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Familienwohl und Gemeinwohl<br />
Zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen / Teil II und Schluss<br />
Von Jürgen Liminski<br />
Die Familienfrage ist die<br />
Schlüsselfrage für die Zukunft<br />
der Sozialversicherung.<br />
Es geht nicht, wie die Medien<br />
jetzt mit Talkshows und zahllosen<br />
Artikeln vorgaukeln, um einen Gegensatz<br />
zwischen Alt und Jung. Die<br />
Rentner haben die jüngsten Beschlüsse<br />
der Regierung, ihnen im<br />
kommenden Jahr eine Nullrunde<br />
zuzumuten, relativ gelassen zur<br />
Kenntnis genommen. Die Statistik<br />
weiß warum: In keiner Bevölkerungsgruppe<br />
gibt es so wenig<br />
„Arme“ wie bei den Personen über<br />
65 Jahren. Allerdings gilt auch:<br />
Heute werden vor allem die Mütter<br />
um den Alterslohn für ihre Lebensleistung<br />
geprellt. Mehr als 75 Prozent<br />
der Frauenrenten liegen unter<br />
Sozialhilfeniveau. Das ist, wie der<br />
renommierte frühere Verfassungsrichter<br />
Paul Kirchhof erst jüngst<br />
schrieb, ein „rechtsstaatlicher Skandal“.<br />
Dennoch, die Zahl der Sozialhilfeempfänger<br />
unter den Senioren<br />
stagniert, bei den Jungen steigt sie<br />
sprunghaft – mit ihr die Angst, eine<br />
kinderreiche Familie zu gründen<br />
oder unterhalten zu müssen. Denn<br />
das sei, wie der ehemalige Caritas-<br />
Präsident öffentlich beklagte, ein<br />
sicherer Weg zum Ruin.<br />
Nein, es geht heute um den Gegensatz<br />
innerhalb der Generationen,<br />
und zwar zwischen denen, die<br />
Kinder haben auf der einen und den<br />
Kinderlosen auf der anderen Seite.<br />
Hier vor allem ist die Gerechtigkeitslücke<br />
zu orten und zu beheben. Und<br />
betroffen von der Lücke sind vor<br />
allem die Mütter. Sie sind die stillen<br />
Helden der Nation, die Zukunftssicherer<br />
und zugleich die Sklaven<br />
des Systems.<br />
Heute werden rund 25 Prozent<br />
der kinderlosen oder kinderarmen<br />
Personen über die Sozialsysteme<br />
von den Kindern anderer Leute ver-<br />
sorgt, 2030 werden es bereits fünfzig<br />
Prozent sein. Dabei ist natürlich<br />
zu bemerken, dass es bei den Trittbrettfahrern<br />
des Systems nicht um<br />
diejenigen geht, die unverschuldet<br />
kinderlos sind. Diese Gruppe hat<br />
sich mit diesem Schicksal meist abgefunden<br />
und Lösungen nicht nur<br />
für ihre Altersvorsorge gefunden,<br />
sondern auch für ihren sozialen<br />
Beitrag. Aus dieser Gruppe kommen<br />
zum Beispiel viele ehrenamtliche<br />
soziale Engagements. Es wäre<br />
ungerecht, sie mit den bewusst kinderlosen<br />
Singles in einen Topf zu<br />
werfen. Die bewusst und gewollt<br />
kinderlos Bleibenden sind die Trittbrettfahrer<br />
des Systems. Man findet<br />
nicht wenige von ihnen auch in der<br />
Politik, was zu einem guten Teil erklären<br />
mag, warum die Reformdebatte<br />
so quer läuft und warum die<br />
Debattierer sich nicht mit der wandelnden<br />
Struktur des Sozialstaats,<br />
sondern fast nur mit den Symptomen<br />
der Krise, den Löchern in den<br />
Kassen, befassen.<br />
Die Rentenformel<br />
Rentenartfaktor<br />
x Engeltpunkte<br />
x Zugangsfaktor<br />
x aktueller Rentenwert<br />
= Monatsrente<br />
Die vereinfachte Rentenformel: Die<br />
ausführliche Rentenformel hat sehr<br />
viel mehr Variablen und ist ein<br />
Hochgenuss für Mathematiker. Den<br />
Politikern bereitet sie Kopfzerbrechen.<br />
Denn so sehr und soviel sie<br />
auch damit herumrechnen, irgendwie<br />
geht die Gleichung nicht auf:<br />
es kommt immer ein Minus heraus.<br />
Zum Beispiel Schröder und Fischer,<br />
die späten Heroen der 68er-<br />
Generation, deren Politiker-Rente<br />
sich nach wenigen Jahren schon auf<br />
das zigfache beläuft. Sie haben keine<br />
eigenen Kinder, jedenfalls ist von<br />
eigenen nichts bekannt. Sie sind<br />
Prototypen einer Generation, die<br />
Mitte der sechziger in das biologisch<br />
elternfähige Alter kam und auf<br />
dem Trittbrett des Systems kinderlos<br />
durch die Institutionen rauschte.<br />
Ihre Kinder fehlen heute in der<br />
Erwerbsbevölkerung, mit ihnen die<br />
Beitragszahler für das System. Und<br />
zwar nicht nur bei der Rente, sondern<br />
auch im Gesundheitswesen,<br />
bei der Pflege, bei der Arbeitslosenversicherung,<br />
kurz: bei allen umlagefinanzierten<br />
Sozialsystemen.<br />
Langsam wird im Morgennebel der<br />
Flurschaden sichtbar, der in der<br />
durchzechten Nacht der Revolutionäre<br />
in Hirn und Herz der jungen<br />
Menschen angerichtet wurde. Am<br />
schlimmsten wüteten die Parolen<br />
gegen die sogenannte traditionelle<br />
Familie. Hier wurde im Rausch die<br />
Zukunft verspielt. Und ebenso<br />
schlimm war, dass die Politik in<br />
den letzten drei, vier Jahrzehnten<br />
nicht reagierte, sondern der Seuche<br />
der antifamiliären Haltung, dem<br />
Ich-Denken und der damit verbundenen<br />
Verhütungsmentalität freien<br />
Lauf ließ.<br />
Es ist politisch nicht korrekt, darauf<br />
hinzuweisen, und kein Politiker<br />
traut sich, es zu sagen: Sie tauchen<br />
bei den Variablen nicht auf, die abgetriebenen<br />
und verhüteten Kinder,<br />
aber sie stecken im Minus, und deshalb<br />
wird die intragenerationelle<br />
Verteilungsfrage nicht irgendwann<br />
in 2015, 2025 oder 2030 zu entscheiden<br />
sein, sondern heute, im<br />
Herbst und Winter <strong>2003</strong>/4. Wird sie<br />
nicht entschieden, drohen Deutschland<br />
wegen der anstehenden Serie<br />
344 DER FELS 12/<strong>2003</strong>