"Archäologie weltweit" deutsche Version - Deutsches ...
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<strong>Archäologie</strong> Weltweit – Erster Jahrgang – Berlin, im Mai 2013 – DAI<br />
1 • 2013<br />
TITELTHEMA<br />
ARCHÄOLOGIE DES WASSERS<br />
Die technischen, kulturellen und sozialen Wirkungen eines Elements<br />
Titelthema ab Seite 36 Abb.: LengyelToulouse Architekten auf der Grundlage eines 3D-Modells / DAI<br />
REPORTAGE<br />
LANDSCHAFTEN<br />
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
www.dainst.org<br />
ÄGYPTEN – HERAUSFORDERUNG<br />
GEGENWART Archäologisches Arbeiten<br />
in Zeiten des Umbruchs<br />
TOR ZU ANDEREN WELTEN Deutsche<br />
und chinesische Archäologen erforschen<br />
Gesellschaften an der Seidenstraße<br />
SCHERBEN BRINGEN GLÜCK Wie in<br />
Pietrele Schicht um Schicht eine antike<br />
Gesellschaft zum Leben erweckt wird
EDITORIAL<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
EDITORIAL<br />
Was ist <strong>Archäologie</strong>?<br />
Sonderbare Frage, mögen Sie denken.<br />
Weiß das nicht jeder? Ja und nein. Natürlich<br />
ist die <strong>Archäologie</strong> nach wie vor eine<br />
Wissenschaft, die sich mit den Hinterlassenschaften<br />
antiker Kulturen befasst. Aber<br />
sie tut dies heute oft auf andere Art und<br />
mit weiter gefassten Zielen, als ihr Bild in<br />
der Öffentlichkeit es zu zeigen scheint. Mit<br />
Spaten und Pinsel an weit entfernten Orten<br />
auf der Suche nach alten Steinen und<br />
Scherben zu graben, ist natürlich auch gegenwärtig<br />
noch ein Teil unserer Wissenschaft.<br />
Doch die Fragen der Archäologen<br />
und ihre Methoden sind im Verlaufe der<br />
Zeit immer komplexer geworden. Moderne<br />
Altertumswissenschaften arbeiten<br />
ebenso mit naturwissenschaftlichen wie<br />
mit sozial- und kulturwissenschaftlichen<br />
Methoden, um Landschaften, Lebensräume<br />
und Umwelten antiker Gesellschaften<br />
rekonstruieren zu können. Dazu kommt,<br />
dass die Arbeit des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts hautnah in die sozialen<br />
und politischen Realitäten seiner Gastländer<br />
eingebunden ist.<br />
PROF. DR. FRIEDERIKE FLESS<br />
Prä si dentin des Deutschen<br />
Archäolo gischen Instituts<br />
Was ist das Deutsche Archäologische<br />
Institut?<br />
Das DAI ist eine der größten archäologischen<br />
Forschungseinrichtungen weltweit.<br />
Es ist an 20 Standorten und in fast 200 Projekten<br />
überall auf der Welt mit Kooperationspartnern<br />
präsent: im Mittelmeerraum,<br />
in den Ländern Eurasiens, in Asien, Afrika<br />
und in Südamerika. Es dient der wissenschaftlichen<br />
Forschung – in erster Linie.<br />
Aber ein wichtiger Teil der Arbeit des DAI<br />
dient auch der Erschließung und Bewahrung<br />
des kulturellen Erbes in seinen Gastländern.<br />
Als Forschungseinrichtung im<br />
Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts<br />
ist es daher eine bedeutende Größe der<br />
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik<br />
der Bundesrepublik Deutschland.<br />
DAI ebenso beleuchtet wie ihre politischen<br />
Implikationen, seine Fähigkeit, alte<br />
Rätsel zu lösen ebenso wie die Erkenntnisse<br />
aus der Antike für Gegenwart und Zukunft<br />
nutzbar zu machen.<br />
<strong>Archäologie</strong> Weltweit wird drei Mal im<br />
Jahr erscheinen. In Reportagen werden<br />
aktuelle Bedingungen der Arbeit in unseren<br />
Gastländern geschildert – den Auftakt<br />
macht Ägypten. Besondere Querschnitt-<br />
Themen sind jeweils zu einem Titelthema<br />
zusammengefasst – im UNESCO-Jahr des<br />
Wassers ist die Wahl für die erste Ausgabe<br />
naheliegend. Berichte über die Arbeiten<br />
zum Kulturerhalt werden in einer eigenen<br />
Rubrik wie auch an anderen Stellen der<br />
Hefte platziert sein. Vieles andere mehr erwartet<br />
Sie in einem ganzen Kosmos archäologischer<br />
Themen – Sie brauchen nur<br />
umzublättern.<br />
Viel Vergnügen beim Lesen!<br />
Ihre<br />
Warum ein neues archäologisches<br />
Magazin?<br />
Mit anderen Worten: Wir haben viel zu erzählen,<br />
und das Interesse der Öffentlichkeit<br />
an Themen der <strong>Archäologie</strong> ist eher<br />
noch gestiegen. Grund genug für uns, ein<br />
neues Magazin herauszubringen, das die<br />
wissenschaftlichen Aspekte der Arbeit des<br />
Prof. Dr. Friederike Fless<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 1
INHALT<br />
INHALT<br />
DIE STEINMETZE VOM GÖBEKLI TEPE<br />
Arbeiten am ältesten Heiligtum der Welt<br />
4 NACHRICHTEN<br />
10 REPORTAGE<br />
Cultural Heritage<br />
18<br />
Ägypten – Herausforderung Gegenwart<br />
16 INTERVIEW<br />
Stephan Seidlmayer:<br />
Pessimismus ist keine Option<br />
Reportage<br />
10<br />
ÄGYPTEN – HERAUSFORDERUNG<br />
GEGENWART Archäologisches<br />
Arbeiten in Zeiten des Umbruchs<br />
Titel<br />
ARCHÄOLOGIE DES WASSERS<br />
Die technischen, kulturellen und sozialen Wirkungen eines Elements<br />
36<br />
Landschaften 26<br />
TOR ZU ANDEREN WELTEN Deutsche und<br />
chinesische Archäologen erforschen unbekannte<br />
Gesellschaften an der Seidenstraße<br />
18 CULTURAL HERITAGE<br />
Die Steinmetze vom Göbekli Tepe<br />
24 STANDPUNKT<br />
<strong>Archäologie</strong> und Kulturerhalt<br />
26 LANDSCHAFTEN<br />
Die Seidenstraße: Das Tor zu anderen Welten<br />
34 DAS OBJEKT<br />
Dichter, Flussgott und Schwarzes Meer<br />
36 TITELTHEMA<br />
<strong>Archäologie</strong> des Wassers<br />
40 Marib und Tayma:<br />
Weihrauch, Wasser, Wirtschaft<br />
46 Rom und Córdoba:<br />
Wasserluxus in der Antike<br />
52 Dahschur und Nasca:<br />
Fraktale und Klimarituale<br />
Vor 5000 Jahren<br />
wird zum ersten Mal<br />
Wein angebaut, vor<br />
5000 Jahren entsteht<br />
die erste Stadt.<br />
60 IM PORTRÄT<br />
60 Iris Gerlach<br />
61 Friedrich Lüth<br />
62 ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
Scherben bringen Glück: Die Arbeiten in Pietrele<br />
66 STANDORT<br />
Alltag<br />
<strong>Archäologie</strong><br />
Panorama 68<br />
Die Römisch-Germanische Kommission:<br />
Spuren der Jahrtausende<br />
68 PANORAMA<br />
Der erste Wein – Ergebnisse der Archäobotanik<br />
62<br />
SCHERBEN BRINGEN GLÜCK Wie in Pietrele<br />
Schicht um Schicht eine antike Gesellschaft zum<br />
Leben erweckt wird<br />
Die erste Stadt – 5000 Megacity Uruk<br />
72 IMPRESSUM, VORSCHAU<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 3
HINKEL-<br />
ARCHIV<br />
NACHRICHTEN<br />
Hinkel-Archiv als<br />
Grundlage der<br />
Kooperation zwischen<br />
DAI und QSAP<br />
IZMIR<br />
Friedrich W. Hinkel kannte den Sudan wie<br />
kaum ein anderer. Unermüdlich sammelte<br />
der Bauforscher und Architekt Materialien<br />
über archäologische Plätze und Architektur-Denkmäler<br />
des afrikanischen Landes<br />
mit seiner überaus reichen Kulturgeschichte.<br />
MEHR ALS VIERZIG JAHRE arbeitete Friedrich W. Hinkel zu den an tiken Kulturen des<br />
Sudan, lange Zeit auch im Auftrag der Sudanesischen Altertümerverwaltung. Seine<br />
Arbeiten zur meroitischen Kultur sind Grundlagenwerke, sein Einsatz zum Erhalt der<br />
Denkmäler – zuletzt an den Pyramiden von Meroë – ist herausragend. Ein wissen -<br />
schaftlicher Ertrag seiner Arbeiten mündete in der von ihm gegründeten Reihe<br />
„The Archaeological Map of the Sudan“, deren erster Band 1977 erschien, Kataloge und<br />
Supplemente folgten, weitere Bände sind in Arbeit. Foto: Wolf<br />
Pläne für ein<br />
deutsch-türkisches<br />
<strong>Archäologie</strong>zentrum<br />
2007 starb Friedrich W. Hinkel und hinterließ<br />
ein umfangreiches Archiv zur <strong>Archäologie</strong><br />
und Baugeschichte des antiken Sudan,<br />
das 2009 dem Deutschen Archäologischen<br />
Institut von Hinkels Erben übertragen<br />
wurde mit der Auflage, es zu erschließen<br />
und weiteren Forschungen zugänglich<br />
zu machen.<br />
Dieses Archiv war Anlass für den Be -<br />
such einer Delegation des Qatar-Sudan<br />
Die PYRAMIDEN von Meroë liegen rund<br />
200 Kilometer nordöstlich von Khartoum.<br />
Auf drei Gräberfeldern lassen sich um<br />
die 140 Pyramiden identifizieren, die<br />
für das kuschitische Königshaus und<br />
hohe Beamte errichtet wurden. Sie<br />
wurden meist aus Stein gebaut und<br />
sind teilweise bis zu 30 Meter hoch. Die<br />
Süd- und die Nordnekropole sind unter<br />
anderem als Königsfriedhöfe in der Zeit<br />
vom 3. Jh. v. Chr. bis ins 4. Jh. n. Chr.<br />
genutzt worden. Foto: Wolf<br />
Archaeological Project (QSAP) in der Berliner<br />
Zentrale des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts. Das Projekt, das von der<br />
Qatar Museums Authority finanziert werden,<br />
hat das Ziel, Veröffentlichungen, archäologische<br />
Feldarbeit und Forschungen<br />
im Nordsudan zu fördern. Ein wichtiges<br />
Augenmerk liegt dabei auf Fragen des Kulturerhalts,<br />
der Konservierung und der touristischen<br />
Präsentation der Fundstätten.<br />
Die Erschließung des Hinkel-Archivs ist ein<br />
wichtiger Baustein der Arbeiten, insbesondere<br />
im Hinblick auf den Bestandserhalt<br />
der Pyramiden von Meroë. Auch bei<br />
den anderen Projekten des DAI im Sudan,<br />
in Hamadab und an den Royal Baths von<br />
Meroë, konnte eine Zusammenarbeit verabredet<br />
werden. Dank der Aufnahme in<br />
das Projekt können sie ihre Forschungsvorhaben<br />
und Konservierungsmaßnahmen<br />
zukünftig weiterentwickeln.<br />
Die ROYAL BATHS VON MEROË sind<br />
ein herausragendes Zeugnis für den<br />
Kulturtransfer zwischen dem im Mittleren<br />
Niltal herrschenden Königreich von<br />
Kusch sowie Ägypten und dem Mittelmeerraum.<br />
Die Anlage mit einem großen<br />
Wasserbecken wurde in unmittelbarer<br />
Nähe zweier Paläste errichtet. Ein aufwändiges<br />
Ausstattungsprogramm zeigt<br />
den Einfluss der mediterranen Kulturen,<br />
wie in der Darstellung des Musikers mit<br />
Panflöte. Das DAI-Projekt wird in Zusammenarbeit<br />
mit der National Corporation<br />
for Antiquities and Museums in Khartoum<br />
durchgeführt. Foto: Onasch<br />
Das Gebäude des ehemaligen Generalkonsulats<br />
in Izmir wurde über 80 Jahre<br />
lang als berufskonsularische Vertretung<br />
genutzt und ist damit ein bedeutendes<br />
Denkmal der Geschichte der türkischen<br />
Stadt. Nun stellt sich die Frage nach einer<br />
angemessenen Art neuer Nutzung des repräsentativen<br />
Gebäudes. Der türkische<br />
Kulturminister schlug bereits 2011 vor,<br />
dass es Ort eines deutsch-türkischen <strong>Archäologie</strong>zentrums<br />
werden könnte. Das<br />
Auswärtige Amt hat daher die Abteilung<br />
Istanbul des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts damit beauftragt, Untersuchungen<br />
zur Geschichte des Gebäudes und zu<br />
seinem baulichen Zustand durchzuführen.<br />
„Diese Arbeiten sollen als Grundlage<br />
einer Umnutzungsplanung dienen, die<br />
auch ein deutsch-türkisches <strong>Archäologie</strong>zentrum<br />
umfassen könnte“, erklärt Martin<br />
Bachmann, stellvertretender Leiter der<br />
Abteilung Istanbul des DAI.<br />
DIE ABTEILUNG ISTANBUL hat zum Projekt eine<br />
Broschüre herausgegeben.<br />
Das Gebäude des ehemaligen <strong>deutsche</strong>n<br />
Generalkonsulats liegt in äußerst prominenter<br />
Lage am Kordon, der traditionellen<br />
Flaniermeile und ersten Adresse in Izmir.<br />
Um 1890 wurde es als vornehmes Stadtpalais<br />
für den wohlhabenden levantinischen<br />
Geschäftsmann Elzéar Guiffray errichtet.<br />
Das Patrizierhaus ist in den reichen Formen<br />
des ostmediterran geprägten Historismus<br />
gehalten und reihte sich so ebenbürtig in<br />
den Kordon ein, der als Prachtstraße ein<br />
Schaufenster Izmirs zum Meer war.<br />
Bis zum heutigen Tage hat Izmir gravierende<br />
städtebauliche Veränderungen erfahren,<br />
die insgesamt zur Folge haben, dass<br />
das Gebäude des ehemaligen Generalkonsulats<br />
zusammen mit dem griechischen<br />
Konsulat das letzte zusammenhängende<br />
Ensemble historischer Bebauung<br />
am Kordon bildet, was – über den eigentlichen<br />
Gebäudebestand hinaus – seine kulturgeschichtliche<br />
Bedeutung ausmacht.<br />
Ein deutsch-türkisches <strong>Archäologie</strong>zentrum<br />
wäre eine hervorragende Plattform<br />
kultureller und wissenschaftlicher Zusammenarbeit<br />
beider Länder. „Darüber hinaus<br />
wäre es ein ideales Schaufenster der zahlreichen<br />
bedeutenden Ausgrabungen im<br />
Großraum Izmir wie zum Beispiel in Pergamon<br />
oder Milet“, sagt Felix Pirson, Leiter<br />
der Abteilung Istanbul des DAI. Außer<br />
Ausstellungsflächen bliebe auch Platz für<br />
Vortragsräume und eine kleine Fachbibliothek.“<br />
UMNUTZUNG Das Dokumentations- und<br />
Umnutzungsprojekt fand unter der Leitung von<br />
Martin Bachmann statt. Die Bauaufnahme<br />
wurde von den Studierenden des Karlsruher<br />
Instituts für Technologie (KIT) Steffen Dengler,<br />
Ulrich Graf und Bertram Künste unter der<br />
Leitung von Dorothea Roos erstellt. Ulrich Graf<br />
arbeitete die Pläne aus, Steffen Dengler<br />
zeichnet für die 3D-Modelle und den Umnutzungsvorschlag<br />
verantwortlich.<br />
EIN PRACHTBAU am Kordon, der ersten<br />
Adresse Izmirs<br />
4 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 5
NACHRICHTEN<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Schmidt<br />
DIE PORTA NIGRA, das 1800 Jahre alte Wahrzeichen der Stadt Trier, muss<br />
saniert werden. Das Architekturreferat des DAI führt im Auftrag des LBB<br />
Rheinland Pfalz die Bauforschung durch. Fotos: Wulf-Rheidt<br />
PORTA NIGRA<br />
DAI-Bauforschung<br />
arbeitet für den Erhalt<br />
der Porta Nigra<br />
Auf den ersten Blick sieht die Porta Nigra<br />
in Trier nicht aus wie etwas, das bröckeln<br />
könnte. Sie erscheint zwar ein wenig unfertig,<br />
weil sie in der Antike wahrscheinlich<br />
nie ganz vollendet wurde, aber immerhin<br />
vermitteln die bis zu sechs Tonnen schweren<br />
Steinquader, aus denen sie errichtet<br />
ist, einen Eindruck von Unverwüstlichkeit.<br />
Und tatsächlich gilt das 1800 Jahre alte<br />
stämmige Bauwerk als das am besten erhaltene<br />
römische Stadttor nördlich der<br />
Alpen. Doch nun „bröckelt“ das Tor, wie<br />
lokale Trierer Medien im Herbst letzten<br />
Jahres meldeten. Es musste etwas getan<br />
werden. Zunächst einmal wurde das Tor<br />
neu vermessen.<br />
Die Arbeiten an der Porta Nigra werden<br />
in Kooperation mit der Hochschule<br />
RheinMain, hier im Bild Prof. Dr.-Ing.<br />
Corinna Rohn, durchgeführt.<br />
Die Basis für alles Weitere ist die Bauforschung,<br />
für die das Architekturreferat des<br />
Deutschen Archäologischen Instituts verantwortlich<br />
ist. „Ende 2014 ist jeder Stein<br />
der Porta dokumentiert“, sagt Referatsleiterin<br />
Ulrike Wulf-Rheidt. „Tatsächlich ist<br />
über das berühmte Bauwerk recht wenig<br />
bekannt“, fügt sie hinzu. Also dienen die<br />
Arbeiten an der Porta Nigra, die in Kooperation<br />
mit der Hochschule RheinMain<br />
(Prof. Dr.-Ing. Corinna Rohn) durchgeführt<br />
werden, der Analyse und Beschreibung aller<br />
Bauphasen von der Antike bis zur Gegenwart.<br />
Diese umfasst – was viele nicht<br />
wissen – auch die 750 Jahre währende<br />
Nutzung als Kirche. Zum ersten Mal bietet<br />
die detaillierte Bauaufnahme nun eine<br />
verlässliche Basis für eine archäologische,<br />
bauforscherische und kunstgeschichtliche<br />
Untersuchung der Gesamtanlage. Dabei<br />
soll auch der Frage nachgegangen<br />
werden, ob die Porta Nigra in der Antike<br />
wirklich unfertig blieb und wenn ja, wie<br />
sie hätte aussehen sollen.<br />
Den Namen „Schwarzes Tor“ trägt die Porta<br />
nicht zu Unrecht. Die Färbung entstand<br />
durch die Verwitterung des Kordeler Sandsteins,<br />
aus dem sie gebaut ist. Im Laufe der<br />
Zeit haben die Umwelteinflüsse mehr als<br />
nur Farbspuren an dem eigentlich sehr<br />
haltbaren Stein hinterlassen. Es gibt Schäden<br />
von Abschuppungen, schwarze Verkrustungen,<br />
Risse, Brüche und Ablösungen<br />
am Quadermauerwerk.<br />
Wenn die ersten Arbeiten abgeschlossen<br />
sind, wird 2014 ein Konzept zur Sanierung<br />
erstellt, bevor die eigentlichen Arbeiten<br />
2015 beginnen können. Dann wird das<br />
Wahrzeichen der Stadt Trier wohl für 10<br />
bis 15 Jahre abschnittsweise hinter einem<br />
Gerüst verborgen sein.<br />
EINZELNE FUNDE KÖNNEN RÄTSELHAFT SEIN,<br />
wenn man sie nicht in ihrem Kontext sieht …<br />
6 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 7
BÜCHER<br />
keit, Aspekte von Arbeitswelt und Wirtschaft,<br />
ihre Möglichkeiten Identifika tion<br />
zu schaffen bis hin zu dem Kapitel <strong>Archäologie</strong><br />
und Neue Medien. Bestellungen an<br />
nina.schuecker@dainst.de<br />
Die Reihe „Menschen - Kulturen - Traditionen.<br />
Studien aus den Forschungsclustern<br />
des Deutschen Archäologischen Instituts“<br />
enthält Beiträge aus den aktuellen Fragestellungen<br />
der Forschungscluster des DAI.<br />
scher Archäologen des 20. Jahrhunderts.<br />
Die Lebensbilder sind nicht auf die 12 Jahre<br />
der NS-Diktatur bzw. die 21 Jahre des<br />
italienischen Faschismus beschränkt, sondern<br />
liefern jeweils ganzheitliche Lebensbeschreibungen,<br />
die es ermöglichen, Kontinuitäten,<br />
Brüche und Entwicklungen<br />
langer Lebenswege zu würdigen. VML<br />
Verlag Marie Leidorf GmbH, Rahden/Westfalen<br />
ULRIKE EHMIG – RUDOLF HAENSCH<br />
Die Lateinischen Inschriften aus<br />
Albanien (LIA)<br />
Das heutige Albanien war in der Antike<br />
eine Kontaktzone zwischen den Kulturen.<br />
Schon im Hellenismus existierten hier griechische<br />
Stadtstaaten, hellenistische Königreiche<br />
und indigene Stammesgesellschaften.<br />
Noch stärker wurde die Region in der<br />
Römischen Kaiserzeit zu einer Übergangszone;<br />
das Gebiet gehörte zu drei römischen<br />
Provinzen: Dalmatia, Macedonia und Epirus.<br />
Die bis heute bekannt gewordenen<br />
302 lateinischen Inschriften aus Albanien<br />
werden in diesem Band in Neu lesungen<br />
vorgelegt, unter kulturgeschicht lichen Gesichtspunkten<br />
kommentiert und über umfangreiche<br />
Indices erschlossen. Verlag Dr.<br />
Rudolf Habelt GmbH<br />
FLORIAN KLIMSCHA, RICARDO<br />
EICHMANN, CHRISTOF SCHULER UND<br />
HENNING FAHLBUSCH (HRSG.)<br />
Forschungscluster 2: Wasserwirtschaftliche<br />
Innovationen im archäologischen<br />
Kontext: Von den prähistorischen Anfängen<br />
bis zu den Metropolen der Antike.<br />
Der Band präsentiert erste Ergebnisse des<br />
DAI Forschungsclusters „Innovationen:<br />
technisch, sozial”, der sich seit 2006 den<br />
Themen Wasserwirtschaft und Metallurgie<br />
widmet. Die lebensnotwendige Ressource<br />
Wasser stellt in allen Phasen der<br />
Menschheitsgeschichte einen wichtigen<br />
Faktor dar, ihre technische Erschließung<br />
beginnt mit den frühesten Ansätzen zu<br />
komplexen Siedlungsformen und Gemeinschaftsformen.<br />
Dabei ist die Nutzung von<br />
Grundwasser über Brunnen die größte<br />
Konstante und Erfolgsgeschichte. Die ersten<br />
Beiträge zeigen einfachere Formen<br />
der Wasserwirtschaft, die dem Brunnenbau<br />
vorausgehen. (siehe Titelthema ab S. 36)<br />
ALBERT DISTELRATH<br />
Siedeln und Wohnen in einer Ruinenstätte.<br />
Ein denkmalpflegerisches Konzept<br />
für Herakleia am Latmos / Yerleşim<br />
ve Yaşam Alanı olarak Ören, YeriHerakleia<br />
(Latmos) için bir Koruma Konsepti<br />
MIRAS, Band 1<br />
Erforschung und Schutz archäologischer<br />
Stätten sind untrennbar miteinander verbunden.<br />
Häufig stehen die archäologischen<br />
Unternehmungen jedoch hinsichtlich der<br />
Erhaltung und Sicherung der antiken Monumente<br />
vor Aufgaben, die ihre Möglichkeiten<br />
und Kompetenzen überschreiten.<br />
Erfahrungen von verschiedenen Orten<br />
und eine breite Kenntnis von Fallbeispielen<br />
sind daher wichtige Voraussetzungen<br />
für eine angemessen auf die Besonderheiten<br />
einer archäologischen Stätte reagierende<br />
Konzeptfindung. Das Deutsche Archäologische<br />
Institut Abteilung Istanbul<br />
hat sich vor diesem Hintergrund entschlossen,<br />
eine neue Publikations reihe mit dem<br />
Namen MIRAS (Mana ge ment, Instandsetzung<br />
und Restaurierung an Archäologischen<br />
Stätten in der Türkei) zu eröffnen, in<br />
der solche Fallbeispiele in loser Folge vorgelegt<br />
werden sollen.<br />
NINA SCHÜCKER (HRSG.)<br />
Integrating Archaeology<br />
Die von der Römisch-Germanischen Kommission<br />
im Rahmen des Projekts „Archaeology<br />
in Contemporary Europe“ organisierte<br />
Konferenz „Integrating Archaeology. Wissenschaft<br />
– Wunsch – Wirklichkeit“ beschäftigte<br />
sich mit der gesellschaftlichen Rolle<br />
sowie mit den Möglichkeiten und Chancen<br />
der Altertumswissenschaften. Der aktuelle<br />
Band enthält Beiträge zur Rolle der <strong>Archäologie</strong><br />
in Gesellschaft und Öffentlich-<br />
GUNNAR BRANDS, MARTIN<br />
MAISCHBERGER (HRSG.)<br />
Forschungscluster 5, Band 2: Lebensbilder.<br />
Klassische Archäologen und der<br />
Nationalsozialismus.<br />
Die Beiträge untersuchen das Leben bekannter<br />
<strong>deutsche</strong>r und italienischer Klassi-<br />
IKUWA3: Beyond Boundaries. The 3 rd International<br />
Congress on Underwater<br />
Archaeology, Reihe: Kolloquien zur Vorund<br />
Frühgeschichte, Band 17, J. Henderson<br />
(Hrsg.)<br />
Veröffentlichung von Kolloquien zu speziellen<br />
Themen der <strong>Archäologie</strong> des gesamten<br />
eurasischen Raumes Verlag Dr. Rudolf<br />
Habelt GmbH<br />
… wie diese Tierfigur in einem 12.000 Jahre alten Heiligtum in der Türkei<br />
HIER FANDEN die Archäologen die Abbildungen von Kranichen und anderen Tieren, die noch viele Rätsel aufgeben. Auf dem Hügel „Göbekli Tepe“,<br />
der weit über die Landschaft hinausragt, schufen Menschen, die Jäger und Sammler waren, in 20 Kreisanlagen ein Heiligtum. Die Pfeiler waren bis zu<br />
5,5 Meter hoch. Sie hatten ein Gewicht von bis zu 10 Tonnen und waren ohne Metallwerkzeuge aus monumental gearbeiteten Werksteinen von<br />
unglaublicher Präzision errichtet. Um das einzigartige Zeugnis menschlicher kultureller Entwicklung angemessen dokumentieren, sensibel erforschen<br />
und schützen zu können, entwickelt die Orient-Abteilung des DAI zusammen mit türkischen Partnern und Spezialisten der Universität Cottbus und<br />
des Global Heritage Fund ein systematisches Site Management. (Siehe auch „Die Steinmetze vom Göbekli Tepe“, Seite 18) Foto: DAI Orient-Abt., Schmidt<br />
8 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 9
REPORTAGE<br />
KNICKPYRAMIDE Unbeeindruckt von aktuellen Umbrüchen ragt die Knickpyramide, das pharaonische Pilotprojekt, aus dem Wüstensand. Wegen unvorher- sehbarer Instabilitäten des Baugrundes musste ihre Form während der Arbeiten angepasst werden. Foto: DAI Kairo<br />
ÄGYPTEN –<br />
HERAUSFORDERUNG GEGENWART<br />
Archäologisches Arbeiten in Zeiten des Umbruchs<br />
Dahschur ist ein kleines Dorf ca. 30 Kilometer südlich von Kairo,<br />
das in den Morgenstunden verschlafen und ruhig wirkt. Der<br />
sprichwörtliche Esel döst am Straßenrand, und die Händler packen<br />
gemächlich ihre Waren aus. Der kleine Flecken hat einer der<br />
großen archäologischen Stätten Ägyptens und zugleich einem<br />
bedeutenden Projekt des Deutschen Archäologischen Instituts<br />
den Namen gegeben. Dahschur, das sind „Knickpyramide“ und<br />
„Rote Pyramide“, pharaonische Pilotprojekte aus dem Alten Reich,<br />
als zur Zeit Snofrus, Vater des berühmteren Cheops, 2600 v. Chr.<br />
das Konzept Pyramide mitsamt der umliegenden Infrastruktur erfunden<br />
wurde.<br />
Später am Tag wird das ruhige Dorf zum Hexenkessel. Ohne die<br />
gebieterische, doch unparteiische Autorität einer Ampel scheinen<br />
sämtliche Fahrzeuge des Dorfes, seien sie motorgetrieben oder<br />
nicht, gleichzeitig auf einen einzigen Punkt zuzustreben: die einzige<br />
Kreuzung in der Mitte des Dorfes. Hoffnungslos ineinander<br />
verkeilt stehen sie da, die LKW, die Limousinen, die Geländewagen<br />
und Eselskarren. Es hupt ununterbrochen, und wer glaubt,<br />
sich aus seinem Gefährt heraus nicht verständlich machen zu können,<br />
steigt eben aus und diskutiert auf der Straße weiter. Wie Mörtel<br />
schieben sich Fahrräder, Mopeds und dreirädrige Kleintaxis in<br />
die letzten offenen Fugen und verschließen sie endgültig. Dann<br />
kommen die Männer des Dorfes und beginnen, den Verkehr zu<br />
regeln, was endgültig den totalen Stillstand zur Folge hat.<br />
NORMALITÄT ALS AUFGABE<br />
In den unübersichtlichen Zeiten, in denen Ägypten ein Land im<br />
Dauerumbruch ist und äußere Strukturen erodieren können,<br />
steht <strong>Archäologie</strong> nicht auf Platz eins der Tagesordnung. „Es gibt<br />
keine Alternative dazu, Normalität aufrecht zu erhalten, so gut<br />
es möglich ist“, sagt Stephan Seidlmayer, Direktor der Abteilung<br />
Kairo des DAI. Das tut auch die ägyptische Antikenbehörde, so<br />
10 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 11
gut sie kann. Sie schickt Inspektoren, erteilt Konzessionen, was<br />
Behörden eben so tun. „Normalität“ bedeutet hier aber keineswegs<br />
die Gegenveranstaltung zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen,<br />
wie sie laufend in den <strong>deutsche</strong>n Medien konstruiert werden,<br />
in Berichten, die geflissentlich den ganz normalen Alltag in<br />
Kairo ausblenden, der ohne Frage derzeit eine bedrängende<br />
Realität ist. „Wenn es Auseinandersetzungen im Stadtzentrum<br />
gibt, sehen wir das genauso im Fernsehen wie Sie“, sagt Seidlmayer.<br />
Die einseitige Berichterstattung der heimischen Medien<br />
betrachten nicht nur die Wissenschaftler und Diplomaten vor<br />
Ort als eine Art Nachtreten gegen jemanden, der sowieso schon<br />
Schwierigkeiten genug hat.<br />
POPULÄRER KONSENS<br />
Raubgrabungen sind ein drängendes Problem an den meisten<br />
der archäologischen Stätten Ägyptens, ein Problem, das im Moment<br />
eher wächst. Es gibt einen internationalen Markt für gestohlene<br />
Artfakte – je älter, desto teurer. Die Behörden sind nicht immer<br />
so auf dem Posten, wie es hilfreich wäre, und der Archäologe<br />
befürchtet, dass der Mangel an Sorge für das kulturelle Erbe eine<br />
eigene Routine gewinnt.<br />
„Für die archäologische Arbeit braucht man einen populären Konsens“,<br />
sagt Seidlmayer. Das heißt, dass man die lokale Bevölkerung<br />
einbinden muss, um etwas zu schützen, ohne das Ägypten nicht<br />
auskommt: seine 5000 Jahre alte Geschichte. Und nicht nur zum<br />
Vergnügen von Touristen auf der Suche nach Bildungserlebnis<br />
oder romantischer Verzauberung, sondern vor allem für sich<br />
selbst. „Ohne die Verankerung in seiner Geschichte kann das Land<br />
sich nicht in der Gegenwart orientieren“, weiß Seidlmayer, der seit<br />
über 40 Jahren in Ägypten arbeitet.<br />
Gut 900 Kilometer südlich von Kairo, in Assuan, gelang es schon<br />
einmal, diesen notwendigen Konsens zu schaffen. Die Stadt<br />
wächst rapide, ihre Bewohner brauchen Wohnraum und Infrastruktur<br />
– auch auf Kosten archäologischer Grabungen und Fundstätten.<br />
Erste Siedlungsspuren reichen 5.500 Jahre zurück, der<br />
Platz ist hier an der Grenze zu Nubien wichtig, um die frühesten<br />
Handelsbeziehungen zwischen Mittelmeer und Afrika nachvollziehen<br />
zu können – Gold, Elfenbein, Edelhölzer und Straußenfedern<br />
waren die verhandelten Güter.<br />
Ein Flyer in arabischer Sprache informiert die Bewohner von Assuan<br />
über die Arbeiten des Instituts. „Wir übersetzen außerdem wichtige<br />
Inschriften ins Arabische und erklären spektakuläre Ruinen –<br />
durchaus auch mit dem Ziel, dies alles in die touristischen Wertschöpfungsketten<br />
einzubinden“, erklärt Seidlmayer. Hat es funktioniert?<br />
„Die Faltblätter wurden uns aus der Hand gerissen.“ Zwar<br />
ist auch Assuan von Raubgrabungen und Plünderungen betroffen,<br />
aber inzwischen ist bei der anwohnenden Bevölkerung ein<br />
Bewusstsein dafür entstanden, warum sie ihre Altertümer schützen<br />
sollte, ein Bewusstsein, das bei den ins Ausland orientierten<br />
Eliten Ägyptens häufig auch erst noch geschaffen werden muss.<br />
REPORTAGE<br />
KOOPERATIONEN Ägyptische Mitarbeiter des DAI Kairo am Grabungsplatz. Foto: DAI Kairo<br />
I II III<br />
kulturweit<br />
„Ich habe mich schon immer für alte Bauwerke interessiert“, sagt Yasmin Katzer, Kunsthistorikerin und<br />
Denkmalpflegerin, die gerade das Bachelor-Studium an der Otto-Friedrich Universität Bamberg abgeschlossen<br />
hat. Das Programm „kulturweit“, durchgeführt von der Deutschen UNESCO-Kommission und gefördert<br />
vom Auswärtigen Amt, führte sie nach Kairo ans DAI. Von Mitte März bis Mitte August 2013 wird sie im<br />
Institut arbeiten, unterstützt die Verwaltung bei der Organsiation, fährt mit zu den Grabungen und<br />
übernimmt Aufgaben in der Redaktion. Ihr eigenes Projekt, das sie im Rahmen des kulturweit-Programms<br />
durchführen muss, ist angeschlossen an ein DAI-Projekt, das gemeinsam mit der Deutschen Schule in Kairo<br />
organisiert wird. Darin werden Ideen entwickelt, wie man altägyptische Themen in den Unterricht einbauen<br />
Yasmin Katzer kann. Die Liebe zur Region hat sie im Elternhaus mitbekommen, und inzwischen lernt sie Arabisch. „Man<br />
lernt hier aber auch viel über sich selbst und die anderen Europäer“, hat sie festgestellt. Der Einsatz in den<br />
DAI-Einrichtungen im Rahmen des kulturweit-Programms dauert sechs Monate. Zu den Einsatzfeldern<br />
ge hören Grabungen in den Gastländern sowie die Aufbereitung, Publikation und Präsentation archäologischer<br />
Facharchive oder auch Bibliotheks-, Archiv- und Öffentlichkeitsarbeit. www.kulturweit.de<br />
I STAU Mittags, wenn das Dorf Dahschur zum Hexenkessel wird,<br />
streben sämtliche Fahrzeuge gleichzeitig auf einen einzigen Punkt<br />
zu und verkeilen sich hoffnungslos ineinander.<br />
II VERHÖKERT Grabräuber suchen die meisten der archäologischen<br />
Stätten Ägyptens heim und verkaufen das Diebesgut auf<br />
einem florierenden internationalen Markt. Foto: DAI Kairo<br />
III MITSPRACHE „Für die archäologische Arbeit braucht man<br />
einen populären Konsens.“ – Befragung in Assuan. Foto: DAI Kairo<br />
GESCHICHTSSTUNDE IN DAHSCHUR<br />
Die Archäologin Nicole Alexanian, Grabungsleiterin in Dahschur,<br />
führt eine Schulklasse zu den Pyramiden. Auf dem Programm stehen<br />
die Knickpyramide und die Rote Pyramide, die zugehörigen<br />
Tempel und die umgebende Landschaft insgesamt. Die 12- bis<br />
13-jährigen Mädchen besuchen die „Deutsche Schule der Borromäerinnen“<br />
in Kairo. Sie entstammen zum größten Teil der<br />
ägyptischen oberen Mittelschicht und der Oberschicht und erfüllen<br />
den Ehrgeiz ihrer Familien, den Wohlstand durch beste Bildung<br />
und Ausbildung zu erhalten. In geläufigem Deutsch beantworten<br />
sie die Fragen der Archäologin nach der Ursache für den<br />
Knick und die Risse in der Pyramide: „Der Untergrund war instabil“,<br />
antworten sie richtig, und dass die Steine für den Kern des riesigen<br />
Bauwerks aus der Nähe stammen müssen, schließen sie aus<br />
wenigen Hinweisen. „Wir wissen, dass das Material für die Verkleidung<br />
der Pyramide aber nicht von hier stammen kann“, erklärt<br />
Nicole Alexanian. „Wie ist es also hierhergekommen?“ „Übers Wasser?“<br />
– „Ja, übers Wasser.“<br />
Es ist nicht viel los am archäologischen Platz Dahschur mit seinen<br />
drei Grabungen, die das DAI dort durchführt. Besucher sind so rar,<br />
dass sich die Touristenkamelführer sofort in drei Sprachen auf jeden<br />
stürzen, der vorbeikommt. Doch sie machen nicht im entferntesten<br />
das Geschäft ihrer Kollegen in Gizeh mit Cheops-, Chephren-<br />
und Mykerinospyramide in normalen Zeiten. Die Leere in<br />
Dahschur hat aber auch einen anderen Grund. Noch bis 1997 war<br />
Dahschur militärisches Sperrgebiet, und die pathetische Atmosphäre,<br />
die sich in der Nähe einer Pyramide und in Sichtweite der<br />
nächsten einstellt, ist überlagert von langen Sperrzäunen und patroullierenden<br />
Soldaten, die zum Stützpunkt gehören, der nach<br />
wie vor hier seinen Standort hat.<br />
Derzeit haben die DAI-Archäologen aber mit einem sehr zivilen<br />
Problem zu kämpfen. Auf dem Gelände der 4600 Jahre alten Nekropole<br />
entstand fast über Nacht ein moderner Friedhof der Bewohner<br />
des Dorfes Dahschur. „Die Leute wissen zwar, dass es ein archäologischer<br />
Platz ist“, sagt Stephan Seidlmayer. „Aber man sieht auf der<br />
Erde nicht unbedingt, was darunter liegt.“ Rückgängig machen<br />
kann man es wohl nicht, aber man kann womöglich eine Ausweitung<br />
verhindern – mit dem Assuan-Effekt: „Wir haben schon begonnen,<br />
mit den Leuten im Dorf und mit dem Bürgermeister zu<br />
reden, um für die Anwohner eine Verbindung zwischen Gegenwart<br />
und Vergangenheit zu vermitteln, die sie vielleicht einlenken<br />
lässt“, erzählt Nicole Alexanian. Wenn es wenigstens auch gut fürs<br />
Geschäft wäre, wenn mehr Touristen kämen, wäre es leichter.<br />
12 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 13
REPORTAGE<br />
Der Ägyptologe<br />
Prof. Dr. Stephan Seidlmayer<br />
ist seit 2009 Direktor der<br />
Abteilung Kairo des Deutschen<br />
Archäologischen Instituts.<br />
DAS DEUTSCHE ARCHÄOLOGISCHE INSTITUT<br />
IN KAIRO<br />
Den institutionellen Anfang <strong>deutsche</strong>r <strong>Archäologie</strong> in<br />
Ägypten machte 1907 das Deutsche Institut für Ägyptische<br />
Altertumskunde, das 1929 dem Deutschen Archäologischen<br />
Institut angegliedert wurde. Seit 1957 ist die<br />
Abteilung in einer 30er-Jahre-Villa im Stadtteil Zamalek<br />
untergebracht. In Kooperation mit der ägyptischen Antikenverwaltung<br />
und internationalen Partnern erforschen die<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DAI Kairo alle Epochen<br />
Ägyptens von der Vorgeschichte bis zur Moderne, seine<br />
Siedlungs- und Landschaftsgeschichte, die Gestaltung und<br />
Funktion ritueller Räume und seiner Lebenswelten. Eine<br />
wichtige Rolle spielt auch die Erforschung der Rezeption<br />
des Alten Ägypten und ihre Bedeutung für die Identitätsbildung<br />
in Ägypten und Europa. Die zweitgrößte archäologische<br />
Fachbibliothek Ägyptens, Archive und eine eigene<br />
Publikationsabteilung machen das Institut zu einem<br />
attraktiven Anlaufpunkt nicht nur der Fachöffentlichkeit.<br />
Regelmäßig veranstaltete Tagungen und öffentliche<br />
Vorträge haben ein großes Publikum, und durch die<br />
Vergabe von Stipendien und die Durchführung von<br />
Lehrveranstaltungen unterstützt es die Qualifikation<br />
ägyptischer Wissenschaftler und fördert in seinen Projekten<br />
und bei seinen Veranstaltungen Kontakte und Austausch<br />
zwischen ägyptischen und <strong>deutsche</strong>n Forschern.<br />
REISELUST<br />
Die Bibliothek des Instituts besitzt<br />
eine exquisite Sondersammlung<br />
Reiseliteratur. Eine neue Buchreihe<br />
richtet sich an einen zunehmend<br />
größer werdenden Leserkreis, der an<br />
der Forschungs- und Wissenschaftsgeschichte<br />
in orientalischen Ländern<br />
interessiert ist. Zugleich wird damit<br />
auch das umfangreiche Archivmaterial<br />
des Instituts in Kairo zugänglich<br />
gemacht.<br />
Heike C. Schmidt, Westcar on the Nile –<br />
A journey through Egypt in the 1820s,<br />
240 Seiten, 140 Farbabbildungen,<br />
ISBN 978-3-89500-852-8, Reichert Verlag<br />
Wiesbaden, 2011, 49,− Euro<br />
Am Fuß der Knickpyramide – Aneignung der eigenen Geschichte.<br />
ÄGYPTOLOGIE UND TOURISMUS<br />
Wer mit einem mitteleuropäischen Bildungspaket groß geworden<br />
ist, in dem eine latente Ägyptomanie immer noch fester Bestandteil<br />
ist, mag sich wundern über diese Art irdischer Probleme. Gespeist<br />
wird dieser Blick auf das Land am Nil aber nicht allein durch<br />
die romantische Anverwandlung, sondern auch durch eine bestimmte<br />
Art der Wissenschaft zu Ägypten. „Es ist eine Ägyptologie,<br />
die nicht in Ägypten stattfindet“, weiß Stephan Seidlmayer. Eine<br />
Ägyptologie, die kein Arabisch spricht oder liest, weil sie das alte<br />
Ägypten für etwas Abgeschlossenes hält, das nicht das Geringste<br />
mit der Gegenwart zu tun haben könnte. Man hatte die Hieroglyphen<br />
entziffert, die Gräber geöffnet, die Funde sortiert und sich<br />
anschließend in die Bibliothek zurückgezogen. Das DAI Kairo ist<br />
seit 106 Jahren vor Ort. Wer hier arbeitet, hat – ein gebettet in den<br />
ägyptischen Alltag – gar keine Chance, den irdischen Problemen<br />
zu entgehen. „Es ist deshalb auch völlig unabdingbar, vor allem<br />
jetzt weiterzumachen und die andere Norma lität zu repräsentieren“,<br />
sagt Seidlmayer. Die Normalität, in der der Kultur güterschutz<br />
wichtig ist und die darauf hinweist, wie wenig ein Land wie<br />
Ägypten sich ohne seine 5000 Jahre Geschichte in der Gegenwart<br />
orientieren kann. „Pessimismus ist keine Option“, ist Stephan<br />
Seidl mayer überzeugt, auch wenn es manchmal anstrengend ist.<br />
Diese Botschaft vermittelt er auch dem Ausschuss für Tourismus<br />
des Deutschen Bundestages, der zu Besuch in Kairo ist. Tourismus<br />
ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Ägypten und machte<br />
vor der Revolution 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus.<br />
I GESCHICHTSSTUNDE Nicole Alexanian erklärt<br />
Schülerinnen der Deutschen Schule der Borromäerinnen<br />
Anlässe und Grundzüge des Pyramidenbaus – als<br />
einen Teil ihrer eigenen Geschichte.<br />
II WARTEN AUF KUNDSCHAFT Der Einbruch des<br />
Tourismus in Ägypten bringt zahllose Menschen um<br />
Lohn und Brot. Die einseitige Berichterstattung der<br />
hiesigen Medien tut ein Übriges, die Schwierigkeiten<br />
noch zu verstärken.<br />
III DAS DAI KAIRO IST in einer Villa aus den<br />
30er-Jahren im Stadtteil Zamalek untergebracht.<br />
Der Einbruch ist besonders dramatisch in Zeiten, in denen die<br />
ägyptische Wirtschaft insgesamt schlingert. „Wir können als Wissenschaftler<br />
Perspektiven auf kulturellem Gebiet geben“, erklärt<br />
der Archäologe den Abgeordneten. „Und wir können in einem<br />
breit angelegten Erfahrungsaustausch zu Fragen wie Site Management,<br />
Kulturgüterschutz und der Vermittlung der touristisch<br />
wichtigen Plätze an die lokale Bevölkerung unsere Expertise bündeln.“<br />
Wie ernst das Thema in Ägypten genommen wird, zeigt die<br />
I II III<br />
Tatsache, dass der Ausschuss von Premierminister Hescham Kandil<br />
empfangen wurde. Der Ausschuss-Vorsitzende, Klaus Brähmig,<br />
zeigt Gespür für die Lage. Er stammt aus Sachsen und gehört einer<br />
Generation an, die einen Umbruch erlebt hat, der das Unterste<br />
zu oberst gekehrt hat und die weiß, dass Umbrüche dieser Art<br />
langwierig und anstrengend sind und manchmal auch schmerzhaft<br />
sein können. „Diese Signale sind mehr als positiv aufgenommen<br />
worden“, weiß Stephan Seidlmayer. „Zum einen, dass Abge-<br />
ordnete des <strong>deutsche</strong>n Parlaments zu dieser Zeit nach Ägypten<br />
kommen und dass zum anderen freimütig vermittelt wurde, dass<br />
auch die hoch angesehenen supereffizienten Deutschen auf manchen<br />
Feldern mit Problemen zu kämpfen haben.“<br />
Im Dorf Dahschur löst sich nach einiger Zeit der Knoten ganz von<br />
allein, und man fragt sich verdutzt, was genau eigentlich die Ursache<br />
für den Stau war. sw<br />
14 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 15
INTERVIEW<br />
INTERVIEW MIT STEPHAN SEIDLMAYER<br />
ÜBER ARCHÄOLOGISCHES ARBEITEN<br />
IM HEUTIGEN ÄGYPTEN<br />
Als das Auswärtige Amt 2011 die Transformationspartnerschaft<br />
mit Ägyp ten<br />
ins Leben rief, war dies getragen von<br />
einer fast euphorischen Freude über<br />
die Entwicklungen in einigen Ländern<br />
Nordafrikas und des Nahen Ostens. Hat<br />
man sich zu früh gefreut?<br />
Stephan Seidlmayer: Es liegt in der Natur<br />
von Revolutionen, dass sie zu einem Teil<br />
auch von Illusionen getragen sind. Eine der<br />
Illusionen auf unserer Seite mag es gewesen<br />
sein zu glauben, dass alles viel schneller<br />
ginge. Aber Prozesse eines derart tiefgreifenden<br />
Wandels, wie er derzeit in Ägypten<br />
stattfindet, brauchen ihre Zeit. Das lehren<br />
die Mühseligkeiten ganz praktischer Politik,<br />
das lehrt aber auch die historische Erfahrung.<br />
Wir sollten auch nicht der Versuchung<br />
nachgeben, die Probleme, um die es hier<br />
geht, stets nur mit unseren eigenen Begriffen<br />
analysieren zu wollen.<br />
Aus unserer Sicht als <strong>Deutsches</strong> Archäologisches<br />
Institut gibt es keine Alternative<br />
zur Fortführung aller Programmkomponenten<br />
der Transformationspartnerschaft<br />
mit Ägypten. Tatsächlich müssen wir uns<br />
gerade jetzt als verlässliche Partner erweisen.<br />
Entscheidend ist es, die Arbeit auf die<br />
Bedürfnisse des Landes zuzuschneiden.<br />
Zum Beispiel?<br />
PESSIMISMUS<br />
IST KEINE<br />
OPTION<br />
STEPHAN SEIDLMAYER<br />
DER ÄGYPTOLOGE PROF. DR. STEPHAN<br />
SEIDLMAYER IST SEIT 2009 DIREKTOR<br />
DER ABTEILUNG KAIRO DES DEUT-<br />
SCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTI-<br />
Seidlmayer: Als Archäologen sind wir im<br />
Rahmen der Initiative Transformationspartnerschaft<br />
vor allem in Projekten engagiert,<br />
die der Erhaltung und Erschließung<br />
des kulturellen Erbes dienen, vom Site Management<br />
archäologischer Plätze bis hin<br />
zur Entwicklung touristischer Besuchskonzepte<br />
für einige der großen Denkmälerstätten.<br />
Sie wissen, dass der Tourismus<br />
normalerweise einer der stärksten Wirtschaftszweige<br />
des Landes ist und nun völlig<br />
darniederliegt. Ein wichtiges Projekt ist<br />
auch die Renovierung und der Ausbau des<br />
Museums auf der Nilinsel Elephantine in<br />
der Nähe von Assuan im Süden Ägyptens.<br />
Wie hat man sich denn die konkrete<br />
archäologische Arbeit im Moment vorzustellen?<br />
Seidlmayer: <strong>Archäologie</strong> ist immer eine<br />
zähe, langfristige, und schwierige Arbeit,<br />
bei der man auch einmal Rückschläge er-<br />
leben kann. Das ist aber vollkommen normal.<br />
Und wir wissen natürlich auch, dass<br />
die archäologische Arbeit und ihre Notwendigkeiten<br />
nicht die Nummer eins auf<br />
der Tagesordnung sind, wenn Fragen der<br />
Existenzsicherung Priorität haben. Die<br />
Probleme sind drängend, und Experten<br />
befürchten, dass die derzeitge ägyptische<br />
Wirtschaftspolitik desaströse Folgen haben<br />
kann. In schwierigen Zeiten braucht<br />
man einen langen Atem. Das ist Konsens<br />
bei allen, die hier arbeiten, sei es in der internationalen<br />
<strong>Archäologie</strong>, aber auch –<br />
was uns besonders freut – bei den Angehörigen<br />
der <strong>deutsche</strong>n Botschaft in Kairo<br />
und den <strong>deutsche</strong>n Partnereinrichtungen,<br />
mit denen wir eng zusammenarbeiten.<br />
TRANSFORMATIONSPARTNERSCHAFT<br />
Manchmal ist die archäologische Arbeit anstrengend und langwierig.<br />
Material transport für das Museum auf der Nilinsel Elephantine. Die<br />
Restaurierung des Museum ist eines der Projekte, die im Rahmen der<br />
Transformationspartnerschaft zwischen Ägypten und Deutschland<br />
gefördert werden. 2012 und 2013 unterstützt das Auswärtige Amt Projekte<br />
<strong>deutsche</strong>r und internationaler Nichtregierungsorganisationen mit einem<br />
Gesamtvolumen von je 30 Millionen Euro, darunter auch Vorhaben des DAI<br />
in verschiedenen Ländern, mit denen Partnerschaften begründet<br />
wurden. Fotos: DAI Kairo<br />
Was hilft dabei, die anstrengenden<br />
Zeiten zu überstehen?<br />
Seidlmayer: Es gibt signifikante Schnittstellen<br />
zwischen Ägypten und Deutschland<br />
bzw. der westlichen Kultur insgesamt.<br />
Der „Westen“ hat viel empfangen<br />
von Ägypten und umgekehrt. Es gibt eine<br />
lange Traditon des gegenseitigen Gebens<br />
und Nehmens – länger und tiefer, als man<br />
denkt. Wir sollten nicht vergessen, dass<br />
wir zusammen auf relativ engem Raum leben<br />
und letztlich zum selben kulturellen<br />
System gehören. Kulturkampf-Ideologien<br />
und geschichtsvergessene Orthodoxien<br />
auf beiden Seiten sind nicht nur brandgefährlich,<br />
sie sind auch historisch falsch.<br />
Wie eng ist die Verbindung der Ägyp ter<br />
zu ihrer eigenen Geschichte?<br />
Seidlmayer: Das ist durchaus ein schwieriger<br />
Punkt. Eine besonders problematische<br />
Komponente dabei ist, dass die<br />
ägyptischen Eliten in ihrer Lebensperspektive<br />
stark aus dem Land heraus orientiert<br />
sind. Sie legen Wert auf eine westlich<br />
geprägte Ausbildung; manche Familien<br />
sprechen zuhause nur noch Englisch.<br />
Wir sind gerade dabei – ebenfalls im<br />
Rahmen der Transformationspartnerschaft<br />
– zusammen mit der Deutschen<br />
Schule in Kairo Unterrichtseinheiten zu<br />
entwickeln, in denen den Schülerinnen<br />
und Schülern ihre eigene Geschichte nahegebracht<br />
wird. Dies ist nur ein Beispiel<br />
für die Dinge, die wir im Rahmen unserer<br />
Möglichkeiten tun können. Dazu gehört<br />
es aber auch, unsere Bibliothek –<br />
immerhin die zweitgrößte archäologische<br />
Fachbibliothek Ägyptens – ägyptischen<br />
Forschern und Studierenden freizügig<br />
zu öffnen.<br />
Ägypten kann gar nicht auskommen ohne<br />
die Besinnung auf seine eigene Geschichte,<br />
und es ist nicht frei, sich von diesem<br />
Existenzgrund zu lösen. Die gemeinsame<br />
Arbeit an dieser Aufgabe ist deshalb ein<br />
Schlüsselgebiet, in dem beide Nationen<br />
fruchtbar zusammenarbeiten. sw<br />
16 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 17
CULTURAL HERITAGE<br />
DIE STEINMETZE VOM GÖBEKLI TEPE<br />
Arbeiten am ältesten Heiligtum der Welt<br />
SO SOLL DAS SCHUTZDACH für den Göbekli<br />
Tepe in der Türkei aussehen – für die 12000<br />
Jahre alten Kreisanlagen, umrandet von<br />
megalitihischen Pfeilern, die mit Tiermotiven<br />
verziert sind. Fotos: DAI Orient-Abteilung<br />
(o.l.); BTU Cottbus, Schmidt (o.r.; l.)<br />
6000 Jahre vor der Errichtung von Stonehenge, 7000 Jahre vor<br />
dem Bau der Pyramiden schufen Menschen einen Ort, an dem sie<br />
in 20 Kreisanlagen bis zu 5,5 Meter hohe Pfeiler mit einem Gewicht<br />
von bis zu 10 Tonnen aufstellten, Pfeiler, die ohne Metallwerkzeuge<br />
aus monumental gearbeiteten Werksteinen von unglaublicher<br />
Präzision geschaffen wurden, übersät mit Reliefs von<br />
Tieren, darunter Auerochsen, Wildschweine und Füchse, Ibisse,<br />
Kraniche und Geier, Skorpione, Spinnen und Schlangen.<br />
Göbekli Tepe, der „bauchige Hügel“ in der Nähe der südostanatolischen<br />
Stadt Şanlıurfa in der Türkei, hält mehr Sensationen bereit,<br />
als man in einem Archäologenleben erforschen kann. Die größte<br />
Sensation aber ist, dass man angesichts der monumentalen steinzeitlichen<br />
Anlage mit ihren gewaltigen T-förmigen Pfeilern noch<br />
einmal neu nachdenken muss über die Anfänge dessen, was man<br />
heute unter Zivilisation versteht. Entdeckt wurde der Hügel bereits<br />
in den 60er-Jahren, blieb dabei aber unverstanden. 1994 erkannte<br />
der DAI-Archäologe Klaus Schmidt als erster, was es mit<br />
dem außergewöhnlichen Platz auf sich hat. Seitdem wird der Göbekli<br />
Tepe in einem deutsch-türkischen Gemeinschaftsprojekt<br />
vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) ausgegraben.<br />
Die zahlreichen Tiermotive auf den Pfeilern kamen nicht von ungefähr.<br />
Für Jäger und Sammler muss die Gegend ein Paradies gewesen<br />
sein. Knochenfunde von Tieren belegen reiche Beute, und<br />
Injedem Fall schufen die Steinmetze vom<br />
Göbekli Tepe die ältesten architektonisch<br />
ausgestalteten Heiligtümer der Menschheit.<br />
18 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 19
CULTURAL HERITAGE<br />
BESUCHERMAGNET Der Göbekli Tepe wird von einer jährlich steigenden Zahl von Touristen besucht. Foto: BTU Cottbus, Schmidt<br />
die Archäobotaniker des DAI fanden Spuren wilder Gerste und<br />
wilden Einkorns. Am nördlichen Rand des Fruchtbaren Halbmondes<br />
gelegen, bot das Areal so gute Lebensbedingungen, dass es<br />
womöglich Jäger und Sammler von überall her anzog. Inzwischen<br />
ist der Hügel mit Georadar und Geomagnetik untersucht. Mindestens<br />
16 Megalith-Ringe liegen noch verborgen unter der Erde.<br />
In einer späteren Phase hatten die Erbauer des Tempels weitere<br />
kleinere Pfeiler errichtet, die in rechtwinkligen Räumen aufgestellt<br />
wurden. Schließlich gaben sie den Ort auf, und erst die Römer<br />
nutzen den Hügel mit der guten Aussicht wieder, um darauf<br />
einen Wachtturm zu errichten.<br />
Klaus Schmidt vermutet, dass es genau dieser weite „Blick“ war,<br />
der die Erbauer des Göbekli Tepe veranlasste, hier ihre Heiligtümer<br />
zu errichten. Weitere Arbeiten vor Ort sind nötig, um den Zweck<br />
der Anlagen genauer zu verstehen. Eine Verbindung zum Totenkult<br />
ergibt sich durch den Fund einzelner menschlicher Knochen,<br />
und die Ikonographie des Platzes lässt diese Interpretationsmöglichkeit<br />
für die Anlagen zu. Die Darstellung von Armen, Händen<br />
und Kleidungsstücken auf einigen Pfeilern hilft, sie als stark abstrahierte<br />
Darstellungen überirdischer Wesen zu verstehen. In jedem<br />
Fall schufen die Steinmetze von Göbekli Tepe die ältesten architektonisch<br />
ausgestalteten Heiligtümer der Menschheit.<br />
PRÄZISIONSARBEIT Die Pfeiler des Heiligtums wurden ohne Metallwerkzeuge aus monumental gearbeiteten Werksteinen von unglaublicher Präzision<br />
geschaffen. BTU Cottbus, Schmidt<br />
12000 JAHRE ALTE TIERWELT Tonnenschwere monolithische Pfeiler werden von Mauerzügen, die „Innen“ und „Außen“ temenosartig abgrenzen,<br />
kreisförmig verbunden. Im Zentrum steht ein alles überragendes Pfeilerpaar. Großformatige Reliefs von wilden Tieren halten viele offene Fragen für die<br />
Archäologen bereit. Fotos: DAI Orient-Abteilung, Schmidt<br />
Prof. Dr. Klaus Schmidt<br />
entdeckte 1994 die<br />
Bedeutung des Göbekli<br />
Tepe. Der Archäologe<br />
leitet die Arbeiten des<br />
DAI vor Ort. Foto: DAI<br />
KULTURREVOLUTION<br />
Die Monumente auf dem Göbekli Tepe sind eine weltweit einzigartige Quelle zur Geschichte<br />
des Umbruchs von jägerischen Gesellschaften zum Bauerntum und lassen diesen Wandel in<br />
gänzlich neuem Licht erscheinen. Da sich östlich des Göbekli Tepe aber die Vulkanlandschaft<br />
Karacadağ erstreckt, die mit Hilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen als Heimat später<br />
kultivierter Getreidearten bestimmt werden konnte, stellt sich auch die Frage, ob die jägerisch<br />
geprägte Kultgemeinschaft des Göbekli Tepe unter Umständen die Kultivierung von Wildgetreide<br />
initiiert haben könnte.<br />
Besonders in der älteren Schicht des Göbekli Tepe mit den monumentalen Anlagen zeugen<br />
große Mengen an Tierknochen von großen Festen, die sicher religiös motiviert waren und auch<br />
dem Zweck dienten, eine ausreichende Anzahl an Menschen zum Bau der Anlagen zusammenzuziehen.<br />
Das Ausrichten dieser Feste muss das ökonomische System einer jägerischen<br />
Gesellschaft schnell überlastet haben. Möglicherweise lag hierin der Grund zur Erschließung<br />
neuer Ressourcen, ein Vorgang, der schließlich mit der Domestikation von Pflanzen und Tieren<br />
in eine gänzlich neue, nahrungsmittelproduzierende Lebensweise mündete, die die Periode der<br />
Jungsteinzeit charakterisiert. Der Göbekli Tepe bietet damit einen Einblick in einen der<br />
grundlegendsten Wandlungsprozesse der Menschheitsgeschichte.<br />
Klaus Schmidt<br />
20 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 21
CULTURAL HERITAGE<br />
SCHUTZ VOR WIND UND REGEN Ein Schutzdach soll die Anlage vor Witterungseinflüssen schützen, nachdem sie 12.000 Jahre verborgen unter der Erde lag. Es wird voraussichtlich im Jahr 2014 fertiggestellt. Foto: DAI Orient-Abteilung<br />
Bislang war man davon ausgegangen, dass nur sesshafte und<br />
gut organisierte Gruppen von Menschen, die zudem Landwirtschaft<br />
betreiben, die Zeit und die geeignete Sozialstruktur mit<br />
einer entwickelten Arbeitsteilung gehabt hätten, Tempel zu<br />
bauen – zumal eines solch großen Ausmaßes. Der Göbekli Tepe<br />
zeigt aber, dass es auch umgekehrt gewesen sein kann, dass<br />
nämlich die gemeinsame Anstrengung, ein solches Mammutwerk<br />
zu schaffen, erst die Grundlagen für die Entstehung komplexer<br />
Gesellschaften legte. Zahlreiche Arbeiter mussten versorgt<br />
und untergebracht werden, Holz, Seile und Werkzeug<br />
mussten arbeitsteilig hergestellt, Wasser und Nahrung von Hand<br />
zum Heiligtum getragen und die Werkstücke aus dem nahe gelegenen<br />
Steinbbruch herangeschafft werden – eine bemerkenswerte<br />
Leistung für Jäger und Sammler.<br />
EIN SCHUTZDACH FÜR DEN GÖBEKLI TEPE<br />
Erst ein kleiner Teil der Anlage ist freigelegt, der größte Teil liegt<br />
noch unter der Erde. Die Konzepte für ihre zukünftige Erforschung<br />
sehen vor, die Untersuchungen vor allem an den bereits ergrabenen<br />
Teilen vorzunehmen und die anderen so lange unberührt zu<br />
lassen, bis sichergestellt werden kann, dass die Bauwerke durch<br />
weitere Freilegung keinen Schaden nehmen.<br />
Um das einzigartige Zeugnis menschlicher kultureller Entwicklung<br />
angemessen dokumentieren, sensibel erforschen und vor<br />
allem schützen zu können, entwickelt das DAI nun zusammen mit<br />
seinen türkischen Partnern sowie Spezialisten der Universität<br />
Cottbus und des Global Heritage Fund ein systematisches Site Management,<br />
das zudem den Antrag der Türkei, den Göbekli Tepe<br />
auf die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO zu setzen, unterstützen<br />
soll. Besonders wichtig ist die Errichtung eines Schutzdaches<br />
über der Anlage, um sie vor Wind und Regen zu schützen,<br />
nachdem sie 12.000 Jahre gut geschützt unter der Erde lag. Voraussichtlich<br />
im Jahr 2014 kann dieses Schutzdach fertiggestellt<br />
werden. Das Ziel aller Maßnahmen ist, eine Basis und einen Rahmen<br />
zu schaffen für eine langfristige Sicherung des Göbekli Tepe<br />
als ein singuläres Erbe der Menschheit.<br />
22 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 23
STANDPUNKT<br />
MITGLIEDER des beratenden Baudenkmalausschusses des<br />
DAI in Yeha. Fotos: Gerlach, Orient-Abteilung des DAI<br />
Der beste Schutz eines Hauses sind ein intaktes<br />
Dach, funktionierende Fenster und<br />
Türen, außerdem die Pflege des Putzes,<br />
des Anstrichs und des Raumklimas. Fehlt<br />
dies alles, wird ein Haus schnell zur unbewohnbaren<br />
Ruine. Wasser dringt durch<br />
das Dach ins Gemäuer, Holzböden verfaulen,<br />
Eisen verrostet, Schimmel durchzieht<br />
das Gemäuer. Am Ende setzt sich der Zerfallsprozess<br />
immer weiter und immer<br />
schneller fort.<br />
Mit diesem Beispiel ist zugleich ein Kernproblem<br />
archäologischer Denkmalpflege<br />
angesprochen. Gebäude der frühen Hochkulturen<br />
werden fast immer ohne Dach,<br />
ohne Schutz der Mauerkronen, Decken,<br />
Böden und ohne schützenden Putz an den<br />
Mauern ausgegraben. Dann liegen sie<br />
dort – ungeschützt. Und anders als eine<br />
moderne Hausruine werden diese Gebäude<br />
intensiv genutzt. Tausende von Touristen<br />
nutzen die Ruinen im wahrsten Sinne<br />
des Wortes ab. Im türkischen Ephesos sind<br />
dies jährlich um die 1,5 Millionen Menschen,<br />
die auf antiken Straßen und Fußböden<br />
laufen, und am liebsten würden sie<br />
auf den Mauerkronen spazieren.<br />
Länder mit hohen Touristenzahlen wie<br />
Ägypten, Griechenland und die Türkei<br />
müssen also Wege finden, wie sie die Ruinen<br />
vor Witterungseinflüssen schützen.<br />
Sie müssen sie aber auch für Touristen verstehbar<br />
machen und diese gleichzeitig<br />
von den Ruinen fernhalten – zum Schutz<br />
der Touristen und der Ruinen. Die für<br />
Denkmäler zuständigen Behörden der<br />
einzelnen Länder, in deren Verantwortung<br />
diese Aufgaben liegen und liegen müssen,<br />
ARCHÄOLOGIE<br />
UND<br />
KULTURERHALT<br />
Die Autorin, Prof. Dr. Friederike Fless,<br />
ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts Foto: Lejeune<br />
stehen somit vor einer komplexen Herausforderung.<br />
Diese wird dadurch erhöht, das<br />
durch den Bau von Infrastrukturen für die<br />
Touristen, wie Straßen und Hotels, ganze<br />
Kulturlandschaften zerstört werden, meist<br />
bevor sie erforscht sind. In extremer Form<br />
gilt dies für viele Abschnitte der Küstenregionen<br />
des Mittelmeeres.<br />
Welche Rolle und Verpflichtung kommen<br />
dabei aber der <strong>Archäologie</strong> als Wissenschaft<br />
zu? Seit mehr als 20 Jahren sind hier<br />
durch die Abkommen von La Valetta/Malta<br />
grundsätzliche Standards formuliert.<br />
Bereits bei der Planung der Grabung gilt<br />
es, sich Gedanken über den Umgang mit<br />
dem Grabungsresultat, das heißt dem ausgegrabenen<br />
Denkmal zu machen. Auch<br />
wenn der beste Schutz des Denkmals oftmals<br />
das Zuschütten einer Grabung ist, ist<br />
dennoch der Wunsch nach touristischer<br />
Erschließung zu berücksichtigen. Dies gilt<br />
auch für Grabungen des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts weltweit.<br />
Lösungen können hier nur in einer engen<br />
Zusammenarbeit zwischen den Denkmal-<br />
DER GROSSE TEMPEL VON YEHA in Äthiopien, im abessinischen<br />
Hochland von Tigray, ist zwar gut erhalten, aber er ist in seinem<br />
Bestand gefährdet. Das DAI untersucht in einer Kooperation mit<br />
der äthiopischen Altertümerverwaltung und der Tourismusbehörde<br />
die einzigartige Kultur, die sowohl afrikanische wie auch<br />
südarabische Züge trägt.<br />
behörden in den Ländern und den forschenden<br />
Archäologen gefunden werden.<br />
Dabei kommt der wissenschaftlichen <strong>Archäologie</strong><br />
eine wichtige Rolle zu. Es beginnt<br />
damit, die Gastländer unserer Forschung<br />
dabei zu unterstützen, ihre Kulturlandschaften<br />
zu dokumentieren, da erst<br />
das Wissen über die Lage von archäologischen<br />
Stätten es erlaubt, sie zu schützen.<br />
Das DAI arbeitet in vielen Ländern mit den<br />
Denkmalbehörden zusammen, alte Archivalien<br />
und moderne Satellitenbilder nach<br />
ihren Geokoordinaten in digitalen Systemen<br />
(GIS) zusammenzuführen und damit<br />
zu dokumentieren. Für die einzelnen Plätze<br />
sind die Ausgräber in der Pflicht, Konzepte<br />
zum Schutz und zur Präsentation zu<br />
erarbeiten. Denn erst die Erforschung eines<br />
Ortes oder einer Ruine führt zu dem<br />
Wissen, den Platz allgemein verständlich<br />
zu erklären und touristisch zu erschließen.<br />
Die Pflichten des DAI leiten sich auf dieser<br />
Ebene also unmittelbar aus seiner wissen-<br />
schaftlichen Tätigkeit ab. Die Umsetzung<br />
hingegen muss in Kooperation mit und<br />
weitgehend finanziert durch die Denkmalämter<br />
der jeweiligen Länder erfolgen. In<br />
den Denkmalämtern muss die Kompetenz<br />
für entsprechende Maßnahmen liegen<br />
und auch weiter ausgebaut werden. Zentraler<br />
Ansatz muss dabei sein, dass Teile<br />
der touristischen Einnahmen in den Erhalt<br />
der Attraktionen zurückfließen müssen.<br />
Aber auch das Modell des Verursacherprinzips,<br />
wie es in Deutschland praktiziert<br />
wird, könnte hier helfen. Denn wer eine<br />
Pipeline oder ein Hotel baut, sollte die vorhergehende<br />
archäologische Arbeit auch<br />
finanzieren.<br />
Um seine Kompetenzen in diesem Bereich<br />
zu stärken, hat das Deutsche Archäologische<br />
Institut verschiedene Maßnahmen<br />
getroffen. Es baut die lange und wichtige<br />
Zusammenarbeit im Bereich des Kulturerhalts<br />
mit dem Auswärtigen Amt aus. Es hat<br />
den Austausch zu Grundsatzthemen des<br />
Denkmalschutzes intensiviert, wovon eine<br />
Tagung in Ankara im letzten November<br />
ebenso Zeugnis ablegt wie ein Round Table<br />
Gespräch mit Bauforschern und Spezialisten<br />
im Bereich Site Management und<br />
Denkmalpflege für den Mittelmeerraum.<br />
Es hat aber vor allem einen beratenden<br />
Baudenkmalausschuss eingerichtet und<br />
mit dem neuen Arbeitsbereich von Friedrich<br />
Lüth für Kulturgüterschutz und Site<br />
Management auf die bestehenden Herausforderungen<br />
reagiert (s. S. 61). So hoffen<br />
wir, unseren satzungsgemäßen Auftrag<br />
mit der Perspektive ein Kompetenznetzwerk<br />
für Herausforderungen im Bereich<br />
des Kulturerhalts aufzubauen, zu erfüllen.<br />
Durch die Forschung trägt das DAI<br />
europa- und weltweit zum Erhalt des kulturellen<br />
Erbes und zur Pflege der kulturellen<br />
Identität in seinen Gast- und Partnerländern<br />
bei.<br />
24 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 25
LANDSCHAFTEN<br />
Nah am Pol der Unzugänglichkeit gedeihen<br />
Chinas süßeste Trauben, getrocknet<br />
zu den edelsten Rosinen Asiens. Der Weg<br />
dorthin führt durch eine Landschaft wie<br />
geschaffen von übellaunigen Demiurgen,<br />
die nach halb getaner Arbeit hoch oben<br />
Ausguck nahmen auf dem Altai oder im<br />
Tian Shan-Gebirge, um sich feixend zu vergnügen:<br />
„Mal sehen, wie weit sie kommen.“<br />
Die nicht enden wollende Eintönigkeit<br />
kann das Gemüt verdunkeln, die Vorstellungskraft<br />
muss das Äußerste leisten,<br />
um ein Ende der grauen Geröllwüste ins<br />
Bild zu rücken. Selbst das strahlende Blau<br />
des Himmels ist eintönig, die Luft so trocken<br />
wie Papier.<br />
Sie kamen weit, und sie kamen von weither.<br />
Tatsächlich war jeder einmal irgendwann<br />
in der Gegend, sogar die Türken vor<br />
langer Zeit. Aus dem Norden kamen die<br />
Hunnen, aus dem Osten die Han-Chinesen,<br />
um Kontrolle zu gewinnen über die heute<br />
unwirtliche Gegend. Aus chinesischer Sicht<br />
war immer wichtig, wer den Westen regierte.<br />
Für sie war er das Tor zu den anderen<br />
Welten, für die aus dem Westen war es der<br />
Weg nach China und zu seinen Schätzen.<br />
Aus Baktrien und Indien kamen sie, um<br />
Handel zu treiben, und das rö mische Begehren<br />
nach chinesischen Seidenstoffen<br />
belebte schon vor 2000 Jahren den transkontinentalen<br />
Warenaustausch.<br />
TOR ZU ANDEREN WELTEN<br />
Deutsche und chinesische Archäologen erforschen unbekannte<br />
Gesellschaften an der Seidenstraße<br />
INTERKONTINENTALTRANSFER<br />
Durch endlose Schotterwüsten im<br />
Westen Chinas führte der Weg zu den<br />
reichen Handelsstationen an der<br />
Seidenstraße. Foto: DAI Peking<br />
26 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 27
LANDSCHAFTEN<br />
HÖHLENSTADT<br />
I<br />
RUINENSTADT Jiaohe bei Turfan<br />
II-III HANDELSSTATION AM RANDE DER<br />
WÜSTE Am Südrand der Taklamakan liegt<br />
Khotan, einst auch eine wichtige Station auf der<br />
Seidenstraße. Fotos: DAI Peking<br />
WOHLTAT In der Oase Turfan spendeten die Weinranken Schatten und die Trauben fielen aus<br />
dem Himmel. Foto: DAI Peking<br />
INNOVATION Die Konstruktion einer Prothese. Der flache obere Teil diente der Fixierung und ging auf<br />
Höhe des Knies direkt in die Stelze über. Ihr Ende steckte in einem Ziegen- oder Schafshorn, damit es<br />
sich nicht so schnell abnutzte. Ein darüber gezogener Huf eines Pferdes oder eines Esels schützte vor<br />
dem Einsinken in weichen Boden. Tiefe Kerben an den Durchzügen der Lederbänder und Abrieb an<br />
der Kontaktfläche mit dem Knie und Oberschenkel zeugen von langem Gebrauch. Foto: DAI Peking<br />
III<br />
I II III I II<br />
I-III PRIMÄRTECHNOLOGIE Die Grundlagenforschung<br />
bietet das Fundament für die wissenschaftlich<br />
korrekte Rekonstruktionen vollständiger<br />
Ausstattungen. Die Methoden zahlreicher<br />
geistes-, natur- und technikwissenschaftlicher<br />
Disziplinen werden für die Rekonstruktion von<br />
Wissen und für die Erforschung der Verfügbarkeit<br />
von Ressourcen sowie die Struktur der<br />
Handelsnetze in Ostzentralasien in der Zeit von<br />
ca. 1000 v. Chr. bis 300 n. Chr. genutzt. Zum ersten<br />
Mal werden diese Gesellschaften anhand ihrer<br />
Kleidung charakterisiert. Fotos: DAI Peking<br />
Polyglotte Händler wie die Sogder, die aus dem Gebiet des heutigen<br />
Usbekistan stammten und von der Krim bis nach Korea aktiv<br />
waren, wurden reich und waren zugleich Träger eines lebhaften<br />
kulturellen Austauschs. Ziel und Etappe vieler Karawanen auf dem<br />
Handelsweg, der seit dem 19. Jahrhundert „Seidenstraße“ genannt<br />
wird, war eine grüne und blühende Oase, in der die Weinranken<br />
Schatten spendeten und die Trauben aus dem Himmel<br />
fielen: Turfan.<br />
GUTES KLIMA FÜR ARCHÄOLOGISCHES ARBEITEN<br />
Mayke Wagner, Sinologin und Archäologin, leitet die Außenstelle<br />
des Deutschen Archäologischen Instituts in Peking. Von dort aus<br />
reist sie zusammen mit ihren Kollegen von der Chinesischen Akademie<br />
für Kulturerbe in das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang<br />
im äußersten Westen Chinas, das mit 1,6 Millionen Quadratkilometern<br />
ungefähr so groß ist wie Deutschland, Frankreich und<br />
Spanien zusammen.<br />
Was auf den ersten Blick ein weit entlegenes Forschungsgebiet für<br />
<strong>deutsche</strong> Archäologen zu sein scheint, liegt näher als man denkt:<br />
„Die Vor- und Frühgeschichte des Landes ist nicht nur mit den benachbarten<br />
Regionen verbunden“ sagt Mayke Wagner. „Es gibt<br />
alte Verbindungen aus dieser Region über Zentral- und Westasien<br />
bis nach Europa.“ Die verbindenden Elemente klingen aktuell:<br />
Handel und Technologietransfer.<br />
Die Oase Turfan liegt in einer der tiefsten Senken der Erde, in<br />
nächster Nachbarschaft ihrer höchsten Gebirge – Kontraste, von<br />
denen die Landschaft geprägt ist, aber nicht so kleinteilig, wie<br />
man es aus Europa kennt. Die Wechsel in der Topographie lassen<br />
sich Zeit, sind dann aber umso gewaltiger. 255.000 Menschen leben<br />
heute in der Stadt, die meisten von ihnen sind Uiguren. „Wie<br />
alt die Oase ist, wissen wir nicht genau“, sagt die Archäologin. „Es<br />
gibt keine Selbstzeugnisse zur Entstehung, aber in den ältesten<br />
Berichten, die wir kennen, ist schon von einer ‚alten Stadt’ die<br />
Rede.“ Die stammen aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert. Archäologische<br />
Funde bezeugen, dass die Turfan-Senke schon vor<br />
gut 3000 Jahren von Bauern besiedelt war.<br />
Das Klima ist äußerst trocken, und wenn einmal Regen fällt, hinterlässt<br />
er kaum eine Spur auf der Straße, auch die Kleidung ist<br />
sofort wieder getrocknet. Das Wasser verdampft in Sekundenschnelle<br />
in einer Luft, die keinerlei Sättigung mit Feuchtigkeit hat.<br />
Der Niederschlag beträgt etwa 16 Millimeter im Jahr. Gutes Klima<br />
für die weltberühmten Turfanrosinen und die Bewahrung von<br />
Menschenwerk. An den Handelsstationen der Seidenstraße blieb<br />
vieles erhalten, was andernorts vergeht.<br />
Mayke Wagner erinnert sich noch genau an den Moment, als sie<br />
von einem spektakulären Fund erfuhr, den die chinesischen Kollegen<br />
im Jahr 2007 gemacht hatten. Die Sensation war ein athletisch<br />
gebauter Mann in den „besten Jahren“, körperlich aktiv bis zu<br />
seinem Tod, obwohl er eigentlich ein Invalide war. Sein Alter:<br />
2.300 Jahre, und er war äußerst gut erhalten. Sein linkes Bein war<br />
so nach hinten und innen verdreht, dass er es nicht mehr gebrauchen<br />
konnte, was eigentlich das Ende seiner Existenz bedeutete.<br />
Stock oder Krücke hätten ihm helfen können, aber gleichzeitig<br />
seine Hände beschäftigt, die er zum Arbeiten brauchte. Also konstruierte<br />
er ein Stelzbein aus Holz, das er mit Lederriemen an seinem<br />
Oberschenkel befestigte – die älteste funktionale Beinprothese<br />
der Welt! Der Mann gehörte zu einer Gesellschaft von Bauern<br />
und Hirten, die das Turfan-Becken und die östlichen Ausläufer<br />
BRIDGING EURASIA<br />
Abgesehen von Terrakottakriegern und Konfuzius<br />
weiß man außerhalb Chinas eher wenig vom<br />
chinesischen Altertum. Das liegt vor allem daran,<br />
dass die meisten Berichte über archäologische<br />
Neuentdeckungen oder Ausstellungen vorwiegend<br />
auf Chinesisch veröffentlicht werden. Das vor<br />
kurzem geöffnete Webportal „Bridging Eurasia“, ein<br />
gemeinsames Vorhaben der Außenstelle Peking des<br />
DAI und der Chinesischen Akademie für Kulturerbe,<br />
ist angetreten, das zu ändern. Ausgewählte Themen<br />
zu <strong>Archäologie</strong>, Fundkonservierung und Regionalgeschichte<br />
in China werden für Wissenschaftler und<br />
Laien außer auf Chinesisch auch auf Deutsch und<br />
Englisch zur Verfügung gestellt. Damit ist Bridging<br />
Eurasia weltweit die einzige Plattform, die aktuelle<br />
Informationen zu <strong>Archäologie</strong> und Denkmalschutz<br />
in allen drei Sprachen bietet.<br />
www.bridging-eurasia.org<br />
28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29
LANDSCHAFTEN<br />
Anden Handelsstationen der<br />
Seidenstraße blieb vieles erhalten,<br />
was andernorts vergeht.<br />
Die Sinologin und<br />
Archäologin Prof. Dr.<br />
Mayke Wagner ist<br />
Leiterin der Außenstelle<br />
Peking des DAI. Seit 2000<br />
ist sie Wissenschaftliche<br />
Direktorin der Eurasien-<br />
Abteilung des DAI und seit<br />
April 2010 Honorarprofessorin<br />
im Fach Ostasiatische<br />
Kunstgeschichte an der<br />
Freien Universität Berlin.<br />
GEBILDETE INGENIEURE<br />
Man sieht die Spuren des alten Bewässerungssystems überall. Doch auch dessen<br />
Anfänge liegen im Dunkeln wie das Alter der Stadt – niemand weiß genau, wie alt<br />
diese Meisterleistungen der Ingenieurskunst sind. Das Bewässerungssystem von<br />
Turfan ist ein unterirdisches Brunnensystem mit waagerecht in den Berg<br />
gegrabenen Schächten bzw. horizontalen Brunnen. Dadurch kann man das tiefe<br />
Grundwasser, das aus dem geschmolzenen Schnee des Tian Shan-Gebirges<br />
stammt, ableiten und in unterirdischen Kanälen, geschützt vor Verdunstung, in<br />
die Oase leiten. Rund 1000 Karez gibt es im Turfan-Becken. Ein Brunnen kann bis<br />
zu 70 Meter tief und ein unter irdischer Kanal rund 10 Kilometer lang sein.<br />
Insgesamt sind die Kanäle von Turfan vielleicht mehrere tausend Kilometer lang,<br />
niemand hat sie bislang ausgemessen.<br />
Als die antiken Ingenieure das Bewässerungssystem bis in ein viel älteres<br />
Gräberfeld erweiterten, fällten sie eine durchaus informierte und durchdachte<br />
Entscheidung. Sie kannten die geologischen Gegebenheiten des Untergrunds –<br />
das Gräberfeld liegt auf einem Schwemmfächer –, wussten, welche Wege das<br />
Wasser nahm und dass es weit unter den Gräbern durchfließt. Sie hatten ein<br />
Problem zu lösen, und das taten sie.<br />
Und sie können womöglich dazu beitragen, Probleme der heutigen Zeit zu lösen.<br />
Denn die moderne Methode der Pumpbewässerung führte zur Versalzung und<br />
Verkarstung des Bodens. So reaktiviert man die alten Systeme, weil man erkennt,<br />
dass es ein der Landschaft und ihren natürlichen Gegebenheiten hoch angepasstes<br />
effizientes Bewässerungssystem ist.<br />
Mayke Wagner<br />
HÖHLENSTADT Tuyugou-Tal bei<br />
Turfan mit den ältesten buddhistischen<br />
Grotten in Ost-Xinjiang, vermutlich<br />
4.-5. Jh. Bei den Freilegungen werden<br />
seit 2010 Wandbilder, Skulpturen und<br />
Textfragmente in vielen Sprachen<br />
entdeckt. Foto: DAI Peking<br />
GEBILDETE INGENIEURE Überall sind die Spuren des alten Bewässerungssystems zu sehen. Doch niemand weiß genau, wie alt<br />
diese Meisterleistungen der Ingenieurskunst sind. Foto: DAI Peking<br />
des Tian Shan zu der Zeit besiedelten, als Alexander der Große<br />
nach Osten und das chinesische Kaiserreich Han zum ersten Mal<br />
nach Westen vorstießen und auf zentralasiatische Gemeinschaften<br />
trafen, von denen sehr wenig bekannt ist, weil sie ihre Geschichte<br />
nicht aufschrieben.<br />
Nun tun sich <strong>Archäologie</strong>, Medizin und Geographie zusammen,<br />
um die Lebensweise der antiken Bevölkerung im großen Kontext<br />
nachzuvollziehen, erforschen so die genaue Funktionsweise der<br />
Prothese und versuchen, mögliche Rückschlüsse auf das technische<br />
Wissen der Menschen zu ziehen. Die Paläopathologin Julia<br />
Gresky fand heraus, dass das Leiden, welche die äußerst schmerzhafte<br />
Deformation des Beines verursachte, die Tuberkulose war,<br />
die in Zentral- und Ostasien im ersten Jahrtausend v. Chr. an verschiedenen<br />
Orten auftrat und von Rindern übertragen wird, die<br />
aber in der Region nicht heimisch waren. „Es musste also Handelsbeziehungen<br />
und Wanderungsbewegungen gegeben haben“,<br />
sagt Mayke Wagner. „Reiche Getreidefunde in den Gräbern lassen<br />
uns darauf schließen, dass die Gesellschaft, zu der der Mann mit<br />
dem Holzbein gehörte, zumindest teilweise sesshaft gelebt hat“,<br />
korrigiert die Archäologin die bislang gehegte Vermutung.<br />
Das Holzbein ist natürlich eine spektakuläre Ausnahme. Ein anderer<br />
Ausdruck technischen Wissens ist uns so nah, dass wir ihre geradezu<br />
bestrickende Genialität völlig übersehen. Der Invalide,<br />
seine Angehörigen und Nachbarn wie auch durchreisende Händler<br />
trugen Hosen, Röcke und Kaftane, Stiefel, Ledermäntel, Beispiele<br />
für eine bahnbrechende Primärtechnologie: Kleidung.<br />
Schafe zu scheren, Fäden zu spinnen, zu einer Fläche zu weben<br />
und dieses zweidimensionale Tuch auf einen dreidimensionalen<br />
– menschlichen – Körper zu übertragen, brauchte Planung, mathematische<br />
Kenntnisse und ein hohes Abstraktionsvermögen,<br />
vergleichbar dem in der Architektur. Auch die Kleidung blieb in<br />
dem trockenen Klima gut erhalten, und so konnten an den Handelsstationen<br />
der Seidenstraße ganze Ausstattungen des ersten<br />
Jahrtausends v. Chr. häufig vollständig geborgen werden. Geschmückt<br />
von prächtigen Farben und reichen Dekoren sind sie<br />
Zeugnisse der Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte der Region<br />
30 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 31
LANDSCHAFTEN<br />
VERWECHSLUNGSGEFAHR Wenn man nicht genau hinsieht, kann man die Eingänge zu den Gräbern (li.) und zu den … … „Karez“, dem Bewässerungssystem (re.), leicht miteinander verwechseln. Fotos: DAI Peking<br />
Derlei Dinge sind aber eher selten Gesprächsthema der chinesischen<br />
und <strong>deutsche</strong>n Archäologen, wenn sie abends zusammensitzen.<br />
Die Ausbildung der Kinder ist das Topthema für die chineund<br />
Ausdruck kultureller und sozialer Identität, denn eines konnte<br />
man damals wie heute auch noch häufig erkennen: woher jemand<br />
kam und welcher Schicht er angehörte.<br />
KLIMA UND HYDROTECHNIK<br />
Bei 16 Millimeter Jahresniederschlag und von Weinranken überschatteten<br />
Wegen fragt man sich irgendwann: Woher kommt das<br />
Wasser? Wenn man nicht so genau hinsieht, kann man für bronzezeitliche<br />
Grabhügel halten, was in Wirklichkeit der Eingang zu einem<br />
„Karez“ ist. Vor allem auf dem 54.000 Quadratmeter großen<br />
Gräberfeld von Yanghai, von dem viele der archäologischen Funde<br />
stammen, ist die Gefahr der Verwechslung groß, wenngleich<br />
die Karez-Eingänge im Unterschied zu den Grabhügeln wie an einer<br />
Schnur aufgereiht liegen. Zugang zu lebensnotwendigem Wasser<br />
auf dem Friedhof? Doch was so befremdlich klingt, ist weder ein<br />
Zufall noch ein Versehen. Das alte Bewässerungssystem ist mehr<br />
als intelligent. (s.o. S. 30)<br />
KOOPERATIONEN<br />
Chinas rasante ökonomische Entwicklung hat dazu geführt, dass<br />
Über reste vergangener Epochen in großer Zahl entdeckt und freigelegt<br />
werden. Der Bedarf an Archäologen steigt ständig, und die<br />
Zahl der archäologischen Institute, Ausbildungsstätten, Denkmalämter<br />
und Museen nimmt stetig zu. Der Erhalt des Kulturerbes be-<br />
sitzt hohe Priorität in China, und eine hoch entwickelte chinesische<br />
<strong>Archäologie</strong> nimmt sich seiner an. Deren Interesse – besonders<br />
der jüngeren Wissenschaftler mit Auslandserfahrung – an Kooperationen<br />
mit internationalen Institutionen wächst stetig. Für Restaurierung,<br />
Fundauswertung, Laboranalytik, Paläopathologie, Archäo -<br />
zoo logie und Archäobotanik sowie für den Zugang zu inter na tionalen<br />
Publikationen werden weltweit Kooperationspartner gesucht.<br />
In Ausnahmefällen öffnet China Archäologen aus dem Ausland<br />
seine Fundstätten, so dass sie an Originalen arbeiten können.<br />
ROSINEN Überall in der Stadt stehen die<br />
Trockenhäuser, in denen die Weintrauben zu<br />
den berühmten Turfan-Rosinen reifen. Verkauft<br />
werden sie nach ganz Asien. Foto: DAI Peking<br />
sischen Forscher. Nach deren Schulterminen werden die Kampagnen<br />
ausgerichtet.<br />
Wenn dann eine Kampagne zu Ende geht, bittet der Chef der Tourismusbehörde<br />
von Turfan zum Abendessen. Man möge die Oase<br />
doch bitte freundlich erwähnen, wenn man wieder zu Hause sei.<br />
Aufwändig begrünte Hotels empfangen den Gast. Man serviert<br />
Reis mit gekochtem Lammfleisch und dicke Milch mit Eiswürfeln<br />
und Zucker. Oder einen ganzen Kürbis im Ofen oder Dämpfer gegart,<br />
gefüllt mit getrockneten Datteln, Feigen und Aprikosen, den<br />
man gemeinsam auslöffelt.<br />
Tourismus ist ein großes Thema, und man gibt sich große Mühe,<br />
den alten Handelsplatz zu einer modernen Oase des Wohlbefindens<br />
zu machen. Das Stadtzentrum glänzt, das neue große Museum<br />
ist ein Publikumsmagnet, und in der Vergnügungsmeile erfreuen<br />
Wasserspiele den Flaneur. Offene Schwimmbäder und ein<br />
Paddelteich, an dem sich die Jugend trifft, sollen auch die moderne<br />
technische Bemeisterung einer knappen Ressource zeigen.<br />
Die Archäologen müssen zurück nach Peking. Natürlich steht ihnen<br />
keine wochenlange eintönige Reise auf wankenden Reittieren<br />
bevor. Drei Stunden dauert die Autofahrt von Turfan nach<br />
Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjiang, noch einmal vier bis fünf<br />
Stunden Flug oder demnächst Schnellzugverbindung nach Peking,<br />
weg vom Pol der Unzugänglichkeit. Vom Flughafen fährt<br />
man am besten mit der Airport Express-Bahn und der U-Bahn-Linie<br />
10 Richtung German Centre im Landmark-Komplex. Hier hat<br />
die Außenstelle Peking des DAI ihr Büro.<br />
sw<br />
32 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 33
DAS OBJEKT<br />
DICHTER, FLUSSGOTT UND SCHWARZES MEER<br />
Wie eine kleine Stadt Anspruch auf Homer erhebt<br />
Foto: Fotoarchiv des Instituts für<br />
Archäologische Wissenschaften,<br />
Abteilung II, Goethe-Universität<br />
Frankfurt/Main; Hintergrundbild:<br />
EpicStockMedia / Fotolia.com<br />
Flussgötter sind ein häufiges Motiv auf den Münzen antiker<br />
Städte. Die Menschen dieser Zeit wussten, was sie den Flüssen<br />
zu verdanken hatten: ihr Trinkwasser, das Wasser für die Bewässerung<br />
ihrer Felder und schließlich noch die fruchtbare Erde, die<br />
die Flüsse an ihren Mündungen aufschütteten. Größere Flüsse<br />
wurden als Verkehrswege genutzt; Holz, das in unwegsamen<br />
Bergwäldern geschlagen wurde, konnte über nahe Gebirgsflüsse<br />
an die Küste geflößt werden. Dargestellt wurden die Flüsse<br />
häufig in Gestalt reifer Männer in der Blüte ihrer Jahre. In der Regel<br />
halten diese menschengestaltigen Flussgötter einen Schilfstängel<br />
in ihrem Arm, oft auch ein Füllhorn, das die Fruchtbarkeit,<br />
die sie schaffen, zum Ausdruck bringt. Bisweilen gibt es aber<br />
Münzbilder von Flussgöttern, deren genaue Bedeutung sich erst<br />
durch wissenschaftliche Recherche erschließt. Das gilt auch für<br />
jene Münze, welche die an der kleinasiatischen Schwarzmeerküste<br />
gelegene Stadt Amastris, das heutige türkische Amasra, in<br />
der römischen Kaiserzeit prägte.<br />
Auf der Vorderseite der Münze ist der Kopf eines bärtigen Mannes<br />
dargestellt, den eine griechische Legende als Homer identifiziert.<br />
Auf der Rückseite dieser Münze ist ein Flussgott abgebildet,<br />
der lässig sitzt, Körper und Blick nach links gerichtet.<br />
Sein Oberkörper ist nackt, sein Unterleib mit einem Mantel bedeckt.<br />
Seinem linken Arm stützt er auf einer Amphora, aus der<br />
Wasser ausfließt; er hält einen Zweig, vielleicht einen Schilfstängel.<br />
Auf dem rechten Knie seines hochgestellten Beins ist<br />
ein antikes Saiteninstrument, eine Kithara, zu sehen. Unter<br />
dem Flussgott steht in griechischen Buchstaben „Meles“, darüber<br />
der Name der Bürgerschaft, welche die Münze geprägt hat:<br />
‚[Münze] der Amastrianer’.<br />
Die Münze ist ein Reflex der Suche der antiken Menschen nach<br />
der Heimat Homers. Da sich nichts Sicheres über den Geburtsort<br />
des größten griechischen Dichters ausmachen ließ, erhoben<br />
sehr viele Städte, darunter Smyrna, Kyme, Chios, Ithaka, aber<br />
auch Athen und Rom, mit mehr oder weniger überzeugenden<br />
Argumenten den Anspruch, dass Homer bei ihnen geboren worden<br />
oder wenigstens auf einer seiner Reisen bei ihnen vorbeigekommen<br />
sei. Der Anspruch von Amastris geht darauf zurück,<br />
dass Homer ursprünglich Melesigenes, d.h. ‹der am Meles Geborene›,<br />
geheißen habe. Auf dem Territorium von Amastris gab es<br />
einen Fluss, der Meles hieß – und den identifizierten die Amastrianer<br />
mit dem Geburtsfluss Homers. Die Kithara auf seinem Knie<br />
ist somit ein Hinweis auf die Dichtkunst Homers. Ihre Lage am<br />
Rande der griechischen Welt hielt die Bürger von Amastris nicht<br />
davon ab, tatsächlich zu behaupten, Homer sei bei ihnen geboren<br />
worden. Der Spott, den die Hellenen aus dem Mutterland<br />
und aus dem hochkultivierten Ionien über die ungebildeten und<br />
dummen Griechen von der Schwarzmeerküste auszugießen<br />
pflegten, spornte diese geradezu an, Homer, den Mittelpunkt aller<br />
griechischen Bildung, zu einem Landsmann zu machen. Insofern<br />
ist diese Münze Anspruch und Provokation zugleich.<br />
Der Autor, der Althistoriker und<br />
Numismatiker Prof. Dr. Johannes Nollé,<br />
ist Wissenschaftlicher Referent an der<br />
Kommission für Alte Geschichte und<br />
Epigraphik des DAI in München<br />
34 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 35
TITELTHEMA<br />
Wenn man in einem der<br />
wasserreichsten Länder<br />
der Erde lebt, kann einem<br />
das Nachdenken über das Element<br />
schwer fallen. Es ist zu leicht, an die Ressource<br />
zu gelangen, ohne die gar nichts<br />
geht. Trockene „Jahrhundertsommer“,<br />
die zu Knappheiten führen können, kommen<br />
in Deutschland kaum in einem Menschenleben<br />
einmal vor. Doch in vielen<br />
Regionen der Erde ist Wasser eine sehr<br />
knappe Ressource. Steigende Nachfrage,<br />
Fragen des Zugangs, der Verteilung und<br />
der Dienstleistungen rund um das Wasser,<br />
grenzüberschreitendes Wassermanagement,<br />
die Finanzierung von Wasser,<br />
nationale und internationale rechtliche<br />
Rahmenbedingungen sind Fragen, die<br />
im wahrsten Sinne des Wortes die gesamte<br />
Menschheit betreffen und immer<br />
drängender werden. Daher erklärte die<br />
Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />
das Jahr 2013 zum Internationalen<br />
Jahr der Wasserkooperation.<br />
ARCHÄOLOGIE DES WASSERS<br />
Die technischen, kulturellen und sozialen Wirkungen eines Elements<br />
36 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 37
TITELTHEMA<br />
BRUNNEN Bahnbrechende Innovation und Erfolgsgeschichte.<br />
I In den Fels abgeteufter Brunnen des<br />
präkeramischen Neolithikums. Mylouthkia,<br />
Zypern. Foto: Peltenburg<br />
Foto S. 36/37: Siegel<br />
II Brunnen in Oulban Beni Murra, einem<br />
hyperariden Siedlungsgebiet im östlichen<br />
Jordanien, angelegt von prähistorischen<br />
Hirtennomaden. Foto: Gebel<br />
III Profilschnitt durch den frühneolithischen<br />
Brunnen von Mohelnice. Umzeichnung einer<br />
Fotografie von Rudolf Tichy nach Windl 1998<br />
I Blick vom Turm Maysar-25 im Sultanat Oman<br />
auf den nahe gelegenen Damm.<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Häser<br />
II Wasser als Schmuck- und Währungslieferant<br />
– Tausende von Perlen aus Molluskenschalen.<br />
Depotfund aus Tall Hujayrat al-Ghuzlan.<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Becker<br />
GROSSER DAMM VON MARIB<br />
Wasser spielte bei der Entwicklung<br />
gesellschaftlicher Strukturen zu allen<br />
Zeiten eine bedeutende Rolle.<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Gerlach<br />
I<br />
II<br />
Wasser ist in allen Phasen der Menschheitsgeschichte ein wichtiger<br />
Faktor, seine technische Erschließung beginnt mit den frühesten<br />
Anfängen der Entstehung komplexer Siedlungs- und Gesellschaftsformen.<br />
Ein streng organisiertes Wassermanagement war<br />
Grundlage der großen Flusskulturen an Nil, Euphrat oder Yangtse,<br />
und das Wasser als Gesellschaftsmacher brachte das Wort von den<br />
„hydraulischen Gesellschaften“ hervor. In den ariden Gebieten der<br />
arabischen Halbinsel ermöglichte die Nutzung der Brunnentechnologie,<br />
eingeführt vor rund 6000 Jahren aus der Levante, die Entstehung<br />
einer ganz neuen Lebensform, der Oasenkultur. Technische,<br />
soziale und kulturelle Innovationen mussten ineinandergreifen,<br />
um je wirksam werden zu können.<br />
WASSER UND INNOVATION<br />
Es gehört zu den Selbstzuschreibungen der Moderne, etwas wie<br />
Innovationen in die eigene Zeit zu legen. Dagegen sei die Antike<br />
abgeschlossen und ohnehin immer statisch gewesen, ist eine gängige<br />
Vermutung. Eine Innovation ist eine Erfindung, die den Markteintritt<br />
geschafft hat, erklären moderne Ökonomen. Oder sie ist<br />
etwas, was so selbstverständlich ist, dass wir es gar nicht mehr<br />
wahrnehmen. Die Grundlagen der Nutzung von Wasser in einem<br />
durchschnittlichen mitteleuropäischen Land ist so eine Art Innovation.<br />
Wer fragt sich noch, wie es möglich ist, dass Wasser auch<br />
noch in den obersten Etagen von Hochhäusern aus dem Hahn<br />
läuft? Wer will noch wissen, woher es eigentlich kommt, wie es<br />
gesammelt oder gefunden wurde? Ist das alles Regenwasser, oder<br />
kommt es aus Grundwasserbrunnen? Und wenn ja, wie baut man<br />
die? Und woher weiß man überhaupt, wo Wasser sein könnte,<br />
wenn es nicht an die Oberfläche tritt? Und was soll man tun, wenn<br />
plötzlich viel zu viel Wasser da ist und droht, alles mit sich zu reißen?<br />
Wer bestimmt schließlich, wo Brunnen oder Wasserleitungen<br />
gebaut werden, und wer verwaltet die? Wem gehört knappes<br />
Wasser, und wer darf es an wen verteilen oder verkaufen?<br />
Wasser aus nahegelegenen Flüssen oder Seen zu schöpfen, ist die<br />
einfachste Methode, sich damit zu versorgen. Wasser, das nur unter<br />
der Erde fließt, muss man erst finden, und soll es von A nach B<br />
transportiert werden, ist Technik vonnöten, seien es einfache Gräben,<br />
Leitungen oder ausgereifte Druckrohrleitungen – Kenntnisse<br />
ökologischer und hydrologischer Zusammenhänge sind unverzichtbar.<br />
Im 9. Jahrtausend v. Chr. wurde auf Zypern der erste Brunnen gebaut.<br />
Die Technologie ermöglichte eine fast explosionsartige Ausweitung<br />
von Dauersiedlungen, die nicht unmittelbar an Quellen<br />
und Flüssen lagen. Komplexer werdende Gesellschaften bauten<br />
Kanäle, Aquädukte, Staudämme oder Talsperren und komplexe<br />
Systeme zur Bewässerung von Feldern. Je mehr man anbauen<br />
konnte, umso größer und wohlhabender konnten wiederum die<br />
Gemeinschaften werden. Bei weiterer Ausdifferenzierung von Gesellschaften<br />
bildeten sich herrschende Klassen, die das schwer zu<br />
bändigende Element entweder zu Zwecken der Staatsraison oder<br />
für Prachtentfaltung und Machtdemonstration nutzten, indem sie<br />
verschwenderischen Luxus damit trieben. Und nicht wegzudenken<br />
ist Wasser aus tausendfach unterschiedlichen Kulten in allen<br />
Gegenden der Erde, die ihre jeweils höheren Wesen um Wohlstand,<br />
Fruchtbarkeit und langes Leben baten.<br />
In dieser fachübergreifenden Perspektive untersuchen zahlreiche<br />
Vorhaben des Deutschen Archäologischen Instituts antikes Wassermanagement<br />
im Rahmen seiner natürlichen Voraussetzungen<br />
und seiner menschlichen Anverwandlungen. Die <strong>Archäologie</strong> als<br />
historische Wissenschaft erforscht den kulturellen Rahmen antiker<br />
Gesellschaften, ihre kulturwissenschaftlichen Ansätze analysieren<br />
den Zuschnitt der unendlich vielen Formen menschlicher<br />
Gemeinschaften, und in der Zusammenarbeit mit zahlreichen Disziplinen<br />
der Naturwissenschaften rekonstruiert sie das sensible<br />
Gefüge, in dem Mensch und Umwelt aufeinander einwirken.<br />
38 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 39
TITELTHEMA<br />
SÜDSCHLEUSE des Großen Damms von Marib<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Gerlach<br />
WEIHRAUCH, WASSER, WIRTSCHAFT<br />
Ausgefeilte Hydrotechnik machte aus einst stillen Oasen<br />
einflussreiche Territorialmächte<br />
Moderne Gartenbewässerung in der Oase von Tayma.<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Hausleiter<br />
Marib und Tayma<br />
Das Klima ist sehr trocken, und der Anblick der Oase evoziert<br />
ein Klischee: der Brunnen im Stadtzentrum und Gärten voller<br />
Palmen. Der Beiklang des Wortes „Oase“ produziert leicht die<br />
falsche Vorstellung eines verschlafenen Nests, in dem man allenfalls<br />
ein dösendes Kamel trifft. Die Bilder sind schön, romantisch<br />
sind die Geschichten eher nicht. Vielmehr sind es<br />
Geschichten über Erfindergeist und technische Innovationen,<br />
über effiziente gesellschaftliche Organisation und internationale<br />
Handelsbeziehungen, über Geschäfte und knallharte<br />
Konkurrenz, denn eine Oase brauchte Kundschaft. Die Karawanen<br />
zogen durch die Wüste mit Hunderten von Tieren, die<br />
alle paar Tage getränkt werden mussten. Das kostete Geld.<br />
Zog eine Karawane woanders hin, konnte die Oase in Zahlungsschwierigkeiten<br />
geraten.<br />
Nichts könnte also falscher sein, als sich die Oasen der Arabischen<br />
Halbinsel in der Antike als verschlafene Nester vorzustellen.<br />
Vielmehr wurden sie bei anhaltendem Erfolg zu Territorialmächten,<br />
die die geopolitischen Koordinaten der Region<br />
neu zogen. Im frühen 4. Jahrtausend v. Chr. breitet sich die<br />
Oasenkultur vom Süden Jordaniens weiter nach Süden und<br />
Südosten aus: auf die Arabische Halbinsel in die ariden Gebiete<br />
süd lich des Fruchtbaren Halbmonds. Tayma in Nord-West-<br />
Saudi-Arabien und Marib im Jemen sind Beispiele für prosperierende<br />
Oasen, die einst wichtige Stationen an der Weihrauchstraße<br />
waren.<br />
Die Hirten, die im 4. und 3. Jahrtausend in die Oasen kommen,<br />
finden Feld- und Gartenbau vor und Brunnen für Trinkwasser<br />
und Feldbewässerung. Ab dem 2. Jahrtausend werden Tayma<br />
und Marib zu politisch und wirtschaftlich zentralen Orten und<br />
Drehscheiben des Verkehrs und Handels, beide waren in überregionale<br />
politische Entwicklungen einbezogen und wurden<br />
von den damaligen „Supermächten“ Ägypten, Assyrien und<br />
Babylonien oder Griechenland und Rom wahrgenommen. Die<br />
dauerhafte, ganzjährige Besiedlung, die Voraussetzung dieser<br />
Entwicklungen war, wurde möglich durch Beherrschung der<br />
grundlegenden Wasserbautechniken.<br />
Die Archäologen des DAI arbeiten seit mehreren Jahren gemeinsam<br />
mit Geoarchäologen, Wasserbauingenieuren und<br />
Hydrologen daran, diese frühen Innovationen zu erforschen.<br />
BRUNNEN In den Fels gehauener Schacht eines<br />
Brunnens mit steinernem Aufbau im Zentrum<br />
der Ruine von Tayma, vermutlich aus nabatäischer<br />
Zeit. Foto: DAI Orient-Abteilung, Kramer<br />
SCHATTENSEITEN DES REICHTUMS Sedimentpakete im Stauraum des Großen Dammes<br />
von Marib führten vermutlich zu Beginn des 7. Jahrhunderts n. Chr. schließlich zum<br />
endgültigen Dammbruch. Foto: DAI, Orient-Abteilung, Hitgen<br />
40 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 41
I DER GROSSE DAMM VON MARIB<br />
Blick vom südlichen Auslassbauwerk (Südbau) zu den<br />
Resten des Dammes und zum Nordbau.<br />
Foto: DAI Orient- Abteilung, Gerlach<br />
TITELTHEMA<br />
II SÜDBAU DES GROSSEN DAMMS VON MARIB<br />
Die heute sichtbare Bauphase des Großen Damms<br />
stammt aus dem 6. Jahrhundert n. Chr.<br />
Foto: DAI Orient-Abteilung, Gerlach<br />
I<br />
Marib – Wirtschaftszentum des Reichs von Saba<br />
Die Oase von Marib im heutigen Jemen<br />
war die Lebensader eines bedeutenden<br />
Karawanenreiches des 1. Jahrtausends v.<br />
Chr. Hier entstand eine Hochkultur, die<br />
weit ausstrahlte, reich vom Handel mit<br />
Duftstoffen: Saba. Grundlage ihres Wohlstandes<br />
war eine inten sive Landwirtschaft,<br />
mit der nicht nur Bewohner, sondern auch<br />
Ka rawanen versorgt werden konnten. Die<br />
Archäologin Iris Gerlach erforscht den Ursprung<br />
und die Entwicklung des sabäischen<br />
Reiches mit seinem Zentrum Marib.<br />
Die Besonderheiten der Bewässe rungskultur<br />
spielen dabei naturgemäß eine herausragende<br />
Rolle.<br />
Saba war die bedeutendste Oasenkultur<br />
am östlichen Rand des jemenitischen Hochlandes.<br />
Seit dem 8. Jahrhundert v. Chr hatte<br />
sie sich zu einem Territorialstaat entwickelt.<br />
Antike Quellen berichten vom sagenumwobenen<br />
Reichtum Sabas. Er manifestierte<br />
sich in reichen Tempeln und anderen<br />
Prachtbauten, deren Überreste noch heute<br />
zu sehen sind. Die Kontrolle über den Handel<br />
mit Weihrauch und Myrrhe und die<br />
Lage an der Weihrauchstraße waren Quelle<br />
des Reichtums – aber nicht seine Grundlage.<br />
Die erfolgreiche landwirtschaftliche<br />
Nutzung großer Feldflächen war die eigentliche<br />
Basis des Wohlstands. Zwei Mal<br />
im Jahr stürzte der Monsunregen über das<br />
Bergland des Jemen hinab. Die Niederschläge<br />
sammelten sich in den Wadis und<br />
ergossen sich als mächtige Sturzfluten in<br />
die Wüstenzonen des Landes – in Wucht<br />
und Masse vergleichbar dem Rheinfall von<br />
Schaffhausen. Solange sie nicht gebändigt<br />
waren, richteten sie eher Schaden an<br />
als dass sie Nutzen bringen konnten. Spuren<br />
von Bewässerungssystemen finden<br />
sich bereits im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr.<br />
– in einer Zeit, in der das Klima in der Region<br />
deutlich trockener wurde. Erddämme,<br />
Buhnen genannt, leiteten das Wasser aus<br />
der Mitte des Wadistroms auf die Felder<br />
und machten so den Feldbau in bescheidenem<br />
Umfang möglich.<br />
Um 1000 v. Chr. formiert sich die sabäische<br />
Kultur, eine neue Steinbearbeitung entwickelt<br />
sich, und auch die Bewässerungssysteme<br />
werden komplexer. Der „Bau A“ –<br />
wohl noch basierend auf der Buhnentechnik<br />
– ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst,<br />
bestehend aus Pfeilerkonstruktionen<br />
und Schwergwichtsmauern. Die Kalksteinquader<br />
sind so geschnitten, dass sie<br />
fugenlos zueinander passen, und sie sind<br />
so genau versetzt, dass sie dem Druck des<br />
Wassers standhalten.<br />
Sicher war der Reichtum der Oase nie. Zum<br />
einen konnte das lebensspendende Wasser<br />
bei zu hohen Fluten die Bewässerungsanlagen<br />
zerstören, und auch die fruchtbaren<br />
Sedimente, die zweimal im Jahr auf<br />
die Felder geschwemmt wurden, hatten<br />
auf Dauer ihre Schattenseiten. Das Bodenniveau<br />
in der Oase stieg kontinuierlich um<br />
ca. einen Zentimeter pro Jahr. Dadurch verringerte<br />
sich das Fließgefälle im Kanalsystem,<br />
das aber nötig war, um auch die Randbereiche<br />
der Oase mit Wasser zu versorgen.<br />
Damm und Auslässe mussten ständig<br />
erhöht werden – auch der Große Damm<br />
von Marib zeigt sich den Archäologen<br />
heute im Zustand einer späten Bauphase,<br />
die gegen Ende der altsüdarabischen Reiche<br />
anzusetzen ist. Bau in schrif ten aus<br />
dem 4. und 5. nachchristlichen Jahrhundert<br />
berichten von den Bauarbeiten.<br />
Ein größeres Problem waren politische<br />
und soziale Veränderungen in der Region.<br />
Die äthiopischen Eroberer des sabäischen<br />
Reiches mussten die Menschen zwangsverpflichten,<br />
die überlebensnotwendigen<br />
Instandhaltungsarbeiten am Bewässerungssystem<br />
durchzuführen. Ohne einen<br />
starken politischen Konsens wurden im<br />
Laufe der Zeit alle Systeme brüchig – zu<br />
Beginn des 7. Jahrhunderts brach der<br />
Große Damm. Das war das Ende der Oase<br />
Marib.<br />
SCHEMATISCHER PLAN mit den wichtigsten<br />
Funktionselementen des Großen Damms.<br />
Nach Ueli Brunner, Jemen. Vom Weihrauch zum<br />
Erdöl (Wien/Köln/Weimar 1999) Abb. S. 46<br />
II<br />
Dr. Iris Gerlach ist Leiterin der<br />
Außenstelle Sana‘a des DAI. Die<br />
Oase Marib wird seit 35 Jahren<br />
von Mitarbeitern der<br />
Außenstelle erforscht.<br />
DER GROSSE DAMM<br />
Im späten 8. Jahrhundert v. Chr. hatten die Sabäer ihre Fähigkeiten so weit entwickelt, dass sie das<br />
schwierigste Projekt ihrer Bewässerungssysteme in Angriff nahmen und im 6. Jahrhundert v. Chr.<br />
umsetzten. Der Große Damm von Marib ermöglichte eine Vollsperrung des gesamten Wadis, mit<br />
der man nahezu alles Wasser für die Bewässerung der Felder verwenden und damit gleichzeitig die<br />
Anbaufläche deutlich ausweiten konnte. Es ging hierbei nicht um Bevorratung wie bei modernen<br />
Talsperren. Vielmehr wurde gestaut, um den Wasserspiegel anzuheben, das Wasser zu beruhigen<br />
und in Kanäle einleiten zu können. So konnte man die Felder kontrolliert überfluten. Die Sabäer<br />
errichteten dazu einen 600 Meter langen, fast 100 Meter breiten und ungefähr 20 Meter hohen<br />
Erddamm mit Steinstückung.<br />
An den Seiten befanden sich Auslassbauwerke, die man direkt auf dem anstehenden Felsen<br />
errichtete, um die Unterspülung ihrer Fundamente zu verhindern. Die Schwellen dieser Durchlässe<br />
lagen weit über dem Niveau der Felder, aber noch deutlich niedriger als die Dammkrone. Erreichte<br />
das Wasser die Schwellen, strömte es in ein Tosbecken, in dem es sich so weit beruhigte und<br />
verlangsamte, dass es ins Kanalnetz eingespeist werden konnte. Über den Hauptkanal gelangte<br />
das Wasser zum Hauptverteiler, und von dort erreichte es bei einem nur minimalen Fließgefälle von<br />
ein bis zwei Promille das sich immer weiter verzweigende Kanalsystem und schließlich die etwa<br />
einen Hektar großen Felder. Eine einmalige Überflutung von etwa einem halben Meter garantierte<br />
die Ernte. 1000 Jahre lang konnten die Sabäer auf diese Weise die lebensfeindliche Region in eine<br />
fruchtbare Oase verwandeln. Fast 10000 Hektar Ackerland wurden bewirtschaftet. In dieser Zeit<br />
war Marib die größte künstlich geschaffene Oasenlandschaft Südarabiens.<br />
Iris Gerlach<br />
42 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 43
TITELTHEMA<br />
II<br />
III<br />
I<br />
I KANALANLAGE eines Bewässerungssystems in Tayma. Kanalkreuzung mit<br />
vorgeschaltetem Absetzbecken (wahrscheinlich spätes 1. Jt. v. Chr.). Daneben<br />
sieht man eine antike Feldbegrenzung. Foto: DAI Orient-Abteilung, Weigel<br />
II VERMESSUNGSARBEITEN IN TAYMA. Foto: DAI Orinet-Abteilung,<br />
Hausleiter<br />
III MITARBEITER DES Naturwissenschaftlichen Referats des DAI konnten<br />
zusammen mit Biologen der Freien Universität Berlin in einer Pollen analyse<br />
die pflanzliche Besiedlungsgeschichte der Oase Tayma umreißen. Dabei<br />
stellte sich heraus, dass mindestens seit der zweiten Hälfte des 4. Jahr -<br />
tausends v. Chr. in Tayma Wein angebaut wurde. Foto: DAI Orient-<br />
Abteilung, Eichmann<br />
DIE GESCHICHTE VON TAYMA<br />
Wenn auch die Besiedlung von Tayma im 3. Jahrtausend v. Chr. begann – der Name Tayma wird zum ersten Mal<br />
in einem Text aus dem Gebiet des Mittleren Euphrat erwähnt. Es war die Zeit der Tributpflicht Taymas an den<br />
assyrischen König Tiglatpileser III., der von 745 bis 726 v. Chr. regierte, und Assyrien zu einer Hegemonialmacht<br />
in der Region ausgebaut hatte. Der Text nennt Tayma in Zusammenhang mit einer Handelskarawane, und auch<br />
in späteren, zum Beispiel der biblischen Überlieferung ist von Tayma vor allen als von einem Handelsplatz die<br />
Rede. Wir wissen, dass Tayma auch in neubabylonischer und achämenidischer Zeit an die jeweiligen übergeordneten<br />
politischen Einheiten angebunden war, aber trotz neuer keilschriftlicher Textfunde in der Oase und den<br />
bereits bekannten Zeugnissen der Achämenidenzeit ist die genaue Art und Weise dieser Anbindung nur in<br />
groben Zügen bekannt.<br />
Zwischen den Oasen herrschte stets nicht nur ein reger Austausch, sondern auch ein harter Wettbewerb.<br />
Insbesondere während der letzten Jahrhunderte des 1. Jahrtausends v. Chr. war das Verhältnis zwischen Tayma<br />
und der Nachbaroase Dedan (heute Khuraybah) von Konkurrenz geprägt. Und schließlich bemächtigten sich die<br />
Könige der lihyanischen Dynastie von Dedan des politischen Raumes und der Heiligtümer von Tayma, indem sie<br />
Inschriften hinterlegten und in einem Tempel Statuen errichteten. Gleichzeitig ging die Siedlungsgröße der Oase<br />
zurück – ein Zeichen für die Machtverschiebung in der Region. Tayma gelangt unter nabatäischen, dann<br />
römisch-byzantinischen Einfluss. Später spielt Tayma als Ausgangspunkt für die Islamisierung der Levante eine<br />
bedeutende Rolle. Zuvor war hier eine bedeutende jüdische Gemeinde angesiedelt, und noch im 11. Jahrhundert<br />
ist Tayma bekannt als ein wohlhabender Ort mit einer großen Stadtmauer.<br />
Ricardo Eichmann<br />
DER BIR HADAJ gilt mit 18 Metern Durchmesser als einer der größten Brunnen der Arabischen Halbinsel.<br />
Er diente zur Bewässerung der Palmoase von Tayma. Das Wasser wurde mit Hilfe von Kamelen aus dem<br />
Brunnen geschöpft. Foto: DAI Orient-Abteilung, Hausleiter<br />
Prof. Dr. Ricardo Eichmann,<br />
Direktor der Orient-<br />
Abteilung des DAI, leitet seit<br />
2004 das deutschsaudi-<br />
arabische Ausgrabungsprojekt<br />
in Tayma.<br />
Grabungsleiter in<br />
Tayma ist PD Dr.<br />
Arnulf Hausleiter<br />
Tayma, ein urbanes Zentrum in der Wüste<br />
Tayma ist eine der herausragendsten archäologischen<br />
Fundstätten Saudi-Arabiens<br />
und des Vorderen Orients. Von Sesshaften<br />
besiedelt seit dem 3. Jahrtausend<br />
v. Chr., kennt man den Ort aus der Bibel<br />
und aus keilschriftlicher Literatur vor allem<br />
als Handelsplatz. Aus einer einfachen<br />
Oasensiedlung war im Laufe der Zeit ein<br />
mächtiges Zentrum mit öffentlichen Bauwerken<br />
und ausgedehnten Wohngebieten<br />
geworden, das sich sogar im 2. Jahrtausend<br />
mit einer großen Stadtmauer<br />
eine Grenze gab. Bereits zu dieser Zeit gibt<br />
es Kontakte mit Ägypten und der Levante.<br />
Später hatte hier der spätbabylonische<br />
König Nabonid (556-539 v. Chr.) für zehn<br />
Jahre seine Residenz – das zeigen Felsinschriften<br />
in der Umgebung der Oase.<br />
Im Frühholozän gab es direkt nördlich der<br />
späteren Siedlung einen großen See, der<br />
infolge von Klimaveränderungen ab dem<br />
6. Jahrtausend v. Chr. austrocknete. Er dürfte<br />
der Auslöser dafür gewesen sein, dass<br />
Menschen in diese Gegend kamen. Ricardo<br />
Eichmann und Arnulf Hausleiter gehören<br />
zu den ersten ausländischen Archäologen,<br />
die in der Oase Tayma im heutigen Saudi-<br />
Arabien forschen konnten und dies in Kooperation<br />
mit der Saudi Commission for<br />
Tourism and Antiquities tun. Ein Glücksfall,<br />
denn Tayma ist ein he rausragendes Beispiel<br />
für die Entstehung von Oasenkulturen<br />
und ihrer Entwicklung zu politisch einflussreichen<br />
Regionalmächten.<br />
Die antike Oase Tayma gewann das Wasser,<br />
das sie brauchte, überwiegend aus<br />
dem Grundwasser, das durch Brunnen<br />
bzw. einen Quellteich erschlossen wurde.<br />
Dieses Wasser gelangte durch ein feingliedriges<br />
System von Kanälen auf die Felder<br />
und ermöglichte so zum einen eine<br />
Landwirtschaft, die zahlreiche Menschen<br />
ernährte, zum anderen gewährleistete es<br />
die ausreichende Versorgung von Lasttieren<br />
der vorbeiziehenden großen Karawanenzüge.<br />
Die Archäologen untersuchen das ausgefeilte<br />
Bewässerungssystem von Tayma zusammen<br />
mit Experten der Hochschule Lübeck<br />
in einer Kombination aus geoelektrischen<br />
und geomagnetischen Untersuchungen<br />
mit Ausgrabungen und Surveys.<br />
Wie die Brunnen funktionierten, lässt sich<br />
an jenen Anlagen veranschaulichen, die<br />
bis Mitte des 20. Jahrhunderts in der Oase<br />
in Gebrauch waren. Bei den größten Brunnen<br />
wurde das Wasser mit Kamelen über<br />
Umlenkräder aus der Tiefe an die Oberfläche<br />
befördert – bis schließlich Dieselpumpen<br />
diese Arbeit übernahmen. Der größte<br />
Brunnen von Tayma, der „Bir Haddaj“ hat<br />
einen Durchmesser von 18 Metern. Bislang<br />
fanden die Forscher in Tayma mehr<br />
als 80 Brunnen. Weshalb die Oase an Bedeutung<br />
einbüßte, wollen Archäologen<br />
und Wasserexperten vor dem Hintergrund<br />
des augenscheinlichen Wasserreichtums<br />
jetzt gemeinsam beantworten: Wieviel<br />
Wasser konnten die Brunnen liefern? Wie<br />
hoch war die Nachfließgeschwindigkeit?<br />
Reichte dies auf Dauer für die Karawanen,<br />
die zum Teil Hunderte Kamele mit sich<br />
führten? Oder gab es vielleicht Konflikte<br />
darüber, wer das Wasser an wen verkaufen<br />
durfte?<br />
44 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 45
TITELTHEMA<br />
SCHNITT DURCH DIE DOMUS SEVERIANA – SCHEMATISCHE REKONSTRUKTION Die Aussichtsräume öffneten sich zu einem großen Wasserbecken,<br />
das in flavischer Zeit (Ende 1. Jh. n. Chr.) auf einem zweigeschossigen Unterbau errichtet wurde. Abb.: Lehrstuhl für Baugeschichte, Lehrstuhl für Vermessungskunde<br />
der BTU Cottbus mit Ergänzungen von Ulrike Wulf-Rheidt, Architekturreferat des DAI Berlin<br />
„WASSERPFLANZEN“ Im sogenannten Versenkten Peristyl befand sich ein großes Wasserbecken mit einer Insel, die im 2. Jh. n. Chr. in Form<br />
eines Peltaschildes gestaltet wurde. Die Bepflanzung mit blauen Blumen soll eine Ahnung vom früheren Wasserluxus im Kaiserpalast geben.<br />
Foto: Architekturreferat des DAI Berlin, Pflug<br />
DAS GROSSE WASSERBECKEN Virtuelles Rekonstruktionsmodell der Domus Severiana in flavischer Zeit (Ende 1. Jh. n. Chr.). Mit dem Wasserbecken im<br />
Blick erhielten die Räume, in denen die luxuriösen Gelage gefeiert wurden, den Charakter einer Villenanlage. Abb.: LengyelToulouse Architekten auf<br />
Grundlage eines 3D-Modells von Armin Müller, Architekturreferat des DAI Berlin<br />
ALLES FLIESST<br />
Wasserluxus in der Antike<br />
Rom und Córdoba<br />
Wasser für den Kaiser<br />
Manchmal scheinen Dinge so zu sein, wie man sie in schlechten<br />
Filmen sieht. Römische Kaiser verprassen Vermögen für<br />
sich und ihren Hofstaat in dekadentem Luxus, der keine<br />
Übertreibung scheute. Kalifen nahmen ihre Pflicht zu repräsentieren<br />
sehr genau und feierten rauschende Feste, bei denen<br />
der Wein in Strömen floss. Sie und ihresgleichen, ob<br />
Herrscher oder einfach nur reich, geboten über Mittel, die<br />
ihnen die Beherrschung eines immer eigenwilligen und<br />
selbst mächtigen Elements erlaubte. In Luxussucht und<br />
Herrscherwahn und um die wenigen Freunde und die vielen<br />
Feinde zu beeindrucken, wollten sie sich nicht mit dem Wasser<br />
arrangieren, sie wollten ihm gebieten. In Prachtentfaltung<br />
und Machtdemonstration spielt Wasser seit jeher eine<br />
herausragende Rolle.<br />
Der Palatin war der Herrschaftsbezirk von Rom, auf dem sich das<br />
Machtzentrum der antiken Welt befand. Das Imperium war die beherrschende<br />
Macht im Mittelmeerraum. Das Wort Palast kommt<br />
von Palatin, und genau so muss man sich die Bebauung vorstellen.<br />
Die Bauforscherin und Architektin Ulrike Wulf-Rheidt arbeitet<br />
seit 1998 in zahlreichen Projekten zum Palatin, in Kooperation mit<br />
der Soprintendenza Archeologica di Roma und häufig auch mit<br />
den Experten für Baugeschichte und Vermessungskunde des DAI-<br />
Kooperationspartners Brandenburgische Technische Universität<br />
in Cottbus (BTU).<br />
Wasserbau war zwar vor 2000 Jahren nichts Neues im Imperium,<br />
die Aquädukte waren eine bekannte Technologie, und über einen<br />
exklusiven Abzweig eines Aquädukts wurde auch der Kaiserpalast<br />
stetig mit großen Wassermengen versorgt. Mit dem Aquädukt<br />
wurde das Wasser an die höchste Stelle gebracht und dann nach<br />
unten verteilt. Dennoch war es eine enorme technische Herausforderung,<br />
das Wasser auf den Palatin hinaufzuschaffen und über<br />
Bleirohrleitungen in das kompliziert verzweigte System einzuspeisen,<br />
mit dem die vielen Teilbereiche der Palastanlage versorgt<br />
wurden – und es über Kanäle schließlich wieder abzuleiten. So<br />
46 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 47
Die Architektin und<br />
Bauforscherin Prof. Dr.-Ing.<br />
Ulrike Wulf-Rheidt leitet das<br />
Architekturreferat am<br />
Deutschen Archäologischen<br />
Institut.<br />
HERRSCHAFTSARCHITEKTUR<br />
Der römische Kaiserpalast auf dem Palatin gehört zu den antiken Bauwerken, die bis in unsere Zeit<br />
das Stadtbild von Rom nachhaltig prägen. Die Überreste bilden noch heute zusammen mit dem<br />
Circus Maximus eine eindrucksvolle Kulisse, die ein wenig von der Pracht der einst über 300 Meter<br />
langen Fassade des Kaiserpalastes erahnen lässt. Doch trotz ihrer Wirkmächtigkeit ist die<br />
Architekturgeschichte der imperialen Anlagen kaum erforscht. Mit Kaiser Augustus begann die<br />
Verwandlung des Palatin vom aristokratischen Wohnviertel zum weitläufigen Palastareal. Der<br />
Name des Hügels wird nicht nur zum Synonym für die Residenz, sondern auch für Herrschaftsarchitektur<br />
schlechthin. Doch was ist Herrschaft ohne Beherrschte? Die Stadt Rom ist der Gegenpol<br />
zur Palastarchitektur, nur in der Gegenüberstellung und in Beziehung zueinander und im Kontext<br />
der traditionellen städtisch-aristokratisch geprägten Gesellschaftsverhältnisse und der überlieferten<br />
politischen Organisationsstrukturen ist zu verstehen, was ein Palast ist und wie er funktioniert<br />
– und wie der Palatin zu dem wurde, was er schließlich war. Wasser, das nicht für jeden frei und<br />
bequem zugänglich war, ist dabei nicht nur ein technisches Thema. Als Luxusgut spielte es bei der<br />
Inszenierung von Herrschaft und Herrscher eine bedeutende Rolle. Ulrike Wulf-Rheidt<br />
TITELTHEMA<br />
Das Paradies zu Füßen<br />
ausgefeilt war die Technologie, dass zahlreiche Wasserspiele von<br />
sanft plätschernd bis laut rauschend eingestellt werden konnten.<br />
Es gab Wassertreppen, Springbrunnen, große Wasserbecken und<br />
künstliche Seen, die in den heißen römischen Sommern der Kühlung<br />
dienten.<br />
Im „Versenkten Peristyl“ (ein von Säulen umgebener, eingetiefter<br />
Hof) der Domus Augustana gab es sogar ein Becken, das tief genug<br />
zum Schwimmen war – in direkter Verbindung mit den Latrinen.<br />
Die Anlagen waren von Statuen gesäumt – regelrechte Wellness-Tempel<br />
– die man gemeinsam aufsuchte. Im Hof gab es ein<br />
großes Wasserbecken mit einer künstlich geschaffenen Insel, die<br />
über Brücken erreichbar war. Hier fanden die großen Gelage statt.<br />
In der Domus Severiana hatte man sogar auf einen 20 Meter hohen<br />
Unterbau ein weiteres, riesiges Wasserbecken gesetzt, das<br />
unmittelbar bis an die Räume heranreichte. Von diesen Räumen<br />
aus konnten die kaiserlichen Besucher den Blick über die Wasserfläche<br />
schweifen lassen und so – abgeschirmt von der lauten und<br />
hektischen Stadt Rom – die Illusion genießen, sich in einer der beliebten<br />
Seevillen zu befinden.<br />
Es war zwar nicht der Kalif selbst, dem die Villa gehörte, aber immerhin<br />
sein Finanzminister al Durri, genannt „der Kleine“, der, aus<br />
wohlhabender und einflussreicher Familie stammend, den<br />
Wunsch hatte zu repräsentieren. So steckte er ab 965 sein Vermögen<br />
in den Bau seiner „Munyat al-Rummaniya“, der „Villa des Granatapfelbaumtals“<br />
in der Nähe von Córdoba. Lang konnte er sich<br />
ihrer aber nicht erfreuen, denn wegen der Veruntreuung von<br />
Staatsgeldern fiel er in Ungnade und konnte sich nur dadurch retten,<br />
dass er dem Kalifen die Villa zum Geschenk machte und ein<br />
großes Fest gab.<br />
Córdoba war zu dieser Zeit eine mächtige Stadt, die sich großer<br />
Freiheit der Künste und des Handels erfreute, ein geistiges Zen-<br />
Al-Rummaniya war ein<br />
großes Wasserbecken das InGlanzstück des Hauses.<br />
WEITBLICK Ein leichter Luftzug durchwehte den nach beiden Seiten offenen Saal der Villa. Die Blickrichtung war so gewählt, dass man weder die Stadt<br />
noch den Sitz des Kalifen sah. Montage: Felix Arnold, DAI Madrid<br />
Man kennt inzwischen die Palastanlagen des Palatin so gut, weil<br />
es den Bauforschern des DAI gelang, in einer Kombination mehrerer<br />
Messmethoden eine umfassende Bauaufnahme des Palatin<br />
duchzuführen und dessen Reste umfassend zu dokumentieren.<br />
Neben traditioneller Tachymetrie mit Reflektor setzten sie auch<br />
reflektorlose Tachymetrie, Photogrammetrie, Laserscanning, aber<br />
auch das bewährte Handaufmaß ein. Nach der computergestützten<br />
Aufbereitung stehen die Messdaten auch für dreidimensionale<br />
Modelle zur Verfügung, mit deren Hilfe sich Einsichten in die<br />
ehemalige Pracht der Kaiserpaläste gewinnen lassen, die die Ruinen<br />
kaum vermuten lassen würden. Tatsächlich war die Entwicklung<br />
der kaiserlichen Prachtentfaltung viel komplexer, als man<br />
bisher dachte – inklusive der vielfältigen, ausgeklügelten Wasseranlagen.<br />
KÜHLUNG FÜR MENSCH UND TIER Das große<br />
Becken hatte einen von Bögen getragenen<br />
Umgang, unter den sich Fische in großer<br />
Hitze zurückziehen konnten. Durch den Saal<br />
hindurch öffnete sich der Blick auf das Tal des<br />
Guadalquivir. Zeichnung: Felix Arnold, DAI Madrid<br />
48 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 49
trum nicht nur der islamischen Welt. Die ganze Stadt war wie ein<br />
Schachbrett durchgeplant, die Straßen verliefen im rechten Winkel<br />
zueinander, Haus, Hof und Garten waren rechteckig und geordnet,<br />
und man hatte einen Brunnen im Haus.<br />
TITELTHEMA<br />
„In Al-Rummaniya hatte man mehr“, erklärt der Bauforscher Felix<br />
Arnold, der die Ausgrabung an der Villa leitet. Ein großes Wasserbecken<br />
von 50 Metern Länge, 30 Metern Breite und vier Metern<br />
Tiefe war das Glanzstück des Hauses – eines der größten in der islamischen<br />
Welt. Die Grube war mit Steinmauerwerk eingefasst,<br />
das anschließend verputzt und poliert wurde. Die Grundlagen der<br />
Bewässerungstechnik kannte man bereits aus römischer Zeit, und<br />
man machte auch kein Hehl daraus, es genau so anzufangen „wie<br />
die Römer“. Dennoch fand sich hier ein besonders ausgeklügeltes<br />
System, das die Archäologen beeindruckte.<br />
Unter dem Saal befanden sich die Abläufe des großen Beckens.<br />
Damit verbanden sich Vorstellungen vom Lebensbaum und vom<br />
Paradies – das lebensspendende Element, das quasi zu Füßen der<br />
Menschen entspringt.<br />
EIN LANDSITZ DER BESONDEREN ART.<br />
Rekonstruktion der Anlage al-Rummaniya bei<br />
Córdoba (965 n. Chr.). Auf drei Terrassen<br />
erstreckte sich eine Olivenplantage, auf der<br />
vierten ein luxuriöse Sommerresidenz.<br />
Zeichnung: DAI Madrid, Arnold<br />
Für den täglichen Wasserbedarf reichte eine Bergquelle, die umund<br />
eingeleitet wurde. Die Quellen konnten aber nicht genügen,<br />
das paradiesische Gewässer zu speisen. Es war zum großen Teil<br />
Regenwasser aus Starkregenereignissen, die zwar selten eintraten,<br />
dann aber heftig. Wie genau das funktionierte, wissen die Archäologen<br />
und Bauforscher noch nicht. Im Frühsommer 2013<br />
geht die Arbeit weiter, und eine der Fragen wird sein: Wie wurde<br />
der Garten bewässert?<br />
WASSERKUNST AM BAU<br />
Der Bauforscher Dr.<br />
Felix Arnold leitet die<br />
Ausgrabungen des DAI von<br />
al-Rummaniya. Seit 2011<br />
gehört er der Abteilung Kairo<br />
des DAI an, zuvor war er<br />
Mitarbeiter der Abteilung<br />
Madrid.<br />
Das Zusammenspiel diverser Techniken der Wassergewinnung,<br />
-speicherung und –verteilung zeigt das große<br />
Können der Planer. Wasser, das bei den winterlichen<br />
Starkregen über einen Bergbach lief, wurde auf geschickte<br />
Weise in das Becken eingeleitet. Eigens zu diesem Zweck<br />
wurde mit großer Wahrscheinlichkeit das Wasser am<br />
Oberlauf des Bachs mittels einer Mauer gestaut, von der<br />
wiederum eine Rinne abging. Die Quellen auf dem<br />
Gelände wurden in Stein gefasst, so dass man leichter<br />
daraus schöpfen konnte. Es gab sogar eine unterirdische<br />
Sickergalerie – ein horizontaler Brunnen, der das Grundwasser<br />
aus den nahegelegenen Bergen herführte.<br />
Eine Zisterne lieferte das Trinkwasser, und womöglich<br />
versorgte das große Wasserbecken die Pflanzen. Dieses<br />
Wasserbecken war zudem so etwas wie eine natürliche<br />
Klimaanlage für den großen Festsaal, der zwischen Becken<br />
und tiefer liegendem Garten platziert war und in dem<br />
dadurch immer ein leichter Luftzug wehte. Geschwommen<br />
wurde nicht im Becken, aber die Musiker spielten auf<br />
Booten für die Festgäste auf. Felix Arnold<br />
GRABUNG AN DER<br />
WASSERLEITUNG<br />
Die Archäologen legten<br />
Teile der Wasserleitung<br />
frei, die das große<br />
Wasserbecken in den<br />
Garten entwässerte.<br />
Unter einer mächtigen<br />
Zerstörungsschicht<br />
wurden Reste des<br />
islamischen Gartens<br />
entdeckt.<br />
Foto: DAI Madrid, Arnold<br />
DAS GROSSE WASSERBECKEN HEUTE Die Mauern waren sorgfältig aus<br />
Quadern gefügt und anschließend mit Kalk verputzt. Ein purpurroter<br />
Anstrich sollte römisches opus signinum vortäuschen, einen wasserdichten<br />
Estrich. Foto: DAI Madrid, Patterson<br />
50 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 51
TITELTHEMA<br />
I<br />
II<br />
FRAKTALE UND KLIMARITUALE<br />
Naturwissenschaftliche Antworten auf archäologische Fragen<br />
I PROTOTYPEN Die „Knickpyramide“ und die „Rote<br />
Pyramide“ sind pharaonische Pilotprojekte aus dem Alten<br />
Reich, als zur Zeit Snofrus, Vater des Cheops, 2600 v. Chr. das<br />
Konzept Pyramide mitsamt der umliegenden Infrastruktur<br />
erfunden wurde. In Dahschur wurden insgesamt 3,5<br />
Millionen Kubikmeter Baumaterial transportiert und<br />
verbaut. Foto: Foto: DAI Kairo, Härtrich<br />
II DIE SCHARRBILDER oder „Nasca-Linien“ erstrecken sich<br />
über eine Fläche von 500 km 2 Foto: DAI KAAK<br />
Dahschur und Nasca<br />
Es war nicht „nur“ eine Pyramide, die man in den Wüstensand<br />
stellte. Das wäre schon gigantisch genug, tatsächlich<br />
war es noch sehr viel mehr. Es war Landschaftsarchitektur<br />
in ganz großem Stil, die Pharao Snofru betrieb. Da war<br />
nichts Na türliches mehr, selbst der Aufweg, der zur Pyramide<br />
führt – zur ersten der Pyramiden – ist aufgeschüttet, ist<br />
gestaltete Landschaft, die natürliche Entwicklung des<br />
Landschafts reliefs mit seinen durch Wind und Regen entstandenen<br />
Ero sionskanälen war unterbrochen worden.<br />
Doch mit normaler Geländemorphologie kann der menschliche<br />
Finger abdruck des Reliefs nicht entziffert werden.<br />
Hier helfen Fraktale ...<br />
Ähnlich gigantische Eingriffe in die Erdoberfläche, die so<br />
dimensioniert sind, dass man sie nur aus großer Höhe erkennen<br />
kann, dass sie – wie die Pyramiden – Anlass zu überund<br />
außerirdischen Spekulationen gaben, führen in die<br />
amerikanische Antike ins südliche Peru. Die riesigen Geoglyphen<br />
von Nasca können mit Hilfe elaborierter naturwissenschaftlicher<br />
Methoden wie Magnetometerprospektion,<br />
Geoelektrischer Prospektion oder Photogrammetrie<br />
in ihrer wirklichen Entstehung und Funktion verstanden<br />
werden. Und sie hatten viel weniger mit dem luftigen<br />
Element als vielmehr mit Wasser zu tun, denn in der Kultur,<br />
in der sie entstanden, drehte sich alles um Wasser.<br />
52 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 53
TITELTHEMA<br />
Fraktale Landschaften in Dahschur<br />
Die Pyramide allein macht keinen Forschungsgegenstand mehr in<br />
der modernen <strong>Archäologie</strong>. Man sieht sie als Teil eines Ganzen, als<br />
Werk von Menschen in einer bestimmten Umwelt, auf die der<br />
Mensch einwirkt und die umgekehrt immer auch ihren Tribut fordert.<br />
Archäologen des Deutschen Archäologischen Instituts unter<br />
der Leitung von Nicole Alexanian vom DAI Kairo arbeiten zusammen<br />
mit Geowissenschaftlern der Freien Universität Berlin an einer<br />
Landschaftsrekonstruktion des Grabungsplatzes Dahschur.<br />
Fluviale Erosion und menschliche Hand waren die Landschaftsarchitekten<br />
in Dahschur. Das Wasser suchte sich viele verzweigte<br />
Wege durch den Boden, die gigantische Baustelle Dahschur schuf<br />
Straßen und Transportwege, die wiederum die natürliche Erosion<br />
verstärken oder aber zusätzliche Materialien aufschütten konnte.<br />
Beide auseinanderzuhalten nach so langer Zeit und unter soviel<br />
Sand, ist nicht immer leicht. Die Geowissenschaftler hatten eine<br />
Idee. Die natürlichen fraktalen Muster der Erosionskanäle führen<br />
zu einer fraktalen Topographie, wenn fluviale Prozesse die Hauptfaktoren<br />
bei der Geländeformung sind. So kann auf der Grundlage<br />
eines digitalen Höhenmodells die fraktale Natur der natürlichen<br />
Erosionsrinnen ermittelt werden.<br />
EIN HAFEN FÜR DIE PYRAMIDE – HAFENBECKEN MIT AUFWEG<br />
Zu Snofrus Zeit verlief der Nil etwa 500 Meter weiter östlich. Sehr<br />
wahrscheinlich kam man vom Wasser zum Hafen der Pyramide, der hier<br />
eine echte Funktion hatte, während Hafenanlagen an anderen Pyramiden<br />
oft nur symbolischer Art waren. Vom Hafen führte ein Aufweg zum<br />
Taltempel, ein weiterer von dort zur Pyramide. Da Hafenbecken und die<br />
umliegenden Bauten unter einer sieben Meter dicken Sandschicht liegen,<br />
untersuchten die Archäologen das Gelände zunächst magnetometrisch,<br />
um einen Ausgangspunkt für die Suche zu haben (oben). Foto: DAI Kairo<br />
54 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 55
Die Archäologin Dr.<br />
Nicole Alexanian von der<br />
Abteilung Kairo des DAI<br />
leitet die Grabungen des<br />
Instituts in Dahschur.<br />
DIE KÖNIGLICHEN PYRAMIDEN<br />
VON DAHSCHUR<br />
Tief in der Wüste liegen die Pyramiden des Königs Snofru, die Rote Pyramide<br />
und die Knickpyramide. Ausgedehnte Friedhöfe hoher Beamter befinden sich<br />
in der Nähe, am Wüstenrand die Siedlungen und der Taltempel. Dahschur<br />
wurde von König Snofru in der 4. Dynastie (um 2600 v. Chr.) inauguriert und<br />
fungierte in seiner Regierungszeit als Residenznekropole. Durch das gesamte<br />
Alte Reich (über 400 Jahre bis 2.200 v. Chr.) hindurch führten Priester den Kult<br />
an seinen Pyramiden durch. Sie bewohnten die Pyramidenstädte am<br />
Fruchtlandrand und wurden in Dahschur begraben. Im Mittleren Reich (12.<br />
und 13. Dynastie, 1.900-1.700 v. Chr.) wurde Dahschur wieder ein königlicher<br />
Begräbnisplatz und auch der Kult am Tempel der Knickpyramide wurde<br />
wieder aufgenommen. Nicole Alexanian<br />
TITELTHEMA<br />
FRAKTALE LANDSCHAFTEN Im Vergleich erkennt man gut die fraktale Beschaffenheit<br />
der natürlichen Landschaft (u.r.) im Unterschied zu der von Menschen gemachten (u.l.).<br />
Die natürlichen Erosionsrinnen übertragen ihre fraktale Natur, die im digitalen Höhenmodell<br />
als selbstähnlicher Baum zu erkennen ist, auf die Oberfläche. Als Fraktal wird ein<br />
geometrisches Muster bezeichnet, das eine gebrochene Dimensionalität und zudem<br />
einen hohen Grad von Selbstähnlichkeit aufweist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein<br />
Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht. Abb.: Arne Ramisch,<br />
Freie Universität Berlin, Geowissenschaften<br />
Klimarituale in Südperu<br />
Alles dreht sich um Wasser. Es ist wie „der große Geist“, der über<br />
allem schwebt. Wasser ist das zentrale Thema bei den weltberühmten<br />
Geoglyphen in Peru, die nach der unweit liegenden<br />
Stadt auch Nasca-Linien genannt werden. Bis zu 20 Kilometer lange<br />
schnurgerade Linien, Dreiecke und trapezförmige Flächen,<br />
große bis riesige Figuren, Abbilder von Menschen, Affen, Vögeln<br />
und Walen sind in wenige Zentimeter tiefen Linien in die Erde geritzt.<br />
Viel war schon geschrieben und geraunt über Ziel und Zweck<br />
der gigantischen Kunstwerke, die erstmals in der Zeit der Paracas-<br />
Kultur zwischen 800 und 200 v. Chr. errichtet wurden – viel früher,<br />
als man ursprüngllich angenommen hatte. Um aber ihrem Geheimnis<br />
wirklich auf die Spur zu kommen, musste man mit der<br />
Forschung noch einmal von vorn anfangen.<br />
NACHSTELLUNG EINER PROZESSION<br />
auf einer spiralförmigen Geoglyphe<br />
der Nasca-Zeit (200 v. Chr.-600 n. Chr.),<br />
so wie sie wohl einmal als Teil von<br />
Ritualen im Zusammenhang mit<br />
Wasser- und Fruchtbarkeitskulten<br />
stattgefunden haben könnte.<br />
Markus Reindel von der Kommission für <strong>Archäologie</strong> Außereuropäischer<br />
Kulturen (KAAK) des DAI leitet seit 1996 die Arbeiten in<br />
Südperu, die in das große Verbundprojekt „Anden-Transekt“ des<br />
DAI eingebunden sind.<br />
Anders als es bei früheren Untersuchungen der Fall war, hatten<br />
sich die Forscher auf die Suche nach den Siedlungen gemacht, die<br />
zu den Geoglyphen gehören mussten. Ohne kulturellen Kontext<br />
versteht man keine Technik und kann auch ihren Sinn nicht ermit-<br />
56 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 57
TITELTHEMA<br />
I II III<br />
I Die Steinhaufen nach der Ausgrabung. Es handelt sich um die Reste von Plattformen, die zur<br />
Nasca-Zeit (200 v. Chr.-600 n. Chr.) für Rituale im Zusammenhang mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten<br />
genutzt wurden.<br />
II<br />
Detail einer der stark erodierten Plattformen.<br />
GEOGLYPHEN an einem Berghang bei Palpa, die aufgrund ihrer stilistischen Ähnlichkeit mit Motiven auf Geweben der Paracas-Kultur (800-200 v. Chr.) zugeordnet<br />
werden können.<br />
III Reste von Feldfrüchten (Mais), Textilien und Spondylusmuscheln sowie Werkstücken, die als<br />
Opfergaben auf den Steinplattformen niedergelegt wurden. Fotos und Abbildungen: DAI KAAK<br />
teln. Und ohne moderne Technik bei den Forschungsmethoden<br />
gehen Archäologen heute nicht mehr ins Feld. In Kooperation mit<br />
der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) wurden<br />
photogrammetrische Messungen durchgeführt, um schließlich<br />
einen virtuellen Überflug über die gigantischen Scharrbilder<br />
machen zu können.<br />
In der Folge gab eine Sensation die nächste. Reindel und seine<br />
Kollegen fanden Petroglyphen, die älter waren als die Geoglyphen<br />
und dieselben Motive schließlich auch auf Textilien, so dass<br />
sie einen weiteren Beleg dafür hatten, dass die Scharrbilder in der<br />
Paracas-Zeit entstanden waren. Darüber hinaus entdeckten sie<br />
Gebäude auf den Geoglyphen und in diesen Gebäuden Opfergaben<br />
wie Feldfrüchte, Keramik, Textilien und vor allem Spondylusmuscheln,<br />
ein kostbares Handelsgut, das von weither kam und<br />
überall, wo es auftaucht, mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten<br />
verbunden ist. Heute weiß man, dass die Fruchtbarkeitsrituale<br />
durch periodische Klimaschwankungen veranlasst waren.<br />
Wasser ist seit jeher zentral für das gesamte kultische Geschehen<br />
in der Region wie auch für die Besiedlung und die Wanderungsbewegungen.<br />
Ändern sich Klima und Landschaft, werden die Siedlungen<br />
verlagert. Ist es auf der Höhe unwirtlich, zieht man an die<br />
Küste. Wird es dort zu trocken, verlagert man die Siedlungen wieder<br />
in die Berge. Bis auf 5000 Meter Höhe sind die Menschen gezogen<br />
und haben sich die natürlichen Bedingungen so gut es<br />
ging zunutze gemacht. Als es in den Bergen wieder trockener<br />
wurde, verstärkte man die Wasserrituale, ritzte mehr Linien und<br />
Figuren, erhandelte mehr Muscheln, doch es wurde immer trockener.<br />
Als die Menschen begriffen, dass ihre Mühe vergeblich<br />
war, gingen sie weg.<br />
Der Archäologe Dr. Markus<br />
Reindel leitet die Forschungen<br />
in Südperu in Kooperation mit<br />
einem Team vom Geographischen<br />
Institut der Universität<br />
Heidelberg unter Leitung von<br />
Prof. Dr. Bernhard Eitel<br />
ANDEN-TRANSEKT<br />
Die Forschungen zu den Geoglyphen und deren Erfassung sind eingebunden in das Verbundprojekt<br />
„Anden-Transekt“, in dem die vorspanischen Umwelt- und Kulturentwicklung mit Hilfe modernster<br />
naturwissenschaftlicher und archäologischer Methoden erforscht wird. Das Untersuchungsgebiet liegt an<br />
der Westseite der peruanischen Anden zwischen der Pazifikküste und dem Westrand des Altiplano. In<br />
einem vierdimensionalen Ansatz werden Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt im Verlauf der<br />
präkolumbischen Geschichte analysiert. Wie haben die autochthonen Gesellschaften Südamerikas<br />
naturbedingte Umbruchsituationen bewältigt? Wurden damit schubartig kulturelle Entwicklungen<br />
beschleunigt? Wie gingen daraus neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervor? Die<br />
modellartigen Rahmenbedingungen in Westperu, unter denen sich diese Prozesse vollzogen haben,<br />
lassen grundsätzliche Erkenntnisse für das Verständnis menschlicher bzw. gesellschaftlicher Entwicklung<br />
erwarten. Geistes- und Naturwissenschaftler arbeiten eng zusammen, um die Menschheits- bzw. Kulturgeschichte<br />
und die Umweltgeschichte im Arbeitsgebiet zu erforschen. Eines ist bei allen Forschungen<br />
deutlich geworden: Es geht immer um Wasser. Markus Reindel<br />
VIRTUELLER ÜBERFLUG In Koopera tion mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) konnten die DAI-Archäologen photogram metrische<br />
Messungen durchführen, um schließlich einen virtuellen Überflug über die gigantischen Scharrbilder machen zu können. Die Photogram metrie ist eine<br />
Fern erkundungsme thode, bei der aus Fotografien und genauen Messbildern von Objekten ihre räumliche Lage oder ihre Form bestimmt werden.<br />
Geländemodell: ETH Zürich, Lambers<br />
58 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 59
PORTRÄT<br />
1994 war Iris Gerlach zum ersten Mal im<br />
jemenitischen Sana’a, 1997 mit einem Reisestipendium<br />
des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts im äthiopischen Yeha.<br />
„Schon damals stand ich dort vor diesem<br />
riesigen Monumentalbau und fragte mich,<br />
wie die beiden Regionen wohl in der Antike<br />
miteinander verbunden gewesen sein<br />
mochten.“ Wichtige Lebensentscheidungen<br />
waren bereits gefallen, das Studium<br />
der Vorderasiatischen <strong>Archäologie</strong>, Klassischen<br />
<strong>Archäologie</strong>, Assyriologie und Byzantinischen<br />
Kunstgeschichte hatte den<br />
Wunsch aus Kinderzeiten erfüllt, Archäologin<br />
zu werden. Die Dissertation 1997<br />
„Zentrum und Peripherie. Eigenständigkeit<br />
und Abhängigkeit künstlerischen<br />
Schaffens im neuassyrischen Einflussgebiet“<br />
ist schon Ausdruck der Leidenschaft<br />
für Fragen des Ineinandergreifens von Kulturen,<br />
ihrer Gedanken, Künste und Handelsbeziehungen.<br />
Der Vordere Orient im<br />
Allgemeinen, Südarabien und speziell Jemen<br />
im Besonderen sind die Regionen, in<br />
und zu denen Iris Gerlach arbeitet. Der<br />
„riesige Monumentalbau“ ist der Große<br />
Tempel von Yeha im heutigen Äthiopien,<br />
anhand dessen sie Fragen der Baugeschichte,<br />
des Kultur- und Techniktransfers<br />
und der überregionalen Beziehungen erforscht.<br />
Seit 2000 ist Iris Gerlach Leiterin der DAI-<br />
Außenstelle in Sana’a, der Hauptstadt der<br />
Republik Jemen, wo sie auch deswegen<br />
gern arbeitet, weil man hier noch archäologische<br />
Pionierarbeit leisten kann. „Das<br />
antike Südarabien spielte in der archäologischen<br />
Erforschung alter Kulturen lange<br />
Zeit eine untergeordnete Rolle“, erklärt<br />
Gerlach. Selbst der hohe Klang des Wortes<br />
„Saba“ hat daran lange nichts geändert.<br />
Die sabäische Kultur – entstanden gegen<br />
Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. am östlichen<br />
Rand des jemenitischen Hochlands<br />
– in ihrer Entstehung<br />
und Entwicklung nachzuzeichnen,<br />
ist einer<br />
IRIS<br />
GERLACH<br />
Die Archäologin Dr. Iris Gerlach leitet seit<br />
2000 die Außenstelle Sana’a des<br />
Deutschen Archäologischen Instituts im<br />
Jemen. Foto: Wannenmacher<br />
„Bevor man anfängt, etwas zu<br />
beurteilen, sollte man schon eine<br />
Weile in einem Land gelebt haben.“<br />
der Forschungsschwerpunkte<br />
der Archäologin.<br />
Doch Iris Gerlach<br />
weiß, dass eine Kultur<br />
nie etwas in sich Geschlossenes<br />
mit einer<br />
klaren Kontur ist. „Spuren<br />
der sabäischen Kultur finden sich auch<br />
in Äthiopien“, sagt sie. „Durch die Erforschung<br />
des äthio-sabäischen Gemeinwesens<br />
auf der afrikanischen Seite des Roten<br />
Meeres blickt man anders auf die Ursprungskultur,<br />
und im Vergleich miteinander<br />
lassen sich beide besser erklären.“<br />
Überregionale Beziehungen gab es zu allen<br />
Zeiten, auch wenn man sich heute<br />
kaum vorstellen kann oder will, wie mobil,<br />
ja globalisiert, einzelne Gesellschaften in<br />
der Antike waren, betont die Altertumswissenschaftlerin.<br />
„Ich liebe diesen Beruf“, bringt sie das für<br />
sich zum Ausdruck. Einmal eine Grabung<br />
zu leiten, war immer ein großes Ziel. Das<br />
meiste Arabisch hat sie im Feld gelernt –<br />
und wie ist es mit dem Hin- und Herspringen<br />
zwischen Berlin und Sana’a? „Nein,<br />
das ist kein Problem“, lacht sie. Man muss<br />
sich einlassen auf das Land, in dem man<br />
arbeitet, man sollte die Diplomatie beherrschen,<br />
muss wissen, was geht und was<br />
nicht. „Bevor man anfängt, etwas zu beurteilen,<br />
sollte man schon eine Weile im<br />
Land gelebt haben.“<br />
Iris Gerlach ist auch und vor allem als Archäologin<br />
in zahlreichen entwicklungsund<br />
kulturpolitischen Projekten engagiert.<br />
„Das entwicklungspolitische Potential<br />
der <strong>Archäologie</strong> ist noch gar nicht<br />
richtig erkannt“, weiß sie. Vielerorts sind<br />
Grabungslizenzen ohnehin an die Bedingung<br />
geknüpft, einen Masterplan für die<br />
Restaurierung von Ruinen zu erstellen<br />
sowie einen Fundplatz touristisch zu erschließen.<br />
So werden etwa lokale Kräfte<br />
als Touristenführer geschult. Gemeinsame<br />
Workshops zu Restaurierungsmethoden<br />
oder Ausgrabungs- und Vermessungstechniken<br />
schaffen Nachhaltigkeit.<br />
Beim Bau des Museums in Yeha werden<br />
Steinmetz- und Mörteltechniken als<br />
Handwerk gelehrt. Die Frauen der Region<br />
stellen Keramik in traditioneller Technik<br />
her und erfahren darüber hinaus, wie<br />
man ein Geschäft daraus machen kann.<br />
„<strong>Archäologie</strong> ist eben nicht nur wichtig<br />
für den Erhalt kultureller Identität“, sagt<br />
Iris Gerlach. „Sie kann auch Beschäftigung<br />
fördern und Einkommen für die lokale<br />
Bevölkerung schaffen.“<br />
FRIEDRICH<br />
LÜTH<br />
„Kulturgüterschutz“ ist ein sperriges Wort,<br />
die Sache eine schwierige Kunst, weil man<br />
mit einfachen Wahrheiten nicht sehr weit<br />
kommt. „Kulturerbe-Management kann<br />
man nur im internationalen Kontext denken<br />
und betreiben“, sagt Friedrich Lüth.<br />
Der Archäologe ist Sonderbeauftragter für<br />
Kulturgüterschutz des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts, zu dessen Auftrag es<br />
gehört, das kulturelle Erbe weltweit zu erforschen<br />
und zu schützen.<br />
Woher aber kommt das Bedürfnis, das kulturelle<br />
Erbe zu bewahren? „Es war ursprünglich<br />
ein Anliegen von Eliten, die<br />
sich für ihre Familiengeschichten interessieren<br />
und dort Selbstvergewisserung<br />
und Legitimation durch Verankerung in<br />
historischer Tiefe suchen“, erklärt Lüth.<br />
1816 gab es hierzulande das erste Denkmalschutzgesetz,<br />
das Interesse an Altertümern<br />
stieg im 19. Jahrhundert insgesamt,<br />
sei es auf der Suche nach Heimat, sei es im<br />
Bestreben, exotische Abenteuer in fernen<br />
Ländern zu erleben oder sagenumwobene<br />
Geheimnisse zu lüften.<br />
Bei Friedrich Lüth hatte die Liebe zu den<br />
alten Dingen in der Schule begonnen. Das<br />
Lüneburger Gymnasium lehrte Latein und<br />
Griechisch, der Ferienjob bei der Ausgrabung<br />
in der Heide setzte nach. „Da hat es<br />
gefunkt.“ Das Studium der Vor- und Frühgeschichte<br />
war eine leichte Entscheidung.<br />
Dazu kam die Geographie, und die archäologische<br />
„Heide“ Lüths wurde immer<br />
größer. „Irgendwann bin ich im Orient<br />
hängengeblieben.“ Er arbeitete viele Jahre<br />
im Libanon und Syrien, im Iran, im Irak,<br />
aber auch in Frankreich, Großbritannien,<br />
Griechenland und Deutschland.<br />
DR. FRIEDRICH LÜTH ist Sonder be auftragter<br />
für Kulturgüterschutz und Site<br />
Management des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts. Foto: Wannenmacher<br />
„Kulturerbe-Management kann<br />
man nur im internationalen<br />
Kontext denken und betreiben.“<br />
Schließlich wurde der Schwerpunkt seiner<br />
Arbeit die Denkmalpflege. Lüth stand im<br />
Dienst verschiedener Landesdenkmalbehörden,<br />
dem Landesamt in Mecklenburg-<br />
Vorpommern bis 2006 vor, war von 1993<br />
bis 2006 Vorstand der Landesarchäologen<br />
und ist seit der Gründung des „Europae Archaeologiae<br />
Consilium“ (EAC) auf internationaler<br />
Ebene im Denkmalschutz engagiert<br />
– derzeit auch als Präsident der European<br />
Association of Archaeologists (EAA)<br />
zwischen europäischen Einrichtungen in<br />
Straßburg und Brüssel. Hier berät man<br />
sich europäisch, was Lüths Selbstverständnis<br />
sehr entgegenkommt. „Es gibt<br />
nicht den einen Weg“, weiß er. „Aber man<br />
kann und sollte sich auf Standards einigen.“<br />
Geht bei alledem nicht der Zauber<br />
der <strong>Archäologie</strong> im Verwaltungskram unter?<br />
„Ich bin sehr zufrieden damit, als Wissenschaftsmanager<br />
bezeichnet zu werden“,<br />
erklärt er. „Sinn der Sache ist dabei<br />
aber nicht, sich nur mit dem Management<br />
der Angelegenheiten des internen Zirkels<br />
zu beschäftigen. Vor allem ist es wichtig,<br />
auch nach außen zu kommunizieren.“<br />
Den Begriff „Denkmalschutz“ hört er eigentlich<br />
nicht so gern. Zu rückwärtsgewandt.<br />
„Es ist auch nicht das, was wir heute<br />
machen.“ Heute denkt man mehr in<br />
Strukturen, findet er. Man sieht die Menschen<br />
in ihrer „gebauten Umwelt“, gerade<br />
so, wie sie auch Bewohner einer Kulturlandschaft<br />
sind. Und das, was man früher<br />
eben „Denkmalschutz“ nannte, solle man<br />
besser als Management der Veränderungen<br />
bezeichnen. „Beim Kulturgüterschutz<br />
geht es auch nicht darum, Momentaufnahmen<br />
der Geschichte zu konservieren“,<br />
sagt Lüth. „Die Veränderungen gehören<br />
dazu, und niemand würde ernsthaft wollen,<br />
dass alles so aussieht wie vor 2000<br />
Jahren.“ Außerdem sollten ganz irdische<br />
Überlegungen einen allzu romantischen<br />
Blick aufs Alte hier und da korrigieren:<br />
„Wenn man Ruinen erhält und sie unter<br />
Schutz stellt, bedürfen sie der Pflege. Um<br />
das finanzieren zu können, muss man sie<br />
in bestehende Wertschöpfungsketten einbinden.“<br />
Und was man nicht nutzen kann,<br />
muss trotzdem irgendwer bezahlen.<br />
Kulturerhalt ist also nicht<br />
„nur“ Wissenschaft. Kulturerhalt<br />
ist immer auch eine –<br />
mitunter brisante – politische,<br />
soziale und ökonomische<br />
Angelegenheit, die<br />
häufig der Mediation bedarf,<br />
wenn es darum geht, einen<br />
Interessenausgleich zu finden<br />
zwischen den Bedürfnissen heutiger Menschen<br />
– wie etwa Wohnraum in wachsenden<br />
Städten – und den ebenso berechtigten<br />
Wünschen, die Antiken zu erhalten,<br />
die wiederum in vielen der Länder, in denen<br />
das DAI arbeitet, nicht nur ein Anker für die<br />
historische Selbstvergewisserung und Identitätsbildung<br />
sind, sondern auch ein eminent<br />
wichtiger Wirtschaftszweig. „Touristische<br />
Konzepte zu entwickeln, spielt an vielen<br />
Grabungsplätzen des DAI eine überaus<br />
wichtige Rolle“, erklärt Friedrich Lüth. „Tourismus<br />
ist der viertstärkte Wirtschaftszweig<br />
weltweit, das macht also Sinn.“<br />
Und dabei muss man gar nicht an Pyramiden<br />
und Peristyle denken. Das funktioniert<br />
auch an der Ostsee. Lüth hat den Vorsitz<br />
der Monitoring Group Cultural Heritage<br />
des Ostseerats, wo Archäologen im<br />
Rahmen des 12 Jahre währenden Sincos-<br />
Projekts das Unterwasserkulturerbe einer<br />
ganz und gar heimischen Region untersuchten.<br />
Friedrich Lüth lacht: „Da war jede<br />
Menge Vineta ...“.<br />
60 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 61
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
Prof. Dr. Svend Hansen ist Direktor der<br />
Eurasien-Abteilung des DAI und Grabungsleiter<br />
in Pietrele. Dr. Agathe Reingruber ist<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der<br />
Eurasien-Abteilung und koordiniert jedes<br />
Jahr die Vorbereitungen für die<br />
Grabungs kampagne.<br />
PIETRELE<br />
Der Siedlungshügel „Măgura Gorgana“ war im 5. Jahrtausend v. Chr. eine imposante<br />
Erscheinung. Der ca. neun Meter hohe Tell ragte auf der untersten Terrasse des<br />
Donautals etwa 15 Meter über das damalige Niveau der Aue hinaus. Der Siedlungshügel<br />
war in ein Netz vergleichbarer Siedlungen an der Unteren Donau, Nordostbulgariens<br />
und Thrakiens eingebunden. Im 5. Jahrtausend v. Chr. war dieser Raum<br />
durch die dynamische Entfaltung der Kupfermetallurgie geprägt.<br />
Erstmals wurden Äxte und Beile sowie zahlreiche Schmuckobjekte aus Kupfer<br />
hergestellt. Zugleich setzte im Balkangebirge und im östlichen Serbien die<br />
bergmännische Gewinnung von Kupfererzen ein. Pietrele war Teil eines überregionalen<br />
Austauschnetzes, das sich anhand gleichartiger Artefakte zwischen der<br />
Nordägäis und der Walachei, der Schwarzmeerküste und Oltenien nachweisen lässt.<br />
Die Entfernung bis zum Schwarzen Meer beträgt ca. 200 Kilometer, und ebenso<br />
weit ist es bis nach Varna. Dort wurde in den 1970er-Jahren ein Friedhof freigelegt,<br />
in dessen unterschiedlich reich ausgestatteten Gräbern sich die Herausbildung<br />
sozialer Ungleichheiten zeigt. Svend Hansen<br />
SCHERBEN BRINGEN GLÜCK<br />
Wie in Pietrele Schicht um Schicht eine antike Gesellschaft<br />
zum Leben erweckt wird<br />
UNTERKUNFT<br />
In 50 Zelten, gruppiert um das Schulhaus von Pietrele, wohnen die Archäologen während einer Kampagne. Die Duschen sind selbst gebaut.<br />
Bei 50 Grad im Schatten hören die Thermometer auf zu arbeiten,<br />
doch Schatten ist rar in der südrumänischen Walachei. Es ist Hochsommer,<br />
die Zeit, in der die Archäologen Jahr für Jahr in das kleine<br />
Dorf Pietrele kommen. In den Ferien dient die Schule des Ortes als<br />
Grabungshaus. 50 Zelte stehen dann um das einfache Gebäude<br />
herum, für jeden eines, zwei Busladungen Material und technisches<br />
Gerät sind herbeigeschafft worden, ebenso die Koffer der<br />
Mitarbeiter, die aus aller Welt kommen: aus Berlin, Sofia, aus Georgien,<br />
der Türkei, den USA und je nach Kampagne aus verschiedenen<br />
anderen Ländern. Das alles muss koordiniert werden.<br />
11,5 TONNEN SCHERBEN ...<br />
Svend Hansen und Agathe Reingruber von der Eurasien-Abteilung<br />
des Deutschen Archäologischen Instituts erklären die Vorgehensweise<br />
der Forscher: „Wir gehen in 10-cm-Schritten nach unten<br />
und graben uns bis zum Beginn der Besiedlung vor.“ Das klingt<br />
nach mühevoller Kleinarbeit, und das ist es auch. „Es kann noch<br />
einige Kampagnen dauern, bis wir ‚unten’ sind“, umreißt Agathe<br />
Reingruber den Zeitraum, der noch vor ihnen liegt. Und genauso<br />
lange dauert es, bis man anfängt zu begreifen, was es mit einem<br />
archäologischen „Platz“ auf sich hat. „Nach zehn Jahren kann man<br />
davon ausgehen, etwas verstanden zu haben“, sagt Hansen. Es<br />
geht ja nicht „nur“ um ein paar Scherben. „Nein, es geht um die<br />
Rekonstruktion einer antiken Gesellschaft in ihrem kulturellen Zuschnitt<br />
und in der Anverwandlung ihres natürlichen Lebensraums.“<br />
Aus der Traum vom schnellen Glück, bei dem die Helden<br />
ins Feld ziehen und mit Schatzkarte und Spaten – oder GPS und<br />
SUV – ins antike Geschehen geradezu hineinstolpern und auch<br />
sofort wissen: „Hier muss es sein ...“ Jeder Grabung gehen mitunter<br />
langfristige und aufwändige Surveys voraus, und wenn die Forschungsgeschichte<br />
einer Region, die Anhaltspunkte über mögliche<br />
archäologische Stätten liefern könnte, noch nicht sehr ausgeprägt<br />
ist, kann das ein aufwändiges Unterfangen sein<br />
Vor der Phase der 10-cm-Schritte wird in der neu entdeckten Außensiedlung<br />
im Norden und Westen des Tells erst einmal mit schwerem<br />
Gerät eine meterhohe, fundleere Bodenschicht abgetragen,<br />
erst dann kommen die feineren Instrumente zum Einsatz. Jedes<br />
noch so kleine Stück wandert in eine Fundtüte, die gut verschlossen<br />
und beschriftet wird. Perfekte Dokumentation ist das A und O<br />
archäologischer Arbeit: „Wenn ich nicht weiß, woher das Fundstück<br />
kommt, kann ich es genau so gut wegwerfen“, sagt Hansen.<br />
Die Stücke werden nicht nur fotografiert, sondern auch gezeich-<br />
ORDNUNGSARBEITEN Gleich nachdem sie geborgen sind, müssen die Funde sorgfältig dokumentiert werden. Fotos: DAI – Eurasien-Abteilung<br />
62 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 63
ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />
PAUSE Für das leibliche Wohl sorgt eine Köchin mit einem kleinen<br />
Catering-Betrieb<br />
MATCH Wenn es nicht zu heiß ist, wird in der Freizeit Fußball gespielt.<br />
Fotos: DAI – Eurasien-Abteilung<br />
PROVISORIUM<br />
Das Schulhaus von Pietrele dient den Archäologen in den Sommerferien als Grabungshaus.<br />
net. Eine Zeichnung ist dem Foto bei der Abbildung bestimmter<br />
struktureller Merkmale der Artefakte überlegen, das Foto ist genauer<br />
bei der Wiedergabe von Oberfläche und Farbe. Zwei Mal<br />
wird gewaschen, einmal entsintert, Knochen, Muscheln, Scherben<br />
werden sortiert, gewogen, gemessen, gezählt. Einmal haben zwei<br />
Frauen aus der Gruppe 5200 Muscheln ausgezählt. Doch was auf<br />
den ersten Blick wie dokumentarischer Selbstzweck aussieht, bietet<br />
reiche Aufschlüsse über die Lebensweise der antiken Gemeinschaft:<br />
die Organisation der Arbeit, die Nahrungsgewohnheiten<br />
und sogar die antike Landschaft, die klimatisch und topografisch<br />
eine ganz andere war als die heutige.<br />
Es sind aber nicht nur einzelne Scherben, die die Archäologen finden.<br />
Manchmal sind auch ganze Gefäße dabei, manchmal lassen<br />
sie sich auch aus einzelnen Scherben zusammensetzen. 11,5 Tonnen<br />
Scherben sind in Pietrele bislang gefunden – eine Tonne pro<br />
Jahr – 400.000 Scherben und 1.649 vollständige Gefäße.<br />
„Das ist nicht so viel, wie es sich anhört“, erklären die Archäologen.<br />
„Man muss sich vor Augen halten, dass alles, was wir heute in Plastikgefäßen,<br />
Flaschen, Gläsern, Dosen, Papier und Karton aufbewahren,<br />
früher in Keramikgefäßen gelagert wurde.“ Sicher gab es<br />
auch Holz- und Textilbehälter oder Körbe, aber die sind nach 6000<br />
Jahren nun einmal verschwunden.<br />
DER TAG<br />
Um halb sieben fährt der Bus die viereinhalb Kilometer vom Dorf zur<br />
Grabung. Gearbeitet wird in zwei Gruppen. Die einen graben, die<br />
anderen dokumentieren, keramische Funde werden sofort bear-<br />
beitet. Bei der Menge an Material wäre es fatal, die Dokumentationsarbeit<br />
auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. „Früher war das<br />
in der <strong>Archäologie</strong> gang und gäbe“, sagt Hansen. Das konnte vielleicht<br />
funktionieren, wenn man ein gutes Tagebuch hatte. Heute<br />
aber ist es Standard, mit der Dokumentation stets à jour zu sein.<br />
Bis 14.30 Uhr wird gegraben, danach ist frei, warmes Abendessen<br />
gibt es um 19 Uhr. „Unsere Köchin ...“ sagen die Archäologen. Was<br />
so kolonial klingen könnte, ist eher die Beschreibung eines kleinen<br />
Catering Service. Die Köchin hat zwei Assistenten, wohnt bei<br />
der Schule, wo sie für die 50 Leute auch kocht und das Essen anschließend<br />
an Mann und Frau bringt. Auf dem Speiseplan stehen<br />
Kartoffeln und Gemüse, Spiegelei mit Pommes, gefüllte Paprika.<br />
Hähnchenkeule mit Püree, Erbsen und Würstchen, gebackene<br />
Zucchini mit Knoblauchsauce. Das Frühstück besteht aus weißem<br />
Käse zum Brot, Tomate, Paprika, Nutella, Marmelade oder Biomüsli<br />
aus dem Drogeriemarkt. Fleisch ist rar, nur an den Wochenenden<br />
wird gelegentlich ein Schaf gegrillt. Ein großes Forschungsinstitut<br />
wie das DAI ist an den Plätzen, an denen es arbeitet, immer auch ein<br />
Arbeitgeber. Die jungen Männer, die als Grabungsarbeiter angeheuert<br />
werden, haben in schwierigen Zeiten kaum Chancen, einen<br />
guten Arbeitsplatz zu finden. Und haben sie einmal Feuer<br />
gefangen bei der archäologischen Arbeit, geben sie zuhause gern<br />
die Erfolge des Tages zum Besten: „Stellt Euch vor, wir haben heute<br />
ein Superblade gefunden ...“.<br />
AM ANFANG DAS ABENTEUER<br />
Inzwischen laufen die Arbeiten mit einer guten Routine. „Anfangs<br />
war es Abenteuer mit wenig Geld und vielen Hindernissen“, erzählt<br />
Agathe Reingruber von den Anfängen. Das Pilotprojekt wurde<br />
2002 durchgeführt, die erste Kampagne 2004, und dann gab es<br />
außer den wissenschaftlichen auch ganz praktische Fragen zu<br />
beantworten: Wie baut man eine Dusche? Was tun, wenn bei Regen<br />
der Strom ausfällt? Für den Brunnen mussten die Archäologen<br />
40 Meter tief bohren. „Es war ein Alptraum“, erinnert sich Reingruber.<br />
Und wo heute vier Supermärkte und ein großer Drogeriemarkt<br />
für den täglichen Bedarf zur Verfügung stehen, gab es anfangs<br />
einen winzigen Dorfladen, in dem vorwiegend Schnaps<br />
verkauft wurde.<br />
Einmal pro Kampagne regnet es. Das lindert zwar die hochsommerliche<br />
Hitze, aber der Regen hat es in sich. „Sie haben dann vier<br />
Minuten, um von der untersten Donauterrasse auf die oberste zu<br />
kommen“, lacht Svend Hansen. Sonst wird es so schlammig und<br />
glatt, dass Mensch und teures Gerät einfach steckenbleiben. Alle<br />
flüchten so schnell sie können, in die Schule. Die meisten sind<br />
nass geworden und dampfen auf engstem Raum. In solchen Fällen<br />
verordnet der Grabungsleiter Pizza in der Kreisstadt. sw<br />
SPATEN, KELLE, ERSTANSPRACHE<br />
Die Archäologen gehen in 10-cm-Schritten nach unten und graben sich bis zum Beginn der Besiedlung vor. Es wird noch einige Kampagnen dauern, bis<br />
sie „unten“ sind. Am Beginn der Grabungsarbeit kommt mitunter schweres Gerät zum Einsatz, ein Bagger hebt die „Pflugschicht“ ab, nachdem eine<br />
Sondierungsgrabung, eine geomagnetische Prospektion oder eine Untersuchung mit dem Georadar stattgefunden hat, um festzustellen, ob man an der<br />
richtigen Stelle gräbt und um so wenig wie möglich zu zerstören. Die entstehende rechteckige Grube ist der Grabungsschnitt. Die Schnittkanten werden<br />
per Spaten gerade abgestochen, die Fläche selbst glatt geschoben, und mit „Archäologenkellen“ erfolgt der Feinputz auf der gesamten Fläche des Schnitts.<br />
Jeder Schnittleiter führt eine Dokumentationsmappe, in der die einzelnen Grabungsschnitte akribisch festgehalten werden. Es wird gemessen und in<br />
Koordinaten unterteilt, markiert, fotografiert, die Umrisse des Schnitts gezeichnet im Maßstab 1 : 100, die Teilblätter 1 : 20; man darf auch nicht vergessen,<br />
Höhenunterschiede einzutragen, markierte Befunde werden nummeriert und eingezeichnet. Schließlich werden die Stücke beschrieben: ihre Form, die<br />
Ausrichtung, Größe und Lage, die Zusammensetzung und ihre vermutliche Funktion. Die Archäologen nennen dies die „Erstansprache“. Nun wird Schicht<br />
für Schicht abgetragen, wieder werden Koordinaten aufgenommen, nivelliert, gezeichnet und fotografiert. Irgendwann ist erkennbar, was der Fund sein<br />
könnte, die nächste Schicht wird abgetragen – und dann noch einmal ganz genau beschrieben. Das nennen die Archäologen die „Endansprache.<br />
Fotos: DAI Eurasien-Abteilung<br />
64 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 65
STANDORT<br />
SPUREN DER JAHRTAUSENDE<br />
Die Römisch-Germanische Kommission in Frankfurt am Main<br />
DIE STANDORTE DES DEUTSCHEN<br />
ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS<br />
www.dainst.org/de/department/rgk<br />
info.rgk@dainst.de<br />
Berlin<br />
Bonn<br />
München<br />
Frankfurt am Main<br />
Athen<br />
Istanbul<br />
Rom<br />
Lissabon<br />
Madrid<br />
Kairo<br />
Jerusalem<br />
Amman<br />
Sana´a<br />
Peking<br />
Baghdad<br />
Damaskus<br />
Ulaanba_atar<br />
Teheran<br />
Die Römisch-Germanische Kommission wurde 1902 gegründet,<br />
um das römische Erbe und darüber hinaus die gesamte „heimische“<br />
Vorgeschichte Europas zu erforschen. Das bedeutet heute<br />
– nach 110 Jahren Kooperationen in einem immer enger zusammenwachsenden<br />
Europa – natürlich etwas anderes als zur Zeit<br />
der Reiche und Empires. Ein gemeinsames Europa also ist der<br />
Hauptforschungsgegenstand der RGK in Frankfurt am Main, die<br />
mit eigener Satzung unter dem Dach des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts arbeitet. Die ältesten Perioden Europas markieren<br />
den zeitlichen Ausgangspunkt der Forschung, die über die<br />
Metallzeiten bis schließlich ins Mittelalter reicht. Ein Schwerpunkt<br />
ist die Arbeit zu den großen weit verzweigten Gruppen<br />
der Kelten in Mittel- und Westeuropa; das „römisch“ im Namen<br />
der RGK leitet sich von den Projekten provinzialrömischer <strong>Archäologie</strong><br />
mit Limesforschung und Kulturaustausch zwischen<br />
den Eroberern aus dem Süden und den ansässigen Gruppen ab.<br />
Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen<br />
sowie Institutionen des Denkmalschutzes<br />
sind selbstverständlich wie zum Beispiel im größten der internationalen<br />
Kooperationsprojekte „ArchaeoLandscapes Europe“,<br />
dem 57 For schungs institute aus 27 Ländern angehören, um das<br />
gemeinsame kulturelle Erbe mit modernsten luftgestützten Forschungsmethoden<br />
in den Blick zu nehmen und so letztendlich bewahren<br />
zu können.<br />
Ein anderes bedeutendes Projekt ist „Herausbildung und Niedergang<br />
des frühbronzezeitlichen Siedlungszentrums von Fidvár bei<br />
Vráble (Südwestslowakei)“, in dem Untersuchungen zu Wirtschaft,<br />
Sozialstruktur und politischer Organisation eines Sozialverbandes<br />
und seines Umfeldes in internationaler Kooperation duchgeführt<br />
werden.<br />
Das DEUTSCHE ARCHÄOLOGISCHE INSTITUT (DAI)<br />
ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die als Bundesanstalt zum Geschäftsbereich<br />
des Auswärtigen Amts gehört. Das Institut mit Zentrale in Berlin und mehreren Kommissionen<br />
und Abteilungen im In- und Ausland führt archäologische Ausgrabungen<br />
und Forschungen durch und pflegt Kontakte zur internationalen Wissenschaft. Das<br />
Institut veranstaltet wissenschaftliche Kongresse, Kolloquien und Führungen und informiert<br />
die Öffentlichkeit über seine Arbeit.<br />
66 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 67
DER ERSTE<br />
WEIN<br />
PANORAMA<br />
DER DIGITALE PFLANZENATLAS<br />
Der Digitale Pflanzenatlas ist ein seit 2006 laufendes<br />
internationales Projekt, das einen Beitrag zur Identifikation<br />
von Samen, Früchten, unterirdischen Pflanzenteilen,<br />
Stängelfragmenten, usw. leistet. Die Pflanzenteile werden<br />
mit Farbfotos illustriert, die mit Maßstab und wissenschaftlichen<br />
Namen versehen sind. Daneben werden die einheimischen<br />
Namen der Pflanzen in mehreren Sprachen aufgelistet.<br />
Der Erwerb des Buches berechtigt zum Zugang zu teils<br />
gesicherten Websites des Projekts. Dort werden auch<br />
zusätzliche Daten (Fotos, digitale Messdaten etc.) der<br />
archäologisch gefundenen oder „subfossilen“ Samen und<br />
Früchte zur Verfügung gestellt. www.pflanzenatlas.eu<br />
Archäobotanische<br />
Aufschlüsse über<br />
5000 Jahre Kultur<br />
1980 feierte die Deutsche Bundespost<br />
„Zwei Jahrtausende Weinbau in Mitteleuropa“<br />
mit einer Briefmarke. Damit gehört<br />
die heimische Region zu den Nachzüglern<br />
bei der Kultivierung der Reben. Auch in<br />
Griechenland, wohin der Kenner gesamteuropäischer<br />
Rebenkultivierung gern blickt,<br />
wenn es um Weinkultur geht, sind weder<br />
Anfang noch Ursprung seines Anbaus zu<br />
finden, wie lautstark auch der „Weingott“<br />
Dionysos und sein Gefolge die „wahre“ Geschichte<br />
übertönen mögen.<br />
Die wahre Geschichte beginnt wohl im<br />
Übergang vom 4. zum 3. vorchristlichen<br />
Jahrtausend im Gebiet der heutigen Länder<br />
Iran und Irak und vor allem im nordwestlichen<br />
Jordanien, wo es auch Nachweise<br />
für eine frühe Obstbaumkultur gab<br />
– Belege für den Anbau von Oliven sogar<br />
schon seit dem 5. Jahrtausend. Von dort<br />
breitet sich die Weinkultur über Syrien<br />
und die Türkei aus, bis sie im 2. Jahrtausend<br />
v. Chr. Griechenland erreicht, um sich<br />
von dort aus über die gemäßigten Zonen<br />
Europas auszubreiten. „Die bislang frühesten<br />
eindeutigen archäobotanischen Belege<br />
besitzen wir vom Tell Hujayrat al-Ghuzlan<br />
in der Nähe von Aqaba im Süden Jordaniens“,<br />
sagt Reinder Neef, der das archäobotanische<br />
Labor des DAI leitet.<br />
Hier entstand bereits in prähistorischer<br />
Zeit eine ausgeklügelte Oasenwirtschaft<br />
mit einem verzweigten Kanalsystem, das<br />
von einer artesischen Quelle gespeist wird.<br />
Damit konnten größere Flächen in einem<br />
nahezu regenfreien Gebiet landwirtschaftlich<br />
genutzt und damit dauerhaft<br />
besiedelt werden. Technische Innovationen<br />
und Änderungen in der Sozialstruktur<br />
gehen hier Hand in Hand, und es ist eines<br />
ZUERST SCHIENEN es Traubenkerne zu sein. Aber unter dem Mikroskop erkannten die<br />
Archäobotaniker, dass es ganze Trauben in getrockneter Form waren: 5600 Jahre alte<br />
Rosinen. Foto: DAI Orient-Abteilung, Eichmann<br />
Abb.: Digital Atlas of Economic Plants in<br />
Archaeology<br />
der großen Forschungsthemen in der <strong>Archäologie</strong>,<br />
den Beginn solcher Entwicklungen<br />
bestimmen zu können. Hierbei<br />
kann die Archäobotanik verlässliche Indikatoren<br />
liefern, wenn zum Beispiel die<br />
Analyse botanischer Makroreste und Pollen<br />
für eine bestimmte Region ausschließlich<br />
kultivierte Pflanzen aufweist. Eingefügt<br />
in den archäologischen und botanischen<br />
Gesamtkontext können die Forscher<br />
dann auch bestimmen, ob es sich bei den<br />
Pflanzen um einheimische Wildarten oder<br />
um Kultursorten handelt. „Wenn eine<br />
Pflanze außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes<br />
vorkommt, können wir<br />
davon ausgehen, dass wir es mit einer kultivierten<br />
Form zu tun haben“, sagt Neef –<br />
wilden Wein gab es vor allem im nördlichen<br />
Mittelmeerraum, am Schwarzen und<br />
wohl am Kaspischen Meer.<br />
Gefunden wurden diese ältesten Nachweise<br />
kultivierten Weins im Jahr 2003 von<br />
den Archäologen der Orient-Abteilung<br />
des DAI. In einem Gefäß waren mehrere<br />
Tausend verkohlte kleine schwarze Kerne<br />
aufbewahrt. „Diese ‚Kerne’ stammen aus<br />
der Zeit zwischen 3800 und 3600 v. Chr.“,<br />
erklärt Neef. Eine Brandkatastrophe hatte<br />
den spektakulären Fund ermöglicht. „Normalerweise<br />
werden die meisten Pflanzenreste<br />
im Laufe der Jahrtausende zerstört“,<br />
erklärt der Archäobotaniker. „Wenn aber<br />
Pflanzenreste bei einem Feuer durch Mangel<br />
an Sauerstoff nicht vollständig zu<br />
Asche verbrennen, weil sie durch andere<br />
Materialien bedeckt werden, gewinnen<br />
wir sehr gutes Untersuchungsmaterial.“<br />
Als die Archäobotaniker den Inhalt des<br />
Gefäßes in Augenschein nahmen, hielten<br />
sie kleinen schwarzen Gebilde zunächst<br />
für Traubenkerne. „Aber was würde es für<br />
einen Sinn machen, auf diese Weise Weintrauben<br />
zu lagern?“, fragt Neef. In der mikroskopischen<br />
Analyse entdeckten sie<br />
schließlich Fruchtstiele und winzige Stücke<br />
der Fruchtschale – wo aber Trauben im<br />
Gefäß keinen Sinn machen, tun Rosinen es<br />
allemal. Ob die Früchte auch in Hujayrat<br />
DRS. REINDER NEEF leitet das<br />
Labor für Archäobotanik im<br />
Naturwissenschaftlichen<br />
Referat des DAI.<br />
angebaut wurden, ist nicht klar erwiesen.<br />
„Sicher könnten wir sein, wenn wir auch<br />
Reste vom Holz des Weinstocks gefunden<br />
hätten“, erklärt Neef. Die aber fehlten hier.<br />
Wahrscheinlicher ist, dass die Rosinen ein<br />
Handelsgut aus Mitteljordanien waren.<br />
„Wir wissen, dass es sogar Kontakte bis<br />
zum Nildelta und insgesamt einen intensiven<br />
Austausch an Gütern und Denkweisen<br />
gab“, sagt Neef, und Hujayrat al-Ghuzlan<br />
war ein wichtiger Handelsknotenpunkt.<br />
Rosinen lassen sich gut transportieren,<br />
ebenso wie Oliven, Öl oder Wein, wenngleich<br />
der nicht so haltbar war wie die anderen<br />
Handelsgüter und wohl mit Zusätzen<br />
versehen werden musste. „Wir wissen<br />
nicht, wie dieser Wein geschmeckt hat“,<br />
sagt Neef. „Aber bestimmt nicht so, wie wir<br />
es heute gewohnt sind.“<br />
Das Labor für<br />
Archäobotanik<br />
Botanische Proben aus 28 Ausgrabungen<br />
in 17 Ländern werden von den Archäobotanikern<br />
des DAI bearbeitet. Sie untersuchen<br />
bodengelagerte Pflanzenmakroreste<br />
DIE VERGLEICHSSAMMLUNG DES LABORS:<br />
Die Samm lung rezenter Samen und Früchte<br />
enthält momentan ca. 5150 unterschiedliche<br />
Pflanzenarten.<br />
wie Samen, Früchte und Holz, deren Auswertung<br />
Aufschlüsse zu Ernährung und<br />
Entwicklung der Kulturpflanzen sowie der<br />
Landwirtschaft, des Handels, der Nutzung<br />
natürlicher Ressourcen und der Umweltverhältnisse<br />
in vor- und frühgeschichtlicher<br />
Zeit ermöglichen. Pollenanalysen liefern<br />
zusätzlich detaillierte Informationen<br />
zur Vegetationsgeschichte und Klimaentwicklung.<br />
Der Übergang von Jäger-und-<br />
Sammlerkulturen zur Sesshaftigkeit mit<br />
Ackerbau und Viehzucht und der bislang<br />
wenig erforschte Beginn der Oasenwirtschaft<br />
während der frühen Metallzeiten<br />
sind Forschungschwerpunkte des Labors.<br />
Insgesamt lassen sich durch die Rekonstruktion<br />
der antiken Flora – seien es wilde<br />
oder kultivierte Arten – Erkenntnisse zu<br />
den Wechselbeziehungen Mensch und<br />
Umwelt gewinnen.<br />
Für die Bestimmung von Pflanzenresten<br />
stehen umfangreiche Vergleichssammlungen<br />
zur Verfügung. Die Sammlung rezenter<br />
Samen und Früchte enthält momentan<br />
ca. 5150 unterschiedliche Pflanzenarten,<br />
für die Bestimmung der Hölzer gibt es<br />
eine Sammlung von Handstücken und<br />
Dünnschnitt-Präparaten von ca. 250 Holzarten.<br />
Auch für die Pollenanalyse steht<br />
eine Sammlung von Vergleichspräparaten<br />
von mehr als 1400 Pflanzenarten zur Verfügung.<br />
Dazu kommt außerdem eine<br />
Sammlung aus den 30er-Jahren von Steinfrüchten<br />
alter Obstbaumtaxa aus der so<br />
genannten Späth’schen Baumschule.<br />
68 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 69
„URUK. 5000 Jahre<br />
Megacity“<br />
I BEISPIEL für die berühmte Architektur der „Uruk-Zeit“: Das „Gebäude C“ (um<br />
3300 v. Chr.) ist nur wenige Ziegellagen hoch erhalten. Foto: DAI, Orient-Abteilung,<br />
Fotoarchiv<br />
II 3D-REKONSTRUKTION des „Gebäudes C“ auf der Basis der archäo logischen<br />
Befunde. Unklar bleibt, ob das Gebäude ein- oder zweigeschossig zu rekonstruieren<br />
ist. Abb.: Rekonstruktion: artefacts-berlin.de, wissenschaftliches Material: DAI<br />
PANORAMA<br />
König Gilgamesch, der jugendliche Halbgott,<br />
regiert tyrannisch über seine Untertanen,<br />
und deren Klage erreicht alsbald<br />
das Ohr der Götter. Um dem Land und der<br />
Bevölkerung Ruhe zu verschaffen, beschließen<br />
die Götter, einen ebenbürtigen<br />
Gefährten für Gilgamesch zu finden. Sie<br />
erschaffen Enkidu, der unter den Tieren in<br />
der Wildnis aufwächst. Als Gilgamesch<br />
von dessen Existenz erfährt, lässt er ihn zu<br />
sich bringen, und die beiden Helden messen<br />
sogleich ihre Kräfte. Doch sie müssen<br />
bald feststellen, dass keiner von beiden<br />
die Oberhand gewinnen kann; also beschließen<br />
sie, Freunde zu werden. Die Geschichte<br />
des Gilgamesch ist hier nicht zu<br />
Ende. Ihren Anfang hat sie in seiner Heimatstadt:<br />
Uruk.<br />
DIE ERSTE<br />
GROSSSTADT<br />
I<br />
II<br />
Vor 100 Jahren fanden Archäologen die erste<br />
Großstadt. Im mesopotamischen Uruk,<br />
dem heutigen Warka, kamen die ersten<br />
Zeugnisse urbanen Lebens ans Tageslicht.<br />
Anlässlich des 100. Jubiläums des Grabungsprojekts<br />
präsentieren das Vorderasiatische<br />
Museum der Staatlichen Museen<br />
zu Berlin und die Reiss-Engelhorn-Museen<br />
Mannheim in enger Kooperation mit der<br />
Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen<br />
Instituts und der Deutschen<br />
Orient-Gesellschaft die Sonderausstellung<br />
„URUK. 5000 Jahre Megacity“.<br />
1954 hatte die irakische Antikenverwaltung<br />
die Forschungslizenz an das Deutsche<br />
Archäologische Institut übertragen.<br />
Für die Orient-Abteilung ist es seitdem das<br />
wichtigste Forschungsprojekt im Irak.<br />
Uruk bietet eine beeindruckende Zahl<br />
wichtiger Innovationen, die unser Leben<br />
noch heute bestimmen: Mit der Entwicklung<br />
der ersten Großstadt am Ende des 4.<br />
Jahrtausends v. Chr. ging die Entstehung<br />
komplexer Lebens- und Verwaltungsformen<br />
einher. Massenversorgung von Menschen<br />
mit Lebensmitteln und Alltagsgerät,<br />
aber auch die Organisation von Wasser,<br />
Importgütern und Knowhow wurden<br />
wichtige Funktionen der Stadt. Hier entstand<br />
die erste Keilschrift als Notwendigkeit<br />
einer elaborierten Verwaltung, und<br />
vor allem im 4. Jahrtausend v. Chr. spielte<br />
Uruk eine wichtige politische Rolle und<br />
war international weiträumig vernetzt. In<br />
den folgenden mehr als 3000 Jahren ihrer<br />
Existenz war die Stadt ein wissenschaftlich<br />
und religiös bedeutendes Zentrum.<br />
Die Ausstellung<br />
„URUK. 5000 Jahre Megacity“ wird vom 25.<br />
April bis 8. September 2013 im Pergamonmuseum<br />
zu sehen sein und vom 20. Okto-<br />
ber 2013 bis 21. April 2014 in den Mannheimer<br />
Reiss-Engelhorn-Museen.<br />
Durch die damals übliche Praxis der Fundteilung<br />
gelangten zahlreiche Grabungsobjekte<br />
nach Deutschland, wo sie nicht<br />
nur im Vorderasiatischen Museum im Pergamonmuseum,<br />
sondern auch in der von<br />
der Universität Heidelberg betreuten<br />
Uruk-Warka-Sammlung des Deutschen<br />
Archäologischen Instituts aufbewahrt<br />
werden. Dank der einzigartigen Kooperation<br />
der vier Institutionen werden erstmals<br />
Objekte getrennter Sammlungen<br />
den Ausstellungsbesuchern vereint präsentiert.<br />
Diese werden durch hochkarätige<br />
Exponate unter anderem aus dem British<br />
Museum London, dem Ashmolean<br />
Museum der Universität Oxford und dem<br />
Musée du Louvre Paris sowie durch neu<br />
erstellte digitale Rekonstruktionen der<br />
Stadtanlage und einzelner Bauwerke ergänzt.<br />
In Berlin, der ersten Station, wird<br />
die Sonderausstellung in einem Teil der<br />
ständigen Ausstellung des Vorderasiatischen<br />
Museums im Südflügel des Pergamonmuseums<br />
präsentiert werden. Dort<br />
veranschaulichen bereits seit der Eröffnung<br />
im Jahr 1930 die Rekonstruktionen<br />
von über 5000 Jahre alten Tonstiftfassaden<br />
die repräsentative Großarchitektur,<br />
die in Uruk mit den Anfängen großstädtischen<br />
Lebens einherging. Im Rahmen der<br />
Sonderausstellung „URUK. 5000 Jahre Megacity“<br />
werden diese frühesten Beispiele<br />
von Großstadtanlagen gemeinsam mit<br />
den neu erstellten virtuellen Rekonstruktionen<br />
inszeniert.<br />
Veranstalter: Vorderasiatisches Museum , Reiss-Engelhorn<br />
Museen Mannheim , <strong>Deutsches</strong> Archäologisches<br />
Institut, Deutsche Orient-Gesellschaft<br />
DER SOGENANNTE PRIESTERFÜRST<br />
wurde um 3000 v. Chr. in einem Topf<br />
deponiert und im Winter 1957/58 so<br />
wieder aufgefunden. Foto: DAI,<br />
Orient-Abteilung, Fotoarchiv<br />
KÖNIG URNAMMA errichtete eine<br />
Zikkurrat im Heiligtum der<br />
Liebes- und Kriegsgöttin Inanna /<br />
Ischtar (21. Jh. v. Chr). Ihr Tempel<br />
stand auf zwei hohen Terrassen.<br />
3D-Rekonstruktion von<br />
artefacts-berlin.de, wissenschaftliches<br />
Material: DAI<br />
70 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 71
IMPRESSUM<br />
In der nächsten Ausgabe von <strong>Archäologie</strong> Weltweit<br />
<strong>Archäologie</strong> Weltweit<br />
Magazin des Deutschen<br />
Archäologischen Instituts<br />
1. Jahrgang / 1 • 2013<br />
DER STEIN der schwangeren Frau (Hadschar al-Hibla) oder<br />
Stein des Südens (Hadschar al-Qubla) in Baalbek im heutigen<br />
Libanon ist einer der größten Monolithen der Welt. Er und ein<br />
ähnlich großer Stein, der in der Nähe gefunden wurde, gehörten<br />
zu einer römischen Großbaustelle im Tempelbezirk von<br />
Baalbek und waren für das Podium des Jupitertempels bestimmt.<br />
Der bearbeitete Steinblock ist rund 20 Meter lang, vier<br />
bis gut fünf Meter breit und etwas über vier Meter hoch. Sein<br />
Gewicht wird auf rund 1000 Tonnen berechnet. Den Steinbruch<br />
hat er nie verlassen. Foto: Klaus Rheidt<br />
GROSSBAUSTELLEN<br />
Megacities, Weltwunder und andere Monumente<br />
HERAUSGEBER<br />
<strong>Deutsches</strong> Archäologisches Institut<br />
www.dainst.org<br />
ORGANISATION, TEXT<br />
UND REDAKTION<br />
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Susanne Weiss (sw)<br />
weiss@wortwandel.de<br />
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72 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 73
In der nächsten Ausgabe von <strong>Archäologie</strong> Weltweit<br />
GROSSBAUSTELLEN<br />
Megacities, Weltwunder und andere Monumente<br />
ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />
Orte und Themen in dieser Ausgabe<br />
Ägypten, Kairo, Dahschur REPORTAGE Seite 10<br />
TITELTHEMA Seite 54<br />
Ägypten, Elephantine INTERVIEW Seite 16<br />
Türkei, Göbekli Tepe CULTURAL HERITAGE Seite 18<br />
Westchina, Turfan LANDSCHAFTEN Seite 26<br />
China, Peking LANDSCHAFTEN Seite 32<br />
Jemen, Marib TITELTHEMA Seite 42<br />
Saudi-Arabien, Tayma TITELTHEMA Seite 44<br />
Italien, Rom TITELTHEMA Seite 48<br />
Spanien, Córdoba TITELTHEMA Seite 50<br />
Peru, Nasca TITELTHEMA Seite 57<br />
Rumänien, Pietrele<br />
ALLTAG ARCHÄOLOGIE Seite 62<br />
DAS TITELBILD<br />
Der große Damm der Oase von Marib im<br />
heutigen Jemen ist ein Zeugnis elaborierter<br />
Wasserwirtschaft in extrem trockenen Gebieten.<br />
Der sogeannte Bau A ist ein hydraulisches<br />
Bauwerk aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr.<br />
Es besitzt drei zur Stromrichtung abgerundete<br />
Pfeiler und dazwischen eine massive Steinmauer,<br />
die bei zu hohen Fluten als Überlauf<br />
diente. Luftaufnahme, DAI/<strong>Deutsches</strong><br />
Bergbau-Museum Bochum