Fortsetzung folgt - Der Fels
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Oben: Dr. Anicic, Bischofsvikar und<br />
Caritasdirektor in Zagreb, ist zuständig<br />
für die Hilfe in ganz Bosnien.<br />
Unten: Kirche in Bosnien - geplündert,<br />
zerstört, abgebrannt. Aber solange<br />
das Kreuz noch steht, gibt es<br />
Hoffnung.<br />
Grad. Er hat die Menschen verabschiedet,<br />
hat heimlich das letzte Kind<br />
getauft, die letzte Messe gelesen.<br />
Dann war er allein. Und jetzt? „Fragen<br />
Sie nicht“, sagt er leise, „ich kann<br />
mich sonst nicht gegen die Tränen<br />
wehren“.<br />
Unterwegs nach Glamoc, dem kleinen<br />
Ort in den bosnischen Bergen, den<br />
Pfarrer Visitacki täglich neu zu erreichen<br />
sucht. Sein Pfarrhaus dort ist<br />
zerstört. Zwei Zimmer in einem kalten,<br />
rohbauähnlichen Haus sind nun<br />
das Büro des Pfarrers. Jeweils drei<br />
Glasscheiben, von Tesafilm übereinander<br />
gehalten und von Nägeln im<br />
Rahmen fixiert, bilden ein Fenster.<br />
Fensterkitt? Es gibt wichtigere Dinge,<br />
die die Flüchtlinge aus 45 Gemeinden<br />
hier vermissen. Schuhe zum Beispiel<br />
oder die Hoffnung, das Gefühl,<br />
doch irgendwann irgendwo zuhause<br />
zu sein. „Darf ich Ihre Kapelle sehen?“<br />
frage ich. Pfarrer Visitacki steht<br />
auf, macht einen Schritt ins Nachbarzimmer.<br />
Ein Altar mit einer Decke, ein<br />
hölzerner Tabernakel mit dem ewigen<br />
Licht, einige Stühle, die irgendwo<br />
übriggeblieben waren. Ein paar Heiligenfiguren<br />
hinter einem Vorhang,<br />
gerettet aus Mrkonjik Grad, und zwei<br />
Bilder an der Wand. Jakobus und<br />
Philipus, die Patrone seiner verbrannten<br />
Kirche, und Nikola Tavelic,<br />
Schutzpatron der Filialgemeinde. Zu<br />
ihr waren die Gläubigen nach ihrer<br />
ersten Vertreibung und der Rückeroberung<br />
zurückgekehrt. Aber das Dayton-<br />
Abkommen hat sie erneut heimatlos<br />
gemacht, hin-und hergetrieben. Und<br />
ihr Pfarrer, fünfmal, sechsmal umgezogen<br />
und noch immer nicht daheim,<br />
kniet vor dem Tabernakel seiner Notkapelle,<br />
legt den Kopf auf den Altar,<br />
als hoffe er, Christus werde seine<br />
Hand noch einmal auf ihn legen.<br />
Besuch bei einem Ehepaar, das zu<br />
seiner Gemeinde in Banja Luka zählte.<br />
Eine winzige Küche, die auch Eßzimmer<br />
und Wohnzimmer ist. Eine<br />
alte Frau steht auf, zieht ihre Schuhe<br />
an und geht. Sie ist verwirrt, erzählt<br />
später Frau Urbawac, der Schock habe<br />
sie seltsam werden lassen. In Banja<br />
Luka war die Besucherin Lehrerin,<br />
ihre Tochter Professorin. Nun haben<br />
sie kein zuhause mehr, keine Arbeit,<br />
keinen Ofen im Winter. <strong>Der</strong> Verstand<br />
der beiden Frauen weigert sich, dies<br />
neue, andere Leben zu akzeptieren.<br />
Doch ihre Geschichte ist hier eine<br />
ganz alltägliche - alltäglich wie die<br />
meiner Gastgeberin, die mich mit<br />
Kaffee stärkt. Früher einmal, vor dem<br />
Krieg der Serben gegen Moslems und<br />
Kroaten, ging es ihr gut. Ihr Mann<br />
zählte zu den wenigen Kroaten, die<br />
es im ehemaligen Jugoslawien zu etwas<br />
gebracht hatten. Er war Fabrikdirektor,<br />
hatte mehr als tausend Angestellte,<br />
ein schönes Haus am Hügel,<br />
einen Swimmingpool im Garten. Nun<br />
haben sie ihr nacktes Leben und in<br />
dem schäbigen Badezimmer stehen<br />
Kanister in der Wanne, mit denen<br />
Wasser von der Zapfstelle geholt wird.<br />
Vier Jahre Unterschied im Leben einer<br />
ganz normalen Familie in Bosnien<br />
... .<br />
Wann es sich änderte? Vielleicht an<br />
jenem 18.Oktober 1992, dem Tag des<br />
heiligen Lukas, ein Sonntag. Aber im<br />
Gegensatz zu sonst sind nur knapp<br />
zwei Dutzend Gläubige in der heiligen<br />
Messe, denn es wird geschossen<br />
in der Stadt. Frau Urbawac sieht plötzlich<br />
Feuer. Mitten in die Messe hinein<br />
ruft sie voller Entsetzen: „Hochwürden,<br />
die Moscheen brennen“ und<br />
die Gläubigen rücken näher zum Al-<br />
DER FELS 7-8/1997 225