Expertenchat „Das schwerbrandverletzte Kind“
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<strong>Expertenchat</strong><br />
<strong>Expertenchat</strong> <strong>„Das</strong> <strong>schwerbrandverletzte</strong> <strong>Kind“</strong><br />
29. September 2010, 19.00 – 20.00 Uhr<br />
Öffentlicher Chat Univ.-Prof. Peter M. Vogt (Direktor der Klinik und Poliklinik für<br />
Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Medizinischen<br />
Hochschule Hannover)<br />
Was ist zu tun, wenn sich mein Kind etwa mit einer Tasse Kaffee verbrüht hat?<br />
Hilft es, wie man immer wieder hört, Mehl auf die Haut zu geben?<br />
Zuerst muss man die durchtränkten Kleidungstücke entfernen, damit die erste<br />
Hitze entfernt wird. Danach sollte man mit einem kühlen, wassergetränkten<br />
Handtuch kühlen. Wenn das Kind es duldet, kann man kaltes Wasser z. B. über<br />
das Ärmchen laufen lassen – aber nicht länger als 15 Minuten, damit es nicht zur<br />
Auskühlung kommt. „Hausmittelchen“ wie Mehl schaden eher als dass sie<br />
nützen. Bei sichtbaren Schäden (deutliche Rötung, Blasenbildung), sollte man<br />
unbedingt zum Arzt gehen. Bei leichter Rötung genügt eine fettende Salbe aus<br />
der Apotheke.<br />
Verbrannt hat sich bestimmt jeder schon einmal – doch was genau bedeutet<br />
eigentlich „schwerbrandverletzt“?<br />
Wenn mehr als zehn Prozent der Körperoberfläche beim Kind oder mehr als 15<br />
Prozent beim Erwachsenen oder besondere Regionen (Gesicht, Genitalien,<br />
Hände) tiefgradig (2. oder 3. Grades) verbrannt sind, handelt es sich um eine<br />
schwere Verbrennung. Diese sollte unbedingt in einem so genannten<br />
„Verbrennungszentrum“ behandelt werden.<br />
Falls es zu schweren Verbrennungen kommt – kann ich dann sicher sein, dass<br />
der gerufene Krankenwagen mich bzw. mein Kind auch in ein solches Zentrum<br />
bringt. Gibt es diese flächendeckend?<br />
Rettungskräfte fahren in der Regel erst einmal die nächste Klinik an, wo dann<br />
über eine Weiterverlegung in ein Verbrennungszentrum entschieden wird.<br />
Diese Koordination erfolgt über die Verbrennungsbettenzentrale in Hamburg,<br />
die genaue Daten zur Verfügbarkeit der Zentren hat.<br />
Wie sieht der Alltag in solch einem Verbrennungszentrum aus? Was passiert,<br />
nachdem ein Kind eingeliefert wird?<br />
Zunächst erfolgt die Stabilisierung des Patienten (Überwachung Atmung,<br />
Herzschlag, etc.; Schmerztherapie; evtl. Katheter, Zugänge), dann eine intensive<br />
Sichtung und Prüfung OP-pflichtiger Sofortmaßnahmen (z. B. wichtiger<br />
Entlastungsschnitte). Es werden Verbände angelegt, und das Kind wird in die so<br />
genannte „Box“ verlegt – ein klimatisiertes Intensivzimmer, um den Patienten<br />
Deutsche Gesellschaft der<br />
Plastischen, Rekonstruktiven und<br />
Ästhetischen Chirurgen<br />
Langenbeck-Virchow-Haus<br />
Luisenstraße 58-59, 10117 Berlin<br />
Fon: 030 / 28 00 44 50<br />
Fax: 030 / 28 00 44 59<br />
www.dgpraec.de<br />
info@dgpraec.de
vor Auskühlung zu schützen. In den folgenden Tagen erfolgen dann weitere<br />
notwendige Maßnahmen (Beatmung, künstliche Ernährung, weitere<br />
Operationen wie Abtragung verbrannter Haut und Hauttransplantationen)<br />
Das klingt sehr aufwändig und langwierig. Wie lange kann sich eine solche<br />
Behandlung im schlimmsten Fall hinziehen. Werden Eltern und Kinder<br />
psychologisch betreut? Ist es vorgesehen, dass Eltern bei Ihren Kindern<br />
bleiben? Geht das in dieser Box überhaupt?<br />
Eine Mutter-Kind-Unterbringung ist in der Intensivmedizin leider nicht möglich.<br />
Psychologische Betreuung gehört selbstverständlich dazu. Eine Behandlung<br />
kann in sehr schweren Einzelfällen viele Monate dauern<br />
Welches war Ihr kompliziertester Fall eines <strong>schwerbrandverletzte</strong>n Kindes?<br />
Ein kleiner fünfjähriger Junge, der sich versehentlich selbst angezündet hat und<br />
zu nahezu 90 Prozent verbrannt war. Nachdem er die schwierige Intensivzeit<br />
überstanden hatte, habe ich ihn wegen der gravierenden Folgen mit plastischchirurgischen<br />
Methoden nachoperieren müssen. Kompliziert war auch ein<br />
anderer Fall, bei dem weniger die medizinischen Probleme als vielmehr die<br />
problematische soziale Situation der Familie eine konsequente<br />
Nachbehandlung nahezu unmöglich machte.<br />
Nimmt man solche Fälle „seelisch“ abends mit nach Hause?<br />
Ja. Die bei brandverletzten Kindern auftretenden schweren Langzeitfolgen sind<br />
eine Herausforderung für unsere klinische Arbeit und insbesondere für unsere<br />
Forschung. Für einen Arzt sind sie aber auch immer eine psychische Belastung,<br />
da wir die Folgen nie „unsichtbar“ machen können – allenfalls lindern. Die<br />
Prävention der kindlichen Brandverletzungen ist daher die beste Therapie.<br />
Kann sich die Haut nach einer schweren Verbrennung noch selber<br />
regenerieren? Wenn nein – wie wird sie ersetzt? Bei einer Verbrennung von 90<br />
Prozent der Hautoberfläche kann ja nicht alles vernarben, oder?<br />
Die Heilung ist tiefenabhängig. Sind noch oberflächlichere Lederhautreste mit<br />
Hautanhangsgebilden wie Haarbälgen und Schweißdrüsen vorhanden, kann die<br />
Deckhaut (Epidermis) regenerieren. Tiefere Verbrennungen müssen mit<br />
Hautverpflanzungen ersetzt werden. Da gelangt man bei 90 Prozent der Fälle<br />
wegen der körpereigenen Spende-Areale an Grenzen und muss künstliche<br />
Zuchthaut aus dem Labor verwenden.
Kann denn eine Tasse Kaffee eine derart starke Verbrühung auslösen, dass die<br />
Deckhaut komplett zerstört ist? Ein Kind wächst ja noch – Narben und<br />
transplantierte künstliche oder eigene Haut wachsen ja nicht mit, oder? Wie<br />
löst man dieses Problem?<br />
Heiße Flüssigkeiten können abhängig von Ausgangstemperatur und<br />
Einwirkdauer der Hitze sehr tiefe Verbrühungen auslösen, so dass auch bei<br />
Spontanheilung oft Narbenplatten zurückbleiben können. Verpflanzte Haut und<br />
Narben wachsen natürlich schlechter. Daher müssen, um<br />
Wachstumsbehinderungen bei den kleinen Patienten vorzubeugen, Narben mit<br />
plastisch-chirurgischen Methoden möglichst frühzeitig korrigiert werden.<br />
Manchmal leider auch mehrfach im weiteren Leben.