit der Risikowahrnehmung. Hohe Risikowahrnehmung geht mit geringem<br />

Vertrauen in Behörden einher.<br />

4. Eigene Studie<br />

Im März 2013 haben wir ein Online-Experiment durchgeführt, um zu prüfen, ob<br />

Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> die <strong>Akzeptanz</strong> des Baus von Höchstspannungsleitungen im<br />

eigenen Wohnumfeld verbessern helfen.<br />

4.1. Methodischer Ansatz<br />

Tabelle 1:Text-<br />

Bausteine des<br />

Experiments<br />

In einem 2x2 faktoriellen Experiment wurde geprüft, ob (1) die Vorgabe eines<br />

strikteren <strong>Grenzwerte</strong>s, die Distanz beeinflusst, in der man bereit ist, eine<br />

Stromtrasse in der eigenen Nachbarschaft zu akzeptieren, <strong>und</strong> ob (2) die Art der<br />

Informationsverarbeitung einen Einfluss ausübt.<br />

Die im Experiment als Stimulus-Material genutzten Textbausteine zur Prüfung<br />

der Wirkung des Grenzwert-Faktors sind in Tabelle 1 zu finden..<br />

Basistext<br />

Stellen Sie sich bitte vor, dass Sie in einer Gemeinde wohnen, durch<br />

die eine 380 kV Höchstspannungsleitung gebaut werden soll. Stellen<br />

Sie sich weiterhin vor, dass Sie eine Wohnung in einem Haus bewohnen,<br />

in dessen Nähe jetzt die Höchstspannungsleitung gebaut werden<br />

soll.<br />

Seitens der Netzbetreiber wird darauf hingewiesen, dass der gesetzliche<br />

Grenzwert für die Magnetfelder der Stromversorgung 100 Mikro-Tesla<br />

beträgt.<br />

Dieser Grenzwert wird immer deutlich unterschritten.<br />

So beträgt die Stärke der Magnetfelder in einem Abstand von 20 Meter<br />

(in gleicher Höhe wie die Stromleitung) nur 10 Mikro-Tesla. Und<br />

in einer Entfernung von 100 Meter sind es unter 1,5 Mikro-Tesla.<br />

16


4. Eigene Studie<br />

Damit wird der Grenzwert nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft.<br />

Vorsorge-<br />

Text<br />

Stellen Sie sich bitte vor, dass Sie in einer Gemeinde wohnen, durch<br />

die eine 380 kV Höchstspannungsleitung gebaut werden soll. Stellen<br />

Sie sich weiterhin vor, dass Sie eine Wohnung in einem Haus bewohnen,<br />

in dessen Nähe jetzt die Höchstspannungsleitung gebaut werden<br />

soll.<br />

Seitens der Netzbetreiber wird darauf hingewiesen, dass der gesetzliche<br />

Grenzwert für die Magnetfelder der Stromversorgung 100 Mikro-Tesla<br />

beträgt.<br />

Dieser Grenzwert wird immer deutlich unterschritten.<br />

So beträgt die Stärke der Magnetfelder in einem Abstand von 20 Meter<br />

(in gleicher Höhe wie die Stromleitung) nur 10 Mikro-Tesla. Und<br />

in einer Entfernung von 100 Meter sind es unter 1,5 Mikro-Tesla.<br />

Damit wird der Grenzwert nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft.<br />

Um ganz sicher zu gehen, wurden die <strong>Grenzwerte</strong> <strong>und</strong> damit die Abstandswerte<br />

noch einmal verschärft. Der Grenzwert beträgt nun 0,1<br />

Mikro-Tesla <strong>und</strong> der Abstand zu Ihrer Wohnung muss jetzt ungefähr<br />

350 Meter betragen.<br />

Zur Prüfung des Einflusses der Art der Informationsverarbeitung wurden die<br />

Teilnehmer in einem Fall gebeten, den Text rasch durchzulesen.. Im anderen Fall<br />

sollten sie den Text sorgsam auf seine Verständlichkeit prüfen. Durch die Kombination<br />

dieser beiden Bedingungen (Basistext vs. Vorsorgetext, rasches vs. gründliches<br />

Durchlesen) entstehen 4 verschiedene Versuchsbedingungen, zu denen die<br />

Versuchspersonen per Zufall zu geordnet wurden. Das heißt, jeder Teilnehmer<br />

hatte jeweils nur einen Text zu lesen, der eine der vier Versuchsbedingungen<br />

charakterisierte. Auf diese Weise lässt sich durch Vergleiche der Reaktionen auf<br />

diese Texte ermitteln, ob die Versuchsbedingungen einen Einfluss ausüben. Wir<br />

überprüften den Einfluss auf drei verschiedene abhängige Variablen::<br />

<br />

<br />

<br />

In welcher Entfernung, würden Sie dem Bau einer Höchstspannungsleitung<br />

zustimmen? Wie viele Meter von Ihrer Wohnung muss die Stromtrasse<br />

entfernt sein?<br />

Reicht für Sie die Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um mögliche Bedenken<br />

<strong>und</strong> Ängste auszuräumen?<br />

Reicht für Sie die Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um dem Bau der<br />

Höchstspannungsleitung in Ihrer Nachbarschaft zuzustimmen?<br />

Diese drei Fragen wurden noch einmal den Befragten gestellt, um zu prüfen, ob<br />

die experimentelle Variation deren Auffassung beeinflusst, wie die Mehrheit der<br />

Anwohner regieren würde (In welcher Entfernung wird die Mehrheit der Anwohner<br />

dem Bau der Höchstspannungsleitung zustimmen? Wie viele Meter muss die<br />

Stromtrasse im Durchschnitt entfernt sein? Glauben Sie, dass die Einhaltung des<br />

<strong>Grenzwerte</strong>s ausreicht, um mögliche Bedenken <strong>und</strong> Ängste bei den Anwohnern<br />

auszuräumen? Glauben Sie, dass die Mehrheit der Anwohner dem Bau der<br />

Höchstspannungsleitung in ihrer Nachbarschaft zustimmt?).<br />

Bei einem solchen Experiment kommt es nicht auf die Repräsentativität der<br />

Stichprobe an, denn es geht nicht um die Erfassung von Meinungen, sondern um<br />

die Analyse von Wirkungen. Wesentlich ist, ob die Stichprobengröße ausreicht,<br />

17


4. Eigene Studie<br />

um einen Effekt, wenn er existiert, auch mit ausreichender Wahrscheinlichkeit<br />

auch finden zu können. Das ist in dem vorliegenden Experiment der Fall. 7<br />

4.2 Ergebnisse<br />

An dem Experiment nahmen 201 Personen teil. Das Durchschnittsalter beträgt<br />

39 Jahre, das Geschlechterverhältnis ist ausbalanciert 8 . Über 50% der Befragten<br />

haben einen Fachhochschul- bzw. Universitätsabschluss. Damit hat an dem Experiment<br />

ein Klientel teilgenommen, das von Walter et. al (2013) als typische Vertreter<br />

der neuen Protestbewegungen in Deutschland beschrieben wird.<br />

Abbildung 6:<br />

Entfernung, in der eine<br />

Stromtrasse akzeptabel<br />

ist. Dargestellt sind<br />

Distanzen in Metern (X-<br />

Achse) <strong>und</strong> die kumulativen<br />

Prozentzahlen der<br />

Zustimmungen auf der<br />

Y-Achse<br />

Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong><br />

haben keine Wirkung<br />

auf die Distanz, in der<br />

eine Stromtrasse<br />

akzeptiert wird<br />

Abbildung 6 zeigt, wie ähnlich die Versuchsteilnehmer unter Vorgabe der beiden<br />

Textbausteine reagieren. Dargestellt sind die kumulativen Prozentzahlen. Allerdings<br />

fallen auch Unterschiede auf. Um eine Lesehilfe zu geben: Eine Entfernung<br />

der eigenen Wohnung von der von 0 Metern bis 350 m ist für zirka 32% der Befragten,<br />

die den Text mit den Vor-sorge-<strong>Grenzwerte</strong> erhielten, akzeptabel. Erhalten<br />

die Befragten aber keine Vorsorge-Informationen so steigt dieser Wert auf<br />

zirka 33%%. Ob sich beiden Verteilungen der akzeptablen Distanzen statistisch<br />

signifikant unterscheiden, wurde sowohl mit parametrischen als auch nonparametrischen<br />

Verfahren überprüft . Es zeigen sich jedoch keine signifikanten<br />

Unterschiede. Somit lässt sich also schlussfolgern, dass Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong><br />

7<br />

Bei 2 x 2 Experiment mit Alpha= 0,05 <strong>und</strong> der Annahme eines mittleren Effekts mit f= 0.3 <strong>und</strong> einer<br />

Teststärke von 0.8 sind 23 Personen pro Versuchsbedingungen nötig.Die Teststärke gibt an, mit welcher<br />

Wahrscheinlichkeit eine Differenz signifikant wird, falls diese richtig ist.<br />

8<br />

Etwa 9% der Befragten gaben weder ihr Alter noch ihr Geschlecht an.<br />

18


4. Eigene Studie<br />

Abbildung 7:<br />

Entfernung, in der eine<br />

Stromtrasse akzeptabel<br />

ist<br />

bestenfalls keine Wirkung auf die Distanz haben, in der eine Stromtrasse im eigenen<br />

Wohnumfeld akzeptiert wird. Es ist jedoch ratsam, diesen Bef<strong>und</strong> in einer<br />

Replikationsstudie zu überprüfen.<br />

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn nach der Entfernung gefragt wird, in der<br />

nach Auffassung der Befragten die Mehrheit der Anwohner eine Höchstspannungsleitung<br />

akzeptieren würde (siehe Abb. 7). Im linken Bereich der Verteilung<br />

der akzeptierten Distanzen finden sich Unterschiede. Wird über Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong><br />

informiert, so sind die Entfernungen höher, als wenn keine solche Information<br />

gegeben wird.<br />

Über die gesamte Verteilung hinweg finden sich aber keine statistisch signifikanten<br />

Effekte durch die Vorgabe von strikteren <strong>Grenzwerte</strong>n.<br />

Wie zu erwarten war, wird im Mittel für die eigene Person eine höhere Entfernung<br />

angegeben als für die Mehrheit der Anwohner. Diese Differenz beträgt im<br />

Durchschnitt 453 Meter. Am häufigsten (23% der Versuchsteilnehmer) sind jedoch<br />

die beiden Entfernungsangaben gleich.<br />

Des Weiteren haben wir noch die Effekte der experimentellen Variation auf zwei<br />

weitere abhängige Variablen überprüft, die Überzeugungen betreffen. Die erste<br />

Frage lautete: „Reicht für Sie die Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um mögliche<br />

Bedenken <strong>und</strong> Ängste auszuräumen?“ Die zweite Frage hieß: „Reicht für Sie die<br />

Einhaltung des <strong>Grenzwerte</strong>s aus, um dem Bau der Höchstspannungsleitung in Ihrer<br />

Nachbarschaft zuzustimmen?“<br />

Wie bei der Frage nach den Entfernungen hatten die Versuchsteilnehmenden<br />

einmal für ihre eigene Person <strong>und</strong> zum anderen für ihre Sicht, wie die Mehrheit<br />

der Anwohnerreagieren würde, zu antworten. Die Antworten waren auf einer 7-<br />

19


4. Eigene Studie<br />

stufigenRating-Skala zu geben, mit den Endpunkten 1 = in sehr hohem Maße <strong>und</strong><br />

7 = gar nicht.<br />

Keine Reduktion von<br />

Ängsten durch<br />

Vorsorge-Information<br />

Der Vergleich der Mittelwerte für die eigene Person zeigt keine statistisch signifikanten<br />

Effekte für die Reduktion von Ängsten an, wenn Vorsorge-Informationen<br />

gegeben werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob rasch entschieden werden soll<br />

oder ob die Versuchspersonen gründlich nachdenken sollen. Für die <strong>Akzeptanz</strong><br />

einer Stromtrasse, wenn die <strong>Grenzwerte</strong> eingehalten werden, deutet sich eine<br />

Verbesserung unter Vorsorge an. Unter der Vorsorgebedingung erhöht sich die<br />

Zustimmung. Prüft man weiterhin diese Tendenz auf ihre statistische Signifikanz,<br />

so ergibt zwar die Varianzanalyse, dass sich unter der Vorsorgebedingung die<br />

Zustimmung erhöht. Allerdings zeigen die Mittelwerte auf der Ratingskala selbst<br />

dann noch eine ablehnende Tendenz an (siehe Anhang 6). Da weiterhin nicht alle<br />

nötigen Voraussetzungen für die Anwendung einer Varianzanalyse gegeben waren,<br />

wurde noch ein non-parametrischer Test gerechnet. Hier verschwindet der<br />

signifikante Einfluss von Informationen über Vorsorge auf die <strong>Akzeptanz</strong> wieder.<br />

Werden diese Fragen gestellt, um zu erfassen, wie die nach Ansicht der Versuchsteilnehmer<br />

die Mehrheit der Anwohner reagieren würde, so zeigen ebenfalls<br />

sich keine signifikanten Effekte (siehe Anhänge 9-12).<br />

Festzustellen ist also, dass risiko-bezogene <strong>und</strong> akzeptanz-bezogene Überzeugungen<br />

durch eine Grenzwert-Argumentation nicht beeinflusst werden.<br />

4.3 Zusammenfassung der wichtigsten Bef<strong>und</strong>e<br />

<br />

<br />

Wenn über die Einhaltung eines Vorsorgegrenzwertes informiert wird,<br />

werden Distanzen, in der eine Höchstspannungsleitung akzeptiert wird,<br />

zwar größer, dieser Effekt ist aber nicht statistisch signifikant.<br />

Wer aufgefordert ist gründlicher nachzudenken, gibt im Mittel eine höhere<br />

Distanz zu einer Höchstspannungsleitung an, aber auch dieser Effekt<br />

ist statistisch nicht signifikant.<br />

Werden die Versuchspersonen nach ihrer Meinung gefragt, ob die Einhaltung<br />

eines Grenzwerts ihre Ängste <strong>und</strong> Befürchtungen ausräumt, so<br />

spielt es keine Rolle, ob mit einem Vorsorge-Grenzwert argumentiert<br />

wird. Die Versuchspersonen reagieren immer eher skeptisch bis ablehnend.<br />

<br />

<br />

Werden die Versuchspersonen nach ihrer Meinung gefragt, ob sie bei<br />

Einhaltung eines <strong>Grenzwerte</strong>s dem Bau einer Höchstspannungsleitung<br />

in ihrer Nachbarschaft zuzustimmen, so deutet sich eine Verbesserung<br />

an, wenn mit einem Vorsorge-Grenzwert argumentiert wird. Diese Verbesserung<br />

ist aber nicht statistisch signifikant. Und im Mittel bleiben die<br />

Versuchspersonen auch dann skeptisch.<br />

Die Versuchspersonen gehen davon aus, dass die Mehrheit ängstlich gegenüber<br />

dem Bau einer Höchstspannungsleitung eingestellt ist <strong>und</strong> einen<br />

solchen Bau eher ablehnt. Diese Meinung ändert sich nicht, wenn Informationen<br />

über Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> gegeben wird.<br />

20


5. Schlussfolgerungen<br />

5. Schlussfolgerungen<br />

Zurück zur Ausgangsfrage: Welche Bedeutung hat eine Grenzwertsenkung auf<br />

die <strong>Akzeptanz</strong> der entsprechenden Anlage, hier: der Stromtrasse? Hilft die Argumentation<br />

mit <strong>Grenzwerte</strong>n bzw. mit dem Hinweis auf striktere <strong>Grenzwerte</strong>?<br />

Es zeigt sich, dass die Argumentation mit <strong>Grenzwerte</strong>n schwierig ist, da sie oft<br />

von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Es macht also wenig Sinn mit Mikro-<br />

Tesla zu argumentieren. Allerdings ist im Falle von <strong>Grenzwerte</strong>n, die als Distanzangaben<br />

(wie weit muss eine Stromtrasse entfernt sein) gegeben werden,<br />

nicht mit solchen Verständnis-Schwierigkeiten zu rechnen.<br />

Mit hoher Wahrscheinlichkeit gilt aber der folgende Bef<strong>und</strong> aus der Literatur generell:<br />

Überschreitungen von <strong>Grenzwerte</strong>n werden als Zeichen von Gefahr verstanden,<br />

Werte unterhalb eines <strong>Grenzwerte</strong>s werden aber nicht als Zeichen von<br />

ausreichender Sicherheit interpretiert. Auch bei einem 10fach niedrigeren<br />

Grenzwert bliebe diese Skepsis erhalten. Soweit zu den Hinweisen aus der wissenschaftlichen<br />

Literatur.<br />

Auch unsere eigene experimentelle Studie zur Wirkung von Informationen über<br />

Grenzwert-Verschärfungen zeigt keine positiven Effekte. Die Information über<br />

Vorsorge-<strong>Grenzwerte</strong> beim Bau einer Hochspannungsleitung führt nicht dazu,<br />

dass sich die Entfernung ändert, in der eine Höchstspannungsleitung in der eigenen<br />

Nachbarschaft akzeptiert wird. Einen Abstand von 350 Meter, der etwa<br />

einem Vorsorge-Grenzwert von 0,1 Mikro-Tesla entspricht, halten ungefähr<br />

68% der Versuchsteilnehmer, die über diesen Zusammenhang informiert wurden,<br />

für nicht ausreichend.<br />

Lassen sich für die Beantwortung der Ausgangsfrage Anleihen bei anderen Themen<br />

machen? Gibt es in jüngerer Zeit Grenzwertsenkungen, von denen man lernen<br />

könnte? Hier ist die Eurobarometer-Studie von 2010 aufschlussreich. Sie<br />

zeigt, dass es keine fixen Zusammenhänge zwischen Risikowahrnehmung <strong>und</strong><br />

Grenzwertsetzungen gibt. In Ländern mit strikteren <strong>Grenzwerte</strong>n ist die Risikowahrnehmung<br />

z.T. deutlich höher als in Ländern ohne solche Vorsorge-<br />

Regelungen.<br />

Andere, lebensweltnähere Informationen (wie z.B. Umweltverbände befürworten<br />

die Trassen, die soziale Verwurzelung des Unternehmens in der Region <strong>und</strong> das<br />

Genehmigungsverfahren ist unter Beteiligung von Vertretern der Anwohner<br />

durchgeführt worden) beeinflussen offenbar die <strong>Akzeptanz</strong> in einem höheren<br />

Maße. Dafür finden sich Hinweise in einer Studie in NRW durchgeführt wurde<br />

(Wiedemann <strong>und</strong> Claus, 2009). Wir empfehlen jedoch hierzu eine experimentelle<br />

Studie durchzuführen, um zu belastbaren Daten zu kommen.<br />

Im Falle einer Grenzwertsenkung wird die Einstellung der Bevölkerung dazu<br />

nicht nur von der Kommunikation der verantwortlichen Behörden oder des Übertragungsnetzbetreibers<br />

beeinflusst. Eine maßgebliche Rolle spielen hier Medienberichte.<br />

Daher wäre auch zu fragen, wie Journalisten solche Grenzwertsenkungen<br />

in ihren Berichten verarbeiten. In erster Näherung gehen wir davon aus, dass<br />

Journalisten nicht anders reagieren als die Befragten in den o.g. Studien. In<br />

zweiter Näherung erwarten wir eine journalistische Auseinandersetzung mit<br />

fachlichen <strong>und</strong> politischen Hintergründen, die zu einer Story verdichtet werden.<br />

Und hierbei könnten die oben aufgeführten lebenswelt-nahen Argumente für die<br />

Bewertung der <strong>Akzeptanz</strong> von Stromtrassen in Wohngebietsnähe durchaus von<br />

Bedeutung sein.<br />

21


6. Literatur<br />

renzwertverschärfungen<br />

fördern nicht<br />

die <strong>Akzeptanz</strong><br />

Fazit: Die Auswertung der wissenschaftlichen Literatur, unsere eigene empirische<br />

Studie sowie die Erfahrungen mit Grenzwertsenkungen in Bereich des Mobilfunks<br />

in Europa sprechen dafür, dass auch im Bereich der Niederfrequenz<br />

nicht davon auszugehen ist, dass Grenzwertverschärfungen zu einer <strong>Akzeptanz</strong>verbesserung<br />

führen. Bestenfalls bliebe sie in dieser Hinsicht wirkungslos.<br />

Vielmehr sollten andere, lebensweltnäheren Maßnahmen bevorzugt werden, um<br />

die Zustimmungsrate zu derartigen Vorhaben zu erhöhen.<br />

Die Studie entstand bei <strong>IKU</strong> als Dienstleister von Amprion. Verantwortlich ist Dr. Frank<br />

Claus, Geschäftsführer von <strong>IKU</strong> (Dortm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Berlin). Das sozialwissenschaftliche Experiment<br />

hat Prof. Dr. Wiedemann konzipiert <strong>und</strong> ausgewertet. Herr Prof. Dr. Wiedemann<br />

leitet das Wissenschaftsforum EMF in Berlin.<br />

6. Literatur<br />

Barnett et al. (2008).The hazards of indicators: insights from the environmental<br />

vulnerability index. Annals of the Association of American Geographers, 98, 102-<br />

119.<br />

Bickerstaff, K., Walker, G. (1999). Clearing the smog? Public responses to airquality<br />

information.Local Environment, 4, 279-294.<br />

Blettner, M.,Schlehofer, B., Breckenkamp, J., Kowall, B., Schmiedel, S., Reis, U.,<br />

Potthoff, P.,Schu z, J.& Berg-Beckhoff, G. (2009).Mobile phone base stations and<br />

adverse healtheffects: phase 1 of a population-based,cross-sectional study in<br />

Germany, Occupational and Environmental Medicine, 66, 118-123.<br />

Brohmann, B., Küppers, C., Ustohalov, V., Faulbaum, F. &Schreckenberg, D.<br />

(2009). Risikowahrnehmung <strong>und</strong> Risikokommunikation im Bereich Niederfrequenter<br />

Felder:(S30015); Abschlussbericht; Vorhaben 3608S03015. B<strong>und</strong>esamt<br />

für Strahlenschutz (BfS). http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0221-2009100601<br />

Claus, F. & Lührs,K., Wiedemann, P.M., Bendisch, B. Posse, K. (2012) Vermittlung<br />

von Informationen zum Strahlenschutz <strong>und</strong> deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.<br />

B<strong>und</strong>esamt für Strahlenschutz.<br />

http://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-<br />

2013030810341/3/BfS_2013_3611S70005.pdf<br />

Cousin, M.-E. &Siegrist, M. (2010). The public’s knowledge of mobile communication<br />

and its influence on base station siting preferences. Health, Risk & Society,<br />

12(3), 231-250.<br />

Cousin, M.-E., &Siegrist, M. (2011). Cell Phones and Health Concerns: Impact of<br />

Knowledge and Voluntary Precautionary Recommendations. Risk Analysis, 31(2),<br />

301-311.<br />

Devine-Wright, P., Devine-Wright, H. & Sherry-Brenna, F. (2010). Visible technologies,<br />

invisible organisations: An empirical study of public beliefs about electricity<br />

supply networks. Energy Policy, 38(8), 4127-4134.<br />

Eurobarometer (2010).Eurobarometer 73.3. Electromagnetic<br />

fields.http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_347_en.pdf<br />

22


6. Literatur<br />

Frick, U., Rehm, J. & Eichhammer, P. (2002). Risk perception, somatization, and<br />

self report of complaints related to electromagnetic fields - A randomized survey<br />

study. International Journal of Hygiene and Environmental Health, 205(5), 353-<br />

360.<br />

Johnson, B. B. (2000). Utility customers’ views of the “consumer confidence report”<br />

of drinking water quality. Risk: Health, Safety, & Environment, 11, 309–328.<br />

Johnson, B. B. (2004). Risk comparisons, conflict, and risk acceptability claims.<br />

Risk Analysis, 24, 131–145.<br />

Johnson, B. B., & Chess, C. (2004). How reassuring are risk comparisons to pollution<br />

standards and emission limits? Risk Analysis, 23, 999–1007.<br />

Kraus, N., Malmfors, T., &Slovic, P. (1992). Intuitive toxicology: Expert and lay<br />

judgments of chemical risks. Risk Analysis, 12,215–232.<br />

Krewski, D., Slovic, P., Bartlett, S., Flynn, J., & Mertz, C. K.(1995). Health risk<br />

perception in Canada II: Worldviews, attitudes and opinions. Human and Ecological<br />

Risk Assessment, 1, 231–248<br />

Kuhnreuther, H. &Slovic, P. (2002). The Affect Heuristic: Implications for Understanding<br />

and Managing Risk-Induced Stigma. In: R. Gowda, J.C. Fox (Hrsg.)<br />

Judgments, decisions, and public policy (S. 303-321). New York, USA: Cambridge<br />

University Press.<br />

Leitgeb, N., Schröttner, J. & Böhm, M. (2005). Does "electromagnetic pollution"<br />

cause illness? An inquiryamong Austrian generalpractitioners. Wiener Medizinische<br />

Wochenschrift, 155 (9-10), 237-241.<br />

Lipkus IM, Samsa G, Rimer BK.(2001) General performance on a numeracy scale<br />

among highly educated samples. Medical Decision Making, 21(1), 37-44.<br />

Neil, N., Malmfors, T. &Slovic, P. (1994): Intuitive toxicology: expert and lay judgments<br />

ofchemical risks. In: ToxicologicPathology, 22, 198-201.<br />

NRW (2007) Immissionsschutz in der Bauleitplanung Abstände zwischen Industrie-<br />

bzw. Gewerbegebieten <strong>und</strong> Wohngebieten im Rahmen der Bauleitplanung<br />

<strong>und</strong> sonstige fu r den Immissionsschutz bedeutsame Abstände (Abstandserlass)http://www.umwelt.nrw.de/umwelt/pdf/broschuere_immissionsschutz_baul<br />

eitplng.pdf<br />

MacGregor D.G., Slovic P. & Morgan M.G. (1994). Perception of risks from electromagnetic<br />

fields: a psychometric evaluation of a risk-communication approach.<br />

Risk analysis : an official publication of the Society for Risk Analysis, 14(5), 815-<br />

28.<br />

MacGregor, D. G., Slovic, P., &Malmfors, T. (1999). “How exposed is exposed<br />

enough?” Lay inferences about chemical exposure. Risk Analysis, 19, 649–659.<br />

Morgan, M.G., Slovic, P. & Nair, I. (1985).Powerline frequency electric and magnetic<br />

fields: A pilot study of risk perception. Risk Analysis, 5(2), 139-149.<br />

Morgan, M.G., Florig, H.K., Nair,I., Cortes, C., Marsh, K. &Pavlosky, K. (1990). Lay<br />

<strong>und</strong>erstanding of low-frequency electric and magnetic fields. Bioelectromagnetics,<br />

11, 313-335.<br />

23


6. Literatur<br />

Peters, E. M., Burraston, B. & Mertz, C. K.(2004).An emotion-based model of risk<br />

perception and stigma susceptibility: cognitive appraisals of emotion, affective<br />

reactivity, worldviews, and risk perceptions in the generation of technological<br />

stigma.Risk Analysis,24(5), 1349-67.<br />

Read, D. & Morgan, M. G. (1998). The Efficacy of Different Methods for Informing<br />

the Public About the Range Dependency of Magnetic Fields from High Voltage<br />

Power Lines Risk Analysis, 18(5), 603-610.<br />

Roth, E., Morgan, M.G., Fischhoff, B., Lave, L. &Bostrom, A. (1990) What do we<br />

know about making risk comparisons? Risk Analysis, 10(3), 375-387.<br />

Rudski, J.M., Osei, W., Jacobson, A.R. & Lynch, C.R. (2011). Would you rather be<br />

injured by lightning or a downed power line? Preference for natural hazards.<br />

Judgment and Decision Making, 6(4), 314-322.<br />

Siegrist, M., Keller, C. & Cousin, M-E. (2006). Implicit Attitudes Toward Nuclear<br />

Power and Mobile Phone Base Stations: Support for the Affect Heuristic. Risk<br />

Analysis, 26(4), 1021-1029.<br />

Slovic, P., Flynn, J. H. & Layman, M. (1991)Perceived Risk, Trust, and the Politics<br />

of Nuclear Waste. Science, 254(5038), 1603-1607.<br />

Schwarz, N. & Song, H. (2009).If It’s Difficult to Pronounce, It Must Be Risky - Fluency,<br />

Familiarity, and Risk Perception.Psychological Science, 20(2), 135-138.<br />

Schweizer-Ries, P. & Rau, I. (2010).Umweltpsychologische Untersuchung der <strong>Akzeptanz</strong><br />

von Maßnahmen zur Netzintegration Erneuerbarer Energien in der Region<br />

Wahle – Mecklar (Niedersachsen <strong>und</strong> Hessen. Abschlussbericht.http://www.fgumwelt.de/assets/files/<strong>Akzeptanz</strong>%20Netzausbau/Abschlussbericht_<strong>Akzeptanz</strong>_Net<br />

zausbau_Juni2010.pdf<br />

Visschers, V.H.M., Meertens, R.M., Passchier, W.F. & De Vries, N.K. (2007). An associative<br />

approach to risk perception: Measuring the effects of risk communications<br />

directly and indirectly. Journal ofRisk Research, 10(3), 371-383.<br />

Walter, F et al. (2013). Die neue Macht der Bürger. Was motiviert Protestbewegungen?<br />

Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag.<br />

Wiedemann et al. (2009). Laiengerechte Kommunikation wissenschaftlicher Unsicherheiten<br />

im Bereich EMF. Forschungsvorhaben StSch 30016, für das B<strong>und</strong>esamt<br />

für Strahlenschutz.<br />

Wiedemann P.M. (2010). Vorsorge-Prinzip <strong>und</strong> Risikoängste. Wiesbaden: VS Verlag<br />

fu r Sozialwissenschaften.<br />

Wiedemann, P. M., Schuetz, H., Boerner, F., Clauberg, M., Croft, R., Shukla, R.,<br />

Kikkawa, T., Kemp, R., Gutteling, J. M., de Villiers, B., da Silva Medeiros, F. N. &<br />

Barnett, J. (2013) When Precaution Creates Mis<strong>und</strong>erstandings: The Unintended<br />

Effects of Precautionary Information on Perceived Risks, the EMF Case Risk<br />

Analysis, Article first published online: 28 MAR 2013 | DOI: 10.1111/risa.12034<br />

Wiedemann, P.M., & Claus, F. (2009). Survey zur <strong>Akzeptanz</strong> von Industrie in NRW.<br />

Dortm<strong>und</strong>: <strong>IKU</strong>.<br />

24


6. Literatur<br />

Wiedemann, P.M., Häder, M. & Schütz, H. (2010). Wahrnehmung von Mobilfunkrisiken<br />

sowie die Einschätzung der Eignung <strong>und</strong> Befolgung von Vorsorgemaßnahmen.<br />

Jülich: MUT Veröffentlichungen.<br />

Wiedemann, P.M. & Schütz, H. (2005). The precautionary principle and risk<br />

perception: Experimental studies in the EMF area. Environmental Health Perspectives,<br />

113(4), 402-405.<br />

Wiedemann, P.M., Schütz, H., Sachse, K. &Jungermann,H. (2006). SAR values of<br />

mobile phones. Safety evaluation and risk perception. [SAR-Werte von Mobiltelefonen.<br />

Sicherheitsbewertung <strong>und</strong> Risiko-Wahrnehmung] B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitsblatt<br />

- Ges<strong>und</strong>heitsforschung - Ges<strong>und</strong>heitsschutz, 49(2), 211-216.<br />

25


Anhang<br />

Anhang<br />

Anhang 1:Ausbildungsabschluss<br />

Anhang 2: Persönliche Entfernungsangaben<br />

26


Anhang<br />

Anhang 3:Varianzanalyse zu den persönlichen Entfernungsangaben<br />

Anhang 4:Entfernungsangaben für die Mehrheit der Anwohner<br />

27


Anhang<br />

Anhang 5: Varianzanalyse für die Entfernungsangaben für die Mehrheit der Anwohner<br />

Die Art der Informationsverarbeitung ( F2: elaboriertvs. rasch)hat keinen statistisch<br />

signifikanten Einfluss auf die persönliche Distanz, in der Stromtrassen akzeptabel<br />

sind. Vorsorge ( F1)hat einen Effekt: Mit Information über Vorsorge<br />

steigt die akzeptable Entfernung statistisch signifikant an. Da aber keine Homogenität<br />

der Varianzen vorliegt ist diese Signifikanz nicht haltbar. Der angemessenere<br />

nicht-parametrischer Test zeigt keinen signifikanten Unterschied mehr: Es<br />

macht keinen Unterschied, ob über einen Vorsorge-Grenzwert informiert wird.<br />

Anhang 6:Zusammenfassende Bewertung für die eigene Person<br />

28


Anhang<br />

Anhang 6:Zusammenfassende Bewertung für die eigene Person<br />

Anhang 7:Varianzanalysefür die zusammenfassende Bewertung für die eigene<br />

Person<br />

Anhang 8: Varianzanalyse für die zusammenfassende Bewertung für die eigene<br />

Person<br />

29


Anhang<br />

Der signifikante Effekt in der Varianzanalyse (F= 4,13, p< 0,05) für die Vorsorge(f1=<br />

Vorsorge)verschwindet jedoch bei einem Test mit nicht-parametrischen<br />

Verfahren .Da die Varianzhomogenität nicht gegeben ist, ist der nichtparametrische<br />

Bef<strong>und</strong> stärker zu gewichten.<br />

Anhang 9:Zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit der Anwohner<br />

Anhang 10: Zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit der Anwohner<br />

30


Anhang<br />

Anhang 11:Varianzanalysefür die zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit<br />

der Anwohner<br />

31


Anhang<br />

Anhang 12:Varianzanalysefür die zusammenfassende Bewertung für die Mehrheit<br />

der Anwohner<br />

32

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!