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Jesus wirft seinen Jüngern vor:<br />
„Habt ihr denn immer noch keinen<br />
Glauben?“ <strong>Der</strong> heilige Matthäus<br />
sagt im entsprechenden Abschnitt<br />
(8,26): „ Ihr Kleingläubigen“, ihr,<br />
die ihr wenig Glauben habt (oligopistoi).<br />
Kardinal Lustiger während der Predigt beim Abschlussgottesdienst<br />
des Kongresses „Freude am<br />
Glauben“ in Fulda.<br />
<strong>Der</strong> Glaube, um gegen diese<br />
Feigheit anzugehen und sie zu bekämpfen,<br />
besteht aber nicht nur in<br />
einer Überzeugung, einer zusätzlichen<br />
oder austauschbaren Meinung.<br />
<strong>Der</strong> Glaube besteht in erster Linie<br />
darin, sich auf die Kraft des Lebens,<br />
also auf Gott zu stützen, so schwach<br />
man dabei auch sein mag. Diese<br />
Umkehrung des eigenen Wesens,<br />
diese Umkehrung des Herzens, ist<br />
ein echter geistlicher Kampf.<br />
<strong>Der</strong> Mensch, der ergriffen wird<br />
vom Aufbegehren des Lebens, der<br />
angesichts des Zusammenbruchs<br />
seines Lebens oder der Faszination<br />
vor dem Nichts nicht nur dem Tod<br />
entrinnen will, sondern der auch<br />
hoffen will, der Mensch, der das Leben<br />
suchen will – auch wenn er<br />
nicht weiß, welchen Herrn des Lebens<br />
er um das Heil bittet – dieser<br />
Mensch trägt bereits ein klein wenig<br />
Glauben in sich.<br />
Denn dann ist Christus da, der<br />
leidende Messias, der unseren Tod<br />
trägt – erinnert euch an die Worte<br />
des Heiligen Paulus an die Korinther,<br />
die wir soeben vernommen<br />
haben – , Christus, in dem wir gestorben<br />
sind und in dem wir das<br />
Leben empfangen, Christus, der zu<br />
schweigen schien,<br />
an dasselbe Los genagelt<br />
wie wir, dieser<br />
Christus ist hier,<br />
der wacht und erwacht.<br />
Und die<br />
Gnade, die er in uns<br />
gelegt hat, erweckt<br />
uns, hin in seine<br />
Gegenwart.<br />
Angesichts dieses<br />
Wunders unserer<br />
besiegten Feigheit<br />
entdecken wir,<br />
dass das von Gott<br />
geschenkte Leben<br />
stärker ist als der<br />
Tod, der uns in<br />
Bann schlägt, stärker<br />
als die Sünde,<br />
die uns in Ketten<br />
hält. Wir entdecken,<br />
dass der Sieg Christi<br />
uns erlösen kann<br />
und uns lebendig<br />
macht. Dann beginnen<br />
wir zu verstehen,<br />
dass dieses<br />
Geheimnis größer<br />
ist als alles, was wir<br />
uns vorstellen können.<br />
Dann wohnt die Gottesfurcht in<br />
uns, wie in den Jüngern. „Da ergriff<br />
sie eine große Furcht und sie<br />
sagten zueinander: Wer ist wohl<br />
dieser?“<br />
Sie befinden sich an der Schwelle<br />
des Geheimnisses. Sie sind noch<br />
ohne Antwort auf die Frage, die ihnen<br />
die Größe Gottes, der sich in<br />
seinem Sohn offenbart, aufwirft.<br />
Sie haben keine Antwort; und<br />
doch: gerade ihre Frage lässt bereits<br />
die Offenbarung vorausahnen, die<br />
sie empfangen werden und zu deren<br />
Zeugen sie dann später werden.<br />
Zwar sind sie noch ohne Glauben;<br />
doch die Macht Gottes hat in<br />
ihnen bereits den Glauben hervorgerufen.<br />
Im Lichte dieses prophetischen<br />
Ereignisses werden sowohl ihre<br />
Feigheit und Angst vor der Passion<br />
des Herrn wie auch ihre Bestürzung<br />
und Furcht vor seiner Auferstehung<br />
den Jüngern verständlich machen,<br />
dass sie den Vorwurf verdienen, den<br />
Jesus den Emmaus-Jüngern macht:<br />
„O ihr Unverständigen! Ihr seid zu<br />
schwerfällig, um auf all das hin zu<br />
glauben, was die Propheten gesagt<br />
haben.“ (Lk 24, 25)<br />
Im Lichte dieses prophetischen<br />
Ereignisses müssen auch wir verstehen,<br />
dass wir denselben Vorwurf<br />
verdienen, wenn uns die Angst ergreift<br />
angesichts der Lage der Kirche,<br />
wo uns doch Jesus versichert<br />
hat: „Seht, ich bin bei euch alle Tage<br />
bis ans Ende der Welt.“ (Mt 28, 20)<br />
<strong>Der</strong> Sturm erschüttert sowohl das<br />
Boot Petri, wie auch die Jünger und<br />
selbst Jesus. Dieser Meeressturm ist<br />
Bild unserer Welt, alle Menschen<br />
werden hineingerissen in den Taumel<br />
ihrer eigenen Zerstörung. Sie<br />
sind keine Gegner, vielmehr sind sie<br />
die Opfer und die Gefangenen ihrer<br />
Sünde.<br />
Christus, der einzige Retter der<br />
Menschen, nimmt unsere Schuld auf<br />
sich, unsere Wunden nimmt er auf<br />
sich, um uns davon zu befreien: er<br />
bringt den Sturm, der auch ihn herumwirbelt,<br />
zur Ruhe; er verflucht<br />
ihn nicht. Denn sein Sieg ist die Befreiung<br />
der Menschen, die im Begriff<br />
sind unterzugehen; und „unser Sieg<br />
ist unser Glaube“, wie es der heilige<br />
Johannes sagt (1 Joh 5,4).<br />
Brüder und Schwestern, mögt ihr<br />
doch Gott um diese Gnade bitten<br />
und sie auch empfangen! Und erinnert<br />
euch:<br />
– es gibt eine feige Angst – diese<br />
gilt es mit der Kraft des Glaubens<br />
zu bekämpfen.<br />
– und es gibt eine Furcht vor<br />
der Größe Gottes: eine Offenheit<br />
des Herzens, die Gabe des Glaubens<br />
ist. Und verstummen mögen wir vor<br />
solch einer Größe. Doch diese<br />
Furcht Gottes ist heilige Furcht, ja,<br />
sie ist der „Anfang der Weisheit“ (Sir<br />
25,16). Denn sie gibt uns das wahre<br />
Maß aller Dinge, das wahre Maß<br />
unseres Lebens.<br />
!<br />
340 DER FELS 12/<strong>2003</strong>