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Fortsetzung folgt - Der Fels

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An der Straße der toten Kirchen<br />

Eindrücke von einer Reise zu den katholischen Christen in Bosnien (Teil II)<br />

von Ursula Zöller<br />

Wir sind in Drvar. Beklemmend dunkel<br />

wirkt die Stadt im Tal. Früher musizierten<br />

hier abends an fünf Plätzen<br />

gleichzeitig Orchester, Menschen flanierten<br />

durch beleuchtete Straßen. Damals,<br />

als Kazimir, der Sohn des polnischen<br />

Schusters Visaticki mit seinem<br />

Bruder Adolf und den sieben anderen<br />

Geschwistern hier seine kleine<br />

Welt eroberte. Es war eine andere<br />

Welt.<br />

Wir hämmern an der Seitentür der<br />

großen Turnhalle. „Wieder mal kein<br />

Strom“, meint Miro, der Fahrer. Ein<br />

Lächeln von Pfarrer Visaticki und Kaplan<br />

Ivica: Willkommen! Viele Fragen.<br />

Die nach seiner Vertreibung läßt<br />

den Pfarrer verstummen. „Das ist eine<br />

Wunde“, sagt er.<br />

<strong>Der</strong> Pfarrer und ein junger Kroate<br />

setzen sich zu uns in den Jeep. Immer<br />

höher schraubt sich die Straße nach<br />

Mokronoge, einem verlassenen Dorf<br />

in den Bergen. Stille ringsum. Nicht<br />

einmal ein Hund bellt, als wir uns dem<br />

Haus von Sava Vasalik und seiner Frau<br />

Ana nähern. Eine Kammer mit einem<br />

Tisch, ein etwas größerer Raum, in<br />

dem man dennoch meint, man müsse<br />

den Kopf einziehen. Ein alter Mann.<br />

Tränen fließen über sein Gesicht, als<br />

er den Pfarrer sieht. Sava Vasalic ist<br />

92 Jahre alt. Er hat versucht, vor einer<br />

Granate zu fliehen. Vergebens. Er<br />

stürzte unglücklich, blieb gelähmt, ist<br />

an sein Bett gefesselt. Groß und stark<br />

sollst du werden, sagt seine Frau und<br />

küßt mich, die Fremde, als sei ich ihre<br />

Retterin. Ich fühle mich klein und<br />

schwach, denn ich werde gehen und<br />

sie wird bleiben. Sie fühlt sich einsam.<br />

Es gibt kein Telefon, um einen<br />

Arzt zu rufen, keinen Radioapparat,<br />

keine Nachbarn und nichts zu essen,<br />

wenn der Pfarrer nichts bringt. Pfarrer<br />

Visaticki sei ein guter Mensch, sagt<br />

Sava und wischt sich über die Augen.<br />

Wieder im Jeep, unterwegs im<br />

Wald. Erzählen sie mir etwas über ihre<br />

Berufung? Er habe mit Gott gekämpft<br />

wie Jakob, meint der Pfarrer nachdenklich.<br />

Und nach dem Kampf hat<br />

er erkannt, daß es für ihn nichts Schöneres<br />

gibt als Priester zu sein. Und<br />

dann geschehen manchmal auch Wunder.<br />

Jakob wurde verletzt, gezeichnet<br />

für alle Zeit, doch er erzwang in dieser<br />

langen Nacht des Ringens Gottes<br />

Segen. Das Wunder, das für Pfarrer<br />

Visaticki nun geschehen müßte, wäre,<br />

einen Jeep zu bekommen, mit dem er<br />

auch im Winter die Menschen versorgen<br />

könnte. Und der Segen, den er<br />

sich erfleht, wäre ein Dach für den<br />

Kindergarten von Drvar, ein Kindergarten,<br />

damit die Kinder von Drvar<br />

das Trauma der Heimatlosigkeit vergessen<br />

können, ein katholischer Kindergarten,<br />

in dem die Kleinen von jenem<br />

Kind erfahren, das, wie sie, mit<br />

seinen Eltern auf der Flucht war, das<br />

gehaßt war, ver<strong>folgt</strong> - das Kind, das<br />

den Frieden bringen will.<br />

„Lassen Sie mich kurz vor“, sagt<br />

unser junger kroatischer Begleiter, der<br />

die 86 alten Serben in der Umgebung<br />

von Drvar betreut. „Die Frauen fürchten<br />

sich, wenn Fremde kommen, aber<br />

sie kennen meine Stimme. Es sind<br />

zwei Schwestern, Pava und Simeona<br />

Milakovic, fast 80 Jahre alt. Eine der<br />

beiden ist blind, und es scheint, als<br />

habe sich auch die andere mit der Finsternis<br />

um sie herum abgefunden.<br />

Links: Sava, der Gelähmte, wartet auf<br />

Hilfe. Die Caritas, die erst nach Titos<br />

Tod gegründet werden durfte, hat<br />

auch bei den Serben einen guten Namen.<br />

Rechts unten S. 224: Armut, Not und<br />

Einsamkeit. Pfarrer Visitacki kann die<br />

beiden Schwestern mit seinem PKW<br />

im Winter nicht erreichen.<br />

Rechts oben S. 224: Die heilige Messe<br />

feiern - dazu gehört auch heute<br />

noch viel Mut. Ein junger Priester in<br />

Bosnien, würdig, gesammelt, hingegeben.<br />

DER FELS 7-8/1997 223

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