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<strong>Archäologie</strong> Weltweit – Erster Jahrgang – Berlin, im Mai 2013 – DAI<br />

1 • 2013<br />

TITELTHEMA<br />

ARCHÄOLOGIE DES WASSERS<br />

Die technischen, kulturellen und sozialen Wirkungen eines Elements<br />

Titelthema ab Seite 36 Abb.: LengyelToulouse Architekten auf der Grundlage eines 3D-Modells / DAI<br />

REPORTAGE<br />

LANDSCHAFTEN<br />

ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

www.dainst.org<br />

ÄGYPTEN – HERAUSFORDERUNG<br />

GEGENWART Archäologisches Arbeiten<br />

in Zeiten des Umbruchs<br />

TOR ZU ANDEREN WELTEN Deutsche<br />

und chinesische Archäologen erforschen<br />

Gesellschaften an der Seidenstraße<br />

SCHERBEN BRINGEN GLÜCK Wie in<br />

Pietrele Schicht um Schicht eine antike<br />

Gesellschaft zum Leben erweckt wird


EDITORIAL<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

EDITORIAL<br />

Was ist <strong>Archäologie</strong>?<br />

Sonderbare Frage, mögen Sie denken.<br />

Weiß das nicht jeder? Ja und nein. Natürlich<br />

ist die <strong>Archäologie</strong> nach wie vor eine<br />

Wissenschaft, die sich mit den Hinterlassenschaften<br />

antiker Kulturen befasst. Aber<br />

sie tut dies heute oft auf andere Art und<br />

mit weiter gefassten Zielen, als ihr Bild in<br />

der Öffentlichkeit es zu zeigen scheint. Mit<br />

Spaten und Pinsel an weit entfernten Orten<br />

auf der Suche nach alten Steinen und<br />

Scherben zu graben, ist natürlich auch gegenwärtig<br />

noch ein Teil unserer Wissenschaft.<br />

Doch die Fragen der Archäologen<br />

und ihre Methoden sind im Verlaufe der<br />

Zeit immer komplexer geworden. Moderne<br />

Altertumswissenschaften arbeiten<br />

ebenso mit naturwissenschaftlichen wie<br />

mit sozial- und kulturwissenschaftlichen<br />

Methoden, um Landschaften, Lebensräume<br />

und Umwelten antiker Gesellschaften<br />

rekonstruieren zu können. Dazu kommt,<br />

dass die Arbeit des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts hautnah in die sozialen<br />

und politischen Realitäten seiner Gastländer<br />

eingebunden ist.<br />

PROF. DR. FRIEDERIKE FLESS<br />

Prä si dentin des Deutschen<br />

Archäolo gischen Instituts<br />

Was ist das Deutsche Archäologische<br />

Institut?<br />

Das DAI ist eine der größten archäologischen<br />

Forschungseinrichtungen weltweit.<br />

Es ist an 20 Standorten und in fast 200 Projekten<br />

überall auf der Welt mit Kooperationspartnern<br />

präsent: im Mittelmeerraum,<br />

in den Ländern Eurasiens, in Asien, Afrika<br />

und in Südamerika. Es dient der wissenschaftlichen<br />

Forschung – in erster Linie.<br />

Aber ein wichtiger Teil der Arbeit des DAI<br />

dient auch der Erschließung und Bewahrung<br />

des kulturellen Erbes in seinen Gastländern.<br />

Als Forschungseinrichtung im<br />

Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts<br />

ist es daher eine bedeutende Größe der<br />

Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik<br />

der Bundesrepublik Deutschland.<br />

DAI ebenso beleuchtet wie ihre politischen<br />

Implikationen, seine Fähigkeit, alte<br />

Rätsel zu lösen ebenso wie die Erkenntnisse<br />

aus der Antike für Gegenwart und Zukunft<br />

nutzbar zu machen.<br />

<strong>Archäologie</strong> Weltweit wird drei Mal im<br />

Jahr erscheinen. In Reportagen werden<br />

aktuelle Bedingungen der Arbeit in unseren<br />

Gastländern geschildert – den Auftakt<br />

macht Ägypten. Besondere Querschnitt-<br />

Themen sind jeweils zu einem Titelthema<br />

zusammengefasst – im UNESCO-Jahr des<br />

Wassers ist die Wahl für die erste Ausgabe<br />

naheliegend. Berichte über die Arbeiten<br />

zum Kulturerhalt werden in einer eigenen<br />

Rubrik wie auch an anderen Stellen der<br />

Hefte platziert sein. Vieles andere mehr erwartet<br />

Sie in einem ganzen Kosmos archäologischer<br />

Themen – Sie brauchen nur<br />

umzublättern.<br />

Viel Vergnügen beim Lesen!<br />

Ihre<br />

Warum ein neues archäologisches<br />

Magazin?<br />

Mit anderen Worten: Wir haben viel zu erzählen,<br />

und das Interesse der Öffentlichkeit<br />

an Themen der <strong>Archäologie</strong> ist eher<br />

noch gestiegen. Grund genug für uns, ein<br />

neues Magazin herauszubringen, das die<br />

wissenschaftlichen Aspekte der Arbeit des<br />

Prof. Dr. Friederike Fless<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 1


INHALT<br />

INHALT<br />

DIE STEINMETZE VOM GÖBEKLI TEPE<br />

Arbeiten am ältesten Heiligtum der Welt<br />

4 NACHRICHTEN<br />

10 REPORTAGE<br />

Cultural Heritage<br />

18<br />

Ägypten – Herausforderung Gegenwart<br />

16 INTERVIEW<br />

Stephan Seidlmayer:<br />

Pessimismus ist keine Option<br />

Reportage<br />

10<br />

ÄGYPTEN – HERAUSFORDERUNG<br />

GEGENWART Archäologisches<br />

Arbeiten in Zeiten des Umbruchs<br />

Titel<br />

ARCHÄOLOGIE DES WASSERS<br />

Die technischen, kulturellen und sozialen Wirkungen eines Elements<br />

36<br />

Landschaften 26<br />

TOR ZU ANDEREN WELTEN Deutsche und<br />

chinesische Archäologen erforschen unbekannte<br />

Gesellschaften an der Seidenstraße<br />

18 CULTURAL HERITAGE<br />

Die Steinmetze vom Göbekli Tepe<br />

24 STANDPUNKT<br />

<strong>Archäologie</strong> und Kulturerhalt<br />

26 LANDSCHAFTEN<br />

Die Seidenstraße: Das Tor zu anderen Welten<br />

34 DAS OBJEKT<br />

Dichter, Flussgott und Schwarzes Meer<br />

36 TITELTHEMA<br />

<strong>Archäologie</strong> des Wassers<br />

40 Marib und Tayma:<br />

Weihrauch, Wasser, Wirtschaft<br />

46 Rom und Córdoba:<br />

Wasserluxus in der Antike<br />

52 Dahschur und Nasca:<br />

Fraktale und Klimarituale<br />

Vor 5000 Jahren<br />

wird zum ersten Mal<br />

Wein angebaut, vor<br />

5000 Jahren entsteht<br />

die erste Stadt.<br />

60 IM PORTRÄT<br />

60 Iris Gerlach<br />

61 Friedrich Lüth<br />

62 ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

Scherben bringen Glück: Die Arbeiten in Pietrele<br />

66 STANDORT<br />

Alltag<br />

<strong>Archäologie</strong><br />

Panorama 68<br />

Die Römisch-Germanische Kommission:<br />

Spuren der Jahrtausende<br />

68 PANORAMA<br />

Der erste Wein – Ergebnisse der Archäobotanik<br />

62<br />

SCHERBEN BRINGEN GLÜCK Wie in Pietrele<br />

Schicht um Schicht eine antike Gesellschaft zum<br />

Leben erweckt wird<br />

Die erste Stadt – 5000 Megacity Uruk<br />

72 IMPRESSUM, VORSCHAU<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 3


HINKEL-<br />

ARCHIV<br />

NACHRICHTEN<br />

Hinkel-Archiv als<br />

Grundlage der<br />

Kooperation zwischen<br />

DAI und QSAP<br />

IZMIR<br />

Friedrich W. Hinkel kannte den Sudan wie<br />

kaum ein anderer. Unermüdlich sammelte<br />

der Bauforscher und Architekt Materialien<br />

über archäologische Plätze und Architektur-Denkmäler<br />

des afrikanischen Landes<br />

mit seiner überaus reichen Kulturgeschichte.<br />

MEHR ALS VIERZIG JAHRE arbeitete Friedrich W. Hinkel zu den an tiken Kulturen des<br />

Sudan, lange Zeit auch im Auftrag der Sudanesischen Altertümerverwaltung. Seine<br />

Arbeiten zur meroitischen Kultur sind Grundlagenwerke, sein Einsatz zum Erhalt der<br />

Denkmäler – zuletzt an den Pyramiden von Meroë – ist herausragend. Ein wissen -<br />

schaftlicher Ertrag seiner Arbeiten mündete in der von ihm gegründeten Reihe<br />

„The Archaeological Map of the Sudan“, deren erster Band 1977 erschien, Kataloge und<br />

Supplemente folgten, weitere Bände sind in Arbeit. Foto: Wolf<br />

Pläne für ein<br />

deutsch-türkisches<br />

<strong>Archäologie</strong>zentrum<br />

2007 starb Friedrich W. Hinkel und hinterließ<br />

ein umfangreiches Archiv zur <strong>Archäologie</strong><br />

und Baugeschichte des antiken Sudan,<br />

das 2009 dem Deutschen Archäologischen<br />

Institut von Hinkels Erben übertragen<br />

wurde mit der Auflage, es zu erschließen<br />

und weiteren Forschungen zugänglich<br />

zu machen.<br />

Dieses Archiv war Anlass für den Be -<br />

such einer Delegation des Qatar-Sudan<br />

Die PYRAMIDEN von Meroë liegen rund<br />

200 Kilometer nordöstlich von Khartoum.<br />

Auf drei Gräberfeldern lassen sich um<br />

die 140 Pyramiden identifizieren, die<br />

für das kuschitische Königshaus und<br />

hohe Beamte errichtet wurden. Sie<br />

wurden meist aus Stein gebaut und<br />

sind teilweise bis zu 30 Meter hoch. Die<br />

Süd- und die Nordnekropole sind unter<br />

anderem als Königsfriedhöfe in der Zeit<br />

vom 3. Jh. v. Chr. bis ins 4. Jh. n. Chr.<br />

genutzt worden. Foto: Wolf<br />

Archaeological Project (QSAP) in der Berliner<br />

Zentrale des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts. Das Projekt, das von der<br />

Qatar Museums Authority finanziert werden,<br />

hat das Ziel, Veröffentlichungen, archäologische<br />

Feldarbeit und Forschungen<br />

im Nordsudan zu fördern. Ein wichtiges<br />

Augenmerk liegt dabei auf Fragen des Kulturerhalts,<br />

der Konservierung und der touristischen<br />

Präsentation der Fundstätten.<br />

Die Erschließung des Hinkel-Archivs ist ein<br />

wichtiger Baustein der Arbeiten, insbesondere<br />

im Hinblick auf den Bestandserhalt<br />

der Pyramiden von Meroë. Auch bei<br />

den anderen Projekten des DAI im Sudan,<br />

in Hamadab und an den Royal Baths von<br />

Meroë, konnte eine Zusammenarbeit verabredet<br />

werden. Dank der Aufnahme in<br />

das Projekt können sie ihre Forschungsvorhaben<br />

und Konservierungsmaßnahmen<br />

zukünftig weiterentwickeln.<br />

Die ROYAL BATHS VON MEROË sind<br />

ein herausragendes Zeugnis für den<br />

Kulturtransfer zwischen dem im Mittleren<br />

Niltal herrschenden Königreich von<br />

Kusch sowie Ägypten und dem Mittelmeerraum.<br />

Die Anlage mit einem großen<br />

Wasserbecken wurde in unmittelbarer<br />

Nähe zweier Paläste errichtet. Ein aufwändiges<br />

Ausstattungsprogramm zeigt<br />

den Einfluss der mediterranen Kulturen,<br />

wie in der Darstellung des Musikers mit<br />

Panflöte. Das DAI-Projekt wird in Zusammenarbeit<br />

mit der National Corporation<br />

for Antiquities and Museums in Khartoum<br />

durchgeführt. Foto: Onasch<br />

Das Gebäude des ehemaligen Generalkonsulats<br />

in Izmir wurde über 80 Jahre<br />

lang als berufskonsularische Vertretung<br />

genutzt und ist damit ein bedeutendes<br />

Denkmal der Geschichte der türkischen<br />

Stadt. Nun stellt sich die Frage nach einer<br />

angemessenen Art neuer Nutzung des repräsentativen<br />

Gebäudes. Der türkische<br />

Kulturminister schlug bereits 2011 vor,<br />

dass es Ort eines deutsch-türkischen <strong>Archäologie</strong>zentrums<br />

werden könnte. Das<br />

Auswärtige Amt hat daher die Abteilung<br />

Istanbul des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts damit beauftragt, Untersuchungen<br />

zur Geschichte des Gebäudes und zu<br />

seinem baulichen Zustand durchzuführen.<br />

„Diese Arbeiten sollen als Grundlage<br />

einer Umnutzungsplanung dienen, die<br />

auch ein deutsch-türkisches <strong>Archäologie</strong>zentrum<br />

umfassen könnte“, erklärt Martin<br />

Bachmann, stellvertretender Leiter der<br />

Abteilung Istanbul des DAI.<br />

DIE ABTEILUNG ISTANBUL hat zum Projekt eine<br />

Broschüre herausgegeben.<br />

Das Gebäude des ehemaligen <strong>deutsche</strong>n<br />

Generalkonsulats liegt in äußerst prominenter<br />

Lage am Kordon, der traditionellen<br />

Flaniermeile und ersten Adresse in Izmir.<br />

Um 1890 wurde es als vornehmes Stadtpalais<br />

für den wohlhabenden levantinischen<br />

Geschäftsmann Elzéar Guiffray errichtet.<br />

Das Patrizierhaus ist in den reichen Formen<br />

des ostmediterran geprägten Historismus<br />

gehalten und reihte sich so ebenbürtig in<br />

den Kordon ein, der als Prachtstraße ein<br />

Schaufenster Izmirs zum Meer war.<br />

Bis zum heutigen Tage hat Izmir gravierende<br />

städtebauliche Veränderungen erfahren,<br />

die insgesamt zur Folge haben, dass<br />

das Gebäude des ehemaligen Generalkonsulats<br />

zusammen mit dem griechischen<br />

Konsulat das letzte zusammenhängende<br />

Ensemble historischer Bebauung<br />

am Kordon bildet, was – über den eigentlichen<br />

Gebäudebestand hinaus – seine kulturgeschichtliche<br />

Bedeutung ausmacht.<br />

Ein deutsch-türkisches <strong>Archäologie</strong>zentrum<br />

wäre eine hervorragende Plattform<br />

kultureller und wissenschaftlicher Zusammenarbeit<br />

beider Länder. „Darüber hinaus<br />

wäre es ein ideales Schaufenster der zahlreichen<br />

bedeutenden Ausgrabungen im<br />

Großraum Izmir wie zum Beispiel in Pergamon<br />

oder Milet“, sagt Felix Pirson, Leiter<br />

der Abteilung Istanbul des DAI. Außer<br />

Ausstellungsflächen bliebe auch Platz für<br />

Vortragsräume und eine kleine Fachbibliothek.“<br />

UMNUTZUNG Das Dokumentations- und<br />

Umnutzungsprojekt fand unter der Leitung von<br />

Martin Bachmann statt. Die Bauaufnahme<br />

wurde von den Studierenden des Karlsruher<br />

Instituts für Technologie (KIT) Steffen Dengler,<br />

Ulrich Graf und Bertram Künste unter der<br />

Leitung von Dorothea Roos erstellt. Ulrich Graf<br />

arbeitete die Pläne aus, Steffen Dengler<br />

zeichnet für die 3D-Modelle und den Umnutzungsvorschlag<br />

verantwortlich.<br />

EIN PRACHTBAU am Kordon, der ersten<br />

Adresse Izmirs<br />

4 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 5


NACHRICHTEN<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Schmidt<br />

DIE PORTA NIGRA, das 1800 Jahre alte Wahrzeichen der Stadt Trier, muss<br />

saniert werden. Das Architekturreferat des DAI führt im Auftrag des LBB<br />

Rheinland Pfalz die Bauforschung durch. Fotos: Wulf-Rheidt<br />

PORTA NIGRA<br />

DAI-Bauforschung<br />

arbeitet für den Erhalt<br />

der Porta Nigra<br />

Auf den ersten Blick sieht die Porta Nigra<br />

in Trier nicht aus wie etwas, das bröckeln<br />

könnte. Sie erscheint zwar ein wenig unfertig,<br />

weil sie in der Antike wahrscheinlich<br />

nie ganz vollendet wurde, aber immerhin<br />

vermitteln die bis zu sechs Tonnen schweren<br />

Steinquader, aus denen sie errichtet<br />

ist, einen Eindruck von Unverwüstlichkeit.<br />

Und tatsächlich gilt das 1800 Jahre alte<br />

stämmige Bauwerk als das am besten erhaltene<br />

römische Stadttor nördlich der<br />

Alpen. Doch nun „bröckelt“ das Tor, wie<br />

lokale Trierer Medien im Herbst letzten<br />

Jahres meldeten. Es musste etwas getan<br />

werden. Zunächst einmal wurde das Tor<br />

neu vermessen.<br />

Die Arbeiten an der Porta Nigra werden<br />

in Kooperation mit der Hochschule<br />

RheinMain, hier im Bild Prof. Dr.-Ing.<br />

Corinna Rohn, durchgeführt.<br />

Die Basis für alles Weitere ist die Bauforschung,<br />

für die das Architekturreferat des<br />

Deutschen Archäologischen Instituts verantwortlich<br />

ist. „Ende 2014 ist jeder Stein<br />

der Porta dokumentiert“, sagt Referatsleiterin<br />

Ulrike Wulf-Rheidt. „Tatsächlich ist<br />

über das berühmte Bauwerk recht wenig<br />

bekannt“, fügt sie hinzu. Also dienen die<br />

Arbeiten an der Porta Nigra, die in Kooperation<br />

mit der Hochschule RheinMain<br />

(Prof. Dr.-Ing. Corinna Rohn) durchgeführt<br />

werden, der Analyse und Beschreibung aller<br />

Bauphasen von der Antike bis zur Gegenwart.<br />

Diese umfasst – was viele nicht<br />

wissen – auch die 750 Jahre währende<br />

Nutzung als Kirche. Zum ersten Mal bietet<br />

die detaillierte Bauaufnahme nun eine<br />

verlässliche Basis für eine archäologische,<br />

bauforscherische und kunstgeschichtliche<br />

Untersuchung der Gesamtanlage. Dabei<br />

soll auch der Frage nachgegangen<br />

werden, ob die Porta Nigra in der Antike<br />

wirklich unfertig blieb und wenn ja, wie<br />

sie hätte aussehen sollen.<br />

Den Namen „Schwarzes Tor“ trägt die Porta<br />

nicht zu Unrecht. Die Färbung entstand<br />

durch die Verwitterung des Kordeler Sandsteins,<br />

aus dem sie gebaut ist. Im Laufe der<br />

Zeit haben die Umwelteinflüsse mehr als<br />

nur Farbspuren an dem eigentlich sehr<br />

haltbaren Stein hinterlassen. Es gibt Schäden<br />

von Abschuppungen, schwarze Verkrustungen,<br />

Risse, Brüche und Ablösungen<br />

am Quadermauerwerk.<br />

Wenn die ersten Arbeiten abgeschlossen<br />

sind, wird 2014 ein Konzept zur Sanierung<br />

erstellt, bevor die eigentlichen Arbeiten<br />

2015 beginnen können. Dann wird das<br />

Wahrzeichen der Stadt Trier wohl für 10<br />

bis 15 Jahre abschnittsweise hinter einem<br />

Gerüst verborgen sein.<br />

EINZELNE FUNDE KÖNNEN RÄTSELHAFT SEIN,<br />

wenn man sie nicht in ihrem Kontext sieht …<br />

6 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 7


BÜCHER<br />

keit, Aspekte von Arbeitswelt und Wirtschaft,<br />

ihre Möglichkeiten Identifika tion<br />

zu schaffen bis hin zu dem Kapitel <strong>Archäologie</strong><br />

und Neue Medien. Bestellungen an<br />

nina.schuecker@dainst.de<br />

Die Reihe „Menschen - Kulturen - Traditionen.<br />

Studien aus den Forschungsclustern<br />

des Deutschen Archäologischen Instituts“<br />

enthält Beiträge aus den aktuellen Fragestellungen<br />

der Forschungscluster des DAI.<br />

scher Archäologen des 20. Jahrhunderts.<br />

Die Lebensbilder sind nicht auf die 12 Jahre<br />

der NS-Diktatur bzw. die 21 Jahre des<br />

italienischen Faschismus beschränkt, sondern<br />

liefern jeweils ganzheitliche Lebensbeschreibungen,<br />

die es ermöglichen, Kontinuitäten,<br />

Brüche und Entwicklungen<br />

langer Lebenswege zu würdigen. VML<br />

Verlag Marie Leidorf GmbH, Rahden/Westfalen<br />

ULRIKE EHMIG – RUDOLF HAENSCH<br />

Die Lateinischen Inschriften aus<br />

Albanien (LIA)<br />

Das heutige Albanien war in der Antike<br />

eine Kontaktzone zwischen den Kulturen.<br />

Schon im Hellenismus existierten hier griechische<br />

Stadtstaaten, hellenistische Königreiche<br />

und indigene Stammesgesellschaften.<br />

Noch stärker wurde die Region in der<br />

Römischen Kaiserzeit zu einer Übergangszone;<br />

das Gebiet gehörte zu drei römischen<br />

Provinzen: Dalmatia, Macedonia und Epirus.<br />

Die bis heute bekannt gewordenen<br />

302 lateinischen Inschriften aus Albanien<br />

werden in diesem Band in Neu lesungen<br />

vorgelegt, unter kulturgeschicht lichen Gesichtspunkten<br />

kommentiert und über umfangreiche<br />

Indices erschlossen. Verlag Dr.<br />

Rudolf Habelt GmbH<br />

FLORIAN KLIMSCHA, RICARDO<br />

EICHMANN, CHRISTOF SCHULER UND<br />

HENNING FAHLBUSCH (HRSG.)<br />

Forschungscluster 2: Wasserwirtschaftliche<br />

Innovationen im archäologischen<br />

Kontext: Von den prähistorischen Anfängen<br />

bis zu den Metropolen der Antike.<br />

Der Band präsentiert erste Ergebnisse des<br />

DAI Forschungsclusters „Innovationen:<br />

technisch, sozial”, der sich seit 2006 den<br />

Themen Wasserwirtschaft und Metallurgie<br />

widmet. Die lebensnotwendige Ressource<br />

Wasser stellt in allen Phasen der<br />

Menschheitsgeschichte einen wichtigen<br />

Faktor dar, ihre technische Erschließung<br />

beginnt mit den frühesten Ansätzen zu<br />

komplexen Siedlungsformen und Gemeinschaftsformen.<br />

Dabei ist die Nutzung von<br />

Grundwasser über Brunnen die größte<br />

Konstante und Erfolgsgeschichte. Die ersten<br />

Beiträge zeigen einfachere Formen<br />

der Wasserwirtschaft, die dem Brunnenbau<br />

vorausgehen. (siehe Titelthema ab S. 36)<br />

ALBERT DISTELRATH<br />

Siedeln und Wohnen in einer Ruinenstätte.<br />

Ein denkmalpflegerisches Konzept<br />

für Herakleia am Latmos / Yerleşim<br />

ve Yaşam Alanı olarak Ören, YeriHerakleia<br />

(Latmos) için bir Koruma Konsepti<br />

MIRAS, Band 1<br />

Erforschung und Schutz archäologischer<br />

Stätten sind untrennbar miteinander verbunden.<br />

Häufig stehen die archäologischen<br />

Unternehmungen jedoch hinsichtlich der<br />

Erhaltung und Sicherung der antiken Monumente<br />

vor Aufgaben, die ihre Möglichkeiten<br />

und Kompetenzen überschreiten.<br />

Erfahrungen von verschiedenen Orten<br />

und eine breite Kenntnis von Fallbeispielen<br />

sind daher wichtige Voraussetzungen<br />

für eine angemessen auf die Besonderheiten<br />

einer archäologischen Stätte reagierende<br />

Konzeptfindung. Das Deutsche Archäologische<br />

Institut Abteilung Istanbul<br />

hat sich vor diesem Hintergrund entschlossen,<br />

eine neue Publikations reihe mit dem<br />

Namen MIRAS (Mana ge ment, Instandsetzung<br />

und Restaurierung an Archäologischen<br />

Stätten in der Türkei) zu eröffnen, in<br />

der solche Fallbeispiele in loser Folge vorgelegt<br />

werden sollen.<br />

NINA SCHÜCKER (HRSG.)<br />

Integrating Archaeology<br />

Die von der Römisch-Germanischen Kommission<br />

im Rahmen des Projekts „Archaeology<br />

in Contemporary Europe“ organisierte<br />

Konferenz „Integrating Archaeology. Wissenschaft<br />

– Wunsch – Wirklichkeit“ beschäftigte<br />

sich mit der gesellschaftlichen Rolle<br />

sowie mit den Möglichkeiten und Chancen<br />

der Altertumswissenschaften. Der aktuelle<br />

Band enthält Beiträge zur Rolle der <strong>Archäologie</strong><br />

in Gesellschaft und Öffentlich-<br />

GUNNAR BRANDS, MARTIN<br />

MAISCHBERGER (HRSG.)<br />

Forschungscluster 5, Band 2: Lebensbilder.<br />

Klassische Archäologen und der<br />

Nationalsozialismus.<br />

Die Beiträge untersuchen das Leben bekannter<br />

<strong>deutsche</strong>r und italienischer Klassi-<br />

IKUWA3: Beyond Boundaries. The 3 rd International<br />

Congress on Underwater<br />

Archaeology, Reihe: Kolloquien zur Vorund<br />

Frühgeschichte, Band 17, J. Henderson<br />

(Hrsg.)<br />

Veröffentlichung von Kolloquien zu speziellen<br />

Themen der <strong>Archäologie</strong> des gesamten<br />

eurasischen Raumes Verlag Dr. Rudolf<br />

Habelt GmbH<br />

… wie diese Tierfigur in einem 12.000 Jahre alten Heiligtum in der Türkei<br />

HIER FANDEN die Archäologen die Abbildungen von Kranichen und anderen Tieren, die noch viele Rätsel aufgeben. Auf dem Hügel „Göbekli Tepe“,<br />

der weit über die Landschaft hinausragt, schufen Menschen, die Jäger und Sammler waren, in 20 Kreisanlagen ein Heiligtum. Die Pfeiler waren bis zu<br />

5,5 Meter hoch. Sie hatten ein Gewicht von bis zu 10 Tonnen und waren ohne Metallwerkzeuge aus monumental gearbeiteten Werksteinen von<br />

unglaublicher Präzision errichtet. Um das einzigartige Zeugnis menschlicher kultureller Entwicklung angemessen dokumentieren, sensibel erforschen<br />

und schützen zu können, entwickelt die Orient-Abteilung des DAI zusammen mit türkischen Partnern und Spezialisten der Universität Cottbus und<br />

des Global Heritage Fund ein systematisches Site Management. (Siehe auch „Die Steinmetze vom Göbekli Tepe“, Seite 18) Foto: DAI Orient-Abt., Schmidt<br />

8 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 9


REPORTAGE<br />

KNICKPYRAMIDE Unbeeindruckt von aktuellen Umbrüchen ragt die Knickpyramide, das pharaonische Pilotprojekt, aus dem Wüstensand. Wegen unvorher- sehbarer Instabilitäten des Baugrundes musste ihre Form während der Arbeiten angepasst werden. Foto: DAI Kairo<br />

ÄGYPTEN –<br />

HERAUSFORDERUNG GEGENWART<br />

Archäologisches Arbeiten in Zeiten des Umbruchs<br />

Dahschur ist ein kleines Dorf ca. 30 Kilometer südlich von Kairo,<br />

das in den Morgenstunden verschlafen und ruhig wirkt. Der<br />

sprichwörtliche Esel döst am Straßenrand, und die Händler packen<br />

gemächlich ihre Waren aus. Der kleine Flecken hat einer der<br />

großen archäologischen Stätten Ägyptens und zugleich einem<br />

bedeutenden Projekt des Deutschen Archäologischen Instituts<br />

den Namen gegeben. Dahschur, das sind „Knickpyramide“ und<br />

„Rote Pyramide“, pharaonische Pilotprojekte aus dem Alten Reich,<br />

als zur Zeit Snofrus, Vater des berühmteren Cheops, 2600 v. Chr.<br />

das Konzept Pyramide mitsamt der umliegenden Infrastruktur erfunden<br />

wurde.<br />

Später am Tag wird das ruhige Dorf zum Hexenkessel. Ohne die<br />

gebieterische, doch unparteiische Autorität einer Ampel scheinen<br />

sämtliche Fahrzeuge des Dorfes, seien sie motorgetrieben oder<br />

nicht, gleichzeitig auf einen einzigen Punkt zuzustreben: die einzige<br />

Kreuzung in der Mitte des Dorfes. Hoffnungslos ineinander<br />

verkeilt stehen sie da, die LKW, die Limousinen, die Geländewagen<br />

und Eselskarren. Es hupt ununterbrochen, und wer glaubt,<br />

sich aus seinem Gefährt heraus nicht verständlich machen zu können,<br />

steigt eben aus und diskutiert auf der Straße weiter. Wie Mörtel<br />

schieben sich Fahrräder, Mopeds und dreirädrige Kleintaxis in<br />

die letzten offenen Fugen und verschließen sie endgültig. Dann<br />

kommen die Männer des Dorfes und beginnen, den Verkehr zu<br />

regeln, was endgültig den totalen Stillstand zur Folge hat.<br />

NORMALITÄT ALS AUFGABE<br />

In den unübersichtlichen Zeiten, in denen Ägypten ein Land im<br />

Dauerumbruch ist und äußere Strukturen erodieren können,<br />

steht <strong>Archäologie</strong> nicht auf Platz eins der Tagesordnung. „Es gibt<br />

keine Alternative dazu, Normalität aufrecht zu erhalten, so gut<br />

es möglich ist“, sagt Stephan Seidlmayer, Direktor der Abteilung<br />

Kairo des DAI. Das tut auch die ägyptische Antikenbehörde, so<br />

10 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 11


gut sie kann. Sie schickt Inspektoren, erteilt Konzessionen, was<br />

Behörden eben so tun. „Normalität“ bedeutet hier aber keineswegs<br />

die Gegenveranstaltung zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen,<br />

wie sie laufend in den <strong>deutsche</strong>n Medien konstruiert werden,<br />

in Berichten, die geflissentlich den ganz normalen Alltag in<br />

Kairo ausblenden, der ohne Frage derzeit eine bedrängende<br />

Realität ist. „Wenn es Auseinandersetzungen im Stadtzentrum<br />

gibt, sehen wir das genauso im Fernsehen wie Sie“, sagt Seidlmayer.<br />

Die einseitige Berichterstattung der heimischen Medien<br />

betrachten nicht nur die Wissenschaftler und Diplomaten vor<br />

Ort als eine Art Nachtreten gegen jemanden, der sowieso schon<br />

Schwierigkeiten genug hat.<br />

POPULÄRER KONSENS<br />

Raubgrabungen sind ein drängendes Problem an den meisten<br />

der archäologischen Stätten Ägyptens, ein Problem, das im Moment<br />

eher wächst. Es gibt einen internationalen Markt für gestohlene<br />

Artfakte – je älter, desto teurer. Die Behörden sind nicht immer<br />

so auf dem Posten, wie es hilfreich wäre, und der Archäologe<br />

befürchtet, dass der Mangel an Sorge für das kulturelle Erbe eine<br />

eigene Routine gewinnt.<br />

„Für die archäologische Arbeit braucht man einen populären Konsens“,<br />

sagt Seidlmayer. Das heißt, dass man die lokale Bevölkerung<br />

einbinden muss, um etwas zu schützen, ohne das Ägypten nicht<br />

auskommt: seine 5000 Jahre alte Geschichte. Und nicht nur zum<br />

Vergnügen von Touristen auf der Suche nach Bildungserlebnis<br />

oder romantischer Verzauberung, sondern vor allem für sich<br />

selbst. „Ohne die Verankerung in seiner Geschichte kann das Land<br />

sich nicht in der Gegenwart orientieren“, weiß Seidlmayer, der seit<br />

über 40 Jahren in Ägypten arbeitet.<br />

Gut 900 Kilometer südlich von Kairo, in Assuan, gelang es schon<br />

einmal, diesen notwendigen Konsens zu schaffen. Die Stadt<br />

wächst rapide, ihre Bewohner brauchen Wohnraum und Infrastruktur<br />

– auch auf Kosten archäologischer Grabungen und Fundstätten.<br />

Erste Siedlungsspuren reichen 5.500 Jahre zurück, der<br />

Platz ist hier an der Grenze zu Nubien wichtig, um die frühesten<br />

Handelsbeziehungen zwischen Mittelmeer und Afrika nachvollziehen<br />

zu können – Gold, Elfenbein, Edelhölzer und Straußenfedern<br />

waren die verhandelten Güter.<br />

Ein Flyer in arabischer Sprache informiert die Bewohner von Assuan<br />

über die Arbeiten des Instituts. „Wir übersetzen außerdem wichtige<br />

Inschriften ins Arabische und erklären spektakuläre Ruinen –<br />

durchaus auch mit dem Ziel, dies alles in die touristischen Wertschöpfungsketten<br />

einzubinden“, erklärt Seidlmayer. Hat es funktioniert?<br />

„Die Faltblätter wurden uns aus der Hand gerissen.“ Zwar<br />

ist auch Assuan von Raubgrabungen und Plünderungen betroffen,<br />

aber inzwischen ist bei der anwohnenden Bevölkerung ein<br />

Bewusstsein dafür entstanden, warum sie ihre Altertümer schützen<br />

sollte, ein Bewusstsein, das bei den ins Ausland orientierten<br />

Eliten Ägyptens häufig auch erst noch geschaffen werden muss.<br />

REPORTAGE<br />

KOOPERATIONEN Ägyptische Mitarbeiter des DAI Kairo am Grabungsplatz. Foto: DAI Kairo<br />

I II III<br />

kulturweit<br />

„Ich habe mich schon immer für alte Bauwerke interessiert“, sagt Yasmin Katzer, Kunsthistorikerin und<br />

Denkmalpflegerin, die gerade das Bachelor-Studium an der Otto-Friedrich Universität Bamberg abgeschlossen<br />

hat. Das Programm „kulturweit“, durchgeführt von der Deutschen UNESCO-Kommission und gefördert<br />

vom Auswärtigen Amt, führte sie nach Kairo ans DAI. Von Mitte März bis Mitte August 2013 wird sie im<br />

Institut arbeiten, unterstützt die Verwaltung bei der Organsiation, fährt mit zu den Grabungen und<br />

übernimmt Aufgaben in der Redaktion. Ihr eigenes Projekt, das sie im Rahmen des kulturweit-Programms<br />

durchführen muss, ist angeschlossen an ein DAI-Projekt, das gemeinsam mit der Deutschen Schule in Kairo<br />

organisiert wird. Darin werden Ideen entwickelt, wie man altägyptische Themen in den Unterricht einbauen<br />

Yasmin Katzer kann. Die Liebe zur Region hat sie im Elternhaus mitbekommen, und inzwischen lernt sie Arabisch. „Man<br />

lernt hier aber auch viel über sich selbst und die anderen Europäer“, hat sie festgestellt. Der Einsatz in den<br />

DAI-Einrichtungen im Rahmen des kulturweit-Programms dauert sechs Monate. Zu den Einsatzfeldern<br />

ge hören Grabungen in den Gastländern sowie die Aufbereitung, Publikation und Präsentation archäologischer<br />

Facharchive oder auch Bibliotheks-, Archiv- und Öffentlichkeitsarbeit. www.kulturweit.de<br />

I STAU Mittags, wenn das Dorf Dahschur zum Hexenkessel wird,<br />

streben sämtliche Fahrzeuge gleichzeitig auf einen einzigen Punkt<br />

zu und verkeilen sich hoffnungslos ineinander.<br />

II VERHÖKERT Grabräuber suchen die meisten der archäologischen<br />

Stätten Ägyptens heim und verkaufen das Diebesgut auf<br />

einem florierenden internationalen Markt. Foto: DAI Kairo<br />

III MITSPRACHE „Für die archäologische Arbeit braucht man<br />

einen populären Konsens.“ – Befragung in Assuan. Foto: DAI Kairo<br />

GESCHICHTSSTUNDE IN DAHSCHUR<br />

Die Archäologin Nicole Alexanian, Grabungsleiterin in Dahschur,<br />

führt eine Schulklasse zu den Pyramiden. Auf dem Programm stehen<br />

die Knickpyramide und die Rote Pyramide, die zugehörigen<br />

Tempel und die umgebende Landschaft insgesamt. Die 12- bis<br />

13-jährigen Mädchen besuchen die „Deutsche Schule der Borromäerinnen“<br />

in Kairo. Sie entstammen zum größten Teil der<br />

ägyptischen oberen Mittelschicht und der Oberschicht und erfüllen<br />

den Ehrgeiz ihrer Familien, den Wohlstand durch beste Bildung<br />

und Ausbildung zu erhalten. In geläufigem Deutsch beantworten<br />

sie die Fragen der Archäologin nach der Ursache für den<br />

Knick und die Risse in der Pyramide: „Der Untergrund war instabil“,<br />

antworten sie richtig, und dass die Steine für den Kern des riesigen<br />

Bauwerks aus der Nähe stammen müssen, schließen sie aus<br />

wenigen Hinweisen. „Wir wissen, dass das Material für die Verkleidung<br />

der Pyramide aber nicht von hier stammen kann“, erklärt<br />

Nicole Alexanian. „Wie ist es also hierhergekommen?“ „Übers Wasser?“<br />

– „Ja, übers Wasser.“<br />

Es ist nicht viel los am archäologischen Platz Dahschur mit seinen<br />

drei Grabungen, die das DAI dort durchführt. Besucher sind so rar,<br />

dass sich die Touristenkamelführer sofort in drei Sprachen auf jeden<br />

stürzen, der vorbeikommt. Doch sie machen nicht im entferntesten<br />

das Geschäft ihrer Kollegen in Gizeh mit Cheops-, Chephren-<br />

und Mykerinospyramide in normalen Zeiten. Die Leere in<br />

Dahschur hat aber auch einen anderen Grund. Noch bis 1997 war<br />

Dahschur militärisches Sperrgebiet, und die pathetische Atmosphäre,<br />

die sich in der Nähe einer Pyramide und in Sichtweite der<br />

nächsten einstellt, ist überlagert von langen Sperrzäunen und patroullierenden<br />

Soldaten, die zum Stützpunkt gehören, der nach<br />

wie vor hier seinen Standort hat.<br />

Derzeit haben die DAI-Archäologen aber mit einem sehr zivilen<br />

Problem zu kämpfen. Auf dem Gelände der 4600 Jahre alten Nekropole<br />

entstand fast über Nacht ein moderner Friedhof der Bewohner<br />

des Dorfes Dahschur. „Die Leute wissen zwar, dass es ein archäologischer<br />

Platz ist“, sagt Stephan Seidlmayer. „Aber man sieht auf der<br />

Erde nicht unbedingt, was darunter liegt.“ Rückgängig machen<br />

kann man es wohl nicht, aber man kann womöglich eine Ausweitung<br />

verhindern – mit dem Assuan-Effekt: „Wir haben schon begonnen,<br />

mit den Leuten im Dorf und mit dem Bürgermeister zu<br />

reden, um für die Anwohner eine Verbindung zwischen Gegenwart<br />

und Vergangenheit zu vermitteln, die sie vielleicht einlenken<br />

lässt“, erzählt Nicole Alexanian. Wenn es wenigstens auch gut fürs<br />

Geschäft wäre, wenn mehr Touristen kämen, wäre es leichter.<br />

12 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 13


REPORTAGE<br />

Der Ägyptologe<br />

Prof. Dr. Stephan Seidlmayer<br />

ist seit 2009 Direktor der<br />

Abteilung Kairo des Deutschen<br />

Archäologischen Instituts.<br />

DAS DEUTSCHE ARCHÄOLOGISCHE INSTITUT<br />

IN KAIRO<br />

Den institutionellen Anfang <strong>deutsche</strong>r <strong>Archäologie</strong> in<br />

Ägypten machte 1907 das Deutsche Institut für Ägyptische<br />

Altertumskunde, das 1929 dem Deutschen Archäologischen<br />

Institut angegliedert wurde. Seit 1957 ist die<br />

Abteilung in einer 30er-Jahre-Villa im Stadtteil Zamalek<br />

untergebracht. In Kooperation mit der ägyptischen Antikenverwaltung<br />

und internationalen Partnern erforschen die<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DAI Kairo alle Epochen<br />

Ägyptens von der Vorgeschichte bis zur Moderne, seine<br />

Siedlungs- und Landschaftsgeschichte, die Gestaltung und<br />

Funktion ritueller Räume und seiner Lebenswelten. Eine<br />

wichtige Rolle spielt auch die Erforschung der Rezeption<br />

des Alten Ägypten und ihre Bedeutung für die Identitätsbildung<br />

in Ägypten und Europa. Die zweitgrößte archäologische<br />

Fachbibliothek Ägyptens, Archive und eine eigene<br />

Publikationsabteilung machen das Institut zu einem<br />

attraktiven Anlaufpunkt nicht nur der Fachöffentlichkeit.<br />

Regelmäßig veranstaltete Tagungen und öffentliche<br />

Vorträge haben ein großes Publikum, und durch die<br />

Vergabe von Stipendien und die Durchführung von<br />

Lehrveranstaltungen unterstützt es die Qualifikation<br />

ägyptischer Wissenschaftler und fördert in seinen Projekten<br />

und bei seinen Veranstaltungen Kontakte und Austausch<br />

zwischen ägyptischen und <strong>deutsche</strong>n Forschern.<br />

REISELUST<br />

Die Bibliothek des Instituts besitzt<br />

eine exquisite Sondersammlung<br />

Reiseliteratur. Eine neue Buchreihe<br />

richtet sich an einen zunehmend<br />

größer werdenden Leserkreis, der an<br />

der Forschungs- und Wissenschaftsgeschichte<br />

in orientalischen Ländern<br />

interessiert ist. Zugleich wird damit<br />

auch das umfangreiche Archivmaterial<br />

des Instituts in Kairo zugänglich<br />

gemacht.<br />

Heike C. Schmidt, Westcar on the Nile –<br />

A journey through Egypt in the 1820s,<br />

240 Seiten, 140 Farbabbildungen,<br />

ISBN 978-3-89500-852-8, Reichert Verlag<br />

Wiesbaden, 2011, 49,− Euro<br />

Am Fuß der Knickpyramide – Aneignung der eigenen Geschichte.<br />

ÄGYPTOLOGIE UND TOURISMUS<br />

Wer mit einem mitteleuropäischen Bildungspaket groß geworden<br />

ist, in dem eine latente Ägyptomanie immer noch fester Bestandteil<br />

ist, mag sich wundern über diese Art irdischer Probleme. Gespeist<br />

wird dieser Blick auf das Land am Nil aber nicht allein durch<br />

die romantische Anverwandlung, sondern auch durch eine bestimmte<br />

Art der Wissenschaft zu Ägypten. „Es ist eine Ägyptologie,<br />

die nicht in Ägypten stattfindet“, weiß Stephan Seidlmayer. Eine<br />

Ägyptologie, die kein Arabisch spricht oder liest, weil sie das alte<br />

Ägypten für etwas Abgeschlossenes hält, das nicht das Geringste<br />

mit der Gegenwart zu tun haben könnte. Man hatte die Hieroglyphen<br />

entziffert, die Gräber geöffnet, die Funde sortiert und sich<br />

anschließend in die Bibliothek zurückgezogen. Das DAI Kairo ist<br />

seit 106 Jahren vor Ort. Wer hier arbeitet, hat – ein gebettet in den<br />

ägyptischen Alltag – gar keine Chance, den irdischen Problemen<br />

zu entgehen. „Es ist deshalb auch völlig unabdingbar, vor allem<br />

jetzt weiterzumachen und die andere Norma lität zu repräsentieren“,<br />

sagt Seidlmayer. Die Normalität, in der der Kultur güterschutz<br />

wichtig ist und die darauf hinweist, wie wenig ein Land wie<br />

Ägypten sich ohne seine 5000 Jahre Geschichte in der Gegenwart<br />

orientieren kann. „Pessimismus ist keine Option“, ist Stephan<br />

Seidl mayer überzeugt, auch wenn es manchmal anstrengend ist.<br />

Diese Botschaft vermittelt er auch dem Ausschuss für Tourismus<br />

des Deutschen Bundestages, der zu Besuch in Kairo ist. Tourismus<br />

ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Ägypten und machte<br />

vor der Revolution 10 Prozent des Bruttoinlandproduktes aus.<br />

I GESCHICHTSSTUNDE Nicole Alexanian erklärt<br />

Schülerinnen der Deutschen Schule der Borromäerinnen<br />

Anlässe und Grundzüge des Pyramidenbaus – als<br />

einen Teil ihrer eigenen Geschichte.<br />

II WARTEN AUF KUNDSCHAFT Der Einbruch des<br />

Tourismus in Ägypten bringt zahllose Menschen um<br />

Lohn und Brot. Die einseitige Berichterstattung der<br />

hiesigen Medien tut ein Übriges, die Schwierigkeiten<br />

noch zu verstärken.<br />

III DAS DAI KAIRO IST in einer Villa aus den<br />

30er-Jahren im Stadtteil Zamalek untergebracht.<br />

Der Einbruch ist besonders dramatisch in Zeiten, in denen die<br />

ägyptische Wirtschaft insgesamt schlingert. „Wir können als Wissenschaftler<br />

Perspektiven auf kulturellem Gebiet geben“, erklärt<br />

der Archäologe den Abgeordneten. „Und wir können in einem<br />

breit angelegten Erfahrungsaustausch zu Fragen wie Site Management,<br />

Kulturgüterschutz und der Vermittlung der touristisch<br />

wichtigen Plätze an die lokale Bevölkerung unsere Expertise bündeln.“<br />

Wie ernst das Thema in Ägypten genommen wird, zeigt die<br />

I II III<br />

Tatsache, dass der Ausschuss von Premierminister Hescham Kandil<br />

empfangen wurde. Der Ausschuss-Vorsitzende, Klaus Brähmig,<br />

zeigt Gespür für die Lage. Er stammt aus Sachsen und gehört einer<br />

Generation an, die einen Umbruch erlebt hat, der das Unterste<br />

zu oberst gekehrt hat und die weiß, dass Umbrüche dieser Art<br />

langwierig und anstrengend sind und manchmal auch schmerzhaft<br />

sein können. „Diese Signale sind mehr als positiv aufgenommen<br />

worden“, weiß Stephan Seidlmayer. „Zum einen, dass Abge-<br />

ordnete des <strong>deutsche</strong>n Parlaments zu dieser Zeit nach Ägypten<br />

kommen und dass zum anderen freimütig vermittelt wurde, dass<br />

auch die hoch angesehenen supereffizienten Deutschen auf manchen<br />

Feldern mit Problemen zu kämpfen haben.“<br />

Im Dorf Dahschur löst sich nach einiger Zeit der Knoten ganz von<br />

allein, und man fragt sich verdutzt, was genau eigentlich die Ursache<br />

für den Stau war. sw<br />

14 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 15


INTERVIEW<br />

INTERVIEW MIT STEPHAN SEIDLMAYER<br />

ÜBER ARCHÄOLOGISCHES ARBEITEN<br />

IM HEUTIGEN ÄGYPTEN<br />

Als das Auswärtige Amt 2011 die Transformationspartnerschaft<br />

mit Ägyp ten<br />

ins Leben rief, war dies getragen von<br />

einer fast euphorischen Freude über<br />

die Entwicklungen in einigen Ländern<br />

Nordafrikas und des Nahen Ostens. Hat<br />

man sich zu früh gefreut?<br />

Stephan Seidlmayer: Es liegt in der Natur<br />

von Revolutionen, dass sie zu einem Teil<br />

auch von Illusionen getragen sind. Eine der<br />

Illusionen auf unserer Seite mag es gewesen<br />

sein zu glauben, dass alles viel schneller<br />

ginge. Aber Prozesse eines derart tiefgreifenden<br />

Wandels, wie er derzeit in Ägypten<br />

stattfindet, brauchen ihre Zeit. Das lehren<br />

die Mühseligkeiten ganz praktischer Politik,<br />

das lehrt aber auch die historische Erfahrung.<br />

Wir sollten auch nicht der Versuchung<br />

nachgeben, die Probleme, um die es hier<br />

geht, stets nur mit unseren eigenen Begriffen<br />

analysieren zu wollen.<br />

Aus unserer Sicht als <strong>Deutsches</strong> Archäologisches<br />

Institut gibt es keine Alternative<br />

zur Fortführung aller Programmkomponenten<br />

der Transformationspartnerschaft<br />

mit Ägypten. Tatsächlich müssen wir uns<br />

gerade jetzt als verlässliche Partner erweisen.<br />

Entscheidend ist es, die Arbeit auf die<br />

Bedürfnisse des Landes zuzuschneiden.<br />

Zum Beispiel?<br />

PESSIMISMUS<br />

IST KEINE<br />

OPTION<br />

STEPHAN SEIDLMAYER<br />

DER ÄGYPTOLOGE PROF. DR. STEPHAN<br />

SEIDLMAYER IST SEIT 2009 DIREKTOR<br />

DER ABTEILUNG KAIRO DES DEUT-<br />

SCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTI-<br />

Seidlmayer: Als Archäologen sind wir im<br />

Rahmen der Initiative Transformationspartnerschaft<br />

vor allem in Projekten engagiert,<br />

die der Erhaltung und Erschließung<br />

des kulturellen Erbes dienen, vom Site Management<br />

archäologischer Plätze bis hin<br />

zur Entwicklung touristischer Besuchskonzepte<br />

für einige der großen Denkmälerstätten.<br />

Sie wissen, dass der Tourismus<br />

normalerweise einer der stärksten Wirtschaftszweige<br />

des Landes ist und nun völlig<br />

darniederliegt. Ein wichtiges Projekt ist<br />

auch die Renovierung und der Ausbau des<br />

Museums auf der Nilinsel Elephantine in<br />

der Nähe von Assuan im Süden Ägyptens.<br />

Wie hat man sich denn die konkrete<br />

archäologische Arbeit im Moment vorzustellen?<br />

Seidlmayer: <strong>Archäologie</strong> ist immer eine<br />

zähe, langfristige, und schwierige Arbeit,<br />

bei der man auch einmal Rückschläge er-<br />

leben kann. Das ist aber vollkommen normal.<br />

Und wir wissen natürlich auch, dass<br />

die archäologische Arbeit und ihre Notwendigkeiten<br />

nicht die Nummer eins auf<br />

der Tagesordnung sind, wenn Fragen der<br />

Existenzsicherung Priorität haben. Die<br />

Probleme sind drängend, und Experten<br />

befürchten, dass die derzeitge ägyptische<br />

Wirtschaftspolitik desaströse Folgen haben<br />

kann. In schwierigen Zeiten braucht<br />

man einen langen Atem. Das ist Konsens<br />

bei allen, die hier arbeiten, sei es in der internationalen<br />

<strong>Archäologie</strong>, aber auch –<br />

was uns besonders freut – bei den Angehörigen<br />

der <strong>deutsche</strong>n Botschaft in Kairo<br />

und den <strong>deutsche</strong>n Partnereinrichtungen,<br />

mit denen wir eng zusammenarbeiten.<br />

TRANSFORMATIONSPARTNERSCHAFT<br />

Manchmal ist die archäologische Arbeit anstrengend und langwierig.<br />

Material transport für das Museum auf der Nilinsel Elephantine. Die<br />

Restaurierung des Museum ist eines der Projekte, die im Rahmen der<br />

Transformationspartnerschaft zwischen Ägypten und Deutschland<br />

gefördert werden. 2012 und 2013 unterstützt das Auswärtige Amt Projekte<br />

<strong>deutsche</strong>r und internationaler Nichtregierungsorganisationen mit einem<br />

Gesamtvolumen von je 30 Millionen Euro, darunter auch Vorhaben des DAI<br />

in verschiedenen Ländern, mit denen Partnerschaften begründet<br />

wurden. Fotos: DAI Kairo<br />

Was hilft dabei, die anstrengenden<br />

Zeiten zu überstehen?<br />

Seidlmayer: Es gibt signifikante Schnittstellen<br />

zwischen Ägypten und Deutschland<br />

bzw. der westlichen Kultur insgesamt.<br />

Der „Westen“ hat viel empfangen<br />

von Ägypten und umgekehrt. Es gibt eine<br />

lange Traditon des gegenseitigen Gebens<br />

und Nehmens – länger und tiefer, als man<br />

denkt. Wir sollten nicht vergessen, dass<br />

wir zusammen auf relativ engem Raum leben<br />

und letztlich zum selben kulturellen<br />

System gehören. Kulturkampf-Ideologien<br />

und geschichtsvergessene Orthodoxien<br />

auf beiden Seiten sind nicht nur brandgefährlich,<br />

sie sind auch historisch falsch.<br />

Wie eng ist die Verbindung der Ägyp ter<br />

zu ihrer eigenen Geschichte?<br />

Seidlmayer: Das ist durchaus ein schwieriger<br />

Punkt. Eine besonders problematische<br />

Komponente dabei ist, dass die<br />

ägyptischen Eliten in ihrer Lebensperspektive<br />

stark aus dem Land heraus orientiert<br />

sind. Sie legen Wert auf eine westlich<br />

geprägte Ausbildung; manche Familien<br />

sprechen zuhause nur noch Englisch.<br />

Wir sind gerade dabei – ebenfalls im<br />

Rahmen der Transformationspartnerschaft<br />

– zusammen mit der Deutschen<br />

Schule in Kairo Unterrichtseinheiten zu<br />

entwickeln, in denen den Schülerinnen<br />

und Schülern ihre eigene Geschichte nahegebracht<br />

wird. Dies ist nur ein Beispiel<br />

für die Dinge, die wir im Rahmen unserer<br />

Möglichkeiten tun können. Dazu gehört<br />

es aber auch, unsere Bibliothek –<br />

immerhin die zweitgrößte archäologische<br />

Fachbibliothek Ägyptens – ägyptischen<br />

Forschern und Studierenden freizügig<br />

zu öffnen.<br />

Ägypten kann gar nicht auskommen ohne<br />

die Besinnung auf seine eigene Geschichte,<br />

und es ist nicht frei, sich von diesem<br />

Existenzgrund zu lösen. Die gemeinsame<br />

Arbeit an dieser Aufgabe ist deshalb ein<br />

Schlüsselgebiet, in dem beide Nationen<br />

fruchtbar zusammenarbeiten. sw<br />

16 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 17


CULTURAL HERITAGE<br />

DIE STEINMETZE VOM GÖBEKLI TEPE<br />

Arbeiten am ältesten Heiligtum der Welt<br />

SO SOLL DAS SCHUTZDACH für den Göbekli<br />

Tepe in der Türkei aussehen – für die 12000<br />

Jahre alten Kreisanlagen, umrandet von<br />

megalitihischen Pfeilern, die mit Tiermotiven<br />

verziert sind. Fotos: DAI Orient-Abteilung<br />

(o.l.); BTU Cottbus, Schmidt (o.r.; l.)<br />

6000 Jahre vor der Errichtung von Stonehenge, 7000 Jahre vor<br />

dem Bau der Pyramiden schufen Menschen einen Ort, an dem sie<br />

in 20 Kreisanlagen bis zu 5,5 Meter hohe Pfeiler mit einem Gewicht<br />

von bis zu 10 Tonnen aufstellten, Pfeiler, die ohne Metallwerkzeuge<br />

aus monumental gearbeiteten Werksteinen von unglaublicher<br />

Präzision geschaffen wurden, übersät mit Reliefs von<br />

Tieren, darunter Auerochsen, Wildschweine und Füchse, Ibisse,<br />

Kraniche und Geier, Skorpione, Spinnen und Schlangen.<br />

Göbekli Tepe, der „bauchige Hügel“ in der Nähe der südostanatolischen<br />

Stadt Şanlıurfa in der Türkei, hält mehr Sensationen bereit,<br />

als man in einem Archäologenleben erforschen kann. Die größte<br />

Sensation aber ist, dass man angesichts der monumentalen steinzeitlichen<br />

Anlage mit ihren gewaltigen T-förmigen Pfeilern noch<br />

einmal neu nachdenken muss über die Anfänge dessen, was man<br />

heute unter Zivilisation versteht. Entdeckt wurde der Hügel bereits<br />

in den 60er-Jahren, blieb dabei aber unverstanden. 1994 erkannte<br />

der DAI-Archäologe Klaus Schmidt als erster, was es mit<br />

dem außergewöhnlichen Platz auf sich hat. Seitdem wird der Göbekli<br />

Tepe in einem deutsch-türkischen Gemeinschaftsprojekt<br />

vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) ausgegraben.<br />

Die zahlreichen Tiermotive auf den Pfeilern kamen nicht von ungefähr.<br />

Für Jäger und Sammler muss die Gegend ein Paradies gewesen<br />

sein. Knochenfunde von Tieren belegen reiche Beute, und<br />

Injedem Fall schufen die Steinmetze vom<br />

Göbekli Tepe die ältesten architektonisch<br />

ausgestalteten Heiligtümer der Menschheit.<br />

18 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 19


CULTURAL HERITAGE<br />

BESUCHERMAGNET Der Göbekli Tepe wird von einer jährlich steigenden Zahl von Touristen besucht. Foto: BTU Cottbus, Schmidt<br />

die Archäobotaniker des DAI fanden Spuren wilder Gerste und<br />

wilden Einkorns. Am nördlichen Rand des Fruchtbaren Halbmondes<br />

gelegen, bot das Areal so gute Lebensbedingungen, dass es<br />

womöglich Jäger und Sammler von überall her anzog. Inzwischen<br />

ist der Hügel mit Georadar und Geomagnetik untersucht. Mindestens<br />

16 Megalith-Ringe liegen noch verborgen unter der Erde.<br />

In einer späteren Phase hatten die Erbauer des Tempels weitere<br />

kleinere Pfeiler errichtet, die in rechtwinkligen Räumen aufgestellt<br />

wurden. Schließlich gaben sie den Ort auf, und erst die Römer<br />

nutzen den Hügel mit der guten Aussicht wieder, um darauf<br />

einen Wachtturm zu errichten.<br />

Klaus Schmidt vermutet, dass es genau dieser weite „Blick“ war,<br />

der die Erbauer des Göbekli Tepe veranlasste, hier ihre Heiligtümer<br />

zu errichten. Weitere Arbeiten vor Ort sind nötig, um den Zweck<br />

der Anlagen genauer zu verstehen. Eine Verbindung zum Totenkult<br />

ergibt sich durch den Fund einzelner menschlicher Knochen,<br />

und die Ikonographie des Platzes lässt diese Interpretationsmöglichkeit<br />

für die Anlagen zu. Die Darstellung von Armen, Händen<br />

und Kleidungsstücken auf einigen Pfeilern hilft, sie als stark abstrahierte<br />

Darstellungen überirdischer Wesen zu verstehen. In jedem<br />

Fall schufen die Steinmetze von Göbekli Tepe die ältesten architektonisch<br />

ausgestalteten Heiligtümer der Menschheit.<br />

PRÄZISIONSARBEIT Die Pfeiler des Heiligtums wurden ohne Metallwerkzeuge aus monumental gearbeiteten Werksteinen von unglaublicher Präzision<br />

geschaffen. BTU Cottbus, Schmidt<br />

12000 JAHRE ALTE TIERWELT Tonnenschwere monolithische Pfeiler werden von Mauerzügen, die „Innen“ und „Außen“ temenosartig abgrenzen,<br />

kreisförmig verbunden. Im Zentrum steht ein alles überragendes Pfeilerpaar. Großformatige Reliefs von wilden Tieren halten viele offene Fragen für die<br />

Archäologen bereit. Fotos: DAI Orient-Abteilung, Schmidt<br />

Prof. Dr. Klaus Schmidt<br />

entdeckte 1994 die<br />

Bedeutung des Göbekli<br />

Tepe. Der Archäologe<br />

leitet die Arbeiten des<br />

DAI vor Ort. Foto: DAI<br />

KULTURREVOLUTION<br />

Die Monumente auf dem Göbekli Tepe sind eine weltweit einzigartige Quelle zur Geschichte<br />

des Umbruchs von jägerischen Gesellschaften zum Bauerntum und lassen diesen Wandel in<br />

gänzlich neuem Licht erscheinen. Da sich östlich des Göbekli Tepe aber die Vulkanlandschaft<br />

Karacadağ erstreckt, die mit Hilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen als Heimat später<br />

kultivierter Getreidearten bestimmt werden konnte, stellt sich auch die Frage, ob die jägerisch<br />

geprägte Kultgemeinschaft des Göbekli Tepe unter Umständen die Kultivierung von Wildgetreide<br />

initiiert haben könnte.<br />

Besonders in der älteren Schicht des Göbekli Tepe mit den monumentalen Anlagen zeugen<br />

große Mengen an Tierknochen von großen Festen, die sicher religiös motiviert waren und auch<br />

dem Zweck dienten, eine ausreichende Anzahl an Menschen zum Bau der Anlagen zusammenzuziehen.<br />

Das Ausrichten dieser Feste muss das ökonomische System einer jägerischen<br />

Gesellschaft schnell überlastet haben. Möglicherweise lag hierin der Grund zur Erschließung<br />

neuer Ressourcen, ein Vorgang, der schließlich mit der Domestikation von Pflanzen und Tieren<br />

in eine gänzlich neue, nahrungsmittelproduzierende Lebensweise mündete, die die Periode der<br />

Jungsteinzeit charakterisiert. Der Göbekli Tepe bietet damit einen Einblick in einen der<br />

grundlegendsten Wandlungsprozesse der Menschheitsgeschichte.<br />

Klaus Schmidt<br />

20 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 21


CULTURAL HERITAGE<br />

SCHUTZ VOR WIND UND REGEN Ein Schutzdach soll die Anlage vor Witterungseinflüssen schützen, nachdem sie 12.000 Jahre verborgen unter der Erde lag. Es wird voraussichtlich im Jahr 2014 fertiggestellt. Foto: DAI Orient-Abteilung<br />

Bislang war man davon ausgegangen, dass nur sesshafte und<br />

gut organisierte Gruppen von Menschen, die zudem Landwirtschaft<br />

betreiben, die Zeit und die geeignete Sozialstruktur mit<br />

einer entwickelten Arbeitsteilung gehabt hätten, Tempel zu<br />

bauen – zumal eines solch großen Ausmaßes. Der Göbekli Tepe<br />

zeigt aber, dass es auch umgekehrt gewesen sein kann, dass<br />

nämlich die gemeinsame Anstrengung, ein solches Mammutwerk<br />

zu schaffen, erst die Grundlagen für die Entstehung komplexer<br />

Gesellschaften legte. Zahlreiche Arbeiter mussten versorgt<br />

und untergebracht werden, Holz, Seile und Werkzeug<br />

mussten arbeitsteilig hergestellt, Wasser und Nahrung von Hand<br />

zum Heiligtum getragen und die Werkstücke aus dem nahe gelegenen<br />

Steinbbruch herangeschafft werden – eine bemerkenswerte<br />

Leistung für Jäger und Sammler.<br />

EIN SCHUTZDACH FÜR DEN GÖBEKLI TEPE<br />

Erst ein kleiner Teil der Anlage ist freigelegt, der größte Teil liegt<br />

noch unter der Erde. Die Konzepte für ihre zukünftige Erforschung<br />

sehen vor, die Untersuchungen vor allem an den bereits ergrabenen<br />

Teilen vorzunehmen und die anderen so lange unberührt zu<br />

lassen, bis sichergestellt werden kann, dass die Bauwerke durch<br />

weitere Freilegung keinen Schaden nehmen.<br />

Um das einzigartige Zeugnis menschlicher kultureller Entwicklung<br />

angemessen dokumentieren, sensibel erforschen und vor<br />

allem schützen zu können, entwickelt das DAI nun zusammen mit<br />

seinen türkischen Partnern sowie Spezialisten der Universität<br />

Cottbus und des Global Heritage Fund ein systematisches Site Management,<br />

das zudem den Antrag der Türkei, den Göbekli Tepe<br />

auf die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO zu setzen, unterstützen<br />

soll. Besonders wichtig ist die Errichtung eines Schutzdaches<br />

über der Anlage, um sie vor Wind und Regen zu schützen,<br />

nachdem sie 12.000 Jahre gut geschützt unter der Erde lag. Voraussichtlich<br />

im Jahr 2014 kann dieses Schutzdach fertiggestellt<br />

werden. Das Ziel aller Maßnahmen ist, eine Basis und einen Rahmen<br />

zu schaffen für eine langfristige Sicherung des Göbekli Tepe<br />

als ein singuläres Erbe der Menschheit.<br />

22 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 23


STANDPUNKT<br />

MITGLIEDER des beratenden Baudenkmalausschusses des<br />

DAI in Yeha. Fotos: Gerlach, Orient-Abteilung des DAI<br />

Der beste Schutz eines Hauses sind ein intaktes<br />

Dach, funktionierende Fenster und<br />

Türen, außerdem die Pflege des Putzes,<br />

des Anstrichs und des Raumklimas. Fehlt<br />

dies alles, wird ein Haus schnell zur unbewohnbaren<br />

Ruine. Wasser dringt durch<br />

das Dach ins Gemäuer, Holzböden verfaulen,<br />

Eisen verrostet, Schimmel durchzieht<br />

das Gemäuer. Am Ende setzt sich der Zerfallsprozess<br />

immer weiter und immer<br />

schneller fort.<br />

Mit diesem Beispiel ist zugleich ein Kernproblem<br />

archäologischer Denkmalpflege<br />

angesprochen. Gebäude der frühen Hochkulturen<br />

werden fast immer ohne Dach,<br />

ohne Schutz der Mauerkronen, Decken,<br />

Böden und ohne schützenden Putz an den<br />

Mauern ausgegraben. Dann liegen sie<br />

dort – ungeschützt. Und anders als eine<br />

moderne Hausruine werden diese Gebäude<br />

intensiv genutzt. Tausende von Touristen<br />

nutzen die Ruinen im wahrsten Sinne<br />

des Wortes ab. Im türkischen Ephesos sind<br />

dies jährlich um die 1,5 Millionen Menschen,<br />

die auf antiken Straßen und Fußböden<br />

laufen, und am liebsten würden sie<br />

auf den Mauerkronen spazieren.<br />

Länder mit hohen Touristenzahlen wie<br />

Ägypten, Griechenland und die Türkei<br />

müssen also Wege finden, wie sie die Ruinen<br />

vor Witterungseinflüssen schützen.<br />

Sie müssen sie aber auch für Touristen verstehbar<br />

machen und diese gleichzeitig<br />

von den Ruinen fernhalten – zum Schutz<br />

der Touristen und der Ruinen. Die für<br />

Denkmäler zuständigen Behörden der<br />

einzelnen Länder, in deren Verantwortung<br />

diese Aufgaben liegen und liegen müssen,<br />

ARCHÄOLOGIE<br />

UND<br />

KULTURERHALT<br />

Die Autorin, Prof. Dr. Friederike Fless,<br />

ist Präsidentin des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts Foto: Lejeune<br />

stehen somit vor einer komplexen Herausforderung.<br />

Diese wird dadurch erhöht, das<br />

durch den Bau von Infrastrukturen für die<br />

Touristen, wie Straßen und Hotels, ganze<br />

Kulturlandschaften zerstört werden, meist<br />

bevor sie erforscht sind. In extremer Form<br />

gilt dies für viele Abschnitte der Küstenregionen<br />

des Mittelmeeres.<br />

Welche Rolle und Verpflichtung kommen<br />

dabei aber der <strong>Archäologie</strong> als Wissenschaft<br />

zu? Seit mehr als 20 Jahren sind hier<br />

durch die Abkommen von La Valetta/Malta<br />

grundsätzliche Standards formuliert.<br />

Bereits bei der Planung der Grabung gilt<br />

es, sich Gedanken über den Umgang mit<br />

dem Grabungsresultat, das heißt dem ausgegrabenen<br />

Denkmal zu machen. Auch<br />

wenn der beste Schutz des Denkmals oftmals<br />

das Zuschütten einer Grabung ist, ist<br />

dennoch der Wunsch nach touristischer<br />

Erschließung zu berücksichtigen. Dies gilt<br />

auch für Grabungen des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts weltweit.<br />

Lösungen können hier nur in einer engen<br />

Zusammenarbeit zwischen den Denkmal-<br />

DER GROSSE TEMPEL VON YEHA in Äthiopien, im abessinischen<br />

Hochland von Tigray, ist zwar gut erhalten, aber er ist in seinem<br />

Bestand gefährdet. Das DAI untersucht in einer Kooperation mit<br />

der äthiopischen Altertümerverwaltung und der Tourismusbehörde<br />

die einzigartige Kultur, die sowohl afrikanische wie auch<br />

südarabische Züge trägt.<br />

behörden in den Ländern und den forschenden<br />

Archäologen gefunden werden.<br />

Dabei kommt der wissenschaftlichen <strong>Archäologie</strong><br />

eine wichtige Rolle zu. Es beginnt<br />

damit, die Gastländer unserer Forschung<br />

dabei zu unterstützen, ihre Kulturlandschaften<br />

zu dokumentieren, da erst<br />

das Wissen über die Lage von archäologischen<br />

Stätten es erlaubt, sie zu schützen.<br />

Das DAI arbeitet in vielen Ländern mit den<br />

Denkmalbehörden zusammen, alte Archivalien<br />

und moderne Satellitenbilder nach<br />

ihren Geokoordinaten in digitalen Systemen<br />

(GIS) zusammenzuführen und damit<br />

zu dokumentieren. Für die einzelnen Plätze<br />

sind die Ausgräber in der Pflicht, Konzepte<br />

zum Schutz und zur Präsentation zu<br />

erarbeiten. Denn erst die Erforschung eines<br />

Ortes oder einer Ruine führt zu dem<br />

Wissen, den Platz allgemein verständlich<br />

zu erklären und touristisch zu erschließen.<br />

Die Pflichten des DAI leiten sich auf dieser<br />

Ebene also unmittelbar aus seiner wissen-<br />

schaftlichen Tätigkeit ab. Die Umsetzung<br />

hingegen muss in Kooperation mit und<br />

weitgehend finanziert durch die Denkmalämter<br />

der jeweiligen Länder erfolgen. In<br />

den Denkmalämtern muss die Kompetenz<br />

für entsprechende Maßnahmen liegen<br />

und auch weiter ausgebaut werden. Zentraler<br />

Ansatz muss dabei sein, dass Teile<br />

der touristischen Einnahmen in den Erhalt<br />

der Attraktionen zurückfließen müssen.<br />

Aber auch das Modell des Verursacherprinzips,<br />

wie es in Deutschland praktiziert<br />

wird, könnte hier helfen. Denn wer eine<br />

Pipeline oder ein Hotel baut, sollte die vorhergehende<br />

archäologische Arbeit auch<br />

finanzieren.<br />

Um seine Kompetenzen in diesem Bereich<br />

zu stärken, hat das Deutsche Archäologische<br />

Institut verschiedene Maßnahmen<br />

getroffen. Es baut die lange und wichtige<br />

Zusammenarbeit im Bereich des Kulturerhalts<br />

mit dem Auswärtigen Amt aus. Es hat<br />

den Austausch zu Grundsatzthemen des<br />

Denkmalschutzes intensiviert, wovon eine<br />

Tagung in Ankara im letzten November<br />

ebenso Zeugnis ablegt wie ein Round Table<br />

Gespräch mit Bauforschern und Spezialisten<br />

im Bereich Site Management und<br />

Denkmalpflege für den Mittelmeerraum.<br />

Es hat aber vor allem einen beratenden<br />

Baudenkmalausschuss eingerichtet und<br />

mit dem neuen Arbeitsbereich von Friedrich<br />

Lüth für Kulturgüterschutz und Site<br />

Management auf die bestehenden Herausforderungen<br />

reagiert (s. S. 61). So hoffen<br />

wir, unseren satzungsgemäßen Auftrag<br />

mit der Perspektive ein Kompetenznetzwerk<br />

für Herausforderungen im Bereich<br />

des Kulturerhalts aufzubauen, zu erfüllen.<br />

Durch die Forschung trägt das DAI<br />

europa- und weltweit zum Erhalt des kulturellen<br />

Erbes und zur Pflege der kulturellen<br />

Identität in seinen Gast- und Partnerländern<br />

bei.<br />

24 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 25


LANDSCHAFTEN<br />

Nah am Pol der Unzugänglichkeit gedeihen<br />

Chinas süßeste Trauben, getrocknet<br />

zu den edelsten Rosinen Asiens. Der Weg<br />

dorthin führt durch eine Landschaft wie<br />

geschaffen von übellaunigen Demiurgen,<br />

die nach halb getaner Arbeit hoch oben<br />

Ausguck nahmen auf dem Altai oder im<br />

Tian Shan-Gebirge, um sich feixend zu vergnügen:<br />

„Mal sehen, wie weit sie kommen.“<br />

Die nicht enden wollende Eintönigkeit<br />

kann das Gemüt verdunkeln, die Vorstellungskraft<br />

muss das Äußerste leisten,<br />

um ein Ende der grauen Geröllwüste ins<br />

Bild zu rücken. Selbst das strahlende Blau<br />

des Himmels ist eintönig, die Luft so trocken<br />

wie Papier.<br />

Sie kamen weit, und sie kamen von weither.<br />

Tatsächlich war jeder einmal irgendwann<br />

in der Gegend, sogar die Türken vor<br />

langer Zeit. Aus dem Norden kamen die<br />

Hunnen, aus dem Osten die Han-Chinesen,<br />

um Kontrolle zu gewinnen über die heute<br />

unwirtliche Gegend. Aus chinesischer Sicht<br />

war immer wichtig, wer den Westen regierte.<br />

Für sie war er das Tor zu den anderen<br />

Welten, für die aus dem Westen war es der<br />

Weg nach China und zu seinen Schätzen.<br />

Aus Baktrien und Indien kamen sie, um<br />

Handel zu treiben, und das rö mische Begehren<br />

nach chinesischen Seidenstoffen<br />

belebte schon vor 2000 Jahren den transkontinentalen<br />

Warenaustausch.<br />

TOR ZU ANDEREN WELTEN<br />

Deutsche und chinesische Archäologen erforschen unbekannte<br />

Gesellschaften an der Seidenstraße<br />

INTERKONTINENTALTRANSFER<br />

Durch endlose Schotterwüsten im<br />

Westen Chinas führte der Weg zu den<br />

reichen Handelsstationen an der<br />

Seidenstraße. Foto: DAI Peking<br />

26 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 27


LANDSCHAFTEN<br />

HÖHLENSTADT<br />

I<br />

RUINENSTADT Jiaohe bei Turfan<br />

II-III HANDELSSTATION AM RANDE DER<br />

WÜSTE Am Südrand der Taklamakan liegt<br />

Khotan, einst auch eine wichtige Station auf der<br />

Seidenstraße. Fotos: DAI Peking<br />

WOHLTAT In der Oase Turfan spendeten die Weinranken Schatten und die Trauben fielen aus<br />

dem Himmel. Foto: DAI Peking<br />

INNOVATION Die Konstruktion einer Prothese. Der flache obere Teil diente der Fixierung und ging auf<br />

Höhe des Knies direkt in die Stelze über. Ihr Ende steckte in einem Ziegen- oder Schafshorn, damit es<br />

sich nicht so schnell abnutzte. Ein darüber gezogener Huf eines Pferdes oder eines Esels schützte vor<br />

dem Einsinken in weichen Boden. Tiefe Kerben an den Durchzügen der Lederbänder und Abrieb an<br />

der Kontaktfläche mit dem Knie und Oberschenkel zeugen von langem Gebrauch. Foto: DAI Peking<br />

III<br />

I II III I II<br />

I-III PRIMÄRTECHNOLOGIE Die Grundlagenforschung<br />

bietet das Fundament für die wissenschaftlich<br />

korrekte Rekonstruktionen vollständiger<br />

Ausstattungen. Die Methoden zahlreicher<br />

geistes-, natur- und technikwissenschaftlicher<br />

Disziplinen werden für die Rekonstruktion von<br />

Wissen und für die Erforschung der Verfügbarkeit<br />

von Ressourcen sowie die Struktur der<br />

Handelsnetze in Ostzentralasien in der Zeit von<br />

ca. 1000 v. Chr. bis 300 n. Chr. genutzt. Zum ersten<br />

Mal werden diese Gesellschaften anhand ihrer<br />

Kleidung charakterisiert. Fotos: DAI Peking<br />

Polyglotte Händler wie die Sogder, die aus dem Gebiet des heutigen<br />

Usbekistan stammten und von der Krim bis nach Korea aktiv<br />

waren, wurden reich und waren zugleich Träger eines lebhaften<br />

kulturellen Austauschs. Ziel und Etappe vieler Karawanen auf dem<br />

Handelsweg, der seit dem 19. Jahrhundert „Seidenstraße“ genannt<br />

wird, war eine grüne und blühende Oase, in der die Weinranken<br />

Schatten spendeten und die Trauben aus dem Himmel<br />

fielen: Turfan.<br />

GUTES KLIMA FÜR ARCHÄOLOGISCHES ARBEITEN<br />

Mayke Wagner, Sinologin und Archäologin, leitet die Außenstelle<br />

des Deutschen Archäologischen Instituts in Peking. Von dort aus<br />

reist sie zusammen mit ihren Kollegen von der Chinesischen Akademie<br />

für Kulturerbe in das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang<br />

im äußersten Westen Chinas, das mit 1,6 Millionen Quadratkilometern<br />

ungefähr so groß ist wie Deutschland, Frankreich und<br />

Spanien zusammen.<br />

Was auf den ersten Blick ein weit entlegenes Forschungsgebiet für<br />

<strong>deutsche</strong> Archäologen zu sein scheint, liegt näher als man denkt:<br />

„Die Vor- und Frühgeschichte des Landes ist nicht nur mit den benachbarten<br />

Regionen verbunden“ sagt Mayke Wagner. „Es gibt<br />

alte Verbindungen aus dieser Region über Zentral- und Westasien<br />

bis nach Europa.“ Die verbindenden Elemente klingen aktuell:<br />

Handel und Technologietransfer.<br />

Die Oase Turfan liegt in einer der tiefsten Senken der Erde, in<br />

nächster Nachbarschaft ihrer höchsten Gebirge – Kontraste, von<br />

denen die Landschaft geprägt ist, aber nicht so kleinteilig, wie<br />

man es aus Europa kennt. Die Wechsel in der Topographie lassen<br />

sich Zeit, sind dann aber umso gewaltiger. 255.000 Menschen leben<br />

heute in der Stadt, die meisten von ihnen sind Uiguren. „Wie<br />

alt die Oase ist, wissen wir nicht genau“, sagt die Archäologin. „Es<br />

gibt keine Selbstzeugnisse zur Entstehung, aber in den ältesten<br />

Berichten, die wir kennen, ist schon von einer ‚alten Stadt’ die<br />

Rede.“ Die stammen aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert. Archäologische<br />

Funde bezeugen, dass die Turfan-Senke schon vor<br />

gut 3000 Jahren von Bauern besiedelt war.<br />

Das Klima ist äußerst trocken, und wenn einmal Regen fällt, hinterlässt<br />

er kaum eine Spur auf der Straße, auch die Kleidung ist<br />

sofort wieder getrocknet. Das Wasser verdampft in Sekundenschnelle<br />

in einer Luft, die keinerlei Sättigung mit Feuchtigkeit hat.<br />

Der Niederschlag beträgt etwa 16 Millimeter im Jahr. Gutes Klima<br />

für die weltberühmten Turfanrosinen und die Bewahrung von<br />

Menschenwerk. An den Handelsstationen der Seidenstraße blieb<br />

vieles erhalten, was andernorts vergeht.<br />

Mayke Wagner erinnert sich noch genau an den Moment, als sie<br />

von einem spektakulären Fund erfuhr, den die chinesischen Kollegen<br />

im Jahr 2007 gemacht hatten. Die Sensation war ein athletisch<br />

gebauter Mann in den „besten Jahren“, körperlich aktiv bis zu<br />

seinem Tod, obwohl er eigentlich ein Invalide war. Sein Alter:<br />

2.300 Jahre, und er war äußerst gut erhalten. Sein linkes Bein war<br />

so nach hinten und innen verdreht, dass er es nicht mehr gebrauchen<br />

konnte, was eigentlich das Ende seiner Existenz bedeutete.<br />

Stock oder Krücke hätten ihm helfen können, aber gleichzeitig<br />

seine Hände beschäftigt, die er zum Arbeiten brauchte. Also konstruierte<br />

er ein Stelzbein aus Holz, das er mit Lederriemen an seinem<br />

Oberschenkel befestigte – die älteste funktionale Beinprothese<br />

der Welt! Der Mann gehörte zu einer Gesellschaft von Bauern<br />

und Hirten, die das Turfan-Becken und die östlichen Ausläufer<br />

BRIDGING EURASIA<br />

Abgesehen von Terrakottakriegern und Konfuzius<br />

weiß man außerhalb Chinas eher wenig vom<br />

chinesischen Altertum. Das liegt vor allem daran,<br />

dass die meisten Berichte über archäologische<br />

Neuentdeckungen oder Ausstellungen vorwiegend<br />

auf Chinesisch veröffentlicht werden. Das vor<br />

kurzem geöffnete Webportal „Bridging Eurasia“, ein<br />

gemeinsames Vorhaben der Außenstelle Peking des<br />

DAI und der Chinesischen Akademie für Kulturerbe,<br />

ist angetreten, das zu ändern. Ausgewählte Themen<br />

zu <strong>Archäologie</strong>, Fundkonservierung und Regionalgeschichte<br />

in China werden für Wissenschaftler und<br />

Laien außer auf Chinesisch auch auf Deutsch und<br />

Englisch zur Verfügung gestellt. Damit ist Bridging<br />

Eurasia weltweit die einzige Plattform, die aktuelle<br />

Informationen zu <strong>Archäologie</strong> und Denkmalschutz<br />

in allen drei Sprachen bietet.<br />

www.bridging-eurasia.org<br />

28 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 29


LANDSCHAFTEN<br />

Anden Handelsstationen der<br />

Seidenstraße blieb vieles erhalten,<br />

was andernorts vergeht.<br />

Die Sinologin und<br />

Archäologin Prof. Dr.<br />

Mayke Wagner ist<br />

Leiterin der Außenstelle<br />

Peking des DAI. Seit 2000<br />

ist sie Wissenschaftliche<br />

Direktorin der Eurasien-<br />

Abteilung des DAI und seit<br />

April 2010 Honorarprofessorin<br />

im Fach Ostasiatische<br />

Kunstgeschichte an der<br />

Freien Universität Berlin.<br />

GEBILDETE INGENIEURE<br />

Man sieht die Spuren des alten Bewässerungssystems überall. Doch auch dessen<br />

Anfänge liegen im Dunkeln wie das Alter der Stadt – niemand weiß genau, wie alt<br />

diese Meisterleistungen der Ingenieurskunst sind. Das Bewässerungssystem von<br />

Turfan ist ein unterirdisches Brunnensystem mit waagerecht in den Berg<br />

gegrabenen Schächten bzw. horizontalen Brunnen. Dadurch kann man das tiefe<br />

Grundwasser, das aus dem geschmolzenen Schnee des Tian Shan-Gebirges<br />

stammt, ableiten und in unterirdischen Kanälen, geschützt vor Verdunstung, in<br />

die Oase leiten. Rund 1000 Karez gibt es im Turfan-Becken. Ein Brunnen kann bis<br />

zu 70 Meter tief und ein unter irdischer Kanal rund 10 Kilometer lang sein.<br />

Insgesamt sind die Kanäle von Turfan vielleicht mehrere tausend Kilometer lang,<br />

niemand hat sie bislang ausgemessen.<br />

Als die antiken Ingenieure das Bewässerungssystem bis in ein viel älteres<br />

Gräberfeld erweiterten, fällten sie eine durchaus informierte und durchdachte<br />

Entscheidung. Sie kannten die geologischen Gegebenheiten des Untergrunds –<br />

das Gräberfeld liegt auf einem Schwemmfächer –, wussten, welche Wege das<br />

Wasser nahm und dass es weit unter den Gräbern durchfließt. Sie hatten ein<br />

Problem zu lösen, und das taten sie.<br />

Und sie können womöglich dazu beitragen, Probleme der heutigen Zeit zu lösen.<br />

Denn die moderne Methode der Pumpbewässerung führte zur Versalzung und<br />

Verkarstung des Bodens. So reaktiviert man die alten Systeme, weil man erkennt,<br />

dass es ein der Landschaft und ihren natürlichen Gegebenheiten hoch angepasstes<br />

effizientes Bewässerungssystem ist.<br />

Mayke Wagner<br />

HÖHLENSTADT Tuyugou-Tal bei<br />

Turfan mit den ältesten buddhistischen<br />

Grotten in Ost-Xinjiang, vermutlich<br />

4.-5. Jh. Bei den Freilegungen werden<br />

seit 2010 Wandbilder, Skulpturen und<br />

Textfragmente in vielen Sprachen<br />

entdeckt. Foto: DAI Peking<br />

GEBILDETE INGENIEURE Überall sind die Spuren des alten Bewässerungssystems zu sehen. Doch niemand weiß genau, wie alt<br />

diese Meisterleistungen der Ingenieurskunst sind. Foto: DAI Peking<br />

des Tian Shan zu der Zeit besiedelten, als Alexander der Große<br />

nach Osten und das chinesische Kaiserreich Han zum ersten Mal<br />

nach Westen vorstießen und auf zentralasiatische Gemeinschaften<br />

trafen, von denen sehr wenig bekannt ist, weil sie ihre Geschichte<br />

nicht aufschrieben.<br />

Nun tun sich <strong>Archäologie</strong>, Medizin und Geographie zusammen,<br />

um die Lebensweise der antiken Bevölkerung im großen Kontext<br />

nachzuvollziehen, erforschen so die genaue Funktionsweise der<br />

Prothese und versuchen, mögliche Rückschlüsse auf das technische<br />

Wissen der Menschen zu ziehen. Die Paläopathologin Julia<br />

Gresky fand heraus, dass das Leiden, welche die äußerst schmerzhafte<br />

Deformation des Beines verursachte, die Tuberkulose war,<br />

die in Zentral- und Ostasien im ersten Jahrtausend v. Chr. an verschiedenen<br />

Orten auftrat und von Rindern übertragen wird, die<br />

aber in der Region nicht heimisch waren. „Es musste also Handelsbeziehungen<br />

und Wanderungsbewegungen gegeben haben“,<br />

sagt Mayke Wagner. „Reiche Getreidefunde in den Gräbern lassen<br />

uns darauf schließen, dass die Gesellschaft, zu der der Mann mit<br />

dem Holzbein gehörte, zumindest teilweise sesshaft gelebt hat“,<br />

korrigiert die Archäologin die bislang gehegte Vermutung.<br />

Das Holzbein ist natürlich eine spektakuläre Ausnahme. Ein anderer<br />

Ausdruck technischen Wissens ist uns so nah, dass wir ihre geradezu<br />

bestrickende Genialität völlig übersehen. Der Invalide,<br />

seine Angehörigen und Nachbarn wie auch durchreisende Händler<br />

trugen Hosen, Röcke und Kaftane, Stiefel, Ledermäntel, Beispiele<br />

für eine bahnbrechende Primärtechnologie: Kleidung.<br />

Schafe zu scheren, Fäden zu spinnen, zu einer Fläche zu weben<br />

und dieses zweidimensionale Tuch auf einen dreidimensionalen<br />

– menschlichen – Körper zu übertragen, brauchte Planung, mathematische<br />

Kenntnisse und ein hohes Abstraktionsvermögen,<br />

vergleichbar dem in der Architektur. Auch die Kleidung blieb in<br />

dem trockenen Klima gut erhalten, und so konnten an den Handelsstationen<br />

der Seidenstraße ganze Ausstattungen des ersten<br />

Jahrtausends v. Chr. häufig vollständig geborgen werden. Geschmückt<br />

von prächtigen Farben und reichen Dekoren sind sie<br />

Zeugnisse der Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte der Region<br />

30 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 31


LANDSCHAFTEN<br />

VERWECHSLUNGSGEFAHR Wenn man nicht genau hinsieht, kann man die Eingänge zu den Gräbern (li.) und zu den … … „Karez“, dem Bewässerungssystem (re.), leicht miteinander verwechseln. Fotos: DAI Peking<br />

Derlei Dinge sind aber eher selten Gesprächsthema der chinesischen<br />

und <strong>deutsche</strong>n Archäologen, wenn sie abends zusammensitzen.<br />

Die Ausbildung der Kinder ist das Topthema für die chineund<br />

Ausdruck kultureller und sozialer Identität, denn eines konnte<br />

man damals wie heute auch noch häufig erkennen: woher jemand<br />

kam und welcher Schicht er angehörte.<br />

KLIMA UND HYDROTECHNIK<br />

Bei 16 Millimeter Jahresniederschlag und von Weinranken überschatteten<br />

Wegen fragt man sich irgendwann: Woher kommt das<br />

Wasser? Wenn man nicht so genau hinsieht, kann man für bronzezeitliche<br />

Grabhügel halten, was in Wirklichkeit der Eingang zu einem<br />

„Karez“ ist. Vor allem auf dem 54.000 Quadratmeter großen<br />

Gräberfeld von Yanghai, von dem viele der archäologischen Funde<br />

stammen, ist die Gefahr der Verwechslung groß, wenngleich<br />

die Karez-Eingänge im Unterschied zu den Grabhügeln wie an einer<br />

Schnur aufgereiht liegen. Zugang zu lebensnotwendigem Wasser<br />

auf dem Friedhof? Doch was so befremdlich klingt, ist weder ein<br />

Zufall noch ein Versehen. Das alte Bewässerungssystem ist mehr<br />

als intelligent. (s.o. S. 30)<br />

KOOPERATIONEN<br />

Chinas rasante ökonomische Entwicklung hat dazu geführt, dass<br />

Über reste vergangener Epochen in großer Zahl entdeckt und freigelegt<br />

werden. Der Bedarf an Archäologen steigt ständig, und die<br />

Zahl der archäologischen Institute, Ausbildungsstätten, Denkmalämter<br />

und Museen nimmt stetig zu. Der Erhalt des Kulturerbes be-<br />

sitzt hohe Priorität in China, und eine hoch entwickelte chinesische<br />

<strong>Archäologie</strong> nimmt sich seiner an. Deren Interesse – besonders<br />

der jüngeren Wissenschaftler mit Auslandserfahrung – an Kooperationen<br />

mit internationalen Institutionen wächst stetig. Für Restaurierung,<br />

Fundauswertung, Laboranalytik, Paläopathologie, Archäo -<br />

zoo logie und Archäobotanik sowie für den Zugang zu inter na tionalen<br />

Publikationen werden weltweit Kooperationspartner gesucht.<br />

In Ausnahmefällen öffnet China Archäologen aus dem Ausland<br />

seine Fundstätten, so dass sie an Originalen arbeiten können.<br />

ROSINEN Überall in der Stadt stehen die<br />

Trockenhäuser, in denen die Weintrauben zu<br />

den berühmten Turfan-Rosinen reifen. Verkauft<br />

werden sie nach ganz Asien. Foto: DAI Peking<br />

sischen Forscher. Nach deren Schulterminen werden die Kampagnen<br />

ausgerichtet.<br />

Wenn dann eine Kampagne zu Ende geht, bittet der Chef der Tourismusbehörde<br />

von Turfan zum Abendessen. Man möge die Oase<br />

doch bitte freundlich erwähnen, wenn man wieder zu Hause sei.<br />

Aufwändig begrünte Hotels empfangen den Gast. Man serviert<br />

Reis mit gekochtem Lammfleisch und dicke Milch mit Eiswürfeln<br />

und Zucker. Oder einen ganzen Kürbis im Ofen oder Dämpfer gegart,<br />

gefüllt mit getrockneten Datteln, Feigen und Aprikosen, den<br />

man gemeinsam auslöffelt.<br />

Tourismus ist ein großes Thema, und man gibt sich große Mühe,<br />

den alten Handelsplatz zu einer modernen Oase des Wohlbefindens<br />

zu machen. Das Stadtzentrum glänzt, das neue große Museum<br />

ist ein Publikumsmagnet, und in der Vergnügungsmeile erfreuen<br />

Wasserspiele den Flaneur. Offene Schwimmbäder und ein<br />

Paddelteich, an dem sich die Jugend trifft, sollen auch die moderne<br />

technische Bemeisterung einer knappen Ressource zeigen.<br />

Die Archäologen müssen zurück nach Peking. Natürlich steht ihnen<br />

keine wochenlange eintönige Reise auf wankenden Reittieren<br />

bevor. Drei Stunden dauert die Autofahrt von Turfan nach<br />

Ürümqi, der Hauptstadt von Xinjiang, noch einmal vier bis fünf<br />

Stunden Flug oder demnächst Schnellzugverbindung nach Peking,<br />

weg vom Pol der Unzugänglichkeit. Vom Flughafen fährt<br />

man am besten mit der Airport Express-Bahn und der U-Bahn-Linie<br />

10 Richtung German Centre im Landmark-Komplex. Hier hat<br />

die Außenstelle Peking des DAI ihr Büro.<br />

sw<br />

32 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 33


DAS OBJEKT<br />

DICHTER, FLUSSGOTT UND SCHWARZES MEER<br />

Wie eine kleine Stadt Anspruch auf Homer erhebt<br />

Foto: Fotoarchiv des Instituts für<br />

Archäologische Wissenschaften,<br />

Abteilung II, Goethe-Universität<br />

Frankfurt/Main; Hintergrundbild:<br />

EpicStockMedia / Fotolia.com<br />

Flussgötter sind ein häufiges Motiv auf den Münzen antiker<br />

Städte. Die Menschen dieser Zeit wussten, was sie den Flüssen<br />

zu verdanken hatten: ihr Trinkwasser, das Wasser für die Bewässerung<br />

ihrer Felder und schließlich noch die fruchtbare Erde, die<br />

die Flüsse an ihren Mündungen aufschütteten. Größere Flüsse<br />

wurden als Verkehrswege genutzt; Holz, das in unwegsamen<br />

Bergwäldern geschlagen wurde, konnte über nahe Gebirgsflüsse<br />

an die Küste geflößt werden. Dargestellt wurden die Flüsse<br />

häufig in Gestalt reifer Männer in der Blüte ihrer Jahre. In der Regel<br />

halten diese menschengestaltigen Flussgötter einen Schilfstängel<br />

in ihrem Arm, oft auch ein Füllhorn, das die Fruchtbarkeit,<br />

die sie schaffen, zum Ausdruck bringt. Bisweilen gibt es aber<br />

Münzbilder von Flussgöttern, deren genaue Bedeutung sich erst<br />

durch wissenschaftliche Recherche erschließt. Das gilt auch für<br />

jene Münze, welche die an der kleinasiatischen Schwarzmeerküste<br />

gelegene Stadt Amastris, das heutige türkische Amasra, in<br />

der römischen Kaiserzeit prägte.<br />

Auf der Vorderseite der Münze ist der Kopf eines bärtigen Mannes<br />

dargestellt, den eine griechische Legende als Homer identifiziert.<br />

Auf der Rückseite dieser Münze ist ein Flussgott abgebildet,<br />

der lässig sitzt, Körper und Blick nach links gerichtet.<br />

Sein Oberkörper ist nackt, sein Unterleib mit einem Mantel bedeckt.<br />

Seinem linken Arm stützt er auf einer Amphora, aus der<br />

Wasser ausfließt; er hält einen Zweig, vielleicht einen Schilfstängel.<br />

Auf dem rechten Knie seines hochgestellten Beins ist<br />

ein antikes Saiteninstrument, eine Kithara, zu sehen. Unter<br />

dem Flussgott steht in griechischen Buchstaben „Meles“, darüber<br />

der Name der Bürgerschaft, welche die Münze geprägt hat:<br />

‚[Münze] der Amastrianer’.<br />

Die Münze ist ein Reflex der Suche der antiken Menschen nach<br />

der Heimat Homers. Da sich nichts Sicheres über den Geburtsort<br />

des größten griechischen Dichters ausmachen ließ, erhoben<br />

sehr viele Städte, darunter Smyrna, Kyme, Chios, Ithaka, aber<br />

auch Athen und Rom, mit mehr oder weniger überzeugenden<br />

Argumenten den Anspruch, dass Homer bei ihnen geboren worden<br />

oder wenigstens auf einer seiner Reisen bei ihnen vorbeigekommen<br />

sei. Der Anspruch von Amastris geht darauf zurück,<br />

dass Homer ursprünglich Melesigenes, d.h. ‹der am Meles Geborene›,<br />

geheißen habe. Auf dem Territorium von Amastris gab es<br />

einen Fluss, der Meles hieß – und den identifizierten die Amastrianer<br />

mit dem Geburtsfluss Homers. Die Kithara auf seinem Knie<br />

ist somit ein Hinweis auf die Dichtkunst Homers. Ihre Lage am<br />

Rande der griechischen Welt hielt die Bürger von Amastris nicht<br />

davon ab, tatsächlich zu behaupten, Homer sei bei ihnen geboren<br />

worden. Der Spott, den die Hellenen aus dem Mutterland<br />

und aus dem hochkultivierten Ionien über die ungebildeten und<br />

dummen Griechen von der Schwarzmeerküste auszugießen<br />

pflegten, spornte diese geradezu an, Homer, den Mittelpunkt aller<br />

griechischen Bildung, zu einem Landsmann zu machen. Insofern<br />

ist diese Münze Anspruch und Provokation zugleich.<br />

Der Autor, der Althistoriker und<br />

Numismatiker Prof. Dr. Johannes Nollé,<br />

ist Wissenschaftlicher Referent an der<br />

Kommission für Alte Geschichte und<br />

Epigraphik des DAI in München<br />

34 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 35


TITELTHEMA<br />

Wenn man in einem der<br />

wasserreichsten Länder<br />

der Erde lebt, kann einem<br />

das Nachdenken über das Element<br />

schwer fallen. Es ist zu leicht, an die Ressource<br />

zu gelangen, ohne die gar nichts<br />

geht. Trockene „Jahrhundertsommer“,<br />

die zu Knappheiten führen können, kommen<br />

in Deutschland kaum in einem Menschenleben<br />

einmal vor. Doch in vielen<br />

Regionen der Erde ist Wasser eine sehr<br />

knappe Ressource. Steigende Nachfrage,<br />

Fragen des Zugangs, der Verteilung und<br />

der Dienstleistungen rund um das Wasser,<br />

grenzüberschreitendes Wassermanagement,<br />

die Finanzierung von Wasser,<br />

nationale und internationale rechtliche<br />

Rahmenbedingungen sind Fragen, die<br />

im wahrsten Sinne des Wortes die gesamte<br />

Menschheit betreffen und immer<br />

drängender werden. Daher erklärte die<br />

Generalversammlung der Vereinten Nationen<br />

das Jahr 2013 zum Internationalen<br />

Jahr der Wasserkooperation.<br />

ARCHÄOLOGIE DES WASSERS<br />

Die technischen, kulturellen und sozialen Wirkungen eines Elements<br />

36 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 37


TITELTHEMA<br />

BRUNNEN Bahnbrechende Innovation und Erfolgsgeschichte.<br />

I In den Fels abgeteufter Brunnen des<br />

präkeramischen Neolithikums. Mylouthkia,<br />

Zypern. Foto: Peltenburg<br />

Foto S. 36/37: Siegel<br />

II Brunnen in Oulban Beni Murra, einem<br />

hyperariden Siedlungsgebiet im östlichen<br />

Jordanien, angelegt von prähistorischen<br />

Hirtennomaden. Foto: Gebel<br />

III Profilschnitt durch den frühneolithischen<br />

Brunnen von Mohelnice. Umzeichnung einer<br />

Fotografie von Rudolf Tichy nach Windl 1998<br />

I Blick vom Turm Maysar-25 im Sultanat Oman<br />

auf den nahe gelegenen Damm.<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Häser<br />

II Wasser als Schmuck- und Währungslieferant<br />

– Tausende von Perlen aus Molluskenschalen.<br />

Depotfund aus Tall Hujayrat al-Ghuzlan.<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Becker<br />

GROSSER DAMM VON MARIB<br />

Wasser spielte bei der Entwicklung<br />

gesellschaftlicher Strukturen zu allen<br />

Zeiten eine bedeutende Rolle.<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Gerlach<br />

I<br />

II<br />

Wasser ist in allen Phasen der Menschheitsgeschichte ein wichtiger<br />

Faktor, seine technische Erschließung beginnt mit den frühesten<br />

Anfängen der Entstehung komplexer Siedlungs- und Gesellschaftsformen.<br />

Ein streng organisiertes Wassermanagement war<br />

Grundlage der großen Flusskulturen an Nil, Euphrat oder Yangtse,<br />

und das Wasser als Gesellschaftsmacher brachte das Wort von den<br />

„hydraulischen Gesellschaften“ hervor. In den ariden Gebieten der<br />

arabischen Halbinsel ermöglichte die Nutzung der Brunnentechnologie,<br />

eingeführt vor rund 6000 Jahren aus der Levante, die Entstehung<br />

einer ganz neuen Lebensform, der Oasenkultur. Technische,<br />

soziale und kulturelle Innovationen mussten ineinandergreifen,<br />

um je wirksam werden zu können.<br />

WASSER UND INNOVATION<br />

Es gehört zu den Selbstzuschreibungen der Moderne, etwas wie<br />

Innovationen in die eigene Zeit zu legen. Dagegen sei die Antike<br />

abgeschlossen und ohnehin immer statisch gewesen, ist eine gängige<br />

Vermutung. Eine Innovation ist eine Erfindung, die den Markteintritt<br />

geschafft hat, erklären moderne Ökonomen. Oder sie ist<br />

etwas, was so selbstverständlich ist, dass wir es gar nicht mehr<br />

wahrnehmen. Die Grundlagen der Nutzung von Wasser in einem<br />

durchschnittlichen mitteleuropäischen Land ist so eine Art Innovation.<br />

Wer fragt sich noch, wie es möglich ist, dass Wasser auch<br />

noch in den obersten Etagen von Hochhäusern aus dem Hahn<br />

läuft? Wer will noch wissen, woher es eigentlich kommt, wie es<br />

gesammelt oder gefunden wurde? Ist das alles Regenwasser, oder<br />

kommt es aus Grundwasserbrunnen? Und wenn ja, wie baut man<br />

die? Und woher weiß man überhaupt, wo Wasser sein könnte,<br />

wenn es nicht an die Oberfläche tritt? Und was soll man tun, wenn<br />

plötzlich viel zu viel Wasser da ist und droht, alles mit sich zu reißen?<br />

Wer bestimmt schließlich, wo Brunnen oder Wasserleitungen<br />

gebaut werden, und wer verwaltet die? Wem gehört knappes<br />

Wasser, und wer darf es an wen verteilen oder verkaufen?<br />

Wasser aus nahegelegenen Flüssen oder Seen zu schöpfen, ist die<br />

einfachste Methode, sich damit zu versorgen. Wasser, das nur unter<br />

der Erde fließt, muss man erst finden, und soll es von A nach B<br />

transportiert werden, ist Technik vonnöten, seien es einfache Gräben,<br />

Leitungen oder ausgereifte Druckrohrleitungen – Kenntnisse<br />

ökologischer und hydrologischer Zusammenhänge sind unverzichtbar.<br />

Im 9. Jahrtausend v. Chr. wurde auf Zypern der erste Brunnen gebaut.<br />

Die Technologie ermöglichte eine fast explosionsartige Ausweitung<br />

von Dauersiedlungen, die nicht unmittelbar an Quellen<br />

und Flüssen lagen. Komplexer werdende Gesellschaften bauten<br />

Kanäle, Aquädukte, Staudämme oder Talsperren und komplexe<br />

Systeme zur Bewässerung von Feldern. Je mehr man anbauen<br />

konnte, umso größer und wohlhabender konnten wiederum die<br />

Gemeinschaften werden. Bei weiterer Ausdifferenzierung von Gesellschaften<br />

bildeten sich herrschende Klassen, die das schwer zu<br />

bändigende Element entweder zu Zwecken der Staatsraison oder<br />

für Prachtentfaltung und Machtdemonstration nutzten, indem sie<br />

verschwenderischen Luxus damit trieben. Und nicht wegzudenken<br />

ist Wasser aus tausendfach unterschiedlichen Kulten in allen<br />

Gegenden der Erde, die ihre jeweils höheren Wesen um Wohlstand,<br />

Fruchtbarkeit und langes Leben baten.<br />

In dieser fachübergreifenden Perspektive untersuchen zahlreiche<br />

Vorhaben des Deutschen Archäologischen Instituts antikes Wassermanagement<br />

im Rahmen seiner natürlichen Voraussetzungen<br />

und seiner menschlichen Anverwandlungen. Die <strong>Archäologie</strong> als<br />

historische Wissenschaft erforscht den kulturellen Rahmen antiker<br />

Gesellschaften, ihre kulturwissenschaftlichen Ansätze analysieren<br />

den Zuschnitt der unendlich vielen Formen menschlicher<br />

Gemeinschaften, und in der Zusammenarbeit mit zahlreichen Disziplinen<br />

der Naturwissenschaften rekonstruiert sie das sensible<br />

Gefüge, in dem Mensch und Umwelt aufeinander einwirken.<br />

38 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 39


TITELTHEMA<br />

SÜDSCHLEUSE des Großen Damms von Marib<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Gerlach<br />

WEIHRAUCH, WASSER, WIRTSCHAFT<br />

Ausgefeilte Hydrotechnik machte aus einst stillen Oasen<br />

einflussreiche Territorialmächte<br />

Moderne Gartenbewässerung in der Oase von Tayma.<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Hausleiter<br />

Marib und Tayma<br />

Das Klima ist sehr trocken, und der Anblick der Oase evoziert<br />

ein Klischee: der Brunnen im Stadtzentrum und Gärten voller<br />

Palmen. Der Beiklang des Wortes „Oase“ produziert leicht die<br />

falsche Vorstellung eines verschlafenen Nests, in dem man allenfalls<br />

ein dösendes Kamel trifft. Die Bilder sind schön, romantisch<br />

sind die Geschichten eher nicht. Vielmehr sind es<br />

Geschichten über Erfindergeist und technische Innovationen,<br />

über effiziente gesellschaftliche Organisation und internationale<br />

Handelsbeziehungen, über Geschäfte und knallharte<br />

Konkurrenz, denn eine Oase brauchte Kundschaft. Die Karawanen<br />

zogen durch die Wüste mit Hunderten von Tieren, die<br />

alle paar Tage getränkt werden mussten. Das kostete Geld.<br />

Zog eine Karawane woanders hin, konnte die Oase in Zahlungsschwierigkeiten<br />

geraten.<br />

Nichts könnte also falscher sein, als sich die Oasen der Arabischen<br />

Halbinsel in der Antike als verschlafene Nester vorzustellen.<br />

Vielmehr wurden sie bei anhaltendem Erfolg zu Territorialmächten,<br />

die die geopolitischen Koordinaten der Region<br />

neu zogen. Im frühen 4. Jahrtausend v. Chr. breitet sich die<br />

Oasenkultur vom Süden Jordaniens weiter nach Süden und<br />

Südosten aus: auf die Arabische Halbinsel in die ariden Gebiete<br />

süd lich des Fruchtbaren Halbmonds. Tayma in Nord-West-<br />

Saudi-Arabien und Marib im Jemen sind Beispiele für prosperierende<br />

Oasen, die einst wichtige Stationen an der Weihrauchstraße<br />

waren.<br />

Die Hirten, die im 4. und 3. Jahrtausend in die Oasen kommen,<br />

finden Feld- und Gartenbau vor und Brunnen für Trinkwasser<br />

und Feldbewässerung. Ab dem 2. Jahrtausend werden Tayma<br />

und Marib zu politisch und wirtschaftlich zentralen Orten und<br />

Drehscheiben des Verkehrs und Handels, beide waren in überregionale<br />

politische Entwicklungen einbezogen und wurden<br />

von den damaligen „Supermächten“ Ägypten, Assyrien und<br />

Babylonien oder Griechenland und Rom wahrgenommen. Die<br />

dauerhafte, ganzjährige Besiedlung, die Voraussetzung dieser<br />

Entwicklungen war, wurde möglich durch Beherrschung der<br />

grundlegenden Wasserbautechniken.<br />

Die Archäologen des DAI arbeiten seit mehreren Jahren gemeinsam<br />

mit Geoarchäologen, Wasserbauingenieuren und<br />

Hydrologen daran, diese frühen Innovationen zu erforschen.<br />

BRUNNEN In den Fels gehauener Schacht eines<br />

Brunnens mit steinernem Aufbau im Zentrum<br />

der Ruine von Tayma, vermutlich aus nabatäischer<br />

Zeit. Foto: DAI Orient-Abteilung, Kramer<br />

SCHATTENSEITEN DES REICHTUMS Sedimentpakete im Stauraum des Großen Dammes<br />

von Marib führten vermutlich zu Beginn des 7. Jahrhunderts n. Chr. schließlich zum<br />

endgültigen Dammbruch. Foto: DAI, Orient-Abteilung, Hitgen<br />

40 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 41


I DER GROSSE DAMM VON MARIB<br />

Blick vom südlichen Auslassbauwerk (Südbau) zu den<br />

Resten des Dammes und zum Nordbau.<br />

Foto: DAI Orient- Abteilung, Gerlach<br />

TITELTHEMA<br />

II SÜDBAU DES GROSSEN DAMMS VON MARIB<br />

Die heute sichtbare Bauphase des Großen Damms<br />

stammt aus dem 6. Jahrhundert n. Chr.<br />

Foto: DAI Orient-Abteilung, Gerlach<br />

I<br />

Marib – Wirtschaftszentum des Reichs von Saba<br />

Die Oase von Marib im heutigen Jemen<br />

war die Lebensader eines bedeutenden<br />

Karawanenreiches des 1. Jahrtausends v.<br />

Chr. Hier entstand eine Hochkultur, die<br />

weit ausstrahlte, reich vom Handel mit<br />

Duftstoffen: Saba. Grundlage ihres Wohlstandes<br />

war eine inten sive Landwirtschaft,<br />

mit der nicht nur Bewohner, sondern auch<br />

Ka rawanen versorgt werden konnten. Die<br />

Archäologin Iris Gerlach erforscht den Ursprung<br />

und die Entwicklung des sabäischen<br />

Reiches mit seinem Zentrum Marib.<br />

Die Besonderheiten der Bewässe rungskultur<br />

spielen dabei naturgemäß eine herausragende<br />

Rolle.<br />

Saba war die bedeutendste Oasenkultur<br />

am östlichen Rand des jemenitischen Hochlandes.<br />

Seit dem 8. Jahrhundert v. Chr hatte<br />

sie sich zu einem Territorialstaat entwickelt.<br />

Antike Quellen berichten vom sagenumwobenen<br />

Reichtum Sabas. Er manifestierte<br />

sich in reichen Tempeln und anderen<br />

Prachtbauten, deren Überreste noch heute<br />

zu sehen sind. Die Kontrolle über den Handel<br />

mit Weihrauch und Myrrhe und die<br />

Lage an der Weihrauchstraße waren Quelle<br />

des Reichtums – aber nicht seine Grundlage.<br />

Die erfolgreiche landwirtschaftliche<br />

Nutzung großer Feldflächen war die eigentliche<br />

Basis des Wohlstands. Zwei Mal<br />

im Jahr stürzte der Monsunregen über das<br />

Bergland des Jemen hinab. Die Niederschläge<br />

sammelten sich in den Wadis und<br />

ergossen sich als mächtige Sturzfluten in<br />

die Wüstenzonen des Landes – in Wucht<br />

und Masse vergleichbar dem Rheinfall von<br />

Schaffhausen. Solange sie nicht gebändigt<br />

waren, richteten sie eher Schaden an<br />

als dass sie Nutzen bringen konnten. Spuren<br />

von Bewässerungssystemen finden<br />

sich bereits im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr.<br />

– in einer Zeit, in der das Klima in der Region<br />

deutlich trockener wurde. Erddämme,<br />

Buhnen genannt, leiteten das Wasser aus<br />

der Mitte des Wadistroms auf die Felder<br />

und machten so den Feldbau in bescheidenem<br />

Umfang möglich.<br />

Um 1000 v. Chr. formiert sich die sabäische<br />

Kultur, eine neue Steinbearbeitung entwickelt<br />

sich, und auch die Bewässerungssysteme<br />

werden komplexer. Der „Bau A“ –<br />

wohl noch basierend auf der Buhnentechnik<br />

– ist ein Meisterwerk der Ingenieurskunst,<br />

bestehend aus Pfeilerkonstruktionen<br />

und Schwergwichtsmauern. Die Kalksteinquader<br />

sind so geschnitten, dass sie<br />

fugenlos zueinander passen, und sie sind<br />

so genau versetzt, dass sie dem Druck des<br />

Wassers standhalten.<br />

Sicher war der Reichtum der Oase nie. Zum<br />

einen konnte das lebensspendende Wasser<br />

bei zu hohen Fluten die Bewässerungsanlagen<br />

zerstören, und auch die fruchtbaren<br />

Sedimente, die zweimal im Jahr auf<br />

die Felder geschwemmt wurden, hatten<br />

auf Dauer ihre Schattenseiten. Das Bodenniveau<br />

in der Oase stieg kontinuierlich um<br />

ca. einen Zentimeter pro Jahr. Dadurch verringerte<br />

sich das Fließgefälle im Kanalsystem,<br />

das aber nötig war, um auch die Randbereiche<br />

der Oase mit Wasser zu versorgen.<br />

Damm und Auslässe mussten ständig<br />

erhöht werden – auch der Große Damm<br />

von Marib zeigt sich den Archäologen<br />

heute im Zustand einer späten Bauphase,<br />

die gegen Ende der altsüdarabischen Reiche<br />

anzusetzen ist. Bau in schrif ten aus<br />

dem 4. und 5. nachchristlichen Jahrhundert<br />

berichten von den Bauarbeiten.<br />

Ein größeres Problem waren politische<br />

und soziale Veränderungen in der Region.<br />

Die äthiopischen Eroberer des sabäischen<br />

Reiches mussten die Menschen zwangsverpflichten,<br />

die überlebensnotwendigen<br />

Instandhaltungsarbeiten am Bewässerungssystem<br />

durchzuführen. Ohne einen<br />

starken politischen Konsens wurden im<br />

Laufe der Zeit alle Systeme brüchig – zu<br />

Beginn des 7. Jahrhunderts brach der<br />

Große Damm. Das war das Ende der Oase<br />

Marib.<br />

SCHEMATISCHER PLAN mit den wichtigsten<br />

Funktionselementen des Großen Damms.<br />

Nach Ueli Brunner, Jemen. Vom Weihrauch zum<br />

Erdöl (Wien/Köln/Weimar 1999) Abb. S. 46<br />

II<br />

Dr. Iris Gerlach ist Leiterin der<br />

Außenstelle Sana‘a des DAI. Die<br />

Oase Marib wird seit 35 Jahren<br />

von Mitarbeitern der<br />

Außenstelle erforscht.<br />

DER GROSSE DAMM<br />

Im späten 8. Jahrhundert v. Chr. hatten die Sabäer ihre Fähigkeiten so weit entwickelt, dass sie das<br />

schwierigste Projekt ihrer Bewässerungssysteme in Angriff nahmen und im 6. Jahrhundert v. Chr.<br />

umsetzten. Der Große Damm von Marib ermöglichte eine Vollsperrung des gesamten Wadis, mit<br />

der man nahezu alles Wasser für die Bewässerung der Felder verwenden und damit gleichzeitig die<br />

Anbaufläche deutlich ausweiten konnte. Es ging hierbei nicht um Bevorratung wie bei modernen<br />

Talsperren. Vielmehr wurde gestaut, um den Wasserspiegel anzuheben, das Wasser zu beruhigen<br />

und in Kanäle einleiten zu können. So konnte man die Felder kontrolliert überfluten. Die Sabäer<br />

errichteten dazu einen 600 Meter langen, fast 100 Meter breiten und ungefähr 20 Meter hohen<br />

Erddamm mit Steinstückung.<br />

An den Seiten befanden sich Auslassbauwerke, die man direkt auf dem anstehenden Felsen<br />

errichtete, um die Unterspülung ihrer Fundamente zu verhindern. Die Schwellen dieser Durchlässe<br />

lagen weit über dem Niveau der Felder, aber noch deutlich niedriger als die Dammkrone. Erreichte<br />

das Wasser die Schwellen, strömte es in ein Tosbecken, in dem es sich so weit beruhigte und<br />

verlangsamte, dass es ins Kanalnetz eingespeist werden konnte. Über den Hauptkanal gelangte<br />

das Wasser zum Hauptverteiler, und von dort erreichte es bei einem nur minimalen Fließgefälle von<br />

ein bis zwei Promille das sich immer weiter verzweigende Kanalsystem und schließlich die etwa<br />

einen Hektar großen Felder. Eine einmalige Überflutung von etwa einem halben Meter garantierte<br />

die Ernte. 1000 Jahre lang konnten die Sabäer auf diese Weise die lebensfeindliche Region in eine<br />

fruchtbare Oase verwandeln. Fast 10000 Hektar Ackerland wurden bewirtschaftet. In dieser Zeit<br />

war Marib die größte künstlich geschaffene Oasenlandschaft Südarabiens.<br />

Iris Gerlach<br />

42 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 43


TITELTHEMA<br />

II<br />

III<br />

I<br />

I KANALANLAGE eines Bewässerungssystems in Tayma. Kanalkreuzung mit<br />

vorgeschaltetem Absetzbecken (wahrscheinlich spätes 1. Jt. v. Chr.). Daneben<br />

sieht man eine antike Feldbegrenzung. Foto: DAI Orient-Abteilung, Weigel<br />

II VERMESSUNGSARBEITEN IN TAYMA. Foto: DAI Orinet-Abteilung,<br />

Hausleiter<br />

III MITARBEITER DES Naturwissenschaftlichen Referats des DAI konnten<br />

zusammen mit Biologen der Freien Universität Berlin in einer Pollen analyse<br />

die pflanzliche Besiedlungsgeschichte der Oase Tayma umreißen. Dabei<br />

stellte sich heraus, dass mindestens seit der zweiten Hälfte des 4. Jahr -<br />

tausends v. Chr. in Tayma Wein angebaut wurde. Foto: DAI Orient-<br />

Abteilung, Eichmann<br />

DIE GESCHICHTE VON TAYMA<br />

Wenn auch die Besiedlung von Tayma im 3. Jahrtausend v. Chr. begann – der Name Tayma wird zum ersten Mal<br />

in einem Text aus dem Gebiet des Mittleren Euphrat erwähnt. Es war die Zeit der Tributpflicht Taymas an den<br />

assyrischen König Tiglatpileser III., der von 745 bis 726 v. Chr. regierte, und Assyrien zu einer Hegemonialmacht<br />

in der Region ausgebaut hatte. Der Text nennt Tayma in Zusammenhang mit einer Handelskarawane, und auch<br />

in späteren, zum Beispiel der biblischen Überlieferung ist von Tayma vor allen als von einem Handelsplatz die<br />

Rede. Wir wissen, dass Tayma auch in neubabylonischer und achämenidischer Zeit an die jeweiligen übergeordneten<br />

politischen Einheiten angebunden war, aber trotz neuer keilschriftlicher Textfunde in der Oase und den<br />

bereits bekannten Zeugnissen der Achämenidenzeit ist die genaue Art und Weise dieser Anbindung nur in<br />

groben Zügen bekannt.<br />

Zwischen den Oasen herrschte stets nicht nur ein reger Austausch, sondern auch ein harter Wettbewerb.<br />

Insbesondere während der letzten Jahrhunderte des 1. Jahrtausends v. Chr. war das Verhältnis zwischen Tayma<br />

und der Nachbaroase Dedan (heute Khuraybah) von Konkurrenz geprägt. Und schließlich bemächtigten sich die<br />

Könige der lihyanischen Dynastie von Dedan des politischen Raumes und der Heiligtümer von Tayma, indem sie<br />

Inschriften hinterlegten und in einem Tempel Statuen errichteten. Gleichzeitig ging die Siedlungsgröße der Oase<br />

zurück – ein Zeichen für die Machtverschiebung in der Region. Tayma gelangt unter nabatäischen, dann<br />

römisch-byzantinischen Einfluss. Später spielt Tayma als Ausgangspunkt für die Islamisierung der Levante eine<br />

bedeutende Rolle. Zuvor war hier eine bedeutende jüdische Gemeinde angesiedelt, und noch im 11. Jahrhundert<br />

ist Tayma bekannt als ein wohlhabender Ort mit einer großen Stadtmauer.<br />

Ricardo Eichmann<br />

DER BIR HADAJ gilt mit 18 Metern Durchmesser als einer der größten Brunnen der Arabischen Halbinsel.<br />

Er diente zur Bewässerung der Palmoase von Tayma. Das Wasser wurde mit Hilfe von Kamelen aus dem<br />

Brunnen geschöpft. Foto: DAI Orient-Abteilung, Hausleiter<br />

Prof. Dr. Ricardo Eichmann,<br />

Direktor der Orient-<br />

Abteilung des DAI, leitet seit<br />

2004 das deutschsaudi-<br />

arabische Ausgrabungsprojekt<br />

in Tayma.<br />

Grabungsleiter in<br />

Tayma ist PD Dr.<br />

Arnulf Hausleiter<br />

Tayma, ein urbanes Zentrum in der Wüste<br />

Tayma ist eine der herausragendsten archäologischen<br />

Fundstätten Saudi-Arabiens<br />

und des Vorderen Orients. Von Sesshaften<br />

besiedelt seit dem 3. Jahrtausend<br />

v. Chr., kennt man den Ort aus der Bibel<br />

und aus keilschriftlicher Literatur vor allem<br />

als Handelsplatz. Aus einer einfachen<br />

Oasensiedlung war im Laufe der Zeit ein<br />

mächtiges Zentrum mit öffentlichen Bauwerken<br />

und ausgedehnten Wohngebieten<br />

geworden, das sich sogar im 2. Jahrtausend<br />

mit einer großen Stadtmauer<br />

eine Grenze gab. Bereits zu dieser Zeit gibt<br />

es Kontakte mit Ägypten und der Levante.<br />

Später hatte hier der spätbabylonische<br />

König Nabonid (556-539 v. Chr.) für zehn<br />

Jahre seine Residenz – das zeigen Felsinschriften<br />

in der Umgebung der Oase.<br />

Im Frühholozän gab es direkt nördlich der<br />

späteren Siedlung einen großen See, der<br />

infolge von Klimaveränderungen ab dem<br />

6. Jahrtausend v. Chr. austrocknete. Er dürfte<br />

der Auslöser dafür gewesen sein, dass<br />

Menschen in diese Gegend kamen. Ricardo<br />

Eichmann und Arnulf Hausleiter gehören<br />

zu den ersten ausländischen Archäologen,<br />

die in der Oase Tayma im heutigen Saudi-<br />

Arabien forschen konnten und dies in Kooperation<br />

mit der Saudi Commission for<br />

Tourism and Antiquities tun. Ein Glücksfall,<br />

denn Tayma ist ein he rausragendes Beispiel<br />

für die Entstehung von Oasenkulturen<br />

und ihrer Entwicklung zu politisch einflussreichen<br />

Regionalmächten.<br />

Die antike Oase Tayma gewann das Wasser,<br />

das sie brauchte, überwiegend aus<br />

dem Grundwasser, das durch Brunnen<br />

bzw. einen Quellteich erschlossen wurde.<br />

Dieses Wasser gelangte durch ein feingliedriges<br />

System von Kanälen auf die Felder<br />

und ermöglichte so zum einen eine<br />

Landwirtschaft, die zahlreiche Menschen<br />

ernährte, zum anderen gewährleistete es<br />

die ausreichende Versorgung von Lasttieren<br />

der vorbeiziehenden großen Karawanenzüge.<br />

Die Archäologen untersuchen das ausgefeilte<br />

Bewässerungssystem von Tayma zusammen<br />

mit Experten der Hochschule Lübeck<br />

in einer Kombination aus geoelektrischen<br />

und geomagnetischen Untersuchungen<br />

mit Ausgrabungen und Surveys.<br />

Wie die Brunnen funktionierten, lässt sich<br />

an jenen Anlagen veranschaulichen, die<br />

bis Mitte des 20. Jahrhunderts in der Oase<br />

in Gebrauch waren. Bei den größten Brunnen<br />

wurde das Wasser mit Kamelen über<br />

Umlenkräder aus der Tiefe an die Oberfläche<br />

befördert – bis schließlich Dieselpumpen<br />

diese Arbeit übernahmen. Der größte<br />

Brunnen von Tayma, der „Bir Haddaj“ hat<br />

einen Durchmesser von 18 Metern. Bislang<br />

fanden die Forscher in Tayma mehr<br />

als 80 Brunnen. Weshalb die Oase an Bedeutung<br />

einbüßte, wollen Archäologen<br />

und Wasserexperten vor dem Hintergrund<br />

des augenscheinlichen Wasserreichtums<br />

jetzt gemeinsam beantworten: Wieviel<br />

Wasser konnten die Brunnen liefern? Wie<br />

hoch war die Nachfließgeschwindigkeit?<br />

Reichte dies auf Dauer für die Karawanen,<br />

die zum Teil Hunderte Kamele mit sich<br />

führten? Oder gab es vielleicht Konflikte<br />

darüber, wer das Wasser an wen verkaufen<br />

durfte?<br />

44 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 45


TITELTHEMA<br />

SCHNITT DURCH DIE DOMUS SEVERIANA – SCHEMATISCHE REKONSTRUKTION Die Aussichtsräume öffneten sich zu einem großen Wasserbecken,<br />

das in flavischer Zeit (Ende 1. Jh. n. Chr.) auf einem zweigeschossigen Unterbau errichtet wurde. Abb.: Lehrstuhl für Baugeschichte, Lehrstuhl für Vermessungskunde<br />

der BTU Cottbus mit Ergänzungen von Ulrike Wulf-Rheidt, Architekturreferat des DAI Berlin<br />

„WASSERPFLANZEN“ Im sogenannten Versenkten Peristyl befand sich ein großes Wasserbecken mit einer Insel, die im 2. Jh. n. Chr. in Form<br />

eines Peltaschildes gestaltet wurde. Die Bepflanzung mit blauen Blumen soll eine Ahnung vom früheren Wasserluxus im Kaiserpalast geben.<br />

Foto: Architekturreferat des DAI Berlin, Pflug<br />

DAS GROSSE WASSERBECKEN Virtuelles Rekonstruktionsmodell der Domus Severiana in flavischer Zeit (Ende 1. Jh. n. Chr.). Mit dem Wasserbecken im<br />

Blick erhielten die Räume, in denen die luxuriösen Gelage gefeiert wurden, den Charakter einer Villenanlage. Abb.: LengyelToulouse Architekten auf<br />

Grundlage eines 3D-Modells von Armin Müller, Architekturreferat des DAI Berlin<br />

ALLES FLIESST<br />

Wasserluxus in der Antike<br />

Rom und Córdoba<br />

Wasser für den Kaiser<br />

Manchmal scheinen Dinge so zu sein, wie man sie in schlechten<br />

Filmen sieht. Römische Kaiser verprassen Vermögen für<br />

sich und ihren Hofstaat in dekadentem Luxus, der keine<br />

Übertreibung scheute. Kalifen nahmen ihre Pflicht zu repräsentieren<br />

sehr genau und feierten rauschende Feste, bei denen<br />

der Wein in Strömen floss. Sie und ihresgleichen, ob<br />

Herrscher oder einfach nur reich, geboten über Mittel, die<br />

ihnen die Beherrschung eines immer eigenwilligen und<br />

selbst mächtigen Elements erlaubte. In Luxussucht und<br />

Herrscherwahn und um die wenigen Freunde und die vielen<br />

Feinde zu beeindrucken, wollten sie sich nicht mit dem Wasser<br />

arrangieren, sie wollten ihm gebieten. In Prachtentfaltung<br />

und Machtdemonstration spielt Wasser seit jeher eine<br />

herausragende Rolle.<br />

Der Palatin war der Herrschaftsbezirk von Rom, auf dem sich das<br />

Machtzentrum der antiken Welt befand. Das Imperium war die beherrschende<br />

Macht im Mittelmeerraum. Das Wort Palast kommt<br />

von Palatin, und genau so muss man sich die Bebauung vorstellen.<br />

Die Bauforscherin und Architektin Ulrike Wulf-Rheidt arbeitet<br />

seit 1998 in zahlreichen Projekten zum Palatin, in Kooperation mit<br />

der Soprintendenza Archeologica di Roma und häufig auch mit<br />

den Experten für Baugeschichte und Vermessungskunde des DAI-<br />

Kooperationspartners Brandenburgische Technische Universität<br />

in Cottbus (BTU).<br />

Wasserbau war zwar vor 2000 Jahren nichts Neues im Imperium,<br />

die Aquädukte waren eine bekannte Technologie, und über einen<br />

exklusiven Abzweig eines Aquädukts wurde auch der Kaiserpalast<br />

stetig mit großen Wassermengen versorgt. Mit dem Aquädukt<br />

wurde das Wasser an die höchste Stelle gebracht und dann nach<br />

unten verteilt. Dennoch war es eine enorme technische Herausforderung,<br />

das Wasser auf den Palatin hinaufzuschaffen und über<br />

Bleirohrleitungen in das kompliziert verzweigte System einzuspeisen,<br />

mit dem die vielen Teilbereiche der Palastanlage versorgt<br />

wurden – und es über Kanäle schließlich wieder abzuleiten. So<br />

46 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 47


Die Architektin und<br />

Bauforscherin Prof. Dr.-Ing.<br />

Ulrike Wulf-Rheidt leitet das<br />

Architekturreferat am<br />

Deutschen Archäologischen<br />

Institut.<br />

HERRSCHAFTSARCHITEKTUR<br />

Der römische Kaiserpalast auf dem Palatin gehört zu den antiken Bauwerken, die bis in unsere Zeit<br />

das Stadtbild von Rom nachhaltig prägen. Die Überreste bilden noch heute zusammen mit dem<br />

Circus Maximus eine eindrucksvolle Kulisse, die ein wenig von der Pracht der einst über 300 Meter<br />

langen Fassade des Kaiserpalastes erahnen lässt. Doch trotz ihrer Wirkmächtigkeit ist die<br />

Architekturgeschichte der imperialen Anlagen kaum erforscht. Mit Kaiser Augustus begann die<br />

Verwandlung des Palatin vom aristokratischen Wohnviertel zum weitläufigen Palastareal. Der<br />

Name des Hügels wird nicht nur zum Synonym für die Residenz, sondern auch für Herrschaftsarchitektur<br />

schlechthin. Doch was ist Herrschaft ohne Beherrschte? Die Stadt Rom ist der Gegenpol<br />

zur Palastarchitektur, nur in der Gegenüberstellung und in Beziehung zueinander und im Kontext<br />

der traditionellen städtisch-aristokratisch geprägten Gesellschaftsverhältnisse und der überlieferten<br />

politischen Organisationsstrukturen ist zu verstehen, was ein Palast ist und wie er funktioniert<br />

– und wie der Palatin zu dem wurde, was er schließlich war. Wasser, das nicht für jeden frei und<br />

bequem zugänglich war, ist dabei nicht nur ein technisches Thema. Als Luxusgut spielte es bei der<br />

Inszenierung von Herrschaft und Herrscher eine bedeutende Rolle. Ulrike Wulf-Rheidt<br />

TITELTHEMA<br />

Das Paradies zu Füßen<br />

ausgefeilt war die Technologie, dass zahlreiche Wasserspiele von<br />

sanft plätschernd bis laut rauschend eingestellt werden konnten.<br />

Es gab Wassertreppen, Springbrunnen, große Wasserbecken und<br />

künstliche Seen, die in den heißen römischen Sommern der Kühlung<br />

dienten.<br />

Im „Versenkten Peristyl“ (ein von Säulen umgebener, eingetiefter<br />

Hof) der Domus Augustana gab es sogar ein Becken, das tief genug<br />

zum Schwimmen war – in direkter Verbindung mit den Latrinen.<br />

Die Anlagen waren von Statuen gesäumt – regelrechte Wellness-Tempel<br />

– die man gemeinsam aufsuchte. Im Hof gab es ein<br />

großes Wasserbecken mit einer künstlich geschaffenen Insel, die<br />

über Brücken erreichbar war. Hier fanden die großen Gelage statt.<br />

In der Domus Severiana hatte man sogar auf einen 20 Meter hohen<br />

Unterbau ein weiteres, riesiges Wasserbecken gesetzt, das<br />

unmittelbar bis an die Räume heranreichte. Von diesen Räumen<br />

aus konnten die kaiserlichen Besucher den Blick über die Wasserfläche<br />

schweifen lassen und so – abgeschirmt von der lauten und<br />

hektischen Stadt Rom – die Illusion genießen, sich in einer der beliebten<br />

Seevillen zu befinden.<br />

Es war zwar nicht der Kalif selbst, dem die Villa gehörte, aber immerhin<br />

sein Finanzminister al Durri, genannt „der Kleine“, der, aus<br />

wohlhabender und einflussreicher Familie stammend, den<br />

Wunsch hatte zu repräsentieren. So steckte er ab 965 sein Vermögen<br />

in den Bau seiner „Munyat al-Rummaniya“, der „Villa des Granatapfelbaumtals“<br />

in der Nähe von Córdoba. Lang konnte er sich<br />

ihrer aber nicht erfreuen, denn wegen der Veruntreuung von<br />

Staatsgeldern fiel er in Ungnade und konnte sich nur dadurch retten,<br />

dass er dem Kalifen die Villa zum Geschenk machte und ein<br />

großes Fest gab.<br />

Córdoba war zu dieser Zeit eine mächtige Stadt, die sich großer<br />

Freiheit der Künste und des Handels erfreute, ein geistiges Zen-<br />

Al-Rummaniya war ein<br />

großes Wasserbecken das InGlanzstück des Hauses.<br />

WEITBLICK Ein leichter Luftzug durchwehte den nach beiden Seiten offenen Saal der Villa. Die Blickrichtung war so gewählt, dass man weder die Stadt<br />

noch den Sitz des Kalifen sah. Montage: Felix Arnold, DAI Madrid<br />

Man kennt inzwischen die Palastanlagen des Palatin so gut, weil<br />

es den Bauforschern des DAI gelang, in einer Kombination mehrerer<br />

Messmethoden eine umfassende Bauaufnahme des Palatin<br />

duchzuführen und dessen Reste umfassend zu dokumentieren.<br />

Neben traditioneller Tachymetrie mit Reflektor setzten sie auch<br />

reflektorlose Tachymetrie, Photogrammetrie, Laserscanning, aber<br />

auch das bewährte Handaufmaß ein. Nach der computergestützten<br />

Aufbereitung stehen die Messdaten auch für dreidimensionale<br />

Modelle zur Verfügung, mit deren Hilfe sich Einsichten in die<br />

ehemalige Pracht der Kaiserpaläste gewinnen lassen, die die Ruinen<br />

kaum vermuten lassen würden. Tatsächlich war die Entwicklung<br />

der kaiserlichen Prachtentfaltung viel komplexer, als man<br />

bisher dachte – inklusive der vielfältigen, ausgeklügelten Wasseranlagen.<br />

KÜHLUNG FÜR MENSCH UND TIER Das große<br />

Becken hatte einen von Bögen getragenen<br />

Umgang, unter den sich Fische in großer<br />

Hitze zurückziehen konnten. Durch den Saal<br />

hindurch öffnete sich der Blick auf das Tal des<br />

Guadalquivir. Zeichnung: Felix Arnold, DAI Madrid<br />

48 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 49


trum nicht nur der islamischen Welt. Die ganze Stadt war wie ein<br />

Schachbrett durchgeplant, die Straßen verliefen im rechten Winkel<br />

zueinander, Haus, Hof und Garten waren rechteckig und geordnet,<br />

und man hatte einen Brunnen im Haus.<br />

TITELTHEMA<br />

„In Al-Rummaniya hatte man mehr“, erklärt der Bauforscher Felix<br />

Arnold, der die Ausgrabung an der Villa leitet. Ein großes Wasserbecken<br />

von 50 Metern Länge, 30 Metern Breite und vier Metern<br />

Tiefe war das Glanzstück des Hauses – eines der größten in der islamischen<br />

Welt. Die Grube war mit Steinmauerwerk eingefasst,<br />

das anschließend verputzt und poliert wurde. Die Grundlagen der<br />

Bewässerungstechnik kannte man bereits aus römischer Zeit, und<br />

man machte auch kein Hehl daraus, es genau so anzufangen „wie<br />

die Römer“. Dennoch fand sich hier ein besonders ausgeklügeltes<br />

System, das die Archäologen beeindruckte.<br />

Unter dem Saal befanden sich die Abläufe des großen Beckens.<br />

Damit verbanden sich Vorstellungen vom Lebensbaum und vom<br />

Paradies – das lebensspendende Element, das quasi zu Füßen der<br />

Menschen entspringt.<br />

EIN LANDSITZ DER BESONDEREN ART.<br />

Rekonstruktion der Anlage al-Rummaniya bei<br />

Córdoba (965 n. Chr.). Auf drei Terrassen<br />

erstreckte sich eine Olivenplantage, auf der<br />

vierten ein luxuriöse Sommerresidenz.<br />

Zeichnung: DAI Madrid, Arnold<br />

Für den täglichen Wasserbedarf reichte eine Bergquelle, die umund<br />

eingeleitet wurde. Die Quellen konnten aber nicht genügen,<br />

das paradiesische Gewässer zu speisen. Es war zum großen Teil<br />

Regenwasser aus Starkregenereignissen, die zwar selten eintraten,<br />

dann aber heftig. Wie genau das funktionierte, wissen die Archäologen<br />

und Bauforscher noch nicht. Im Frühsommer 2013<br />

geht die Arbeit weiter, und eine der Fragen wird sein: Wie wurde<br />

der Garten bewässert?<br />

WASSERKUNST AM BAU<br />

Der Bauforscher Dr.<br />

Felix Arnold leitet die<br />

Ausgrabungen des DAI von<br />

al-Rummaniya. Seit 2011<br />

gehört er der Abteilung Kairo<br />

des DAI an, zuvor war er<br />

Mitarbeiter der Abteilung<br />

Madrid.<br />

Das Zusammenspiel diverser Techniken der Wassergewinnung,<br />

-speicherung und –verteilung zeigt das große<br />

Können der Planer. Wasser, das bei den winterlichen<br />

Starkregen über einen Bergbach lief, wurde auf geschickte<br />

Weise in das Becken eingeleitet. Eigens zu diesem Zweck<br />

wurde mit großer Wahrscheinlichkeit das Wasser am<br />

Oberlauf des Bachs mittels einer Mauer gestaut, von der<br />

wiederum eine Rinne abging. Die Quellen auf dem<br />

Gelände wurden in Stein gefasst, so dass man leichter<br />

daraus schöpfen konnte. Es gab sogar eine unterirdische<br />

Sickergalerie – ein horizontaler Brunnen, der das Grundwasser<br />

aus den nahegelegenen Bergen herführte.<br />

Eine Zisterne lieferte das Trinkwasser, und womöglich<br />

versorgte das große Wasserbecken die Pflanzen. Dieses<br />

Wasserbecken war zudem so etwas wie eine natürliche<br />

Klimaanlage für den großen Festsaal, der zwischen Becken<br />

und tiefer liegendem Garten platziert war und in dem<br />

dadurch immer ein leichter Luftzug wehte. Geschwommen<br />

wurde nicht im Becken, aber die Musiker spielten auf<br />

Booten für die Festgäste auf. Felix Arnold<br />

GRABUNG AN DER<br />

WASSERLEITUNG<br />

Die Archäologen legten<br />

Teile der Wasserleitung<br />

frei, die das große<br />

Wasserbecken in den<br />

Garten entwässerte.<br />

Unter einer mächtigen<br />

Zerstörungsschicht<br />

wurden Reste des<br />

islamischen Gartens<br />

entdeckt.<br />

Foto: DAI Madrid, Arnold<br />

DAS GROSSE WASSERBECKEN HEUTE Die Mauern waren sorgfältig aus<br />

Quadern gefügt und anschließend mit Kalk verputzt. Ein purpurroter<br />

Anstrich sollte römisches opus signinum vortäuschen, einen wasserdichten<br />

Estrich. Foto: DAI Madrid, Patterson<br />

50 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 51


TITELTHEMA<br />

I<br />

II<br />

FRAKTALE UND KLIMARITUALE<br />

Naturwissenschaftliche Antworten auf archäologische Fragen<br />

I PROTOTYPEN Die „Knickpyramide“ und die „Rote<br />

Pyramide“ sind pharaonische Pilotprojekte aus dem Alten<br />

Reich, als zur Zeit Snofrus, Vater des Cheops, 2600 v. Chr. das<br />

Konzept Pyramide mitsamt der umliegenden Infrastruktur<br />

erfunden wurde. In Dahschur wurden insgesamt 3,5<br />

Millionen Kubikmeter Baumaterial transportiert und<br />

verbaut. Foto: Foto: DAI Kairo, Härtrich<br />

II DIE SCHARRBILDER oder „Nasca-Linien“ erstrecken sich<br />

über eine Fläche von 500 km 2 Foto: DAI KAAK<br />

Dahschur und Nasca<br />

Es war nicht „nur“ eine Pyramide, die man in den Wüstensand<br />

stellte. Das wäre schon gigantisch genug, tatsächlich<br />

war es noch sehr viel mehr. Es war Landschaftsarchitektur<br />

in ganz großem Stil, die Pharao Snofru betrieb. Da war<br />

nichts Na türliches mehr, selbst der Aufweg, der zur Pyramide<br />

führt – zur ersten der Pyramiden – ist aufgeschüttet, ist<br />

gestaltete Landschaft, die natürliche Entwicklung des<br />

Landschafts reliefs mit seinen durch Wind und Regen entstandenen<br />

Ero sionskanälen war unterbrochen worden.<br />

Doch mit normaler Geländemorphologie kann der menschliche<br />

Finger abdruck des Reliefs nicht entziffert werden.<br />

Hier helfen Fraktale ...<br />

Ähnlich gigantische Eingriffe in die Erdoberfläche, die so<br />

dimensioniert sind, dass man sie nur aus großer Höhe erkennen<br />

kann, dass sie – wie die Pyramiden – Anlass zu überund<br />

außerirdischen Spekulationen gaben, führen in die<br />

amerikanische Antike ins südliche Peru. Die riesigen Geoglyphen<br />

von Nasca können mit Hilfe elaborierter naturwissenschaftlicher<br />

Methoden wie Magnetometerprospektion,<br />

Geoelektrischer Prospektion oder Photogrammetrie<br />

in ihrer wirklichen Entstehung und Funktion verstanden<br />

werden. Und sie hatten viel weniger mit dem luftigen<br />

Element als vielmehr mit Wasser zu tun, denn in der Kultur,<br />

in der sie entstanden, drehte sich alles um Wasser.<br />

52 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 53


TITELTHEMA<br />

Fraktale Landschaften in Dahschur<br />

Die Pyramide allein macht keinen Forschungsgegenstand mehr in<br />

der modernen <strong>Archäologie</strong>. Man sieht sie als Teil eines Ganzen, als<br />

Werk von Menschen in einer bestimmten Umwelt, auf die der<br />

Mensch einwirkt und die umgekehrt immer auch ihren Tribut fordert.<br />

Archäologen des Deutschen Archäologischen Instituts unter<br />

der Leitung von Nicole Alexanian vom DAI Kairo arbeiten zusammen<br />

mit Geowissenschaftlern der Freien Universität Berlin an einer<br />

Landschaftsrekonstruktion des Grabungsplatzes Dahschur.<br />

Fluviale Erosion und menschliche Hand waren die Landschaftsarchitekten<br />

in Dahschur. Das Wasser suchte sich viele verzweigte<br />

Wege durch den Boden, die gigantische Baustelle Dahschur schuf<br />

Straßen und Transportwege, die wiederum die natürliche Erosion<br />

verstärken oder aber zusätzliche Materialien aufschütten konnte.<br />

Beide auseinanderzuhalten nach so langer Zeit und unter soviel<br />

Sand, ist nicht immer leicht. Die Geowissenschaftler hatten eine<br />

Idee. Die natürlichen fraktalen Muster der Erosionskanäle führen<br />

zu einer fraktalen Topographie, wenn fluviale Prozesse die Hauptfaktoren<br />

bei der Geländeformung sind. So kann auf der Grundlage<br />

eines digitalen Höhenmodells die fraktale Natur der natürlichen<br />

Erosionsrinnen ermittelt werden.<br />

EIN HAFEN FÜR DIE PYRAMIDE – HAFENBECKEN MIT AUFWEG<br />

Zu Snofrus Zeit verlief der Nil etwa 500 Meter weiter östlich. Sehr<br />

wahrscheinlich kam man vom Wasser zum Hafen der Pyramide, der hier<br />

eine echte Funktion hatte, während Hafenanlagen an anderen Pyramiden<br />

oft nur symbolischer Art waren. Vom Hafen führte ein Aufweg zum<br />

Taltempel, ein weiterer von dort zur Pyramide. Da Hafenbecken und die<br />

umliegenden Bauten unter einer sieben Meter dicken Sandschicht liegen,<br />

untersuchten die Archäologen das Gelände zunächst magnetometrisch,<br />

um einen Ausgangspunkt für die Suche zu haben (oben). Foto: DAI Kairo<br />

54 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 55


Die Archäologin Dr.<br />

Nicole Alexanian von der<br />

Abteilung Kairo des DAI<br />

leitet die Grabungen des<br />

Instituts in Dahschur.<br />

DIE KÖNIGLICHEN PYRAMIDEN<br />

VON DAHSCHUR<br />

Tief in der Wüste liegen die Pyramiden des Königs Snofru, die Rote Pyramide<br />

und die Knickpyramide. Ausgedehnte Friedhöfe hoher Beamter befinden sich<br />

in der Nähe, am Wüstenrand die Siedlungen und der Taltempel. Dahschur<br />

wurde von König Snofru in der 4. Dynastie (um 2600 v. Chr.) inauguriert und<br />

fungierte in seiner Regierungszeit als Residenznekropole. Durch das gesamte<br />

Alte Reich (über 400 Jahre bis 2.200 v. Chr.) hindurch führten Priester den Kult<br />

an seinen Pyramiden durch. Sie bewohnten die Pyramidenstädte am<br />

Fruchtlandrand und wurden in Dahschur begraben. Im Mittleren Reich (12.<br />

und 13. Dynastie, 1.900-1.700 v. Chr.) wurde Dahschur wieder ein königlicher<br />

Begräbnisplatz und auch der Kult am Tempel der Knickpyramide wurde<br />

wieder aufgenommen. Nicole Alexanian<br />

TITELTHEMA<br />

FRAKTALE LANDSCHAFTEN Im Vergleich erkennt man gut die fraktale Beschaffenheit<br />

der natürlichen Landschaft (u.r.) im Unterschied zu der von Menschen gemachten (u.l.).<br />

Die natürlichen Erosionsrinnen übertragen ihre fraktale Natur, die im digitalen Höhenmodell<br />

als selbstähnlicher Baum zu erkennen ist, auf die Oberfläche. Als Fraktal wird ein<br />

geometrisches Muster bezeichnet, das eine gebrochene Dimensionalität und zudem<br />

einen hohen Grad von Selbstähnlichkeit aufweist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein<br />

Objekt aus mehreren verkleinerten Kopien seiner selbst besteht. Abb.: Arne Ramisch,<br />

Freie Universität Berlin, Geowissenschaften<br />

Klimarituale in Südperu<br />

Alles dreht sich um Wasser. Es ist wie „der große Geist“, der über<br />

allem schwebt. Wasser ist das zentrale Thema bei den weltberühmten<br />

Geoglyphen in Peru, die nach der unweit liegenden<br />

Stadt auch Nasca-Linien genannt werden. Bis zu 20 Kilometer lange<br />

schnurgerade Linien, Dreiecke und trapezförmige Flächen,<br />

große bis riesige Figuren, Abbilder von Menschen, Affen, Vögeln<br />

und Walen sind in wenige Zentimeter tiefen Linien in die Erde geritzt.<br />

Viel war schon geschrieben und geraunt über Ziel und Zweck<br />

der gigantischen Kunstwerke, die erstmals in der Zeit der Paracas-<br />

Kultur zwischen 800 und 200 v. Chr. errichtet wurden – viel früher,<br />

als man ursprüngllich angenommen hatte. Um aber ihrem Geheimnis<br />

wirklich auf die Spur zu kommen, musste man mit der<br />

Forschung noch einmal von vorn anfangen.<br />

NACHSTELLUNG EINER PROZESSION<br />

auf einer spiralförmigen Geoglyphe<br />

der Nasca-Zeit (200 v. Chr.-600 n. Chr.),<br />

so wie sie wohl einmal als Teil von<br />

Ritualen im Zusammenhang mit<br />

Wasser- und Fruchtbarkeitskulten<br />

stattgefunden haben könnte.<br />

Markus Reindel von der Kommission für <strong>Archäologie</strong> Außereuropäischer<br />

Kulturen (KAAK) des DAI leitet seit 1996 die Arbeiten in<br />

Südperu, die in das große Verbundprojekt „Anden-Transekt“ des<br />

DAI eingebunden sind.<br />

Anders als es bei früheren Untersuchungen der Fall war, hatten<br />

sich die Forscher auf die Suche nach den Siedlungen gemacht, die<br />

zu den Geoglyphen gehören mussten. Ohne kulturellen Kontext<br />

versteht man keine Technik und kann auch ihren Sinn nicht ermit-<br />

56 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 57


TITELTHEMA<br />

I II III<br />

I Die Steinhaufen nach der Ausgrabung. Es handelt sich um die Reste von Plattformen, die zur<br />

Nasca-Zeit (200 v. Chr.-600 n. Chr.) für Rituale im Zusammenhang mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten<br />

genutzt wurden.<br />

II<br />

Detail einer der stark erodierten Plattformen.<br />

GEOGLYPHEN an einem Berghang bei Palpa, die aufgrund ihrer stilistischen Ähnlichkeit mit Motiven auf Geweben der Paracas-Kultur (800-200 v. Chr.) zugeordnet<br />

werden können.<br />

III Reste von Feldfrüchten (Mais), Textilien und Spondylusmuscheln sowie Werkstücken, die als<br />

Opfergaben auf den Steinplattformen niedergelegt wurden. Fotos und Abbildungen: DAI KAAK<br />

teln. Und ohne moderne Technik bei den Forschungsmethoden<br />

gehen Archäologen heute nicht mehr ins Feld. In Kooperation mit<br />

der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) wurden<br />

photogrammetrische Messungen durchgeführt, um schließlich<br />

einen virtuellen Überflug über die gigantischen Scharrbilder<br />

machen zu können.<br />

In der Folge gab eine Sensation die nächste. Reindel und seine<br />

Kollegen fanden Petroglyphen, die älter waren als die Geoglyphen<br />

und dieselben Motive schließlich auch auf Textilien, so dass<br />

sie einen weiteren Beleg dafür hatten, dass die Scharrbilder in der<br />

Paracas-Zeit entstanden waren. Darüber hinaus entdeckten sie<br />

Gebäude auf den Geoglyphen und in diesen Gebäuden Opfergaben<br />

wie Feldfrüchte, Keramik, Textilien und vor allem Spondylusmuscheln,<br />

ein kostbares Handelsgut, das von weither kam und<br />

überall, wo es auftaucht, mit Wasser- und Fruchtbarkeitskulten<br />

verbunden ist. Heute weiß man, dass die Fruchtbarkeitsrituale<br />

durch periodische Klimaschwankungen veranlasst waren.<br />

Wasser ist seit jeher zentral für das gesamte kultische Geschehen<br />

in der Region wie auch für die Besiedlung und die Wanderungsbewegungen.<br />

Ändern sich Klima und Landschaft, werden die Siedlungen<br />

verlagert. Ist es auf der Höhe unwirtlich, zieht man an die<br />

Küste. Wird es dort zu trocken, verlagert man die Siedlungen wieder<br />

in die Berge. Bis auf 5000 Meter Höhe sind die Menschen gezogen<br />

und haben sich die natürlichen Bedingungen so gut es<br />

ging zunutze gemacht. Als es in den Bergen wieder trockener<br />

wurde, verstärkte man die Wasserrituale, ritzte mehr Linien und<br />

Figuren, erhandelte mehr Muscheln, doch es wurde immer trockener.<br />

Als die Menschen begriffen, dass ihre Mühe vergeblich<br />

war, gingen sie weg.<br />

Der Archäologe Dr. Markus<br />

Reindel leitet die Forschungen<br />

in Südperu in Kooperation mit<br />

einem Team vom Geographischen<br />

Institut der Universität<br />

Heidelberg unter Leitung von<br />

Prof. Dr. Bernhard Eitel<br />

ANDEN-TRANSEKT<br />

Die Forschungen zu den Geoglyphen und deren Erfassung sind eingebunden in das Verbundprojekt<br />

„Anden-Transekt“, in dem die vorspanischen Umwelt- und Kulturentwicklung mit Hilfe modernster<br />

naturwissenschaftlicher und archäologischer Methoden erforscht wird. Das Untersuchungsgebiet liegt an<br />

der Westseite der peruanischen Anden zwischen der Pazifikküste und dem Westrand des Altiplano. In<br />

einem vierdimensionalen Ansatz werden Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt im Verlauf der<br />

präkolumbischen Geschichte analysiert. Wie haben die autochthonen Gesellschaften Südamerikas<br />

naturbedingte Umbruchsituationen bewältigt? Wurden damit schubartig kulturelle Entwicklungen<br />

beschleunigt? Wie gingen daraus neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hervor? Die<br />

modellartigen Rahmenbedingungen in Westperu, unter denen sich diese Prozesse vollzogen haben,<br />

lassen grundsätzliche Erkenntnisse für das Verständnis menschlicher bzw. gesellschaftlicher Entwicklung<br />

erwarten. Geistes- und Naturwissenschaftler arbeiten eng zusammen, um die Menschheits- bzw. Kulturgeschichte<br />

und die Umweltgeschichte im Arbeitsgebiet zu erforschen. Eines ist bei allen Forschungen<br />

deutlich geworden: Es geht immer um Wasser. Markus Reindel<br />

VIRTUELLER ÜBERFLUG In Koopera tion mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) konnten die DAI-Archäologen photogram metrische<br />

Messungen durchführen, um schließlich einen virtuellen Überflug über die gigantischen Scharrbilder machen zu können. Die Photogram metrie ist eine<br />

Fern erkundungsme thode, bei der aus Fotografien und genauen Messbildern von Objekten ihre räumliche Lage oder ihre Form bestimmt werden.<br />

Geländemodell: ETH Zürich, Lambers<br />

58 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 59


PORTRÄT<br />

1994 war Iris Gerlach zum ersten Mal im<br />

jemenitischen Sana’a, 1997 mit einem Reisestipendium<br />

des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts im äthiopischen Yeha.<br />

„Schon damals stand ich dort vor diesem<br />

riesigen Monumentalbau und fragte mich,<br />

wie die beiden Regionen wohl in der Antike<br />

miteinander verbunden gewesen sein<br />

mochten.“ Wichtige Lebensentscheidungen<br />

waren bereits gefallen, das Studium<br />

der Vorderasiatischen <strong>Archäologie</strong>, Klassischen<br />

<strong>Archäologie</strong>, Assyriologie und Byzantinischen<br />

Kunstgeschichte hatte den<br />

Wunsch aus Kinderzeiten erfüllt, Archäologin<br />

zu werden. Die Dissertation 1997<br />

„Zentrum und Peripherie. Eigenständigkeit<br />

und Abhängigkeit künstlerischen<br />

Schaffens im neuassyrischen Einflussgebiet“<br />

ist schon Ausdruck der Leidenschaft<br />

für Fragen des Ineinandergreifens von Kulturen,<br />

ihrer Gedanken, Künste und Handelsbeziehungen.<br />

Der Vordere Orient im<br />

Allgemeinen, Südarabien und speziell Jemen<br />

im Besonderen sind die Regionen, in<br />

und zu denen Iris Gerlach arbeitet. Der<br />

„riesige Monumentalbau“ ist der Große<br />

Tempel von Yeha im heutigen Äthiopien,<br />

anhand dessen sie Fragen der Baugeschichte,<br />

des Kultur- und Techniktransfers<br />

und der überregionalen Beziehungen erforscht.<br />

Seit 2000 ist Iris Gerlach Leiterin der DAI-<br />

Außenstelle in Sana’a, der Hauptstadt der<br />

Republik Jemen, wo sie auch deswegen<br />

gern arbeitet, weil man hier noch archäologische<br />

Pionierarbeit leisten kann. „Das<br />

antike Südarabien spielte in der archäologischen<br />

Erforschung alter Kulturen lange<br />

Zeit eine untergeordnete Rolle“, erklärt<br />

Gerlach. Selbst der hohe Klang des Wortes<br />

„Saba“ hat daran lange nichts geändert.<br />

Die sabäische Kultur – entstanden gegen<br />

Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. am östlichen<br />

Rand des jemenitischen Hochlands<br />

– in ihrer Entstehung<br />

und Entwicklung nachzuzeichnen,<br />

ist einer<br />

IRIS<br />

GERLACH<br />

Die Archäologin Dr. Iris Gerlach leitet seit<br />

2000 die Außenstelle Sana’a des<br />

Deutschen Archäologischen Instituts im<br />

Jemen. Foto: Wannenmacher<br />

„Bevor man anfängt, etwas zu<br />

beurteilen, sollte man schon eine<br />

Weile in einem Land gelebt haben.“<br />

der Forschungsschwerpunkte<br />

der Archäologin.<br />

Doch Iris Gerlach<br />

weiß, dass eine Kultur<br />

nie etwas in sich Geschlossenes<br />

mit einer<br />

klaren Kontur ist. „Spuren<br />

der sabäischen Kultur finden sich auch<br />

in Äthiopien“, sagt sie. „Durch die Erforschung<br />

des äthio-sabäischen Gemeinwesens<br />

auf der afrikanischen Seite des Roten<br />

Meeres blickt man anders auf die Ursprungskultur,<br />

und im Vergleich miteinander<br />

lassen sich beide besser erklären.“<br />

Überregionale Beziehungen gab es zu allen<br />

Zeiten, auch wenn man sich heute<br />

kaum vorstellen kann oder will, wie mobil,<br />

ja globalisiert, einzelne Gesellschaften in<br />

der Antike waren, betont die Altertumswissenschaftlerin.<br />

„Ich liebe diesen Beruf“, bringt sie das für<br />

sich zum Ausdruck. Einmal eine Grabung<br />

zu leiten, war immer ein großes Ziel. Das<br />

meiste Arabisch hat sie im Feld gelernt –<br />

und wie ist es mit dem Hin- und Herspringen<br />

zwischen Berlin und Sana’a? „Nein,<br />

das ist kein Problem“, lacht sie. Man muss<br />

sich einlassen auf das Land, in dem man<br />

arbeitet, man sollte die Diplomatie beherrschen,<br />

muss wissen, was geht und was<br />

nicht. „Bevor man anfängt, etwas zu beurteilen,<br />

sollte man schon eine Weile im<br />

Land gelebt haben.“<br />

Iris Gerlach ist auch und vor allem als Archäologin<br />

in zahlreichen entwicklungsund<br />

kulturpolitischen Projekten engagiert.<br />

„Das entwicklungspolitische Potential<br />

der <strong>Archäologie</strong> ist noch gar nicht<br />

richtig erkannt“, weiß sie. Vielerorts sind<br />

Grabungslizenzen ohnehin an die Bedingung<br />

geknüpft, einen Masterplan für die<br />

Restaurierung von Ruinen zu erstellen<br />

sowie einen Fundplatz touristisch zu erschließen.<br />

So werden etwa lokale Kräfte<br />

als Touristenführer geschult. Gemeinsame<br />

Workshops zu Restaurierungsmethoden<br />

oder Ausgrabungs- und Vermessungstechniken<br />

schaffen Nachhaltigkeit.<br />

Beim Bau des Museums in Yeha werden<br />

Steinmetz- und Mörteltechniken als<br />

Handwerk gelehrt. Die Frauen der Region<br />

stellen Keramik in traditioneller Technik<br />

her und erfahren darüber hinaus, wie<br />

man ein Geschäft daraus machen kann.<br />

„<strong>Archäologie</strong> ist eben nicht nur wichtig<br />

für den Erhalt kultureller Identität“, sagt<br />

Iris Gerlach. „Sie kann auch Beschäftigung<br />

fördern und Einkommen für die lokale<br />

Bevölkerung schaffen.“<br />

FRIEDRICH<br />

LÜTH<br />

„Kulturgüterschutz“ ist ein sperriges Wort,<br />

die Sache eine schwierige Kunst, weil man<br />

mit einfachen Wahrheiten nicht sehr weit<br />

kommt. „Kulturerbe-Management kann<br />

man nur im internationalen Kontext denken<br />

und betreiben“, sagt Friedrich Lüth.<br />

Der Archäologe ist Sonderbeauftragter für<br />

Kulturgüterschutz des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts, zu dessen Auftrag es<br />

gehört, das kulturelle Erbe weltweit zu erforschen<br />

und zu schützen.<br />

Woher aber kommt das Bedürfnis, das kulturelle<br />

Erbe zu bewahren? „Es war ursprünglich<br />

ein Anliegen von Eliten, die<br />

sich für ihre Familiengeschichten interessieren<br />

und dort Selbstvergewisserung<br />

und Legitimation durch Verankerung in<br />

historischer Tiefe suchen“, erklärt Lüth.<br />

1816 gab es hierzulande das erste Denkmalschutzgesetz,<br />

das Interesse an Altertümern<br />

stieg im 19. Jahrhundert insgesamt,<br />

sei es auf der Suche nach Heimat, sei es im<br />

Bestreben, exotische Abenteuer in fernen<br />

Ländern zu erleben oder sagenumwobene<br />

Geheimnisse zu lüften.<br />

Bei Friedrich Lüth hatte die Liebe zu den<br />

alten Dingen in der Schule begonnen. Das<br />

Lüneburger Gymnasium lehrte Latein und<br />

Griechisch, der Ferienjob bei der Ausgrabung<br />

in der Heide setzte nach. „Da hat es<br />

gefunkt.“ Das Studium der Vor- und Frühgeschichte<br />

war eine leichte Entscheidung.<br />

Dazu kam die Geographie, und die archäologische<br />

„Heide“ Lüths wurde immer<br />

größer. „Irgendwann bin ich im Orient<br />

hängengeblieben.“ Er arbeitete viele Jahre<br />

im Libanon und Syrien, im Iran, im Irak,<br />

aber auch in Frankreich, Großbritannien,<br />

Griechenland und Deutschland.<br />

DR. FRIEDRICH LÜTH ist Sonder be auftragter<br />

für Kulturgüterschutz und Site<br />

Management des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts. Foto: Wannenmacher<br />

„Kulturerbe-Management kann<br />

man nur im internationalen<br />

Kontext denken und betreiben.“<br />

Schließlich wurde der Schwerpunkt seiner<br />

Arbeit die Denkmalpflege. Lüth stand im<br />

Dienst verschiedener Landesdenkmalbehörden,<br />

dem Landesamt in Mecklenburg-<br />

Vorpommern bis 2006 vor, war von 1993<br />

bis 2006 Vorstand der Landesarchäologen<br />

und ist seit der Gründung des „Europae Archaeologiae<br />

Consilium“ (EAC) auf internationaler<br />

Ebene im Denkmalschutz engagiert<br />

– derzeit auch als Präsident der European<br />

Association of Archaeologists (EAA)<br />

zwischen europäischen Einrichtungen in<br />

Straßburg und Brüssel. Hier berät man<br />

sich europäisch, was Lüths Selbstverständnis<br />

sehr entgegenkommt. „Es gibt<br />

nicht den einen Weg“, weiß er. „Aber man<br />

kann und sollte sich auf Standards einigen.“<br />

Geht bei alledem nicht der Zauber<br />

der <strong>Archäologie</strong> im Verwaltungskram unter?<br />

„Ich bin sehr zufrieden damit, als Wissenschaftsmanager<br />

bezeichnet zu werden“,<br />

erklärt er. „Sinn der Sache ist dabei<br />

aber nicht, sich nur mit dem Management<br />

der Angelegenheiten des internen Zirkels<br />

zu beschäftigen. Vor allem ist es wichtig,<br />

auch nach außen zu kommunizieren.“<br />

Den Begriff „Denkmalschutz“ hört er eigentlich<br />

nicht so gern. Zu rückwärtsgewandt.<br />

„Es ist auch nicht das, was wir heute<br />

machen.“ Heute denkt man mehr in<br />

Strukturen, findet er. Man sieht die Menschen<br />

in ihrer „gebauten Umwelt“, gerade<br />

so, wie sie auch Bewohner einer Kulturlandschaft<br />

sind. Und das, was man früher<br />

eben „Denkmalschutz“ nannte, solle man<br />

besser als Management der Veränderungen<br />

bezeichnen. „Beim Kulturgüterschutz<br />

geht es auch nicht darum, Momentaufnahmen<br />

der Geschichte zu konservieren“,<br />

sagt Lüth. „Die Veränderungen gehören<br />

dazu, und niemand würde ernsthaft wollen,<br />

dass alles so aussieht wie vor 2000<br />

Jahren.“ Außerdem sollten ganz irdische<br />

Überlegungen einen allzu romantischen<br />

Blick aufs Alte hier und da korrigieren:<br />

„Wenn man Ruinen erhält und sie unter<br />

Schutz stellt, bedürfen sie der Pflege. Um<br />

das finanzieren zu können, muss man sie<br />

in bestehende Wertschöpfungsketten einbinden.“<br />

Und was man nicht nutzen kann,<br />

muss trotzdem irgendwer bezahlen.<br />

Kulturerhalt ist also nicht<br />

„nur“ Wissenschaft. Kulturerhalt<br />

ist immer auch eine –<br />

mitunter brisante – politische,<br />

soziale und ökonomische<br />

Angelegenheit, die<br />

häufig der Mediation bedarf,<br />

wenn es darum geht, einen<br />

Interessenausgleich zu finden<br />

zwischen den Bedürfnissen heutiger Menschen<br />

– wie etwa Wohnraum in wachsenden<br />

Städten – und den ebenso berechtigten<br />

Wünschen, die Antiken zu erhalten,<br />

die wiederum in vielen der Länder, in denen<br />

das DAI arbeitet, nicht nur ein Anker für die<br />

historische Selbstvergewisserung und Identitätsbildung<br />

sind, sondern auch ein eminent<br />

wichtiger Wirtschaftszweig. „Touristische<br />

Konzepte zu entwickeln, spielt an vielen<br />

Grabungsplätzen des DAI eine überaus<br />

wichtige Rolle“, erklärt Friedrich Lüth. „Tourismus<br />

ist der viertstärkte Wirtschaftszweig<br />

weltweit, das macht also Sinn.“<br />

Und dabei muss man gar nicht an Pyramiden<br />

und Peristyle denken. Das funktioniert<br />

auch an der Ostsee. Lüth hat den Vorsitz<br />

der Monitoring Group Cultural Heritage<br />

des Ostseerats, wo Archäologen im<br />

Rahmen des 12 Jahre währenden Sincos-<br />

Projekts das Unterwasserkulturerbe einer<br />

ganz und gar heimischen Region untersuchten.<br />

Friedrich Lüth lacht: „Da war jede<br />

Menge Vineta ...“.<br />

60 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 61


ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

Prof. Dr. Svend Hansen ist Direktor der<br />

Eurasien-Abteilung des DAI und Grabungsleiter<br />

in Pietrele. Dr. Agathe Reingruber ist<br />

Wissenschaftliche Mitarbeiterin der<br />

Eurasien-Abteilung und koordiniert jedes<br />

Jahr die Vorbereitungen für die<br />

Grabungs kampagne.<br />

PIETRELE<br />

Der Siedlungshügel „Măgura Gorgana“ war im 5. Jahrtausend v. Chr. eine imposante<br />

Erscheinung. Der ca. neun Meter hohe Tell ragte auf der untersten Terrasse des<br />

Donautals etwa 15 Meter über das damalige Niveau der Aue hinaus. Der Siedlungshügel<br />

war in ein Netz vergleichbarer Siedlungen an der Unteren Donau, Nordostbulgariens<br />

und Thrakiens eingebunden. Im 5. Jahrtausend v. Chr. war dieser Raum<br />

durch die dynamische Entfaltung der Kupfermetallurgie geprägt.<br />

Erstmals wurden Äxte und Beile sowie zahlreiche Schmuckobjekte aus Kupfer<br />

hergestellt. Zugleich setzte im Balkangebirge und im östlichen Serbien die<br />

bergmännische Gewinnung von Kupfererzen ein. Pietrele war Teil eines überregionalen<br />

Austauschnetzes, das sich anhand gleichartiger Artefakte zwischen der<br />

Nordägäis und der Walachei, der Schwarzmeerküste und Oltenien nachweisen lässt.<br />

Die Entfernung bis zum Schwarzen Meer beträgt ca. 200 Kilometer, und ebenso<br />

weit ist es bis nach Varna. Dort wurde in den 1970er-Jahren ein Friedhof freigelegt,<br />

in dessen unterschiedlich reich ausgestatteten Gräbern sich die Herausbildung<br />

sozialer Ungleichheiten zeigt. Svend Hansen<br />

SCHERBEN BRINGEN GLÜCK<br />

Wie in Pietrele Schicht um Schicht eine antike Gesellschaft<br />

zum Leben erweckt wird<br />

UNTERKUNFT<br />

In 50 Zelten, gruppiert um das Schulhaus von Pietrele, wohnen die Archäologen während einer Kampagne. Die Duschen sind selbst gebaut.<br />

Bei 50 Grad im Schatten hören die Thermometer auf zu arbeiten,<br />

doch Schatten ist rar in der südrumänischen Walachei. Es ist Hochsommer,<br />

die Zeit, in der die Archäologen Jahr für Jahr in das kleine<br />

Dorf Pietrele kommen. In den Ferien dient die Schule des Ortes als<br />

Grabungshaus. 50 Zelte stehen dann um das einfache Gebäude<br />

herum, für jeden eines, zwei Busladungen Material und technisches<br />

Gerät sind herbeigeschafft worden, ebenso die Koffer der<br />

Mitarbeiter, die aus aller Welt kommen: aus Berlin, Sofia, aus Georgien,<br />

der Türkei, den USA und je nach Kampagne aus verschiedenen<br />

anderen Ländern. Das alles muss koordiniert werden.<br />

11,5 TONNEN SCHERBEN ...<br />

Svend Hansen und Agathe Reingruber von der Eurasien-Abteilung<br />

des Deutschen Archäologischen Instituts erklären die Vorgehensweise<br />

der Forscher: „Wir gehen in 10-cm-Schritten nach unten<br />

und graben uns bis zum Beginn der Besiedlung vor.“ Das klingt<br />

nach mühevoller Kleinarbeit, und das ist es auch. „Es kann noch<br />

einige Kampagnen dauern, bis wir ‚unten’ sind“, umreißt Agathe<br />

Reingruber den Zeitraum, der noch vor ihnen liegt. Und genauso<br />

lange dauert es, bis man anfängt zu begreifen, was es mit einem<br />

archäologischen „Platz“ auf sich hat. „Nach zehn Jahren kann man<br />

davon ausgehen, etwas verstanden zu haben“, sagt Hansen. Es<br />

geht ja nicht „nur“ um ein paar Scherben. „Nein, es geht um die<br />

Rekonstruktion einer antiken Gesellschaft in ihrem kulturellen Zuschnitt<br />

und in der Anverwandlung ihres natürlichen Lebensraums.“<br />

Aus der Traum vom schnellen Glück, bei dem die Helden<br />

ins Feld ziehen und mit Schatzkarte und Spaten – oder GPS und<br />

SUV – ins antike Geschehen geradezu hineinstolpern und auch<br />

sofort wissen: „Hier muss es sein ...“ Jeder Grabung gehen mitunter<br />

langfristige und aufwändige Surveys voraus, und wenn die Forschungsgeschichte<br />

einer Region, die Anhaltspunkte über mögliche<br />

archäologische Stätten liefern könnte, noch nicht sehr ausgeprägt<br />

ist, kann das ein aufwändiges Unterfangen sein<br />

Vor der Phase der 10-cm-Schritte wird in der neu entdeckten Außensiedlung<br />

im Norden und Westen des Tells erst einmal mit schwerem<br />

Gerät eine meterhohe, fundleere Bodenschicht abgetragen,<br />

erst dann kommen die feineren Instrumente zum Einsatz. Jedes<br />

noch so kleine Stück wandert in eine Fundtüte, die gut verschlossen<br />

und beschriftet wird. Perfekte Dokumentation ist das A und O<br />

archäologischer Arbeit: „Wenn ich nicht weiß, woher das Fundstück<br />

kommt, kann ich es genau so gut wegwerfen“, sagt Hansen.<br />

Die Stücke werden nicht nur fotografiert, sondern auch gezeich-<br />

ORDNUNGSARBEITEN Gleich nachdem sie geborgen sind, müssen die Funde sorgfältig dokumentiert werden. Fotos: DAI – Eurasien-Abteilung<br />

62 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 63


ALLTAG ARCHÄOLOGIE<br />

PAUSE Für das leibliche Wohl sorgt eine Köchin mit einem kleinen<br />

Catering-Betrieb<br />

MATCH Wenn es nicht zu heiß ist, wird in der Freizeit Fußball gespielt.<br />

Fotos: DAI – Eurasien-Abteilung<br />

PROVISORIUM<br />

Das Schulhaus von Pietrele dient den Archäologen in den Sommerferien als Grabungshaus.<br />

net. Eine Zeichnung ist dem Foto bei der Abbildung bestimmter<br />

struktureller Merkmale der Artefakte überlegen, das Foto ist genauer<br />

bei der Wiedergabe von Oberfläche und Farbe. Zwei Mal<br />

wird gewaschen, einmal entsintert, Knochen, Muscheln, Scherben<br />

werden sortiert, gewogen, gemessen, gezählt. Einmal haben zwei<br />

Frauen aus der Gruppe 5200 Muscheln ausgezählt. Doch was auf<br />

den ersten Blick wie dokumentarischer Selbstzweck aussieht, bietet<br />

reiche Aufschlüsse über die Lebensweise der antiken Gemeinschaft:<br />

die Organisation der Arbeit, die Nahrungsgewohnheiten<br />

und sogar die antike Landschaft, die klimatisch und topografisch<br />

eine ganz andere war als die heutige.<br />

Es sind aber nicht nur einzelne Scherben, die die Archäologen finden.<br />

Manchmal sind auch ganze Gefäße dabei, manchmal lassen<br />

sie sich auch aus einzelnen Scherben zusammensetzen. 11,5 Tonnen<br />

Scherben sind in Pietrele bislang gefunden – eine Tonne pro<br />

Jahr – 400.000 Scherben und 1.649 vollständige Gefäße.<br />

„Das ist nicht so viel, wie es sich anhört“, erklären die Archäologen.<br />

„Man muss sich vor Augen halten, dass alles, was wir heute in Plastikgefäßen,<br />

Flaschen, Gläsern, Dosen, Papier und Karton aufbewahren,<br />

früher in Keramikgefäßen gelagert wurde.“ Sicher gab es<br />

auch Holz- und Textilbehälter oder Körbe, aber die sind nach 6000<br />

Jahren nun einmal verschwunden.<br />

DER TAG<br />

Um halb sieben fährt der Bus die viereinhalb Kilometer vom Dorf zur<br />

Grabung. Gearbeitet wird in zwei Gruppen. Die einen graben, die<br />

anderen dokumentieren, keramische Funde werden sofort bear-<br />

beitet. Bei der Menge an Material wäre es fatal, die Dokumentationsarbeit<br />

auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. „Früher war das<br />

in der <strong>Archäologie</strong> gang und gäbe“, sagt Hansen. Das konnte vielleicht<br />

funktionieren, wenn man ein gutes Tagebuch hatte. Heute<br />

aber ist es Standard, mit der Dokumentation stets à jour zu sein.<br />

Bis 14.30 Uhr wird gegraben, danach ist frei, warmes Abendessen<br />

gibt es um 19 Uhr. „Unsere Köchin ...“ sagen die Archäologen. Was<br />

so kolonial klingen könnte, ist eher die Beschreibung eines kleinen<br />

Catering Service. Die Köchin hat zwei Assistenten, wohnt bei<br />

der Schule, wo sie für die 50 Leute auch kocht und das Essen anschließend<br />

an Mann und Frau bringt. Auf dem Speiseplan stehen<br />

Kartoffeln und Gemüse, Spiegelei mit Pommes, gefüllte Paprika.<br />

Hähnchenkeule mit Püree, Erbsen und Würstchen, gebackene<br />

Zucchini mit Knoblauchsauce. Das Frühstück besteht aus weißem<br />

Käse zum Brot, Tomate, Paprika, Nutella, Marmelade oder Biomüsli<br />

aus dem Drogeriemarkt. Fleisch ist rar, nur an den Wochenenden<br />

wird gelegentlich ein Schaf gegrillt. Ein großes Forschungsinstitut<br />

wie das DAI ist an den Plätzen, an denen es arbeitet, immer auch ein<br />

Arbeitgeber. Die jungen Männer, die als Grabungsarbeiter angeheuert<br />

werden, haben in schwierigen Zeiten kaum Chancen, einen<br />

guten Arbeitsplatz zu finden. Und haben sie einmal Feuer<br />

gefangen bei der archäologischen Arbeit, geben sie zuhause gern<br />

die Erfolge des Tages zum Besten: „Stellt Euch vor, wir haben heute<br />

ein Superblade gefunden ...“.<br />

AM ANFANG DAS ABENTEUER<br />

Inzwischen laufen die Arbeiten mit einer guten Routine. „Anfangs<br />

war es Abenteuer mit wenig Geld und vielen Hindernissen“, erzählt<br />

Agathe Reingruber von den Anfängen. Das Pilotprojekt wurde<br />

2002 durchgeführt, die erste Kampagne 2004, und dann gab es<br />

außer den wissenschaftlichen auch ganz praktische Fragen zu<br />

beantworten: Wie baut man eine Dusche? Was tun, wenn bei Regen<br />

der Strom ausfällt? Für den Brunnen mussten die Archäologen<br />

40 Meter tief bohren. „Es war ein Alptraum“, erinnert sich Reingruber.<br />

Und wo heute vier Supermärkte und ein großer Drogeriemarkt<br />

für den täglichen Bedarf zur Verfügung stehen, gab es anfangs<br />

einen winzigen Dorfladen, in dem vorwiegend Schnaps<br />

verkauft wurde.<br />

Einmal pro Kampagne regnet es. Das lindert zwar die hochsommerliche<br />

Hitze, aber der Regen hat es in sich. „Sie haben dann vier<br />

Minuten, um von der untersten Donauterrasse auf die oberste zu<br />

kommen“, lacht Svend Hansen. Sonst wird es so schlammig und<br />

glatt, dass Mensch und teures Gerät einfach steckenbleiben. Alle<br />

flüchten so schnell sie können, in die Schule. Die meisten sind<br />

nass geworden und dampfen auf engstem Raum. In solchen Fällen<br />

verordnet der Grabungsleiter Pizza in der Kreisstadt. sw<br />

SPATEN, KELLE, ERSTANSPRACHE<br />

Die Archäologen gehen in 10-cm-Schritten nach unten und graben sich bis zum Beginn der Besiedlung vor. Es wird noch einige Kampagnen dauern, bis<br />

sie „unten“ sind. Am Beginn der Grabungsarbeit kommt mitunter schweres Gerät zum Einsatz, ein Bagger hebt die „Pflugschicht“ ab, nachdem eine<br />

Sondierungsgrabung, eine geomagnetische Prospektion oder eine Untersuchung mit dem Georadar stattgefunden hat, um festzustellen, ob man an der<br />

richtigen Stelle gräbt und um so wenig wie möglich zu zerstören. Die entstehende rechteckige Grube ist der Grabungsschnitt. Die Schnittkanten werden<br />

per Spaten gerade abgestochen, die Fläche selbst glatt geschoben, und mit „Archäologenkellen“ erfolgt der Feinputz auf der gesamten Fläche des Schnitts.<br />

Jeder Schnittleiter führt eine Dokumentationsmappe, in der die einzelnen Grabungsschnitte akribisch festgehalten werden. Es wird gemessen und in<br />

Koordinaten unterteilt, markiert, fotografiert, die Umrisse des Schnitts gezeichnet im Maßstab 1 : 100, die Teilblätter 1 : 20; man darf auch nicht vergessen,<br />

Höhenunterschiede einzutragen, markierte Befunde werden nummeriert und eingezeichnet. Schließlich werden die Stücke beschrieben: ihre Form, die<br />

Ausrichtung, Größe und Lage, die Zusammensetzung und ihre vermutliche Funktion. Die Archäologen nennen dies die „Erstansprache“. Nun wird Schicht<br />

für Schicht abgetragen, wieder werden Koordinaten aufgenommen, nivelliert, gezeichnet und fotografiert. Irgendwann ist erkennbar, was der Fund sein<br />

könnte, die nächste Schicht wird abgetragen – und dann noch einmal ganz genau beschrieben. Das nennen die Archäologen die „Endansprache.<br />

Fotos: DAI Eurasien-Abteilung<br />

64 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 65


STANDORT<br />

SPUREN DER JAHRTAUSENDE<br />

Die Römisch-Germanische Kommission in Frankfurt am Main<br />

DIE STANDORTE DES DEUTSCHEN<br />

ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS<br />

www.dainst.org/de/department/rgk<br />

info.rgk@dainst.de<br />

Berlin<br />

Bonn<br />

München<br />

Frankfurt am Main<br />

Athen<br />

Istanbul<br />

Rom<br />

Lissabon<br />

Madrid<br />

Kairo<br />

Jerusalem<br />

Amman<br />

Sana´a<br />

Peking<br />

Baghdad<br />

Damaskus<br />

Ulaanba_atar<br />

Teheran<br />

Die Römisch-Germanische Kommission wurde 1902 gegründet,<br />

um das römische Erbe und darüber hinaus die gesamte „heimische“<br />

Vorgeschichte Europas zu erforschen. Das bedeutet heute<br />

– nach 110 Jahren Kooperationen in einem immer enger zusammenwachsenden<br />

Europa – natürlich etwas anderes als zur Zeit<br />

der Reiche und Empires. Ein gemeinsames Europa also ist der<br />

Hauptforschungsgegenstand der RGK in Frankfurt am Main, die<br />

mit eigener Satzung unter dem Dach des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts arbeitet. Die ältesten Perioden Europas markieren<br />

den zeitlichen Ausgangspunkt der Forschung, die über die<br />

Metallzeiten bis schließlich ins Mittelalter reicht. Ein Schwerpunkt<br />

ist die Arbeit zu den großen weit verzweigten Gruppen<br />

der Kelten in Mittel- und Westeuropa; das „römisch“ im Namen<br />

der RGK leitet sich von den Projekten provinzialrömischer <strong>Archäologie</strong><br />

mit Limesforschung und Kulturaustausch zwischen<br />

den Eroberern aus dem Süden und den ansässigen Gruppen ab.<br />

Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen<br />

sowie Institutionen des Denkmalschutzes<br />

sind selbstverständlich wie zum Beispiel im größten der internationalen<br />

Kooperationsprojekte „ArchaeoLandscapes Europe“,<br />

dem 57 For schungs institute aus 27 Ländern angehören, um das<br />

gemeinsame kulturelle Erbe mit modernsten luftgestützten Forschungsmethoden<br />

in den Blick zu nehmen und so letztendlich bewahren<br />

zu können.<br />

Ein anderes bedeutendes Projekt ist „Herausbildung und Niedergang<br />

des frühbronzezeitlichen Siedlungszentrums von Fidvár bei<br />

Vráble (Südwestslowakei)“, in dem Untersuchungen zu Wirtschaft,<br />

Sozialstruktur und politischer Organisation eines Sozialverbandes<br />

und seines Umfeldes in internationaler Kooperation duchgeführt<br />

werden.<br />

Das DEUTSCHE ARCHÄOLOGISCHE INSTITUT (DAI)<br />

ist eine wissenschaftliche Einrichtung, die als Bundesanstalt zum Geschäftsbereich<br />

des Auswärtigen Amts gehört. Das Institut mit Zentrale in Berlin und mehreren Kommissionen<br />

und Abteilungen im In- und Ausland führt archäologische Ausgrabungen<br />

und Forschungen durch und pflegt Kontakte zur internationalen Wissenschaft. Das<br />

Institut veranstaltet wissenschaftliche Kongresse, Kolloquien und Führungen und informiert<br />

die Öffentlichkeit über seine Arbeit.<br />

66 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 67


DER ERSTE<br />

WEIN<br />

PANORAMA<br />

DER DIGITALE PFLANZENATLAS<br />

Der Digitale Pflanzenatlas ist ein seit 2006 laufendes<br />

internationales Projekt, das einen Beitrag zur Identifikation<br />

von Samen, Früchten, unterirdischen Pflanzenteilen,<br />

Stängelfragmenten, usw. leistet. Die Pflanzenteile werden<br />

mit Farbfotos illustriert, die mit Maßstab und wissenschaftlichen<br />

Namen versehen sind. Daneben werden die einheimischen<br />

Namen der Pflanzen in mehreren Sprachen aufgelistet.<br />

Der Erwerb des Buches berechtigt zum Zugang zu teils<br />

gesicherten Websites des Projekts. Dort werden auch<br />

zusätzliche Daten (Fotos, digitale Messdaten etc.) der<br />

archäologisch gefundenen oder „subfossilen“ Samen und<br />

Früchte zur Verfügung gestellt. www.pflanzenatlas.eu<br />

Archäobotanische<br />

Aufschlüsse über<br />

5000 Jahre Kultur<br />

1980 feierte die Deutsche Bundespost<br />

„Zwei Jahrtausende Weinbau in Mitteleuropa“<br />

mit einer Briefmarke. Damit gehört<br />

die heimische Region zu den Nachzüglern<br />

bei der Kultivierung der Reben. Auch in<br />

Griechenland, wohin der Kenner gesamteuropäischer<br />

Rebenkultivierung gern blickt,<br />

wenn es um Weinkultur geht, sind weder<br />

Anfang noch Ursprung seines Anbaus zu<br />

finden, wie lautstark auch der „Weingott“<br />

Dionysos und sein Gefolge die „wahre“ Geschichte<br />

übertönen mögen.<br />

Die wahre Geschichte beginnt wohl im<br />

Übergang vom 4. zum 3. vorchristlichen<br />

Jahrtausend im Gebiet der heutigen Länder<br />

Iran und Irak und vor allem im nordwestlichen<br />

Jordanien, wo es auch Nachweise<br />

für eine frühe Obstbaumkultur gab<br />

– Belege für den Anbau von Oliven sogar<br />

schon seit dem 5. Jahrtausend. Von dort<br />

breitet sich die Weinkultur über Syrien<br />

und die Türkei aus, bis sie im 2. Jahrtausend<br />

v. Chr. Griechenland erreicht, um sich<br />

von dort aus über die gemäßigten Zonen<br />

Europas auszubreiten. „Die bislang frühesten<br />

eindeutigen archäobotanischen Belege<br />

besitzen wir vom Tell Hujayrat al-Ghuzlan<br />

in der Nähe von Aqaba im Süden Jordaniens“,<br />

sagt Reinder Neef, der das archäobotanische<br />

Labor des DAI leitet.<br />

Hier entstand bereits in prähistorischer<br />

Zeit eine ausgeklügelte Oasenwirtschaft<br />

mit einem verzweigten Kanalsystem, das<br />

von einer artesischen Quelle gespeist wird.<br />

Damit konnten größere Flächen in einem<br />

nahezu regenfreien Gebiet landwirtschaftlich<br />

genutzt und damit dauerhaft<br />

besiedelt werden. Technische Innovationen<br />

und Änderungen in der Sozialstruktur<br />

gehen hier Hand in Hand, und es ist eines<br />

ZUERST SCHIENEN es Traubenkerne zu sein. Aber unter dem Mikroskop erkannten die<br />

Archäobotaniker, dass es ganze Trauben in getrockneter Form waren: 5600 Jahre alte<br />

Rosinen. Foto: DAI Orient-Abteilung, Eichmann<br />

Abb.: Digital Atlas of Economic Plants in<br />

Archaeology<br />

der großen Forschungsthemen in der <strong>Archäologie</strong>,<br />

den Beginn solcher Entwicklungen<br />

bestimmen zu können. Hierbei<br />

kann die Archäobotanik verlässliche Indikatoren<br />

liefern, wenn zum Beispiel die<br />

Analyse botanischer Makroreste und Pollen<br />

für eine bestimmte Region ausschließlich<br />

kultivierte Pflanzen aufweist. Eingefügt<br />

in den archäologischen und botanischen<br />

Gesamtkontext können die Forscher<br />

dann auch bestimmen, ob es sich bei den<br />

Pflanzen um einheimische Wildarten oder<br />

um Kultursorten handelt. „Wenn eine<br />

Pflanze außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes<br />

vorkommt, können wir<br />

davon ausgehen, dass wir es mit einer kultivierten<br />

Form zu tun haben“, sagt Neef –<br />

wilden Wein gab es vor allem im nördlichen<br />

Mittelmeerraum, am Schwarzen und<br />

wohl am Kaspischen Meer.<br />

Gefunden wurden diese ältesten Nachweise<br />

kultivierten Weins im Jahr 2003 von<br />

den Archäologen der Orient-Abteilung<br />

des DAI. In einem Gefäß waren mehrere<br />

Tausend verkohlte kleine schwarze Kerne<br />

aufbewahrt. „Diese ‚Kerne’ stammen aus<br />

der Zeit zwischen 3800 und 3600 v. Chr.“,<br />

erklärt Neef. Eine Brandkatastrophe hatte<br />

den spektakulären Fund ermöglicht. „Normalerweise<br />

werden die meisten Pflanzenreste<br />

im Laufe der Jahrtausende zerstört“,<br />

erklärt der Archäobotaniker. „Wenn aber<br />

Pflanzenreste bei einem Feuer durch Mangel<br />

an Sauerstoff nicht vollständig zu<br />

Asche verbrennen, weil sie durch andere<br />

Materialien bedeckt werden, gewinnen<br />

wir sehr gutes Untersuchungsmaterial.“<br />

Als die Archäobotaniker den Inhalt des<br />

Gefäßes in Augenschein nahmen, hielten<br />

sie kleinen schwarzen Gebilde zunächst<br />

für Traubenkerne. „Aber was würde es für<br />

einen Sinn machen, auf diese Weise Weintrauben<br />

zu lagern?“, fragt Neef. In der mikroskopischen<br />

Analyse entdeckten sie<br />

schließlich Fruchtstiele und winzige Stücke<br />

der Fruchtschale – wo aber Trauben im<br />

Gefäß keinen Sinn machen, tun Rosinen es<br />

allemal. Ob die Früchte auch in Hujayrat<br />

DRS. REINDER NEEF leitet das<br />

Labor für Archäobotanik im<br />

Naturwissenschaftlichen<br />

Referat des DAI.<br />

angebaut wurden, ist nicht klar erwiesen.<br />

„Sicher könnten wir sein, wenn wir auch<br />

Reste vom Holz des Weinstocks gefunden<br />

hätten“, erklärt Neef. Die aber fehlten hier.<br />

Wahrscheinlicher ist, dass die Rosinen ein<br />

Handelsgut aus Mitteljordanien waren.<br />

„Wir wissen, dass es sogar Kontakte bis<br />

zum Nildelta und insgesamt einen intensiven<br />

Austausch an Gütern und Denkweisen<br />

gab“, sagt Neef, und Hujayrat al-Ghuzlan<br />

war ein wichtiger Handelsknotenpunkt.<br />

Rosinen lassen sich gut transportieren,<br />

ebenso wie Oliven, Öl oder Wein, wenngleich<br />

der nicht so haltbar war wie die anderen<br />

Handelsgüter und wohl mit Zusätzen<br />

versehen werden musste. „Wir wissen<br />

nicht, wie dieser Wein geschmeckt hat“,<br />

sagt Neef. „Aber bestimmt nicht so, wie wir<br />

es heute gewohnt sind.“<br />

Das Labor für<br />

Archäobotanik<br />

Botanische Proben aus 28 Ausgrabungen<br />

in 17 Ländern werden von den Archäobotanikern<br />

des DAI bearbeitet. Sie untersuchen<br />

bodengelagerte Pflanzenmakroreste<br />

DIE VERGLEICHSSAMMLUNG DES LABORS:<br />

Die Samm lung rezenter Samen und Früchte<br />

enthält momentan ca. 5150 unterschiedliche<br />

Pflanzenarten.<br />

wie Samen, Früchte und Holz, deren Auswertung<br />

Aufschlüsse zu Ernährung und<br />

Entwicklung der Kulturpflanzen sowie der<br />

Landwirtschaft, des Handels, der Nutzung<br />

natürlicher Ressourcen und der Umweltverhältnisse<br />

in vor- und frühgeschichtlicher<br />

Zeit ermöglichen. Pollenanalysen liefern<br />

zusätzlich detaillierte Informationen<br />

zur Vegetationsgeschichte und Klimaentwicklung.<br />

Der Übergang von Jäger-und-<br />

Sammlerkulturen zur Sesshaftigkeit mit<br />

Ackerbau und Viehzucht und der bislang<br />

wenig erforschte Beginn der Oasenwirtschaft<br />

während der frühen Metallzeiten<br />

sind Forschungschwerpunkte des Labors.<br />

Insgesamt lassen sich durch die Rekonstruktion<br />

der antiken Flora – seien es wilde<br />

oder kultivierte Arten – Erkenntnisse zu<br />

den Wechselbeziehungen Mensch und<br />

Umwelt gewinnen.<br />

Für die Bestimmung von Pflanzenresten<br />

stehen umfangreiche Vergleichssammlungen<br />

zur Verfügung. Die Sammlung rezenter<br />

Samen und Früchte enthält momentan<br />

ca. 5150 unterschiedliche Pflanzenarten,<br />

für die Bestimmung der Hölzer gibt es<br />

eine Sammlung von Handstücken und<br />

Dünnschnitt-Präparaten von ca. 250 Holzarten.<br />

Auch für die Pollenanalyse steht<br />

eine Sammlung von Vergleichspräparaten<br />

von mehr als 1400 Pflanzenarten zur Verfügung.<br />

Dazu kommt außerdem eine<br />

Sammlung aus den 30er-Jahren von Steinfrüchten<br />

alter Obstbaumtaxa aus der so<br />

genannten Späth’schen Baumschule.<br />

68 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 69


„URUK. 5000 Jahre<br />

Megacity“<br />

I BEISPIEL für die berühmte Architektur der „Uruk-Zeit“: Das „Gebäude C“ (um<br />

3300 v. Chr.) ist nur wenige Ziegellagen hoch erhalten. Foto: DAI, Orient-Abteilung,<br />

Fotoarchiv<br />

II 3D-REKONSTRUKTION des „Gebäudes C“ auf der Basis der archäo logischen<br />

Befunde. Unklar bleibt, ob das Gebäude ein- oder zweigeschossig zu rekonstruieren<br />

ist. Abb.: Rekonstruktion: artefacts-berlin.de, wissenschaftliches Material: DAI<br />

PANORAMA<br />

König Gilgamesch, der jugendliche Halbgott,<br />

regiert tyrannisch über seine Untertanen,<br />

und deren Klage erreicht alsbald<br />

das Ohr der Götter. Um dem Land und der<br />

Bevölkerung Ruhe zu verschaffen, beschließen<br />

die Götter, einen ebenbürtigen<br />

Gefährten für Gilgamesch zu finden. Sie<br />

erschaffen Enkidu, der unter den Tieren in<br />

der Wildnis aufwächst. Als Gilgamesch<br />

von dessen Existenz erfährt, lässt er ihn zu<br />

sich bringen, und die beiden Helden messen<br />

sogleich ihre Kräfte. Doch sie müssen<br />

bald feststellen, dass keiner von beiden<br />

die Oberhand gewinnen kann; also beschließen<br />

sie, Freunde zu werden. Die Geschichte<br />

des Gilgamesch ist hier nicht zu<br />

Ende. Ihren Anfang hat sie in seiner Heimatstadt:<br />

Uruk.<br />

DIE ERSTE<br />

GROSSSTADT<br />

I<br />

II<br />

Vor 100 Jahren fanden Archäologen die erste<br />

Großstadt. Im mesopotamischen Uruk,<br />

dem heutigen Warka, kamen die ersten<br />

Zeugnisse urbanen Lebens ans Tageslicht.<br />

Anlässlich des 100. Jubiläums des Grabungsprojekts<br />

präsentieren das Vorderasiatische<br />

Museum der Staatlichen Museen<br />

zu Berlin und die Reiss-Engelhorn-Museen<br />

Mannheim in enger Kooperation mit der<br />

Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen<br />

Instituts und der Deutschen<br />

Orient-Gesellschaft die Sonderausstellung<br />

„URUK. 5000 Jahre Megacity“.<br />

1954 hatte die irakische Antikenverwaltung<br />

die Forschungslizenz an das Deutsche<br />

Archäologische Institut übertragen.<br />

Für die Orient-Abteilung ist es seitdem das<br />

wichtigste Forschungsprojekt im Irak.<br />

Uruk bietet eine beeindruckende Zahl<br />

wichtiger Innovationen, die unser Leben<br />

noch heute bestimmen: Mit der Entwicklung<br />

der ersten Großstadt am Ende des 4.<br />

Jahrtausends v. Chr. ging die Entstehung<br />

komplexer Lebens- und Verwaltungsformen<br />

einher. Massenversorgung von Menschen<br />

mit Lebensmitteln und Alltagsgerät,<br />

aber auch die Organisation von Wasser,<br />

Importgütern und Knowhow wurden<br />

wichtige Funktionen der Stadt. Hier entstand<br />

die erste Keilschrift als Notwendigkeit<br />

einer elaborierten Verwaltung, und<br />

vor allem im 4. Jahrtausend v. Chr. spielte<br />

Uruk eine wichtige politische Rolle und<br />

war international weiträumig vernetzt. In<br />

den folgenden mehr als 3000 Jahren ihrer<br />

Existenz war die Stadt ein wissenschaftlich<br />

und religiös bedeutendes Zentrum.<br />

Die Ausstellung<br />

„URUK. 5000 Jahre Megacity“ wird vom 25.<br />

April bis 8. September 2013 im Pergamonmuseum<br />

zu sehen sein und vom 20. Okto-<br />

ber 2013 bis 21. April 2014 in den Mannheimer<br />

Reiss-Engelhorn-Museen.<br />

Durch die damals übliche Praxis der Fundteilung<br />

gelangten zahlreiche Grabungsobjekte<br />

nach Deutschland, wo sie nicht<br />

nur im Vorderasiatischen Museum im Pergamonmuseum,<br />

sondern auch in der von<br />

der Universität Heidelberg betreuten<br />

Uruk-Warka-Sammlung des Deutschen<br />

Archäologischen Instituts aufbewahrt<br />

werden. Dank der einzigartigen Kooperation<br />

der vier Institutionen werden erstmals<br />

Objekte getrennter Sammlungen<br />

den Ausstellungsbesuchern vereint präsentiert.<br />

Diese werden durch hochkarätige<br />

Exponate unter anderem aus dem British<br />

Museum London, dem Ashmolean<br />

Museum der Universität Oxford und dem<br />

Musée du Louvre Paris sowie durch neu<br />

erstellte digitale Rekonstruktionen der<br />

Stadtanlage und einzelner Bauwerke ergänzt.<br />

In Berlin, der ersten Station, wird<br />

die Sonderausstellung in einem Teil der<br />

ständigen Ausstellung des Vorderasiatischen<br />

Museums im Südflügel des Pergamonmuseums<br />

präsentiert werden. Dort<br />

veranschaulichen bereits seit der Eröffnung<br />

im Jahr 1930 die Rekonstruktionen<br />

von über 5000 Jahre alten Tonstiftfassaden<br />

die repräsentative Großarchitektur,<br />

die in Uruk mit den Anfängen großstädtischen<br />

Lebens einherging. Im Rahmen der<br />

Sonderausstellung „URUK. 5000 Jahre Megacity“<br />

werden diese frühesten Beispiele<br />

von Großstadtanlagen gemeinsam mit<br />

den neu erstellten virtuellen Rekonstruktionen<br />

inszeniert.<br />

Veranstalter: Vorderasiatisches Museum , Reiss-Engelhorn<br />

Museen Mannheim , <strong>Deutsches</strong> Archäologisches<br />

Institut, Deutsche Orient-Gesellschaft<br />

DER SOGENANNTE PRIESTERFÜRST<br />

wurde um 3000 v. Chr. in einem Topf<br />

deponiert und im Winter 1957/58 so<br />

wieder aufgefunden. Foto: DAI,<br />

Orient-Abteilung, Fotoarchiv<br />

KÖNIG URNAMMA errichtete eine<br />

Zikkurrat im Heiligtum der<br />

Liebes- und Kriegsgöttin Inanna /<br />

Ischtar (21. Jh. v. Chr). Ihr Tempel<br />

stand auf zwei hohen Terrassen.<br />

3D-Rekonstruktion von<br />

artefacts-berlin.de, wissenschaftliches<br />

Material: DAI<br />

70 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 71


IMPRESSUM<br />

In der nächsten Ausgabe von <strong>Archäologie</strong> Weltweit<br />

<strong>Archäologie</strong> Weltweit<br />

Magazin des Deutschen<br />

Archäologischen Instituts<br />

1. Jahrgang / 1 • 2013<br />

DER STEIN der schwangeren Frau (Hadschar al-Hibla) oder<br />

Stein des Südens (Hadschar al-Qubla) in Baalbek im heutigen<br />

Libanon ist einer der größten Monolithen der Welt. Er und ein<br />

ähnlich großer Stein, der in der Nähe gefunden wurde, gehörten<br />

zu einer römischen Großbaustelle im Tempelbezirk von<br />

Baalbek und waren für das Podium des Jupitertempels bestimmt.<br />

Der bearbeitete Steinblock ist rund 20 Meter lang, vier<br />

bis gut fünf Meter breit und etwas über vier Meter hoch. Sein<br />

Gewicht wird auf rund 1000 Tonnen berechnet. Den Steinbruch<br />

hat er nie verlassen. Foto: Klaus Rheidt<br />

GROSSBAUSTELLEN<br />

Megacities, Weltwunder und andere Monumente<br />

HERAUSGEBER<br />

<strong>Deutsches</strong> Archäologisches Institut<br />

www.dainst.org<br />

ORGANISATION, TEXT<br />

UND REDAKTION<br />

Wortwandel Verlag<br />

Susanne Weiss (sw)<br />

weiss@wortwandel.de<br />

www.wortwandel.de<br />

GESTALTERISCHES KONZEPT<br />

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Bessemerstraße 2-14 • 12103 Berlin<br />

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72 _ ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT _ 73


In der nächsten Ausgabe von <strong>Archäologie</strong> Weltweit<br />

GROSSBAUSTELLEN<br />

Megacities, Weltwunder und andere Monumente<br />

ARCHÄOLOGIE WELTWEIT<br />

Orte und Themen in dieser Ausgabe<br />

Ägypten, Kairo, Dahschur REPORTAGE Seite 10<br />

TITELTHEMA Seite 54<br />

Ägypten, Elephantine INTERVIEW Seite 16<br />

Türkei, Göbekli Tepe CULTURAL HERITAGE Seite 18<br />

Westchina, Turfan LANDSCHAFTEN Seite 26<br />

China, Peking LANDSCHAFTEN Seite 32<br />

Jemen, Marib TITELTHEMA Seite 42<br />

Saudi-Arabien, Tayma TITELTHEMA Seite 44<br />

Italien, Rom TITELTHEMA Seite 48<br />

Spanien, Córdoba TITELTHEMA Seite 50<br />

Peru, Nasca TITELTHEMA Seite 57<br />

Rumänien, Pietrele<br />

ALLTAG ARCHÄOLOGIE Seite 62<br />

DAS TITELBILD<br />

Der große Damm der Oase von Marib im<br />

heutigen Jemen ist ein Zeugnis elaborierter<br />

Wasserwirtschaft in extrem trockenen Gebieten.<br />

Der sogeannte Bau A ist ein hydraulisches<br />

Bauwerk aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr.<br />

Es besitzt drei zur Stromrichtung abgerundete<br />

Pfeiler und dazwischen eine massive Steinmauer,<br />

die bei zu hohen Fluten als Überlauf<br />

diente. Luftaufnahme, DAI/<strong>Deutsches</strong><br />

Bergbau-Museum Bochum

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