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Die Weihnachtsgeschichte ist<br />
eine reiche Geschichte –<br />
von Armut und Vertreibung,<br />
von den reinen Herzen der Hirten<br />
und den bösen der Herrscher. Aber<br />
menschliche Schwäche und göttliche<br />
Güte sind in ihr allgegenwärtig,<br />
und deshalb ist die Weihnachtsgeschichte<br />
auch eine Geschichte der<br />
Versöhnung.<br />
Sie wiederholt sich seit zweitausend<br />
Jahren. Auch mitten unter uns.<br />
Zum Beispiel in Nordirland. Die<br />
Benediktiner haben in dem Ort<br />
Rostrevor in der Nähe der Kleinstadt<br />
Down ein Kloster errichtet mit einer<br />
Art Forum, damit Katholiken und<br />
Protestanten organisiert ins Gespräch<br />
kommen und ihre gegenseitigen,<br />
von Politik und nationalistischen<br />
Ideen geprägten Vorurteile abbauen.<br />
Und sie haben Erfolg damit. Seit fünf<br />
Jahren führen sie Menschen zusammen<br />
und gemeinsam zu Christus.<br />
Das Zentrum wächst, dank der Unterstützung<br />
kirchlicher Werke, zum<br />
Beispiel „Kirche in Not“, der von<br />
Pater Werenfried van Straaten zu<br />
Weihnachten 1947 gegründeten<br />
Hilfsorganisation. Dieses Hilfswerk<br />
hat sich der Versöhnung unter dem<br />
Zeichen des Kreuzes verpflichtet.<br />
Das Charisma des Weihnachtsgeschehens<br />
ist für dieses Werk wete,<br />
übrigens nicht nur in Deutschland.<br />
Parallel zu der Relativierung<br />
aller Werte, dem Aufkommen eines<br />
Materialismus – das Wirtschaftswunder<br />
wurde zur Inkarnation des<br />
nationalen Ziels – entstand eine<br />
Verhütungsmentalität, die auf Sicherheit<br />
und Wohlstand und seine<br />
Vermehrung ausgerichtet war und<br />
alles vermeiden wollte, was diese<br />
Ziele beeinträchtigen<br />
könnte.<br />
Werte aber sind<br />
nicht immer eine<br />
kommode Angelegenheit,<br />
sie<br />
können Geld und<br />
Anstrengung<br />
kosten. Kinder<br />
zu haben und zu<br />
erziehen stört das<br />
Wohlstandsdenken und, wichtiger<br />
noch: das Sicherheitsdenken. Erst<br />
viel später, in unseren Tagen, erkannte<br />
man in den politischen Kreisen,<br />
dass Kinder Zukunft und damit<br />
auch Sicherheit bedeuten. Aber<br />
es ist vielleicht schon zu spät,<br />
jedenfalls nicht mehr rechtzeitig,<br />
um die Polarisierung innerhalb der<br />
Generationen zu überdecken und<br />
die Gerechtigkeitslücke zu überbrücken.<br />
Die Korrektur des Geburtsfehlers<br />
wird nur noch operativ gelingen.<br />
<strong>Der</strong> Eingriff wird schmerzhaft<br />
sein, und er kann nur, wenn die<br />
Gerechtigkeitslücke geschlossen<br />
werden soll, zu Lasten des Wohlstands<br />
der Kinderlosen gehen.<br />
Denn diese haben den Wohlstand<br />
per Systemtransfer von den Familien<br />
geborgt.<br />
Die Operation ist dringend. Ohne<br />
Familie versiegt der Gemeinsinn.<br />
Ohne den Humus Familie verdorrt<br />
die Solidarität. Es kommt darauf an,<br />
der Familie den Freiraum zu lassen,<br />
damit diese Quelle das gesellschaftliche<br />
Feld befruchten kann. Wer die<br />
Familie erobern oder instrumentalisieren<br />
will, hat keine Ahnung von<br />
dieser Lebensquelle der Gesellschaft.<br />
Wer die Familie zerstört, verschüttet<br />
diese Quelle. Die Stärke<br />
einer Nation lebt von der Stärke ihrer<br />
Familien, sagte Johannes Paul II.<br />
vor der UNO. Deswegen ist es<br />
zukunftsentscheidend für ein Volk,<br />
dass die Familien leben und die<br />
Früchte ihrer Erziehung weitergeben<br />
können. Das braucht die Gesellschaft,<br />
denn „Erziehung ist<br />
Ohne Familie keine wirksame<br />
Erziehung, ohne Erziehung<br />
keine Persönlichkeit,<br />
ohne Persönlichkeit keine Freiheit.<br />
Montesquieu<br />
Beschenkung mit Menschlichkeit“,<br />
wie Johannes Paul II. in seinem<br />
Brief an die Familien schreibt. Ohne<br />
dieses Geschenk (der Eltern an die<br />
Kinder) wird die Gesellschaft kälter<br />
– und riskanter. Zur Menschlichkeit<br />
gehört der Sinn für Freiheit.<br />
Paul Kirchhof weist, Montesquieu<br />
zitierend, auf die gesellschaftliche<br />
Bedeutung der Familie für eine freiheitliche<br />
Gesellschaft<br />
hin, wenn<br />
er die Kausalkette<br />
aufstellt:<br />
Ohne Familie<br />
keine wirksame<br />
Erziehung, ohne<br />
Erziehung keine<br />
Persönlichkeit,<br />
ohne Persönlichkeit<br />
keine<br />
Freiheit. Man könnte anschließen:<br />
Ohne freiheitsbewusste Bürger keine<br />
Demokratie.<br />
Mehr noch: „Aus der Familie erwächst<br />
der Friede für die<br />
Menschheitsfamilie“, schrieb Papst<br />
Johannes Paul zum Jahr der Familie<br />
1994. „Die Familie in eine untergeordnete<br />
und nebensächliche<br />
Rolle zu versetzen, sie aus der ihr<br />
in der Gesellschaft gebührenden<br />
Stellung auszuschließen, heißt, dem<br />
echten Wachstum des gesamten<br />
Sozialgefüges einen schweren Schaden<br />
zu zufügen.“ Dieser Schaden<br />
hat heute einen Namen. Es ist die<br />
systembedingte Gerechtigkeitslücke<br />
zwischen den Familien und<br />
willentlich Kinderlosen, nicht zwischen<br />
Alt und Jung. Im Gegenteil,<br />
zwischen den Generationen funktioniert<br />
der Generationenvertrag noch<br />
und manchmal sogar besser als<br />
zuvor. Viele Großeltern helfen ihren<br />
Kindern. Es findet ein Austausch<br />
an Großzügigkeit statt, eine<br />
jener Voraussetzungen wieder, von<br />
der der Staat lebt, die er aber nicht<br />
geschaffen hat. Dieser innerfamiliäre<br />
Austausch wird zahlenmäßig<br />
dünner. Das System zehrt die<br />
Familie aus, es muss strukturell geändert<br />
werden. Dazu gehört auch<br />
das Umdenken. <strong>Der</strong> Befund Ende<br />
der siebziger Jahre war richtig: Es<br />
bedarf auch einer geistig-moralischen<br />
Wende. Sie fand in der Ära<br />
Kohl nicht statt. Sie ist immer noch<br />
nötig. Ohne Sinn für Werte und<br />
Wahrheit wird es kein gerechtes<br />
System geben.<br />
!<br />
348 DER FELS 12/<strong>2003</strong>