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Dezember 2003 - Der Fels

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Familienwohl und Gemeinwohl<br />

Zur Gerechtigkeit zwischen den Generationen / Teil II und Schluss<br />

Von Jürgen Liminski<br />

Die Familienfrage ist die<br />

Schlüsselfrage für die Zukunft<br />

der Sozialversicherung.<br />

Es geht nicht, wie die Medien<br />

jetzt mit Talkshows und zahllosen<br />

Artikeln vorgaukeln, um einen Gegensatz<br />

zwischen Alt und Jung. Die<br />

Rentner haben die jüngsten Beschlüsse<br />

der Regierung, ihnen im<br />

kommenden Jahr eine Nullrunde<br />

zuzumuten, relativ gelassen zur<br />

Kenntnis genommen. Die Statistik<br />

weiß warum: In keiner Bevölkerungsgruppe<br />

gibt es so wenig<br />

„Arme“ wie bei den Personen über<br />

65 Jahren. Allerdings gilt auch:<br />

Heute werden vor allem die Mütter<br />

um den Alterslohn für ihre Lebensleistung<br />

geprellt. Mehr als 75 Prozent<br />

der Frauenrenten liegen unter<br />

Sozialhilfeniveau. Das ist, wie der<br />

renommierte frühere Verfassungsrichter<br />

Paul Kirchhof erst jüngst<br />

schrieb, ein „rechtsstaatlicher Skandal“.<br />

Dennoch, die Zahl der Sozialhilfeempfänger<br />

unter den Senioren<br />

stagniert, bei den Jungen steigt sie<br />

sprunghaft – mit ihr die Angst, eine<br />

kinderreiche Familie zu gründen<br />

oder unterhalten zu müssen. Denn<br />

das sei, wie der ehemalige Caritas-<br />

Präsident öffentlich beklagte, ein<br />

sicherer Weg zum Ruin.<br />

Nein, es geht heute um den Gegensatz<br />

innerhalb der Generationen,<br />

und zwar zwischen denen, die<br />

Kinder haben auf der einen und den<br />

Kinderlosen auf der anderen Seite.<br />

Hier vor allem ist die Gerechtigkeitslücke<br />

zu orten und zu beheben. Und<br />

betroffen von der Lücke sind vor<br />

allem die Mütter. Sie sind die stillen<br />

Helden der Nation, die Zukunftssicherer<br />

und zugleich die Sklaven<br />

des Systems.<br />

Heute werden rund 25 Prozent<br />

der kinderlosen oder kinderarmen<br />

Personen über die Sozialsysteme<br />

von den Kindern anderer Leute ver-<br />

sorgt, 2030 werden es bereits fünfzig<br />

Prozent sein. Dabei ist natürlich<br />

zu bemerken, dass es bei den Trittbrettfahrern<br />

des Systems nicht um<br />

diejenigen geht, die unverschuldet<br />

kinderlos sind. Diese Gruppe hat<br />

sich mit diesem Schicksal meist abgefunden<br />

und Lösungen nicht nur<br />

für ihre Altersvorsorge gefunden,<br />

sondern auch für ihren sozialen<br />

Beitrag. Aus dieser Gruppe kommen<br />

zum Beispiel viele ehrenamtliche<br />

soziale Engagements. Es wäre<br />

ungerecht, sie mit den bewusst kinderlosen<br />

Singles in einen Topf zu<br />

werfen. Die bewusst und gewollt<br />

kinderlos Bleibenden sind die Trittbrettfahrer<br />

des Systems. Man findet<br />

nicht wenige von ihnen auch in der<br />

Politik, was zu einem guten Teil erklären<br />

mag, warum die Reformdebatte<br />

so quer läuft und warum die<br />

Debattierer sich nicht mit der wandelnden<br />

Struktur des Sozialstaats,<br />

sondern fast nur mit den Symptomen<br />

der Krise, den Löchern in den<br />

Kassen, befassen.<br />

Die Rentenformel<br />

Rentenartfaktor<br />

x Engeltpunkte<br />

x Zugangsfaktor<br />

x aktueller Rentenwert<br />

= Monatsrente<br />

Die vereinfachte Rentenformel: Die<br />

ausführliche Rentenformel hat sehr<br />

viel mehr Variablen und ist ein<br />

Hochgenuss für Mathematiker. Den<br />

Politikern bereitet sie Kopfzerbrechen.<br />

Denn so sehr und soviel sie<br />

auch damit herumrechnen, irgendwie<br />

geht die Gleichung nicht auf:<br />

es kommt immer ein Minus heraus.<br />

Zum Beispiel Schröder und Fischer,<br />

die späten Heroen der 68er-<br />

Generation, deren Politiker-Rente<br />

sich nach wenigen Jahren schon auf<br />

das zigfache beläuft. Sie haben keine<br />

eigenen Kinder, jedenfalls ist von<br />

eigenen nichts bekannt. Sie sind<br />

Prototypen einer Generation, die<br />

Mitte der sechziger in das biologisch<br />

elternfähige Alter kam und auf<br />

dem Trittbrett des Systems kinderlos<br />

durch die Institutionen rauschte.<br />

Ihre Kinder fehlen heute in der<br />

Erwerbsbevölkerung, mit ihnen die<br />

Beitragszahler für das System. Und<br />

zwar nicht nur bei der Rente, sondern<br />

auch im Gesundheitswesen,<br />

bei der Pflege, bei der Arbeitslosenversicherung,<br />

kurz: bei allen umlagefinanzierten<br />

Sozialsystemen.<br />

Langsam wird im Morgennebel der<br />

Flurschaden sichtbar, der in der<br />

durchzechten Nacht der Revolutionäre<br />

in Hirn und Herz der jungen<br />

Menschen angerichtet wurde. Am<br />

schlimmsten wüteten die Parolen<br />

gegen die sogenannte traditionelle<br />

Familie. Hier wurde im Rausch die<br />

Zukunft verspielt. Und ebenso<br />

schlimm war, dass die Politik in<br />

den letzten drei, vier Jahrzehnten<br />

nicht reagierte, sondern der Seuche<br />

der antifamiliären Haltung, dem<br />

Ich-Denken und der damit verbundenen<br />

Verhütungsmentalität freien<br />

Lauf ließ.<br />

Es ist politisch nicht korrekt, darauf<br />

hinzuweisen, und kein Politiker<br />

traut sich, es zu sagen: Sie tauchen<br />

bei den Variablen nicht auf, die abgetriebenen<br />

und verhüteten Kinder,<br />

aber sie stecken im Minus, und deshalb<br />

wird die intragenerationelle<br />

Verteilungsfrage nicht irgendwann<br />

in 2015, 2025 oder 2030 zu entscheiden<br />

sein, sondern heute, im<br />

Herbst und Winter <strong>2003</strong>/4. Wird sie<br />

nicht entschieden, drohen Deutschland<br />

wegen der anstehenden Serie<br />

344 DER FELS 12/<strong>2003</strong>

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