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Dezember 2003 - Der Fels

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Folgende Zeilen sind einem<br />

Aufsatz des Darmstädter<br />

Sozialrichters Dr. Jürgen Borchert<br />

entnommen. Sie resümieren<br />

die demographische Situation und<br />

die Folgen der Kinderlosigkeit.<br />

<strong>Der</strong> Dreißigjährige Krieg (1618<br />

-1648) gilt als die größte Tragödie<br />

deutscher Geschichte.<br />

Deutschland verlor etwa 30 bis 40<br />

Prozent seiner Bevölkerung, und<br />

es dauerte weit über 100 Jahre, bis<br />

der Vorkriegsstandard der Lebenshaltung<br />

wieder erreicht wurde.<br />

Etwa die gleiche Größenordnung<br />

wird die Bevölkerungsschrumpfung<br />

in Deutschland bis<br />

zum Jahr 2030 ausmachen. Die<br />

Geburtenrate in Deutschland<br />

sinkt seit 1967. Seit 1972 liegt<br />

sie unter jener der bittersten<br />

Kriegsjahre 1917/18 und 1945.<br />

Wurden 1965 in Gesamtdeutschland<br />

noch 1. 325 Millionen Kinder<br />

geboren, waren es 1999 gerade<br />

mal 771 000 und damit rund<br />

42 Prozent weniger. Und das, obwohl<br />

die geburtenstarken Jahrgänge<br />

von damals nun die Elterngeneration<br />

stellen! Hält diese Entwicklung<br />

weiter an, kann man<br />

sich die Folgen an den Fingern<br />

einer Hand abzählen. Dann werden<br />

wir 2030 nur noch 470 000<br />

Geburten zählen. Die Generation<br />

junger Frauen, „das grüne Holz<br />

des Lebensbaumes“, wird im Jahr<br />

2030 gegenüber ihrem Anteil zu<br />

Beginn der 70er Jahre schon um<br />

70 Prozent abgenommen haben.<br />

Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung.<br />

Deutschland wird zum<br />

Seniorenweltmeister: Ist heute jeder<br />

zweite Mann älter als 37 und<br />

jede zweite Frau älter als 40 Jahre,<br />

wird im Jahr 2030 jeder zweite<br />

Mann über 48 und jede zweite<br />

Frau über 51 Jahre alt sein. Wenn<br />

man weiß, dass international konkurrierende<br />

Konzerne wie IBM<br />

bereits 50-jährige in den Vorruhestand<br />

schicken, ahnt man die<br />

Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort.<br />

Dabei hatte<br />

Deutschland (hinter Irland) noch<br />

Fatale Folgen<br />

Von Jürgen Borchert<br />

bis Mitte der 60er Jahre in Europa<br />

die höchste Geburtenrate. Damals<br />

blieb nur etwa jeder zehnte kinderlos,<br />

während der Anteil der lebenslang<br />

Kinderlosen heute bei vierzig<br />

Prozent liegt. Und obwohl die<br />

Mehrkinderfamilie damals die gesellschaftliche<br />

Norm darstellte, war<br />

der sogenannte Familienlastenausgleich<br />

dennoch unvergleichlich<br />

besser als heute.<br />

Die Perspektiven für Deutschland<br />

sind grau. Heute schon fehlt in<br />

Schlüsselbranchen und im Handwerk<br />

der Nachwuchs; Konzerne wie<br />

Procter&Gamble stellen bereits ihre<br />

Windelproduktion ein. Die Experten<br />

erwarten eine Vollbremsung der<br />

Wirtschaft. Gleichzeitig warnen sie<br />

vor dem dramatischen Anstieg der<br />

sozialen Lasten – Rente, Pflege, Gesundheit.<br />

Aber die Politik will den<br />

Ernst der Lage offensichtlich nicht<br />

sehen, sondern verharmlost: Man<br />

könne die defizitäre Geburtenentwicklung<br />

durch Zuwanderung<br />

ausgleichen, die Bevölkerungsentwicklung<br />

entlaste doch den Arbeitsmarkt<br />

und sei ökologisch wünschenswert,<br />

weniger Kinder würden<br />

auch die Staatskasse entlasten,<br />

und endlich litten auch die meisten<br />

anderen europäischen Länder unter<br />

denselben Problemen. Das ist,<br />

Punkt für Punkt, kapitaler Selbstbetrug:<br />

Erstens: Entlastung der Staatskasse:<br />

Jawohl, von diesem Blickpunkt<br />

aus hätten wir am besten gar<br />

keine Kinder! Absurd!<br />

Zweitens: Zuwanderung: Wenn,<br />

was richtig ist, überall in Europa<br />

Kinder fehlen, dann kann Zuwanderung<br />

nur aus außereuropäischen<br />

Regionen kommen, und es müssten,<br />

um nur den Bevölkerungsstand<br />

zu halten, jedes Jahr rund 500 000<br />

Ausländer zu uns kommen; die<br />

Altersstrukturen würden dadurch<br />

aber höchstens minimal verändert.<br />

Diese Menschen müssen darüber<br />

hinaus integriert werden, was einen<br />

gigantischen Aufwand an sprachlicher,<br />

schulischer und beruflicher<br />

Ausbildung erfordert. Dieser<br />

kommt zu den ohnehin zu bewältigenden<br />

Lastenzuwächsen im sozialen<br />

Bereich ja noch hinzu. Unterlassen<br />

wir die notwendige Integration<br />

aber, dann drohen uns<br />

womöglich bürgerkriegsähnliche<br />

Zustände, wie sie heute schon in<br />

manchen französischen Großstädten<br />

an der Tagesordnung sind.<br />

Nicht von der Hand zu weisen ist<br />

überdies die Gefahr, dass die Zuwanderer<br />

auch ihre ethnischen und<br />

politischen Konflikte aus den Heimatländern<br />

– siehe Kurden und<br />

Türken in Deutschland – importieren;<br />

der Sicherheitsbedarf<br />

steigt. Nehmen wir nur die am<br />

besten ausgebildeten Arbeitskräfte<br />

der Dritten Welt, dann schaffen<br />

wir für die Herkunftsländer<br />

genau die wirtschaftlichen und<br />

sozialen Probleme, die wir heute<br />

mittels der Entwicklungshilfe eigentlich<br />

beseitigen wollen. Nachdem<br />

der Erfolg der „greencard“<br />

auf sich warten lässt, stellt sich<br />

sogar die Frage, ob die Besten<br />

überhaupt ausgerechnet zu uns<br />

kommen wollen. Die USA, Kanada,<br />

Australien sind vielleicht<br />

attraktiver. Umgekehrt machen<br />

sich überdies immer mehr der<br />

begabtesten Nachwuchswissenschaftler<br />

Deutschlands auf ins<br />

Ausland. Fazit: Das Zuwanderungskonzept<br />

bietet überhaupt<br />

keine realistische Lösungsmöglichkeit.<br />

Drittens: Genauso illusorisch<br />

sind die Arbeitsmarkterwartungen.<br />

Denn weniger Kinder bedeuten<br />

weniger Wirtschaftswachstum<br />

und weniger Bedarf an<br />

Kindergärtnerinnen, Lehrern sowie<br />

Professoren, gleichzeitig<br />

drängen immer mehr Frauen auf<br />

den Arbeitsmarkt und viele Firmen<br />

schließen ihre Betriebe, wie<br />

das Beispiel Procter&Gamble<br />

zeigt. Abnehmende Kinderzahlen<br />

lassen deshalb eher steigende<br />

als sinkende Arbeitslosenzahlen<br />

erwarten.<br />

DER FELS 12/<strong>2003</strong> 345

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