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Clusterforschung - Deutsches Archäologisches Institut

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FORSCHUNGSCLUSTER<br />

DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Vorbemerkung 3<br />

Cluster 1<br />

Von der Seßhaftigkeit zur komplexen Gesellschaft:<br />

Siedlung, Wirtschaft, Umwelt 5<br />

(Aktualisiert 01/2007)<br />

Cluster 2<br />

Innovationen: technisch, sozial<br />

(Stand 2006) 14<br />

Cluster 3<br />

Politische Räume 26<br />

(Aktualisiert 11/2007)<br />

Cluster 4<br />

Heiligtümer: Gestalt und Ritual, Kontinuität und Veränderung<br />

(Aktualisiert 10/2007) 113<br />

Cluster 5<br />

Geschichte des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s im 20. Jahrhundert<br />

(Stand 03/2008) 138<br />

15.11.2007 2


VORBEMERKUNG<br />

Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> hat beschlossen, seine weltweit stattfindenden<br />

Forschungen, die im Forschungsplan des <strong>Institut</strong>s zusammengefaßt sind, unter<br />

übergeordneten Fragestellungen stärker zu vernetzen. Aufgrund der Tatsache, daß die<br />

Abteilungen und Kommissionen des <strong>Institut</strong>s mit ihren Projekten in den<br />

unterschiedlichsten Kulturräumen der Alten wie der Neuen Welt oft sehr ähnlichen<br />

Fragestellungen nachgehen, schien es naheliegend, bestimmte Phänomene<br />

vergleichend zu untersuchen, um auf diese Weise zu tiefgreifenderen Einsichten in<br />

Mechanismen kultureller Prozesse und historischer Entwicklungen der frühen<br />

Menschheitsgeschichte zu gelangen. Gerade die Aussicht, dies im globalen Maßstab zu<br />

tun, hielten wir dabei für besonders reizvoll. Auch wenn der Schwerpunkt der<br />

<strong>Institut</strong>sarbeit traditionell im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient liegt, so eröffnen<br />

doch die in den letzten Jahren vermehrt in Angriff genommenen Projekte in der<br />

eurasischen Steppe, in Ostasien, auf dem afrikanischen Kontinent oder in<br />

Lateinamerika die große Chance zu einer weltweit ausgreifenden Perspektive, die es zu<br />

nutzen gilt.<br />

Die Fragestellungen, die sich auf diese Weise mit Gewinn untersuchen ließen, sind<br />

vielfältig und zahlreich. Auf seiner Sitzung am 22. November 2005 wurde dieses<br />

Anliegen vom Direktorium des DAI ausführlich diskutiert. Vier Themen schienen dabei<br />

besonders geeignet, weiterverfolgt zu werden. Sie stehen im Mittelpunkt von vier sog.<br />

Forschungsclustern, die die Zusammenarbeit innerhalb des <strong>Institut</strong>s auf eine neue<br />

Grundlage stellen sollen. Im einzelnen handelt es sich um folgende aktuelle Fragen:<br />

Cluster 1:<br />

Cluster 2:<br />

Cluster 3:<br />

Cluster 4:<br />

Von der Seßhaftigkeit zur komplexen Gesellschaft:<br />

Siedlung, Wirtschaft, Umwelt<br />

Innovationen: technisch, sozial<br />

Politische Räume<br />

Heiligtümer: Gestalt und Ritual, Kontinuität und Veränderung.<br />

Daneben gibt es noch einen fünften Cluster, der forschungsgeschichtlich konzipiert ist.<br />

Cluster 5:<br />

Geschichte des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

im 20. Jahrhundert.<br />

Für jeden der Forschungscluster wurden Sprecher bestimmt, die ein erstes inhaltliches<br />

Konzept auszuarbeiten und den Forschungsplan des <strong>Institut</strong>s auf daran zu beteiligende<br />

Projekte durchzusehen hatten. Cluster 5 wird von einem Beirat aus Archäologen und<br />

Zeithistorikern begleitet. Ende 2006 und Anfang 2007 sollen zu den einzelnen Clustern<br />

Workshops stattfinden, in denen die Leiter und Mitarbeiter der daran beteiligten<br />

Projekte die Ausarbeitungen diskutieren und die nächsten Arbeitsschritte besprechen.<br />

Es wird das Ziel sein, in Kolloquien weitere Fortschritte zu erreichen, die auch in<br />

Publikationen entsprechenden Niederschlag finden sollen, und zwar im Rahmen einer<br />

neuen Reihe des <strong>Institut</strong>s, die speziell den Ergebnissen dieser Forschungscluster<br />

gewidmet sein wird.<br />

Für alle vier Cluster wird es sich als notwendig erweisen, die theoretischen Grundlagen<br />

der jeweiligen Themen zu vertiefen, was zwangsläufig zu stärkerer Interdisziplinarität<br />

führen wird, und zwar nicht nur im Zusammenwirken mit verschiedenen<br />

naturwissenschaftlichen Disziplinen, die längst fester Bestandteil moderner<br />

archäologischer Forschung sind, sondern ganz besonders auch im Diskurs mit anderen<br />

Geisteswissenschaften (Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Religions- und<br />

Kunstwissenschaften etc.).


Während wir zum jetzigen Zeitpunkt in einem ersten Schritt möglichst viele thematisch<br />

ähnlich konzipierte Forschungsvorhaben des <strong>Institut</strong>s verknüpfen, wäre es sehr gut<br />

vorstellbar, daß daraus in einer späteren Phase Forschergruppen, Forschungsverbünde<br />

u. ä. entstehen, die dann wiederum neue Projekte in Gang setzen, die sich aus den<br />

Clustern ergebende Fragen aufgreifen. Dies muß nicht so sein, und gewiß wird dieser<br />

Fall auch nicht bei jedem Cluster eintreten, weil sich der Gang der Diskussion nicht<br />

vorbestimmen läßt; wenn es aber gelegentlich dennoch geschähe, wäre es ein Zeichen<br />

für fruchtbare Kooperation. Auch die ‚Lebensdauer’ der verschiedenen Clusterthemen<br />

wird von unterschiedlicher Länge sein: Bei manchen wird ein vorläufiges Ende der<br />

Diskussion früher eintreten, während sich andere dynamisch weiterentwickeln mögen.<br />

Andere drängende Forschungsfragen, die ebenfalls im Rahmen von Clustern behandelt<br />

werden wollen, könnten sich in der Folgezeit in den Vordergrund schieben, wie es für<br />

ein dynamisches, modernes Forschungsinstitut selbstverständlich sein sollte.<br />

Neben dem wissenschaftlichen Erkenntniszugewinn sollen die Cluster aber vor allem<br />

auch dazu beitragen, eine neue Qualität der Zusammenarbeit innerhalb des <strong>Institut</strong>s<br />

entstehen zu lassen. Selbstverständlich wird es weiterhin Einzelvorhaben geben, die<br />

sich nicht mit anderen vernetzen lassen, und die für das wissenschaftliche Gesamtprofil<br />

des <strong>Institut</strong>s wie der jeweiligen Abteilung/Kommission mindestens genauso bedeutsam<br />

sind wie die durch Cluster verbundenen Projekte. Es steht nämlich außer Diskussion,<br />

daß diese wissenschaftliche Freiheit eine der wichtigsten Voraussetzungen erfolgreicher<br />

Forschung ist. Doch dort, wo sich Zusammenarbeit anbietet, ja geradezu aufdrängt,<br />

sollten wir die Chance auf Vernetzung auch ergreifen und nutzen. In Vorbereitung ist<br />

dazu ein Internet-Diskussionsforum, das den Gedankenaustausch zu den<br />

verschiedenen Forschungsfragen erleichtern und fördern wird.<br />

Auch wenn es bei den Clustern zunächst darum geht, eine stärkere Vernetzung<br />

innerhalb des <strong>Institut</strong>s herzustellen, so ist ein wirklicher Fortschritt im<br />

wissenschaftlichen Erkenntniszugewinn nur dann zu erreichen, wenn es uns gelingt,<br />

diese Diskussionen auch mit Vertretern von Universitäten und anderen<br />

Forschungseinrichtungen im In- und Ausland zu führen, sofern dort ähnliche Fragen<br />

verfolgt werden. Diese zweite Stufe der Vernetzung, die in vielen Bereichen bereits<br />

sehr erfolgreich praktiziert wird, ist ein weiteres zentrales Ziel des <strong>Institut</strong>s. Das DAI<br />

mag zwar aufgrund seiner Organisationsstruktur und seiner Möglichkeiten innerhalb<br />

des Faches auch international durchaus eine Sonderstellung einnehmen und in jeder<br />

Hinsicht autark sein, was jedoch nicht zu Isolation und Abkopplung führen darf. Eine<br />

Entwicklung, wonach die Einen grabend Grundlagen erforschen und die Anderen<br />

übergreifende theoretische Fragen erörtern, kann weder im Sinne des <strong>Institut</strong>s noch<br />

der Universitäten sein. Es wäre deshalb wichtig, daß die Forschungscluster <strong>Institut</strong> und<br />

Universitäten noch stärker aneinander binden, als dies bislang der Fall ist. Die<br />

vorzüglichen Möglichkeiten des <strong>Institut</strong>s zur Nachwuchsförderung ließen sich dann<br />

noch zielführender einsetzen, was auch für die Zukunft des <strong>Institut</strong>s von<br />

entscheidender Bedeutung ist.<br />

Berlin, im April 2006<br />

Hermann Parzinger


Forschungscluster 1<br />

VON DER SESSHAFTIGKEIT ZUR KOMPLEXEN GESELLSCHAFT:<br />

SIEDLUNG, WIRTSCHAFT, UMWELT<br />

Sprecher: N. Benecke, H. Parzinger, M. Reindel<br />

EINLEITUNG<br />

Die Seßhaftwerdung ursprünglich wildbeuterisch lebender Gemeinschaften in<br />

Verbindung mit der Domestikation von Pflanzen und Tieren markiert einen der<br />

folgenreichsten Entwicklungsschritte der Menschheit auf dem Weg zur Entstehung<br />

komplexer Gesellschaften. Verlauf und Intensität dieses Prozesses wurden oftmals von<br />

den naturräumlichen Rahmenbedingungen beeinflußt. Siedlung, Wirtschaft und Umwelt<br />

sind deshalb die entscheidenden Faktoren, die die Dynamik und die Richtung dieser<br />

Entwicklung bestimmen. Vor dem Hintergrund altweltlicher Kulturverhältnisse wird das<br />

Phänomen der Seßhaftwerdung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Übergang<br />

von aneignender zu produzierender Wirtschaftsweise (Ackerbau und Viehzucht) bei<br />

gleichzeitigem Auftreten von ersten gebrannten Tongefäßen (Keramik) und<br />

geschliffenen Steingeräten gesehen. Der Prozeß, an dessen Ende diese Kernmerkmale<br />

(das sog. neolithische ‚Bündel’) stehen, wird gemeinhin als „Neolithisierung“<br />

bezeichnet. Die Einzelheiten dieser Entwicklung sind jedoch noch weitgehend<br />

unbekannt und bedürfen dringend näherer Klärung.<br />

Früheste Formen permanenter Ansiedlungen und die Anfänge der Domestikation von<br />

Pflanzen und Tieren sind aus dem Vorderen Orient (dem sog. fruchtbaren Halbmond)<br />

seit dem 10. Jt. v. Chr. bekannt. Von dort breitete sich diese frühbäuerliche Lebensund<br />

Wirtschaftsweise ab dem 7. Jt. v. Chr. aus, wobei die Forschung von vier<br />

‚klassischen’ Richtungen ausgeht: erstens von der Levante über Zypern und Anatolien<br />

nach Griechenland und über Balkan und Karpatenbecken bis Mittel- und Nordeuropa,<br />

zweitens vom ostmediterranen Raum aus entlang der Mittelmeerküste über Süditalien<br />

und Südfrankreich bis Spanien und Nordwestafrika, drittens über Ostanatolien und<br />

Transkaukasien in die osteuropäische Steppe sowie – etwas weiter östlich – über<br />

Nordiran nach Mittelasien und viertens über Ägypten nach Nordafrika.<br />

Die Ursachen und Mechanismen dieser Ausbreitung werden seit langem kontrovers<br />

diskutiert. Die Standpunkte gehen dabei von einer unterschiedlichen Bewertung der<br />

Phänomene Migration, Kommunikation und Autochthonie aus. Die Frage, ob Migration<br />

oder autochthone Entwicklung den Beginn von Seßhaftigkeit und Landwirtschaft<br />

auslösten, stand dabei von Anfang an im Vordergrund. Unter dem Einfluß von<br />

prozessualer Archäologie und Systemtheorie verfolgte man später vermehrt<br />

ökologische Ansätze zur Erklärung dieses Phänomens. Als Folge postprozessualer<br />

Strömungen richtete sich das Augenmerk dann eher auf soziale Aspekte. Die Modelle<br />

und Hypothesen wurden dadurch immer komplexer und vielschichtiger. Sie spiegeln<br />

die vorherrschenden theoretischen Ansätze ihrer jeweiligen Entstehungszeit wider,<br />

aber das Ergebnis blieb weitgehend unverändert: Noch heute geht es im Kern um die<br />

Frage, ob Migration oder Klimawandel und Bevölkerungsdruck die Neolithisierung<br />

weiter Teile der Alten Welt bewirkten. Außer Frage steht inzwischen, daß die<br />

Umweltbedingungen entscheidenden Einfluß auf diesen Prozeß hatten; doch das<br />

Ausmaß der ökologischen Determiniertheit ist noch immer schwer abzuschätzen.<br />

Insofern bleibt auch offen, wie prägend der Zusammenhang zwischen den zur<br />

Stand: 01/2007 5


Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen und den Anfängen seßhaften Lebens<br />

tatsächlich war.<br />

AUFGABENSTELLUNG<br />

Mit dem Schritt weg von einer ausschließlich auf den Vorderen Orient und Alteuropa<br />

gerichteten Forschungsperspektive und hin zu einer Einbeziehung anderer Teile der<br />

Welt – ein Schritt, den das DAI bereits vor Jahrzehnten vollzogen hat – wurde deutlich,<br />

daß Überlegungen, die von mehreren vom fruchtbaren Halbmond ausgehenden<br />

Neolithisierungswellen ausgehen, nicht überall anwendbar sind. Weitere<br />

Entstehungszentren zumindest einiger der genannten Kernmerkmale frühbäuerlichen<br />

Lebens und Wirtschaftens lassen sich in Ostasien, in der Zentralsahara, in Südamerika<br />

und anderswo lokalisieren und scheinen teilweise vergleichbar früh einzusetzen,<br />

wenngleich eine tragfähige chronologische Grundlage für eine komparative<br />

Betrachtung dieses Phänomens im globalen Maßstab erst noch zu erarbeiten ist.<br />

Die jüngsten Ausgrabungen am Göbekli Tepe in Südostanatolien mit dem Nachweis<br />

religiöser Monumentalarchitektur in einem noch wildbeuterisch geprägten Umfeld<br />

haben der Forschung um die frühe Seßhaftwerdung und die Anfänge<br />

landwirtschaftlicher Produktion neue Impulse gegeben, die bislang nicht gestellte<br />

Fragen zum Übergang von Jäger- und Sammlergemeinschaften zu bäuerlichen Kulturen<br />

aufwerfen. In den Waldgebieten Nordosteuropas kommt es dagegen zu der in Göbekli<br />

Tepe noch unbekannten Keramikherstellung, ohne daß jedoch feste Siedlungen<br />

gegründet sind und produzierend gewirtschaftet wird. Im Hinterland der<br />

marokkanischen Küste scheinen anfangs seßhafte Gruppen wieder zu wildbeuterischem<br />

Leben übergegangen zu sein. Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, daß die Anfänge<br />

von Seßhaftwerdung und der Beginn produzierenden Wirtschaftens nicht immer<br />

zusammenfielen, auch konnte die Entwicklung in unterschiedliche Richtungen führen.<br />

Selbst in den schon früh von vollneolithischen Kulturverhältnissen geprägten Gebieten<br />

Vorderasiens sowie Süd- und Mitteleuropas vollzog sich dieser Prozeß komplexer als<br />

bislang vielfach angenommen.<br />

Neue Forschungsergebnisse von Unternehmungen des DAI in verschiedenen Teilen der<br />

Alten Welt zeigen, daß eine allzu starre Anwendung des Begriffs ‚Neolithikum’ den<br />

tatsächlichen in Verbindung mit der Seßhaftwerdung des Menschen verbundenen<br />

Entwicklungen nicht mehr ganz gerecht wird. Beziehen wir archäologische Befunde der<br />

Neuen Welt ein, wird dieses Dilemma noch deutlicher. So kam es an den Küsten Nordund<br />

Südamerikas aufgrund reichhaltiger Nahrungsressourcen schon früh zur<br />

Ausbildung dauerhafter Siedlungen, allerdings ohne Anzeichen von Bodenbau und<br />

Keramikproduktion. Ebenso existierten im Andenraum stadtähnliche Siedlungen mit<br />

Monumentalarchitektur, die jedoch noch keine Keramik kannten. Dies erinnert zwar an<br />

Entwicklungen, wie sie der Göbekli Tepe zum Ausdruck bringt, und dennoch haben<br />

beide Phänomene wenig gemeinsam. Diese Vorgänge jedoch ausschließlich unter dem<br />

Begriff der Neolithisierung in seiner altweltlichen Bedeutung zu betrachten, d. h. vom<br />

Standpunkt wirtschaftlicher Neuerungen, speziell des Bodenbaus und der Viehzucht,<br />

aus, hieße, die Perspektive beträchtlich einzuengen.<br />

Der entscheidende und nachhaltigste Schritt, den der Mensch in sehr<br />

verschiedenartigen Natur- und Kulturräumen unter teilweise stark voneinander<br />

abweichenden Voraussetzungen und Rahmenbedingungen vollzog, war die<br />

Seßhaftwerdung, die vielfach dem Übergang von aneignendem zu produzierendem<br />

Wirtschaften voranging. Die Seßhaftigkeit bewirkte neue Formen des<br />

Zusammenlebens, was die bis dahin bestehenden sozialen Strukturen aufbrach und<br />

neue entstehen ließ, wie Siedlungsformen und diverse Hinweise auf gesellschaftliche<br />

Hierarchien und Arbeitsteilung etc. erkennen lassen. Die Konzentration der<br />

Betrachtung auf den Entstehungsprozeß permanenter Niederlassungen besitzt zudem<br />

den Vorteil, daß das Untersuchungsobjekt im archäologischen Befund klarer faßbar und<br />

dadurch weltweit besser vergleichbar wird. Sind früheste Siedlungen lokalisiert, so<br />

Stand: 01/2007 6


lassen sich die Faktoren, die dafür ausschlaggebend waren, gezielt untersuchen. Dabei<br />

wird vermutlich deutlich werden, daß Seßhaftwerdung unter unterschiedlichsten<br />

Vorzeichen und Einflüssen stattfand, wobei Nahrungsgrundlagen, Zugang zu<br />

Ressourcen, Standortfaktoren, Klimaeinflüsse u. v. m. gleichermaßen von Bedeutung<br />

waren. Doch unabhängig von dem jeweiligen Natur- und Kulturraum, der hinter der<br />

Seßhaftwerdung stehende Wandel war – einmal in Gang gesetzt – nirgendwo statisch,<br />

sondern ausgesprochen dynamisch und führte in der Folgezeit zur Entstehung<br />

komplexer Gesellschaften.<br />

Inhaltliche Aspekte<br />

Der Bedarf, das Umfeld und die Rahmenbedingungen der Seßhaftwerdung des<br />

Menschen in den unterschiedlichsten Natur- und Kulturräumen der Alten wie Neuen<br />

Welt vergleichend zu untersuchen – das vordringliche Ziel dieses Forschungsclusters –,<br />

ist enorm und könnte auch die Diskussion zu den Anfängen des Neolithikums in<br />

Vorderasien und Alteuropa durch neue Betrachtungsansätze entscheidend beleben und<br />

zu einer kritischen Neubewertung bisheriger Modelle und Hypothesen beitragen. Nur so<br />

ist zu wirklich weiterführenden Einsichten zu gelangen. Etliche in verschiedenen Teilen<br />

der Alten wie der Neuen Welt durchgeführte Ausgrabungsprojekte des DAI gehen von<br />

ähnlichen Fragestellungen aus und bieten deshalb geradezu ideale Voraussetzungen für<br />

ein solches Vorhaben.<br />

Die Fragen, die sich alle mit diesem Cluster verbundenen Projekte zu stellen haben,<br />

sind dabei klar: Wie stark war der ökologische Einfluß auf die kulturelle Entwicklung<br />

des Menschen tatsächlich, gerade im Hinblick auf Seßhaftwerdung und den Übergang<br />

zu produzierender Wirtschaftsweise? Was führte den Menschen dazu, das<br />

jahrtausendelang praktizierte Jäger- und Sammlertum zugunsten einer<br />

arbeitsintensiveren und letztlich auch risikoreicheren, weil stärker vom Klima<br />

abhängigen Landwirtschaft aufzugeben? Waren die Formen menschlichen<br />

Zusammenlebens und Wirtschaftens in der Tat in erster Linie von den natürlichen<br />

Rahmenbedingungen abhängig, oder kommt auch bestimmten kulturellen Faktoren<br />

eine vielleicht ähnliche wichtige Rolle zu, was möglicherweise sogar zu einer<br />

Relativierung der ökologischen Determiniertheit führen könnte? Immerhin griff der<br />

Mensch nach der Seßhaftwerdung und nach dem Übergang zur Landwirtschaft auch<br />

nachhaltig in seine Umwelt ein und formte sie vielfach um, was wiederum<br />

Rückwirkungen auf ihn selbst haben konnte. Daraus folgt die Frage, wie der Mensch<br />

die Nutzung der zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen im Umfeld<br />

permanenter Siedlungen organisierte, um auch – was für ihn überlebenswichtig war –<br />

ihren Fortbestand zu sichern. Lassen sich aus den zu diesem Cluster<br />

zusammengeschlossenen Projekten nur Modelle für ganz spezifische historische<br />

Einzelsituationen entwickeln, oder sind Mechanismen zu erkennen, die unter<br />

bestimmten Voraussetzungen einer gewissen Gesetzmäßigkeit, ja Zwangsläufigkeit<br />

unterliegen und dadurch generalisierbar sind?<br />

Interdisziplinäre Aspekte<br />

Die enge Vernetzung solcher Forschungen mit modernen archäonaturwissenschaftlichen<br />

Methoden, wie sie bereits in nahezu allen an diesem Cluster<br />

beteiligten Projekten erfolgreich praktiziert wird, ist dabei unerläßliche Voraussetzung.<br />

Dabei muß es das vordringliche Ziel sein, diese interdisziplinäre Kooperation noch<br />

weiter zu intensivieren und gleichzeitig auf die Entwicklung neuer<br />

naturwissenschaftlicher Verfahren hinzuwirken. Dies betrifft z. B. den Einsatz von<br />

exakten Datierungsmethoden (Radiokarbonmethode, Dendrochronologie,<br />

Termolumineszenz u. a.) als Grundlage einer komparativen Betrachtung<br />

unterschiedlichster Kulturräume, die Nutzung bekannter und die Entwicklung neuer<br />

geophysikalischer Prospektionsverfahren zur Erfassung von Siedlungsgrößen,<br />

Siedlungsstrukturen und landwirtschaftlichen Nutzflächen, archäozoologische und<br />

Stand: 01/2007 7


archäobotanische Forschungen zur Rekonstruktion von Wirtschaftsgrundlagen und<br />

Ernährungsgewohnheiten, geowissenschaftliche Disziplinen zur Klima- und<br />

Landschaftsgeschichte, Materialanalysen an Keramik, Stein u. a., paläopathologische<br />

Untersuchungen an menschlichem Skelettmaterial zur Feststellung von<br />

Mangelernährung und Krankheitsbildern seßhaft gewordener Bevölkerungen im<br />

Vergleich zu Wildbeutern, Isotopenanalysen zur Quantifizierung der Mobilität von<br />

Mensch und Tier u. v. m. Dabei ergeben sich in besonderer Weise<br />

Verknüpfungsmöglichkeiten mit dem Förderschwerpunkt „Neue naturwissenschaftliche<br />

Methoden und Technologien in den Geisteswissenschaften“ des Bundesministeriums für<br />

Bildung und Forschung (BMBF).<br />

Regionale Aspekte<br />

Die durch diesen Forschungscluster vernetzten Projekte des DAI werden in ganz<br />

unterschiedlichen Teilen der Alten wie Neuen Welt durchgeführt, wobei insgesamt vier<br />

Großräume zu unterscheiden sind. Die Unternehmungen am südostanatolischen<br />

Göbekli Tepe und im mittleren Orontes-Tal liegen gewissermaßen im<br />

Entstehungsgebiet von Seßhaftwerdung und produzierendem Wirtschaften im Bereich<br />

des sog. fruchtbaren Halbmonds und zielen auch auf eine Erforschung der Anfänge<br />

dieses Prozesses ab. Aruchlo, Kırklareli und Okolište befinden sich dagegen in einem<br />

primären Ausbreitungsgebiet, wobei im transkaukasischen Aruchlo die Verbindungen<br />

von Vorderasien über den Kaukasus-Hauptkamm hinweg nach Norden untersucht<br />

werden, während in Kırklareli Fragen der Einflüsse Anatoliens auf die Balkanhalbinsel<br />

im Vordergrund stehen, und in Okolište werden wiederum die Kontakte zwischen<br />

Adriaküste und zentralbalkanischem Hinterland untersucht. Mit einem sekundären<br />

Ausbreitungsgebiet befassen sich die Projekte in Ambrona auf der Kastilischen<br />

Hochebene, im Hinterland der marokkanischen Küstenzone sowie in den Waldregionen<br />

Nordosteuropas; die Anfänge und der Verlauf der Seßhaftwerdung unterschieden sich<br />

dort bereits erheblich von den Entstehungs- und primären Ausbreitungsgebieten. Die<br />

globale Perspektive ermöglichen schließlich weit außerhalb des Vorderen Orients und<br />

Alteuropas gelegene Räume mit gänzlich unabhängigen Eigenentwicklungen, zu denen<br />

die Vorhaben im südperuanischen Palpa und Montegrande sowie im ostbolivianischen<br />

Llanos de Moxos gehören.<br />

PROJEKTE<br />

Im folgenden werden die einzelnen an diesem Cluster teilhabenden Forschungsprojekte<br />

noch einmal kurz beschrieben, insbesondere hinsichtlich der hier im Vordergrund<br />

stehenden Fragestellung. Weitere Informationen zu den Unternehmungen,<br />

insbesondere zu den in- und ausländischen Kooperationspartnern usw., sind den<br />

Ausführungen im Forschungsplan zu entnehmen, in dem die Vorhaben im Rahmen der<br />

Forschungsziele der jeweiligen Abteilung bzw. Kommission erläutert werden.<br />

Göbekli Tepe, Südostanatolien<br />

(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />

Der mit 15 m Schichtmächtigkeit gewaltige, rein steinzeitliche Siedlungshügel von<br />

Göbekli Tepe bei Urfa wird seit 1995 systematisch erforscht. Herausragend sind die<br />

monumentalen, mit Skulpturen und Reliefs ausgestatteten Kreisanlagen aus der Zeit<br />

um 9000 v. Chr. Sie kennzeichnen den Göbekli Tepe als rituelles Zentrum und als<br />

Kommunikationsplattform für eine offenbar großräumig vernetzte jägerische<br />

Bevölkerung. Diese Monumente stellen damit eine weltweit einzigartige Quelle zur<br />

Geschichte des Umbruchs von jägerischen Gesellschaften zum Bauerntum dar und<br />

lassen diesen Wandel in gänzlich neuem Licht erscheinen. Der Göbekli Tepe belegt, wie<br />

andere zeitgleiche Plätze der Region auch, daß Seßhaftigkeit und Ortsbindung nicht<br />

zwangsläufig mit produzierendem Wirtschaften zusammengehen müssen. Da sich<br />

Stand: 01/2007 8


östlich von Göbekli aber die Vulkanlandschaft Karacadağ erstreckt, die mit Hilfe<br />

naturwissenschaftlicher Untersuchungen als Heimat später kultivierter Getreidearten<br />

bestimmt werden konnte, stellt sich u. a. auch die Frage, ob die in erster Linie<br />

jägerisch geprägte Kultgemeinschaft des Göbekli Tepe nicht doch die Kultivierung von<br />

Wildgetreide initiiert haben könnte; jedenfalls gehört dieser Problemkreis zu den<br />

zentralen Fragen, die die Forschungen an diesem Ort verfolgen.<br />

Orontes-Tal, Syrien<br />

(K. Bartl, Orient-Abteilung, Außenstelle Damaskus)<br />

Das Projekt befaßt sich mit der Entstehung und Entwicklung des Neolithikums (10000-<br />

6000 v. Chr.) im zentralen Bereich des sog. Levantinischen Korridors. Die Arbeiten<br />

gehen dabei von der allgemein akzeptierten These aus, daß der durch Jordan-Tal,<br />

Beqa’a-Ebene und Orontes-Tal gebildete Grabenbruch eine zentrale Rolle innerhalb der<br />

Neolithisierungsprozesse im Vorderen Orient gespielt haben muß. Von der Existenz<br />

permanent genutzter Ansiedlungen ist möglicherweise schon seit dem Epipaläolithikum<br />

(12000-10000 v. Chr.), sicher aber ab dem Frühneolithikum (10000-7000 v. Chr.)<br />

auszugehen, doch bleiben entsprechende Belege bislang spärlich und nur auf das<br />

Spätneolithikum beschränkt. Das Untersuchungsgebiet am mittleren Orontes, das<br />

derzeit erstmals intensiven Prospektionen unterzogen wird, bildet aufgrund seiner<br />

naturräumlichen Voraussetzungen eine Region, die optimale Bedingungen für<br />

Seßhaftigkeit und produzierendes Wirtschaften bietet. Die bisherigen Surveys<br />

bestätigten das große Potential dieser Region hinsichtlich einer eingehenderen<br />

Erforschung des Frühneolithikums. Dabei stieß man mehrfach auf Plätze (Tell Karzali,<br />

Tell Ahmar), die sich für eine Ausgrabung zur Gewinnung stratifizierter<br />

frühneolithischer Fundkomplexe eignen.<br />

Aruchlo, Transkaukasien<br />

(S. Hansen, Eurasien-Abteilung)<br />

Die Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschafts- und Lebensweise aus dem Fruchtbaren<br />

Halbmond in die nördlich angrenzenden Gebiete des Kaukasus ist noch unzureichend<br />

erforscht. Zwar sind Siedlungen des frühen Neolithikums in diesem Großraum seit<br />

längerem bekannt und einige auch durch kleine Grabungen sondiert, doch fehlt es<br />

bislang an detaillierten Angaben zu Chronologie, Wirtschaftsweise, Hausbau,<br />

Siedlungsstruktur u. a. m. Um diese Kenntnislücke zu füllen, werden seit 2005<br />

Ausgrabungen auf dem frühneolithischen Siedlungshügel Aruchlo I unweit von Tiblissi<br />

durchgeführt. Vordergründige Ziele des Projektes sind die Bereitstellung von<br />

Basisdaten zur Siedlungs- und Lebensweise sowie zu den Umweltverhältnissen, der<br />

Aufbau einer Chronologie der Siedlungshorizonte sowie die Klärung des Verhältnisses<br />

zu den benachbarten Tell-Siedlungen. Daneben wird die Rolle Aruchlos im<br />

Obsidianhandel eine wichtige Rolle spielen. An der komplexen Erforschung des Platzes<br />

und seines Umfeldes sind verschiedene archäologische und naturwissenschaftliche<br />

Disziplinen beteiligt. Das Projekt Aruchlo verspricht neue Erkenntnisse zum Prozeß der<br />

Neolithisierung in der Kaukasusregion. Langfristig sind weitere Ausgrabungen an<br />

frühneolithischen Siedlungen in benachbarten Regionen von Azerbajdjan, Iran und<br />

Turkmenistan geplant. Damit ergibt sich die Möglichkeit eines Vergleichs von<br />

Anpassungsstrategien früher Bauern an ganz unterschiedliche Umweltbedingungen.<br />

Kırklareli, Türkisch-Thrakien<br />

(H. Parzinger, Zentrale)<br />

Der türkische Teil Thrakiens zwischen Istrandža-Gebirge im Norden, Marmara-Meer im<br />

Süden, Rhodopen im Westen und Schwarzem Meer im Osten spielte eine<br />

entscheidende Rolle bei der Verknüpfung prähistorischer Kulturentwicklungen<br />

Anatoliens, der Ägäis und der Balkanhalbinsel, ganz besonders hinsichtlich der<br />

Stand: 01/2007 9


Ausbreitung neolithischer Lebens- und Wirtschaftsformen. Die Bedeutung dieser Region<br />

als Brückenkopf unterstrichen die Ausgrabungen in Hoca Çeşme zu Beginn der 90er<br />

Jahre, die die bislang ältesten frühneolithischen Siedlungsreste in diesem Teil<br />

Südosteuropas erbrachten. Hoca Çeşme darf dabei als ‚Außenposten’ einer<br />

frühneolithischen Kultur von gänzlich anatolischem Gepräge gelten. Dies stellt erneut<br />

die Frage nach der Rolle Anatoliens für den Beginn von Seßhaftigkeit und<br />

produzierendem Wirtschaften auf dem Balkan, die sich nun auf soliderer Grundlage<br />

stellen läßt. Ausgrabungen der letzten Jahre im neolithischen Tell von Aşaği Pınar bei<br />

Kırklareli im Inneren Türkisch-Thrakiens haben umfassende Einblicke in die mittel- und<br />

spätneolithische Entwicklung dieses Raumes geliefert, wobei sich Veränderungen in der<br />

Siedlungsstruktur, in der Architektur, im Fundmaterial und in der Wirtschaftsweise<br />

abzeichneten, die unsere Kenntnis dieser Periode erheblich erweiterten. Dabei war<br />

u. a. festzustellen, daß dieses Gebiet ab dem Mittelneolithikum zusammen mit heute in<br />

Bulgarien gelegenen Orten der Stufen Karanovo III und IV eine kulturelle Einheit<br />

bildete, die deutlich von gleichzeitigen Kulturen Anatoliens unterschieden ist. Die<br />

künftigen Untersuchungen in Aşaği Pınar werden sich auf die Erforschung der<br />

vorzüglich erhaltenen frühneolithischen Schichten konzentrieren, um auch das<br />

Verhältnis von den stark anatolisch geprägten Orten der Marmara-Küste (z. B. Hoca<br />

Çeşme) zur Entwicklung im Inneren Türkisch-Thrakiens (Aşaği Pınar) während des<br />

7./6. Jt. v. Chr. zu klären, eine Frage, die von zentraler Bedeutung für die<br />

Neolithisierung Südosteuropas ist.<br />

Okolište, Zentralbosnien<br />

(K. Rassmann, RGK)<br />

Das Gebiet von Zentralbosnien spielte im Neolithikum eine wichtige Rolle als Mittler<br />

zwischen den Siedlungsgebieten an der Adriaküste und dem zentralen Balkan. Entlang<br />

der Flüsse Neretva und Bosna erstreckt sich eine verkehrsgeographisch begünstigte<br />

Landschaft, über die beide Großräume miteinander verbunden sind. Moderne<br />

archäologische Untersuchungen fehlen in Zentralbosnien, doch seit 2002 werden<br />

kleinere Grabungen und geophysikalische Prospektionen am großen Siedlungshügel<br />

Okolište im Visoko-Becken durchgeführt. Als erstes Ergebnis dieser Aktivitäten liegt der<br />

geomagnetische Plan einer 5 ha großen Siedlung mit Häuserzeilen und<br />

Befestigungssystemen vor. Vorzüglich erhaltene Siedlungsbefunde sowie typologische,<br />

radiometrische, archäozoologische und botanische Analysen an Fundmaterialien der<br />

bisherigen Grabungen weisen auf ein großes wissenschaftliches Potential des in das<br />

Spätneolithikum gehörenden Platzes hin. In weiteren Grabungskampagnen soll zum<br />

einen die innere Struktur der Siedlung erforscht werden. Durch Freilegung<br />

ausgewählter Flächen lassen sich einzelne Haushalte, siedlungsinterne<br />

Verkehrsverhältnisse und die Befestigung der Siedlungsanlage rekonstruieren.<br />

Begleitende bauarchäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen sollen sich<br />

der Architekturgeschichte und der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse am Platz<br />

widmen. Zum anderen können die zentralörtliche Funktion von Okolište und das<br />

Netzwerk der Kleinregion Visoko im späten Neolithikum über Sondagen bereits<br />

prospektierter Siedlungshügel der Umgebung näher untersucht werden. Das Projekt<br />

Okolište verspricht neue Erkenntnisse zum spätneolithischen Siedlungswesen in einer<br />

naturräumlich gut abgegrenzten Siedlungskammer.<br />

Ambrona, Kastilisches Hochland<br />

(M. Kunst, Abteilung Madrid)<br />

Bis vor wenigen Jahren ging die Forschung davon aus, daß die Anfänge des frühesten<br />

Neolithikums auf der Iberischen Halbinsel mit Siedlern zusammenhingen, die aus dem<br />

ostmediterranen Raum stammten. Diese sollten sich an der Ostküste Spaniens<br />

niedergelassen und die entlang der Küsten des Mittelmeeres weit verbreitete<br />

Cardialkeramik mitgebracht haben. In einem Akkulturationsprozeß hätten die<br />

Einheimischen dann die neolithische Lebensweise übernommen und aus der<br />

Stand: 01/2007 10


Cardialkeramik das sog. Epicardial entwickelt. Im Inneren der Iberischen Halbinsel<br />

waren beide Keramikstile lange Zeit unbekannt, und man nahm an, daß seßhafte<br />

Lebensweise und produzierendes Wirtschaften dort erst erheblich später mit dem<br />

Beginn der Megalithkultur Einzug hielten. In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch<br />

vermehrt Funde eines sog. Meseta-Neolithikums bekannt, die eine gänzlich andere<br />

Entwicklung denkbar erscheinen ließen, bislang aber noch nicht verläßlich datiert<br />

werden konnten. Die vor einigen Jahren durchgeführten Ausgrabungen an Fundstellen<br />

im kastilischen Hochland im Raum Ambrona verfolgten das Ziel, diese Spuren eines<br />

frühesten, vom Cardial-Bereich offenbar unabhängigen Neolithikums näher zu<br />

erforschen. Dabei gelang es, für die zweite Hälfte des 6. Jt. v. Chr. ein<br />

vollausgebildetes Frühneolithikum mit Tierhaltung und Pflanzenanbau nachzuweisen,<br />

das die Anfänge von seßhaftem Leben und produzierendem Wirtschaften auf der<br />

Meseta nun in anderem Licht erscheinen läßt.<br />

Marokkanisches Küstenland<br />

(J. Eiwanger, KAAK)<br />

Das Thema „Neolithisierungstendenzen im marokkanischen Küstenland“ steht im<br />

Mittelpunkt eines multidisziplinären Kooperationsprojekts, das für eine weitgehend<br />

unerforschte Region des westlichen Maghreb ein möglichst vollständiges Bild der<br />

Kulturfolge von den Anfängen menschlicher Besiedlung bis in die geschichtliche Zeit<br />

schaffen soll. Die unterschiedlichen Lebensräume des Arbeitsgebietes, die montane<br />

Zone des Rif, der Küstenstreifen, die Moulouya-Stromoase und die östlichen<br />

Gebirgsausläufer, werden exemplarisch prospektiert, und an ausgewählten Fundstellen<br />

folgen ergänzende Grabungen. Die bisherigen Forschungen lassen annehmen, daß<br />

nach einer primären altneolithischen Besiedlung des Küstenraumes durch Träger der<br />

mediterranen Cardialkeramik eine fortschreitende Aufsiedlung des Hinterlandes<br />

erfolgte. Dort blieb jedoch weiterhin eine epipaläolithische Wirtschaftsweise prägend,<br />

und es entwickelte sich ein Jäger-Hirten-Komplex ohne wesentliche agrikulturelle Züge.<br />

Dies entspricht einer Tendenz in weiten Teilen Afrikas, wo seßhafte Fischer-Hirten-<br />

Kulturen den gesamten Südsahararaum besiedelten. Erklärbar sind diese Kontinuitäten<br />

vor allem dadurch, daß die afrikanische Tierwelt an der Wende vom Glazial zum<br />

Holozän keinem Wandel unterworfen war. Diese Lebens- und Wirtschaftsform reichte<br />

im Maghreb bis ins Spätneolithikum, führte u. a. zu Zentralheiligtümern wie dem<br />

Cromlech von M'sora im westlichen Rif, wandelte sich dann jedoch im fortgeschrittenen<br />

3. Jt. v. Chr. zu einer teils vollnomadischen, teils transhumanen Hirtenkultur<br />

(Felsbilder des Atlas u. a.). Die Gründe dafür sind noch weitgehend unbekannt und<br />

wohl spezifisch afrikanisch, weil sich auf der benachbarten Iberischen Halbinsel zur<br />

selben Zeit eine absolut gegenläufige Entwicklung vollzog, die schließlich zu<br />

frühmetallzeitlichen Großsiedlungen mit Befestigungen usw. führte.<br />

Nordosteuropäisches Waldgebiet<br />

(H. Piezonka, Zentrale)<br />

In der Waldzone Nordosteuropas existierte seit dem 6. und teilweise bis ins 2. Jt. v.<br />

Chr. hinein ein als ‚neolithisch’ bezeichneter Kulturkomplex, der durch eine spezifische<br />

kamm- und grübchenverzierte Keramik gekennzeichnet wird. Vom mittel- und<br />

südeuropäischen Neolithikum unterscheidet er sich insbesondere dadurch, daß trotz<br />

des Auftretens von Keramik weiterhin eine im Grunde noch mesolithisch geprägte<br />

aneignende Wirtschaftsweise die Lebensgrundlage seiner Träger bildete. Auch von<br />

Ortsfestigkeit und permanent genutzten Siedlungen kann wohl nur bedingt<br />

ausgegangen werden, vielmehr dürften saisonale Wanderbewegungen vorgeherrscht<br />

haben. Dieses sog. Waldneolithikum soll in einer vergleichenden Gesamtbetrachtung<br />

(Promotionsvorhaben) neu bewertet werden, wobei insbesondere die regionale und<br />

chronologische Gliederung sowie die Lebens- und Wirtschaftsformen im Vordergrund<br />

stehen werden. Entscheidende Bedeutung nimmt dabei u. a. die Frage ein, ob der<br />

Anstoß zu dieser Entwicklung aus dem Bereich der bereits vollneolithischen Kulturen<br />

Stand: 01/2007 11


Mittel- und Südosteuropas kam, oder ob die Keramik erzeugenden Wildbeuter<br />

Nordosteuropas eine davon gänzlich unabhängige Tradition vertreten.<br />

Palpa, Südperu<br />

(M. Reindel, KAAK)<br />

Das Forschungsvorhaben mit dem Thema „Andentranssekt – Siedlungsdynamik<br />

zwischen Meeresküste und Altiplano der Anden“ wird im Süden Perus durchgeführt. Die<br />

zentralen Anden sind ein Hochgebirge in den Tropen. Zwischen der Küstenwüste im<br />

Westen und den gletscherbedeckten Berggipfeln im Osten finden sich die<br />

unterschiedlichsten ökologischen Zonen, die im Laufe der Zeit einem klimatischen,<br />

landschaftlichen und kulturellen Wandel unterworfen waren. Das Untersuchungsgebiet<br />

umfaßt das Flußsystem der Täler von Palpa, einen geographisch scharf gegen die<br />

nördlich und südlich angrenzende Wüste definierten Raum mit Hunderten<br />

archäologischer Siedlungen. In den vier Hauptregionen Küste, Andenfuß, Täler und<br />

Hochgebirge haben sich Menschen im Laufe der Jahrtausende in verschiedenster Weise<br />

mit wechselnden Wirtschaftsformen an die Umwelt angepaßt. Unterschiedliche<br />

Kulturstufen sind durch jeweils abweichende Siedlungsstandorte und Siedlungsformen<br />

geprägt. Im Rahmen dieses Projektes soll exemplarisch der Prozeß der<br />

Seßhaftwerdung und Siedlungsentwicklung in Südamerika von ersten akeramischen<br />

Fischersiedlungen über frühen Bodenbau, Bewässerungswirtschaft bis hin zu<br />

komplexen Gesellschaftsformen untersucht werden. Bisherige Untersuchungen haben<br />

sich auf die Region am Andenfuß konzentriert. Durch eine Ausweitung in die<br />

Bergregionen und die Vernetzung mit dem Projekt „Montegrande“ (s. u.) soll das<br />

gesamte Landschaftsprofil von der Meeresküste bis zu den Anden erforscht werden.<br />

Montegrande, Südperu<br />

(B. Vogt, KAAK)<br />

Der Reichtum an marinen Ressourcen hat an den Meeresküsten des amerikanischen<br />

Kontinents zur Seßhaftwerdung ohne die gleichzeitige Entwicklung der Landwirtschaft<br />

geführt. Ackerbau entstand dort als sekundäre Wirtschaftsform zunächst in den<br />

feuchten Flußuferzonen und später – in Verbindung mit künstlicher Bewässerung – in<br />

den gesamten kultivierbaren Auen von Taloasen. Das in der Küstenwüste Südperus<br />

gelegene Mündungsgebiet des Rio Grande weist zwei benachbarte, aber deutlich<br />

abgrenzbare Naturräume auf: einerseits das eigentliche Mündungsgebiet, in dem<br />

Prospektionen Anzeichen für eine präkeramische Besiedlung und Muschelhaufen aus<br />

der Zeit um 4000 v. Chr. lieferten, und andererseits eine Talweitung etwa 3 km<br />

flußaufwärts, die für Bewässerungslandwirtschaft geeignet war und Siedlungsreste aus<br />

der Paracaszeit (800-200 v. Chr.) und nachfolgenden Perioden erbrachte. An diesen<br />

beiden Schlüsselstellen lassen sich früheste Wirtschaftsformen und deren Einfluß auf<br />

die Siedlungsentwicklung erforschen.<br />

Llanos de Moxos, Ostbolivien<br />

(H. Prümers, KAAK)<br />

Das Projekt Llanos de Moxos widmet sich Siedlungsprozessen in einer<br />

Überschwemmungssavanne des südlichen Amazonasbeckens. Tropische Regenwälder<br />

galten bislang als natürliche, d. h. durch den Menschen nicht oder kaum veränderte<br />

geographische Großräume. Diese Lehrmeinung ist seit den 80er Jahren zunehmend ins<br />

Wanken geraten. Für das Amazonasgebiet wird gegenwärtig zu klären versucht, wie<br />

stark der Mensch dort die Umwelt gestaltet hatte. Zur Aufsiedlung des<br />

Amazonasbeckens und den darauf folgenden Kulturentwicklungen liegen bisher jedoch<br />

kaum archäologische Daten vor. Im Zentrum der Forschungen steht ein Randgebiet<br />

des Amazonasbeckens, die Llanos de Moxos. In dieser ca. 110.000 km 2 großen<br />

Überschwemmungssavanne finden sich zahlreiche Reste von Kanälen, Dämmen,<br />

Stand: 01/2007 12


Wasserreservoirs und Hügelbeet-Komplexen. Allein das Ausmaß dieser Anlagen läßt<br />

auf die Existenz komplexer Kulturen mit seßhafter bäuerlicher Lebensweise in einer<br />

Region schließen, die heute auf Grund schlechter Böden als untauglich für<br />

Landwirtschaft gilt. Unklar bleibt ferner, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen<br />

Voraussetzungen die „Kultur von Moxos“ entstanden ist, doch auch ihre weitere<br />

Entwicklung und die Gründe für ihr Ende entziehen sich genauerer Kenntnis. Eine<br />

verläßliche Beantwortung dieser Fragen würde unsere Kenntnis der Siedlungsprozesse<br />

und Kulturentwicklungen im vorspanischen Amazonien erheblich verbessern.<br />

Stand: 01/2007 13


Forschungscluster 2<br />

INNOVATIONEN: TECHNISCH, SOZIAL<br />

Sprecher: R. Eichmann, S. Hansen, C. Schuler<br />

EINLEITUNG<br />

Die Erfahrung von Wandel prägt die moderne Lebenswelt in allen Bereichen. Nicht nur<br />

allmähliche Veränderungen, sondern der Zwang zu Reformen und die ständige Suche<br />

nach Innovationen in einem globalen Wettbewerb bestimmen das Bewußtsein von<br />

Politik und Gesellschaft. Innovationen werden als unbedingte Voraussetzung für eine<br />

erfolgreiche Bewältigung der Zukunft, die Bewahrung von Lebensstandards und die<br />

Stabilität der Gesellschaftsordnung betrachtet und deshalb gezielt und in hohem<br />

Tempo angestrebt. Dabei werden Innovationen heute vor allem als technische<br />

verstanden, und die noch vor kurzem stärker akzentuierte Kritik an naiver<br />

Technikgläubigkeit hat einer differenzierteren Sicht Platz gemacht, in der die Lösung<br />

drängender Probleme wieder vor allem von neuen, 'intelligenten' Techniken erhofft<br />

wird. Auf der anderen Seite stehen Verunsicherung und Zukunftsängste breiter<br />

Bevölkerungskreise angesichts des Veränderungsdrucks auf bis dahin<br />

selbstverständlich tragende Strukturen. Diese Beobachtungen verweisen auf die<br />

Einbettung von Technik und Innovationen in ihren gesellschaftlichen Kontext und die<br />

Abhängigkeit ihrer Akzeptanz von der herrschenden Mentalität.<br />

In starkem Kontrast zur heutigen Situation wirken vormoderne Kulturen in ihrem<br />

Entwicklungsgang langsam oder geradezu statisch. Vielfach blieben die konkreten<br />

Lebensumstände innerhalb einzelner Generationen nahezu unverändert. Dabei ist<br />

Statik nicht mit Stabilität zu verwechseln: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

erlaubte oft nicht mehr als ein labiles Gleichgewicht mit geringer Krisentoleranz, so daß<br />

Kriege oder Naturkatastrophen schwere Rückschläge bewirken konnten. Über<br />

Generationen langsam erarbeitete Fortschritte konnten auf diese Weise fast mit einem<br />

Schlag wieder zunichte gemacht werden.<br />

Dennoch spielen auch und gerade in vormodernen Gesellschaften Entwicklungsimpulse<br />

und Neuerungen aller Art eine zentrale Rolle. Sie sind aufgrund ihres selteneren<br />

Vorkommens sogar ein besonders interessantes Phänomen. Denn gerade vor dem<br />

Hintergrund eines grundsätzlich langsamen Entwicklungstempos drängt sich umso<br />

mehr die Frage nach den Bedingungen der Entstehung und Ausbreitung von<br />

Innovationen auf.<br />

Innovationen haben in der frühen Menschheitsgeschichte zweifellos eine wichtige Rolle<br />

gespielt. Das Bündel von neuen Techniken, das Gordon Childe mit der griffigen Formel<br />

der "Neolithischen Revolution" belegte, veränderte grundlegend die Wirtschafts- und<br />

Lebensweise des Menschen. Die Erfindung des Rades im 4. Jahrtausend empfinden wir<br />

als so elementar, daß sie in Form von Redewendungen in unsere Sprache eingegangen<br />

ist. Die 'Erfindung' der Demokratie im klassischen Athen ist festes Traditionselement<br />

der europäischen Geschichte. Die Entstehung des Christentums in der frühen<br />

römischen Kaiserzeit markiert den Beginn eines langen Konflikts mit den traditionellen<br />

Kulten, der schließlich zu einem tiefgreifenden Wandel aller Ebenen der antiken Welt<br />

beitrug. Obwohl also die Bedeutung von Innovationen für die Herausbildung sozialer<br />

und politischer Organisation unbestritten ist, ist dieser Zusammenhang bislang im<br />

Rahmen der modernen archäologischen und altertumswissenschaftlichen Forschung<br />

Stand: 2006 14


noch kaum untersucht worden. Für die dafür erforderliche Langzeitperspektive bieten<br />

sich die Archäologien und Altertumswissenschaften an, um im Kulturvergleich neue<br />

komparative Einsichten in die Verschiedenheit innovativer Prozesse zu gewinnen.<br />

Dabei geht es nicht um eine traditionelle Fortschrittsgeschichte der technischen<br />

Erfindungen, sondern um die Bedeutung von Techniken verschiedenster Art in<br />

kulturellen Systemen. Der Begriff der 'Innovation' steht deshalb im folgenden nicht nur<br />

für technische Neuerungen im engeren Sinn, sondern auch für neue Erscheinungen in<br />

anderen kulturellen Bereichen. Das Aufkommen neuer religiöser Kulte gehört dazu<br />

ebenso wie die Entwicklung von Gebäudetypen oder die Einführung neuer öffentlicher<br />

Ämter. In einer kulturgeschichtlich orientierten Betrachtung sollen technische und<br />

andere Innovationen nicht in erster Linie als funktionale Problemlösungen, sondern im<br />

Hinblick auf ihre soziale und symbolische Dimension betrachtet werden.<br />

Gesellschaftliche Strukturen und Innovationen bedingen sich gegenseitig. Die<br />

Möglichkeit und konkrete Entfaltung von Innovationen ist abhängig von den Strukturen<br />

einer Gesellschaft, und ihre Durchsetzung und Ausbreitung hat wiederum<br />

Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Ein prinzipielles Positivurteil im Sinne eines<br />

linearen Fortschrittsdenkens ist dabei zu vermeiden. Was als 'Fortschritt' bewertet<br />

wird, ist vielmehr Ausdruck zeitgebundener Werturteile sowohl im Kontext des<br />

untersuchten Zeitraums wie in der Perspektive des Forschenden und deshalb einer<br />

kritischen Reflexion zu unterwerfen. Das schließt auch und gerade eine Perspektive auf<br />

die Verweigerung von Innovation und den Widerstand gegen sie ein. Neben der<br />

Bedeutung von Innovationen als Motor sozialen Wandels ist deshalb die starke<br />

Traditionsorientierung vieler vormoderner Gesellschaften in den Blick zu nehmen.<br />

BESCHREIBUNG DES CLUSTERS<br />

Das Forschungscluster Innovationen: technisch, sozial bündelt die am Deutschen<br />

Archäologischen <strong>Institut</strong> existierenden Forschungsprojekte, die in besonderer Weise<br />

Innovationen in den Vordergrund rücken. Den Schwerpunkt bilden dabei komplexe<br />

Gesellschaften; den spezifischen Fragen und Problemen, die mit der 'neolithischen<br />

Revolution' verbunden sind, ist ein eigenes Cluster gewidmet. Für den konkreten<br />

Arbeitsprozeß ist es sinnvoll, zwei Schwerpunkte zu bilden.<br />

Technische Innovationen<br />

In diesem Block sollen in engerem Sinne technikgeschichtliche Untersuchungen ihren<br />

Platz finden. Die Konzentration auf zwei zentrale natürliche Ressourcen und ihre<br />

Nutzung durch den Menschen bietet sich im Sinne einer Bündelung innerhalb des DAI<br />

vorhandener Forschungsschwerpunkte an. Es ist klar, daß die Archäologie hierfür an<br />

aktuelle Diskussionen über die Kulturgeschichte der Technik bzw. von Techniken in<br />

anderen Kulturwissenschaften anknüpfen muß.<br />

a) Ressource Wasser<br />

Dem Umgang mit Wasser als einer Grundbedingung des Lebens ist für die<br />

Herausbildung sozialer Formationen immer große Bedeutung beigemessen worden,<br />

wie etwa die anhaltende Diskussion über die Rolle der Bewässerungswirtschaft für<br />

die Staatsentstehung in Mesopotamien zeigt. Die Mechanismen und Techniken, die<br />

gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen antiken Wassermanagements sind<br />

in den Zivilisationszentren der großen alluvialen Flußtäler (z. B. Nil, Euphrat/Tigris,<br />

Indus, Yangtse usw.) und der bedeutenden Oasen archäologisch-baugeschichtlich<br />

und/oder aus schriftlicher Überlieferung meist gut bekannt. Folgenreich für Natur<br />

und Mensch waren vor allem wasserbautechnische Innovationen in ariden<br />

Regionen Ägyptens und Mesopotamiens ohne ganzjährig verfügbare<br />

Wasserressourcen. Die frühen Hochkulturen, die dort entstanden, waren von<br />

Bewässerungstechniken abhängig, entsprechende Befunde werden aber häufig<br />

nicht identifiziert oder in ihrer Bedeutung für die Kulturentwicklung unterschätzt.<br />

Stand: 2006 15


Innerhalb des DAI spielen wasserwirtschaftliche Projekte vor allem in der<br />

Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen und der Orient-Abteilung<br />

eine wichtige Rolle. Mehrere laufende Projekte behandeln im Hinblick auf<br />

unterschiedliche Kulturen ähnliche Fragestellungen zur Wasserwirtschaft und<br />

können von einer vergleichenden Perspektive profitieren. Besonders lohnend<br />

erscheint eine geographisch übergreifende, vergleichende Untersuchung zur<br />

Adaption menschlichen Verhaltens an konkrete Umweltbedingungen. In einer<br />

erweiterten Perspektive wäre zu prüfen, inwieweit das Wissen über antike<br />

Wasserbautechniken für die Lösung gegenwärtiger wasserwirtschaftlicher Probleme<br />

herangezogen werden könnte.<br />

b) Ressource Metall<br />

Metalle spielten in der Prähistorie und der Antike eine bedeutende Rolle für die<br />

Verbesserung von Geräten und Waffen und als Darstellungsmittel sozialen Rangs.<br />

Die Epochenbenennung in der Prähistorischen Archäologie ist seit dem 19. Jh. an<br />

die jeweils charakteristische Verwendung einzelner Metalle angelehnt (Kupfer-,<br />

Bronze-, Eisenzeit).<br />

Technische Innovationen in der Metallurgie und infolge metallurgischer Fortschritte<br />

sind mehrfach von entscheidender Bedeutung gewesen. Die Bedeutung der Metalle<br />

für die grundlegende Umgestaltung der neolithischen Ökonomie und die<br />

Herausbildung politischer Macht wird bereits seit langem diskutiert. Aber auch in<br />

späteren Epochen spielen die Kontrolle über Rohstoffvorkommen, die Gewinnung<br />

von Metallen und die Methoden ihrer Verarbeitung und Verwendung eine zentrale<br />

Rolle. Hier können verschiedene Projekte in einen unmittelbaren<br />

Diskussionszusammenhang eintreten und gemeinsam untersuchen, in welchem<br />

Ausmaß Innovationen auf dem Gebiet der Metallurgie das gesellschaftliche Leben<br />

veränderten. Insbesondere in der Eurasien-Abteilung und in der Abteilung Madrid<br />

bestehen zu diesem Thema bereits eigene Forschungsschwerpunkte.<br />

Soziale Innovationen<br />

Innerhalb dieses besonders weiten Feldes empfiehlt sich eine Konzentration auf zwei<br />

zentrale Bereiche, wobei die Interdependenz von technisch-funktionaler Innovation und<br />

sozioökonomischer Entwicklung im Mittelpunkt steht.<br />

a) Gesellschaftliche und politische <strong>Institut</strong>ionen<br />

Das Aufkommen von institutionalisierten Häuptlingen war in neolithischen<br />

akephalen Gesellschaften eine Innovation, die für die Organisation des Bergbaus<br />

bzw. die Mobilisierung von Arbeitskraft entscheidend gewesen sein dürfte. Die<br />

Entwicklung oder Übernahme der Schrift ist als einschneidender<br />

Entwicklungsschritt früher Gesellschaften von besonderer Bedeutung. Der Staat<br />

oder besondere Formen des Gemeinwesens wie die griechische Polis waren<br />

innovative Organisationsformen mit nachhaltigen Folgen für die weitere kulturelle<br />

Entwicklung. Diese Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen, unterstreichen die<br />

Bedeutung institutioneller Neuerungen quer durch die Epochen. Mehrere Projekte<br />

innerhalb des DAI beschäftigen sich mit Einzelaspekten innovativer Prozesse dieser<br />

Art und können von einem verstärkten Austausch profitieren.<br />

b) Mobilität und Wissenstransfer<br />

Innovationen sind teils die Folge echter Erfindungen im Sinne bewußter kreativer<br />

Akte bestimmter Personen, teils entstehen sie innerhalb eines bestimmten<br />

Zeitraums als Summe vieler kleiner Schritte, deren Ergebnis sich schließlich als<br />

deutlicher Entwicklungsschritt bemerkbar macht. Innovationen der zweiten<br />

Kategorie sind als kollektive Entwicklungen von Anfang an gesellschaftlich breit<br />

verankert, sie entstehen aus der Praxis und fließen unmittelbar in die Praxis ein.<br />

Stand: 2006 16


Dagegen sind Erfindungen oft Produkte einzelner Köpfe oder einer intellektuellen<br />

Avantgarde, die für eine breite Wirkung einer bewußten Förderung und des<br />

Werbens um Akzeptanz bedürfen. Teilweise sind ihre Urheber aber auch gar nicht<br />

an einer praktischen Anwendung interessiert. Aus moderner Sicht erscheint es<br />

paradox, daß antike Wissenschaftler wiederholt wichtige Erkenntnisse und<br />

Erfindungen erreichten, zu deren praktischer Umsetzung es niemals kam. Das<br />

Beispiel illustriert, daß die Ausbreitung von Innovationen nicht nur durch Mißtrauen<br />

oder Widerstand gegen Neuerungen gehemmt werden kann, sondern auch durch<br />

schlichtes Desinteresse. Warum manche Innovationen bereitwillig aufgenommen<br />

wurden und andere nicht, ist ein interessanter Aspekt der Mentalitätsgeschichte.<br />

Bei der Verbreitung von Innovationen können sowohl Medien der Mobilität, wie das<br />

Rad oder das domestizierte Pferd, als auch institutionelle Formen von Mobilität<br />

eine Rolle spielen. Mit Mobilität verbunden sind Wissenstransfers auf<br />

verschiedenen Ebenen, von technischen über soziale Innovationen bis hin zu<br />

sakralem Wissen. Dabei ist andererseits die Möglichkeit parallaler Entwicklung an<br />

verschiedenen Orten nicht aus dem Blick zu verlieren.<br />

PROJEKTE<br />

WASSER<br />

Die Oase und der Große Damm von Marib, Jemen<br />

(I. Gerlach, Orient-Abteilung,<br />

B. Vogt, KAAK)<br />

Die Oase von Marib war der Lebensnerv eines bedeutenden Karawanenreiches des<br />

1. Jt. v. Chr. In ihr entstand infolge von Aromata- und Gewürzhandel sowie<br />

landwirtschaftlicher Prosperität eine Hochkultur mit weiter Ausstrahlung. Die<br />

Außenstelle Sanaa begann im Jahr 2004 mit Geländebegehungen im Oasengebiet von<br />

Marib, die neue Erkenntnisse zur Entwicklungsgeschichte der künstlichen Bewässerung<br />

in der Oase liefern, wobei die überwiegende Zahl der Fundstellen in die altsüdarabische<br />

Zeit (12. Jh. v. Chr. – 6. Jh. n. Chr.) datiert werden kann.<br />

Ein eigenes Projekt ist dem Großen Damm von Marib gewidmet. Dieser 620 m lange<br />

Erddamm sperrt ein Trockenbett vollständig ab und ist in seiner Funktion vor allem<br />

über seine beiden monumentalen, steinernen Auslaßbauwerke erschließbar. Die<br />

Sperranlage diente dem kurzfristigen Aufstauen saisonaler Sturzfluten während der<br />

Regenzeit. Über die Auslaßbauwerke konnten die sich durch ständige<br />

Aufsedimentierung erhöhenden Felder mit Wasser versorgt werden. Die Anbaufläche<br />

erreichte eine Ausdehnung von mindestens 9600 Hektar und bot der antiken<br />

sabäischen Hauptstadt eine ausreichende Versorgungsgrundlage. Umfassende<br />

Reinigungsarbeiten ergeben jetzt ein stark modifiziertes Bild vom ursprünglichen<br />

Erscheinungsbild der Dammanlage. Epigraphische Neufunde erlauben außerdem eine<br />

einschneidende Umdatierung ihrer Entstehung in das 5. oder 6. Jh. n. Chr. Der<br />

politische und gesellschaftliche Kontext des Dammbaus ist damit neu zu überdenken.<br />

Bei den abschließenden Arbeiten 2006 bleibt außerdem die Lokalisierung der bisher nur<br />

indirekt belegten Vorgängerbauten an derselben Stelle zu klären.<br />

Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman<br />

(R. Eichmann, Orient-Abteilung)<br />

Die Oasenwirtschaft in Oman kann als Beispiel dienen für eine Lebensweise, die im<br />

Vorderen und Mittleren Orient sowie in Nordafrika weit verbreitet ist und den<br />

Gegenentwurf zum Leben in den großen Flussoasen von Nil, Euphrat und Tigris bildet.<br />

Im Oman beruht die seßhafte Lebensweise auf Grund der ökologischen Bedingungen<br />

fast ausschließlich auf der Oasenwirtschaft. Die Untersuchungen umfassen den<br />

Zeitraum vom 5./6. Jt. v. Chr. bis in die Moderne. Gegenstand der Arbeiten sind die<br />

Stand: 2006 17


Siedlungen selbst, ihre Wasserversorgung und die zugehörigen agrarischen<br />

Nutzflächen. Die archäologische Fragestellung richtet sich auf den Prozess der<br />

Seßhaftwerdung des Menschen in einer lebensfeindlichen Umwelt und die von ihm<br />

gewählten Anpassungsstrategien (z. B. Wahl und Veränderung der Siedlungsstandorte,<br />

Veränderung der Wirtschaftsweise, Bodenauftrag für die Landwirtschaft, Entwicklung<br />

unterschiedlicher Bewässerungssysteme) sowie auf die Gründe für den dramatisch<br />

erscheinenden Zusammenbruch der Oasenwirtschaft im 2. Jt. v. Chr. Dabei soll<br />

erstmals der Versuch unternommen werden, die Entwicklung der Oasen in einem<br />

größeren Rahmen zu betrachten.<br />

Die Oase von Tayma, Saudi-Arabien<br />

(R. Eichmann, Orient-Abteilung)<br />

Tayma gilt als eine der herausragendsten archäologischen Fundstätten Saudi-Arabiens<br />

und des Vorderen Orients. Der aus der Bibel und der keilschriftlichen Literatur<br />

bekannte Ort entwickelte sich auf Grund seiner geographischen Lage und<br />

Wasserressourcen zu einer ausgedehnten Oasensiedlung und einem<br />

Handelsstützpunkt. Der spätbabylonische König Nabonid, auf dessen Präsenz in der<br />

Region u. a. Felsinschriften in der Umgebung von Tayma hinweisen, hatte hier<br />

vorübergehend (für 10 Jahre) seine Residenz.<br />

Wasserwirtschaft in Südperu<br />

(B. Vogt, M. Reindel, KAAK)<br />

Fast der gesamte Küstenverlauf Perus wird von Wüsten eingenommen, die zu den<br />

trockensten weltweit gehören. Während der Antike ist in der Region dennoch eine<br />

starke Siedlungstätigkeit und eine intensive landwirtschaftliche Nutzung zu<br />

beobachten, die zeit- und klimaabhängig in Teilbereichen auf künstliche Bewässerung<br />

angewiesen war. Dafür sprechen ausgedehnte antike Bewässerungssedimente und die<br />

allgegenwärtigen Spuren antiker Bewässerungskanäle. Die wechselvolle<br />

Klimageschichte und die zunehmende Austrocknung am unmittelbaren Andenfuß<br />

Südperus während der vergangenen 2-3000 Jahre zeichnet sich durch die<br />

multidisziplinären Forschungen des Verbundprojektes Palpa/Nasca immer deutlicher<br />

ab. Anders verhält es sich im unmittelbaren Bereich der vorgelagerten<br />

Küstenkordilliere, die nach ersten Beobachtungen schon länger ein vollarides Klima<br />

aufgewiesen haben muss. Im Durchbruch des Rio Grande durch die Küstenkordilliere<br />

haben sich Sedimente abgelagert, die wahrscheinlich auf antike Bewässerung<br />

zurückzuführen sind und die Existenz Paracas- und Nasca-zeitlicher Siedlungsplätze<br />

erklären können. Im steilwandigen Kessel von Monte Grande sind zudem alte<br />

Kanalreste am Talboden erkennbar. Als Ergänzung zu den bisherigen Untersuchungen<br />

im benachbarten Raum Palpa soll hier in den nächsten Jahren die antike Bewässerung<br />

in ihrer Funktion, Technik und Entwicklung rekonstruiert werden.<br />

Strukturen der Wasserversorgung bronzezeitlicher Siedlungen im östlichen<br />

Mittelmeerraum<br />

(S. Bocher, Abteilung Athen)<br />

Obwohl die Wasserversorgung einen wesentlichen Aspekt des Siedlungswesens bildet,<br />

fehlt bisher eine systematische Analyse der Bewässerungskonzepte bronzezeitlicher<br />

Siedlungen. Neben wassertechnischen und hydrogeologischen Untersuchungen steht<br />

vor allem die Frage im Vordergrund, inwieweit sich in der Organisation des<br />

Wasserhaushalts gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklungen widerspiegeln.<br />

Hierbei soll u. a. untersucht werden, inwieweit die komplexen Wassersysteme<br />

orientalischer Siedlungen jene in der bronzezeitlichen Ägäis beeinflusst haben.<br />

Stand: 2006 18


METALL<br />

Ausgrabungen in Pietrele, Rumänien<br />

(S. Hansen, A. Reingruber, Eurasien-Abteilung)<br />

Im westlichen Schwarzmeerraum ist im letzten Viertel des 5. Jt. v. Chr. erstmalig eine<br />

vollentwickelte Kupferproduktion und, wie die Gräberfelder zeigen, eine stratifizierte<br />

Gesellschaft nachweisbar. Die Ausgrabungen in Magura Gorgana bei Pietrele an der<br />

Unteren Donau bieten die Chance, die wirtschaftliche Entwicklung in einer Siedlung<br />

über mehrere Jahrhunderte ab etwa der Mitte des 5. Jt. v. Chr. zu beleuchten. Damit<br />

wird das Aufkommen der Kupfermetallurgie in einen ökonomischen und sozialen<br />

Rahmen gestellt. Mehr als 80 Kupferobjekte, die bisher gefunden wurden, zeigen, daß<br />

Pietrele in den Austausch, möglicherweise auch die Produktion von Metallobjekten<br />

eingebunden war und in den Fernbeziehungen eine wichtige Rolle gespielt haben<br />

dürfte.<br />

Frühe Metallurgie im Gebiet von Aqaba, Jordanien<br />

(R. Eichmann, K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />

Im 4. Jt. v. Chr. wurde in der Siedlung Hujayrat al Ghuzlan bei Aqaba Kupfer verhüttet,<br />

das aus dem ca. 30 km entfernten Bergwerksgebiet von Timna stammt. Auf Grund<br />

ihrer geostrategischen Lage war zu vermuten, dass die Aqaba-Region direkte Kontakte<br />

mit Ägypten unterhielt. Nach sechs Feldforschungskampagnen in der Aqaba-Region<br />

steht jetzt fest, dass das metallarme Ägypten bereits im 4. Jt. v. Chr. Kupfer aus dem<br />

Bereich der südlichen Levante bezog. Es ist möglich, daß der Golf von Aqaba als<br />

Verkehrsweg genutzt wurde und die in Ägypten gefundenen Kupferbarren direkt aus<br />

Aqaba geliefert wurden. In diesem Zusammenhang gelangten ägyptische Artefakte<br />

nach Aqaba. Kupferverarbeitung und künstliche Bewässerung sowie die hierfür<br />

notwendige Arbeitskraft, vor allem aber das erforderliche Knowhow, lassen folgern,<br />

daß eine ausgeprägte Arbeitsteilung und die zum Management ingenieurtechnischer<br />

Aufgaben notwendigen hierarchischen Strukturen bereits in dieser Zeit existierten.<br />

Prähistorischer Güteraustausch zwischen der südlichen Levante und Ägypten:<br />

Kupfer im Sinai und in Maadi<br />

(U. Hartung, Abteilung Kairo,<br />

R. Eichmann, Orient-Abteilung)<br />

Mit den Ausgrabungen der Orient-Abteilung des DAI am Tell Hujayrat al-Ghuzlan,<br />

Aqaba, ist die Frage der Handelsbeziehungen zwischen der südlichen Levante und dem<br />

prädynastischen Unterägypten wieder in den Brennpunkt des Interesses gerückt. Eine<br />

wichtige Rolle bei diesem Austausch scheinen metallurgische Güter gespielt zu haben.<br />

Die in großer Zahl in Hujayrat gefundenen Gußformen haben eine verblüffende<br />

Ähnlichkeit mit Kupferbarren aus Maadi, und ein Import des Metalls aus dem Wadi<br />

Arabah mit den beiden gut untersuchten Erzlagerstätten Timna und Feinan erscheint<br />

durchaus möglich. Alle Überlegungen zur Provenienz von Kupferobjekten im<br />

prädynastischen Ägypten entbehren jedoch einer soliden Basis, solange nicht die Rolle<br />

der Kupfererzlagerstätten auf dem Sinai sowie in der ägyptischen Ostwüste geklärt ist.<br />

Als Ergänzung zu diesen montanarchäologischen Erkundungen an den Erzlagerstätten<br />

sind Nachuntersuchungen in Maadi nötig, um mehr über die Verhüttung oder<br />

Weiterverarbeitung des angelieferten Metalls in der Siedlung zu erfahren.<br />

Stand: 2006 19


Frühe Metallverarbeitung in Arisman, Iran<br />

(B. Helwing, Eurasien-Abteilung,<br />

H. Parzinger, Zentrale)<br />

Die Forschungen in der Region von Arisman sind Teil des interdisziplinären<br />

Forschungsprojekts „Bergbau und Metallurgie im Altertum auf dem Iranischen<br />

Hochplateau". Dabei soll die Entwicklung der frühen Metallurgie und ihre Auswirkungen<br />

auf Gesellschaft und Umwelt unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden<br />

(Rohstoffgewinnung, Verhüttungstechnologie, Umweltauswirkungen, Organisation von<br />

Arbeit und Handel, Fernbeziehungen). Arisman ist eine Siedlung, in der von der Mitte<br />

des 4. Jt. v. Chr. bis zum Beginn des 3. Jt. v. Chr. Kupferverhüttung und -verarbeitung<br />

in industriellem Maßstab stattfanden. In den letzten Jahren wurden Teile einer<br />

Metallhandwerkersiedlung sowie Kupferverhüttungsöfen am Rand der Siedlung<br />

freigelegt, so daß der metallurgische Prozeß detailliert rekonstruiert werden kann. Ein<br />

Survey im Hinterland von Arisman ergab, daß es eine noch ältere Phase der<br />

Kupferverarbeitung in dieser Region und weitere Verhüttungsplätze am Rand der<br />

Wüste gibt. Arisman scheint aber zu einem zentralen Ort im näheren Umkreis zu<br />

avancieren, was auf eine Bevölkerungsverdichtung hinweisen könnte.<br />

Ausgrabung Zambujal, Portugal<br />

(M. Kunst, Abteilung Madrid)<br />

Durch die Grabungen des DAI seit 1964 wurde der kupferzeitliche Fundort zu einem<br />

der berühmtesten der Iberischen Halbinsel. Das gegenwärtige Forschungsprogramm ist<br />

speziell der Herkunft des Kupfers, das in Zambujal verarbeitet wurde, gewidmet. Dabei<br />

sollen zumindest das Herkunftsgebiet eingeengt und vorgeschichtliche Minen gefunden<br />

werden, wodurch die Erforschung des kupferzeitlichen Bergbaus in diesem Raum auf<br />

eine neue Grundlage gestellt werden könnte. Daneben sind neue Kenntnisse zur<br />

kupferzeitlichen Technologie zu erwarten. Im Rahmen des seit 2004 laufenden DFG-<br />

Projektes zur Archäometallurgie von Zambujal wurden u. a. eine erste, bisher<br />

unbekannte vorgeschichtliche Mine, ein möglicher Kupfergießplatz und Herde mit<br />

Resten von Kupferverarbeitung untersucht. Daneben wurden bereits zahlreiche<br />

Materialproben im Labor bearbeitet.<br />

Sizandro und Alcabrichel:<br />

Zwei kupferzeitliche Siedlungskammern im Vergleich<br />

(M. Kunst, Abteilung Madrid)<br />

Ausgehend von den Ergebnissen aus dem Grabungsprojekt in Zambujal ist ein<br />

umfassenderes Projekt geplant, bei dem es um die innere Struktur und Entwicklung<br />

der frühen kupferzeitlichen Kultur in Mittelportugal gehen soll (Rekonstruktion der<br />

Umwelt, Handelsbeziehungen, Machtbereiche, Gesellschaftsstruktur). Die bisherigen<br />

Ausgrabungen haben sich ausschließlich auf die Stratigraphie, Bau- und<br />

Siedlungsgeschichte von Zambujal beschränkt. Aus dem unmittelbaren Hinterland sind<br />

verschiedene, wesentlich kleinere Siedlungen derselben Epoche bekannt, aber nahezu<br />

unerforscht (Täler des rio Sizandro und des rio Alcabrichel). Ziel dieses internationalen<br />

Projektes ist, anhand der intensiven interdisziplinären Untersuchung einer Kleinregion<br />

exemplarisch die Entwicklung ökonomischer und gesellschaftlicher Strukturen in der<br />

von zahlreichen Innovationen gekennzeichneten Kupferzeit (3. Jt. v. Chr.) der<br />

Iberischen Halbinsel aufzuzeigen. Damit soll die in der Literatur aufgeworfene<br />

Hypothese einer frühen staatlichen Organisation getestet werden.<br />

Stand: 2006 20


Untersuchungen zur frühbronzezeitlichen Siedlungslandschaft im mittleren<br />

Grantal und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Metallurgie im<br />

nordwestlichen Karpatenbecken<br />

(K. Rassmann, RGK)<br />

Die Siedlungsgeschichte am Übergang vom Spätneolithikum zur Bronzezeit ist im<br />

Grantal durch besondere Dynamik und Komplexität gekennzeichnet. Die in der<br />

Frühbronzezeit zunehmenden Einflüsse von Kulturen des Karpatenbeckens sind<br />

plausibel mit der Erschließung der reichen Erzlagerstätten der Nordwestkarpaten zu<br />

erklären. Im August 2004 begannen Untersuchungen auf der unmittelbar am<br />

Slowakischen Tor gelegenen befestigten Siedlung von Rybnik. Besonderes Interesse<br />

gilt der Funktion der befestigten Siedlung in Zusammenhang mit der Metallurgie.<br />

Deren Bedeutung spiegelt sich in den neu entstehenden Kontakten zwischen den<br />

Kulturen des Karpatenbeckens und dem Gebirgsbereich, die anhand der reichen<br />

Keramikfunde zu verfolgen sind.<br />

Frühe Metallurgie in Xinjiang, China<br />

(M. Wagner, Eurasien-Abteilung)<br />

In diesem Forschungsprogramm werden neue Antworten auf die alte Frage gesucht, ob<br />

die Technologie der Kupfermetallurgie nach China eingeführt wurde oder ob man sie in<br />

China unabhängig entwickelte. Das Projekt ist darauf ausgerichtet, die aus Grabungen<br />

der letzten Jahre in Xinjiang gewonnenen Metallfunde des 2. und 1. Jt. v. Chr.<br />

systematisch für chemische und isotopische Analysen zu beproben, typologisch zu<br />

ordnen und absolut zu datieren. Die metallurgischen und kulturellen Sequenzen sollen<br />

mit denen der benachbarten Gebiete verglichen und auf diese Weise die frühe<br />

Technologieentwicklung Xinjiangs in einen breiten eurasischen Kontext eingebunden<br />

werden. Metallurgie ist eine der technischen Innovationen, die wesentliche<br />

wirtschaftliche und soziale Wandlungen verursachen. Für Mitteleuropa und den Orient<br />

ist dies bereits erkannt und untersucht worden. Im zentral- und ostasiatischen Raum<br />

stehen solche Untersuchungen dagegen noch am Anfang. Erst in den letzten Jahren ist<br />

die entscheidende Rolle des östlichen Zentralasiens, insbesondere der Gebiete<br />

Xinjiang, Gansu und Qinghai, in den prähistorischen Beziehungen von Ost und West<br />

überhaupt erkannt worden.<br />

Goldgewinnung in Togo<br />

(J. Eiwanger, KAAK)<br />

In Bearbeitung ist eine ausgedehnte eisenzeitliche Goldgewinnungsanlage im südlichen<br />

Togo (Kpévu bei Notsé). Hierzu wird ein kurzer Feldaufenthalt zur mineralogischen<br />

Probenentnahme erforderlich, da während des früheren Projektes eine andere<br />

Zweckbestimmung der Anlage angenommen worden war und keine adäquaten<br />

Sedimentproben vorhanden sind. Die Anlage erschließt sich mittlerweile über sehr<br />

ähnliche Ensembles, die in enger geographischer Bindung an den Gold Belt in<br />

Botswana und angrenzenden Ländern vorkommen. Zu untersuchen ist weiterhin, ob<br />

etwa mediterrane Anlagen ähnlicher Form (z. B. Sardinien) demselben Zweck gedient<br />

haben könnten.<br />

Die Wirtschaftsgrundlagen der Stadt Munigua, Spanien<br />

(T. Schattner, Abteilung Madrid)<br />

Im hispano-römischen Munizipium Munigua (Sevilla) spielen Fragen der Metallurgie<br />

(Bergbau und Verhüttung) für das Verständnis der Stadtgeschichte eine zentrale Rolle.<br />

Das Fallbeispiel eignet sich gut für die Untersuchung des Zusammenwirkens von<br />

natürlichen Ressourcen, ihrer Bewirtschaftung und der Stadtentwicklung. Wie sich<br />

zeigt, handelt es sich um einen Modellfall, der im römischen Hispanien vielfach zu<br />

Stand: 2006 21


eobachten, aber bisher nirgendwo untersucht ist. Die Wirtschaftsform, namentlich der<br />

Bergbau, führte in Munigua zu einem charakteristischen Siedlungsmuster, das für viele<br />

Städte Gültigkeit besitzt und sich durch den Charakter der Stadt als Zentralort<br />

auszeichnet. Während die Stadt hauptsächlich die Infrastruktur für Verwaltung, Kult,<br />

Handel und Verkehr bereithält, indessen kaum für Wohnung, siedelt die Bevölkerung<br />

mehrheitlich im Umland in Weilern oder auf einzeln liegenden Höfen. Die große Zahl<br />

der Fundstellen der von Minen und Bergbau geprägten Region läßt den Schluß zu, daß<br />

das römische Munigua in augusteischer Zeit wegen der im Umland gelegenen Minen<br />

gegründet wurde. Als im 2. Jh. n. Chr. die Minen ausgebeutet waren, begann der<br />

Niedergang der Stadt.<br />

Tharsis - Castro Cerquillo und Pico del Oro.<br />

Wirtschaftsweise, Gesellschaft und Kultur in der Kontaktzone zwischen Küste<br />

und Hinterland zur mittleren Eisenzeit<br />

(T. Schattner, Abteilung Madrid)<br />

Die Iberische Halbinsel gehört zu den reichsten Bergbauregionen Europas. Erz und<br />

Metall, Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn u. v. a. m., ihre Ausbeutung, Gewinnung,<br />

Verhüttung und Verarbeitung spielen seit der Kupferzeit eine Hauptrolle in der<br />

Geschichte des Landes. Der Zustrom fremder Völker auf der Suche nach Metall ist die<br />

Regel. Wer es hatte, wer die Technik der Erzeugung beherrschte, war den anderen<br />

entscheidend voraus. Es geht um technische Innovationen, um ökonomische und<br />

soziale Entwicklungen. Anhand von Grabungen in Castro Cerquillo und Pico del Oro<br />

(Tharsis, Ortsgemeinde Alosno, Provinz Huelva), die in Sichtweite voneinander in etwa<br />

5 km Entfernung liegen, soll das Problem der Kulturgrenze untersucht werden, welche<br />

dazwischen verläuft; denn das Castro gehört nach seiner Anlage und nach den Funden<br />

zur einheimischen Kultur, die Siedlung Pico del Oro jedoch zur orientalisch-punisch<br />

geprägten. Obgleich Tharsis nach Riotinto der zweitwichtigste Platz des Iberischen<br />

Pyritgürtels ist, liegen von beiden Orten bisher nur Kurzuntersuchungen vor. Eine<br />

Grabung auf dem Pico del Oro würde die nunmehr einzige Untersuchung einer<br />

orientalisch-punischen Bergwerkssiedlung darstellen. Im Falle des Castro wird die<br />

Untersuchung wichtige Aufschlüsse über die Kenntnisse der Metallverhüttung in<br />

einheimischen Siedlungen bringen; derartige Befunde fehlen bisher.<br />

GESELLSCHAFT, INSTITUTIONEN, MOBILITÄT<br />

Griechische Kolonien in archaischer und klassischer Zeit<br />

(O. Dally, Zentrale,<br />

D. Mertens, Abteilung Rom,<br />

R. Posamentir, Abteilung Istanbul)<br />

Die griechischen Kolonien spielten eine wichtige Rolle als Experimentierfelder, die zur<br />

institutionellen Entwicklung der Polis und zur Erfindung neuer Stadtformen bedeutende<br />

Beiträge leisteten. Die Kolonien waren zugleich Kontaktzonen, in denen Kulturgüter<br />

und Ideen zwischen Griechen und Einheimischen sowie über den Handel zwischen<br />

Griechenland und den Nachbarkulturen im Westen und Osten vermittelt wurden. Dieser<br />

Austausch führte zu vielfältigen Anregungen für alle Beteiligten. Die von mehreren<br />

Abteilungen des DAI betriebenen Forschungen zu griechischen Kolonien in Unteritalien<br />

und auf Sizilien sowie im Schwarzmeergebiet sind aus verschiedenen Blickwinkeln für<br />

die Frage relevant, inwieweit die Städtegründungen als Innovationsträger gelten<br />

können.<br />

Stand: 2006 22


Polis-<strong>Institut</strong>ionen in hellenistischer Zeit<br />

(C. Schuler, H. Müller, AEK,<br />

F. Pirson, Abteilung Istanbul)<br />

Der Hellenismus wird heute im Gegensatz zur älteren Forschung als eine Blütezeit der<br />

griechischen Polis verstanden. Während in der klassischen Zeit nur Athen<br />

differenzierter untersucht werden kann, liegt uns für die hellenistische Zeit eine Fülle<br />

von Inschriften aus allen Teilen der griechischen Welt vor, die es uns erlauben, die<br />

institutionelle Entwicklung der Poleis breiter zu untersuchen. Dabei ist im Rahmen der<br />

allgemeinen gesellschaftlichen und urbanistischen Entwicklung der Städte, die sich<br />

z. B. in der Verbreitung von Gymnasien und Theatern äußert, vielfach die Einführung<br />

neuer <strong>Institut</strong>ionen, Ämter oder Organisationsformen belegt. Bei der Frage nach den<br />

Bedingungen und Auswirkungen solcher Reformen bietet sich eine Zusammenführung<br />

der von der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik betriebenen<br />

Untersuchungen zu einzelnen Polis-Ämtern und den öffentlichen Finanzen der Städte<br />

mit den in anderen Abteilungen betriebenen Forschungen zur Entwicklung und<br />

Verbreitung bestimmter Typen öffentlicher Gebäude an.<br />

Die Inschriftenkultur der Iberischen Halbinsel<br />

(A. Stylow, AEK)<br />

Den Begriff epigraphic habit prägte vor gut zwanzig Jahren R. MacMullen für die Sitte,<br />

mit Inschriften versehene Monumente aus dauerhaften Materialien zu errichten. Die<br />

Verbreitung des Phänomens stellt einen der wichtigsten und am besten<br />

dokumentierten Vorgänge im Rahmen der Romanisierung dar, da in vielen Regionen<br />

des Westens der Gebrauch von Inschriften erst im Gefolge der römischen Herrschaft<br />

üblich wurde. Aber auch für den griechischen Osten wird heute vermehrt nach der<br />

kulturellen Bedeutung der Verwendung von Inschriften oder bestimmter<br />

Monumenttypen gefragt, etwa im Hinblick auf die Selbstdarstellung nicht nur der Eliten<br />

oder die Repräsentation von Herrschaft. Unverzichtbare Vorrausetzung für diesen<br />

Forschungsansatz ist ein möglichst vollständiger Zugriff auf alle Inschriften einer<br />

Region, der nur durch die Sammlung und Edition in Corpora zu gewährleisten ist. Im<br />

Zusammenhang mit dem Langzeitprojekt des Corpus der lateinischen Inschriften der<br />

Iberischen Halbinsel (CIL II 2 ) hat sich A. Stylow mehrfach mit den Anfängen der<br />

epigraphischen Kultur, ihrem explosionsartigen Aufblühen unter Augustus sowie<br />

einzelnen regionalen Phänomenen beschäftigt. Im November 2006 soll das Thema im<br />

Rahmen einer internationalen Tagung in München weiterverfolgt werden.<br />

Die Verwaltung der Stadt Rom in der Kaiserzeit<br />

(C. Schuler, AEK)<br />

Im Rahmen seiner Habilitationsschrift hat C. Schuler eine zusammenfassende Studie<br />

der administrativen Organisation der Stadt Rom in der Kaiserzeit (1.-3. Jh.) vorgelegt,<br />

die jetzt für den Druck vorbereitet wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage, wie<br />

die Einführung neuer Ämter und die wiederholten Reformen in der Verwaltung der<br />

Stadt legitimiert wurden und inwieweit diese Neuerungen nach den Maßstäben antiker<br />

städtischer Verwaltung als innovativ gelten können. Als Perspektive für weiterführende<br />

Arbeiten bietet sich ein Vergleich Roms mit anderen antiken Metropolen und mit<br />

Millionenstädten anderer Epochen an, in dessen Rahmen nach den Standards der<br />

städtischen Verwaltungsorganisation und nach den Bedingungen der Entwicklung oder<br />

Übernahme neuer Organisationsformen zu fragen wäre.<br />

Stand: 2006 23


Die römische Armee im Osten als Vermittler von Kulten<br />

(R. Haensch, AEK)<br />

Die Rolle, die die römische Armee bei der Verbreitung von Kulten und der<br />

Durchdringung mit neuen religiösen Anschauungen zwischen den verschiedenen<br />

lokalen Kulturen des Reiches spielte, wurde bisher nur für die Provinzen des weit<br />

besser erforschten Westens intensiver untersucht. Das Forschungsprojekt will dies für<br />

den Osten mit seinen in vieler Hinsicht anders gestalteten Voraussetzungen auf der<br />

Basis von Inschriften, Papyri, literarischen Aussagen und archäologischen Befunden<br />

nachholen. Dabei geht es vor allem um die Frage, in welcher Weise das überregionale<br />

System "Armee" zur Entwicklung und zum Transfer von Innovationen im Bereich von<br />

Kult und religiöser Praxis beitrug.<br />

Südliches jemenitisches Hochland:<br />

Forschungen zur Genese der himyarischen Kultur<br />

(I. Gerlach, Außenstelle Sanaa, Orient-Abteilung)<br />

Im Laufe des 1. Jh. v. Chr. kommt es zu einschneidenden politischen und kulturellen<br />

Veränderungen in Südarabien. Diese sind Folge des fortschreitenden Machtverfalls der<br />

Karawanenreiche am Wüstenrandgebiet, die zunehmend durch von Norden<br />

eindringende arabische Stämme unter Druck geraten und einen Großteil ihres<br />

wirtschaftlichen Einflusses durch die Verlagerung der Weihrauchstraße von den<br />

Inlandrouten auf das Rote Meer verlieren. Das dadurch hervorgerufene Machtvakuum<br />

wird durch sich neu etablierende Hochlandstämme ausgefüllt. Der Stammesverbund<br />

von Himyar setzt sich dabei in der sog. frühhimyarischen Zeit (1. v. Chr. bis 3. Jh. n.<br />

Chr.) gegen andere Konkurrenten durch, kontrolliert den Weihrauchhandel und ergreift<br />

im frühen 4. Jh. n. Chr. die Macht über ganz Südarabien. Bedingt durch die<br />

Verlagerung des Überlandhandels auf den Seehandel kommt es erstmalig in der<br />

südarabischen Geschichte zu engeren politischen Kontakten außerhalb des Kernlandes<br />

und zu einem intensiven Kulturtransfer mit der mediterranen Welt. Soziale aber auch<br />

technische Innovationen, die zu einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel in der<br />

frühhimyarischen Zeit in Südarabien führten, deuten sich neben den archäologischen<br />

Funden und Befunden auch in den inschriftlichen Quellen an. Eine genaue Analyse der<br />

materiellen Kultur soll dazu führen, den gesellschaftlichen Umbruch umfassend<br />

nachzuweisen, der sich u. a. in Individualisierungsprozessen, der Entstehung neuer<br />

Kulte und einer stärkeren Bindung der Gesellschaft an das Herrscherhaus als an eine<br />

Religionsgemeinschaft widerspiegelt.<br />

ARBEITSPROGRAMM UND ZEITPLAN<br />

Das Forschungscluster wird sich Anfang März mit einem von den Sprechern<br />

diskutierten Programmentwurf an die Abteilungen und die Einzelprojekte mit der<br />

Aufforderung zur Mitarbeit wenden. Im Laufe des Jahres 2006 soll an einer<br />

ausführlicheren theoretischen Fundierung von „Innovationen: technisch, sozial“<br />

gearbeitet werden.<br />

VERANSTALTUNGEN 2006<br />

1.-3. Juni 2006<br />

Internationale Konferenz „Von Maikop bis Trialeti. Metalle und Obsidian in<br />

Kaukasien im 4.-2. Jt. v. Chr.“<br />

(S. Hansen, I. Motzenbäcker, Eurasien-Abteilung)<br />

Im Mittelpunkt der Tagung stehen die Gewinnung, Verarbeitung und der Einsatz<br />

verschiedener metallischer Rohstoffe und Obsidian zwischen dem 4. und 2. Jt. v. Chr.<br />

Stand: 2006 24


in Kaukasien. Damit wird ein für den gesamten Schwarzmeerraum bis Südosteuropa<br />

bedeutsamer Zeitraum beleuchtet, in dem nicht nur neue Techniken der<br />

Metallverarbeitung, sondern offenkundig auch soziale Umordnungsprozesse stattfinden.<br />

Die bekannten Gräber von Maikop, Trialeti und vom Arslantepe sind hierfür beredter<br />

Ausdruck. Die Teilnehmer sollen genauen Vorgaben der Veranstalter folgend den<br />

archäologischen und montanarchäologischen Forschungsstand in verschiedenen<br />

Regionen referieren, neue Ergebnisse der archäometallurgischen Untersuchungen,<br />

Methoden und Ergebnisse der Herkunftsbestimmung des Obsidians vorstellen,<br />

herstellungstechnische Innovationen des Bronzegusses beleuchten und Aspekte des<br />

Gütertransfers behandeln.<br />

5.-7. November 2006<br />

Internationale Konferenz "Aufkommen, Entwicklung und Transformation des<br />

epigraphic habit in den hispanischen Provinzen"<br />

(A. Stylow, C. Schuler, AEK)<br />

Die Tagung beschäftigt sich in einer ersten Sektion mit allgemeinen Fragen des<br />

epigraphic habit und untersucht dann die Entwicklung auf der Iberischen Halbinsel,<br />

teils bezogen auf einzelne Städte oder Regionen, teils mit Blick auf bestimmte<br />

Inschriften- und Monumenttypen. Spanien eignet sich aufgrund seines Reichtums an<br />

Inschriften besonders gut für diesen Ansatz. Die Tagung wird von der DFG gefördert.<br />

15.-16. Dezember 2006<br />

Kolloquium „Innovationen: technisch, sozial“<br />

(R. Eichmann, Orient-Abteilung,<br />

S. Hansen, Eurasien-Abteilung,<br />

C. Schuler, AEK)<br />

Auf dieser Tagung sollen sowohl Techniksoziologen, Technikhistoriker und<br />

Kulturanthropologen/Ethnologen als auch Archäologen über Grundlagen und<br />

Perspektiven des Forschungsclusters in den Dialog finden. Die Tagung wird für<br />

interessierte Projekte offen sein.<br />

Stand: 2006 25


Forschungscluster 3<br />

POLITISCHE RÄUME<br />

Sprecher: O. Dally, R. Haensch, F. Pirson, S. Sievers<br />

EINLEITUNG<br />

Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> betreibt und fördert Forschungen zur Deutung<br />

und zum Verständnis menschlichen Verhaltens in der Vergangenheit. Dieses Ziel<br />

impliziert die Beschäftigung mit den Kategorien Zeit und Raum als konstitutiven<br />

Grundlagen von Geschichte überhaupt. Nachdem der Zeit im neuzeitlichen Denken<br />

lange eine Vorrangstellung eingeräumt worden war, deutet sich in den letzten zehn bis<br />

fünfzehn Jahren eine Verschiebung der Interessen an. Fragen nach Räumen und ihrer<br />

Funktion als Träger sozialer Praxis gewinnen an Gewicht, so daß mittlerweile gar von<br />

einem „spatial turn“ (D. Cosgrove) in den Kulturwissenschaften die Rede ist.<br />

Trotz der Aktualität des Themas ist die Diskussion nicht neu: In der derzeitigen<br />

Debatte werden Theoreme weiterentwickelt, die erstmalig um die Wende vom 19. zum<br />

20. Jh. formuliert worden sind. Im damals geführten soziologischen und<br />

kulturphilosophischen Diskurs wurde Raum nicht mehr als statische Größe<br />

wahrgenommen, sondern als die Art und Weise, wie Räume gestaltet werden. Damit<br />

war die Beschreibung von Räumen als Produkte sozialer Interaktion möglich geworden,<br />

deren kulturelle Formung erst durch ihre Nutzer und deren Wahrnehmung stattfindet.<br />

Diese Positionen werden momentan wieder aufgegriffen, nachdem Forschungen zu<br />

Raumfragen seit der Nachkriegszeit kaum weiterentwickelt worden sind. Eine Ursache<br />

dafür war die Bedeutung der Kategorie Raum in der Ideologie der Nationalsozialisten<br />

und der deutschen Expansionspolitik während des Zweiten Weltkriegs. Hinzu kam die<br />

Verabsolutierung des Raumbegriffes z.B. in der Kunstwissenschaft der Zwanziger und<br />

Dreißiger Jahre, die den künstlerischen Raum als Strukturmerkmal von Kunstkreisen<br />

ansah und ihn infolgedessen zum Ausdruck des `Volkscharakters´ einzelner Ethnien<br />

stilisierte. Dieser politisch wie erkenntnistheoretisch gleichermaßen problematischen<br />

Verwendung des Raumbegriffs ist es zuzuschreiben, daß die Beschäftigung mit dem<br />

Phänomen Raum bis in die 1970er Jahre hinein als ausgesprochen reaktionär<br />

angesehen wurde.<br />

Das neue Interesse am Raum in den visuellen und materialorientierten Disziplinen der<br />

Kulturwissenschaften, d.h. vor allem in der Kunstgeschichte und der Archäologie, ist<br />

ausgesprochen kontextbezogen und strebt insofern nicht nach der Definition<br />

struktureller Homologien über Epochengrenzen hinweg. Demgegenüber steht die Frage<br />

im Mittelpunkt des Interesses, welchen Beitrag die Kategorie Raum zur Konstruktion<br />

sozialer und politischer Wirklichkeit in unterschiedlichen historischen Kontexten<br />

leistete. Der methodische Fortschritt gegenüber der bisher üblichen<br />

Auseinandersetzung mit räumlichen Gebilden in der archäologischen Forschung liegt<br />

darin, daß `Räume´ nicht mehr bloß als materielle Hülsen für menschliches Verhalten<br />

angesehen werden (essentialistischer Raumbegriff). Vielmehr wird vorausgesetzt, daß<br />

sich Räume erst im Zusammenspiel gebauter Grenzen, festen und beweglichen<br />

Inventars, der Nutzung durch Lebewesen und in der Rezeption durch Betrachter<br />

konstituieren (dynamischer Raumbegriff). Unter dieser Prämisse, die eine Verbindung<br />

des `ästhetischen Raums´ (E. Cassirer) und der Vorstellung von Räumen als<br />

Produkten sozialer Interaktion (G. Simmel) darstellt, können Räume als Strukturen<br />

analysiert und interpretiert werden, durch die soziale und politische Verhältnisse<br />

produziert und reproduziert werden (C. Jöchner mit Bezug auf D. Gregory und J. Ury).<br />

Stand: 11/2007 26


In zahlreichen Projekten des DAI, die sich mit Architektur und der Gestaltung von<br />

Lebensräumen beschäftigen, kann der dynamische Raum-Begriff zur Anwendung<br />

kommen. Innerhalb dieses breiten Spektrums konzentriert sich das Forschungscluster<br />

3 auf solche Projekte, die sich mit politischen Räumen beschäftigen. Darunter werden<br />

Räume verstanden, die im Rahmen der Organisation von Gemeinschaften und<br />

Gemeinwesen konkrete Funktionen übernehmen. Diese Definition entspricht am<br />

ehesten der von H. Arendt entwickelten Vorstellung vom politischen Raum als<br />

Handlungssphäre der „vita activa“, wobei das politische Handeln auf eine „freie<br />

Gestaltung und Veränderung des Gemeinwesens abzielt“ (W. Köster). Aus Sicht der<br />

archäologischen Forschung können Lagerplätze steinzeitlicher Jägergemeinschaften<br />

ebenso als politische Räume gelten wie die Agorai griechischer Poleis. Gemeinsame<br />

Fragestellung ist, wie Räume zu Trägern politischer Organisation wurden. Letztere<br />

umfaßt den Zugriff auf Ressourcen und die Hierarchisierung von Gesellschaften ebenso<br />

wie die Ausprägung und Exekution politischer Macht und den Umgang mit<br />

symbolischen Formen.<br />

Die Hauptaufgabe der einzelnen Projekte besteht zunächst in der Rekonstruktion der<br />

Räume im oben definierten Sinn, wobei sich je nach Epoche und<br />

Überlieferungssituation eine sehr unterschiedliche Detailliertheit der Rekonstruktion<br />

möglich ist. Während unter idealen Bedingungen, wie z.B. in den Vesuvstädten, die<br />

Chance besteht, anhand des archäologischen Befundes den Prozeß der Ausprägung<br />

politischer Räume nachzuvollziehen, ihre Ausstattung in die Interpretation mit<br />

einzubeziehen und durch die Verteilung beweglichen Inventars oder in Gestalt von<br />

Selbstzeugnissen (Wandinschriften u.ä.) sogar die Benutzer faßbar werden, stehen<br />

andernorts zunächst nur die Raumhülsen selbst zur Verfügung. Um trotz dieser sehr<br />

heterogenen Basis einen vergleichbaren Querschnitt zu erhalten, bietet es sich an, in<br />

einem ersten Schritt nach den konstituierenden Elementen der zu analysierenden<br />

Räume zu fragen. Ausgehend von der Prämisse, daß vor der Verbreitung der<br />

wissenschaftlichen Geographie und der allgemeinen Zugänglichkeit maßstabsgerechter<br />

Karten seit der frühen Neuzeit eine natürliche, d.h. lineare und prinzipiell<br />

eindimensionale (=hodologische) Orientierung vorherrschte, gilt es nach den<br />

markanten Punkten und Strecken zu fragen, anhand derer man sich orientierte und die<br />

zugleich die Räume konstituierten. Erst im Anschluß an die Rekonstruktion der<br />

jeweiligen hodologischen Schemata kann der Beitrag analysiert werden, den die so<br />

gestalteten Räume und Territorien zur Ausprägung politischer Strukturen leisteten.<br />

Für die Organisation des Forschungsclusters ergibt sich aus dem bisher Gesagten<br />

folgende Gliederung: In einem ersten Workshop im Dezember 2006 wurde die<br />

methodische und inhaltliche Ausrichtung des Clusters diskutiert und die Terminologie<br />

präzisiert. Weiterhin konnten vier Forschungsfelder definiert werden, denen sich die<br />

einzelnen Projekte des Forschungsclusters zugeordnet haben. Dabei können einzelne<br />

Projekte in mehreren Forschungsfeldern vertreten sein. Die Forschungsfelder sind<br />

folgendermaßen gegliedert:<br />

Erschließung und<br />

Nutzung<br />

Grenzen politischer<br />

Räume<br />

Politische Räume<br />

Urbane Räume<br />

Orte der Herrschaft<br />

Stand: 11/2007 27


Forschungsfeld 1: Erschließung und Nutzung<br />

Die im Forschungsfeld „Erschließung und Nutzung von Räumen“ vertretenen Projekte<br />

kennzeichnet eine beträchtliche geographische Spannweite. Sie reicht von<br />

Mitteleuropa, über Italien, Griechenland, Kleinasien, das nördliche Schwarzmeergebiet,<br />

Kaukasien, die arabische Halbinsel, Ägypten bis nach Marokko. Dem entsprechend<br />

unterschiedlich stellen sich auch Qualität und Struktur der archäologischen Daten dar,<br />

wie z. B. das Verhältnis von Siedlungsfunden zu Grabfunden einschließlich ihrer<br />

Auswertung und Veröffentlichung. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die<br />

Sozialstrukturen in den jeweiligen Untersuchungsgebieten unterschiedlich differenziert<br />

sind. Vor diesem Hintergrund ist die Variabilität der sich in archäologischen Daten<br />

spiegelnden Vorgänge von Erschließung und Nutzung keine Überraschung. Die Vielfalt<br />

eröffnet Möglichkeiten für vergleichende Untersuchungen. Im Zentrum des Interesses<br />

steht die Frage, wie stark die verschiedenen Faktoren (Naturraum, Wirtschaftsweise,<br />

Land- und Wasserwege, Rohstoffvorkommen, Politische Organisation, Religion) wirken<br />

und welche Wechselwirkungen bestanden.<br />

Die meisten Vorhaben betrachten die archäologischen Daten nicht isoliert, sondern aus<br />

einer landschaftsarchäologischen Perspektive. Der übereinstimmende Ansatz bietet<br />

zudem gute Voraussetzungen für die Diskussion der eingesetzten Methoden. Deren<br />

Entwicklung ist in Archäologie und Naturwissenschaften ohne Austausch und<br />

Diskussion in wissenschaftlichen Netzwerken nicht zu verfolgen; der im Forschungsfeld<br />

1 begonnene Erfahrungsaustausch markiert einen hoffnungsvollen Auftakt.<br />

Forschungsfeld 2: Grenzen<br />

Räume als Träger der politischen Organisation menschlicher Gesellschaften formen<br />

Grenzen. Vor dem Hintergrund allgemeiner und abstrakter Bestimmungsmöglichkeiten<br />

von Grenzen mit den semantischen Feldern Begrenzung, Entgrenzung und<br />

Grenzüberschreitung in den heutigen Sozial- und Kulturwissenschaften werden im<br />

Forschungsfeld 2 speziellere Verwendungen des Begriffs Grenze als<br />

geschichtswissenschaftliche Kategorie diskutiert mit dem Ziel, hinreichend plastische<br />

Vorstellungen von kulturellen Grenzen zu entwickeln. Hierzu sind Verbindungen<br />

zwischen den konkreten und sichtbaren Interaktionssträngen zu der Metaphorik von<br />

kultureller Differenz, Fremdheit und Anderssein aufzuzeigen.<br />

Im ersten Arbeitstreffen ergab sich für die im Forschungsfeld vertretenen Projekte eine<br />

Untergliederung in solche, die sich mit Grenzen zwischen ähnlichen, und jenen, die sich<br />

mit Grenzen zwischen unterschiedlichen politischen Räumen befassen.<br />

Forschungsfeld 3: Urbane Räume<br />

Urbane Räume sind komplexe Gebilde, die durch die vielschichtigen Bedürfnisse und<br />

Verhaltensmuster organisierter Gemeinwesen bestimmt werden. Die Verwirklichung<br />

politischer, wirtschaftlicher, religiöser, sozialer und kultureller Anliegen bestimmter<br />

gesellschaftlicher Gruppen führt zu dem Prozeß der Formation urbaner Räume, die in<br />

unterschiedlichster Weise gestaltet werden können. Für die Kommunikations- und<br />

Interaktionsprozesse sind öffentliche Räume für das gesellschaftliche und politische<br />

Leben notwendig. Nicht nur Nutzbauten, Straßen, Plätze und infrastrukturelle<br />

Einrichtungen wie die Wasserversorgung formen den urbanen Raum, sondern auch<br />

Häuser, Ehrenmonumente und Nekropolen.<br />

Die im Forschungsfeld 3 vertretenen Projekte sind chronologisch und räumlich weit<br />

gespannt und reichen von der hethitischen Hochkultur bis hin zu spät- und nachantiken<br />

Anlagen, mit einem gewissen Schwerpunkt in der Klassischen Antike im östlichen und<br />

westlichen Mittelmeerraum. Den gesellschaftlichen und kulturellen Unterschieden<br />

entsprechend vielfältig sind die Lösungen, die in der Gestaltung des urbanen Raumes<br />

beobachtet werden können, wobei aber gewisse Einzelkomponenten wie Straßen und<br />

Verkehrsflächen, sakrale Anlagen, öffentliche Begegnungsräume sowie Räume der<br />

Macht und Machtrepräsentation als solche immer vorhanden sind. Daneben steht der<br />

mehr oder minder deutlich abgrenzbare private Bereiche der Häuser und Gräber.<br />

Stand: 11/2007 28


Forschungsfeld 4: Orte der Herrschaft<br />

Wie jedwede Art menschlichen Handelns vollzieht sich Herrschaft im Raum. Sie<br />

manifestiert sich an konkreten Stellen, die als „Orte der Herrschaft“ bezeichnet werden<br />

können. Herrschaft wird dabei verstanden als zielgerichtete Ausübung konzentrierter<br />

Macht zur Ordnung einer oder mehrerer Gesellschaften. Sie ist es, die den politischen<br />

Souverän – seien dies Einzelne, Gruppen oder die Gesamtheit – ausmacht. So lassen<br />

sich „Orte der Herrschaft“ allgemein definieren als Orte, an denen der politische<br />

Souverän im Dienste seiner Herrschaft präsent und/ oder wirksam ist. Die Herrschaft<br />

kann tatsächlich ausgeübt, aber auch bloß kommuniziert und inszeniert werden. Beides<br />

wiederum kann unmittelbar oder mittelbar erfolgen, ebenso wie die Präsenz des<br />

Souveräns unterschiedlicher Natur sein kann: er kann persönlich, durch Vertreter<br />

(Statthalter, Soldaten etc.), aber auch durch Symbole (Schriftdokumente, Architektur,<br />

Statuen etc.) präsent und wirksam sein.<br />

Von den vielen denkbaren Formen von Herrschaft beschäftigt sich Forschungsfeld 4 –<br />

insbesondere auch in Abgrenzung zu Forschungsfeld 3 – mit der räumlichen Präsenz<br />

von Herrschaft überregionaler Natur. Methoden- und epochenübergreifend soll erörtert<br />

werden, welche Orte sich die jeweiligen Souveräne zur Ausübung und Kommunikation<br />

ihrer Herrschaft aussuchten und wie sie diese gestalteten. Vornehmliches Interesse gilt<br />

dabei der Frage, wie die verschiedenen Gesellschaften und Herrschaftssysteme<br />

bestimmte funktional bedingte Anforderungen in bezug auf Präsenz und Praxis von<br />

Herrschaft in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen historischen Horizont umsetzten. Dies<br />

soll auf der Basis von archäologischen Befunden und schriftlichen Quellen<br />

unterschiedlichster Art (Historiographie, Inschriften, Papyri etc.) diskutiert werden. So<br />

vermag z.B. die architektonische Gestaltung von Repräsentationsräumen Einblick in<br />

Herrschaftsverständnis und -praxis zu gewähren. Anhand von Schriftquellen lässt sich<br />

demgegenüber nachvollziehen, wie an konkreten Orten Herrschaft in Ritualen<br />

kommuniziert und von den Betroffenen empfunden und erfahren wurde. Ein solch<br />

interkultureller Vergleich der Darstellung von Herrschaft im Raum im Hinblick auf<br />

Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede verspricht neue differenzierte Einsichten in<br />

das Phänomen Herrschaft.<br />

Am 17./18. Dezember soll die nächste Tagung des Forschungsclusters stattfinden,<br />

wobei die Forschungsfelder einzelnen Sektionen entsprechen. Die Moderatoren der vier<br />

Forschungsfelder werden bis zu dieser Tagung kurze Informationstexte zu den<br />

konkreten Fragestellungen und Zielen der Forschungsfelder erstellen. Weitere<br />

Tagungen sollen im Jahresrhythmus stattfinden.<br />

FORSCHUNGSFELDER UND PROJEKTE<br />

1. FORSCHUNGSFELD: ERSCHLIEßUNG UND NUTZUNG<br />

Moderatoren: Ingo Motzenbäcker, Knut Rassmann<br />

ORTWIN DALLY (Zentrale)<br />

Taganrog und sein Umland<br />

Dem Vorhaben zugrunde liegt die Annahme, dass ein enger Zusammenhang<br />

zwischen sozialem Handeln und der Ausgestaltung von Räumen durch gebaute<br />

Grenzen besteht. Der gebaute Raum ist ein Resultat sozialer Interaktion; als<br />

solcher spiegelt er nicht nur soziale, sondern auch politische Entwicklungen<br />

wider. Im Rahmen des Projekts soll anhand von Taganrog und seiner<br />

Umgebung (Südrussland) der Zusammenhang zwischen politischen und<br />

Stand: 11/2007 29


sozialen Raumveränderungen in einer diachronen Perspektive verfolgt werden.<br />

Als die griechische Kolonisation des Schwarzmeerraumes in der 2. Hälfte des 7.<br />

Jhs. v. Chr einsetzte, gelangten griechische Siedler von der kleinasiatischen<br />

Mittelmeerküste auch an die Mündung des Don. Spuren einer frühen<br />

griechischen Siedlung haben sich bei Taganrog ca. 10 km westlich der heutigen<br />

Mündung des Flusses in das Asovsche Meer erhalten. Die Siedlung dürfte nach<br />

Ausweis der bislang bekannten Keramik gemeinsam mit oder kurz vor den<br />

Siedlungen von Berezan in der heutigen Ukraine und Histria im heutigen<br />

Rumänien noch im 7. Jh. v. Chr. gegründet worden sein. Sie ist in jedem Fall<br />

älter als die ersten griechischen Siedlungen und Kolonien am kimmerischen<br />

Bosporus, die um 580-60 v. Chr. gegründet worden sind. Die seit 2004<br />

laufenden Bohrungen und Grabungen haben deutlich gemacht, dass die<br />

Siedlung mindestens bis zum späten 4./frühen 3. Jh. v. Chr. Bestand hatte.<br />

Angesichts der Ausgangslage – die griechischen Kulturschichten liegen 3-5<br />

Meter unter dem heutigen Bodenniveau und z. T. unter dem Sandboden des<br />

Asovschen Meeres in der Bucht von Taganrog begraben – ist es nur möglich,<br />

wesentliche topographische Eckpunkte der Siedlung zu ermitteln und Aussagen<br />

zu der Dauer ihrer Existenz und ihren wirtschaftlichen Grundlagen zu treffen.<br />

Aus diesem Grund ist geplant, die Untersuchungen auszudehnen und die<br />

Arbeiten in Taganrog in einen größeren Kontext zu stellen.<br />

Zum Zeitpunkt der Gründung von Taganrog waren die angrenzenden<br />

Steppengebiete und das Dondelta schon existente Lebens- und<br />

Wirtschaftsräume. Bereits in der späten Bronzezeit hatte sich ein System aus<br />

Siedlungen, die möglicherweise von halbsesshaften Nomaden nur temporär<br />

genutzt worden sind, gebildet. Grabhügel (Kurgane), die im Dondelta bereits<br />

seit der frühen bis mittleren Bronzezeit zu beobachten sind, haben das Bild<br />

der Landschaft geprägt. In der späten Bronzezeit kam es jedoch zu<br />

signifikanten Veränderungen: Parallel zu der Anlage von Siedlungsplätzen<br />

wurden größere Grabhügel als sichtbare Exponenten einer neuartigen sozialen<br />

Stratifizierung errichtet. Die Kurgane lagen nicht mehr wie noch in der<br />

mittleren Bronzezeit unmittelbar in den Flussniederungen, sondern auf<br />

Terrassen oberhalb der Flüsse Don und Myus. Zum Zeitpunkt der griechischen<br />

Gründung scheinen die meisten der bronzezeitlichen Siedlungsplätze verlassen<br />

gewesen zu sein, erst in der Folgezeit, d. h. im 5.-4. Jh. v. Chr., kommt es<br />

offenbar zur Neugründung von Siedlungen auf der westlich von Taganrog<br />

gelegenen Halbinsel am Myus Liman und im Dondelta selber. Viele, aber<br />

offenbar nicht alle bronzezeitlichen Kurgane wurden verstärkt seit dem 5. Jh.<br />

v. Chr. für Sekundärbestattungen genutzt.<br />

Die skizzierten Veränderungen sind Zeugnisse für unterschiedliche soziale<br />

Gruppen und sich wandelnde politische Verhältnisse. Im Rahmen des Projekts<br />

soll aufgrund von Untersuchungen in Taganrog und seiner Chora verfolgt<br />

werden, wie unterschiedliche Siedlungsräume demarkiert worden sind. Wie<br />

werden sie gegenüber der Steppe be- oder entgrenzt vor und nach der<br />

Gründung von Taganrog? Wie wird durch die Kurgane das Umland von<br />

Taganrog symbolisch markiert? Welche Kurgane wurden gezielt für<br />

Sekundärbestattungen genutzt? Welche Veränderungen lassen sich bei der<br />

Anlage der deutlich sichtbaren Grabhügel in Zusammenhang mit den sich<br />

ändernden Siedlungsaktivitäten am Myus Liman von der Spätbronzezeit an bis<br />

zum 4. Jh. v. Chr. beobachten? Ein besonderes Augenmerk gilt in diesem<br />

Zusammenhag nicht nur den Gräbern und Siedlungsplätzen, sondern auch den<br />

Verkehrswegen.<br />

Ansprechpartner:<br />

PD Dr. Ortwin Dally (E-Mail: od@dainst.de)<br />

Stand: 11/2007 30


OLAF DRÄGER (Abteilung Rom)<br />

Die Siedlung von Castellina Vecchia – Herrensitz oder Vorposten?<br />

Projektziel ist die Erforschung einer etruskischen Siedlung in ihrem räumlichen<br />

Umfeld während des ersten vorchristlichen Jahrtausends.<br />

Der Ort<br />

Die Wüstung Castellina Vecchia liegt im Chianti, und zwar auf einem Höhenzug<br />

im Norden von Siena, der sich nordsüdlich zwischen den Flusstälern der Elsa<br />

einerseits und des Arbia beziehungsweise des Ombrone andererseits erstreckt.<br />

Die Fundstelle ist mitsamt ihrem näheren Umfeld ein unverbautes und im<br />

jüngsten Bebauungsplan der heutigen Gemeinde Castellina in Chianti als<br />

denkmalgeschützt ausgewiesenes antikes Habitat, das bisher nur oberflächlich<br />

untersucht wurde. Soweit es heute im Gelände erkennbar ist, hat es die Größe<br />

von etwa einem halben Hektar. Als befestigter Hügel gleicht es damit einem<br />

großen Gehöft oder Herrensitz nach dem Muster der Ansiedlung von Murlo. Es<br />

gibt jedoch Hinweise, dass die Bevölkerung schon früh deutlich größeren<br />

Umfang hatte, und der Platz kann vermutungsweise als Akropolis<br />

angesprochen werden, die zumindest phasenweise den Kern einer größeren<br />

Ansiedlung bildete. Der Ort war vermutlich bereits seit archaischer Zeit<br />

bewohnt.<br />

Etruskische Siedlungen<br />

Bisher werden für die Erforschung der materiellen Kultur der Etrusker primär<br />

Grabbefunde und fallweise Heiligtumsfunde genutzt. Viele Fragen der<br />

Raumordnung und Siedlungstopographie stehen angesichts äußerst spärlicher<br />

Sekundärquellen und geringer Befunde oft weitgehend im Raum der<br />

Hypothese. Siedlungskundliche Fragestellungen sind vor allem anhand des<br />

Sonderfalles der Planstadt Marzabotto und weniger anderer Fundorte diskutiert<br />

werden, wobei die gut erforschte Ansiedlung von Murlo für unser Projekt<br />

zahlreiche Vergleichspunkte bietet. Die Vorlage des Bandes „Il Chianti senese“<br />

im Rahmen der Carta Archeologica della Provincia di Siena durch Marco Valenti<br />

bildet mit seiner mustergültigen Aufarbeitung der archäologischen Befunde im<br />

geographischen Umfeld des untersuchten Ortes eine optimale<br />

Diskussionsgrundlage.<br />

Der Siedlungsraum von Castellina im Altertum<br />

Anhand von Funden kann eine frühe etruskische Akkulturierung des Gebietes<br />

schon im siebten Jahrhundert vorausgesetzt werden, in der von einer<br />

Urbanisierung am Ort noch nicht die Rede ist, sondern die Siedlungen des<br />

Chiantigebietes nach der gängigen Arbeitshypothese eher als Fürstensitze mit<br />

geringem Aktionsradius zu verstehen sind. Castellina muss in diesem Rahmen<br />

eine herausgehobene Bedeutung gehabt haben, wie das monumentale<br />

Fürstengrab von Monte Calvario zeigt.<br />

Im Zuge der Genese der etruskischen Kultur im Siedlungsraum änderte sich<br />

das ökonomische System der seit der Bronzezeit dort nachweisbaren<br />

großräumigen Transhumanzwirtschaft zugunsten einer intensivierten<br />

Bodenbewirtschaftung, die ihrerseits erst die Voraussetzung für die<br />

Akkumulierung von Macht und Ressourcen in der Aristokratie schuf.<br />

Nachgewiesen ist speziell im Gebiet von Castellina anhand von Bodenfunden<br />

schon für die etruskische Periode der Weinanbau – sicher belegt bereits im<br />

vierten bis dritten Jahrhundert –, dessen Wert als Handelsgut in<br />

Stand: 11/2007 31


überregionalem Zusammenhang die Frage nach den Transportwegen aufwirft.<br />

Am Ende des dritten Jahrhunderts, also nach dem Hannibalkrieg, wurden die<br />

zahlreichen befestigten etruskischen Höhensiedlungen im Chianti weitgehend<br />

aufgegeben. Die Ursachen dafür sind mangels Quellen bisher nicht konkret<br />

benennbar, dürften aber mit der Schwächung der raumordnenden Vormacht<br />

zusammenhängen. Dass Castellina dennoch als Ansiedlung fortlebte,<br />

möglicherweise unter verengten geographischen Horizonten, ist<br />

wahrscheinlich, sind doch in seinem Umfeld Nekropolen des späten ersten<br />

Jahrhunderts vor Christus nachgewiesen. Aufzuspüren sind archäologische<br />

Belege für die Besiedlung im zweiten und ersten Jahrhundert, die<br />

gegebenenfalls der Siedlungsstelle eine hohe strategische Relevanz in dieser<br />

Epoche vermutlich zurückgehender ländlicher Siedlungsdichte sichern können.<br />

Erst im Hochmittelalter kann wieder sicher von einer Ansiedlung im Gebiet<br />

ausgegangen werden, als Markgräfin Matilde von Tuszien mit dem hier<br />

befindlichen Lehen Salingolpe im elften Jahrhundert zunächst den Grafen Guidi<br />

und später den Herren von Trebbio belehnte. Erst im fünfzehnten Jahrhundert<br />

wurde die bis heute bestehende Festung von Castellina in Chianti als<br />

florentinischer Vorposten gegen die Republik Siena errichtet.<br />

Fragen und Hypothesen<br />

In Hinblick auf die archaische Zeit soll der ländliche Raum von Castellina durch<br />

den Bezug auf den Herrensitz als im praktischen Sinne strukturiert verstanden<br />

werden, und durch den Bezug auf das Fürstengrab im ideellen. Es stellt sich<br />

also die Frage nach den Formen räumlicher Sichtbarkeit und Sichtbarmachung<br />

der Territorialherrschaft im engen geographischen Gebiet. Dass eine solche<br />

Evidenz beabsichtigt war, beweist der monumentale Grabhügel von Monte<br />

Calvario, das einzige und weithin sichtbare Monumentalgrab weithin, mit<br />

Dimensionen, die denen des Habitats gleichkommen. An einem festen, weithin<br />

sichtbaren Punkt in entschiedener Distanz zum Siedlungskern selbst wird somit<br />

die Überlegenheit eines lokalen Fürstengeschlechts anschaulich demonstriert,<br />

wodurch mithin primär die Dominanz über das Territorium zur Anschauung<br />

kommt. Die Relation zwischen dem vermuteten Herrensitz und dem<br />

Fürstengrab soll und kann die Diskussion um die Akkumulation von Besitz und<br />

Macht auf Seiten der Aristokratie in der Frühzeit der etruskischen Kultur<br />

weiterführen.<br />

Eine wichtige Grundfrage betrifft die Erschließung des Gebietes für den<br />

Transport, eine wichtige Voraussetzung für die Ressourcennutzung. Die<br />

Wegsamkeit ist gerade für diese Zone vermutlich schon in sehr früher Zeit<br />

gegeben, da das Hochchianti hier nordsüdlich von einer alten Höhenstraße<br />

durchzogen wird, die seit dem Mittelalter als Verbindung zwischen Florenz und<br />

Siena dient und in deren Nachfolge in etwa die Trasse der heute sekundären<br />

Staatsstraße 222 Chinatigiana steht. Ihre Bedeutung dürfte bereits in der<br />

Frühzeit hoch zu veranschlagen sein, als die benachbarten Flusstäler kaum<br />

gangbar oder querbar waren.<br />

Für spätere Epochen steht vor allem die Rolle von Castellina im Rahmen von<br />

Verbindungen und Grenzziehungen im Vordergrund. Für das vierte und dritte<br />

Jahrhundert kann im Hochchianti ein System befestigter Höhensiedlungen,<br />

sogenannter Oppida (Cetamura, Poggio La Croce), angenommen werden, das<br />

vermutlich von der raumgreifenden übergeordneten Instanz des im Wachsen<br />

begriffenen Stadtstaates Faesulae (Fiesole) organisiert wurde. Für diese<br />

Periode ist von der Zielsetzung der Erschließung landwirtschaftlicher<br />

Ressourcen im Chiantigebiet seitens Fiesoles auszugehen, die sich in<br />

Konkurrenz zu Volterra vollzog. Auch in dieser Hinsicht ist der Vergleich mit<br />

dem in dieser Zeit bereits aufgelassenen Murlo wichtig, das offenbar außerhalb<br />

Stand: 11/2007 32


eines solchen Aktionsradius’ lag. Es wird davon ausgegangen, dass Castellina<br />

in dieser Phase die Rolle eines Vorpostens im Rahmen der Territorialordnung<br />

von Fiesole spielte.<br />

Von zentraler Bedeutung für die Chronologie und die Entwicklungsgeschichte<br />

der Siedlung sind eine Untersuchung der Stadtmauer und die Suche nach<br />

einem bisher hypothetisch angenommenen zweiten Mauerring. Zu untersuchen<br />

ist, ob das Habitat die Gestalt verstreuter Einzelgehöfte hatte oder ob es eine<br />

geschlossene räumliche Form besaß, beziehungsweise wann eine solche<br />

entstand und welche Formen der räumlichen Binnenhierarchisierung zur<br />

Anwendung kamen.<br />

Vorgehen<br />

Die seit 2006 im Gange befindliche Aufarbeitung von Archivmaterial, Altfunden,<br />

historischer kartographischer Dokumentation und historischen Quellen soll die<br />

Voraussetzung für die Untersuchungen im Gelände bilden. Dabei ist vor allem<br />

der Frage nach der genauen Lokalisierung des mittelalterlichen Salingolpe<br />

nachzugehen, das gegebenenfalls die Befunde der antiken Wüstung gestört<br />

haben könnte. Geplant ist nach georeferenzierter kartographischer Aufnahme,<br />

die Ausdehnung des Habitat und sein unmittelbares Umfeld sowie die Frage<br />

nach einem hypothetischen zweiten Mauerring mittels Surveys zu untersuchen<br />

sowie die erhaltenen Reste der rechteckigen Ummauerung des Hügels zu<br />

erforschen. Die Ergebnisse werden in einer georeferenzierten Datenbank<br />

zusammengeführt.<br />

Kooperationspartner<br />

Soprintendenza Archeologica della Toscana<br />

Museo Archeologico del Chianti Senese<br />

(http://www.museoarcheologicodelchianti.it)<br />

Ansprechpartner<br />

Dr. Olaf Dräger (E-Mail: draeger@rom.dainst.org)<br />

RICARDO EICHMANN, JUTTA HÄSER (Orient-Abteilung)<br />

Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman<br />

Das Projekt „Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman“ wurde<br />

1998 als interdisziplinäres Projekt initiiert. Das Ziel der archäologischen<br />

Untersuchungen war es, die historische Tiefe dieser Lebens- und<br />

Wirtschaftsform zu ermitteln und Veränderungen im Siedlungsbild zu<br />

erforschen.<br />

Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass seit dem Beginn der<br />

sesshaften Lebensweise, die im Oman erst am Übergang vom 4. zum 3.<br />

Jahrtausend v. Chr. einsetzte, die Oasen die Basis der Wirtschaft liefern. Die<br />

naturräumliche Ausstattung ist im Oman so karg – und war es bereits im 3.<br />

Jahrtausend v. Chr. –, dass nur dort, wo das Wasser der äußerst geringen<br />

Niederschläge sich in den Sedimentkörpern der Wadis sammelte, und dort wo<br />

es Quellen gab, Siedlungen gegründet werden konnten. Die umliegenden<br />

Felder und Gärten waren von Anbeginn auf künstliche Bewässerung<br />

angewiesen. Bislang gibt es nur ganz wenige Befunde, die etwas über diese<br />

bronzezeitlichen Bewässerungssysteme aussagen. Erst für die Eisenzeit – ab<br />

etwa 1000 v. Chr. – sind wir besser über das Wassermanagement informiert.<br />

Diese auf ganz wenige Punkte beschränkte Lebensmöglichkeit hat essentielle<br />

Auswirkungen auf das politische System, und dies gilt für die gesamte<br />

Stand: 11/2007 33


Omanische Halbinsel. Erst in der frühen Neuzeit lassen sich größere politische<br />

Gebilde in dieser Region ausmachen, die aber auch dann ganz<br />

stammesorientiert und auf die Oasen konzentriert sind.<br />

Im 3. Jahrtausend v. Chr. wird in mesopotamischen Keilschrifttexten der<br />

Begriff „Magan“ für diese Region verwendet. Kaufleute pflegten – meist über<br />

Dilmun/Bahrain – Handelskontakte mit Magan. Anziehungspunkt waren die<br />

dortigen Kupfervorkommen. Es handelte sich bei dem Begriff „Magan“ jedoch<br />

um die Bezeichnung einer Region und nicht um die eines Staates. Wir erfahren<br />

aus diesen Quellen auch nichts über die Verwaltung, die den Kupferhandel auf<br />

der Omanischen Halbinsel organisierte, und es gibt keine Erwähnungen eines<br />

irgendwie gearteten politischen Systems.<br />

Am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. oder zu Beginn des 2. Jahrtausends v.<br />

Chr. brach der Kupferhandel zusammen und der Begriff Magan erschien nicht<br />

mehr in den schriftlichen Quellen. Ins Licht der Geschichte trat die Region zur<br />

Zeit des assyrischen Reiches. In Quellen, die unter Assurbanipal II. entstanden<br />

sind, wird ein König Pade im Königreich Qade mit der Hauptstadt I-s/z-k/q-e<br />

genannt. Diese Erwähnung findet sich im Zusammenhang mit Tributzahlungen<br />

an den assyrischen König. Doch nichts wird zu der Art oder Größe dieses<br />

Königreiches gesagt.<br />

Unsere intensiven Geländebegehungen und ältere, vereinzelte Ausgrabungen<br />

haben an dem Ort Izki, der mit der genannten Hauptstadt I-s/z-k/q-e<br />

geglichen wird, keine Befunde erbracht, die auf eine zentrale Funktion des<br />

Ortes hinweisen. Und dieses Ergebnis gilt im Wesentlichen auch für alle<br />

Fundplätze des 3. Jahrtausends v. Chr. bis in die frühe Neuzeit. Es finden sich<br />

in keiner der Oasen Gebäude, die offensichtlich als Verwaltungszentren gedient<br />

haben, keine Paläste und auch keine Tempel. Es wurde trotz der Kontakte zu<br />

Mesopotamien einerseits und zur Indus-Kultur andererseits weder ein<br />

Schriftsystem entwickelt noch eines übernommen. Das bedeutet, dass selbst<br />

der Kupferhandel, der erhebliche Ausmaße hatte, ohne eine größere<br />

Verwaltung ausgekommen sein muss.<br />

Die archäologischen Geländeuntersuchungen des Oasenprojektes wurden im<br />

letzten Jahr abgeschlossen und die Ergebnisse werden gerade formuliert,<br />

weshalb sie hier nur kurz als Thesen erläutert werden sollen.<br />

Die Siedlungsweise im Oman ist aufgrund der besonderen – äußerst kargen –<br />

ökologischen Ausstattung punktuell. Siedlungssysteme von zentralen<br />

Siedlungen mit abhängigen kleinen Siedlungen sind nicht zu erkennen.<br />

Definierte Territorien sind ebenfalls nicht festzustellen. So kann ein Bild<br />

gezeichnet werden, das ganz von einer punktuellen Siedlungsweise geprägt ist.<br />

Neben dem Anbau von Feldfrüchten und Datteln gehört zur Wirtschaftsweise in<br />

einer Oase auch die Tierhaltung. Daraus lässt sich eine Art Territorium<br />

erschließen. Es könnte – so wie es traditionell im Oman geregelt ist – durch die<br />

Weideradien des Kleinviehs der einzelnen Oasen definiert gewesen sein. Doch<br />

wechselt dieses „Territorium“ je nach jahreszeitlichem Bewuchs. Da sich dieser<br />

vorwiegend entlang der Wadis erstreckt, ist dieses Territorium auch nicht so<br />

sehr flächig als vielmehr linear. Diese Wadis sind es auch, welche die<br />

Verbindungswege zu den Quellen und Brunnen in den Wadis selbst, aber auch<br />

auf den Hochflächen des Gebirges bilden, die lebenswichtig sind, weil dort das<br />

Vieh täglich getränkt werden muss. So scheinen also nicht so sehr die Flächen<br />

als vielmehr die Punkte (Siedlungen, Wasserstellen) und Linien<br />

(Verbindungswege) das Siedlungsbild und Aktionsschema zu bestimmen. Sie<br />

waren es vermutlich, die gegen Fremde verteidigt wurden, nicht das<br />

Territorium in ihrer Umgebung. Für die Verteidigung eines größeren<br />

Territoriums war auch die Anzahl der Siedler viel zu gering, und ein<br />

Zusammenschluss von Siedlungen zu einem größeren politischen, gemeinsam<br />

Stand: 11/2007 34


agierenden Gebilde lässt sich, wie gesagt, nicht erkennen.<br />

Bei den Geländebegehungen des Oasenprojektes hat sich ein interessanter<br />

Befund abgezeichnet, der einen Hinweis gibt, dass den Wadis eine große<br />

Bedeutung beigemessen wurde. An den Zugängen zu den großen Wadis und<br />

speziell an solchen, die eine Verbindung zwischen Regionen herstellen, sowie<br />

entlang dieser Wadis, aber auch auf den Hochflächen, wo mehrere<br />

Wadisysteme zusammentreffen, wurden Gräber des 4./3. Jahrtausends v. Chr.<br />

errichtet. Sie sind eindeutig so angelegt, dass sie diese besonderen<br />

Geländepunkte markieren. Auch hier ist nicht das Abstecken eines<br />

Territoriums, d. h. einer Fläche, sondern vielmehr die Markierung eines Weges,<br />

d. h. einer Linie, zu erkennen. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings dadurch,<br />

dass bis heute nicht geklärt werden konnte, welches Verhältnis zwischen den<br />

Erbauern der Gräber und den Bewohnern der Oasensiedlungen bestand. Es<br />

besteht noch kein Konsens darüber, ob sie älter als die frühesten<br />

Oasensiedlungen sind oder ob sie auch noch errichtet wurden, als die<br />

Oasensiedlungen schon bestanden. Die Gräber wurden aber in späteren Zeiten<br />

(vor allem in der Eisenzeit) wieder verwendet, und es finden sich auch in<br />

direkter Umgebung dieser Gräber eindeutig jüngere Grabanlagen. Dies weist<br />

darauf hin, dass auch in späteren Zeiten diese Wege und markanten Punkte<br />

von Bedeutung waren.<br />

Trotz keiner erkennbaren siedlungsübergreifenden politischen Organisation<br />

sind in den Funden, in der Architektur und auch in den Bestattungssitten große<br />

Übereinstimmungen zu erkennen. Damit wird deutlich, dass die Siedlungsweise<br />

zwar punktuell war, dass aber dennoch ein reger Austausch von Gütern und<br />

Informationen stattgefunden haben muss.<br />

Ohne hier in einen Öko-Determinismus verfallen zu wollen, zeichnet sich die<br />

These ab, dass die ökologische Ausstattung auf der Omanischen Halbinsel stets<br />

– und zwar bis in die Neuzeit hinein – so karg war und die besiedelbaren<br />

Punkte so verstreut und entfernt voneinander lagen, dass sie der Bildung eines<br />

größeren politischen Gebildes entgegen wirkten. Dennoch scheint es vor allem<br />

im 3. Jahrtausend v. Chr. so etwas wie eine gemeinsame soziale und kulturelle<br />

Identität gegeben zu haben, die sich in der materiellen Kultur und den<br />

Bestattungssitten widerspiegeln. In späteren Perioden – besonders im 1.<br />

Jahrtausend v. Chr. – ist eine größere Diversität vor allem in den<br />

Bestattungssitten zu finden, die vielleicht einen Hinweis auf kleinere soziale<br />

Gruppen geben.<br />

Die Erwartungen an das Forschungscluster bestehen in der Erweiterung der<br />

eigenen Erfahrungen im methodischen und theoretischen Bereich. Dies gilt<br />

besonders für Erklärungsmodelle von Siedlungsweisen und<br />

Sozialorganisationen in Kulturen, für die keine schriftlichen Quellen vorliegen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Ricardo Eichmann (E-Mail: re@orient.dainst.de)<br />

Dr. Jutta Häser (E-Mail: gpia@go.com.jo)<br />

VERONICA HINTERHUBER (Zentrale)<br />

Architektonische Ausgestaltung von Prozessionswegen ägyptischer<br />

Tempel<br />

Die Untersuchung basiert auf der Frage, wie sich Veränderungen im Kultbetrieb<br />

als Resultat gewandelter machtpolitischer Situationen in der Nutzung und<br />

Ausgestaltung von politischen Räumen widerspiegeln können und inwieweit<br />

sich in den Zutrittsregelungen zu Räumen gesellschaftliche Hierarchien<br />

Stand: 11/2007 35


manifestierten. In diesem Zusammenhang steht auch die Auseinandersetzung<br />

mit Ein- und Durchgangsbereichen als Öffnung gebende und zugleich Grenzen<br />

schaffende Bestandteile der Architektur, die nicht unbedeutend zur religiösen<br />

oder politischen Konnotation eines Raumes beitragen. Es sind gerade jene<br />

Bereiche eines Tempels, durch welche eine Differenzierung von „Außen“ und<br />

„Innen“, von „Hier“ und „Dort“ und somit eine Scheidung von profanum und<br />

fanum ermöglicht wird; die Signifikanz von Schwellenbereichen sollte demnach<br />

direkt proportional zu den Werten, die sich dahinter befinden, gesehen werden.<br />

In Ägypten bildeten Feste seit jeher einen äußerst wichtigen Bestandteil des<br />

kollektiven, religiösen Geschehens. Aus der starken Abgrenzung zwischen der<br />

weltlichen Ebene und der Sphäre des Sakralen resultierte ein streng<br />

reglementierter Zugang zu den Heiligtümern. Die einzige Kontaktaufnahme der<br />

Bevölkerung mit der Gottheit erfolgte anlässlich des periodischen Auszugs der<br />

sichtbaren Manifestation des Gottes – dem Götterbild – aus dem Tempel im<br />

Rahmen hoher Feiertage. Für das Volk fand die Religion somit an den Festen<br />

statt, im Verlauf derer es entlang der Prozessionsstraßen und vor den<br />

monumentalen Tempeltoren auf das Erscheinen der Gottheit wartete, um diese<br />

auf ihren Wegen während der Prozession zu begleiten.<br />

Die ägyptische Sakralarchitektur spiegelt das Festgeschehen mit einer Fülle an<br />

verschiedenen Konstruktionstypen wider, die in den meisten Epochen der<br />

ägyptischen Geschichte anzutreffen sind.<br />

Eine erstaunliche Emphase des Festkultes kann jedoch in der ägyptischen<br />

Spätzeit beobachtet werden, wie eine in diesen Epochen gesteigerte<br />

Hinwendung zur Wahl bestimmter, explizit mit dem Prozessionsgeschehen<br />

verbundener Architekturformen zeigt.<br />

Das Projekt (Promotionsvorhaben) widmet sich der Untersuchung jener in der<br />

späten ägyptischen Zeit verstärkt erbauten Konstruktionstypen, im Besonderen<br />

der Ein- und Durchgangsbereiche ägyptischer Heiligtümer, die als<br />

architektonische Reflektion eines gewandelten Kultbetriebes – bedingt durch<br />

die sich nun veränderte Stellung des Herrschers – gewertet werden sollen.<br />

Der Ursprung dieses Wandels im Kultgeschehen mag in der Regierungszeit<br />

jener Könige von Kusch (Nubien) zu suchen sein, die als kuschitische oder 25.<br />

Dynastie im ausgehenden 8. und beginnenden 7. Jh. v. Chr. Ägypten regierten.<br />

Die Bauaktivität dieser Epoche, die sich in einer außerordentlichen Dominanz<br />

von Belegen aus Theben manifestiert, ist entgegen früherer Zeiten<br />

charakterisiert durch eine ausschließliche Fokussierung auf architektonische<br />

Konstruktionstypen, wie beispielsweise Kiosken oder Kolonnaden, die in der<br />

ägyptischen Sakralarchitektur primär mit dem Festgeschehen verbunden<br />

waren.<br />

Neben den genannten Bauwerken zeigten die Pharaonen der kuschitischen Zeit<br />

zudem eine bemerkenswerte Affinität zu Neu- und Umgestaltungen von<br />

Tempelpylonen und -toren an den vorderen Räumen der Heiligtümer und<br />

entlang der Prozessionsstraßen. Während die restliche Bautätigkeit<br />

durchgängig als Festarchitektur im Rahmen einer Reorganisierung thebanischer<br />

Tempelfeste nach den Wirren der vorangegangenen Dynastien gedeutet wird,<br />

beschränkte sich die klassische Forschungsmeinung darauf, die<br />

Baumaßnahmen an den Ein- und Durchgangsbereichen der Heiligtümer<br />

lediglich als unsystematische Reparaturen von Zerstörungen der ferneren oder<br />

nächsten Vergangenheit zu interpretieren, wodurch eine tiefere Beleuchtung<br />

dieses in der Spätzeit Ägyptens zu beobachtenden Phänomens verwehrt wurde.<br />

In einer vorhergehenden Untersuchung konnte eine solche Deutung nicht nur<br />

Stand: 11/2007 36


widerlegt, sondern vielmehr eine Interpretation der in der 25. Dynastie<br />

realisierten Arbeiten an den Toren und Pylonen als ein wichtiger Bestandteil<br />

des auf den Festkult ausgerichteten Bauprogrammes der Herrscher verifiziert<br />

werden. Die Signifikanz der liminalen Bereiche als Scheidegrenze zwischen der<br />

profanen und sakralen Sphäre und ihre daraus resultierende Bedeutung als<br />

markierende und gliedernde Elemente von Prozessionswegen wurde<br />

aufgezeigt. Dieser Sinngehalt war den Kuschiten deutlich bewusst und wurde,<br />

wie es scheint, auch in den nachfolgenden Dynastien und der griechischrömischen<br />

Zeit mit Übergangsbereichen verbunden. Die Beobachtung, dass die<br />

Verlagerung der Bauaktivität auf die publikumswirksameren Festprozessionen<br />

keine alleinige Erscheinung der kuschitischen Zeit darstellte, sondern nach<br />

Ende dieser Dynastie eine Fortführung fand, ist Gegenstand der gegenwärtigen<br />

Untersuchung. Anhand einer Beleuchtung der bevorzugt gewählten<br />

Architekturformen und der favorisiert gefeierten Feste der nachfolgenden<br />

Zeiten, soll in diesem Projekt aufgezeigt werden, dass sich die seit der 25.<br />

Dynastie erkennbare Bedeutung des Festes als äußerst wichtiges, wenn nicht<br />

sogar primäres Mittel zur Ausübung liturgischer Vorgänge und religiöser Riten<br />

in den nachfolgenden Dynastien und dem ptolemäerzeitlichen Ägypten<br />

fortsetzte, wie die Tendenz einer besonderen Akzentuierung der vorderen<br />

Tempelbereiche und Prozessionswege – im Besonderen durch die Errichtung<br />

und Bearbeitung von Tempelein- und -durchgängen – in diesen Epochen zeigt.<br />

Der Hintergrund dieser Fokussierung auf das Fest ist nicht zuletzt in der sich<br />

nun ändernden Stellung der häufigen Fremdherrscher der späten ägyptischen<br />

Zeit zu suchen, die den Festkult als wichtiges Medium der königlichen<br />

Repräsentation aber auch der religiösen Legitimation instrumentalisierten.<br />

Aus der Verlagerung des religiösen Geschehens auf die vorderen<br />

Tempelbereiche und der Lockerung der Zutrittsbestimmungen zu den<br />

Heiligtümern resultierte eine stärkere Einbindung der Bevölkerung in die<br />

liturgischen Vorgänge. Durch deren Ausübung konnte der Pharao seine<br />

Fähigkeit, als authentischer ägyptischer Pharao zu agieren, zeigen, sich aber<br />

auch gleichzeitig neben der weltlichen auf religiöser Ebene legitimieren.<br />

Die Idee auf das Medium des Festes zurückzugreifen, um ein derartiges<br />

religiös-politisches Programm umzusetzen, war ein faszinierender Schachzug<br />

der Herrscher. Architektonisch realisiert wurde dies durch die Festarchitektur,<br />

wobei die Durchgangsbereiche der Tempel, wie es scheint, eine nicht<br />

unbedeutende Rolle einnahmen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Veronica Hinterhuber M.A. (E-Mail: vh@dainst.de)<br />

DIRCE MARZOLI (Abteilung Madrid), JOSEF EIWANGER (KAAK)<br />

Mogador: ein phönikischer Außenposten und sein afrikanisches<br />

Hinterland<br />

Übersicht<br />

Die Insel Mogador liegt im Atlantik etwa 1000 m vor der Hafenstadt Essaouira<br />

(Marokko). Sie ist ca. 600 m lang, 500 m breit und an ihrer höchsten Stelle 28<br />

m hoch. Ihre steil abfallende schroffe Felsküste wird nur an der Südseite durch<br />

eine kleine Bucht unterbrochen. Die Insel beherrscht eine große, von<br />

Sanddünen umgebene Bucht, in die der Oued Qsob mündet. Die<br />

geographischen Gegebenheiten der Insel in der Meeresbucht stellen eine<br />

Ausnahme an der vorwiegend geraden marokkanischen Atlantikküste dar: sie<br />

bieten Vorteile für eine Besiedlung, für Anlegestellen und Hafenanlagen und<br />

schaffen Voraussetzungen für einen außergewöhnlichen Handelsknotenpunkt,<br />

Stand: 11/2007 37


wo afrikanische Karawanenwege mit Seerouten zusammentreffen, die bis ins<br />

östliche Mittelmeer reichen.<br />

Während das Hinterland von Mogador archäologisch vollkommen unbekannt<br />

ist, haben die von A. Jodin zwischen 1956 und 1958 durchgeführten<br />

Ausgrabungen auf der Insel eine phönizische „Faktorei“ zum Vorschein<br />

gebracht, wohin ab der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. Importe aus<br />

unterschiedlichsten mediterranen Regionen gelangt waren. Phönizische<br />

Keramik aus den südspanischen Zentren, aus Nordafrika ebenso wie solche<br />

zyprischer, chiotischer, milesischer und attischer Herkunft geben einen<br />

kaleidoskopartigen Eindruck von der Reichweite der Kontakte.<br />

Auffallende Übereinstimmungen mit phönizischen Keramikproduktionen aus<br />

Cádiz und seinem Hinterland lassen eine enge Verbindung mit dieser<br />

westphönizischen Metropole vermuten.<br />

Auffallend sind Graffiti auf Amphoren und vor allem auf Tellerböden, die an der<br />

Zahl jeden anderen westphönizischen Fundplatz übertreffen. Einige sind<br />

Eigennamen, wobei es sich – soweit erkennbar – durchgehend um Theonyme<br />

handelt. Diese Funde sind von außergewöhnlicher Bedeutung, denn sie sind –<br />

mit denen von Lixus – die ältesten Schriftzeugnisse an der afrikanischen<br />

Atlantikküste. Besonders hoch ist bei der vorrangig „Roten Ware“ der Anteil an<br />

Lampen. Tongrundige Ware ist nur durch die zahlreichen Amphoren vertreten,<br />

bei denen die Form R1 vorherrscht. Unsicher ist, inwieweit das im Museum von<br />

Rabat deponierte Fundmaterial dem ursprünglichen Umfang entspricht, wie<br />

stark die Selektion war, wo (bzw. ob) handgemachte Ware und Sonderfunde<br />

aufbewahrt werden.<br />

Bauliche Strukturen der phönizischen Besiedlungsphasen wurden bei den<br />

Ausgrabungen der 50er Jahre nicht beobachtet. Die Funktion des Platzes bleibt<br />

vorerst unbekannt.<br />

Überregionale Bedeutung hatte die Insel auch zur Zeit von Juba II. Eine Villa<br />

mit Mosaikfußböden und qualitätsvolle Funde bezeugen es.<br />

Erste Anhaltspunkte<br />

Erste Ergebnisse von Prospektionen (Februar/März 2005)<br />

- Die Oberflächenbegehung der Insel erbrachte Funde, die<br />

mittelpaläolithische Silexgeräte, auffallend wenig phönizische, jedoch<br />

zahlreiche republikanisch- bis spätrömische, islamische, rezente und z. Zt.<br />

noch unbestimmbare Keramik, zahlreiche Tierknochen (Sonderfunde:<br />

Unterkiefer eines Geparden, Hornzapfen eines großen afrikanischen Büffels<br />

mit Sägespuren), Muschel und Meeres- wie Festlandsschnecken umfassen.<br />

Dabei sind Konzentrationen zu beobachten: römische und phönizische<br />

Funde im Südsektor der Insel, islamische im Nordsektor und<br />

mittelpaläolithische gemeinsam mit römischen im Nordostsektor. Eine<br />

Nekropole, die aus mindestens 24 Gräbern besteht, wurde im Nordsektor<br />

dokumentiert. Ihre Datierung ist vorerst unsicher, ihre Zuweisung mit<br />

großer Wahrscheinlichkeit islamisch.<br />

- ca. 2/3 der Oberfläche der Insel wurden erstmalig vermessen. Die Arbeit<br />

wurde von dem Vermessungstechniker Chr. Hartl-Reiter durchgeführt. Der<br />

Plan mit den 1-Meter-Höhenlinien liegt vor. Das fehlende Drittel soll 2007<br />

vermessen werden.<br />

- Im Südsektor der Insel wurden drei für die geophysikalische Untersuchung<br />

bestimmte, mit einer dichten Macchia bewachsene Areale gerodet.<br />

- Sieben archäologisch besonders interessant erscheinende Areale der Insel<br />

wurden mit Geomagnetik und Georadar prospektiert. Strukturen zeichnen<br />

sich in einer Tiefe zwischen 50 und 150 cm vor allem im südlichen Teil der<br />

Stand: 11/2007 38


Insel nördlich der natürlichen Hafenbucht ab. Hier könnte es sich um<br />

kleinräumige, terrassenförmig angelegte Häuser handeln, eine nähere<br />

Interpretation ist noch nicht möglich, der geophysikalische Bericht ist noch<br />

in Bearbeitung.<br />

- Erste geomorphologische Untersuchungen wurden von H. Brückner und J.<br />

Lucas im Mündungsbereich des Oued Ksob, bei den Sümpfen im Nordosten<br />

von Essaouira und auf der Insel durchgeführt. Bereits im Gelände konnte<br />

die Verlagerung der Flussmündung festgestellt werden ebenso wie marine<br />

Sedimente im Bereich der Sümpfe nordwestlich von Essaouira. Sie<br />

bezeugen die – zeitlich freilich noch nicht bestimmbare – Ausdehung der<br />

Meeresbucht nach Osten. Spuren des veränderten Meersspiegels wurden u.<br />

a. auch an historischen Bauten dokumentiert, so an Borj Baroud, einer<br />

Ruine des 18. Jahrhunderts am südlichen Ufer der Bucht.<br />

- Im Hinterland wurden Prospektionen durchgeführt. Die Provinz Essaouira ist<br />

ein archäologisches Neuland. Für das Verständnis der historischen<br />

Entwicklung, die zur phönizischen Niederlassung auf der Insel Mogador<br />

führte, ist die Kenntnis der Besiedlungs- und Landschaftsgeschichte der<br />

Region Essaouira ausschlaggebend. Dabei sollte nicht nur das gesamte<br />

Holozän Beachtung finden, sondern auch vorangehende Epochen, die durch<br />

Oberflächenfunde auf der Insel ab dem Mittelpaläolithikum belegt sind.<br />

In einem Umkreis von ca. 30 km wurden zahlreiche archäologische Fundplätze<br />

dokumentiert. Sie lassen Abschnitte der Besiedlungsgeschichte der Region bis<br />

in das Epipaläolithikum verfolgen. Neben mehreren Höhlen und den bis ins<br />

Epipaläolithikum reichenden Oberflächenfunden in ihrem Umfeld, sind ein<br />

möglicherweise bronzezeitlicher Steinkreis (Grabanlage?) sowie große<br />

Schlackenhalden bei Ain el-Hajar am Fuß des Jebel el Hadid hevorzuheben.<br />

Hier wurden im November des Jahres geomagnetische und geoelektrische<br />

Prospektionen durchgeführt, deren Ergebnisse in Bearbeitung sind.<br />

Erste Fragestellungen<br />

Die erste Kampagne galt Prospektionen, sodass noch keine aussagefähigen<br />

Ergebnisse vorliegen. Es können vorerst nur Fragen angeführt und mögliche<br />

Richtlinien gesetzt werden.<br />

Die kleine Insel ist einerseits ein in sich geschlossener, durch den<br />

dominierenden Atlantik scharf begrenzter Raum, anderseits ist sie nicht<br />

isoliert, sondern nur als Teil eines Großraumes zu verstehen, zu dem das<br />

Hinterland ebenso wie der Atlantik gehörten.<br />

Die extreme Lage am Rande der Antiken Welt 1000 km südlich der Säulen des<br />

Herakles, ihr offensichtlicher Bezug zu weit reichenden Handelswegen, ihre<br />

Funktion als Verbindung zwischen afrikanischen Karawanen- und atlantischen<br />

Seerouten lässt im 7. Jahrhundert v. Chr. Verbindungen entstehen, deren<br />

äußerste Posten im Vorderen Orient und in Zentralafrika liegen, wobei sich die<br />

Apoikía Gadir als westliche Vormacht abzuzeichnen scheint.<br />

Die Insellage stellt für eine phönizische Niederlassung im Westen zwar eine<br />

Ausnahme, aber keinen Einzelfall dar, sie lässt sich für dieselbe Zeit u. a. mit<br />

Rachgoun (Algerien) und dem Cerro del Villar (Spanien) vergleichen.<br />

Hafenstellen bzw. Anlegeplätze sind sowohl auf der Insel wie auch auf dem<br />

Festland ausfindig zu machen. Dafür sind archäologische, geomorphologische<br />

und submarine Untersuchungen geplant. Vergleiche mit vorrömischen<br />

Handelsplätzen an der westlichen Mittelmeer- und Altantikküste zeigen, dass<br />

bauliche Strukturen mit großer Wahrscheinlichkeit auch hier nicht zu erwarten<br />

sind. Es geht ausschließlich um den Nachweis von günstigen Anlegeplätzen.<br />

Wie war die Insel gegliedert? Lassen sich unterschiedliche Nutzungsräume<br />

erkennen? Befand sich auf der Insel außer der Ansieldung auch eine<br />

Stand: 11/2007 39


phönizische Nekropole? Gehören die Häuser, die sich geophysikalisch im<br />

Südwesten nachweisen lassen, zu einer geplanten Anlage? Liegen bei den<br />

Bauten Einheitsmaße vor, welche auf die Ursprungsregion der Bauherren<br />

verweisen und auf die Verteilung des Besitzes schließen lassen?<br />

Mit einem Heiligtum ist zu rechen, unter dessen Schutz sich die Kontakte mit<br />

der einheimischen Bevölkerung abgespielt haben. Ein 1958 ausgegrabener<br />

(heute verschollener) Baitylus weist auf einen sakralen Bereich im Südwesten<br />

der Insel. Die breitrandigen Teller mit eingeritzten Theonymen, bei denen<br />

Astarte und Melqart vorherrschen, könnten hierfür ein weiteres Indiz<br />

darstellen.<br />

Die Süßwasserversorgung mit all ihren sozialen und wirtschaftlichen<br />

Implikationen stellt eine offene Frage dar. Quellen sind bisher auf der Insel<br />

nicht ausfindig gemacht. Die Insel bietet keine Ressourcen. Auch für eine<br />

kleine Bevölkerungsgruppe war eine Versorgung von außen notwendig. Die<br />

Beschaffung von Getreide, Holz u. a. war über das Festland kontinuierlich zu<br />

gewährleisten. Die fischreichen Meeresgründe bieten Handelsgut (in punischer<br />

und römischer Zeit durch Garumamphoren belegt), das Salz die dafür<br />

notwendigen Konservierungsmittel. Waren die (nach geomorphologischen<br />

Kriterien in der Antike wahrscheinlichen) Salinen im Umfeld von Essaouira im<br />

Besitz der einheimischen Bevölkerung oder wurden sie von den Phöniziern<br />

bewirtschaftet? Verfügte die phönizische Faktorei über ein Territorium oder war<br />

sie in eine einheimische Siedlungskammer integriert? Sind hierbei<br />

Veränderungen im Laufe der Zeit geschehen? Lag außer der Ansiedlung auf der<br />

Insel eine weitere auf dem gegenüberliegenden Festland?<br />

Es müssen die Handelswaren definiert werden, die den Kontakt zwischen den<br />

Phöniziern und der einheimischen Bevölkerung so begehrenswert machten. Das<br />

weithin verhandelte Elfenbein war sicher nur eine der wertvollen Waren, das<br />

bernsteinähnliche Harz der im Umland wachsenden tuya berberiska/citrus nicht<br />

das einzige schwer nachweisbare mögliche Exportprodukt.<br />

Auf die Bedeutung des Eisens und seiner Verarbeitung weisen Schlacken und<br />

Tondüsen, die bei den Ausgrabungen der 50er Jahre in Schichten der Mitte des<br />

7. Jhs. v. Chr. zum Vorschein kamen. Die Untersuchungen der<br />

Schlackenhalden bei Ain el-Hajar am Fuß des Jebel el Hadid lassen Ergebnisse<br />

zur Herkunft der Erze erwarten, die auf der Insel verarbeitet wurden. Ein<br />

Vergleich mit gleichzeitigen phönizischen Niederlassungen im Westen lässt die<br />

räumliche Nähe zu Eisenerzvorkommen erkennen, wobei bei der geringen<br />

Produktion die Bedeutung der Technologie vorrangig erscheint.<br />

Methoden<br />

Es handelt sich um ein internationales und interdisziplinäres Projekt, an dem<br />

bei der ersten Kampagne außer Archäologen, Geomorphologen (Prof. Helmut<br />

Brückner, Julius Lucas, Universität Marburg/Lahn) und Geophysiker (easternatlas,<br />

Berlin) teilgenommen haben, wobei für die kommenden Kampagnen, die<br />

nicht nur Prospektionen, sondern auch Ausgrabungen gelten sollen, auch<br />

Bauforschung und naturwissenschaftliche Disziplinen (u. a. Zoologie, Botanik)<br />

vertreten sein werden.<br />

Es werden Satelliten- und Luftbilder ausgewertet: Veränderungen im<br />

Landschaftsbild und zahlreiche bisher unbekannte Siedlungsplätze sind bereits<br />

nach einer ersten Durchsicht zu erkennen.<br />

Eine submarine Prospektion ist geplant, vorbereitende Studien sind im Gang.<br />

Zusammenfassend<br />

Die Insel und ihr Umland, ihre Genese und Funktion, ihre Gestaltung und<br />

Entwicklung, ihre wirtschaftliche und politische Bedeutung stehen in engem<br />

Stand: 11/2007 40


wechselseitigen Bezug zueinander. Ihre Besiedlungs- und<br />

Landschaftsgeschichte ist als dynamischer Prozess zu verstehen, der mit dem<br />

ersten Auftreten des Menschen in der Region beginnt und in der Neuzeit endet.<br />

Unter Berücksichtigung der Gesamtentwicklung wird die „Zeit der Phönizier“<br />

besonders beachtet, weil sich in dieser Epoche durch den ersten direkten<br />

Kontakt fremder Kulturen kulturelle Ausprägungen mit besonderer Prägnanz<br />

fassen lassen. Sie betreffen u. a. die Nutzung, Gliederung und Gestaltung von<br />

Territorien, die Entfaltung gesellschaftlicher und politischer Strukturen, die<br />

Ausbeutung von Ressourcen, die Entwicklung von neuen Kommunikations- und<br />

Handelsformen.<br />

Bei alldem ist zu beachten, dass es sich bei diesem Raum um ein<br />

archäologisches Neuland handelt.<br />

Ansprechpartner:<br />

PD Dr. Dirce Marzoli (E-Mail: marzoli@madrid.dainst.org)<br />

Dr. Josef Eiwanger (E-Mail: eiwanger@kaak.dainst.de)<br />

INGO MOTZENBÄCKER (Eurasien-Abteilung)<br />

Landschaftsarchäologie in Südkaukasien: Grabung und Prospektionen<br />

in der bronze-früheisenzeitlichen (16./15.-8./7. Jh. v. Chr.) Siedlung<br />

Tachti Perda / Ostgeorgien<br />

Kaukasien bildet geographisch eine „Brücke“ und kulturell eine „Drehscheibe“,<br />

über die im Altertum Einflüsse zwischen den südlichen altorientalischen<br />

Zivilisationen einerseits und den nördlich des Gebirges beheimateten<br />

Steppenkulturen Eurasiens andererseits vermittelt wurden. Kaukasien ist<br />

geographisch durch das erzreiche große Kaukasusgebirge in eine Nord- und<br />

Südhälfte und durch die Flusssysteme von Kuban und Terek im Norden sowie<br />

Rioni und Kura im Süden in eine West- und Osthälfte gegliedert. In diesem<br />

geographischen Raster nimmt das Gebiet des heutigen Staates Georgien eine<br />

gewisse Schlüsselstellung ein. Eingebettet zwischen die Gebirge des Großen<br />

(im Norden) und Kleinen (im Süden) Kaukasus, im Westen begrenzt vom<br />

Schwarzen Meer, im Osten von den heutigen Grenzen der Republik<br />

Azerbajdžan, umfasst das Staatsgebiet der heutigen Republik Georgien jene<br />

Landschaften, die in archäologischer und kulturhistorischer Hinsicht als<br />

Schlüsselregionen verstanden werden dürfen, bilden diese doch im zweiten<br />

(mittlere und späte Bronzezeit) und im frühen ersten Jahrtausend v. Chr.<br />

(ältere Eisenzeit) das nördliche „Hinterland“ zu den altorientalischen<br />

Zivilisationen der Hethiter, Mitanni, Assyrer, Urartäer, Meder und Perser.<br />

Von nicht geringerem Interesse sind dabei selbstverständlich auch die<br />

Beziehungen zu den damals nördlich des Großen Kaukasus lebenden Stämmen,<br />

wie etwa den frühen Reiternomaden, z. B. den Skythen. Eine der<br />

Schlüsselregionen, die bezüglich dieser Fragen nach Akkulturationen,<br />

Transkulturationen und Migrationen, wie von der bisherigen Forschung<br />

postuliert, Auskunft geben kann, ist die östlichste georgische Provinz<br />

Kachetien. Diese Region im östlichen Südkaukasien bildet eine<br />

Siedlungskammer, die durch die Einzugsgebiete der Flüsse Iori im Süden und<br />

Alazani im Norden, die beide in den Kura (Kyros) münden, gegliedert wird.<br />

Dadurch ist die Verbindung nach Süden, nach Armenien, Ostanatolien,<br />

Azerbajdžan und Nordwestiran, somit in das zuvor erwähnte Siedelgebiet der<br />

Hethiter, Mitanni, Assyrer, Urartäer, Meder und Perser gegeben. Eine weitere<br />

wesentliche Frage ist die nach der Ausnutzung und Verteilung der in Kaukasien<br />

Stand: 11/2007 41


eichlich vorhandenen Rohstoffe, wie etwa Metallerzen und Obsidian, die über<br />

weite Strecken verhandelt worden sind.<br />

Bevor jedoch diese Fragen sinnvoll beantwortet werden können, sind in dieser<br />

Region noch erhebliche chronologische Probleme zu lösen. Denn trotz der<br />

zahlreichen archäologischen Quellen, die gerade in Kachetien besonders reich<br />

sprudeln, und trotz jahrzehntelanger intensiver Forschungen bestehen<br />

insbesondere für die Chronologie des 2. Jahrtausends v. Chr. in diesem Raum<br />

noch erhebliche Unklarheiten. Die bisherige Forschung konzentrierte sich auf<br />

Grabfunde, die hier für die genannten Zeitperioden in die Hunderte gehen,<br />

während die archäologische Untersuchung von Siedlungen erst nach der<br />

welthistorischen Wende 1989/1990, nach dem Ende der Sowjetunion, durch<br />

die Beteiligung von ausländischen, besonders deutschen Wissenschaftlern<br />

intensiviert wurde. Denn Siedlungen, die über einen langen Zeitraum bewohnt<br />

waren, bieten die besten Voraussetzungen für die genaue Altersbestimmung<br />

von aufeinander folgenden Kulturphänomenen. Der für die gegenwärtigen<br />

Ausgrabungen und Prospektionen ausgewählte mehrschichtige Siedlungsplatz<br />

Tachti Perda bei der Stadt Dedopliscqaro in Kachetien erfüllt diese<br />

Bedingungen optimal, liegt er doch verkehrstechnisch und strategisch günstig.<br />

Von hier ließen sich die Wege nach Westen in Richtung der heutigen Stadt<br />

Tbilisi, nach Norden in das Alazani-Tal, nach Süden in das Iori-Tal und<br />

schließlich nach Osten zur Širaki-Hochebene kontrollieren. Zudem befindet er<br />

sich in Nachbarschaft zu zwei Bergheiligtümern, dem Gochebi-Berg im Norden<br />

und dem Elias-Berg im Osten. Die Siedlung besteht aus einem ca. 20 m hoch<br />

aufragenden, ca. 200 m breiten trapezförmigen Hügel, der im Norden auf<br />

halber Höhe künstlich terrassiert worden ist, sowie aus einem nördlich<br />

vorgelagerten, mindestens 10 ha umfassenden Terrain.<br />

Nach vorbereitenden Begehungen, Sondagen und Vermessungen in den Jahren<br />

2002 und 2003 wird diese Siedlung seit Sommer 2004 systematisch<br />

ausgegraben. Der Hügel selbst umfasst mehrere mächtige Schichten der<br />

älteren Eisenzeit (10.-8./7. Jh. v. Chr.) sowie der späten und mittleren<br />

Bronzezeit (17.-1l. Jh. v. Chr.). Der hier bislang wichtigste Befund ist eine<br />

spätbronzezeitliche Mauer (ca. 14.-1l. Jh. v. Chr.), die rings um die<br />

Hügelkuppe führt. Neben einer Fundamentierung aus großen Kalksteinblöcken<br />

zeigt diese etwa vier Meter breite Maueranlage einen komplizierten Aufbau aus<br />

Lehm, Holzpfosten, Steinen und Lehmziegeln. Diese Mauer wie auch die<br />

Siedlung auf dem Hügel ist wahrscheinlich zum Ende der Bronzezeit Opfer<br />

einer verheerenden Brandkatastrophe geworden.<br />

Sowohl diese Maueranlage als auch die imposante Topographie und die Größe<br />

des Platzes deuten darauf hin, dass es sich bei dieser Siedlung im Altertum um<br />

einen zentralen Ort von möglicherweise überregionaler Bedeutung gehandelt<br />

haben dürfte, der in eine befestigte „Ober-“ und „Unterstadt“ gegliedert war.<br />

Auch der Fundstoff (Keramiktypen, Bronzen, Obsidiangeräte) aller bislang<br />

erfassten Zeitstufen lässt Fernbeziehungen vor allem nach Süden, nach<br />

Armenien und Azerbajdžan, möglicherweise auch nach Iran erkennen.<br />

Für derartige landschaftsarchäologische Untersuchungen sind moderne<br />

Prospektionsmethoden, wie geophysikalische Bodenwiderstandsmessungen und<br />

Erkundungen aus der Luft von besonderer Bedeutung. Deshalb wurden in<br />

Kooperation mit Dr. Baoquan Song, <strong>Institut</strong> für Archäologische Wissenschaften<br />

der Ruhr-Universität Bochum, geophysikalische Prospektionen sowie eine erste<br />

Befliegung der Region durchgeführt. Mit geomagnetischen Messungen wurde<br />

im letzten Jahr der gesamte Siedlungshügel und in diesem Jahr dessen<br />

nördliches Umfeld erhellt (bislang insgesamt 7 ha). Die Geomagnetik-<br />

Messungen auf dem Terrain nördlich des Hügelfußes von Tachti Perda zeigten<br />

Spuren einer vorgelagerten Siedlung mit Öfen sowie Stein- und<br />

Stand: 11/2007 42


Lehmbaustrukturen, welche durch Bohrkernanalyse bestätigt wurden.<br />

Nordwestlich dieses Areals konnte ein bereits teilweise ausgegrabenes<br />

Gräberfeld geomagnetisch untersucht werden. Dort zeigten sich Strukturen, die<br />

auf weitere bisher noch unentdeckte Gräber hinweisen. Aufgrund der<br />

getätigten Lesefunde, im wesentlichen charakteristische Keramikscherben,<br />

dürfte es sich dabei um ältereisenzeitliche Siedlungsreste handeln, die mit den<br />

oberen Schichten der „Oberstadt“ sowie den bereits bekannten Grabfunden aus<br />

der Nachbarschaft der Siedlung korrelieren. Durch die erste Befliegung konnten<br />

zwischen der Širaki-Hochebene, dem Fundort Tachti Perda und der modernen<br />

Stadt Sighnaghi auf einem ca. 500 Quadratkilometer großen Areal bereits<br />

bekannte Fundstellen aus der Luft dokumentiert werden; aber auch bislang<br />

unbekannte Bodendenkmäler wie Höhensiedlungen oder Hügelgräber wurden<br />

entdeckt und fotografiert.<br />

Methoden:<br />

- Fortsetzung der Ausgrabung mit Schwerpunkt auf die durch die<br />

geomagnetischen Messungen erkannten Strukturen,<br />

- ergänzende geomagnetische Messungen in den noch nicht erfassten<br />

Bereichen des Nordterrains,<br />

- eine intensive Befliegung des Geländes um die Siedlung Tachti Perda. Die<br />

neuen Luftbilder sowie die älteren, im Luftbildarchiv des „<strong>Institut</strong>s für<br />

Archäologische Forschung“, Tbilisi, vorhandenen, sollen zum Aufbau eines<br />

Archäologischen Informationssystems auf der Grundlage eines GIS<br />

eingesetzt werden. Im Anschluss daran soll die individuelle Visualisierung<br />

ausgewählter Objekte bzw. eine 3D-Modellierung des Arbeitsgebietes<br />

(hybride Landschaftsmodellierung) vorgenommen werden, und zwar nicht<br />

als medienwirksame Präsentation, sondern als heuristisches Mittel zum<br />

Verständnis der Raumbezüge.<br />

Einbindung in Cluster 3:<br />

Da das Ziel der Untersuchungen ist, exemplarisch die natürlichen,<br />

ökonomischen und symbolischen Strukturen einer definierten Mikroregion im<br />

späten 2. Jt. v. Chr. hinsichtlich Grenzen (ummauerte „Oberstadt“; Tachti als<br />

Marke), sozialer Hierarchien (Zentraler Ort) und symbolischer Raumbezüge<br />

(Höhenheiligtümer) zu erfassen, erklärt sich sein Bezug zu Forschungsfeld 1<br />

„Erschließung von Räumen“ in Cluster 3, in dem hier spezifische archäologische<br />

Objekte in schriftloser Zeit in einer definierten Region, die sich im<br />

Spannungsfeld zwischen altorientalischen Zivilisationen einerseits und den<br />

Kulturen der eurasischen Steppen andererseits befinden, räumlich zu verorten<br />

sind.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Ingo Motzenbäcker (E-Mail: imo@eurasien.dainst.de)<br />

WOLF-DIETRICH NIEMEIER, IVONNE KAISER, JUTTA STROSZECK (Abteilung Athen)<br />

Der Kerameikos von Athen und seine Straßen: Raum, Verwendung,<br />

Entwicklung und Denkmäler<br />

Lage:<br />

Das heute unter dem Namen Kerameikos bekannte Ausgrabungsgelände<br />

umfasst nur einen kleinen Teil des antiken Demos Kerameis, der sich von der<br />

Agora bis zur ca. 3 km entfernten Akademie erstreckte. Im<br />

Ausgrabungsgelände des Kerameikos ist ein Teil der antiken Stadtmauer<br />

Stand: 11/2007 43


erhalten, die den „inneren Kerameikos“ vom „äußeren Kerameikos“ teilt. Durch<br />

die Mauer führten im Abstand von 40 m zwei Tore, das Heilige Tor und das<br />

Dipylon. Die Heilige Straße und die Kerameikos-Straße verbinden den<br />

„inneren“ mit dem „äußeren“ Kerameikos.<br />

1. Die Heilige Straße<br />

Die Heilige Straße im Bereich des Heiligen Tores ist eng mit der Geschichte des<br />

Heiligen Tores verknüpft. Themistokles ließ das Heilige Tor im Zusammenhang<br />

mit der neuen Stadtmauer 479/478 v. Chr. errichten. In diese Zeit fällt auch<br />

die durch das Tor vorgegebene architektonische Fassung der Heiligen Straße,<br />

auf welcher sich die Prozession vom und zum ca. 20 km entfernten Heiligtum<br />

der Demeter in Eleusis bewegte. War das Gebiet des Kerameikos vor den<br />

Perserkriegen hauptsächlich Nekropole, so wurde mit dem Bau der Stadtmauer<br />

und -tore und der damit einhergehenden Anlage der Straßen der politische<br />

Raum der Polis Athen nach Westen erweitert.<br />

Die Grabungen an der Heiligen Straße im Bereich des Heiligen Tores wurden<br />

von 2002 bis 2005 durchgeführt, während ihre wissenschaftliche Auswertung<br />

noch andauert. Anlass für die Grabungen war zunächst die Klärung von<br />

Datierungsfragen zu den Bauphasen des Heiligen Tores für die Publikation<br />

desselben durch Dr. Gerhard Kuhn (Marburg). Die bei diesen Grabungen 2002<br />

unter der themistokleischen Straße zutage gekommenen archaischen<br />

Skulpturen, u. a. ein Kouros, bestimmten die Fragestellungen der darauf<br />

folgenden Kampagnen. Es zeigte sich, dass die Heilige Straße nach Westen hin<br />

nicht nur viele Ausbesserungen von Fahrspuren und dergleichen aufwies,<br />

sondern auch durch massivere Bauaktivitäten gestört war. So fand sich<br />

unmittelbar vor dem Heiligen Tor stadtauswärts, inmitten der Heiligen Straße<br />

gelegen, eine unterirdische Wasserreinigungsanlage, aus der durch eine<br />

Brunnenöffnung Wasser geschöpft werden konnte. Diese steht wahrscheinlich<br />

in Zusammenhang mit einem um 410/400 v. Chr. zu datierenden Altar, der an<br />

der Stelle des um 300 v. Chr. erbauten Proteichismas stand. In die Zeit der<br />

Erbauung des Proteichismas fallen auch die Verfüllung der Wasseranlage und<br />

die Demontage des Altars.<br />

Fragestellungen:<br />

1. Die archaischen Skulpturen dienten in ihrer Zweitverwendung zur<br />

Befestigung der Furt über den Eridanos. Es bleibt die Frage nach dem<br />

ursprünglichen Aufstellungsort der Skulpturen zu klären, die aufgrund ihres<br />

Gewichtes nicht von sehr weit transportiert worden sein konnten. Gab es<br />

also schon in archaischer Zeit Grabbezirke, wie wir sie sonst erst aus dem<br />

5. und 4. Jh. v. Chr. kennen, in unmittelbarer Umgebung der Heiligen<br />

Straße?<br />

2. Ist die unterirdische Wasserreinigungsanlage für kultische Handlungen am<br />

direkt daneben gelegenen Altar gebaut worden?<br />

3. Welche politische Motivation führte dazu, dass der an prominenter Stelle<br />

gelegene Altar nicht mehr genutzt wurde und stattdessen das Proteichisma<br />

errichtet wurde?<br />

4. Wie griff die Brunnenöffnung der Wasserreinigungsanlage inmitten der<br />

Heiligen Straße in den Alltag der Straße ein, die zum Transport von<br />

Menschen, Wagen und Vieh diente?<br />

5. Wie wurden die Denkmäler am Straßenrand wahrgenommen? Bedeuteten<br />

diese Denkmäler, dass auf der Straße mehr Aktionsraum für einzelne<br />

Stand: 11/2007 44


Gruppen geschaffen wurde? Wie interagierten diese Gruppen, so dass die<br />

eigentliche Funktion der Straße als Verkehrsweg bestehen blieb?<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Wolf-Dietrich Niemeier (E-Mail: niemeier@athen.dainst.org)<br />

Dr. des. Ivonne Kaiser (E-Mail: kaiser@athen.dainst.org)<br />

2. Die Kerameikos-Straße vor dem Dipylon<br />

Begriff<br />

Der Begriff Kerameikos wird in klassischer Zeit auf das Areal der Straße<br />

zwischen Akademie und Agora bezogen, seine Bedeutung ändert sich jedoch im<br />

Lauf der Zeit. Die deutschen Ausgrabungen im Kerameikosgelände (gemeint ist<br />

hier der neuzeitliche Kerameikos als archäologischer Park) bieten die<br />

Möglichkeit, einen Teil dieser antiken Straße zu untersuchen. Zum Gelände<br />

gehören das Stadttor, das über der Straße errichtet wurde, sowie ein ca. 150<br />

m langer Abschnitt der Straße vor dem Tor einschließlich der Bebauung entlang<br />

des südwestlichen Straßenrandes.<br />

Quellen<br />

Aus den antiken Quellen ist bekannt, dass entlang dieser Straße und vor dem<br />

Dipylon Gräber für Personen angelegt worden sind, deren Handlungen zu<br />

Lebzeiten auf ganz unterschiedliche Weise identitätsstiftende Wirkung für die<br />

Polis Athen hatten oder die sich sonst um die Stadt verdient gemacht hatten,<br />

darunter gefallene Athener, Feldherren, Politiker, Olympiasieger und berühmte<br />

Künstler.<br />

Aussehen der Straße<br />

Die Kerameikosstraße war vor dem Tor mehr als 40 m breit. Das entspricht<br />

dem Abstand der Grenzsteine beiderseits des Dipylon vor der Stadtmauer.<br />

Diese Breite ist durch die Grabungen von Dieter Ohly auch noch 70 m vor der<br />

Toranlage archäologisch nachgewiesen. Im landseitigen Tordurchgang verengte<br />

sie sich auf 18 m.<br />

Schon allein diese monumentalen Ausmaße unterscheiden diese Straße von<br />

allen anderen bekannten antiken Straßen: Normalerweise waren Straßen 3-5<br />

m breit, seltener 8-10 m. Die große Hauptstraße in Alexandria war 30 m breit.<br />

Eine so breite Straße vor dem Haupttor einer Stadt war im Verteidigungsfall<br />

von Nachteil. Es müssen daher gewichtige Argumente für den Ausbau der<br />

Straße im letzten Viertel des 5. Jhs. gegolten haben.<br />

Funktion der Straße<br />

Aus der enormen Breite der Straße ist klar, dass es sich hier nicht um eine<br />

normale Straße handeln kann, die nur die üblichen Funktionen hatte<br />

(Verkehrsweg für Reise und Transport). Verwaltet wurde der antike<br />

Kerameikos von der Stadt. Darauf weisen die Stelen mit der Inschrift ΟΡΟΣ<br />

ΚΕΡΑΜΕΙΚΟΥ hin, die um 350 v. Chr. entlang der Straßenränder aufgestellt<br />

worden sind. Die Polis war damit für alle Belange der Straße und der Bauten<br />

entlang der angrenzenden Straßenränder zuständig. Der von der Polis<br />

geschaffene und begrenzte Raum vor dem Dipylon stand den Bürgern für<br />

verschiedene Nutzungsweisen zur Verfügung:<br />

Zum Beispiel war die Straße in ganzer Länge Veranstaltungsort von Agonen, im<br />

Besonderen von Fackelläufen, die unter anderem im Rahmen des Staatskultes<br />

der Panathenäen stattfanden und an denen das ganze Volk als Zuschauer<br />

beteiligt war. Auch bei anderen Staatskulten spielte die Straße eine Rolle, z. B.<br />

Stand: 11/2007 45


ei den Kultfesten für Dionysos Eleuthereus. An den im Lauf der Zeit entlang<br />

der Straße errichteten Grabdenkmälern wurden jährliche Gedenkfeiern<br />

abgehalten, z. B. fanden regelmäßig Riten am Polyandrion der Athener statt.<br />

Durch diese gemeinsam, z. T. auch unter Beteiligung der Frauen, vollzogenen<br />

Rituale wurden die Strukturen der athenischen Gesellschaft ausgedrückt und<br />

durch die Wiederholung dauerhaft gefestigt.<br />

Archäologische Untersuchungen<br />

Die Ausgrabungen an der Kerameikosstraße wurden 1914 von Alfred Brueckner<br />

begonnen und mit Unterbrechungen, u. a. durch die beiden Weltkriege, bis<br />

1974 fortgesetzt, sie sind aber großenteils unpubliziert geblieben.<br />

Seit 1998 durchgeführte Nachgrabungen ergänzen die vorliegende<br />

Dokumentation mit dem Ziel der Publikation. Auf zwei besonders bedeutende<br />

Phasen bzw. Abschnitte in der Geschichte der Straße konzentrieren sich die<br />

Untersuchungen derzeit:<br />

1. Die durch Xenophon, Hellenika 2,4,33 bezeugten und von Alfred Brueckner<br />

wiedergefundenen Lakedaimoniergräber, die im Jahr 403 v. Chr. während<br />

des athenischen Bürgerkrieges am südwestlichen Straßenrand angelegt<br />

wurden. Besonders deutlich lassen sich an diesem Monument in<br />

prominenter Lage die Vorgänge in Athen, ein Jahr nach der Niederlage der<br />

Stadt gegen Sparta, zeigen, unter anderem<br />

- an den durch die Grabungsphotos dokumentierten Beisetzungsriten<br />

sowie<br />

- an den unpublizierten keramischen Bestandteilen eines Opfers, das an<br />

dieser Grabanlage dargebracht wurde.<br />

Mit dieser Grabanlage wurde dem vormaligen Gegner aller Athener und<br />

aktuellen Bundesgenossen einer Bürgerkriegspartei ein Areal an<br />

prominenter Stelle eingeräumt. Dieser Vorgang ist im Einzelnen noch nicht<br />

ausreichend untersucht und gewürdigt.<br />

2. In der frühen römischen Kaiserzeit entstanden vor dem Dipylon – und,<br />

soweit bislang bekannt ist, ausschließlich vor diesem Tor der Stadt –<br />

mehrere monumentale Grabbauten in der Art der Grabbauten in Kifissia und<br />

Chalandri bzw. des Philopapposmonuments, also eines Grabtypus, der bis<br />

dahin in Athen keine Tradition hatte. In der Stadt galten vielmehr seit 317<br />

v. Chr. strenge Auflagen bezüglich der Grabformen, die die Ausbildung<br />

aufwendiger Denkmäler verhinderten. Außerdem ist durch die Inschrift auf<br />

dem Epistyl eines solchen Grabbaues, die im Kerameikos gefunden wurde,<br />

die Bezeichnung „Heroon“ belegt. Die Auswahl des Platzes vor dem Dipylon<br />

ist sicher nicht zufällig und ist ohne die besondere Tradition dieser Straße<br />

und ohne die Funktionen, die sie – wenn auch verändert – weiterhin für die<br />

Bürger der Stadt hatte, nicht erklärbar.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Jutta Stroszeck (E-Mail: stroszeck@athen.dainst.org)<br />

HERMANN PARZINGER, ANATOLI NAGLER (Zentrale)<br />

Skythenzeitliche Eliten im kazachischen Siebenstromland<br />

Die eurasische Steppe bietet beträchtliches Potential für Untersuchungen zu<br />

Forschungsfeld 1, der Erschließung und Nutzung von Räumen. Eine ideale<br />

Modellregion für derartige Betrachtungen ist das im Südosten des heutigen<br />

Kazachstan gelegene Siebenstromland, in dem ab 2008 ein umfassendes<br />

Forschungsvorhaben beginnen soll. Dabei handelt es sich um einen klar<br />

Stand: 11/2007 46


egrenzten Lebensraum mit einer einmaligen Konzentration von Denkmälern<br />

vieler Perioden. Im Gegensatz zu den offenen Steppen weiter Teile Eurasiens<br />

wird dieses Gebiet von fruchtbaren Flusstälern durchzogen, die eine<br />

landwirtschaftliche Entwicklung begünstigten. Das Nebeneinander von<br />

Viehzucht und Ackerbau dürfte die wirtschaftlichen Grundlagen dieser<br />

Landschaft von Anfang an geprägt haben, doch ist es noch kaum erforscht,<br />

obwohl die naturräumlichen Voraussetzungen ein solches Nebeneinander<br />

geradezu bedingten. Hinzu tritt eine bevorzugte verkehrsstrategische Lage, die<br />

neben Gütertausch auch intensivere Kulturkontakte ermöglichte, und zwar von<br />

den Hochkulturen Chinas aus durch die Dsungarische Pforte und entlang des<br />

Ili-Flusses in den Südosten Kazachstans. Dort entstand in skythischer Zeit die<br />

sog. sakische Kultur.<br />

Das Siebenstromland gehört zu jenen Regionen des eurasischen<br />

Steppengürtels, die in der Zeit des Reiterkriegernomadismus neben<br />

Grabanlagen auch Siedlungsstellen liefern und somit ein vielseitigeres Bild der<br />

archäologischen Überlieferung bieten als andere Teile der Steppe. Die<br />

Niederlassungen treten jedoch erst allmählich zutage und zeigen einmal mehr,<br />

dass die von der früheren Forschung skizzierten Bilder nur bedingt tragfähig<br />

sind. Es liegt eine kontinuierliche Kultur- und Siedlungsentwicklung besonders<br />

seit der Bronzezeit vor. Erst an ihrem Ende vollzieht sich jener tiefgreifende<br />

Wandel, den wir in nahezu allen Teilen des eurasischen Steppengürtels fassen:<br />

Reiternomadische Kulturverhältnisse entstehen, die ihren Ausdruck in einer<br />

teilweise veränderten Wirtschaftsform, besonders aber in einer beispiellosen<br />

sozialen Stratifizierung, sichtbar an monumentalen Grabanlagen mit<br />

prunkvollen Beigabenausstattungen, sowie in einer aus älteren Wurzeln<br />

erwachsenen neuen Kunstform, dem Tierstil, finden.<br />

Die gesteigerte Mobilität der Reiternomaden bewirkte neue Formen des<br />

Raumverständnisses sowie der Erschließung und Nutzung von Räumen. Ein<br />

tieferes Verständnis davon, wie der Raum in Besitz genommen, strukturiert<br />

und genutzt wird, läßt den hinter dem Beginn des Reiternomadentums<br />

stehenden kulturellen Wandel besser begreifbar machen. Insbesondere die<br />

Verteilung von Kurgan-Gräberfeldern und die Erfassung der inneren Struktur<br />

großer, für ihre jeweilige Region zentraler Nekropolen wird wichtige<br />

weiterführende Einblicke gestatten, die durch die gezielte Ausgrabung einzelner<br />

Kurgane ergänzt werden sollen. Zentrale Frage wird dabei sein, wie sich das<br />

Auftreten neuer Eliten in der Gestaltung und Nutzung von Räumen auswirkt.<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Hermann Parzinger (E-Mail: praesident@dainst.de)<br />

FELIX PIRSON (Abteilung Istanbul)<br />

Pergamon: Eine hellenistische Residenzstadt und ihr Umland<br />

Zusammenfassung<br />

Die antike Stadt Pergamon an der Westküste Kleinasiens blickt auf eine<br />

bewegte Siedlungsgeschichte zurück, die den Wandel von Stadtformen unter<br />

wechselnden historischen Rahmenbedingungen anschaulich illustriert (3. Jh. v.<br />

Chr. – 14. Jh.). Im Mittelpunkt der aktuellen Arbeiten steht die Rekonstruktion<br />

der hellenistischen Stadt als Gesamtorganismus, so dass Genese und Nutzung<br />

verschiedenartiger urbaner Räume zukünftig im Rahmen eines übergeordneten<br />

Kontextes fassbar werden. Als Zeugnisse herrschaftlichen Machtanspruchs<br />

spielen dabei u. a. der Palastbezirk und die Befestigungsanlagen eine<br />

Stand: 11/2007 47


herausragende Rolle. Gleichermaßen bedeutend ist die Untersuchung des<br />

Straßensystems, der Einbindung von Großbauten wie Gymnasion und Agorai<br />

sowie die Nutzung des vorstädtischen Bereiches. Darüber hinaus soll der Blick<br />

auch auf das Umland der Metropole gerichtet werden, wo der gestaltende<br />

Einfluss der Pergamener in der räumlichen Organisation der Landschaft und der<br />

benachbarten Poleis deutlich zutage tritt. In diesem Rahmen sollen in zwei<br />

eigenständigen Projekten zunächst die Hafenstadt Elaia und die Landstadt<br />

Atarneus mit dem westlichen Kaikos-Tal untersucht werden. Zur Verwaltung<br />

des umfangreichen Datenmaterials aus den aktuellen Arbeiten und aus älteren<br />

Projekten ist eine komplexe relationale Datenbank entwickelt worden, die zum<br />

GIS ausgebaut wird.<br />

Bezüge zum Forschungscluster 3<br />

Mit der Untersuchung der hellenistischen Polis Pergamon als<br />

Gesamtorganismus und von Schlüsselmonumenten, wie z. B. der<br />

„Eumenischen“ Stadtbefestigung, dem Gymnasion, den Agorai oder den<br />

Palästen, stehen politische Räume im Mittelpunkt des Projektes. Gleiches gilt<br />

für die Erforschung des Umlandes von Pergamon, die sich Fragen der<br />

symbolischen Markierung des Territoriums durch die Pergamener widmet. In<br />

beiden Projekten geht es zunächst um die Genese verschiedenartiger Räume<br />

(Territorium, Stadtorganismus, architektonisch definierter Binnenraum) aus<br />

Grenzen bzw. gebauten Raumhülsen, fester und beweglicher Ausstattung sowie<br />

Verhalten der Nutzer. Bei der Rekonstruktion der Räume spielt die Frage nach<br />

Betrachterperspektiven und nach Angeboten zur Orientierung im Raum eine<br />

zentrale Rolle. Im Anschluss daran gilt es, die Manifestation politischer Macht,<br />

die Etablierung gesellschaftlicher Hierarchien und das Verfügen über<br />

wirtschaftliche und militärische Ressourcen als räumliche Praktiken zu<br />

analysieren und zu interpretieren.<br />

Aus Sondermitteln zur Förderung multidisziplinärer Grundlagenforschung am<br />

DAI wird seit 2006 in Pergamon ein Programm zum Einsatz von<br />

Geowissenschaften in der archäologischen Stadtforschung finanziert. Die dabei<br />

neu gewonnen Daten und die erweiterten Möglichkeiten ihrer Nutzung kommen<br />

Fragestellungen zugute, wie sie im Forschungscluster 3 behandelt werden. So<br />

erlaubt die Erstellung eines 3D-Modells unter Einbeziehung aktueller Grabungsund<br />

Prospektionsergebnisse die Beurteilung der Zusammenhänge zwischen<br />

Naturraum und architektonischer Gestaltung der Stadt. Die geophysikalischen<br />

Prospektionen leisten Grundlagenforschung zum Straßenraster, das seinerseits<br />

ein zentrales Element für das Verständnis der räumlichen Gliederung der Stadt<br />

ist. Erst auf Basis der gemeinsamen Beurteilung von Topographie und<br />

Architektur sowie der Kenntnis städteplanerischer Parameter ist es möglich,<br />

nach den Kriterien zu fragen, die bei der Gestaltung politischer Räume in<br />

Pergamon zur Anwendung kamen. Durch die Verwendung desselben<br />

Geoinformationssystems bei den DFG-finanzierten Surveyprojekten „Elaia“ und<br />

„Die Chora von Pergamon“, die im Rahmen der Pergamongrabung durchgeführt<br />

werden, besteht in Zukunft die Möglichkeit, räumliche Bezüge zwischen Stadt<br />

und Umland dreidimensional darzustellen und diese Darstellungen auch für<br />

analytische Zwecke zu nutzen. Dabei könnte es z. B. konkret darum gehen,<br />

wie Straßen, Heiligtümer, Stadtbefestigungen oder auch Grabanlagen zur<br />

symbolischen Besetzung des Territoriums beigetragen haben.<br />

Ansprechpartner:<br />

PD Dr. Felix Pirson (E-Mail: pirson@istanbul.dainst.org)<br />

Stand: 11/2007 48


GABRIELE RASBACH (RGK)<br />

Spätaugusteische Stadtanlage von Lahnau-Waldgirmes<br />

Seit 1993 untersucht die Römisch-Germanische Kommission in Waldgirmes<br />

eine römische Stadtanlage, die noch während ihrer Gründungsphase wieder<br />

aufgegeben wurde. Aufgrund von dendrochronologischen Daten und<br />

Münzfunden können die Spuren dieser Siedlung in die Zeit von 4 v. Chr. bis 9<br />

n. Chr. (Niederlage der Römer unter Führung des Varus 9 n. Chr. in der<br />

„Schlacht im Teutoburger Wald“) datiert werden und damit in die Zeit<br />

römischer Eroberungszüge nach Germanien. Dabei handelt es sich nicht um<br />

eine militärische, sondern um eine zivile Anlage von rund 8 ha Größe.<br />

Politische Räume und ihre Grenzzonen / Entwicklung von Herrschaftsstrukturen<br />

Für die Interpretation der römischen Germanienpolitik ist Waldgirmes in<br />

mehrfacher Hinsicht ein Fixpunkt: Zum einen bietet der Ort einen einmaligen<br />

Einblick in Vorgänge der Urbanisierung von Gebieten, die neu unter römischer<br />

Kontrolle standen, und damit die Einbeziehung der indigenen Bevölkerung in<br />

den politischen Raum einer (geplanten) römischen Provinz (Romanisierung).<br />

Zum anderen bietet die reiche Auswahl an Funden der einheimischen<br />

Bevölkerung Ansatzpunkte weit über das direkte Umfeld hinausreichende<br />

Beziehungen der Römer in die Germania magna aufzudecken. In den<br />

Jahrhunderten um Christi Geburt kommt es im rechtsrheinischen<br />

Mittelgebirgsraum vom Rhein bis zum böhmischen Becken zu Umformungen<br />

der eisenzeitlichen Kulturen (zu dynamischen Interaktionen zwischen Kelten,<br />

Germanen und Römern), die durch große Mobilität der Bevölkerung<br />

(Wanderungen, Kriegszüge) aber auch durch gezieltes römisches Handeln<br />

ausgelöst und beeinflusst wurden.<br />

Waldgirmes liegt an einem Kreuzungspunkt mehrerer Wege, die den römischen<br />

Eroberern den Raum nach Osten öffneten. Aber auch das direkte Umfeld der<br />

römischen Stadt gilt es in den nächsten Jahren in die Untersuchungen<br />

einzubeziehen, denn nach Ausweis des Fundmaterials aus der Stadt müssen<br />

einheimische Siedlungen zwingend in der Nähe zu suchen sein. Dort wurden<br />

vermutlich auch Ressourcen bereitgestellt, die zur Versorgung der ersten<br />

Stadtbewohner notwendig waren.<br />

Mit Archäobotanik, Pollenanalysen und Dendrochronologie werden zurzeit<br />

Hinweise auf die naturräumlichen Bedingungen um Christi Geburt in diesem<br />

Raum zusammengetragen, die nicht nur die landwirtschaftliche Nutzung des<br />

Umfeldes, sondern auch weit reichende Handelsbeziehungen zeigen. Die enge<br />

Zusammenarbeit der Naturwissenschaften an den Materialien aus Waldgirmes<br />

wird möglicherweise auch zu klimageschichtlichen Aussagen führen.<br />

Herrschaftsarchitektur<br />

Die Baubefunde in Waldgirmes, vor allem das Zentralgebäude (Forum), regen<br />

die Diskussion um Militär- und zivile Architektur an. Wann entwickelte sich die<br />

Bauform der Principia und wurde zum Standard in römischen Militärlagern? Die<br />

Verwandtschaft von Forum und Principia wird am Beispiel von Waldgirmes<br />

offensichtlich. Diese in Waldgirmes aufgedeckte Herrschaftsarchitektur und der<br />

sich darin ausgedrückte Anspruch (u. a. auch mit mindestens einer<br />

lebensgroßen vergoldeten Reiterstatue) muss mit Regionen verglichen werden,<br />

in denen die Römer Kolonien errichteten. Wurden die Architekturprogramme<br />

aus dem Süden (z. B. Norditalien mit caesarisch-augusteischen<br />

Veteranenkolonien) auf den Norden übertragen?<br />

Stand: 11/2007 49


Perspektive<br />

Der Fundort Waldgirmes trägt Wesentliches zum Verständnis des Übergangs<br />

der jüngereisenzeitlichen Kulturen in die ältere römische Kaiserzeit sowie der<br />

Ethnogenese der Germanen und damit der Veränderungen des politischen<br />

Raums zwischen Rhein und Böhmen bei. Zur methodisch breiten Grundlage<br />

tragen auch einschlägige Funddaten von Holland bis nach Böhmen bei, die auf<br />

der Grundlage von GIS-fähigen Karten ausgewertet werden. Dafür bieten z. B.<br />

die im „Corpus der Römischen Funde im Barbaricum“ zusammengetragenen<br />

Funde eine ideale Vorarbeit.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Gabriele Rasbach (E-Mail: rasbach@rgk.dainst.de)<br />

KNUT RASSMANN (RGK)<br />

Siedlungsarchäologische Studien zur Frühbronzezeit am Südwestrand<br />

des Slowakischen Erzgebirges. Untersuchungen zur Entwicklung der<br />

Metallurgie im nordwestlichen Karpatenbecken<br />

Die Entwicklung der spätfrühbronzezeitlichen Siedlungslandschaft im<br />

nordwestlichen Karpatenbecken ist durch die Entstehung zahlreicher<br />

befestigter Siedlungen gekennzeichnet. Sie befinden sich in verkehrsgünstiger<br />

Lage in Nachbarschaft zu den reichen Erzlagerstätten der Nordwestkarpaten.<br />

Hinweise auf das Aufblühen der frühen Metallurgie liefern Gräberfelder in der<br />

Slowakei, deren Metallreichtum innerhalb der europäischen Frühbronzezeit<br />

singulär ist.<br />

Konkrete Hinweise auf die frühe Metallurgie liegen trotz zahlreicher<br />

Siedlungsgrabungen noch nicht vor. Unklar bleibt auch die Bedeutung der<br />

befestigten Siedlungen bei der Organisation der Kupfergewinnung und der<br />

Metalldistribution. Um dieser Frage nachzugehen, erfolgen vergleichende<br />

Forschungen auf ausgewählten frühbronzezeitlichen Fundplätzen in den<br />

benachbarten Fundlandschaften der Flusstäler von Žitava, Gran und Eipel.<br />

In der Vergangenheit konzentrierten sich die slowakische und ungarische<br />

Forschung auf die befestigten Siedlungen bzw. Tellsiedlungen, ohne deren<br />

Umfeld zu berücksichtigen. Dieses Defizit wird durch die seit 2002 laufenden<br />

Geländearbeiten im Umfeld der befestigten Siedlungen ausgeglichen. Damit<br />

wird es einerseits möglich, die siedlungsgeschichtlichen Veränderungen in den<br />

unterschiedlichen Landschaften zu erfassen, und andererseits, diese Abläufe<br />

miteinander zu vergleichen.<br />

Methoden<br />

Unsere Arbeiten stützen sich auf Untersuchungen ausgewählter Fundplätze und<br />

eine umfangreiche Prospektionstätigkeit. Ergänzend finden Sondagegrabungen<br />

auf ausgewählten Fundplätzen statt (Rybnik, Vrable). Die Prospektionen<br />

(Geländebegehungen, Bohrprogamme, Geophysik) schließen topographische<br />

Aufnahmen ausgewählter Siedlungsplätze ein. Umfangreiche geochemischbodenphysikalische<br />

Untersuchungen werden durch das Geographische <strong>Institut</strong><br />

der Universität Heidelberg (Verantw. Prof. B. Eitel) durchgeführt.<br />

Die geochemisch-bodenphysikalischen Methoden dienen der Erforschung der<br />

Mensch-Umwelt-Beziehungen und sollen insbesondere die anthropogenen<br />

Einflüsse auf den Wandel in der Landschaft untersuchen. Erst durch die<br />

Verknüpfung der bodengeographischen Untersuchungen mit der GISgestützten<br />

Auswertung der siedlungsarchäologischen Daten ist ein tiefer<br />

gehendes Verständnis der siedlungsgeschichtlichen Prozesse möglich.<br />

Stand: 11/2007 50


Die geochemischen Untersuchungen bieten zugleich die Chance, Hinweise auf<br />

die zyklische Nutzung der Erzlagerstätten im Slowakischen Erzgebirge zu<br />

erlangen, die sich u. a. in Schwermetallkontamina-tionen in Geoarchiven<br />

spiegeln müsste. Um diesem Ziel näher zu kommen, werden potenzielle<br />

Geoarchive im engeren Umfeld der Erzlagerstätten von Pukanec nahe Rybnik<br />

prospektiert.<br />

Die erhobenen Daten (Naturraum, Ausgrabungen, Prospektionen, naturwiss.<br />

Untersuchungen) werden in ein GIS eingearbeitet, verwaltet und mit<br />

raumbezogenen statistischen Verfahren ausgewertet.<br />

Allgemeine Aspekte zum Cluster „Politische Räume“<br />

- Austausch über die eingesetzten Methoden (Prospektionsmethoden, GIS,<br />

naturwiss. Methoden).<br />

- Diskussion des Problems der Herausbildung hierarchischer Systeme von<br />

Siedlungen (u. a. zentrale Orte, vgl. W. Christaller).<br />

- Untersuchung der Wechselwirkung von Naturraum und Siedlungslandschaft,<br />

insbesondere der Bedeutung von Gunstfaktoren wie Bodenschätze,<br />

Bodengüte.<br />

- Rekonstruktion von Grenzen in der Landschaft (politische Strukturen,<br />

Austauschsysteme, Verbreitungsmuster von Schmuck, Waffen und<br />

Werkzeugen).<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Knut Rassmann (E-Mail: rassmann@rgk.dainst.de)<br />

FLORIAN SEILER (Zentrale)<br />

Rekonstruktion der antiken Kulturlandschaften des Sarno-Beckens. Ein<br />

interdisziplinäres Kooperationsprojekt mit Partnern aus<br />

Geowissenschaften und Altertumswissenschaften in Italien und<br />

Deutschland<br />

Die Ebene des Sarno in Kampanien bildet eine uralte Kulturlandschaft, die<br />

wegen ihrer besonderen naturräumlichen Vorzüge (geographische Lage,<br />

Wasserreichtum, äußerste Fruchtbarkeit des Bodens, günstige<br />

Klimabedingungen) spätestens seit der Bronzezeit von Menschen verschiedener<br />

Kulturen intensiv und kontinuierlich besiedelt wurde. Die Landschaft ist durch<br />

das häufige Auftreten von Naturereignissen (Vulkantätigkeit,<br />

Erdbebentätigkeit, Bradyseismus, hohe Sedimentierung) einem starken<br />

Transformationsprozess unterworfen, der durch anthropogene Einwirkungen<br />

(Abholzung, Trockenlegung, Landnutzung) noch potenziert wurde, und der<br />

zuletzt durch die moderne Urbanisierung der Ebene in dramatischer Weise<br />

beschleunigt wird. Die Lebensbedingungen in der Region sind also in<br />

besonderer Weise durch den Überfluss an natürlichen Ressourcen einerseits<br />

und die andauernde Bedrohung durch die Naturkatastrophen andererseits<br />

geprägt. Das Forschungsvorhaben nimmt sich vor, die Lebensverhältnisse des<br />

Menschen in der Antike in der Sarno-Ebene unter diesen ambivalenten<br />

Umweltbedingungen zu untersuchen und nach dem jeweiligen<br />

Siedlungsverhalten der sozialen Gemeinschaften im landschaftlichen Großraum<br />

über verschiedene Epochen hin zu fragen. Unter diesen umweltarchäologischen<br />

Aspekten werden die verschiedenen Siedlungsaktivitäten großräumlich<br />

klassifiziert, die Wechselbeziehungen der Siedlungen untereinander und in<br />

ihrer Abhängigkeit von den naturräumlichen Gegebenheiten analysiert. Eine<br />

wesentliche Rolle spielen dabei Fragen der paläoökologischen Genese der<br />

Stand: 11/2007 51


Landschaft des Sarno-Beckens, der Siedlungsdynamik, der Nutzung und<br />

Verteilung der natürlichen Ressourcen, der ökonomischen Grundlagen, der<br />

Bewirtschaftung, der räumlichen Erschließung über Nah- und Fern-<br />

Verbindungswege und Wasserwege, der territorialen Abgrenzung, der sozialen<br />

und politischen Organisation, der ethnischen Zusammensetzung der<br />

Bevölkerung, der Lage und Beziehung der heiligen Orte zu Siedlungsräumen.<br />

Pompeji mit seinem immensen Informationsgehalt an Daten und Fakten der<br />

historischen Perioden und die neu ausgegrabene bronze- bis eisenzeitliche<br />

Fluss-Niederlassung Longola-Poggiomarino bilden zwar selbstverständlich<br />

Schwerpunkte im Rahmen der Untersuchung, doch werden genauso alle<br />

übrigen Siedlungsplätze und menschlichen Niederlassungen im Sarno-Becken<br />

berücksichtigt.<br />

Diese komplexen fach- und epochenübergreifenden Fragen sind nur im<br />

Zusammenwirken verschiedener Disziplinen und unter Beteiligung von<br />

Wissenschaftlern archäologischer, historisch-philologischer und<br />

naturwissenschaftlicher Fachrichtungen zu bearbeiten. Die multidisziplinäre<br />

Vernetzung des Projekts ist immanent, da die Bearbeitung der geo- und<br />

naturwissenschaftlichen Faktoren der naturräumlichen Veränderungen vielfach<br />

erst die Voraussetzung für die Auswertung der archäologisch-historischen<br />

Fragen bildet. Aufgrund der ständigen Überformung der Landschaft stellen sich<br />

hier zudem besondere technisch-methodische Herausforderungen an die<br />

geoarchäologischen Untersuchungen. In der Regel liegen die antiken<br />

Kulturhorizonte unter meterhohen Tephra-Auflagerungen und Sedimenten<br />

verborgen und verlangen den Einsatz spezieller naturwissenschaftlicher<br />

Prospektions- und Analyseverfahren, um „sichtbar“ gemacht zu werden. Der<br />

Entwicklung und Anwendung geeigneter technischer Untersuchungsmethoden<br />

gilt daher ein besonderes Interesse innerhalb des Projekts.<br />

Das Forschungsprojekt, das formell aus Kooperationen mit verschiedenen<br />

<strong>Institut</strong>ionen und Wissenschaftlern in Deutschland und Italien besteht, hat das<br />

Ziel, die komplexen naturräumlichen und anthropogenen<br />

Veränderungsprozesse der Kulturlandschaften in der Sarno-Ebene auf der<br />

Grundlage geoarchäologischer Methoden zu untersuchen, die genetischen<br />

Vorgänge nach Epochen und Räumen zu beschreiben und die Ergebnisse in<br />

digitalen Rekonstruktionen von interpretierten Landschaftsmodellen<br />

darzustellen. Im Rahmen des Clusters „Politische Räume“ ergeben sich<br />

vielfältige Schnittstellen mit verwandten Projekten, zunächst wird jedoch von<br />

einer Mitarbeit im Forschungsfeld „Erschließung und Nutzung“ ein<br />

wissenschaftlicher Mehrwert erwartet.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Florian Seiler (E-Mail fs@dainst.de)<br />

DIETER VIEWEGER, JUTTA HÄSER (Orient-Abteilung)<br />

Das „Gadara Region Project“ in Nordjordanien<br />

Das „Gadara Region Project“ in Nordjordanien wurde im Jahr 2001 von Prof.<br />

Dr. Dr. Dieter Vieweger, Leiter des Biblisch-Archäologischen <strong>Institut</strong>s in<br />

Wuppertal, initiiert. Das Ziel der Forschungen dieses interdisziplinären<br />

Projektes ist die Untersuchung der Geschichte der Region um den antiken Ort<br />

Gadara. Das Projekt basiert auf einer engen Verzahnung mit den<br />

archäologischen Forschungen in Gadara, insbesondere durch das Deutsche<br />

Archäologische <strong>Institut</strong> (A. Hoffmann, G. Schauerte, C. Bührig) und das<br />

Deutsche Evangelische <strong>Institut</strong> (U. Wagner-Lux, K. Vriezen). Nach intensiven<br />

Stand: 11/2007 52


Surveys in den südlich von Gadara gelegenen Tälern, dem Wādī el-‘Arab und<br />

dem Wādī ez-Zahar, im Jahr 2001 wurde der Tall Zirā‘a für eine Ausgrabung<br />

ausgewählt, mit der im Sommer 2003 begonnen wurde. Seit 2004 besteht eine<br />

Kooperation zwischen dem Biblisch-Archäologischen <strong>Institut</strong> in Wuppertal mit<br />

dem Deutschen Evangelischen <strong>Institut</strong> für Altertumswissenschaft des Heiligen<br />

Landes in Amman unter der gemeinsamen Leitung der beiden Autoren.<br />

Das Wadi al-‘Arab ist ein Gunstraum der Archäologie. In der Kontaktzone<br />

zwischen der Levante und dem syrisch-mesopotamischen Kulturraum gelegen,<br />

nimmt es in geopolitischer Hinsicht eine Schlüsselfunktion für Palästina ein.<br />

Hier lassen sich kulturelle Entwicklungen und politische Umbrüche – wie sie in<br />

Palästina häufig von den Kulturgebieten im Norden angestoßen wurden –<br />

besonders gut nachvollziehen.<br />

Das Wadi al-‘Arab diente über Jahrtausende als Handelsweg zwischen Ägypten<br />

und dem Mittelmeer im Süden und Westen sowie Syrien und Mesopotamien im<br />

Norden und Osten. Es bietet aufgrund seiner Topografie die einzigartige<br />

Möglichkeit, den schwierigen Aufstieg vom Jordantal (hier bei 290 m unter dem<br />

Meeresspiegel) zum ostjordanischen Hochland (550 m über dem<br />

Meeresspiegel) ganz ohne Geländestufen und Engpässe bei drei Prozent<br />

durchschnittlicher Steigung in einer Länge von ca. 30 Kilometern zu<br />

bewältigen. Dieser Umstand zeichnete das Wadi al-‘Arab über Jahrtausende als<br />

bevorzugte Handelsroute aus.<br />

Einer der größten Fundplätze im Wadi al-‘Arab ist der Tall Zirā‘a. Dieser<br />

Siedlungshügel war von der frühen Bronzezeit bis in die Neuzeit besiedelt. Er<br />

bildete in vielen Perioden das Zentrum des Siedlungsraumes. In hellenistischer<br />

und dann besonders in römischer Zeit fand mit der Gründung Gadaras in<br />

hellenistischer Zeit trotz der besonders guten strategischen Situation und der<br />

guten ökologischen Bedingungen eine Verschiebung des regionalen<br />

Siedlungszentrums statt.<br />

Fragestellung im Hinblick auf das Cluster-Thema<br />

Neben vielseitigen Fragestellungen zu Siedlungsgeschichte, Landschaftswandel<br />

und Technik-geschichte wird auch untersucht, wie sich die politische<br />

Bedeutung ein und desselben landschaftlichen Raumes, d. h. der Gadara-<br />

Region, im Laufe von 5000 Jahren durch die Verlegung von Zentren und<br />

Wegesystemen veränderte. Dabei ist noch zu erforschen, welche Gründe es für<br />

diese Verlegung gab. Diese können u. a. in den Reaktionen auf Veränderungen<br />

der ökologischen aber auch der politischen Verhältnisse gelegen haben.<br />

Interessant ist zudem die Frage nach den territorialen Grenzen, die sich<br />

ebenfalls über die Jahrtausende gewandelt haben. Für die Frühzeit der<br />

Besiedlung des Untersuchungsraumes dürfte man wohl eher von Einflusszonen<br />

als von eigentlichen Grenzen sprechen. Für die späte Bronzezeit und Eisenzeit<br />

wissen wir aus schriftlichen Quellen, dass diese Einflusszonen der politischen<br />

Gebilde und Zentren häufig wechselten. Sofern keine schriftlichen Quellen<br />

vorliegen, können die Einflusszonen nur aus verschiedenen archäologischen<br />

Befunden und topografischen Gegebenheiten (s. u.) erschlossen werden.<br />

Methoden<br />

1. Ausgrabung auf dem Tall Zirā‘a. Dabei wird besonderes Augenmerk auf<br />

Funde und Befunde gelegt, in denen sich die Siedlungsstruktur, politische<br />

Verwaltung und Kontakte zu anderen Räumen manifestieren:<br />

- Siedlungsformen und Architektur (städtisch – dörflich; befestigt –<br />

unbefestigt; dichte Bebauung – offene Siedlungsform mit großen,<br />

unbebauten Flächen; repräsentative Gebäude; große Vorratseinheiten;<br />

kostenintensive Bauformen, überregionale Architekturformen, soziale<br />

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Hierarchien)<br />

- Wirtschaftsformen (Vorratshaltung, Importe, Tierknochen von<br />

unterschiedlichen Haustieren, Jagdwild; botanische Großreste von<br />

Nutzpflanzen)<br />

- Technologien (Keramikproduktion, Metallverarbeitung,<br />

Technologietransfer)<br />

- Handelssysteme (Wandel der Importe)<br />

- Bezüge zu unterschiedlichen religiösen Vorstellungswelten<br />

(Götterfiguren, kultische Geräte, kultische Bauten)<br />

- Verwaltungsstrukturen (Verwaltungsgebäude, Vorratseinrichtungen,<br />

Siegel, Schriftzeugnisse)<br />

- Häusliche Inventare (Vorratseinrichtungen, Arbeitsvorrichtungen,<br />

Keramik, Steingeräte, Metallgeräte und -gefäße)<br />

2. Aufnahme aller Fundplätze (Siedlungen, Wirtschaftseinrichtungen,<br />

Bewässerungsanlagen) in der Untersuchungsregion zur Bestimmung ihres<br />

Bezuges zum Zentrum<br />

3. Geländeforschungen zur Aufnahme alter Wegesysteme<br />

4. Studium schriftlicher und archäologischer Quellen zu Nordjordanien, um<br />

andere Zentren und ihre gegenseitige Abgrenzung zu erkennen<br />

5. Verknüpfung mit den Forschungsergebnissen zur Stadtentwicklung in<br />

Gadara des DAI<br />

6. Auseinandersetzung mit der theoretischen Literatur zu Siedlungssystemen<br />

und Landschaftsarchäologie<br />

Erwartungen an das Forschungscluster<br />

Von der Mitarbeit im Forschungscluster werden neue methodische Anstöße -<br />

besonders im Hinblick auf Erklärungsmodelle für die Veränderung von<br />

„Einflusszonen“ in nicht territorial klar umrissenen politischen Systemen -<br />

erhofft. Interessant ist zudem der Vergleich mit anderen Regionen, in denen in<br />

der hellenistisch-römischen Zeit ebenfalls ein eindeutiger Einschnitt in der<br />

Siedlungsstruktur zu erkennen ist.<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger (E-Mail: vieweger@uni-wuppertal.de)<br />

Dr. Jutta Häser (E-Mail: gpia@go.com.jo)<br />

2. FORSCHUNGSFELD: GRENZEN POLITISCHER RÄUME<br />

Moderatoren: Joachim Heiden, Claus-Michael Hüssen, Corinna Rohn<br />

Räume als Träger der politischen Organisation menschlicher Gesellschaften<br />

formen Grenzen. Vor dem Hintergrund allgemeiner und abstrakter<br />

Bestimmungsmöglichkeiten von Grenzen mit den semantischen Feldern<br />

Begrenzung, Entgrenzung und Grenzüberschreitung in den heutigen Sozialund<br />

Kulturwissenschaften werden im Forschungsfeld 2 speziellere<br />

Verwendungen des Begriffs Grenze als geschichtswissenschaftliche Kategorie<br />

diskutiert mit dem Ziel, hinreichend plastische Vorstellungen von kulturellen<br />

Grenzen zu entwickeln. Hierzu sind Verbindungen zwischen den konkreten und<br />

sichtbaren Interaktionssträngen zu der Metaphorik von kultureller Differenz,<br />

Fremdheit und Anderssein aufzuzeigen.<br />

Im ersten Arbeitstreffen ergab sich für die im Forschungsfeld vertretenen<br />

Projekte eine Untergliederung in solche, die sich mit Grenzen zwischen<br />

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ähnlichen, und jenen, die sich mit Grenzen zwischen unterschiedlichen<br />

politischen Räumen befassen.<br />

GERDA VON BÜLOW (RGK)<br />

Gamzigrad (Teilaspekt: Umfassungsmauern)<br />

Siehe auch die allgemeine Darstellung zum Projekt Gamzigrad-Romuliana im 4.<br />

Forschungsfeld!<br />

Fragestellung<br />

Die äußere Umfassungsmauer des ca. 200 x 200 m großen, um 300 n. Chr.<br />

entstandenen Kaiserpalastes von Gamzigrad ist ziemlich gut erhalten und wirkt<br />

auch heute noch sehr wehrhaft. Sie ist 3,60 m dick und mit 20 weit nach<br />

außen vorspringenden und relativ eng beieinander stehenden polygonalen<br />

Türmen besetzt. In der Mitte der Ost- und der Westseite befindet sich je ein<br />

Tor. Vor der torlosen Südseite der Anlage ist ein etwa 1,80 m tiefer Graben<br />

festgestellt worden, der nach stratigraphischen Beobachtungen zeitgleich mit<br />

der Mauer anzusetzen ist.<br />

In einem gewissen Gegensatz zu der wehrhaften Fernwirkung der Anlage steht<br />

ihr Erscheinungsbild bei näherer Betrachtung: Die Außenseiten der beiden Tore<br />

wirkten durch Nischen und reich gegliederte Scheinarkaden sowie reliefierte<br />

Bauglieder auf den Betrachter eher wie repräsentative Ehrenbögen denn wie<br />

verteidigungsfähige Festungstore. Durch archäologische Untersuchungen<br />

konnte in dem Turm südlich des Westtores eine mehrschichtige,<br />

nachpalastzeitliche Siedlungstätigkeit nachgewiesen werden.<br />

Diese widersprüchlichen Befunde werfen die Frage nach der tatsächlichen<br />

Funktion der monumentalen Umfassung des Palastes auf.<br />

Methoden und Zielstellung<br />

Im Kontext von spätantiken Militäranlagen und von römischer und spätantiker<br />

Herrschaftsarchitektur aus verschiedenen Provinzen des römischen Reiches soll<br />

die Position von Romuliana bestimmt werden. In die notwendigen<br />

Untersuchungen muss auch eine detaillierte Analyse der älteren<br />

Umfassungsmauer einbezogen werden, die sowohl durch die Form der Türme<br />

wie auch in ihrer Gesamtkonzeption sich wesentlich von der heute noch<br />

sichtbaren Mauer unterscheidet.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Gerda von Bülow (E-Mail: vonbuelow@rgk.dainst.de)<br />

RICARDO EICHMANN, JUTTA HÄSER (Orient-Abteilung)<br />

Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman<br />

Siehe 1. Forschungsfeld!<br />

MARKUS GSCHWIND (Orient-Abteilung)<br />

Raphaneae<br />

Die 2005 und 2006 in Raphaneae durchgeführten Surveyarbeiten zeigen das<br />

große wissenschaftliche Potential des archäologisch bislang nahezu<br />

unbekannten Fundplatzes. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass sich Raphaneae<br />

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in vielerlei Hinsicht von anderen Städten und Legionsstandorten des Vorderen<br />

Orients unterscheidet. Im Zusammenhang mit dem 2. Forschungsfeld des<br />

Forschungsclusters 3 sind zwei Punkte von besonderem Interesse:<br />

1. Das Legionslager Raphaneae liegt an einem Straßenkreuzungspunkt von<br />

untergeordneter geostrategischer Bedeutung, in einem Talkessel ohne<br />

Blickverbindung mit der umgebenden Landschaft und – abgesehen von der<br />

Nähe zum Klientelkönigreich von Emesa – weit abseits jeglicher von<br />

äußeren Feinden bedrohter Grenzen.<br />

2. Legionen wurden im Vorderen Orient gewöhnlich in Städten in strategisch<br />

wichtiger Lage stationiert. Als Beispiele seien hier nur Zeugma und<br />

Samosata genannt, die beiden anderen permanenten früh- und<br />

mittelkaiserzeitlichen Legionsstandorte der Provinz Syria. In beiden Fällen<br />

handelt es sich um bereits bestehende Städte an wichtigen<br />

Euphratübergängen, die direkt an der Grenze zum parthischen<br />

Einflussbereich lagen und zwei Hauptrouten der Seidenstraße kontrollierten.<br />

Die Stadtentwicklung in Raphaneae war nach neuesten Erkenntnissen hingegen<br />

die Folge der Stationierung einer Legion. Die Siedlungsentwicklung folgte hier<br />

einem Schema, das aus den in vorrömischer Zeit nicht urbanisierten Gebieten<br />

Mitteleuropas gut bekannt ist und für das G. Webster den Begriff „fortress into<br />

city“ prägte (G. Webster [Hrsg.], Fortress into City. The Consolidation of<br />

Roman Britain first century AD, London 1988). Angesichts der Lage von<br />

Raphaneae im stark urbanisierten Kerngebiet des hellenistisch-römischen<br />

Syrien ist dies äußerst ungewöhnlich.<br />

Die Erklärungen für beide Punkte sind sehr wahrscheinlich eng miteinander<br />

verbunden und nur vor dem Hintergrund des besonderen politischen<br />

Instrumentariums zu verstehen, mit dem Rom den gesamten Vorderen Orient<br />

während der späten Republik und der frühen Kaiserzeit beherrschte: Im<br />

Gegensatz zu den Nordwestprovinzen kontrollierte die römische Aristokratie<br />

hier eine ganze Region über 100 Jahre lang mit Hilfe zahlreicher Klientelkönige,<br />

deren Loyalität durch die römische Provinz Syria und die Präsenz der dort<br />

stationierten römischen Truppen sichergestellt wurde. Eines dieser<br />

Klientelkönigreiche – jenes von Emesa – lag in einem der Kerngebiete des<br />

römischen Syrien. Zum einen umfasste es eine der landwirtschaftlich reichen,<br />

fruchtbaren Ebenen des Vorderen Orients. Zum anderen kreuzten sich hier<br />

wichtige, überregionale Verkehrswege.<br />

Die Lage von Raphaneae in einem Talkessel bedingt, dass weder<br />

Blickverbindung mit der nahe gelegenen Ebene von Emesa-Homs noch mit den<br />

wichtigen, durch sie verlaufenden Straßenverbindungen besteht. Dies ist<br />

wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass man zu dem traditionell<br />

romfreundlichen Klientelkönigreich von Emesa einen respektvollen Abstand<br />

wahren, gleichzeitig aber nicht darauf verzichten wollte, die Loyalität dieses<br />

wichtigen Verbündeten durch die Stationierung einer Legion sicherzustellen.<br />

Bevor diese wichtige Frage näher betrachtet werden kann, muss allerdings eine<br />

möglichst genaue Datierung der Gründung des Legionslagers Raphaneae<br />

erarbeitet werden.<br />

Mit dem Abzug der Legion im 3. Jahrhundert n. Chr. stellt sich zudem die<br />

Frage, wie der Bereich des Legionslagers nach dem Abzug des Militärs genutzt<br />

wurde und ob symbolträchtige Räume wie beispielsweise das Stabsgebäude<br />

nach ihrer Eingliederung in den urbanistischen Raum eine besondere Stellung<br />

beibehielten. Eine Klärung dieser Fragen, die thematisch dem 4.<br />

Forschungsfeld des Forschungsclusters 3 zuzuordnen sind, wird erst nach<br />

umfangreichen Feldarbeiten möglich sein.<br />

Trotz des Abzugs der Legion und der Zerstörung des Ortes durch die Sasaniden<br />

im 3. Jahrhundert n. Chr. behielt Raphaneae seine Bedeutung als städtisches<br />

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Zentrum mit Bischofssitz in der Spätantike bei. Noch in der Kreuzfahrerzeit<br />

bestand hier eine befestigte Stadtanlage. Aufgrund der – angesichts der neuen<br />

politischen Situation – strategisch wichtigen Lage an der Kreuzung zweier<br />

überregionaler Verkehrswege war sie zusammen mit der auf einem<br />

benachbarten Höhenrücken gelegenen Kreuzritterburg Montferrand heftig<br />

umkämpft.<br />

Alle genannten Fragen sind für das Verständnis der Siedlungsentwicklung von<br />

Raphaneae von zentralem Interesse. Im Rahmen des Forschungsclusters 3 des<br />

DAI kann am Beispiel Raphaneae exemplarisch untersucht werden, welche<br />

Auswirkungen wechselnde politische Räume und Befindlichkeiten auf die<br />

militärischen Dispositionen und die Siedlungsentwicklung vom späten<br />

Hellenismus bis in die Kreuzfahrerzeit hatten und in welchem Maße sich dies<br />

wiederum auf die Bedeutung und die Nutzung des Raumes innerhalb der Stadt<br />

niederschlug.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Markus Gschwind (E-Mail: markus.gschwind@gmx.de)<br />

JANET HABERKORN (Zentrale)<br />

Die hellenistischen Stadtbefestigungen von Pergamon<br />

Als Teil des neuen Forschungsprogramms der Pergamongrabung zum<br />

Städtebau und zum Gesamtorganismus der hellenistischen Stadt befasst sich<br />

das Projekt mit den zwei Mauerringen, durch welche die Stadt in hellenistischer<br />

Zeit neu befestigt bzw. beträchtlich vergrößert worden ist. Sie werden<br />

Philetairos (281-263 v. Chr.), dem Begründer der Attaliden-Dynastie und.<br />

Eumenes II. (197–159 v. Chr.), in dessen Regierungszeit das Herrschaftsgebiet<br />

seine größte Ausdehnung erreichte, zugeschrieben. Stratigrafisch sind sie<br />

bisher jedoch nicht datiert.<br />

Wie schon W. Raeck formuliert hatte, ist die Kenntnis über die Entwicklung der<br />

antiken Wehrarchitektur in den vergangenen Jahrzehnten fortgeschritten,<br />

weshalb sich der bauarchäologische Befund nicht mehr ohne weiteres mit der<br />

Zuweisung zu den beiden genannten Herrschern in Übereinstimmung bringen<br />

lässt. Für die Beurteilung, wann und wie sich Stadträume verändert haben,<br />

spielt die genaue Untersuchung und womöglich Datierung der beiden<br />

Stadtmauern jedoch eine entscheidende Rolle.<br />

Darüber hinaus kann die Untersuchung der Wehranlagen einer Polis zu<br />

verschiedenen Teilbereichen des hellenistischen Stadtorganismus Aussagen<br />

liefern, denn neben strategisch-taktischen Aspekten müssen bei deren<br />

Errichtung auch ökonomische, politische, soziale und ästhetische<br />

Gesichtspunkte eine wichtige Rolle gespielt haben. In erster Linie handelt es<br />

sich jedoch um einen Wehrbau, der die Sicherheit der Bürger und des<br />

Herrschers sicherzustellen hatte. Als öffentliches Bauwerk wurden die<br />

Wehranlagen vom Herrscher und/oder der Polis finanziert und mussten als<br />

Element der antiken Stadt mit deren Infrastruktur abgestimmt werden (z. B.<br />

Wasserver- und Entsorgung). Wie jedes andere städtische Bauwerk dienten die<br />

Befestigungen zudem der Repräsentation und Darstellung von Potenz und<br />

Größe der Polis und ihrer Herrscher, denn für den Ankommenden muss das<br />

Bild der Stadt schon von weitem maßgeblich von deren Befestigung bestimmt<br />

gewesen sein.<br />

Ein wichtiger Arbeitsschritt ist es daher, die bisherigen punktuellen<br />

Forschungen zusammenzuführen und zu verdichten, um damit ein<br />

Stand: 11/2007 57


vollständigeres Bild von den hellenistischen Befestigungen zeichnen zu können,<br />

als das bisher möglich war.<br />

Befestigungen bilden die baulichen Grenzen zwischen unterschiedlichen<br />

politischen Räumen. In Pergamon handelt es sich bei diesen Räumen um die<br />

Basileia, den Sitz des Königs, um die Wohnstadt, deren räumliche Entwicklung<br />

in hellenistischer Zeit in zwei Ausbauphasen stattgefunden hatte, sowie die<br />

Chora und das Umland der Stadt, die durch den Burgberg mit seinen<br />

Befestigungen visuell dominiert wurden.<br />

Akropolis – Wohnstadt: Das in der Hellenismusforschung derzeit viel diskutierte<br />

Verhältnis von Herrscher und Polis kulminiert in Pergamon im Hinblick auf die<br />

Befestigungen in der Frage nach Art und Grad der Abgeschlossenheit der<br />

Basileia gegenüber der Wohnstadt, das am Befund nicht ohne weiteres<br />

ablesbar ist und detailliert neu untersucht werden soll.<br />

„Altstadt“ – „Neustadt“: Stadträumlich von Bedeutung ist die Form des<br />

Umgangs mit der „Philetairischen Stadtmauer“ nach dem Bau der neuen und<br />

größeren „Eumenischen“ Ummauerung. Wie andernorts durchaus üblich, wurde<br />

sie nämlich nicht als Diateichisma weiter genutzt, sondern<br />

höchstwahrscheinlich abgetragen und teilweise sogar überbaut, wie z. B. durch<br />

den Großen Altar und Bau Z. Für die Planung der neuen „Eumenischen“ Stadt<br />

wurde die alte Stadtmauer anscheinend völlig negiert.<br />

Stadt – Umland: Die Befestigung fasst einerseits den Stadtraum – ist zugleich<br />

aber für die landschaftsarchitektonische Gestaltung des Kaikostales, das im<br />

Falle von Pergamon i. A. grob mit deren Chora gleichgesetzt wird, allein wegen<br />

seiner Größe, immens wichtig. Mit Hilfe einer Sichtbarkeitsanalyse soll deshalb<br />

geprüft werden, wie weit die Stadtbefestigung das Umland dominierte.<br />

Funktionen der Grenze: Aus dem interdisziplinär besetzten Teilnehmerfeld<br />

erhoffe ich mir insbesondere Hinweise auf Fragen, welche an solchen Grenzen<br />

vollzogenen Handlungen betreffen, die über die reine Verteidigungsfunktion<br />

hinausgehen und in friedlichen Zeiten an den Toren stattgefunden haben (Kult,<br />

jegliche Art von Kontrolle, wie z. B. Zoll).<br />

Ansprechpartner:<br />

Dipl.-Ing. Janet Haberkorn (E-Mail:jha@dainst.de)<br />

JOACHIM HEIDEN, CORINNA ROHN (Zentrale)<br />

Die antike Siedlungstopographie Triphyliens<br />

Triphylien liegt an der Westküste der Peloponnes und wird von den<br />

Landschaften Elis, Arkadien und Messenien umrahmt. Mehrere Poleis und<br />

Heiligtümer unterschiedlicher Größe und Bedeutung sind von der antiken<br />

Siedlungsstruktur erhalten und bieten eine gute Grundlage, Fragen zur<br />

Siedlungsdichte sowie zur Form und Ausstattung der Städte zu untersuchen. In<br />

der antiken Literatur über Triphylien ist im 4. und 3. Jh. v. Chr. ein<br />

entscheidender Wandel von abhängigen Perioikenstädten hin zu selbständigen<br />

Poleis zu belegen, der sich in einem neuen Selbstbewusstsein der Bürger und<br />

im Ausbau der Städte widerzuspiegeln scheint. Mit archäologischen und<br />

bauhistorischen Methoden soll diese Veränderung nachgewiesen und deren<br />

raumbildende Konsequenzen innerhalb der Städte und des Städtebundes<br />

diskutiert werden. Das Projekt zur antiken Siedlungstopographie Triphyliens ist<br />

mit diesem Ansatz im Schwerpunktprogramm der DFG zur Erforschung der<br />

hellenistischen Polis als Lebensform vertreten. Das Schwerpunktprogramm hat<br />

sich zum Ziel gesteckt, die Polisentwicklung im Hellenismus nicht wie bisher als<br />

Niedergang, sondern als Neubeginn zu verstehen. Schon etwas früher als im<br />

Stand: 11/2007 58


eginnenden Hellenismus, nämlich unmittelbar nach dem elisch-spartanischen<br />

Krieg (402-400 v. Chr.), sind in Triphylien politische Veränderungen<br />

nachzuweisen, die die im Cluster 3 formulierten Themen zu territorialen<br />

Grenzen, Hierarchien und zur Identitätsfindung hervorragend treffen.<br />

Nachdem die triphylischen Städte mehr als ein Jahrhundert in einem<br />

Perioikenverhältnis zur übermächtigen Polis Elis standen, konnten sie nach der<br />

Niederlage von Elis im elisch-spartanischen Krieg diese Abhängigkeit mit Hilfe<br />

der Spartaner abschütteln. Nicht nur ein wirtschaftlicher Aufschwung, der sich<br />

in zahlreichen Um- und Neubauten ausdrückt, war die Folge. Die Städte legten<br />

sich eine neue Identität unter mythistorischen, kulturellen und<br />

architektonischen Aspekten zu, um einem erneuten Anspruch und Zugriff des<br />

allmählich wieder erstarkenden Elis vorzubeugen. Vor 400 v. Chr. waren die<br />

Städte weitgehend voneinander isoliert und von Elis unterjocht. Die<br />

Landschaftsbezeichnung Triphylien gab es nicht. Die Eleer hatten ihr<br />

Herrschaftsgebiet von ihrem Kernland am Peneios aus zunächst auf die Pisatis<br />

mit Olympia, dann über den Alpheios hinaus weiter nach Süden auf die<br />

triphylischen Städte ausgedehnt. Daher zählen in den literarischen Quellen die<br />

Poleis südlich des Alpheios in dieser Zeit zu den von Elis abhängigen Städten,<br />

die elischen Inschriften sprechen von Symmachien. Nach 400 v. Chr. jedoch<br />

schlossen sich die nun unabhängigen Poleis zu einem Bund zusammen und<br />

führten ihre Herkunft auf Triphylos, den Sohn des Arkas und Stammvater der<br />

Arkadier, zurück. Damit wurde die Zugehörigkeit zu Arkadien, dem Nachbarn<br />

im Osten, manifestiert. Arkadien war nach der Niederlage und dem<br />

vollkommenen Machtverlust der Spartaner nach der Schlacht bei Leuktra im<br />

Jahre 371 v. Chr. der einzige militärisch potente Nachbar, der Elis die Stirn<br />

bieten konnte und so den Triphyliern die Unabhängigkeit garantierte.<br />

Als Grenze zu Elis diente der Alpheios, an dessen nördlichem Ufer das von Elis<br />

verwaltete Zeusheiligtum von Olympia lag. Unmittelbar gegenüber von<br />

Olympia wurde bereits in triphylischem Gebiet auf dem höchsten Hügel ein<br />

nach Norden weithin sichtbares Gebäude, vermutlich ein Tempel errichtet, von<br />

dem Überreste während der Kampagne im Sommer 2006 entdeckt wurden.<br />

Dieser Tempel liegt in der Chora der Polis Makistos und sollte von den Eleern<br />

als herrschafts-repräsentierendes Monument des triphylischen Bundes gesehen<br />

und verstanden werden. Gleichzeitig wurden einige Poleis mit Stadtmauern<br />

umgeben, deren Dimensionen weit über den eigentlichen poliorketischen<br />

Zweck hinausgehen. Mit ihrem stark repräsentativen Charakter sind sie auf<br />

Fernwirkung angelegt und dienen der Demonstration von wirtschaftlicher und<br />

politischer Macht und neuer Identität. Es zeichnet sich ab, dass gerade im<br />

Grenzgebiet zu den umgebenden Landschaften (Platiana und Vrestos) sowie an<br />

wichtigen Verkehrswegen (Lepreon und Samikon) solche auf Repräsentation<br />

angelegten Mauern entstanden.<br />

Die einzelnen Städte weisen große Unterschiede in ihren Strukturen und der<br />

Anordnung der öffentlichen und privaten Bauten auf, was zeigt, dass es sich<br />

um gewachsene Städte mit eigener Geschichte und Identität handelt. Es stellt<br />

sich bei den Untersuchungen die Frage, inwieweit die politischen<br />

Machtverhältnisse des 4. Jh. v. Chr. – nachdem der Städtebund geschlossen<br />

war – zusammen mit der neu geschaffenen intentionalen Mythistorie ihren<br />

sichtbaren Ausdruck im neuen politischen Raum der Triphylier findet. Als<br />

Beispiel sei das Bundesheiligtum der Triphylier genannt. Dieses<br />

Poseidonheiligtum lag nah der Küste bei der Stadt Samikon, wurde aber von<br />

der weit im Osten liegenden Polis Makistos verwaltet.<br />

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Bauforschung,<br />

zusätzlich unterstützt durch geophysikalische Prospektionen, will Fragen zur<br />

Raumgestaltung auf drei Ebenen beantworten, die sich vom Mikrokosmos der<br />

Stand: 11/2007 59


einzelnen Polis bis zur hellenistischen Staatenwelt weiten.<br />

- Wie verändern sich die einzelnen Poleis und ihr Umland?<br />

- Wie wird das Territorium des triphylischen Städtebundes gestaltet und wie<br />

grenzt sich der Bund architektonisch sichtbar gegen die Nachbarstaaten ab?<br />

- Können charakteristische Elemente politischer Raumgestaltung, wie wir sie<br />

aus den bedeutenden Zentren der hellenistischen Welt kennen, in den<br />

kleinen provinziellen Poleis Triphyliens, den Vertretern des „Dritten<br />

Griechenlands“ wiedergefunden werden?<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Joachim Heiden (E-Mail: ah@dainst.de)<br />

Dipl.-Ing. Corinna Rohn (E-Mail: rohn@tu-cottbus.de)<br />

SOPHIE HELAS (Abteilung Rom)<br />

Die Städte Latiums – Stadtbefestigungen und die Organisation<br />

räumlicher Ordnungen vom 8.-3. Jh. v. Chr.<br />

Das Projekt möchte vor dem Hintergrund der Machterweiterung Roms<br />

untersuchen, wie Räume im frühen und republikanischen Latium und im Gebiet<br />

der seit dem 5. Jh. mit Rom verbündeten Herniker als politische<br />

Ausdrucksformen fungierten. Städte setzen sich durch ihre Struktur in ein<br />

Verhältnis zu anderen Städten, z. B. durch ihre Lage und Anbindung, aber auch<br />

durch ihr Erscheinungsbild. Indem sie planerische und konstruktive Vorbilder<br />

nachahmen oder modifizieren, stellen sie Bedeutungszusammenhänge her. In<br />

welcher Beziehung stehen diese Strukturen zur juristischen Verfasstheit des<br />

latinischen Städtebundes und zum historischen Verlauf?<br />

Wir setzen an bei den Stadtmauern, denen einerseits eine wichtige Bedeutung<br />

in der Urbanisierung zukommt und die andererseits ästhetische Merkmale<br />

tragen, die als kulturelle Aussagen interpretiert werden sollen. Im Vergleich zu<br />

den Geschichtskonstruktionen der literarischen Überlieferung, die den Beginn<br />

Roms möglichst weit in die mythische Vorzeit zurückversetzen, ist gerade die<br />

symbolische Dimension des Polygonalmauerwerks zu erörtern, das ein hohes<br />

Alter der Stadt in Konkurrenz zu anderen Städten zu suggerieren scheint. In<br />

Jahr 2007 werden wir unsere Foto- und Vermessungskampagnen mit den<br />

Städten Ferentino, Alatri, Arpino und Veroli beginnen.<br />

Die Befestigungsanlagen dürfen zum anderen nicht ohne die innerstädtische<br />

Bebauung betrachtet werden. So haben die Wahl des Geländes und die<br />

Ausrichtung der Stadttore Konsequenzen für die städtische Binnenstruktur. Zu<br />

fragen ist nach stadtplanerischen Konzepten, die in der archäologischen<br />

Überlieferung zum Ausdruck kommen. Die Fragestellung zielt schließlich auf die<br />

Phasen der Stadtwerdung in Latium und zugleich auf die Konstruktionen eines<br />

von urbanen Strukturen geprägten Territoriums.<br />

Als ein Untersuchungsschwerpunkt wurde die in frührepublikanischer Zeit<br />

bedeutende Stadt Gabii im latinischen Kernland ausgewählt. Aufgrund der<br />

günstigen Überlieferungsbedingungen können hier aller Voraussicht nach<br />

Aussagen zur Datierung der Stadtmauer und zur innerstädtischen Bebauung<br />

gewonnen werden. Nach der Bauaufnahme bereits ausgegrabener Mauerzüge,<br />

die nun eine grobe Einteilung in Bauphasen ermöglicht, ist eine neue<br />

geodätische Vermessung des gesamten Stadtareals geplant. Die aus dem Plan<br />

lesbare Geländemorphologie wird deutliche Hinweise auf den Verlauf der<br />

Stadtmauern geben. Angeschlossen werden soll eine geophysikalische<br />

Prospektion (Archäomagnetik), um weitere Aufschlüsse zum antiken Stadtplan<br />

und zur Zonierung des bebauten Areals zu erhalten. Auf dieser Grundlage<br />

Stand: 11/2007 60


können schließlich zielgerichtete Sondagen durchgeführt werden, die den<br />

Ergebnissen der Prospektion gegenüber zu stellen sind.<br />

Um unsere Daten zu verwalten, benutzen wir eine georeferenzierte Datenbank<br />

(GIS) mit verknüpften Bild-, Plan-, Literatur- und Objektdatenbanken.<br />

Kooperationspartner:<br />

Giuseppina Ghini und Sandra Gatti, Soprintendenza per i Beni Archeologici del Lazio.<br />

Stefano Musco, Soprintendenza per i Beni Archeologici di Roma.<br />

Tobias Scheffler, Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Bauwesen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Sophie Helas, Projektleiterin (E-Mail: helas@rom.dainst.org)<br />

Dipl.-Ing. Antje Werner, Bauforschung (E-Mail: arch@antje-werner.de)<br />

Gabriel Zuchtriegel M.A., Datenbanken (E-Mail: gabrielzuchtriegel@yahoo.de)<br />

CLAUS-MICHAEL HÜSSEN (RGK)<br />

Römische Eroberung und Grenzsicherung<br />

Verschiedene Unternehmungen der Forschungsstelle befassen sich mit der<br />

Limesforschung, die heute nicht mehr beschränkt auf die Außengrenzen<br />

gesehen wird, deren sichtbare Manifestation in England und Deutschland als<br />

Weltkulturerbe Limes geschützt ist.<br />

Musterhaft betrachtet wird die Gestaltung des politischen Raums an einzelnen<br />

Grenzabschnitten in verschiedenen Provinzen des römischen Reichs, in<br />

Raetien, Pannonien und Dakien, mit den Aspekten Militär, Wirtschaft und<br />

Kultur. Repräsentiert werden diese Aspekte durch ein weit verzweigtes<br />

Verkehrsnetz zu Wasser und zu Lande, durch die Truppenlager und eine<br />

Besiedlung des ländlichen Raums mit regionalen Zentren und stark<br />

differenzierten landwirtschaftlichen Betrieben (villae rusticae). Hierdurch<br />

symbolisieren sich politisch-wirtschaftliche Macht und soziale Hierarchien.<br />

Zwei Vorhaben befassen sich mit dem Wirken der römischen Grenzen auf die<br />

Völker des Barbaricums. Mit dem interdisziplinären Forschungsprojekt „A<br />

sustainable frontier? The establishment of the Roman frontier in the Rhine<br />

delta“ in Niedergermanien findet ein Austausch statt.<br />

Die militärische Sicherung der Donaugrenze zwischen Burgheim und Eining im<br />

1. Jh. n. Chr.<br />

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den Militärplätzen des 1. Jh. n.<br />

Chr. von der Provinzwerdung bis zur Gründung der ersten Kastelle im<br />

unmittelbaren Vorfeld der Donau. An diesem rund 60 km langen Flussabschnitt<br />

liegen sechs reguläre Kastelle und über 20 temporäre Truppenlager,<br />

Kleinkastelle, spätantike Kastelle und Burgi. Diese Militärpräsenz zu<br />

verschiedenen Zeiten ist bedingt durch die besondere geographische Situation<br />

an diesem Stromabschnitt am Schnittpunkt zweier europäischer<br />

Hauptverkehrsachsen: der Donau und einer seit vorgeschichtlicher Zeit<br />

genutzten Nord-Süd-Verbindung zu Lande.<br />

Römische Grenzsperren und temporäre Truppenlager<br />

Mit dem Breitung-Kastell am raetischen Limes wird demnächst das erste<br />

vollständig untersuchte semipermanente Lager publiziert. Es handelt sich um<br />

den Prototyp eines Kastells, das für kurze Zeit und für eine ganz spezielle<br />

Aufgabe errichtet wurde, wahrscheinlich in der letzten Ausbauphase des<br />

obergermanisch-raetischen Limes um 160 n. Chr.<br />

Stand: 11/2007 61


Eine ganze Reihe unbekannter römischer Feldlager aus der Zeit der<br />

Markomannenkriege wurden in der Südwestslowakei bei systematischen<br />

Befliegungen nördlich der Donau entdeckt und durch Ausgrabungen,<br />

Sondierungen, topographische Aufnahmen sowie geophysikalische Messungen<br />

erforscht. Diese Marschlager stehen beispielhaft für das zeitweise Ausgreifen<br />

römischer Macht über die definierte Grenze hinaus ins Barbaricum.<br />

Auch im Vorfeld des Limes Porolissensis (NW-Rumänien) wurde nach Spuren<br />

römischer Militärpräsenz gesucht. Weitere Untersuchungen in Marschlagern in<br />

dieser Region sind geplant.<br />

Im Projekt Keltische Traditionen im römischen Süddeutschland werden<br />

ländliche Siedlungsplätze der frühen und mittleren römischen Kaiserzeit an der<br />

Donau untersucht. Die früheste römische Besiedlung ab der Mitte des 1. Jh. n.<br />

Chr. ist durch bescheidene Gehöfte in Pfostenbauweise gekennzeichnet, die<br />

deutlich keltische Bautraditionen erkennen lassen. Die Frage nach der Herkunft<br />

dieser Siedler bzw. einer Siedlungskontinuität sind Kernanliegen dieses<br />

Vorhabens.<br />

Römische Siedlungs- und Wirtschaftstrukturen im ländlichen Raum an Donau<br />

und Limes<br />

Der gute Forschungsstand zur Villenbesiedlung im Gebiet zwischen Donau und<br />

Limes in Raetien erlaubt für diese Region weitergehende Fragen zur Rezeption<br />

von Räumen, zur Siedlungsentwicklung, ihrer Differenzierung sowie zur<br />

Nutzung von Ressourcen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Claus-Michael Hüssen (E-Mail: huessen@rgk.dainst.de)<br />

PHILINE KALB (RGK)<br />

Vale de Rodrigo (Co. Évora, Portugal)<br />

Das als „Megalithgebiet von Vale de Rodrigo“ bezeichnete Arbeitsgebiet des<br />

Projektes umfasst eine Fläche von ca. 240 km 2 . Im Zentrum liegen vier sog.<br />

„große“ Megalithgräber, Vale de Rodrigo 1 bis 4; unter zweien von ihnen sind<br />

ältere Siedlungsspuren nachgewiesen. Die Grabkammern sind aus<br />

tonnenschweren Blöcken und Platten verschiedener Granitgesteine errichtet,<br />

die am Ort fremd sind. Nach der Mindestentfernung von deren natürlichen<br />

Vorkommen, die in allen vier Himmelsrichtungen liegen, ist das Gebiet als<br />

„Raum“ definiert.<br />

Es entspricht einer geographischen Einheit, dem Einzugsgebiet am Oberlauf<br />

der Ribeira de Alcáçovas, einem Nebenfluss des Rio Sado, der in etwa 80 km<br />

Luftlinie entfernt bei Setúbal in den Atlantik mündet. Innerhalb des Gebietes<br />

sind insgesamt etwa 50 Megalithgräber verschiedener Größe und Typologie<br />

bekannt. Nach Norden und Osten wird das Gebiet durch Höhenzüge begrenzt,<br />

die – mit Ausnahme der Anta de Almendres – keine Megalithgräber, wohl aber<br />

Menhire und Steinkreise aufweisen. Diese scheinen u. a. auch Grenzfunktion zu<br />

haben, da sich sowohl im Osten, als auch im Norden, hinter der megalithfreien<br />

Zone wieder Megalithgebiete erstrecken. Megalithfreie Zonen, allerdings ohne<br />

Nachweis von Menhiren, begrenzen auch im Westen und Süden das Gebiet.<br />

Unsere Interpretation, dass die Auswahl der Gesteine für die Gräber von Vale<br />

de Rodrigon u. a. einen territorialen Machtbereich, d. h. einen politischen Raum<br />

abstecken, könnte und soll durch die Ausweitung der geologischen<br />

Untersuchungen auf die angrenzenden Gebiete untermauert werden, um zu<br />

Stand: 11/2007 62


überprüfen, ob dort ähnliche Verhältnisse zu beobachten sind.<br />

Dass Menhire eine Grenzlinie markieren können, ist im nördlichen Alentejo, im<br />

Megalithgebiet von Castelo de Vide, nachgewiesen. Dort stehen sie auf der<br />

Grenze zwischen Granit und Schieferuntergrund, und zwar jeweils auf Sicht,<br />

und trennen offensichtlich zwei Megalithgrabgruppen, die sich in der<br />

Grabtypologie und in ihren Wirtschaftsweisen voneinander unterscheiden.<br />

Das Megalithgebiet auf der Serra de Aboboreira in Nordportugal ist auf allen<br />

Seiten durch tief ins Relief eingeschnittene Flussläufe abgegrenzt. Auffallend<br />

ist, dass die Zahl der Megalithgräber (knapp 50) und die eingenommene Fläche<br />

von knapp ca. 240 km 2 , den Verhältnissen in Vale de Rodrigo auffallend<br />

gleicht.<br />

Die Fragen nach möglicher regelhafter Größe von derartig geschlossenen<br />

Megalithgebieten und deren möglicher Definition als politischem Raum und von<br />

Beziehungen zwischen benachbarten „Räumen“ im Neolithikum sind Fragen des<br />

Projektes, die zum Cluster 3 Bezug haben. Vor allem von der Diskussion mit<br />

Geographen und Historikern (Wirtschaftlichkeit eines solchen Gebietes,<br />

Grenzziehungen) und mit Kunsthistorikern und Klassischen Archäologen<br />

(Beschaffung von Baumaterial für Monumentalbauten und der geistige und<br />

politische Hintergrund) versprechen wir uns wichtige Hinweise und<br />

Vergleichsbeispiele.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Philine Kalb (E-Mail: kalb@rgk.dainst.de)<br />

MICHAEL KUNST, NINA LUTZ (Abteilung Madrid)<br />

Sizandro und Alcabrichel: Zwei kupferzeitliche Siedlungskammern im<br />

Vergleich<br />

Einführung<br />

Auf der Iberischen Halbinsel sind aus der Kupferzeit (3. Jt. v. Chr.) zahlreiche<br />

befestigte Siedlungen unterschiedlicher Größe bekannt, die größte, Marroquíes<br />

Bajos bei Jaén (Spanien) umfasst nach heutigem Kenntnisstand einen Raum<br />

von etwa 35 Hektar. Seit 1964 untersucht das DAI Madrid die kupferzeitliche,<br />

befestigte Siedlung von Zambujal (concelho Torres Vedras, Distrikt Lissabon,<br />

Portugal). Die bisher bekannte Fläche dieser Anlage beträgt nur etwa 3,3<br />

Hektar. Sie weist aber im Gegensatz zu allen anderen bekannten Plätzen, auf<br />

denen die Mauern nur bis zu maximal 2 m Höhe erhalten sind, in ihrem<br />

Zentrum Reste von 4 m hohen Mauern auf. In verschiedenen solcher<br />

Befestigungen ist Kupferverarbeitung nachgewiesen, die früheste auf der<br />

Iberischen Halbinsel, so auch in Zambujal. Zur Herkunft des Kupfers in dieser<br />

Siedlung läuft z. Zt. ein DFG-Projekt, das zu Forschungscluster 2 gehört.<br />

Zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich z. Zt. mit Fragen zu den Territorien, die<br />

zu solchen Siedlungen gehörten. Im Süden Spaniens wird sogar darüber<br />

diskutiert, ob man von frühen Staaten sprechen kann. Zu diesen<br />

Fragestellungen kann sicher die Erforschung von Zambujal und seinem Umland<br />

wichtige Erkenntnisse beitragen. Mit der Behandlung solcher Fragen gehört das<br />

Projekt „Sizandro und Alcabrichel“ zum Forschungscluster 3 „Politische<br />

Räume“.<br />

Untersuchungsgebiet<br />

Das Untersuchungsgebiet liegt an der Atlantikküste der portugiesischen<br />

Estremadura ca. 50 km nordwestlich von Lissabon. Zambujal selbst liegt etwa<br />

Stand: 11/2007 63


14 km von der heutigen Atlantikküste entfernt, im Hinterland gibt es mehrere<br />

kleinere gleichzeitige Siedlungen mit Befestigungsbauten.<br />

Im Zentrum der Untersuchungen stehen die beiden parallelen Flusstäler des<br />

Rio Sizandro und des Rio Alcabrichel. Ihr Einzugsgebiet wird im Osten durch<br />

die Serra de Montejunto begrenzt. Das Arbeitsgebiet beschränkt sich damit auf<br />

den Landkreis (concelho) von Torres Vedras. Mit dieser Stadt gibt es schon seit<br />

längerem – nämlich innerhalb des Projektes Zambujal – eine gute<br />

Zusammenarbeit, für die wir sehr dankbar sind. Zambujal liegt an der Ribeira<br />

de Pedrulhos, einem kleinen Nebenfluss des Rio Sizandro.<br />

Ziele und Methoden<br />

Durch das neue Projekt „Sizandro-Alcabrichel“ soll die Funktion dieser<br />

Siedlungen im Kontext der kupferzeitlichen Landschaft untersucht werden. Da<br />

das Gewässernetz auch als ein natürliches Kommunikationsnetz verstanden<br />

werden kann, gehen die Untersuchungen von den Einzugsgebieten der beiden<br />

genannten Flüsse aus.<br />

Mit Hilfe von intensiven Prospektionen, Funddichtekartierungen sowie Analyse<br />

der Funde nach Ähnlichkeiten und Unterschieden soll hierfür das kupferzeitliche<br />

Besiedlungsnetz innerhalb des Arbeitsgebietes erforscht werden. Im<br />

Fordergrund stehen dabei die Fragen nach der Nutzung des Raums und der<br />

Ressourcen sowie der Warenzirkulation. Durch Sondierungsgrabungen auf<br />

ausgesuchten Fundstellen – Siedlungen und Nekropolen – soll die Chronologie<br />

dieser Plätze präzisiert werden. Dafür sind neben stratigraphischen Analysen<br />

auch 14 C-Datenserien vorgesehen.<br />

Ergänzend werden anthropologische Untersuchungen an menschlichen<br />

Skelettresten sowohl aus Nekropolen als auch aus den Siedlungen<br />

durchgeführt. Eine weitere wichtige Stellung nimmt innerhalb des Projektes die<br />

geologisch-geographische Forschung sowie Untersuchungen zur Paläobotanik<br />

und Paläozoologie ein. Dadurch wird versucht, die Veränderungen der Umwelt<br />

im Holozän zu rekonstruieren, um einerseits den anthropogenen Einfluss auf<br />

die Landschaftsentwicklung zu erforschen und andererseits eine bessere<br />

Grundlage für die Behandlung der Frage nach den Ressourcen und möglichen<br />

Territoriumsgrenzen zu schaffen. Dabei spielt die Rekonstruktion der<br />

ehemaligen Vegetation durch Pollenanalyse und Bodenkunde eine wesentliche<br />

Rolle.<br />

Alle Daten zur Lage der Fundplätze zueinander und in Bezug zur<br />

rekonstruierten Landschaft, der Lage von Ressourcen sowie der<br />

archäologischen und archäometrischen Fundanalysen zur Warenzirkulation<br />

gehen in ein Geographisches Informationssystem (GIS) auf Basis des<br />

Programms Manifold ein. Dadurch werden verschiedene Beziehungsmuster<br />

erarbeitet mit dem Ziel, die Besiedlungsdynamik vom Neolithikum bis zur<br />

Bronzezeit aufzuzeigen und Argumente zu finden, um das zu Zambujal<br />

gehörende Territorium einzugrenzen und seine historische Entwicklung, soweit<br />

es die archäologischen Mittel ermöglichen, in groben Zügen nachzuzeichnen.<br />

Die bisher bekannten Siedlungsplätze liegen an den beiden genannten Flüssen<br />

und ihren Nebenflüssen. Die entsprechenden Täler können eventuell als<br />

Siedlungskammern aufgefasst werden. Interessant wäre nun, ob sich aus dem<br />

Vergleich der Landschaftsrekonstruktion mit der Lage der Siedlungs- und<br />

Bestattungsplätze sowie des Fundmaterials mehr Trennendes oder mehr<br />

Verbindendes zwischen beiden Flusseinzugsgebieten nachweisen lässt.<br />

Das Projekt ist also interdisziplinär, aber auch international, denn es wird in<br />

enger Zusammenarbeit mit K. Lillios von der Universität Iowa (U.S.A.) und<br />

ihren Mitarbeitern durchgeführt, die sich in diesem Sommer erstmals mit<br />

Prospektionen und Ausgrabungen beteiligen.<br />

Stand: 11/2007 64


Erste Ergebnisse<br />

In der ersten Projektphase wurde vom 12.11. bis 03.12.2006 eine<br />

Feldkampagne durchgeführt, die sich hauptsächlich der Vorbereitung des<br />

geplanten Projektes widmete. Wichtige Ziele waren die Zusammenstellung des<br />

nötigen Kartenmaterials, die Verfeinerung der koordinatengestützten<br />

Prospektionsmethode, die Schaffung einer Projektdatenbank als Grundlage für<br />

ein geographisches Informationssystem und die Bestandsaufnahme der bisher<br />

bekannten Fundstellen im Arbeitsgebiet.<br />

Im Rahmen der ersten Kampagne konnten bereits wichtige Ergebnisse erzielt<br />

werden. Auf den Begehungsflächen östlich des bislang bekannten<br />

Siedlungsareals von Zambujal wurden verschiedene Fundkonzentrationen<br />

beobachtet. Aufgrund ihrer Fundzusammensetzung lassen sich die Fundplätze<br />

2 und 4 am überzeugendsten als Schlagplätze für die Herstellung von<br />

Silexartefakten deuten. Damit versprechen sie Einblicke in die Frage nach<br />

unterschiedlichen Aktivitätszonen im Umfeld der Siedlung. Die Fundplätze 1<br />

und 3 können möglicherweise als kleinere Siedlungskerne im Umfeld der<br />

Siedlung von Zambujal gedeutet werden oder das ganze Gebiet gehörte zu<br />

einer riesigen, etwa 20 Hektar großen Anlage; andererseits könnten sich dort<br />

auch Nekropolen befinden. Diese Fragen lassen sich erst durch Ausgrabungen<br />

klären. Im Sizandrotal wurde vom 2. bis 28.8. eine Geländekampagne unter<br />

der örtlichen Leitung von. R. Dambeck (Arbeitsgruppe Bodenkunde, <strong>Institut</strong> für<br />

Physische Geographie, Frankfurt a. Main mit drei studentischen Hilfskräften der<br />

Universitäten Frankfurt a. Main und Leipzig) durchgeführt. Sondierbohrungen<br />

im Tal des Rio Sizandro, südlich der Ortschaft Benfica, dienten der Erkundung<br />

des Sedimentaufbaus, um Erkenntnisse zur Landschaftsgeschichte zu<br />

gewinnen. Entlang eines Querprofils in der Sizandro-Aue wurden in Abständen<br />

von 30 m insgesamt 8 Rammkernbohrungen mit einer Gesamtbohrleistung von<br />

160 m durchgeführt und 263 Sedimentproben gewonnen. An einer Lokalität<br />

wurden Ablagerungen mit marinem Fauneninhalt (Schalenbruchstücke fossiler<br />

Muscheln) geborgen, die für die Interpretation der holozänen Talgeschichte von<br />

besonderem Wert sind. Die Bohrungen belegen eine lokal bis zu 24,3 m<br />

mächtige Sedimentverfüllung. Daraus lässt sich ein einfaches Bild der<br />

Talentwicklung seit Beginn des Holozäns vor ca. 11.500 Jahren rekonstruieren.<br />

Folgende Phasen der Landschaftsentwicklung sind grob zu modellieren.<br />

1. Ablagerung von Hochflutsedimenten am Talgrund und anschließende<br />

Bodenentwicklung (altholozäne Landoberfläche)<br />

2. Marine Transgression als Folge des gegen Ende der letzten Kaltzeit<br />

einsetzenden klimatisch bedingten Meeresanstiegs, Ausbildung einer Bucht<br />

(mittleres Holozän)<br />

3. Verlandung der Bucht als Folge des terrestrischen Sedimenteintrags aus<br />

dem Hinterland, verursacht durch Bodenerosion (etwa ab Kupferzeit)<br />

Anhand der Geländebefunde sind die bisherigen Annahmen zur Ausdehnung<br />

der im Sizandro-Tal entwickelten ehemaligen Meeresbucht zu präzisieren. Das<br />

Gewässer dürfte schmaler als bislang angenommen (Hoffmann 1988) gewesen<br />

sein, könnte aber eine etwas größere Wassertiefe aufgewiesen haben.<br />

Für das Jahr 2007 sind archäologische und bodenkundliche Prospektionen, vor<br />

allem auch im Alcabricheltal geplant, sowie Ausgrabungen unserer<br />

amerikanischen Partner von der Universität Iowa an einer Hypogäen-Nekropole<br />

bei Bolores im Sizandrotal.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Michael Kunst (E-Mail: kunst@madrid.dainst.org)<br />

Nina Lutz M.A. (E-Mail: lutz@madrid.dainst.org)<br />

Dr. Rainer Dambeck (E-Mail: dambeck@em.uni-frankfurt.de<br />

Stand: 11/2007 65


ASTRID LINDENLAUF (Abteilung Athen)<br />

Befestigungsanlagen Athens im Spiegel der Stadtentwicklung<br />

Diese Studie beschäftigt sich mit den bisher wenig erforschten Verteidigungsund<br />

Befestigungsanlagen des Stadtstaates Athen in der Antike: den<br />

Stadtmauern und Befestigungen, die das Stadtgebiet spätestens seit 479 v.<br />

Chr. klar markierten, begrenzten und gegen Eindringlinge schützten. Ziel des<br />

Projektes ist es, erstmalig eine umfassende und dem neuesten<br />

Forschungsstand entsprechende topographische Dokumentation der antiken<br />

Befestigungsanlagen Athens von der geometrischen bis zur spätantiken Zeit zu<br />

erstellen und deren Bedeutung für die Geschichte der Stadt zu analysieren. Die<br />

Arbeit wird neben der Aufarbeitung und neuen Analyse bekannten Materials die<br />

Ergebnisse neuer Ausgrabungen berücksichtigen, sowie Reiseberichte von<br />

Griechenlandreisenden des 18. und 19. Jahrhunderts, die bisher unzureichend<br />

auf ihre Aussagekraft hinsichtlich des athenischen Befestigungssystems hin<br />

untersucht worden sind.<br />

Der Forschungsschwerpunkt liegt auf dem ersten Befestigungssystem, der sog.<br />

Themistokleischen Stadtmauer, dem ersten archäologisch nachweisbaren<br />

Mauerring der Stadt Athen, der bis auf wenige Änderungen und<br />

Unterbrechungen bis in die Spätantike zu Verteidigungszwecken genutzt<br />

wurde. Dessen Mauerverlauf kann aufgrund der in den zahlreichen<br />

Notgrabungen der letzten Jahrzehnte und in den <strong>Institut</strong>sgrabungen im<br />

Kerameikos gefundenen datierbaren Mauerfunde sowie aufgrund indirekter<br />

Hinweise (wie die Lokalisierung von klassischen Friedhöfen und Straßen)<br />

rekonstruiert werden. Die Lokalisierung von zusätzlichen Toren und die<br />

Erforschung der Einbindung der Tore in das existierende Straßennetz wurden<br />

durch die jüngeren Stadtgrabungen ermöglicht. Die historische Bedeutung des<br />

Themistokleischen Stadtmauerringes ist literarisch belegt. Thukydides<br />

beispielsweise behandelt nicht nur die Errichtung dieser Mauer, sondern auch<br />

deren Bedeutung als historisches Monument der Stadtgeschichte. Deren<br />

Erinnerungscharakter an die Perserkriege und an das Erstarken Athens zu einer<br />

führenden Großmacht ist in den Quellen selbst noch zu einer Zeit bezeugt, in<br />

der große Strecken der Themistokleischen Mauer bereits zerstört waren.<br />

Aufgrund der reichen Quellenlage für Athen können auch andere Aspekte der<br />

Stadtmauer untersucht werden, wie etwa deren repräsentativer Charakter in<br />

der Selbstdarstellung der Stadt und deren Funktion als Grenzmarkierung.<br />

Ein diachronischer Interpretationsansatz ermöglicht Veränderungen im Verlauf<br />

der Verteidigungslinie zu verfolgen und diese sowohl mit veränderten Angriffsund<br />

Verteidigungstechniken zu erklären, als auch mit der urbanistischen<br />

Entwicklung und den veränderten Bedürfnissen des Stadtstaates und seiner<br />

Einwohner. Wird das Konzept der Mauer als Grenze in einem diachronischen<br />

Rahmen angewandt, können Fragen zum antiken Verständnis der Stadt als<br />

Asty und Polis beantwortet werden:<br />

Wann wurde die Stadtmauer als Grenze zwischen urbanen und extra-urbanen<br />

Räumen und Tätigkeiten verstanden?<br />

Wie wirken sich Veränderungen in den Siedlungsstrukturen auf den<br />

Mauerverlauf aus, und welche Auswirkungen hatte die Errichtung des<br />

Diateichismas auf die jenseits der Quermauer liegenden Stadtviertel?<br />

Inwieweit trug die Erfahrung des Peloponnesischen Krieges, in der sich die<br />

Bevölkerung der Polis Athen im Themistokleischen Stadtmauerring<br />

verschanzte, zu einem veränderten Selbstverständnis des Stadtstaates bei,<br />

Stand: 11/2007 66


welches nicht nur die Stadt (asty), sondern auch die zur Stadt gehörende<br />

chora als schützenswerten Raum ansah.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Astrid Lindenlauf (E-Mail: z. Zt. alindenlauf@chs.harvard.edu)<br />

NORBERT NEBES (Orient-Abteilung)<br />

Politische Hegemonie und Handelswege in Südarabien<br />

Die Formation der altsüdarabischen Stadtstaaten im frühen 1. Jt. v. Chr. wird<br />

zum einen durch naturräumliche Gegebenheiten wie das Vorhandensein von<br />

ausreichenden Wasserressourcen, zum anderen durch ihre strategische Lage<br />

an der Weihrauchstraße bestimmt. Zu Beginn des 7. Jh. v. Chr. etablieren sich<br />

die Sabäer als die dominierende Hegemonialmacht in Südwestarabien, was<br />

durch einschlägige epigraphische Zeugnisse dokumentiert wird. Durch weit<br />

reichende Militäraktivitäten, ein ausgewogenes Bündnissystem sowie durch den<br />

käuflichen Erwerb von Städten und ganzen Landschaften sichern sie sich die<br />

Kontrolle der südwestarabischen Route dieses Handelsweges. Aufgrund der in<br />

den epigraphischen Quellen genannten Konfliktparteien und Bündnispartner<br />

kann der Verlauf des Wegenetzes zu dieser Zeit in seinen Grundzügen<br />

rekonstruiert werden.<br />

Der kürzliche Neufund einer Monumentalinschrift aus Sirwah, die ins<br />

ausgehende 8. Jh. v. Chr. zu datieren ist, beleuchtet den Aufstieg Sabas zur<br />

Hegemonialmacht. Die Inschrift gibt zugleich einen Einblick in ein historisches<br />

Szenario, welches sich von jenem einige Jahrzehnte später insofern<br />

grundlegend unterscheidet, als die Sabäer mit anderen Konfliktparteien und<br />

Koalitionen konfrontiert sind. Die Schlussfolgerungen, die sich hieraus ergeben,<br />

legen nahe, dass der Verlauf der Weihrauchstraße zumindest zu dieser Zeit<br />

modifiziert werden muss, und führen letztlich zu der Frage, inwieweit der<br />

Seeweg für die innerarabische Route bereits in dieser frühen Formationsphase<br />

eine Rolle gespielt haben kann.<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Norbert Nebes (E-Mail: gnn@uni-jena.de)<br />

ANDREAS OETTEL (Zentrale)<br />

Die frühbyzantinische Siedlung von Tall Dġērāt-Süd / Nord-Ost-Syrien<br />

Das Forschungsvorhaben ist entstanden aus dem Projekt „Rettungsgrabung<br />

Tall Dġērāt-Süd/Nord-Ost-Syrien“, das – gefördert durch die Fritz Thyssen<br />

Stiftung – in den Jahren 2000 bis 2004 in Kooperation zwischen der Zentrale<br />

des DAI und dem <strong>Institut</strong> für Vorderasiatische Altertumskunde der FU Berlin<br />

(Prof. Dr. Hartmut Kühne) durchgeführt wurde. Die Arbeiten in Syrien konnten<br />

mit einer letzten Aufarbeitungskampagne im Museum von Dēir az-Zōr im Jahre<br />

2004 abgeschlossen werden (siehe Forschungsplan). Die wissenschaftliche<br />

Auswertung erfolgt zur Zeit.<br />

Die Grabung galt einem durch ein Stauseeprojekt akut gefährdeten und<br />

mittlerweile zerstörten Kastell des frühen 4. Jhs. n. Chr. am Fluss Hābūr.<br />

Römische Kastelle waren hier bislang nur aus schriftlichen Quellen bekannt.<br />

Wahrscheinlich handelt es sich um den Standort der „Ala prima nova<br />

Diocletiana, inter Thannurin et Horobam“, der in der Notitia Dignitatum<br />

Stand: 11/2007 67


(Or 35, 31.) erwähnt wird.<br />

Der Nachweis einer repräsentativen Um- und Neubebauung des<br />

Kastellgeländes noch in frühbyzantinischer Zeit war ein überraschendes<br />

Ergebnis. Der bisherige Stand der Auswertung erhärtet die Arbeitsthese, dass<br />

in Tall Dġērāt-Süd aus dem spätrömischen Kastell ein frühchristliches Kloster<br />

mit Kirche zu einer Zeit entstand, als die Grenzverteidigung in dieser Region<br />

des frühbyzantinischen Reiches in den Händen der Ġassaniden, eines<br />

christlichen Araberstammes, lag. Die symbolische Bedeutung der christlichen<br />

Anlage in dem nun zur Siedlung geöffneten Kastellgelände dürfte sowohl im<br />

intramuralen wie extramuralen Raum enorm gewesen sein. Der befestigte Ort<br />

als Ganzes blieb davon unabhängig sicher weiterhin ein wichtiger Faktor der<br />

Grenzsicherung: möglicherweise ein Beispiel für die Transformation politischen<br />

Raumes bei konstanter Funktion.<br />

Die Umgebung von Tall Dġērāt-Süd bietet sich daher in besonderer Weise zur<br />

Untersuchung von Strategien räumlicher Organisation an, zudem wurde sie<br />

bereits im Zusammenhang mit dem Tal des unteren Hābūr unter<br />

naturräumlichen Aspekten untersucht. Vor allem haben Surveys eine gute<br />

Materialgrundlage geschaffen, um die Siedlungsverteilung in dieser Periode<br />

genauer betrachten zu können. Die Voraussetzungen für die Erforschung der<br />

Transformationsprozesse dieses spätantiken Grenzpostens im Vorfeld der<br />

islamischen Eroberung sind im Hinblick auf die Phänomene<br />

„Ressourcennutzung“ und „Grenzen“ daher sehr gut.<br />

Die methodische Diskussion von „Strategien räumlicher Organisation beim<br />

Zugriff auf Ressourcen“ unter besonderer Berücksichtigung der Grenzsituation,<br />

insbesondere aber auch der symbolischen Bedeutung von weithin sichtbarer<br />

Architektur verspricht für die Interpretation der Befunde wertvolle Anregungen.<br />

Damit scheint Tall Dġērāt-Süd sehr gut geeignet, einen Beitrag zum<br />

erweiterten Verständnis des Begriffs „politischer Raum“ zu leisten.<br />

Kooperationspartner:<br />

<strong>Institut</strong> für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität Berlin (Prof. Dr.<br />

Hartmut Kühne)<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Andreas Oettel (E-Mail: ao@dainst.de)<br />

ANDREAS OETTEL (Zentrale)<br />

Lissos: Stadtmauern und Umland<br />

Die Stadtmauer von Lissos war ein konstituierendes Element bei der<br />

Ausprägung sowohl des intramuralen als auch des extramuralen Raumes dieser<br />

Polis in Illyrien. Denn in der nordwestalbanischen Küstenebene war sie weithin<br />

sichtbar und unterstrich damit auch symbolisch die Bedeutung der Stadt,<br />

welche wohl vornehmlich durch die Kontrolle der Hauptverbindungsstraße<br />

entlang der Küste sowie der Straße nach Kosovo und durch die beiden Häfen<br />

begründet war.<br />

Die Stadtmauer von Lissos stellt einen wichtigen Schwerpunkt des deutschalbanischen<br />

Projekts „Lissos. Urbanistik und sozio-ökonomische Strukturen<br />

einer hellenistischen Polis in Illyrien“ dar (siehe 3. Forschungsfeld: Urbane<br />

Räume), das von der DFG im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1209 („Die<br />

hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche<br />

Identität zwischen Tradition und Wandel“) gefördert wird. Einer detaillierten<br />

Baubeschreibung sollen in der nächsten Kampagne mehrere Sondagen folgen,<br />

Stand: 11/2007 68


um die Bauphasen chronologisch einordnen zu können. Insbesondere stellt sich<br />

die Frage, ob das die Oberstadt gliedernde Diateichisma erst in die späte<br />

caesarische Erneuerungsphase gehört. Von einer Mitarbeit in diesem<br />

Forschungsfeld sind durch den Austausch mit den anderen Stadtmauer-<br />

Projekten wichtige Impulse für die Arbeiten in Lissos zu erwarten.<br />

Die Frage, welche Bedeutung die Stadtmauer von Lissos für den extramuralen<br />

Raum besaß, versucht ein Survey zu antworten, der die bislang weitgehend<br />

unbekannten Orte und Festungen im Umland systematisch erfasst. Die relativ<br />

kleine nordalbanische Küstenebene zwischen der Maat-Mündung im Süden und<br />

der montenegrinischen Grenze im Norden, die von der Adria im Westen und<br />

hohen Bergen im Osten eingeschlossen und gleichzeitig von mehreren<br />

Hügelrücken durchzogen wird, bietet sich in besonderer Weise für eine<br />

exemplarische multidisziplinäre Untersuchung eines Siedlungsraumes an.<br />

Um die naturräumlichen Bedingungen des Umlands von Lissos besser kennen<br />

zu lernen, wurden 2006 durch das Geographische <strong>Institut</strong> der Universität<br />

Marburg (Prof. Dr. Helmut Brückner) Bohrungen im Küstenbereich der<br />

modernen Stadt Lezha durchgeführt, die bereits erste wichtige Ergebnisse zum<br />

Verlauf der antiken Küstenlinie, des Flusses Drin und vor allem zur Lage des<br />

vermuteten Seehafens in der Antike erbrachten. Sie sollen 2007 im Rahmen<br />

eines eigenen Projekts fortgeführt werden.<br />

Die gerade erst begonnenen mulitdisziplinären Forschungen lassen wichtige<br />

Erkenntnisse zur Organisation des extramuralen Raums der Polis Lissos<br />

erwarten.<br />

Kooperationspartner:<br />

<strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> der Akademie der Wissenschaften Albaniens, Tirana<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Andreas Oettel (E-Mail: ao@dainst.de)<br />

Dipl.-Ing. Hans-Christof Haas (E-Mail: hans-christof_haas@gmx.de)<br />

Prof. as. Dr. Gëzim Hoxha (E-Mail: ghoxha@albmail.com)<br />

DIETRICH RAUE, STEPHAN SEIDLMAYER, PHILIPP SPEISER (Abteilung Kairo)<br />

Der Erste Katarakt<br />

Wenige Gebiete in der antiken Welt können einerseits über annähernd 5000<br />

Jahre hinweg eine derartige Denkmälerdichte wie der Erste Katarakt<br />

aufweisen, und sind andererseits seit den Anfängen der Archäologie im<br />

Blickpunkt der Altertumswissenschaften. Hierfür sind vor allem die<br />

topographischen Grundgegebenheiten verantwortlich: Hier endet der auf<br />

Landwirtschaft basierende Wirtschaftsraum des zentralistischen Flächenstaates<br />

Ägypten und geht, gerahmt von eng angrenzenden Wüstengebieten, über in<br />

den eher eine seminomadische Lebensweise fördernden, von Felsformationen<br />

bestimmten Raum der nubischen Kataraktfolge. Letztere ist gleichzeitig die<br />

Brücke zum Handel mit Gütern aus Schwarzafrika. Die Folge hiervon ist ein gut<br />

fünf Jahrtausende währendes Nebeneinander der nubischen und ägyptischen<br />

Kultur, staatliche Repräsentation vs. lokal-ethnische Realitäten, ägyptische<br />

Staatsinteressenssphären vs. externe Okkupationsinteressen (Perser, etc.) vs.<br />

Ansätze zur Staatsbildung in den nubischen Kulturen.<br />

Das DAI ist in diesem Raum mit zwei Projekten vertreten und kooperiert eng<br />

mit einem dritten Feldprojekt: Die ZD-Unternehmung Elephantine befasst sich<br />

seit 1969 mit dem urbanen Zentrum der Region, der Inselsiedlung Elephantine.<br />

Hier steht mittlerweile eine Fülle von Informationen zur Geschichte dieses 4500<br />

Stand: 11/2007 69


Jahre lang besiedelten Grenzortes und Stapelplatzes zur Verfügung. Seit 2005<br />

wird der Zeitraum des frühen islamischen Mittelalters, der auf der Insel<br />

lediglich schlecht erhalten ist, in der Nekropole der fatimidischen und<br />

ayyubidischen Zeit in der gegenüberliegenden Stadt Assuan untersucht.<br />

Außerhalb von Kairo steht in Ägypten kein Befund zur Verfügung, in dem die<br />

soziale Stratigraphie einer islamischen Gesellschaft dieser Zeit mit hunderten<br />

von Grabbauten archäologisch noch derart gut erhalten auf einer Fläche von 30<br />

ha zu beobachten ist. Aus den Untersuchungen auf der Insel Elephantine ging<br />

als weiteres Projekt ein nunmehr von der DFG gefördertes Unternehmen der<br />

FU Berlin hervor, das sich mit den Felsinschriften der Region beschäftigt.<br />

Hiermit liegt ein einmaliges Corpus von mehr als 1000 Texten vor, die sowohl<br />

das externe Interesse wie auch die lokalen Verhältnisse beleuchten.<br />

Die Konstanten, die internen Befundbezüge und die Variablen dieses Raumes<br />

herauszuarbeiten ist das Ziel der Beteiligung am Cluster 3. Hierfür sind im<br />

kommenden Jahr zwei Schritte vorgesehen: Im September 2007 ist ein<br />

Internationaler Workshop zum Thema „The First Cataract: one region - various<br />

perspectives“ in Vorbereitung. Das Treffen soll eine Materialbasis schaffen, mit<br />

der dieser Raum exemplarisch soziale, ökonomische und politische<br />

Entwicklungen über einen Zeitraum von 4800 Jahren einbringen kann. Hierfür<br />

werden neben den Projekten deutscher Universitäten auch die Kollegen aus der<br />

Schweiz und aus Österreich, aus England, Frankreich und Ägypten<br />

hinzugeladen, um einen möglichst vollständigen Überblick zu gewinnen. Im<br />

Anschluss an das Treffen ist eine Veröffentlichung der Referate in Gestalt einer<br />

Internet-Publikation vorgesehen.<br />

Im Rahmen der Untersuchungen zur Insel Elephantine wird ein<br />

geomorphologischer Survey beginnen. Auf der Insel und im Vorfeld des<br />

Westufers werden sukzessive mittels Bohrungen die Frage nach Anzahl und<br />

Größe weiterer Siedlungsplätze geklärt werden, um schließlich die Stellung der<br />

Inselsiedlung auch mit externen Befunden absichern zu können und Klarheit in<br />

die urbanistische Struktur des Raumes zu bringen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Dietrich Raue (E-Mail: raue@soficom.com.eg)<br />

Prof. Dr. Stephan J. Seidlmayer (E-Mail: seidlmay@zedat.fu-berlin.de)<br />

Dr. Philipp Speiser (E-Mail: speiser@baugeschichte.a.tu-berlin.de)<br />

UDO SCHLOTZHAUER (Eurasien-Abteilung)<br />

Kepoi: Survey- und Grabungsprojekt<br />

Das Gemeinschaftsprojekt der Eurasien-Abteilung, des Staatlichen Historischen<br />

Museums Moskau und der Russischen Akademie der Wissenschaften an der<br />

Nordwestspitze der Taman-Halbinsel in Südrussland startete im Juli 2006. Die<br />

bisherige Erforschung der milesischen Kolonie Kepoi und ihres Hinterlandes<br />

wurde in den späten 50er bis frühen 70er Jahren von N. I. Sokolskij und N. P.<br />

Sorokina sowie in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von V. D.<br />

Kuznetsov geleistet. Das Hinterland wird seit über dreißig Jahren vor allem in<br />

Form von Luftbildarchäologie und Oberflächenbegehungen durch J. M. Paromov<br />

untersucht.<br />

Der Ansatz, Stadt- und Hinterlanderforschung in einem Vorhaben zu bündeln,<br />

ist für das nördliche Schwarzmeergebiet bisher selten ins Auge gefasst worden.<br />

Daher wird mit dem Projekt – bezogen auf die Region – bereits Neuland<br />

betreten und es kann darum im Augenblick nur in geringem Umfang auf<br />

konkrete oder theoretische Grundlagen zurückgreifen. Allerdings sind zu dem<br />

Stand: 11/2007 70


zweiten deutsch-russischen Forschungsunternehmen in Taganrog (O. Dally,<br />

DAI Zentrale), vielfältige Verbindungen gegeben.<br />

Der historische Rahmen, die naturräumlichen Bedingungen sowie das vom<br />

Projekt ausgewählte Untersuchungsgebiet stellten für die Fragen nach Raum,<br />

Nutzung von Raum und seine Gestaltung eine Vielzahl von Ansatzpunkten, die<br />

im folgenden thematisch vorgestellt werden.<br />

Grenzen<br />

Die in der Forschung, bes. in der historischen Landeskunde, bedeutende Frage<br />

nach den Grenzen von Poleis ist in den Gebieten des nördlichen<br />

Schwarzmeerraum besonders schwierig zu beantworten. Grenzfragen mit der<br />

Methode des Surveys zu klären, hat in dieser Region bislang kaum Erfolg<br />

gezeitigt. Doch auch dort, wo detaillierte Studien vorliegen, wie in Olbia oder<br />

Chersonesos, konnten Grenzen bisher lediglich durch befestigte Siedlungen<br />

nachgewiesen werden.<br />

Auf der Taman-Halbinsel zeichnet sich allerdings eine besondere Situation ab,<br />

da zur Zeit der griechischen Kolonisierung, seit dem späten 7. Jh. v.Chr.,<br />

kleine Inseln an der Stelle der heutigen Halbinsel bestanden haben. Die offene<br />

Frage, wie diese gestaltet waren, soll eine geoarchäologische Untersuchung<br />

klären, die in Zusammenarbeit mit dem Projekt in Taganrog begonnen wurde.<br />

Sie soll den Küstenverlauf im Asovschen Meer und am Kimmerischen Bosporus<br />

über die Jahrhunderte klären. Denn es ist zu vermuten, dass die Grenzen der<br />

Kolonie und ihres Hinterlandes durch die Insellage vorgegeben waren. Doch<br />

wie befestigten und erschlossen die Siedler ihre Territorien?<br />

Siedlungen<br />

Neben der literarisch bezeugten Hauptsiedlung, der milesischen Apoikia Kepoi,<br />

konnten bereits weitere, teilweise überraschend stark befestigte Siedlungen<br />

festgestellt werden. Einige liegen an strategischen Positionen, etwa an<br />

Durchfahrten zwischen möglichen Inseln. Eine solche befestigte Siedlung an<br />

einer Meerenge ist im Sommer 2006 anhand geomagnetischer Prospektion und<br />

begrenzter Kontrollgrabungen bekannt geworden. Überraschend ist, dass bei<br />

der Oberflächenbegehung Scherben angetroffen wurden, die bis in die erste<br />

Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. zurückreichen. Damit wären die Siedlungen nach<br />

jetzigem Kenntnisstand nicht wesentlich jünger oder vielleicht etwa zeitgleich<br />

mit Kepoi zu datieren. Offenkundig ist die strategische Bedeutung dieser<br />

befestigten Siedlung. Doch in welchem Verhältnis standen sie sowohl<br />

zueinander als auch zum Hauptort, und gab es weitere Funktionen, die diesen<br />

Siedlungen zuzuordnen sind?<br />

Straßen, Siedlungen und Nekropolen<br />

Eine weitere wichtige Komponente der Erschließung des politischen und<br />

wirtschaftlichen Raums stellt das Straßensystem von Kepoi und seinem<br />

Hinterland dar. Dieses scheint sich in einigen Fällen mit heutigen<br />

Straßenverläufen zu decken, die häufig natürlichen Vorgaben folgen. Die<br />

Luftbildarchäologie hat weitere Straßen sichtbar gemacht. Diese werden<br />

ebenfalls kartiert und sollen durch Grabungen datiert werden. Dabei hat sich<br />

bereits herausgestellt, dass Indikatoren für vermutete Straßenverläufe<br />

flankierende Kurgane sein können, antike Ansiedlungen an Knotenpunkten von<br />

Straßen und Nekropolen an Ausfallstraßen zu vermuten sind. Die Beziehungen<br />

von Straßen, repräsentativen Grabanlagen und Besiedlung sind offenkundig.<br />

Weitere Fragen im Rahmen der Untersuchungen sind noch offen: In welcher<br />

Weise beziehen sich die Straßen auf den Hauptort und wie auf das Umland?<br />

Welche Informationen lassen sich zur Hierarchie von Hauptort und Hinterland,<br />

Stand: 11/2007 71


von Städtern und Siedlern, von Eliten und einfacher Bevölkerung gewinnen?<br />

Heiligtümer<br />

Heiligtümer spielen in der wissenschaftlichen Diskussion zu Räumen, ihrer<br />

Gestaltung und symbolischen Besetzung eine wesentliche Rolle. Doch während<br />

im Mutterland die Fragen der Ortswahl eines Heiligtums mit den Möglichkeiten<br />

von Übernahme älterer Vorgänger (Bronzezeit, oder autochthoner<br />

Bevölkerung), Grenzmarkierungen oder als politischer Treffpunkt diskutiert<br />

werden, scheint sich die Situation im nördlichen Schwarzmeerraum teilweise<br />

anders darzustellen. Da keine starke autochthone Vorbesiedlung angenommen<br />

wird, ist für die Ortswahl von Heiligtümern stärker von symbolischen,<br />

machtpolitischen und propagandistischen Motiven auszugehen, als dies<br />

möglicherweise im Mutterland der Fall war.<br />

Wie die angeführte Auflistung anzeigt, sind die Forschungen zu Kepoi und<br />

ihrem Hinterland in vielfältiger Weise mit den Fragstellungen des Clusters 3<br />

verbunden und werden zu unterschiedlichen Aspekten Ergebnisse beisteuern<br />

können.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Udo Schlotzhauer (E-Mail: us@dainst.de)<br />

PETER IRENÄUS SCHNEIDER (Zentrale)<br />

Die Stadtmauer von Tayma<br />

Nach Vorarbeiten im Jahr 2005 beschäftigt sich das von der<br />

Thyssen-Stiftung unterstützte Projekt „Die Mauern von Tayma“ seit 2006<br />

als Kooperationsprojekt von BTU Cottbus und DAI im Rahmen des<br />

DFG-Projekts Tayma, das an der Orient-Abteilung des DFG angesiedelt ist,<br />

mit den Mauern der Oasenstadt Tayma. Vorrangiges Ziel des Projekts ist es,<br />

mit einem bauforscherischen Ansatz die Mauerverläufe zu klären, die zeitliche<br />

Entwicklung der Maueranlage nachzuvollziehen, Aufbau und konstruktive<br />

Besonderheiten zu erklären und schließlich Hinweise auf die funktionale<br />

Bedeutung der Anlage zu gewinnen.<br />

Die Oasenstadt Tayma liegt im Nordwesten der Arabischen Halbinsel am<br />

Schnittpunkt zweier Handelsstraßen. Archäologisch belegt ist eine Besiedlung<br />

der Oase seit der Späten Bronzezeit. Spätestens zum Ende des zweiten<br />

vorchristlichen Jahrtausends war der Ort auch von einer Stadtmaueranlage<br />

geschützt, die nicht allein den zentralen Siedlungskern im Süden, sondern mit<br />

einer Gesamtlänge von gut 15 km auch die gesamte Oase und mehr noch<br />

einen Teil des nördlich anschließenden Binnengewässers (Sebkha) mit<br />

umfasste. Über weitere Mauerzüge sind zusätzliche Areale angeschlossen. In<br />

Tayma beschränkt sich so die Maueranlage nicht auf die Umwallung des<br />

Siedlungskerns, sie greift vielmehr auf den Maßstab des Umlandes aus.<br />

Mit Blick auf die vorgefundene Situation wird deutlich, wie über eine bislang<br />

ungeklärte militärische Funktion hinaus die Organisation der gesamten Oase<br />

mit ihrem zentralen Siedlungsbereich, den bewirtschafteten Feldern, dem<br />

inzwischen ausgetrockneten See im Norden und dem Palmenwald von dem<br />

Mauersystem strukturiert wird. Militärische Erfordernisse allein können die<br />

Gestalt der Anlage nicht erklären: die Mauerzüge erscheinen viel zu lang für<br />

eine ausreichende Besatzung und zu schwach angesichts ihres konstruktiven<br />

Aufbaus, in dem Hohlräume, Nischen und Schlitze ein häufiges Muster bilden.<br />

Stand: 11/2007 72


Die Bestimmung der unterschiedlichen Funktionen der Maueranlage ist ein<br />

grundlegendes Interesse des Projekts: Eine wesentliche Bedeutung wird die<br />

Kontrolle des Zugangs zum Wasser gespielt haben. Auch die Möglichkeit, sich<br />

von Seiten der Oasenbewohner gegenüber den anlaufenden Karawanen und<br />

gegenüber Fremden abschotten zu können, kann als ein Beweggrund für den<br />

Mauerbau erwogen werden. Die heute bekannten vormodernen Wasserquellen<br />

von Tayma befinden sich innerhalb der Maueranlage. Im Kontext des ariden<br />

Klimas ist neben dem Schutz vor menschlicher Aggression oder der<br />

Zugangskontrolle vor allem aber auch der Schutz vor Wind, Flugsand und<br />

Wasser als lebensnotwendige Anforderung zu berücksichtigen, wenn der<br />

vorislamische Dichter Imru ´l-K.ais schreibt: „Nicht lässt er (der Regensturm)<br />

einen Palmenstamm in Taimā übrig und keine Burg, wenn sie nicht aus Steinen<br />

gebaut ist.“ (zit. nach Fr. Buhl, EI X, S. 674 „TAIMA_´“). Die Maueranlage im<br />

Kontext der Oase erweist sich vor dem Hintergrund einer prekären<br />

Umweltsituation als multifunktionale Membran, gleichsam als Haut, als<br />

lebenswichtiges Organ.<br />

Auf vergleichbare Weise wie die Oase Tayma sind im Nordwesten der<br />

arabischen Halbinsel auch die Oasensiedlungen Khuraybah, das antike Dedan<br />

(heute in der Oase al-Ula gelegen), und Qurayyah (nordwestlich von Tabuk<br />

gelegen) strukturiert: Quraya besitzt ebenfalls ein ähnlich umfassendes und<br />

differenziertes Mauersystem, in Khuraybah ergänzen einzelne<br />

Landschaftsmauern den natürlichen Ring von Bergrücken, die den eigentlichen<br />

Siedlungskern umschließen. Für die gesamten Oase al-Ula, in der weitere<br />

antike Siedlungen inmitten des breiten, felsgesäumten Tals mindestens zu<br />

finden sind, kann der Literatur eine Reihe von Landschaftsmauern entnommen<br />

werden. Die Schutzsysteme dieser beiden Siedlungen sind im Zusammenhang<br />

zu berücksichtigen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Peter I. Schneider (E-Mail: ps@dainst.de)<br />

CHRISTOF SCHULER, ANDREAS VICTOR WALSER (AEK)<br />

Sympolitien und Synoikismen. Gesellschaftliche und urbanistische<br />

Implikationen von Konzentrationsprozessen in hellenistischer Zeit<br />

Die griechische Welt war in klassischer Zeit geprägt von zahllosen Poleis<br />

(Bürgergemeinden, Stadtstaaten), von denen viele nur winzige Territorien<br />

kontrollierten. Diese kleinteilige politische Landschaft veränderte sich seit dem<br />

4. Jh. und besonders im Hellenismus ganz erheblich durch Zusammenschlüsse,<br />

die sich meist als Eingemeindung kleinerer Nachbarn durch bedeutendere<br />

Poleis darstellen (Sympolitien, Synoikismen). In dem seit Juli 2007 im Rahmen<br />

des DFG – Schwerpunktprogrammes 1209: „Die hellenistische Polis als<br />

Lebensform“ laufenden Projekt sollen Sympolitien und Synoikismen als<br />

Indikator oder Katalysator für gesellschaftliche und städtebauliche<br />

Entwicklungen verstanden werden, die charakteristisch für die hellenistische<br />

Zeit sind. Im Mittelpunkt stehen die Interessen der beteiligten Partner: Die<br />

Bündelung von Ressourcen begünstigte die Zentralorte und dämpfte die<br />

urbanistische Entwicklung der peripheren Siedlungen. Deren Bewohner<br />

erhielten aber Zugang zur besser entwickelten Infrastruktur der Zentralorte.<br />

Die stärkeren Partner erzielten territoriale und demographische Gewinne,<br />

mussten jedoch die Exklusivität ihres Bürgerrechts aufheben und ihre<br />

<strong>Institut</strong>ionen für die Integration der kleineren Einheiten öffnen. Deren Bürger<br />

wiederum tauschten ihre Selbständigkeit gegen die erweiterten politischen<br />

Stand: 11/2007 73


Möglichkeiten einer Großpolis; die lokalen Eliten gewannen eine größere Bühne<br />

für ihre politischen Aktivitäten und ihre Selbstdarstellung.<br />

Die in das Zentrum des Forschungsclusters 3 gestellte Frage danach, „wie die<br />

räumliche Gliederung und Gestaltung von Siedlungen oder Territorien zur<br />

Ausprägung politischer Strukturen beigetragen haben“, ist für das Projekt von<br />

evidenter Bedeutung: Bestimmte naturräumliche Gegebenheiten sind für den<br />

politischen Zusammenschluss vormals unabhängiger Gemeinden<br />

selbstverständlich Voraussetzung. Darüber hinaus können Veränderungen in<br />

der geographischen Situation – etwa Verlandungsprozesse – oder die<br />

veränderte Sicht und Bewertung konstanter räumlicher Gegebenheiten – etwa<br />

Küstenlage gegen Binnenlage – Anlass zum politischen Zusammenschluss<br />

geben.<br />

Stärker noch als die kontigente Beeinflussung der politischen Strukturen durch<br />

Raumfaktoren rückt bei der Analyse von Sympolitien und Synoikismen der<br />

umgekehrte Vorgang ins Blickfeld: Durch die Zusammenschlüsse von<br />

Gemeinden, die das Ergebnis von komplexen, in den Einzelfällen höchst<br />

unterschiedlichen politischen Entscheidungsprozessen sind, wird zum einen der<br />

politische Raum durch die Neudefinition oder Aufhebung von Grenzen konkret<br />

neu gegliedert und geordnet. Zum anderen führen die politischen<br />

Transformationen zu Verschiebungen in der Wertigkeit bestimmter Teilräume<br />

in der neuen Gesamtpolis, die nicht ohne Auswirkungen auf deren bauliche und<br />

urbanistische Gestaltung bleiben.<br />

Die im Projekt unternommene Analyse der politischen Konzentrationsprozesse<br />

geht in erster Linie von schriftlichen, insbesondere epigraphischen Quellen aus.<br />

Von der Teilnahme am Forschungscluster werden deshalb vor allem<br />

theoretisch-methodische Impulse erhofft, die für den noch stärkeren Einbezug<br />

der archäologischen Forschung fruchtbar gemacht werden können.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. des. Andreas Victor Walser (E-Mail: walser@aek.dainst.de)<br />

SUSANNE SIEVERS, MICHELE ELLER (RGK)<br />

Das keltische Oppidum von Manching / Bayern<br />

Das keltische Oppidum von Manching (320-50 v. Chr.), seit 1956 von der RGK<br />

meist in Form von Rettungsgrabungen untersucht, umfasst 380 ha. Es war in<br />

seiner Spätphase von einer 7 km langen Stadtmauer umgeben. Manching gilt<br />

mit 25 ha untersuchter Fläche als das am besten erforschte Oppidum<br />

überhaupt, ist Motor der deutschen Oppidaforschung und hat die europäische<br />

Kelten-Forschung ganz wesentlich mitbestimmt. Die verkehrsgünstige Lage der<br />

Siedlung in der Ebene, an der Mündung der Paar in die Donau, prädestinierte<br />

sie in Kombination mit den sie umgebenden Ressourcen (u. a. Eisenerz) für<br />

ihre Rolle als Zentralort, der im Fernhandel ein Scharnier zwischen ost- und<br />

westkeltischem Raum bildete. Dennoch war das Oppidum, nicht nur was die<br />

Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, in hohem Maße von seinem Umland<br />

abhängig.<br />

Die Dimension der Stadtmauer erinnert an hellenistische<br />

Landschaftsfestungen, innerhalb derer auch Ackerbau betrieben wurde. Die<br />

Funktion der Stadtmauer als Territorialgrenze im engsten Sinn ist gleichsam<br />

als Symbol für die (angestrebte) politische Einheit aufzufassen.<br />

Stand: 11/2007 74


Fragestellung<br />

Das Umland des Oppidums ist unter der Fragestellung des politischen Raumes<br />

so gut wie nicht erforscht, weshalb eine Dissertation hierzu in Auftrag gegeben<br />

wurde (M. Eller, RGK Ingolstadt). Das Oppidum von Manching beherrschte<br />

sicherlich das sogenannte Ingolstädter Becken, das von der Donau<br />

durchflossen wird. Welche Rolle das Oppidum jedoch in Bezug auf sein Umland<br />

im Detail spielte, ist weitgehend unklar. In der Dissertation soll<br />

herausgearbeitet werden, ob sich verschiedene Siedlungstypen unterscheiden<br />

lassen und in welcher Beziehung diese zueinander standen. Im Fokus steht<br />

dabei der Einfluss Manchings in seiner 300-jährigen Geschichte auf diese<br />

Siedlungen sowie deren Beziehung zum Oppidum. Nahm Manching von Anfang<br />

an eine zentralörtliche Funktion ein? Wenn ja, welcher Art war diese Funktion<br />

(kultisch, wirtschaftlich, politisch)? In diesem Zusammenhang ist auch die<br />

Frage nach dem Hintergrund der Errichtung einer Stadtmauer zu stellen, ein<br />

Aspekt, der u. a. hinsichtlich eventueller mediterraner Einflüsse im Gefolge des<br />

keltischen Söldnerwesens zu untersuchen sein wird. Diente die Stadtmauer<br />

allein dem Schutz bzw. der Verteidigung? Gegen wen wollten sich die<br />

Bewohner des Oppidums schützen, oder wen „ausgrenzen“? Besteht die<br />

Möglichkeit, dass Manching für sein Umland Refugium war, oder grenzten sich<br />

seine Einwohner gegenüber dem unmittelbaren Umfeld ab? Welchen<br />

Stellenwert hatte der Aspekt der Repräsentation? Hier knüpft das Thema an<br />

das von S. Sievers im Forschungsfeld „urbane Räume“ angesiedelte Projekt zur<br />

Binnenstruktur des Oppidums von Manching an.<br />

Neben der Betrachtung der Grenzen zwischen dem Innern des Oppidums und<br />

seinem Umland müssen selbstverständlich auch naturräumliche Grenzen<br />

beachtet werden. Hierbei wird in erster Linie zu untersuchen sein, inwiefern die<br />

Donau als Grenze oder auch als verbindendes Element diente. Gibt es<br />

Unterschiede zwischen Siedlungen nördlich und südlich der Donau – in ihrem<br />

Verhältnis zu Manching, in ihren Beziehungen untereinander sowie in ihrer<br />

Funktion und Struktur? Leider wird diese Fragestellung durch<br />

forschungsgeschichtliche Gegebenheiten erschwert, da das südliche Umland<br />

nicht so gut erforscht ist wie die nördlichen Areale. Als weitere naturräumliche<br />

Grenzen sind auch die Übergänge vom Ingolstädter Becken zu den<br />

Mittelgebirgszügen zu verstehen, die sich vermutlich ebenfalls archäologisch<br />

fassen lassen.<br />

Methoden<br />

Um die Binnenstrukturen der Siedlung besser erfassen zu können, ist eine<br />

geophysikalische Prospektion der Reste der ungestörten Innenfläche geplant,<br />

die mit den Ergebnissen der Luftbildarchäologie und der bereits vorliegenden<br />

LIDAR-Befliegungen abzugleichen ist. Diese Untersuchungen werden auf das<br />

nähere Umfeld des Oppidums ausgedehnt, um in Erfahrung zu bringen, wie das<br />

Oppidum mit den es umgebenden befestigten Gehöften (Viereckschanzen) und<br />

sonstigen Siedlungsresten verbunden war. Alle Daten sollen in ein GIS-<br />

Programm einfließen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Susanne Sievers (E-Mail: sievers@rgk.dainst.de)<br />

Michèle Eller M.A. (E-Mail: eller@rgk.dainst.de)<br />

Stand: 11/2007 75


3. FORSCHUNGSFELD: URBANE RÄUME<br />

Moderatoren: Heinz-Jürgen Beste, Klaus S. Freyberger<br />

MARTIN BACHMANN, PHILIPP NIEWÖHNER (Abteilung Istanbul)<br />

Topographie und Stadträume in Istanbul. Strukturanalysen zum<br />

byzantinischen und osmanischen Siedlungsgefüge<br />

Zielsetzung<br />

Die Untersuchung der Istanbuler Stadttopographie und ihrer baulichen<br />

Zeugnisse aus verschiedenen Epochen bildete in der Vergangenheit einen<br />

Schwerpunkt der Forschungsarbeit der Abteilung Istanbul. Gerade vor dem<br />

Hintergrund der dramatischen Veränderungen, denen die Metropole in ihrem<br />

Stadtbild und in ihrer historischen Substanz unterworfen ist, gilt es, diesen<br />

Schwerpunkt neu zu beleben. Dabei steht die Frage nach der Genese und der<br />

Entwicklung historischer Stadträume im Mittelpunkt des Interesses. Als<br />

Schmelztiegel unterschiedlicher kultureller Einflüsse bietet Istanbul besonderes<br />

Potenzial für eine kulturvergleichende Analyse urbaner Räume<br />

unterschiedlicher kultureller Prägungen (Spätantike – Byzanz –<br />

westeuropäische Handelskolonien – Islam – Judentum – Moderne). Mit seinen<br />

beiden Schwerpunkten „byzantinische Topographie“ und „Holzhäuser“ deckt<br />

das Projekt zwei Hauptphasen der Stadtgeschichte (Mittelalter und Neuzeit) ab.<br />

Die geplanten Untersuchungen zur byzantinischen Siedlungstopographie<br />

Istanbuls streben zum einen die Analyse und Rekonstruktion größerer Bauten<br />

insbesondere anhand der erhaltenen Bauglieder an, zum anderen die<br />

baubegleitende Dokumentation von Resten byzantinischer und älterer<br />

Bebauung, die in Großbaustellen häufig zutage treten und in das Gefüge des<br />

byzantinischen Konstantinopel eingeordnet werden sollen. Auf diese Weise soll<br />

die rekonstruierte Stadttopographie der byzantinischen Metropole verdichtet<br />

und die vorwiegend punktuell über die Analyse von Einzelmonumenten<br />

gewonnenen Vorstellungen des Stadtgefüges erweitert werden. Die<br />

multidisziplinär angelegten Untersuchungen sollen geodätische, bauhistorische,<br />

byzantinistische und siedlungsarchäologische Forschungsergebnisse zu einem<br />

integrativen Modell führen, das neben den rein architekturbezogenen und<br />

topographischen Daten auch sozialhistorische Aspekte und<br />

siedlungsdynamische Prozesse vereint und so zu einem neuen Verständnis von<br />

den Lebens- und Wohnbedingungen im byzantinischen Konstantinopel führt.<br />

Da diese Vorstellungen bisher in erster Linie auf der Analyse schriftlicher<br />

Quellen und Überlieferungen beruhten, bietet das Forschungsvorhaben die<br />

Chance, sie über die direkte Beschäftigung mit den Zeugnissen der materiellen<br />

Kultur und deren Untersuchung auf Grundlage neuer technischer und<br />

methodischer Ansätze erheblich zu erweitern und zu vertiefen.<br />

Die Untersuchungen zur byzantinischen Siedlungstopographie berühren die<br />

Inhalte des Forschungsclusters 3 „Politische Räume“ im Kern, soll es doch in<br />

erster Linie um die baugeschichtlichen und sozialhistorischen Dimensionen der<br />

Kategorie Raum in dem bisher weitgehend unbekannten Gefüge der<br />

byzantinischen Stadt gehen, zu dessen Klärung die oben geschilderten<br />

Aktivitäten beitragen sollen. Öffentlicher und privater Raum ebenso wie der<br />

zeitgenössische städtebauliche Umgang mit diesen Kategorien, die darin<br />

enthaltenen Manifestationen politischer und vor allem religiöser Macht und die<br />

Betrachterrezeption dieser Strukturen stehen im Vordergrund. So wird die<br />

raumbezogene Untersuchung der materiellen byzantinischen Kultur Istanbuls<br />

im Sinne des Forschungsclusters zu einer neuen Sicht auf diese für die<br />

Stadtgeschichte so bedeutsame Epoche verhelfen.<br />

Stand: 11/2007 76


Ähnliches gilt für den zweiten Schwerpunkt des Projektes, der allerdings<br />

zunächst kleinräumliche Strukturen ins Blickfeld nimmt. Das Osmanische<br />

Holzhaus hat in seinen verschiedenen Ausprägungen städtischen Wohnens bis<br />

in das 19. Jh. hinein räumliche Konzepte und dahinter stehende Lebensweisen<br />

transportiert, deren Elemente bis ins Altertum zurückreichen (Iwan, Hofhaus).<br />

Diese Elemente wurden unter neuzeitlichem europäischem Einfluss zu<br />

einzigartigen Raumschöpfungen fortentwickelt, deren Konzeptionen in der<br />

Architekturgeschichte des Wohnens eine Sonderstellung einnehmen. Im späten<br />

19. Jh. wurden die traditionellen Grundrissanordnungen durch<br />

mitteleuropäische, standardisierte Lösungen verdrängt, doch blieb Holz bis ins<br />

frühe 20. Jh. das bevorzugte Baumaterial des Wohnungsbaus in Istanbul. Erst<br />

danach setzte ein beispielloser Siegeszug des Massivbaus ein, der das noch bis<br />

vor wenigen Jahrzehnten von Holzhäusern dominierte Stadtbild grundlegend<br />

veränderte. So ist die Morphologie der islamischen Stadt fast ebenso wie die<br />

des byzantinischen Konstantinopel in vielen Teilen verloren und die<br />

Großmonumente sind der Folie ihres städtebaulichen Zusammenhangs beraubt.<br />

Ebenso wie die Untersuchungen zur byzantinischen Siedlungstopographie wird<br />

die Beschäftigung mit den Istanbuler Holzhäusern einen wesentlichen Beitrag<br />

zu den Fragestellungen des Forschungsclusters 3 leisten. Erst vor dem<br />

Hintergrund genauerer Kenntnisse der urbanen Strukturen und Proportionen,<br />

der baukonstruktiven und gestalterischen Parameter des islamischen<br />

Stadtgefüges werden die Prozesse bei der Entstehung und Transformation<br />

politischer Räume in Istanbul erkennbar. Als Schnittstellen zwischen<br />

Öffentlichkeit und Privatheit können die Holzhäuser und ihre Einbindung in<br />

größere Siedlungsstrukturen selbst als politische Räume gemäß der Definition<br />

von Forschungscluster 3 gelten, die gesellschaftliche Strukturen widerspiegeln<br />

und durch spezifische räumliche Dispositionen zugleich in ihrem Bestand<br />

sichern.<br />

Im Verein können beide Schwerpunkte des Projektes einen epochen- und<br />

materialübergreifenden Beitrag zur Siedlungsgeschichte und räumlichen<br />

Organisation Istanbuls in zwei wesentlichen Phasen seiner Geschichte leisten.<br />

Arbeitsprogramm 2007<br />

In 2007 sollen im Bereich der Untersuchungen zur byzantinischen<br />

Siedlungstopographie zusammen mit den türkischen Partnern der<br />

Stadtarchäologie Voruntersuchungen vorgenommen werden, die der Klärung<br />

der Arbeitsbereiche und der Koordination der Einzelmaßnahmen dienen. Mit<br />

der Aufnahme byzantinischer Architekturteile von verschwundenen Bauten soll<br />

begonnen werden. Im Rahmen der Untersuchungen an den Holzhäusern soll<br />

ein kleineres Objekt auf Büyük Ada systematisch untersucht und dokumentiert<br />

werden.<br />

Arbeitsprogramm 2008<br />

Für 2008 ist die Beteiligung an einer der großen innerstädtischen<br />

Notgrabungen, die im Zusammenhang mit erheblichen Veränderungen der<br />

Stadtmorphologie – etwa durch den Bau der U-Bahn – immer häufiger werden,<br />

geplant. Gerade die bauhistorischen Belange werden bei diesen Grabungen<br />

häufig vernachlässigt und sollen deshalb in exemplarischer Weise im<br />

Vordergrund stehen. Geodätische Untersuchungen, rechnergestützte<br />

Datenerfassung und Visualisierung werden zu zusätzlicher Kostenbelastung<br />

führen.<br />

Die Untersuchungen zu den Holzhäusern sollen auf ein größeres Objekt und<br />

dessen städtebaulichen Kontext ausgedehnt werden. Auch hierfür werden<br />

größere Kosten entstehen, da geodätische und photogrammetrische<br />

Stand: 11/2007 77


Unterstützung erforderlich ist. Zudem ist auch hier eine rechnergestützte<br />

Visualisierung der Forschungsergebnisse vorgesehen<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr.-Ing. Martin Bachmann (E-Mail: bachmann@istanbul.dainst.org)<br />

Dr. Philipp Niewöhner (E-Mail: niewoehner@istanbul.dainst.org)<br />

HEINZ-JÜRGEN BESTE, THOMAS FRÖHLICH (Abteilung Rom)<br />

Fabrateria Nova (Regione Lazio, Provincia di Frosinone)<br />

Das aufständische Fregellae wurde im Jahre 125 v. Chr. zerstört und in der<br />

Folgezeit nicht mehr besiedelt. Stattdessen erfolgte ein Jahr später die<br />

Gründung der colonia Fabrateria Nova, die nur wenige Kilometer südlich am<br />

Zusammenfluss von Sacco und Liri in der Nähe des modernen Ortes S.<br />

Giovanni Incarico auf einem ebenen Kalksteinplateau etwa 10 m oberhalb des<br />

Flusses liegt.<br />

Soweit es nicht brach liegt, wird das Gelände heute landwirtschaftlich genutzt<br />

und ist von moderner Überbauung weitgehend verschont geblieben. Im<br />

ausgehenden 18. Jh. hat Pasquale Cayro an den damals sichtbaren Ruinen<br />

topographische Untersuchungen angestellt und einige begrenzte Grabungen<br />

durchgeführt. Eine Reihe von Funden sind dabei in seine Sammlung gelangt,<br />

die später allerdings auf verschiedene Museen und private Besitzer<br />

übergegangen ist. Aus dem Jahre 1983 stammt eine erste topographische<br />

Aufnahme des Gebietes, die in erster Linie auf Luftbildfotografien basiert. Die<br />

bislang einzige wissenschaftliche Grabung fand 1985 am Amphitheater statt,<br />

dessen Position und Umfang festgestellt werden konnten, ohne dass der<br />

Versuch unternommen worden wäre, die Baugeschichte der Anlage durch<br />

gezielte Tiefgrabungen zu klären.<br />

Fabrateria Nova bietet sich auf Grund dieser Voraussetzungen geradezu für ein<br />

konzertiertes Projekt an, welches nicht-zerstörende Maßnahmen wie Survey,<br />

Luftbildarchäologie und geophysikalische Prospektion vereint und durch<br />

gezielte Grabungen absichert. Die historischen Eckdaten und die in den letzten<br />

Jahren intensiv betriebenen Studien in den benachbarten Orten Fregellae und<br />

Aquinum legen eine Reihe von Fragestellungen nahe, denen sich das Projekt<br />

anzunähern sucht:<br />

1. Warum wählte man für die colonia von 124 v. Chr. diesen Platz aus? Gab es<br />

eine Vorgängerbebauung, etwa in Form eines Emporiums?<br />

2. Wie stellt sich Fabrateria Nova in urbanistischer Hinsicht dar und inwieweit<br />

lassen sich grundsätzliche Unterschiede im Umgang mit Raum und<br />

Raumaufteilung zum Vorgängerort Fregellae feststellen? Wie erklärt sich<br />

etwa die exzeptionelle Lage des Amphitheaters im Zentrum des<br />

Stadtgebietes.<br />

3. Welche Rolle spielte die Neugründung im Verhältnis zu bestehenden Orten<br />

wie Aquinum und älteren ländlichen Siedlungen? Veränderten sich die<br />

Infrastruktur und die Nutzung der Landschaft durch die Neugründung oder<br />

blieb deren Rolle marginal?<br />

4. Unterscheidet sich das Landschafts- und Siedlungsgefüge der Antike<br />

grundsätzlich von dem der nachfolgenden Epochen oder gibt es eine etwa<br />

durch die landschaftlichen Gegebenheiten (Morphologie, Klima, Vegetation)<br />

bedingte Kontinuität?<br />

5. Welche Bedeutung hatten und haben die antiken Städte und Monumente für<br />

den Umgang mit dem Landschaftsraum in Geschichte und Gegenwart?<br />

Konditionierte ihre Existenz die Landschaftsnutzung etwa im ausgehenden<br />

Stand: 11/2007 78


18. Jh. unter dem Einfluss der Forschungen Cayros? Ist heute die<br />

wissenschaftliche Beschäftigung mit Orten wie Fabrateria Nova ein probates<br />

Mittel zu deren Bewahrung?<br />

Das Projekt ist bereits in seine erste Phase getreten und hat mit neuen,<br />

systematischen Luftbildaufnahmen begonnen, die ebenso wie ein erster Survey<br />

innerhalb und außerhalb des vermutlichen Stadtgebietes von den Kollegen der<br />

Università di Lecce im Sommer und Herbst 2006 realisiert worden sind.<br />

Ergänzend hierzu ist von Seiten der Abteilung Rom des DAI für Januar/Februar<br />

eine erste geophysikalische Projektionskampagne im Stadtgebiet geplant,<br />

welche an den durch die Ergebnisse des Surveys nahe gelegten Stellen<br />

ansetzen soll. Auf den Resultaten dieser Untersuchungen sollen gezielte<br />

Grabungen aufsetzen, die von der Università di Cassino in Zusammenarbeit mit<br />

der Abteilung Rom des DAI geplant sind. Ergänzend hierzu werden Archiv- und<br />

Museumsstudien vorangetrieben, welche unter anderem den heute verstreuten<br />

Denkmälerbestand des Ortes erfassen sollen. Neben der wissenschaftlichen<br />

Auswertung des Bestandes zielt diese Maßnahme auf die Darstellung des<br />

antiken Ortes und seiner Landschaft in einer lokalen Ausstellung ab, die von<br />

den Vertretern der zuständigen Kommune ausdrücklich begrüßt wird. Auf diese<br />

Weise greift der antike Umgang mit dem Raum in die Gegenwart ein.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Heinz-Jürgen Beste (E-Mail: beste@rom.dainst.org)<br />

Dr. Thomas Fröhlich (E-Mail: froehlich@rom.dainst.org)<br />

CLAUDIA BÜHRIG (Orient-Abteilung)<br />

Gadara/Umm Qais (Jordanien): Politiken der Siedlungsentwicklung.<br />

Von der hellenistischen Kuppensiedlung zur byzantinischen<br />

Straßensiedlung<br />

Auf einer Hügelkuppe am Rand einer fruchtbaren, östlich an das Jordantal<br />

angrenzenden Hochebene liegt der hellenistische Siedlungskern (2. Jh. v. Chr.)<br />

der antiken Stadt Gadara. Die topographischen und geomorphologischen<br />

Raumstrukturen ließen eine Ausdehnung der Stadt nur nach Westen zu. Blieb<br />

die hellenistische Siedlung auf den Akropolishügel begrenzt, so bildete in der<br />

römischen Kaiserzeit eine Ost-West-orientierte Verkehrsachse das<br />

städtebauliche Rückgrat der Stadt. Entlang dieser Achse hat sich die Stadt<br />

nach Westen bis in die Plateauebene ausgedehnt.<br />

Seit der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. verfolgte Rom in den<br />

Siedlungsgebieten der östlichen Provinzen eine forcierte Urbanisierungspolitik.<br />

Vielfältige archäologische Spuren in den regionalen Raumstrukturen verweisen<br />

auf den eminenten politischen Stellenwert, den das Imperium Romanum der<br />

Stadtentwicklung in der Provinz zuwies. Auch Gadara gehörte zu den Städten,<br />

die davon profitierten und einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Hiervon<br />

zeugen die verschiedenen öffentlichen Bauten, die entlang der von Kolonnaden<br />

gesäumten Ost-West-Achse aufgereiht sind und diese abschnittsweise betonen.<br />

Die straßenbegleitenden Kolonnaden entstanden abschnittsweise und bildeten<br />

den „Lebensnerv“ der Stadt. Diese für den Osten des Reiches typische<br />

Gestaltung der innerstädtischen Hauptverkehrsachse mit flankierenden<br />

Kolonnadenstraßen – in der Art römischer Foren – und die lineare Anordnung<br />

der öffentlichen Bauten entlang der Achse, die neben ihrer Funktionalität auch<br />

Größe und Reichtum der Stadt zum Ausdruck bringt, bestimmte im 2. und 3.<br />

Jh. n. Chr. das Stadtbild und wirkte auch in byzantinischer Zeit auf die<br />

Stadtentwicklung ein.<br />

Stand: 11/2007 79


Das Forschungsprojekt zielt auf die umfassende Untersuchung der<br />

urbanistischen und kulturhistorischen Siedlungsentwicklung Gadaras von der<br />

hellenistischen bis in die byzantinische Zeit und ihrer räumlichen Einbindung.<br />

Im Zentrum steht dabei die bau- und kulturhistorische sowie städtebaulichkontextuelle<br />

Analyse eines städtebaulichen Ensembles am östlichen<br />

„Stadteingang“ Gadaras im Vergleich mit der Stadtentwicklung im Westen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. des. Ing. Claudia Bührig (E-Mail: clb@orient.dainst.de)<br />

BETTINA FISCHER-GENZ (Orient-Abteilung)<br />

Das Hinterland von Heliopolis-Baalbek / Libanon<br />

Im Rahmen des multidisziplinären Projektes zur Stadtentwicklung in Baalbek<br />

wird seit 2004 ein Survey im Umland durchgeführt, der die diachrone<br />

Erfassung und Untersuchung der ländlichen Siedlungsstruktur und<br />

ökonomischen Nutzung des Umlandes zum Ziel hat. Die außergewöhnlich guten<br />

Erhaltungsbedingungen besonders im Antilibanon bieten die Möglichkeit, die<br />

Siedlungen nicht nur als „Raumhülsen“, sondern mit Blick auf die Nutzung von<br />

Ressourcen und der Auswirkung von politischer Macht zu erforschen.<br />

Die Frage nach den ökonomischen Grundlagen der Stadt Baalbek, dem antiken<br />

Heliopolis, ist in Anbetracht des monumentalen Ausbaus des überregional<br />

bedeutenden Hauptheiligtums sowie öffentlicher und privater Bereiche der<br />

Stadt in der römischen Kaiserzeit zentral für das Verständnis der<br />

Stadtentwicklung. Es zeichnet sich ab, dass seit prähistorischer Zeit die<br />

Siedlung vorrangig abhängig von der Entwicklung und dem Ausbau des<br />

Hauptheiligtums war, und ihre ökonomischen Ressourcen möglicherweise<br />

durch politisch motivierte exogene Finanzierung aufgestockt wurden.<br />

Mit dem Survey-Projekt im Umland wird einerseits untersucht, welche<br />

Siedlungssysteme sowie ökonomischen Landnutzungsstrukturen und<br />

industriellen Einrichtungen durch die Jahrhunderte zu beobachten sind, und<br />

andererseits, in welche regionalen und überregionalen Wege- und<br />

Kommunikationsnetzwerke die Stadt und ihr Umland eingebunden sind.<br />

Ein besonderes Augenmerk richtet sich hier auf die verkehrstechnische<br />

Erschließung vom Umland in die Stadt hinein: welche Art von Straßen führen<br />

letztendlich vom regionalen Wegenetz in die Stadt hinein beziehungsweise<br />

durch sie hindurch, und was für andere Straßen und Zugänge in das Umland<br />

sind aus der Stadt hinaus festzustellen. Das interne Wegenetz wiederum bietet<br />

mit seinen Verkehrsknotenpunkten einen Schlüssel zum Verständnis des<br />

urbanistischen Konzeptes der Stadt. Dies sind komplexe Fragen, bei denen<br />

einen Austausch mit anderen Projekten des Clusters 3 von großem Nutzen sein<br />

wird.<br />

Neben den Fernhandelswegen durch die Beqaa nach Homs, Byblos, Beirut und<br />

Damaskus sind die weniger bekannten Verbindungswege durch den Antilibanon<br />

wieder stärker in unser Blickfeld gerückt. Dabei handelt es sich jedoch auch um<br />

eine Kontaktzone zwischen urbanen und halbsesshaften<br />

Bevölkerungselementen, wobei sich letztere besonders in den Vorgebirgen des<br />

Antilibanon materiell in siedlungsfernen Tumulusbestattungen und<br />

semitroglodyter Wohnbebauung abzuzeichnen scheinen.<br />

Ein neu entdeckter bronze- und eisenzeitlicher Tell von beachtlichen Ausmaßen<br />

scheint durch seine Proximität die eher periphere Stellung des Tell Baalbek im<br />

vergleichsweise gut bekannten geostrukturellen Siedlungsgeflecht der Beqaa-<br />

Ebene zu bestätigen. Überraschend ist hingegen die Entdeckung einer<br />

Stand: 11/2007 80


hellenistischen Siedlung, die aufgrund ihrer Lage und Größe möglicherweise ein<br />

zeitweiliges politisches Gegengewicht zu dem sakralen Aufstieg Baalbeks<br />

gebildet haben könnte.<br />

Die politische und religiöse Bedeutung des urbanen Zentrums ab römischer<br />

Zeit spiegelt sich in der Besiedlungsstruktur des direkten Umlandes wider, vor<br />

allem aber im diachronen Vergleich der materiellen Ausstattung der ländlichen<br />

Siedlungen untereinander sowie mit der Stadt Baalbek. Die Unterschiede in der<br />

Größe und dem architektonischen Ausbau der Siedlungen sowie der Menge von<br />

Importfunden in den Hauptsiedlungsperioden bietet neue Einblicke in die<br />

politische Dynamik und den Wandel in der Abhängigkeit zu dem urbanen<br />

Zentrum.<br />

Von besonderem Interesse für das Forschungsprojekt ist nun, inwieweit die<br />

verstärkte Siedlungsaktivität in der römischen Kaiserzeit auf politische und<br />

sozioökonomische Impulse aus der Stadt Baalbek reagiert, und welche<br />

Entwicklung von dieser Siedlungsstruktur zu der ebenfalls bedeutenden<br />

mamlukischen Periode zu beobachten ist. Während in der Ebene eindeutig der<br />

Getreideanbau den wichtigsten Landwirtschaftssektor darstellt, ist im<br />

Vorgebirge neben Feldbau vor allem eine große Dichte an in den Fels<br />

gehauenen Pressinstallation zu beobachten, die – komplementär zur Ebene –<br />

zusammen mit der Weidehaltung weitere Wirtschaftssektoren abdeckt. Fragen<br />

der Landunterteilung werden im direkten Vergleich zur Ebene und bekannten<br />

Beispielen von Zenturiation untersucht.<br />

Das Projekt hat auch die Erforschung der geomorphologischen Entwicklung des<br />

Naturraumes und den anthropogenen Veränderungen der Landschaft in Bezug<br />

auf Vegetation und vor allem Wassernutzung zum Ziel. Dieser<br />

Forschungsschwerpunkt wird seit Beginn des Projektes durch eine<br />

gleichberechtigte Zusammenarbeit mit einem Geologen verfolgt, und hat die<br />

angewandten Surveymethoden entscheidend mitbestimmt. Die Erkenntnisse<br />

des archäologischen wie geomorphologischen Surveys basieren neben der<br />

Arbeit im Gelände auf Fernerkundung mit Hilfe von hochauflösenden<br />

Satellitenbildern und Luftbildern aus nahezu einem Jahrhundert und werden in<br />

einem auf das Gesamtprojekt ausgerichteten GIS ausgewertet.<br />

Ansprechpartner:<br />

Bettina Fischer-Genz M.A. (E-Mail: bge@orient.dainst.de)<br />

KLAUS S. FREYBERGER (Abteilung Rom)<br />

Funktion und Bedeutung der Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum<br />

in Rom<br />

1. Disposition und Ziel des Forschungsprojektes<br />

Das von der DFG geförderte Forschungsprojekt der Basilica Aemilia dient<br />

primär dem Ziel, die verschiedenen Bauphasen in der Republik, die<br />

Rekonstruktion des augusteischen Neubaus und die verschiedenen<br />

Nutzungsphasen bis in die Spätantike zu gewinnen. Auf der Basis der<br />

Dokumentation von H. Bauer wurden das bestehende Mauerwerk und<br />

zahlreiche Bauglieder neu vermessen, wobei die Bauaufnahme durch eine<br />

Reihe neuer Zeichnungen ergänzt und modifiziert werden konnte. Die in vielen<br />

Punkten gesicherte Rekonstruktion bildet den Ausgangspunkt für die<br />

Funktionsanalyse des Gebäudes, wobei die Ausstattung (Kleinfunde, Münzen<br />

usw.) und deren Bildwerke sich als Indizien eignen. Ergänzend ist das<br />

Verhältnis der Basilika zu den umliegenden Gebäuden zu klären. Aufschlüsse<br />

darüber ergeben sich aus der Vernetzung des archäologischen Befunds mit den<br />

Stand: 11/2007 81


ekannten epigraphischen Zeugnissen und den überlieferten Nachrichten über<br />

das Bauwerk.<br />

Bei der Betrachtung der Basilica Aemilia im Kontext des politischen Raums, der<br />

in dem vorliegenden Fall der zentrale Bereich des Forumsplatzes ist, ergeben<br />

sich zwei methodische Ansätze:<br />

1. Eine Untersuchung nach chronologischen Gesichtspunkten, in der das<br />

Bauwerk und die Nutzung des umliegenden „Raums“ über einen längeren<br />

Zeitpunkt zu verfolgen sind. Dabei stellt sich die Frage, welche Gründe für<br />

die baulichen Veränderungen der Basilika und des Umfelds in den<br />

verschiedenen Phasen ausschlaggebend waren.<br />

2. Eine diachrone Untersuchung, in der Fragen zur Genese und Herausbildung<br />

der verschiedenen Funktionsbereiche im Vordergrund der Betrachtung<br />

stehen. Im Folgenden sollen die Zweckbestimmungen der Basilika Aemilia<br />

und deren funktionale Verknüpfung mit dem politischen Umfeld erläutert<br />

werden.<br />

2. Die Funktionsbereiche der Basilika<br />

Ein „politischer Raum“ wird nicht nur durch seine Funktion, sondern auch durch<br />

seine Gestaltung definiert. Solche Räume können durch besonderen<br />

Materialaufwand und eine reiche Ausstattung an Einrichtung (Mobiliar) und<br />

Bildwerken ausgegrenzt werden. Ein markantes Beispiel dafür liefert die<br />

Basilica Aemilia in Rom, die sich einerseits durch eine besondere<br />

Innenausstattung, andererseits durch eine reiche Gestaltung der<br />

Außenfassaden als öffentlicher Bau und zugleich als politisches Interaktionsfeld<br />

durch die Verknüpfung mit anderen politischen Räumen definiert. Dabei<br />

zeichnen sich drei Funktionsbereiche der Basilika ab:<br />

2.1 Die Basilika als luxuriöse Bank und Verkaufsstätte<br />

Im Inneren präsentiert sich die Basilika als ein luxuriöser Nutzbau, dessen<br />

Einrichtung vor allem merkantilen und monetären Zwecken diente. Sie<br />

fungierte zugleich als Bank und Verkaufsstätte von Luxusgütern aus<br />

Edelmetallen. Ihre Wandverkleidung mit Marmor und der Bodenbelag aus<br />

buntem Marmor bezeugen den repräsentativen Anspruch. Aus dem Gebäude<br />

stammen Gewichte, die zum Wiegen von Silber und anderem Metall bestimmt<br />

waren.<br />

2.2 Die Basilika als Ort der Gerichtsbarkeit<br />

Es ist nicht bekannt, ob, und wenn ja, welche Tribunale in der Basilica Aemilia<br />

abgehalten wurden. Vorstellbar wären Finanztribunale, die sich gut mit der<br />

monetären Funktion des Bauwerks vereinbaren ließen. Falls solche in dem<br />

Gebäude stattgefunden haben sollten, wurde der für sie bestimmte Platz durch<br />

hölzerne Schranken oder andere ephemere Einrichtungen von dem übrigen<br />

Raum getrennt. Die Verbindung zwischen Tribunal und Basilika manifestiert<br />

sich auch in den Tribünen über den zum Forumsplatz ausgerichteten Portiken,<br />

den maeniana, von denen aus die Zuschauer die im Freien stattfindenden<br />

Tribunale verfolgen konnten.<br />

2.3 Die Basilika als Schauplatz politischer Repräsentation<br />

Da die Basilica Aemilia ein viel besuchtes Gebäude war, eignete sie sich als<br />

Schauplatz für politische Repräsentation. Während in der republikanischen Zeit<br />

sich die Aemilier mit eigenen Bildwerken zur Schau stellten, nahmen im<br />

Prinzipat zunehmend die Kaiser das Bauwerk für ihre politischen Zwecke in<br />

Anspruch. Besonders deutlich ist dieser Prozess an der Ausstattung des<br />

augusteischen Bauwerks ablesbar. In der Basilika befanden sich die Reliefs mit<br />

Stand: 11/2007 82


den mythologischen Darstellungen der Gründungsgeschichte Roms und<br />

vermutlich auch die imagines clipeatae mit den Porträts der<br />

Familienoberhäupter der Aemilier aus republikanischer Zeit. Im Unterschied zur<br />

inneren Ausstattung illustrieren die Bildwerke am Außenbau das aktuelle<br />

politische Zeitgeschehen. Dazu gehören die überlebensgroßen<br />

„Partherstatuen“, die nach der neu gewonnenen Rekonstruktion am Rand der<br />

Terrasse über den Tabernen und Portiken weithin sichtbar über der Sacra via<br />

aufragten. Sie stehen als monumentale Bildzeichen für den diplomatischen<br />

Erfolg des Prinzeps, dem mit den Parthern ein Friedensabkommen gelang.<br />

3. Geplante Untersuchungen für das Jahr 2007<br />

Die für das Jahr 2007 vorgesehenen Untersuchungen zu den spätantiken<br />

Phasen der Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum in Rom stehen unter der<br />

zentralen Frage, in welcher Weise werden traditionelle politische <strong>Institut</strong>ionen<br />

und Räume aus der Republik und der Kaiserzeit in spätantiker Zeit definiert<br />

und genutzt. Verläuft der Prozess der politischen Kommunikation ungebrochen<br />

in gleicher Weise weiter oder sind Veränderungen feststellbar? Wenn ja, sind<br />

nach den Gründen der Veränderungen im politisch-sozialen Umfeld zu fragen.<br />

Behalten die „politischen Räume“ ihre herkömmlichen Funktionen bei oder<br />

werden sie in einer gänzlich neuen Weise genutzt? Dabei gilt zu untersuchen,<br />

wie sich die „politischen Räume“ nach innen und außen hin präsentieren.<br />

Bestehen die alten verbindlichen Leitformen und Leitbilder fort oder werden<br />

neue konzipiert, die als sichtbare Zeichen für eine neue Organisation des<br />

politischen Raums zu werten sind?<br />

Die genannten Aspekte stehen im Zentrum der geplanten Untersuchung über<br />

die Nutzungsphasen des Bauwerks in spätantiker Zeit. Auszugehen ist dabei<br />

auf der einen Seite von dem Erscheinungsbild der Basilika im Inneren, auf der<br />

anderen Seite von der äußeren Gestaltung, insbesondere von der nach Süden<br />

zum Forumsplatz gerichteten Fassade mit ihren Tabernen und Portiken.<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Klaus S. Freyberger (E-Mail: freyberger@rom.dainst.org)<br />

WOLF-DIETRICH NIEMEIER, IVONNE KAISER, JUTTA STROSZECK (Abteilung Athen)<br />

Der Kerameikos von Athen und seine Straßen: Raum, Verwendung,<br />

Entwicklung und Denkmäler<br />

Siehe 1. Forschungsfeld!<br />

ANDREAS OETTEL (Zentrale)<br />

Lissos. Urbanistik und sozio-ökonomische Strukturen einer<br />

hellenistischen Polis in Illyrien<br />

Das deutsch-albanische Projekt gilt der Erforschung des hellenistischen Lissos<br />

und wird von der DFG im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1209 („Die<br />

hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche<br />

Identität zwischen Tradition und Wandel“) gefördert.<br />

Ziel ist es, die Funktionsweise dieser in einer hellenisierten Region neu<br />

entstandenen „illyrischen“ Polis in ihrer Abhängigkeit vom griechischen<br />

Kulturbereich zu erforschen. Ausgehend von der Annahme, dass sich die<br />

während der hellenistischen Zeit deutlich veränderten politischen<br />

Rahmenbedingungen auf das Stadtbild und die urbane Struktur auswirkten,<br />

Stand: 11/2007 83


sind Entwicklungen in der Organisation des öffentlichen, sakralen und privaten<br />

Raumes zu erwarten. Diese gilt es auf die sich wandelnden politischen und<br />

sozio-ökonomischen Verhältnisse zu hinterfragen. Prozesse der Genese und<br />

Formung „politischen Raumes“ stehen somit im Mittelpunkt der Untersuchung.<br />

Als für die Stadtentwicklung wesentliche Phasen zeichnen sich bisher ab:<br />

- die Gründungsphase, möglicherweise frühes 4. Jh. oder erst 3. Jh. v. Chr.<br />

Die von Diodor (15,13,2; vgl. 15,14,2.) berichtete Gründung durch<br />

Dionysios I. von Syrakus als eine seiner Adriakolonien im Jahre 385/84 v.<br />

Chr. ist in der Forschung noch umstritten;<br />

- die Zeit der illyrischen Kleinkönigreiche, zeitweise auch mit Sitz in Lissos im<br />

3./2. Jh. v. Chr.;<br />

- die caesarische Zeit mit Erneuerung der Stadtmauer durch Caesar (civ.<br />

3,29,1.), conventus civium Romanorum;<br />

- die frühe Kaiserzeit.<br />

Darüber hinaus soll im Rahmen des Clusters 3 – über die Zielsetzung des SPP<br />

1209 hinaus – auch die urbane Entwicklung von Lissos/Lissus bis in die<br />

Spätantike untersucht werden.<br />

Die albanischen Forschungen in den 70er und 80er Jahren widmeten sich vor<br />

allem der Stadtmauer, der eindruckvollsten und interessantesten antiken<br />

Wehranlage Albaniens, die sich bis auf eine Höhe von 160 m den Berg hinauf<br />

erstreckt. Die Akropolis wurde später von der venezianisch-osmanischen<br />

Zitadelle überbaut. Weitgehend unbeachtet blieb bislang die Unterstadt, deren<br />

südwestlicher in einem archäologischen Park geschützter Teil ideale<br />

Voraussetzungen für Ausgrabungen bietet.<br />

Die Untersuchungen, die im Sommer 2006 in einer ersten Grabungskampagne<br />

begonnen haben, betreffen drei Bereiche:<br />

- das Stadtgebiet<br />

- die Stadtmauer (siehe auch 2. Forschungsfeld: Grenzen politischer Räume)<br />

- das Umland zwischen der Mündung des Maat im Süden, dem antiken<br />

Scodra im Norden, der Adria im Westen und den Bergen im Osten (siehe 2.<br />

Forschungsfeld: Grenzen politischer Räume).<br />

Methodisch wird wie folgt vorgegangen: Bei der Erforschung der Unterstadt<br />

liegt das Hauptaugenmerk auf den beiden wichtigsten Verkehrsadern der<br />

Stadt. Die Straße von Epidamnos führte durch das „Südtor“ in die Stadt und<br />

weiter nach Scodra. Eine nach Osten verlaufende innerstädtische Straße<br />

verband das unmittelbar am Fluss Drin gelegene „Hafentor“ mit dem Zentrum<br />

der Stadt. Als Arbeitshypothese lässt sich formulieren, dass das Umfeld der<br />

vom „Südtor“ kommenden Straße eher repräsentativen Charakter hatte,<br />

während der Bereich am „Hafentor“ stärker ökonomisch geprägt war und<br />

entsprechend eine Hierarchisierung in den angrenzenden Wohnbereichen<br />

sichtbar gewesen sein muss. Es stellt sich daher die Frage, welches die<br />

konstituierenden Elemente für den Raumeindruck in beiden Bereichen waren.<br />

Um hierüber gesicherte Aussagen treffen zu können, wurden zwei<br />

Grabungsbereiche eingerichtet:<br />

- Grabungsbereich A südlich der Ost-West-Verbindung nahe dem<br />

Kreuzungspunkt beider Straßen<br />

- Grabungsbereich C auf der Innenseite des Hafentores<br />

Grabungsbereich A gab Einblick in das Lissos des 1. Jhs. v. Chr. Freigelegt<br />

wurden große Teile eines Gebäudes, das bereits im 1. Jh. v. Chr. mit Scherben<br />

von Hunderten von Amphoren aufgefüllt wurde. Besonders interessant an<br />

diesem Befund ist, dass das Haus stellenweise auf älteren Mauern gründet, die<br />

nach ihrer Technik in die frühe Zeit der Stadtmauer zu gehören scheinen.<br />

Mehrere Phasen urbanen Wandels im Zentrum der Stadt zeichnen sich hier<br />

bereits deutlich ab und werden in der Kampagne 2007 weiter verfolgt werden.<br />

Stand: 11/2007 84


Der Grabungsbereich C am „Hafentor“ wird im nächsten Jahr ebenfalls<br />

Informationen zur hellenistischen Zeit liefern, sobald dort die entsprechenden<br />

Schichten erreicht werden.<br />

Eine symbolische Bedeutung könnte ein der Werktechnik nach sicher<br />

repräsentatives Gebäude mit annähernd quadratischem Grundriss auf einer<br />

Terrasse der Oberstadt besessen haben.<br />

Außerhalb des Stadtgebiets, vor dem „Südtor“, ergaben kleinere<br />

Untersuchungen im „Apsidenbau“, einem bis in die Spätantike genutzten<br />

Thermengebäude, Hinweise darauf, dass das „Südtor“ wahrscheinlich in<br />

caesarischer Zeit nicht vollkommen instand gesetzt wurde. Aus einem Raum<br />

wurde Keramik sogar des 1. Jhs. v. Chr. geborgen. Damit stellt sich die Frage<br />

nach der Datierung dieses in das „Südtor“ der Unterstadt eingreifenden Baus<br />

neu. Der Befund wird im nächsten Jahr detailliert untersucht werden.<br />

Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wahrnehmung des intra- wie<br />

extramuralen „politischen Raums“ hatte die Stadtmauer selbst, deren<br />

Erforschung besonderes Augenmerk gilt (siehe 2. Forschungsfeld: Grenzen<br />

politischer Räume).<br />

Die Ergebnisse der Grabungen im Stadtgebiet und an der Stadtmauer werden<br />

die Grundlage dafür bieten, wesentliche konstituierende Elemente im Vergleich<br />

mit anderen Projekten herauszuarbeiten, die bei der Ausprägung politischer<br />

Räume in Lissos eine Rolle spielten. Die Strategien räumlicher Organisation im<br />

Hinblick auf die innere Struktur der Stadt sowie die Hierarchisierung der<br />

Gesellschaft werden sich besser verstehen lassen, wenn diese konstituierenden<br />

Elemente vor dem Hintergrund der sich wandelnden Rahmenbedingungen<br />

interpretiert werden. Auf dieser Basis und in Anbetracht der wechselnden<br />

politischen Rahmenbedingungen im Untersuchungszeitraum lassen sich<br />

weitreichende Erkenntnisse zum Verhältnis „politische Macht“ und „räumliche<br />

Struktur“ gewinnen und damit – als Beitrag zu Cluster 3 – ein tieferes<br />

Verständnis des Begriffs „politischer Raum“.<br />

Kooperationspartner:<br />

<strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> der Akademie der Wissenschaften Albaniens, Tirana<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Andreas Oettel (E-Mail: ao@dainst.de)<br />

Prof. as. Dr. Gëzim Hoxha (E-Mail: ghoxha@albmail.com)<br />

RICHARD POSAMENTIR (Abteilung Istanbul)<br />

Anazarbos - Surveyprojekt<br />

Wichtigstes Ziel des 2004 begonnenen Surveyprojektes stellt die Erfassung und<br />

Interpretation der stetigen Veränderung eines Siedlungsgeschehens über eine<br />

Zeitspanne von inzwischen mehr als siebzehn Jahrhunderten dar – doch soll<br />

durchaus der Versuch unternommen werden, das Nacheinander menschlicher<br />

Interaktion nicht nur zweidimensional zu erfassen, sondern auch zu<br />

untersuchen, ob sich das jeweilige Verhältnis zum Raum an sich wandelt.<br />

Gerade in einem geographischen Areal wie Kilikien liegen jedoch nicht nur die<br />

Anfänge und das Erscheinungsbild urbanistischer Strukturen völlig im Dunkeln,<br />

sondern sind auch der Umgang mit einem bemerkenswerten Naturraum und<br />

die Erschließung der umgebenden politischen Räume (inmitten eines hart<br />

umkämpften Grenzlandes) weitgehend unbekannt. Insofern sind es drei<br />

verschiedene Bezugspunkte, die das Projekt eng mit den Fragestellungen des<br />

Stand: 11/2007 85


Forschungsclusters verknüpfen und hier (beispielhaft) dargestellt werden:<br />

1. Der Naturraum<br />

Räumliche Umgebung kann gleichermaßen Hindernis und Schutz darstellen –<br />

jedenfalls zwingt sie den Einzelnen oder das Kollektiv zur intensiven<br />

Auseinandersetzung mit den natürlichen Gegebenheiten. In Anazarbos ist<br />

dieser Naturraum allerdings so übermächtig, dass architektonisch nichts<br />

geschehen kann, ohne das gewaltige Bergmassiv mit einzubeziehen – gleich in<br />

welcher Epoche oder unter welcher Herrschaft diese menschlichen Eingriffe<br />

stattfinden. Und obwohl die meisten Gebäude in Anazarbos nur schlecht<br />

erhalten sind und man ihr ehemaliges Aussehen nur partiell beurteilen kann,<br />

ist der Bezug bei vielen Strukturen immer noch offensichtlich: Als Beispiel mag<br />

die monumentale Nord-Süd verlaufende Säulenstraße der römischen Kaiserzeit<br />

dienen, der mit seinem Knick gleichsam wie ein lebendiger Organismus die<br />

Krümmung oder „Bewegung“ des Berges aufgreift. Da dieser jedoch<br />

verkehrstechnisch als Hindernis zu begreifen ist, stellt der Decumanus in seiner<br />

Funktion als Verkehrsweg inhaltlich einen deutlichen Kontrapunkt dar. Auf der<br />

anderen Seite führen die beiden im rechten Winkel zur Hauptachse orientierten<br />

Säulenstraßen zu den extremen Punkten einer Stadt: das innerste und am<br />

frühesten besiedelte, gleichzeitig wohl auch aus religiösen Gesichtspunkten<br />

wichtigste Areal, liegt am Ende der auf den Berg zulaufenden Straße – wobei<br />

die eindrucksvolle Felswand die imposante, sicherlich letztlich auch identitätsund<br />

mythenstiftende Kulisse für diesen Platz abgab. Außerdem aber auch das<br />

äußerste Gebiet, denn die vom Fels weg führende Straße strebt auf ein Tor zu,<br />

das den Weg nach Westen bezeichnete. Im wesentlichen ist die räumliche Lage<br />

der Stadt also fast als Sinnbild für die politische Situation dieser Zeit zu<br />

interpretieren: Anazarbos, das Winterlager des kaiserlichen Heeres, diente als<br />

Bollwerk gegen die Bedrohung aus dem Osten – und so liegt die Stadt an der<br />

Westflanke des Felsens, gleichsam wie durch eine natürliche Mauer geschützt.<br />

Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass der Name der Stadt<br />

eigentlich zunächst den Berg meinte und die Hauptgottheiten des Öfteren als<br />

„erhörende“ Mächte tituliert werden – was angesichts der akustischen<br />

Phänomene vor der über 220 m hohen Felswand nicht überrascht.<br />

2. Der umgebende politische Raum<br />

Ein intensiver Keramik-Survey im Stadtgebiet erbrachte erstaunlich klare<br />

Resultate, wonach in Anazarbos schon in sehr früher Zeit mit Besiedlung zu<br />

rechnen ist: ein kleiner, aber nicht zu übersehender Anteil bronzezeitlicher<br />

Keramik bestätigt die Annahme, dass das Areal rund um diese prägnante<br />

Landmarke schon in früheren Perioden genutzt wurde. Danach setzt Keramik<br />

erst wieder im 3. Jh. v. Chr. ein, doch ist auch dies gut 200 Jahre früher als<br />

bislang angenommen – die Gleichzeitigkeit einer Ansiedlung am Anazarbos mit<br />

der Bergfestung am Karasis, die nach den Oberflächenfunden schon in das 2.<br />

Jh. v. Chr. gehört, ist damit aber bewiesen, was vor allem für die Betrachtung<br />

des gesamten umliegenden politischen Raumes von entscheidender Bedeutung<br />

ist. Die zusätzliche Einbeziehung mehrerer kleiner Tells der Umgebung mit<br />

hellenistischen Besiedlungsspuren hilft damit die Struktur jener seleukidischen<br />

Toparchie zu rekonstruieren, die dem späteren Reichsgründer Tarkondimotos I.<br />

als Grundlage für sein eigenes kleines Königreich mit Anazarbos als Hauptstadt<br />

diente – wobei sein Sohn Tarkondimotos II. sich mittels seines an<br />

makedonische Kammergräber erinnernden und an der höchsten Stelle des<br />

ganzen Berges gelegenen Grabbaues offensichtlich auch über diese Anklänge<br />

legitimierte. Von hier blickt der Tote (auch ganz sinngemäß, denn in die<br />

Rückwand des Grabes ist ein kleines Fensterchen eingelassen) in Anspruch auf<br />

Stand: 11/2007 86


den umliegenden Raum mit seinen Bewohnern und an diesen<br />

Herrschaftsanspruch erinnernd, bis an die Grenzen seines kleinen Reiches.<br />

Freistehende Grabmonumente herrschender Eliten oder Heiligtümer entlang<br />

der Ausfallstrassen oder an besonders prominenten Stellen des Umlandes<br />

spielen hierbei allerdings ohnehin eine besondere Rolle, denn mit diesen kann<br />

territorialer Machtanspruch, der sich auf frühere Raumstrukturen gleichsam<br />

berufen kann, noch Jahre nach dem Enden einer Ära kommuniziert werden. Da<br />

nationale Territorien in den wenigsten Fällen automatisch vorgegeben sind,<br />

sind außerdem Schaffung kollektiver Erinnerung mittels Traditionen oder<br />

Mythen ein entscheidender Faktor – noch heute ranken sich zahlreiche<br />

Legenden um den Berg von Anazarbos, der in diesen mit anderen Punkten in<br />

der Ebene eng verbunden ist.<br />

3. Der Stadtraum<br />

Über das Aussehen der hellenistischen Vorgängersiedlung kann zwar<br />

einstweilen anhand der geophysikalischen Prospektionsbilder nur spekuliert<br />

werden, doch das Anazarbos der römischen Kaiserzeit ist einigermaßen<br />

erschließbar: Der an sich sinnlosen Anlage von großen Bogenmonumenten an<br />

den beiden Enden der 1,7 km langen und über 30 m breiten Haupt-<br />

Säulenstrasse liegt ganz offensichtlich der Gedanke an ein<br />

„Erschließungsprinzip“ zugrunde, der sich in der Visualisierung des Überganges<br />

von Weg zu Ort manifestiert. Der darauf folgende und eigentliche<br />

Bewegungsraum „Straße“ ist durch seine Breite und seine anliegenden<br />

Gebäudestrukturen dagegen als Ruhe- und Kommunikationsraum<br />

gleichermaßen konzipiert und stellt in seiner Monumentalität politischen<br />

Machtanspruch und Nahtstelle über Zeit und Raum hinweg dar – eine Funktion,<br />

die normalerweise nur große Platzanlagen einnehmen. Zum Berg hin liegt nach<br />

Ausweis der Oberflächenfunde das alte Siedlungsgebiet, während die Straße<br />

auch als Bindeglied zwischen allen wichtigen Punkten der Stadt dient. Vor<br />

allem der virtuellen Rekonstruktion von Gebäudekomplexen verschiedener<br />

Epochen, die zu diesem architektonischen Angelpunkt in Verbindung stehen,<br />

kommt hier verstärkt Bedeutung zu bzw. sie stellt sogar eine methodische<br />

Notwendigkeit dar – da nur auf diese Weise der sich über Jahrhunderte<br />

hinziehende dynamische Prozess einer Stadtbildentwicklung und damit<br />

Raumaufteilung einigermaßen begreifbar wird. Denn Anspruch auf Herrschaft<br />

kann auf unterschiedliche Weise demonstriert werden, in jedem Fall aber ist<br />

die Erfassung von Räumen durch Herrschaft auch als Kommunikationsvorgang<br />

im weiteren Sinn zu verstehen. Kommunikation läuft jedoch nahezu<br />

ausschließlich über Verkehrswege, wobei die Wasserversorgung in antiken<br />

Städten ebenfalls noch eingebunden ist – was auch auf die große<br />

Säulenstrasse von Anazarbos zutrifft. In weiterer Folge beweist im Übrigen<br />

abermals die Zusammensetzung der Oberflächenfunde die sukzessive Aufgabe<br />

von ehemals besiedelter Fläche ab dem 5. Jh. n. Chr. – wodurch sich das<br />

Siedlungsgebiet letztlich wieder genau zu dem Kerngebiet zurückentwickelt,<br />

auf dem es über 1200 Jahre früher entstanden ist.<br />

Erwartung an das Forschungscluster<br />

Der Nutzen wird sich vor allem in der Vergleichsmöglichkeit diverser<br />

Phänomene offenbaren, da grundsätzliche Fragen zum Wesen und der<br />

Begrifflichkeit des Raumes zu diskutieren sind. Vor allem der vielfältige und<br />

epochenübergreifende Zugang ist hier von Interesse, da sich auf diese Art<br />

neue Impulse nahezu zwangsläufig ergeben und zu Korrekturen eigener<br />

Denkmodelle führen könnten.<br />

Stand: 11/2007 87


Ansprechpartner:<br />

Dr. Richard Posamentir (E-Mail: posamentir@istanbul.dainst.org)<br />

WULF RAECK, AXEL FILGES (Abteilung Istanbul)<br />

Strukturwandel des öffentlichen Raumes im spät- und nachantiken<br />

Priene<br />

Das Forschungsvorhaben steht thematisch und arbeitstechnisch im<br />

Zusammenhang mit dem derzeit laufenden DFG-Projekt „Interdependenzen<br />

urbanistischer Veränderungen im hellenistischen Priene“ innerhalb des<br />

Schwerpunktprogramms „Die hellenistische Polis als Lebensform“. Ziel dieses<br />

Projektes ist es, strukturelle Veränderungen des Stadtgefüges von Priene im<br />

Hellenismus im Zusammenhang untereinander und mit historischen Faktoren<br />

zu erfassen und zu untersuchen. Dabei stehen die öffentlichen oder politischen<br />

Räume im Zentrum des Interesses. Das DFG-Projekt klammert aber per<br />

definitionem Fragestellungen und Befunde aus, die in enger Verbindung mit<br />

seinem Thema stehen. Dies gilt insbesondere für nachhellenistische Phasen<br />

von Gebäuden oder Stadtvierteln, deren hellenistischer Zustand Gegenstand<br />

des DFG-Projekts ist.<br />

Im Rahmen des Clusters 3 soll ein Bereich bearbeitet werden, der einerseits<br />

von der bisherigen Forschung weitgehend vernachlässigt wurde, andererseits<br />

aber die Möglichkeit bietet, einen wichtigen Beitrag zum Thema der<br />

Neustrukturierung politischer Räume am Übergang von der Antike zur<br />

frühbyzantinischen Zeit und ihrer Entwicklung im Mittelalter zu liefern, und<br />

zwar in Bezug auf die Kategorie von Städten kleinerer bis mittlerer<br />

Größenordnung, deren Kenntnis für ein Gesamtbild nicht weniger wichtig ist als<br />

die der Metropolen.<br />

Die Baureste des spätantiken und mittelalterlichen Priene sind bisher<br />

weitgehend ignoriert worden, abgesehen von der Basilika am Theater (S.<br />

Westfalen, IstMitt 48, 1998) und ansatzweise des Agorakastells (W. Müller-<br />

Wiener, IstMitt 11, 1961). Dennoch ergeben sich anhand der sichtbaren<br />

Baureste sowie der Grabungsbefunde seit 1998 genügend Anhaltspunkte für<br />

die Bildung einer Arbeitshypothese. Diese betrifft die Verschiebung des antiken<br />

politischen Zentrums auf und an der Agora in den östlich anschließenden<br />

Bereich, der aus dem Prytaneion, dem ihm südlich gegenüberliegenden<br />

repräsentativen Apsidenbau, sowie der zwischen beiden verlaufenden Straße<br />

gebildet wird, ferner die Entwicklung des südlich anschließenden Areals zum<br />

Kern der byzantinischen Siedlung und vermutlich zeitweise des örtlichen<br />

Machthabers. Dieser Umwandlungsprozess des gebauten Raumes (Umnutzung<br />

der Säulenhalle; Aufgabe des freien Agoraplatzes) dürfte mit einer<br />

Veränderung der sozialen Praxis einhergehen und seine Untersuchung daher<br />

dem Konzept der Interdependenz von gebautem und sozialem Raum<br />

entsprechen, das in der Definition der Ziele des Forschungsclusters eine<br />

wichtige Rolle spielt.<br />

Die skizzierte Vorstellung von der Veränderung des politischen Zentrums in<br />

Priene basiert auf Beobachtungen in verschiedenen Teilbereichen:<br />

- Feststellung eines Nutzungshorizontes des 6./7. Jhs. im Nordschiff der<br />

Agora-Nordhalle (Einbau von Läden). Die Grabungsbefunde sind<br />

dokumentiert, aber noch nicht ausgewertet, die Baureste nicht vollständig<br />

aufgenommen.<br />

- Spätantike Ausbauphase des Prytaneions, 2006 erstmals genauer<br />

dokumentiert.<br />

- „Apsidenbau“ südlich gegenüber dem Prytaneion zwischen Straßenhalle und<br />

Stand: 11/2007 88


Asklepiosheiligtum, erst in den letzten Jahren untersucht. Datierung und<br />

Funktion noch unklar (Amtsgebäude?).<br />

- Beobachtung mittelalterlicher Reparatur- und Ausbauphasen der<br />

Stadtbefestigung über das bisher Bekannte hinaus im Rahmen eines<br />

Dissertationsvorhabens zur Stadtmauer von Priene.<br />

Das im Rahmen des Clusters 3 zu realisierende Arbeitsprogramm beinhaltet<br />

keinerlei feldarchäologische Aktivitäten in bisher unausgegrabenen Bereichen,<br />

sondern beschränkt sich auf die Untersuchung bereits sichtbarer Baureste und<br />

die Auswertung existierender Grabungsbefunde. Dabei kommt der Bearbeitung<br />

der stratifizierten byzantinischen Fundkeramik aus den jüngsten Grabungen im<br />

östlichen Wohnviertel (Insula F 15) als Datierungsgrundlage für nachantike<br />

Grabungsbefunde besondere Bedeutung zu. Für die Bauuntersuchungen sind<br />

Reinigungsarbeiten und ggf. Sondagen zur Klärung uneindeutiger<br />

Bauzusammenhänge nötig.<br />

Das Arbeitsprogramm im Einzelnen:<br />

- Auswertung der spätantik-frühbyzantinischen Funde aus den vergangenen<br />

Kampagnen, besonders der Agora-Grabung<br />

- Abschluss der Bauaufnahme der frühbyzantinischen Ein- und Umbauten der<br />

Agora-Nordhalle<br />

- Auswertung der mittel- und spätbyzantinischen Funde aus den vergangenen<br />

Kampagnen<br />

- Untersuchung der mittel- und spätbyzantinischen Bauten östlich der Agora<br />

(Kastellbereich mit „Kastellkirche“ und das Areal südlich davon)<br />

- Auswertung des einschlägigen Fundmaterials<br />

- Zusammenfassende Auswertung der Teilergebnisse<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Wulf Raeck (E-Mail: W.Raeck@em.uni-frankfurt.de)<br />

Dr. Axel Filges (E-Mail: A.Filges@em.uni-frankfurt.de)<br />

DIETRICH RAUE, STEPHAN SEIDLMAYER, PHILIPP SPEISER (Abteilung Kairo)<br />

Der Erste Katarakt<br />

Siehe 2. Forschungsfeld!<br />

KLAUS RHEIDT (TU Cottbus), RALF VON DEN HOFF (Uni Freiburg)<br />

Urbane Strukturen und kulturelle Prägung in einer Stadt des<br />

hellenistischen Zentralanatolien: Aizanoi<br />

Zielsetzung des Vorhabens<br />

Seit dem späten 4. Jh. v. Chr. und dem Zug Alexanders des Großen<br />

entwickelten sich in Kleinasien, Anatolien und den östlich anschließenden<br />

Regionen neue Kulturen und politische Strukturen, die lokale Vorgaben mit<br />

Formen urbanen Lebens in griechischer Tradition verbanden. Unsere bisherige<br />

Vorstellung von diesen Veränderungen innerhalb von Städten als zentralen<br />

politischen Organisationsformen ist wesentlich von den Großzentren an der<br />

Westküste Kleinasiens geprägt. Das „Brückenland“ Zentralanatolien jedoch, der<br />

Raum im topographischen Zentrum des Alexanderreiches und seiner<br />

Nachfolgestaaten, liegt an der Schnittstelle zwischen diesen schon vorher<br />

griechischen und den weiter östlich liegenden, orientalisch geprägten Gebieten.<br />

Hier finden sich überdies seit der Frühzeit stark ausgeprägte lokale Kulturen<br />

Stand: 11/2007 89


(Phrygien). Die Frage nach räumlicher, politischer und kultureller<br />

Neuorganisation menschlichen Zusammenlebens im Hellenismus, nach der<br />

Organisation Zentralanatoliens in Siedlungen und nach den Schritten seiner<br />

Urbanisierung stellt sich unter diesen Prämissen umso drängender und fällt in<br />

den Kern der Fragestellungen des Forschungsclusters 3 „Politische Räume“. Sie<br />

ist indes auf archäologischer Grundlage bisher kaum erforscht. Das Projekt<br />

zielt darauf ab. In einer Fallstudie sollen die Prozesse der urbanen Gestaltung,<br />

der Raumorganisation und der damit zusammenhängenden kulturellen Prägung<br />

einer hellenistischen Kleinstadt Zentral-anatoliens, Aizanoi, die zugleich im<br />

ehemals phrygischen Kernland liegt, untersucht werden.<br />

Für die Grabungen in Aizanoi wird damit ein neues Arbeitsfeld eröffnet. In den<br />

letzten 20 Jahren widmeten sich die Forschungen dort den z. T. hervorragend<br />

erhaltenen Monumenten in erster Linie der römischen Stadt. Dabei ist erstmals<br />

eine zusammenhängende Vorstellung von der urbanen Entwicklung der<br />

Siedlung zwischen dem 1. Jh. n. Chr. und der Spätantike erarbeitet worden.<br />

Die Vorgeschichte dieser Entwicklung liegt indes noch im Dunkeln.<br />

Bei den wenigen neueren Grabungen sind in kleinen Arealen der Siedlung<br />

überraschend hellenistische Befunde zutage getreten. Sie zeichnen sich durch<br />

gute Erhaltung sowie durch eine Vielzahl relevanter Funde in ihren<br />

ursprünglichen Kontexten aus. Durch diese Funde und durch epigraphische<br />

Zeugnisse ist eine Prägung durch Siedler aus den Städten der Westküste<br />

(Pergamon) bereits belegt, doch fehlen bisher Informationen zur Ausdehnung<br />

der Siedlung, zu ihren Grenzen zum Umland, zur Organisation ihres urbanen<br />

Raumes, ihrer Infrastruktur und ihres städtischen Organismus’ sowie zu der<br />

diese Elemente belebenden materiellen Kultur. Dies ist der innovative<br />

Ansatzpunkt des neuen Projektes.<br />

Im Rahmen des Projektes geht es zum einen um die Frage nach der<br />

städtischen Konstitution und Organisation Aizanois im 2. und 1. Jh. v. Chr.<br />

Bislang ist weder klar, wo ihre Agora, das urbane Zentrum, lag, bevor die<br />

große Anlage des Zeustempels in domitianischer Zeit die Gegebenheiten neu<br />

prägte. Noch ist erkennbar, welche Arten von öffentlichen Arealen<br />

(Heiligtümer, Plätze, Verwaltungsgebäude) im Hellenismus überhaupt<br />

ausgewiesen und wie diese organisiert waren. Bestanden die bisher nur<br />

punktuell bekannten römischen Platzanlagen bereits in dieser Zeit? Wie verhält<br />

sich die Stadtstruktur einer „Kolonie“ zu „griechischen“ Städten des Westens?<br />

Mit diesen Fragen wird Grundlagenforschung für die urbanistische Struktur der<br />

Siedlung betrieben, die im weiteren Verlauf durch die Klärung der<br />

Siedlungsorganisation, der Straßenführungen und der Lokalisierung öffentlicher<br />

Bauten zentrale Fragen betrifft, die im Forschungscluster 3 diskutiert werden.<br />

Zum anderen lassen die wenigen bisher vorliegenden Hinweise den Schluss zu,<br />

dass mit gut erhaltenen, weitgehend ungestörten Befunden zur materiellen<br />

Kultur der hellenistischen Siedlung zu rechnen ist. Hier stellt sich besonders die<br />

Frage nach der Verbindung zu anderen hellenistischen Metropolen anhand der<br />

zutage tretenden Funde und Befunde (z. B. Keramikinventare, Hausformen<br />

usw.). Die lebendige Füllung des urbanen Raumes mit konkretem materiellem<br />

Inventar ist zu erwarten, wie sie in „Stadtgrabungen“ der letzten Jahrzehnte<br />

oftmals erhofft wurde.<br />

Zusammen mit Untersuchungen zur kulturellen Identität der Bewohner des<br />

hellenistischen Aizanoi stehen so das Problem von Zentrum und Peripherie in<br />

der urbanen und politischen Prägung von Siedlungen und die Frage, wie der<br />

neu auch für griechische Siedler eröffnete, von den Zentren der Westküste<br />

aber politisch dominierte Raum Zentralanatoliens organisiert wurde, und<br />

welche Rolle die äußeren Formen und materiellen Gegebenheiten der Siedlung<br />

für die Ausprägung sozialer Strukturen spielten, im Zentrum des Projektes.<br />

Stand: 11/2007 90


Dies und die Untersuchung des Zusammenspiels räumlicher Organisation und<br />

kultureller Praxis, wie es sich im Materiellen niederschlägt, lässt überdies<br />

wesentliche Ergebnisse für die Forschungskooperation innerhalb des<br />

Forschungsclusters 3 erwarten.<br />

Arbeitsprogramm 2007<br />

1. Ab 2007 werden gezielt einzelne, für die urbane Struktur der Siedlung<br />

relevante Areale durch Grabungen untersucht: durch größere, flächigere<br />

Schnitte dort, wo schon früher gut stratifizierte hellenistische Befunde<br />

angeschnitten wurden (Westecke des Tempelplateaus), um eine<br />

zusammenhängende Vorstellung von der Binnenstruktur der Siedlung zu<br />

erlangen. Ergänzt wird dies durch kleinere Sondagen in den Bereichen der<br />

späteren römischen Platzanlagen. 2007 geht es hier zunächst um den bislang<br />

kaum erforschten sog. Dorischen Säulenhof, eine mutmaßliche Agora, an der<br />

R. Naumann bereits frühe Befunde berührt, aber nicht weiter ergraben hatte<br />

(Finanzierung aus Mitteln der Abteilung Istanbul). Diese kleineren Sondagen<br />

sollen die Frage nach der Datierung der Anlagen und/oder ihrer hellenistischen<br />

Vorgänger klären. Insgesamt ist durch die Grabungen zudem ein Überblick<br />

über die materielle Kultur, das Keramik- und sonstige Inventar der Siedlung<br />

und seine kulturelle Einordnung zu erarbeiten. Die Grabungs- und<br />

Fundbearbeitungsaktivitäten, die weit über die in den letzten Jahren<br />

durchgeführten derartigen Arbeiten hinausgehen, erfordern einen erhöhten<br />

Personalaufwand (Arbeiter, Hilfskräfte), die Etablierung eines modernen<br />

Dokumentations- und Datenverwaltungssystems (Übernahme des GIS-<br />

Pergamon geplant) und die Neustrukturierung der Fundbearbeitung<br />

(Hilfskräfte).<br />

2. Zudem soll der erstmalige Versuch unternommen werden, einen möglichst<br />

umfassenden Überblick über die räumliche und bauliche Organisation des<br />

gesamten Siedlungsareals in hellenistischer Zeit zu erhalten. Dazu werden in<br />

den kommenden Jahren geophysikalische Prospektionen durchgeführt, die<br />

zudem – soweit möglich – in großen Flächen angelegt die zukünftigen<br />

Grabungsareale zu ermitteln helfen. Für 2007 sind vorbereitende Arbeiten und<br />

Probemessungen vorgesehen (Geomagnetik, Georadar; Werkverträge).<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Klaus Rheidt, Klaus (E-Mail: Rheidt@tu-cottbus.de)<br />

Prof. Dr. Ralf von den Hoff (E-Mail: vd.hoff@archaeologie.uni-freiburg.de)<br />

ANDREAS SCHACHNER (Abteilung Istanbul)<br />

Die Hethiterhauptstadt Hattuša-Boğazköy / Türkei<br />

Die seit 100 Jahren unter Federführung des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s andauernden Forschungen in der hethitischen Hauptstadt Hattuša<br />

haben die Entwicklung von ersten Siedlungsansätzen im Chalkolithikum bis<br />

zum Ausbau zu einer repräsentativen Herrschaftsstadt im 13. Jh. v. Chr.<br />

ebenso dokumentiert, wie das Nachleben in der Eisenzeit und in Byzantinischer<br />

Zeit.<br />

In der archäologischen Hinterlassenschaft spiegelt sich so die<br />

Auseinandersetzung des Menschen mit dem ihm zur Verfügung stehenden<br />

Raum in einer seltenen historischen Tiefe. Deshalb ist es möglich, sich mit dem<br />

Phänomen der Anpassung an die geographischen Vorbedingungen und der<br />

Formung des Raumes außerhalb und innerhalb der Siedlung vergleichend über<br />

einen langen Zeitraum auseinanderzusetzen. In den verschiedenen Aspekten<br />

Stand: 11/2007 91


der Problematik werden jeweils neben evidenten Unterschieden auch<br />

Gemeinsamkeiten der Strategien deutlich, die eventuell über die Region<br />

Boğazköy hinaus exemplarischen Charakter für Zentralanatolien haben<br />

könnten.<br />

Grenzen<br />

Die hethitische Hauptstadt ist ein in der Kulturgeschichte Anatoliens einmaliges<br />

Beispiel für die aktive Gestaltung der Umwelt durch den Menschen. Dies äußert<br />

sich bereits in der Wahl des Siedlungsplatzes, da die bewusste Wahl eines<br />

komplexen Territoriums für die Stadt eine dauernde Auseinandersetzung mit<br />

dem Naturraum nach sich zog. Dieser Umstand unterscheidet Boğazköy-<br />

Hattuša grundlegend von den vorhergehenden und nachfolgenden Kulturen<br />

dahingehend, dass bis heute sichtbare und wirkende Veränderungen in der<br />

Topographie der Region erhalten blieben.<br />

Mit Blick auf den innerstädtischen Bereich spielen neben praktischen<br />

Notwendigkeiten (z. B. die Wasserversorgung) auch repräsentative und<br />

ideologische Überlegungen eine große Rolle bei der Formung der urbanen<br />

Landschaft. Das Phänomen der aktiven Landschaftsgestaltung unterscheidet<br />

hethitische Städte bereits in grundsätzlicher Hinsicht von den älteren und<br />

jüngeren Siedlungen Anatoliens. Gleichzeitig ist die Hauptstadt jedoch durch<br />

eine Vielzahl von Beispielen aktiver Maßnahmen zur Formung des Lebensraums<br />

geprägt, die weit über das in anderen Städten belegte Maß hinausgehen. Diese<br />

sind zweifelsohne auf die besondere Funktion und die damit verbundenen<br />

besonderen ideologischen Bedingungen zurückzuführen und werden somit im<br />

direkten Vergleich mit anderen Siedlungen in Hattuša in besonderer Klarheit<br />

sichtbar.<br />

Insbesondere fällt im Falle von Hattuša die klare Abgrenzung der Stadt an sich<br />

und einzelner innerstädtischer Bereiche auf. Die Art, Grenzen unter<br />

Einbeziehung der Topographie zu ziehen, ist an der gesamten Stadt ebenso zu<br />

beobachten wie in der Unterscheidung einzelner Stadtbereiche und auch in der<br />

Abgrenzung einzelner Gebäude.<br />

Ein gutes Beispiel für dieses Vorgehen ist die Palastanlage auf Büyükkale, die<br />

als Ganzes topographisch klar vom Rest der Stadt abgegrenzt und in sich durch<br />

verschiedene Höhenstufen nochmals mehrfach gegliedert wird. Ein ähnliches<br />

Prinzip der vertikalen und horizontalen Abgrenzung findet sich zum Beispiel<br />

auch im Falle des zentralen Tempelviertels in der Oberstadt. Die Tatsache,<br />

dass sich Hattuša über nahezu ein Jahrtausend von der Frühbronzezeit bis zum<br />

13. Jh. v. Chr. entwickelte, bietet nicht nur die Möglichkeit, die Entstehung<br />

dieser repräsentativen Formen nachzuzeichnen, sondern auch – und unter<br />

Berücksichtigung der historischen Überlieferung – die Gründe für deren<br />

Entstehung zu erforschen.<br />

Um den angeschnittenen Fragestellungen weiter nachgehen zu können, wurde<br />

2006 parallel zu den Ausgrabungen mit ausgedehnten Begehungen und<br />

geophysikalischen Prospektionen begonnen. Diese zeigen, dass weite Teile der<br />

bisher unerforschten Stadt dichte Bebauung aufweisen. Besonders<br />

bemerkenswert ist jedoch, dass nach den Ergebnissen der Geomagnetik auch<br />

außerhalb der Stadt mit einer lockeren Besiedlung zu rechnen ist, die<br />

möglicherweise aus einzelnen Gehöften bestand. Es werden so erstmals<br />

Einblicke in die Art der Verbindung zwischen der Stadt und ihrem Umland<br />

möglich.<br />

Soziale Hierarchien<br />

Die Erforschung der Frage, inwieweit sich soziale Hierarchien in der<br />

Stadtlandschaft von Hattuša widerspiegelten, steht noch weitgehend am<br />

Stand: 11/2007 92


Anfang. Einerseits sind weite Bereiche der Stadt noch gänzlich unbekannt,<br />

andererseits wurden in den bisherigen Forschungen vor allem Wohngebiete nur<br />

ansatzweise untersucht. Dennoch werden an der bekannten internen Zonierung<br />

und klaren Separierung einzelner Funktionsbereiche (Tempel vs. Palast)<br />

entsprechende Hierarchien deutlich. Insbesondere der Vergleich zwischen der<br />

Unter- und der später angelegten Oberstadt kann zeigen, inwieweit soziale<br />

oder ideologische Hierarchien zur Ausbildung bzw. Gestaltung einzelner<br />

Stadtareale beitrugen. Ein weiterer Aspekt, der auf festgefügte Hierarchien<br />

hinweist, ist die Tatsache, dass bestimmte Gebäudeformen über mehrere<br />

Jahrhunderte unverändert fortgeführt wurden, während sich andere wandeln<br />

konnten. Die große Menge an Gebäuden gleicher Funktion, deren Grundriss<br />

sich über die Zeit veränderte, ermöglicht im Verbund mit der textlichen<br />

Überlieferung eine Annäherung an die Frage, in wie weit die Form durch die<br />

Funktion bedingt war, und ob es Freiheiten gab, bzw. durch wen die Form<br />

bestimmt wurde.<br />

Im Zusammenhang mit sozialen Hierarchien stellt sich die Frage nach der<br />

funktionalen Entwicklung einzelner Stadtbereiche und den Gründen für<br />

Veränderungen. Insbesondere die laufenden Grabungen in der westlichen<br />

Oberstadt, im Tal vor Sarikale, erlauben Einblicke in die funktionale<br />

Entwicklung dieses Stadtbereichs und in die Gründe für dessen Veränderungen,<br />

in deren Zusammenhang nicht nur jeweils neue Funktionen, sondern auch<br />

neue soziale Gruppen in diesem Teil der Stadt verankert wurden. Ähnliche<br />

Veränderungen sind auch im zentralen Tempelviertel zu beobachten, das nach<br />

dem Auflassen einiger Tempel zu einem Werkstattareal umgewidmet wurde.<br />

Ressourcen und Kontrolle über das Umland<br />

Eine Stadt von der Größe Hattušas benötigte zwangsläufig eine enorme Menge<br />

an Rohstoffen. Diese wurden sicher zu einem großen Teil im unmittelbaren<br />

Umfeld der Stadt gewonnen. Die Wechselwirkung zwischen Stadt und Umland<br />

ist im Falle von Hattuša noch weitgehend unerforscht, weshalb für die<br />

kommenden Jahre Feldforschungen in diese Richtung unternommen werden<br />

sollen.<br />

In einem zweiten Punkt, der Kontrolle über das Umland bzw. der Gestaltung<br />

desselben, kann dagegen auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden, die einen<br />

spürbaren Einfluss der Stadt auf ihr Umland mittels kleinerer Strukturen (evtl.<br />

Kastelle oder Türme oder Ähnlichem) während der hethitischen Zeit erkennen<br />

lassen. Wahrscheinlich kommt in diesem System eine Kontrolle der Landschaft<br />

um die Stadt zum Ausdruck, das nicht nur einem Bedürfnis nach Sicherheit,<br />

sondern auch der Notwendigkeit der Versorgung mit Agrargütern und<br />

Rohstoffen diente.<br />

Erwartungen<br />

Aufgrund seiner Stellung als Hauptstadt eines der wichtigsten Großreiche des<br />

2. Jts. v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum bietet die Erforschung von Hattuša<br />

zahlreiche Möglichkeiten für einen komparatistischen Ansatz. Insbesondere der<br />

Fragenkomplex der aktiven Formung der Landschaft und der Gründe für diese<br />

Gestaltung verspricht im Vergleich mit anderen, ähnlich gearteten Zentren eine<br />

Trennung des genuin Hethitischen von eher allgemein gültigen Strategien.<br />

Ansprechpartner:<br />

PD Dr. Andreas Schachner (E-Mail: schachner@istanbul.dainst.org)<br />

Stand: 11/2007 93


SUSANNE SIEVERS (RGK)<br />

Das keltische Oppidum von Manching / Bayern<br />

Das keltische Oppidum von Manching (320-50 v. Chr.), seit 1956 von der RGK<br />

meist in Form von Rettungsgrabungen untersucht, umfasst 380 ha. Es war in<br />

seiner Spätphase von einer 7 km langen Stadtmauer umgeben. Manching gilt<br />

mit 25 ha untersuchter Fläche als das am besten erforschte Oppidum<br />

überhaupt, ist der Motor der deutschen Oppidaforschung und hat die<br />

europäische Kelten-Forschung ganz wesentlich mitbestimmt. Die<br />

verkehrsgünstige Lage der Siedlung in der Ebene, an der Mündung der Paar in<br />

die Donau, prädestinierte sie in Kombination mit den sie umgebenden<br />

Ressourcen (u. a. Eisenerz) für ihre Rolle als Zentralort, der im Fernhandel ein<br />

Scharnier zwischen ost- und westkeltischem Raum bildete. Dennoch war das<br />

Oppidum, nicht nur was die Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, in hohem<br />

Maße von seinem Umland abhängig.<br />

Fragestellung<br />

Die Binnenstruktur des Oppidums ist nur in Ausschnitten erfasst. Hier sollen<br />

durch verschiedene Prospektionsmethoden Lücken geschlossen werden, die<br />

zumindest eine Rekonstruktion der Infrastruktur erlauben. Die Topographie<br />

(Altwasserläufe, Moore) wirkte sich kaum bestimmend auf die Gestaltung der<br />

Siedlung aus. Dennoch liefert sie Anhaltspunkte für Grundzüge der<br />

Siedlungsentwicklung, da sich einige bauliche Elemente daran orientiert haben.<br />

Auch wenn in Manching ländlich wirkende Gehöfteinheiten vorherrschen, lässt<br />

das Oppidum für seine Zeit überraschend viele „urbane“ Merkmale erkennen.<br />

So zeichnen sich im Zentrum kultische Einrichtungen ab, und Groß- sowie<br />

Sonderbauten lassen in Zusammenhang mit den Funden auf eine soziale<br />

Staffelung schließen, die auch in der Architektur zum Ausdruck kam. Wie sich<br />

innerhalb der Siedlung soziale Hierarchien entwickelten, wie sich einzelne<br />

Einheiten zueinander verhielten und wie deren Position innerhalb des uns nur<br />

in Ansätzen bekannten keltischen Gesellschaftssystems einzuordnen sind, ist<br />

noch unklar und kann nur im Vergleich mit den Befunden des Umlandes enger<br />

eingegrenzt werden. An dieser Stelle besteht eine Verklammerung mit dem 2.<br />

Forschungsfeld „Grenzen politischer Räume“.<br />

Die Bündelung unterschiedlicher Funktionseinheiten in der Siedlung erlaubt,<br />

Manching als komplexes Zentrum anzusprechen, ein Begriff, der womöglich für<br />

prähistorische Siedlungen zutreffender ist als der Begriff „Stadt“. Gerade die<br />

engen Verbindungen zum Mittelleerraum führen allerdings zu der Frage, welche<br />

Rolle im urbanen Bild eines keltischen Oppidums rechts des Rheins eventuelle<br />

südliche Einflüsse gespielt haben. Überraschend ist allein schon die Größe<br />

keltischer Oppida, die 1000 ha überschreiten konnte. Aus diesem Grund<br />

werden konkrete Vergleiche mit den Strukturen hellenistischer Städte<br />

angestrebt. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob nicht auch nördlich der<br />

Alpen „urbane“ Strukturen eine Tradition besitzen.<br />

Methoden<br />

Um die Binnenstrukturen der Siedlung besser erfassen zu können, ist an eine<br />

geophysikalische Prospektion der Reste der ungestörten Innenfläche gedacht,<br />

die mit den Ergebnissen der Luftbildarchäologie und einer bereits<br />

durchgeführten LIDAR-Befliegungen abzugleichen ist. Diese Untersuchungen<br />

werden auf das nähere Umfeld des Oppidums ausgedehnt, um in Erfahrung zu<br />

bringen, wie das Oppidum mit den es umgebenden befestigten Gehöften<br />

(Viereckschanzen) und sonstigen Siedlungsresten verbunden war. Alle Daten<br />

sollen in ein GIS-Programm einfließen.<br />

Stand: 11/2007 94


Ansprechpartner:<br />

Dr. Susanne Sievers (E-Mail: sievers@rgk.dainst.de)<br />

MARGARETE VAN ESS (Orient-Abteilung)<br />

Urbane Struktur und Funktion der Großstadt Uruk<br />

Die Stadt Uruk, 300 km südlich von Baghdad (Irak) gelegen, gehört zu den<br />

frühen Großstädten der Alten Welt. Sie entstand Ende des 5. Jt. v. Chr. aus<br />

vermutlich mehreren kleineren Ansiedlungen, die sich im Bereich eines<br />

Übergangs über den Euphrat befanden. Schon Ende des 4. Jt. v. Chr. war<br />

dieses Konglomerat zu einer ca. 2,5 km 2 großen Stadt angewachsen, deren<br />

Gliederung in verschiedene funktionale Bereiche erschließbar ist. Die<br />

langjährigen Ausgrabungen im Zentrum der Stadt ließen erkennen, dass schon<br />

in dieser frühen Zeit nicht nur die Stadt, sondern alle Belange der damaligen<br />

Gesellschaft in hohem Maße strukturiert und wahrscheinlich straff politisch<br />

organisiert waren. Am Beginn des 3. Jt. v. Chr. hatte die Stadt ihre größte<br />

Ausdehnung (5,5 km 2 ) erreicht und wurde von einer 9,5 km langen<br />

Stadtmauer geschützt. Auch für diese Zeit sowie für fast alle nachfolgenden<br />

Perioden bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein lässt sich deren urbane Struktur<br />

nachweisen.<br />

Forschungen zur räumlichen Nutzung von Uruk sind vor allem dank der<br />

hervorragenden Datenlage möglich. Reihenbefliegungen des Ortes durch die<br />

Royal Air Force im Jahr 1935, Luftphotos aus den 1970er Jahren, die<br />

Ergebnisse eines sehr detaillierten, flächendeckenden archäologischen Surveys<br />

aus den Jahren 1982-84 sowie ein geophysikalischer Survey aus den Jahren<br />

2001 und 2002 in Teilbereichen der Stadt und hochauflösende Satellitenbilder<br />

aus den Jahren 2001, 2003, 2005 bieten eine Informationsgrundlage, wie sie<br />

im Vorderen Orient nur selten für archäologische Orte zur Verfügung steht. Mit<br />

Hilfe dieser Daten können Analysen durchgeführt werden, in denen die<br />

topographische Gliederung, technische und bauliche Strukturen – ergrabener<br />

wie noch im Boden liegender Anlagen –, sowie archäologische Informationen<br />

zur Funktion der verschiedenen Bereiche verknüpft und in Abhängigkeit<br />

voneinander betrachtet werden können.<br />

Vorläufige Ergebnisse sind Hypothesen zur Lage, Größe und inneren<br />

Erschließung verschiedener Viertel in der Stadt, zur Funktion einzelner<br />

Bereiche sowie zur urbanen Strukturierung der Gesamtstadt. In Teilbereichen<br />

konnten Theorien zur historischen Entwicklung einzelner Stadtviertel begründet<br />

werden. Wahrscheinlich aus der Notwendigkeit heraus, ein großes Stadtgebiet,<br />

bestehend aus einem zentralen Heiligtums- und Verwaltungsbereich, aus<br />

verschiedenen Wohnvierteln und aus innerstädtischen Gärten und Feldern, vor<br />

Angriffen zu schützen, entsteht Anfang des 3. Jt. v. Chr. die monumentale<br />

Stadtmauer. Spätestens im Zusammenhang mit dieser Baumaßnahme musste<br />

der Fluss, der die Stadt versorgte, reguliert werden, um die in Mesopotamien<br />

so häufig auftretenden Hochfluten nicht zur Gefahr für die Stadt werden zu<br />

lassen. Der Fluss wurde kanalisiert und innerstädtisch mehrere Nebenkanäle<br />

zur Versorgung der Gärten und Felder, offenbar aber auch als Transportwege<br />

angelegt.<br />

Ziel des derzeitigen Projektes ist es, diese im Groben schon erkennbaren<br />

Strukturen im Detail zu erfassen und zu beschreiben. Anhand der<br />

Satellitenbilder sollen Analysen der Vorstädte und der Gliederung der<br />

außerstädtischen Nutzungsgebiete folgen. Unter Berücksichtigung der<br />

historischen Entwicklung der Stadt, also der verschiedenen, über die<br />

Stand: 11/2007 95


archäologischen Daten definierbaren Siedlungsschichten und unter<br />

Einbeziehung der topographischen Information, d. h. auch der<br />

Höheninformation, sollen die Siedlungs- und Funktionsmuster verschiedener<br />

Perioden sichtbar gemacht und gegeneinander abgesetzt werden. Im Spiegel<br />

der in weiten Teilen bekannten politischen Geschichte der Region versprechen<br />

wir uns neue Erkenntnisse zur Funktion der Gesamtstadt in ihrem politischen<br />

Umfeld und zum jeweiligen Charakter der Stadt in verschiedenen Perioden.<br />

Das Projekt erfolgt angesichts der derzeitigen politischen Situation im Irak<br />

ausschließlich anhand der vorhandenen Daten.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Margarete van Ess (E-Mail: orient@dainst.de)<br />

4. FORSCHUNGSFELD: ORTE DER HERRSCHAFT<br />

Moderatoren: Felix Arnold, Ulrike Wulf-Rheidt<br />

FELIX ARNOLD (Abteilung Madrid)<br />

Herrschaftliche Villen in Córdoba<br />

Ansatz:<br />

Die Architektur von Herrschaftssitzen interpretiert ein bestimmtes Verständnis<br />

von Herrschaft und erlaubt daher Rückschlüsse auf das zugrunde liegende<br />

Herrschaftsverständnis. Ziel der Untersuchung islamischer Palastarchitektur in<br />

Córdoba ist die Definition von Eigenheiten islamischer<br />

Herrschaftsvorstellungen. Innerhalb der islamischen Palastlandschaft Córdobas<br />

nehmen die herrschaftlichen Villen am Rand der Stadt eine besondere Stellung<br />

ein. Fern von militärischen und verwaltungstechnischen Erwägungen setzen die<br />

Villen das Selbstverständnis ihrer Bauherren in Szene. Zwei Fragestellungen an<br />

die Architektur der Villen versprechen Hinweise auf die Eigenheiten der<br />

zugrunde liegenden Herrschaftsvorstellungen:<br />

- Haus und Palast. Der Palast ist das Wohnhaus eines Herrschers. Was aber<br />

unterscheidet einen Palast von einem gewöhnlichen Wohnhaus? Die<br />

Gestaltung eines Palastes verleiht bestimmten Aspekten des Wohnens – das<br />

Eintreten, das Auftreten, das Gegenübertreten – eine besondere<br />

Bedeutung. Welche Aspekte des Wohnens auf welche Weise bedeutungsvoll<br />

gemacht werden – durch Veränderungen im Maßstab, im Bodenniveau, in<br />

den Blickbeziehungen –, erlaubt Rückschlüsse auf den Unterschied zwischen<br />

Herrscher und Beherrschtem und damit auf das Selbstverständnis des<br />

Herrschers.<br />

- Stadt und Palast. Die Macht eines Herrschers beruht auf der Gemeinschaft<br />

derjenigen, die ihm die Macht verleihen. Welche Bezüge zwischen dem<br />

Palast und der Stadt – ihrer sakralen Räume, ihrem Markt, ihrer<br />

Befestigungsanlagen und ihrem Verkehrssystem – aufgebaut werden,<br />

erlaubt Rückschlüsse auf die Machtgrundlage des Herrschers und die Art<br />

seiner Legitimation.<br />

Kulturhistorisches Anliegen:<br />

Das Projekt ist aus Untersuchungen zur spätrömischen und islamischen<br />

Palastarchitektur in Abū Mina (Ägypten) und Almería (Spanien)<br />

hervorgegangen und hat die Beantwortung folgender Fragen zum Ziel:<br />

Stand: 11/2007 96


- Kontinuität von der römischen zur islamischen Palastarchitektur. Auf der<br />

Iberischen Halbinsel scheint sich eine ungebrochene Villentradition von der<br />

Antike bis in das islamische Mittelalter nachvollziehen zu lassen. Damit<br />

bietet sich hier die Möglichkeit, den römischen Wurzeln der islamischen<br />

Kultur nachzugehen, den Grad der Verwandtschaft der islamischen und<br />

christlichen Kultur zu bestimmen (die beide Wurzeln in der römischen<br />

haben) und Unterschiede aufzuzeigen.<br />

- Definition des islamischen Raumverständnisses. Dem Islam ist ein<br />

Raumverständnis eigen, welches sich vom römischen und christlichen<br />

grundsätzlich unterscheidet. Gewisse Eigenheiten dieses<br />

Raumverständnisses – der Raum als Kontinuum und der fließende Übergang<br />

zwischen Landschaft und gebautem Raum – wurden in der Villenarchitektur<br />

ausgeprägt und lassen sich hier besonders deutlich nachvollziehen. Gefragt<br />

wird dabei nach dem zugrunde liegenden Menschenbild und der Beziehung<br />

zwischen Mensch und Raum.<br />

- Rolle der Villen innerhalb islamischer Palastlandschaften. Islamische Fürsten<br />

der Iberischen Halbinsel hatten in der Regel mehrere Residenzen<br />

unterschiedlichen Charakters, von Stadtpalast über Zitadelle bis Landvilla.<br />

Für die architekturästhetische Entwicklung der Paläste kam den Villen dabei<br />

eine zentrale Rolle zu. Welche Funktion aber hatten diese Villen innerhalb<br />

des Herrschaftssystems? Inwiefern wurde die Architektur der Villen als<br />

Mittel zur Etablierung und Förderung von Bindungen zwischen dem<br />

Herrscher und seiner Klientel – den Mitgliedern der von ihm abhängigen<br />

Führungsschicht – genutzt?<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Felix Arnold (E-Mail: arnold@madrid.dainst.org)<br />

HEINZ-JÜRGEN BESTE (Abteilung Rom)<br />

Die Kaiserresidenz Domus Aurea in Rom<br />

Nach dem großen Brand in Rom 64 n. Chr. ließ Nero in kürzester Zeit und mit<br />

einem Geldaufwand, der die Staatskasse auf Jahre hinaus belastete, bis zu<br />

seinem Tod im Jahr 68 n. Chr. eine neue Kaiserresidenz errichten, die weitaus<br />

größer und luxuriöser war; als die vorherigen Anlagen Domus Tiberiana und<br />

Domus Transitoria. Die sich auf ca. 80 Hektar verteilende Anlage zwischen<br />

Palatin, Oppius und Caelius umfasste neben dem eigentlichen Residenzgebäude<br />

einen künstlichen See, an dessen Stelle heute das Colosseum steht, ein<br />

gigantisches Nymphaeum, Portiken und Gartenanlagen. Der ganze Komplex,<br />

der zum Zeitpunkt des Todes Neros noch nicht fertig gestellt war, zählt mit den<br />

Palastanlagen auf dem Palatin sowie mit der Domitiansvilla in Castel Gandolfo<br />

und der Hadriansvilla bei Tivoli zum Inbegriff einer Kaiserresidenz.<br />

Da Repräsentation ein in seinen Zielen zeit- und raumunabhängiges Anliegen<br />

der Mächtigen ist, in seiner konkreten materiellen Umsetzung dagegen durch<br />

den jeweiligen historischen und kulturellen Kontext geprägt wird, eignet sich<br />

die Domus Aurea besonders für eine Untersuchung zum Thema Residenz und<br />

Herrschersitze. Schon die Standortwahl (nicht auf dem Palatin, sondern an den<br />

Hängen des Colle Oppio) macht deutlich, dass es dem Auftraggeber bei der<br />

Konzeption der Anlage speziell um eine neue Palastanlage ging, die sich der<br />

bisherigen architektonischen Formensprache, den historischen und politischen<br />

Implikationen (mithin dem genius loci des Palatin) entledigen bzw. diese<br />

übertreffen wollte.<br />

Stand: 11/2007 97


Bei dem Vorhaben geht es darum nicht allein um die Dokumentation und<br />

Bauuntersuchungen am Residenzgebäude der Domus Aurea selber, vielmehr<br />

soll die gesamte Anlage des neronischen Projektes mit all seinen baulichen und<br />

inhaltlichen Konnotationen untersucht werden. Trotz zahlreicher fast alle<br />

Themen der Archäologie abdeckender Untersuchungen und Studien zur Domus<br />

Aurea sind die Gestalt und die Funktion von weiten Teilen der Anlage noch<br />

ungeklärt. Unkenntnis besteht auch über ihre Entstehungsgeschichte,<br />

Umstrukturierung und Umnutzung nach dem Tod Neros. Insbesondere ist das<br />

Verhältnis zu den Bauten, die vor dem Brand (64 n. Chr.) an der Stelle der<br />

Domus Aurea standen und die teilweise in das Projekt integriert wurden,<br />

unklar, wie auch ihre Umbauphasen bis zur Errichtung der Trajansthermen<br />

(offizielle Einweihung 109 n. Chr.) kaum bestimmt sind.<br />

In einem zweiten Schritt soll die Domus Aurea mit dem Konglomerat von<br />

Palastanlagen auf dem Palatin und den ihr zeitlich nachfolgenden<br />

Kaiserresidenzen in Castel Gandolfo (Domitian) sowie bei Tivoli (Hadrian)<br />

verglichen werden. Hier wird verschiedenen Fragestellungen nachzugehen<br />

sein: In welcher Weise wird über Herrschersitze die Kommunikation zwischen<br />

Herrscher und Untertanen geregelt? Wieweit dienen sie als „Laboratorium“ für<br />

die Gestaltung bestimmter für den jeweiligen Herrscheranspruch gültiger<br />

Konzepte? Sind überall bei den Residenzanlagen (Castel Gandolfo und Tivoli)<br />

die architektonischen Ausdrucksformen der Herrschaft im engeren und<br />

weiteren Raum im Wesentlichen die gleichen, oder sind die Architekturen, weil<br />

Herrschaft eben nicht gleich Herrschaft ist, stets verschieden? Und wenn<br />

letzteres, dann gänzlich oder nur in mehr oder minder bedeutenden Teilen?<br />

Werden die stets gleichen Elemente nur jeweils neu kombiniert? Lassen sich im<br />

urbanen bzw. extraurbanen Kontext dieselben architektonischen<br />

Grundelemente finden? Wie verhalten sich die privaten und öffentlichen<br />

Bereiche der jeweiligen Residenz zueinander? Wird stets zwischen Innen und<br />

Außen, Privatem und Öffentlichem differenziert? Ist Macht auch immer Pracht,<br />

ist überall die Demonstration von Macht durch die Größe des Bauwerks und die<br />

Kostbarkeit der Materialien festzustellen? Schlagen sich die persönlichen<br />

Charaktere der einzelnen Kaiser und ihre Rolle, die sie spielen, auf die<br />

Konzeption der Anlage nieder – z. B. diejenige des „Gelehrten“, was zum<br />

entsprechenden Raum führt, dem studiolo? Ist die Konzeption innovativ oder<br />

wird auf ein traditionelles Raumschema zurückgegriffen? Sollen Kontinuität und<br />

pietas demonstriert werden oder, wie im Falle der Doums Aurea, der Beginn<br />

eines neuen Zeitalters? Wie steht es mit Nähe und Distanz, Sichtbarkeit und<br />

Entrückung? Bestimmt distanzierendes Zeremoniell den Bau oder stufenlose<br />

Offenheit?<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Heinz-Jürgen Beste (E-Mail: beste@rom.dainst.org)<br />

GERDA VON BÜLOW (RGK), ULRIKE WULF-RHEIDT (Zentrale)<br />

Der spätantike Kaiserpalast Felix Romuliana bei Gamzigrad / Serbien<br />

Die ca. 200 x 200 m große Palastanlage Felix Romuliana bei Gamzigrad /<br />

Serbien ist im Unterschied zum gut vergleichbaren Diokletianspalast in Split /<br />

Kroatien in nachantiker Zeit nie überbaut worden. Sie liegt eingebettet in eine<br />

hügelige Landschaft am Rande des serbischen Erzgebirges (in den<br />

nachpalastzeitlichen Siedlungen wurde auch in größerem Umfang Metallurgie<br />

betrieben). Mit der Grenzregion an der unteren Donau ist Romuliana durch das<br />

Flusstal des Timok verbunden.<br />

Stand: 11/2007 98


Seit mehr als 50 Jahren werden Ausgrabungen durchgeführt, und wesentliche<br />

Teile der Innenbebauung sind bereits freigelegt worden. Durch eine hier<br />

gefundene Inschrift und das überlebensgroße Porphyrporträt des Kaisers<br />

Galerius (293 – 311 n. Chr.) ist Romuliana als Herrschersitz / Palast gut<br />

definiert. Die bereits bekannte Innenbebauung eignet sich hervorragend als<br />

Ansatzpunkt für die Untersuchung von spätantiker Herrschaftsarchitektur als<br />

politischem und sozialem Raum.<br />

Fragestellung<br />

Nach außen präsentiert sich Romuliana durch eine überdimensionierte<br />

Umfassungsmauer mit dominant vorspringenden Türmen und reich dekorierten<br />

(u. a. mit „politischen“ Reliefs) Toren. Der Fernwirkung diente ein auf einer<br />

Passhöhe gelegenes Tetrapylon. Von hier aus bestand auch eine Verbindung<br />

bis in die Limeszone an der unteren Donau – einem politischen Raum par<br />

excellence.<br />

In der unmittelbaren Umgebung des Palastes sind außer einem großen<br />

Speicherbau und einem Objekt unbekannter Funktion bislang keine markanten<br />

Siedlungsstrukturen zutage gekommen. War diese sehr auf Außenwirkung<br />

bedachte Anlage tatsächlich als der selbstgenügsame Ruhesitz des Kaisers am<br />

(nach den Quellen nicht genau lokalisierbaren) Ort seiner Geburt (einige<br />

Mauerzüge im Innern werden als Reste der bäuerlichen Villa seiner Eltern<br />

gedeutet) konzipiert? Oder ist nicht vielmehr zu erwarten, dass die sich in der<br />

Architektur ausdrückende Herrscher- und Herrschaftsideologie auch auf die<br />

unmittelbare Umgebung ausstrahlen sollte? Und wie war diese Mikroregion<br />

strukturiert und in Wechselbeziehung mit dem Palast organisiert?<br />

Aufgrund des guten Erhaltungszustandes lässt sich im Vergleich mit anderen<br />

spätantiken und hier besonders den tetrarchischen Residenzen auch die Frage<br />

klären, ob es wirklich eine neue Programmatik in der spätantiken<br />

Palastbaukunst gab, wie dies Beat Breank postuliert hat, oder sich nicht doch<br />

Gemeinsamkeiten und Traditionslinien wiederfinden lassen. Wie spiegelt sich<br />

das neue Herrschaftsverständnis der spätantiken Kaiser in einer politisch<br />

schwierigen Umbruchszeit architektonisch wieder.<br />

Methode und Perspektiven<br />

Um diesen Fragen nachzugehen, soll im Rahmen eines deutsch-serbischen<br />

Kooperationsvertrages die bereits begonnene geophysikalische Prospektion in<br />

Verbindung mit archäologischen Detailunter-suchungen im Umfeld der<br />

Palastanlage weiter ausgedehnt werden. Als Grundlage wurde, basierend auf<br />

einem einheitlichen Messnetz erstmals eine systematische Bauaufnahme des<br />

gesamten Palastareals und der Monumente auf dem Grabhügel im Osten<br />

angefertigt und diese in einen Umgebungsplan integriert. Die so gewonnenen<br />

Daten bilden zusammen mit den Forschungsergebnissen im Palastinnern die<br />

Grundlage für ein komplexes GIS.<br />

Der auf diese Weise definierte politische Raum „Romuliana“ kann einerseits in<br />

seiner inneren Struktur mit dem Kaiserpalast als Zentrum untersucht und<br />

dargestellt werden, und er kann als Referenz zur Interpretation vergleichbarer<br />

Objekte im spätrömischen Reich dienen. Andererseits lässt sich auch die<br />

Mikroregion „Kaiserpalast“ in Beziehung setzen zu dem politischen Großraum<br />

der Limeszone an der unteren Donau bzw. der Grenzprovinz Dacia ripensis.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Gerda von Bülow (E-Mail: vonbuelow@rgk.dainst.de)<br />

Dr.-Ing. Ulrike Wulf-Rheidt (E-Mail: uwr@dainst.de)<br />

Stand: 11/2007 99


RUDOLF HAENSCH, ROLAND FÄRBER (AEK)<br />

Administrative Räume der römischen Reichsverwaltung in Kaiserzeit<br />

und Spätantike<br />

Die jüngste Forschung revidierte die vor allem von F. Millar und seinen<br />

Schülern vertretene primitivistische Sicht von der Verwaltung des Römischen<br />

Reiches, nach welcher der Kaiser und eine Handvoll aristokratischer Amateure<br />

die Geschicke eines Großreiches weitgehend alleine geleitet hätten. Es gelang<br />

der Nachweis, dass sich die Vertreter Roms zumindest seit der Hohen<br />

Kaiserzeit auf umfangreiche schriftliche Unterlagen und ein erhebliches<br />

subalternes Personal stützten. Gerade in der praktischen Arbeit bildeten sich<br />

bürokratische Strukturen heraus, wie z. B. die selbständige Erledigung von<br />

anliegenden Entscheidungen durch Untergeordnete.<br />

Noch nicht systematisch nachgegangen wurde aber der Frage, welche bauliche<br />

Infrastruktur (Archivräume, Gerichtssäle, Amtslokale für subalternes Personal<br />

etc.) sich diese entstehende Administration schuf bzw. inwieweit sie sich<br />

weiterhin im allgemein zugänglichen öffentlichen Raum vollzog. Bisher wurde<br />

immer nur im Zusammenhang mit einzelnen archäologischen Funden darüber<br />

diskutiert, wie eine Benefiziarierstation aussah, welche Räumlichkeiten eines<br />

Kaiserpalastes oder eines Statthalterprätoriums administrativen Zwecken<br />

gedient haben könnten etc. Solche Einzelbefunde und -interpretationen sollen<br />

im Rahmen dieses Forschungsvorhabens einmal grundsätzlich<br />

zusammengestellt und kritisch gesichtet werden. Einen methodisch<br />

zuverlässigen Ausgangspunkt bieten jene Fälle, in denen die Funktion eines<br />

bestimmten Raumes durch Inschriftenfunde zweifelsfrei zu identifizieren ist<br />

(wie z. B. die Räume für officiales in den praetoria von Apulum und Caesarea<br />

Iud.). Einen weiteren Ausgangspunkt bieten die den literarischen,<br />

papyrologischen und epigraphischen Quellen zu entnehmenden Hinweise auf<br />

entsprechende Bauten und ihre Charakteristika, die das Projekt ebenfalls<br />

erstmals umfassend aufarbeiten will. Auf Basis dieser Sammlung von<br />

archäologischen Befunden und literarischen, epigraphischen und<br />

papyrologischen Quellen lässt sich z. B. untersuchen:<br />

- Für welche administrativen Zwecke entstanden zu welchem Zeitpunkt in<br />

welchen Anlagen separate Räumlichkeiten?<br />

- Welche Funktionen wurden weiterhin lange Zeit im allgemein zugänglichen<br />

öffentlichen Raum vollzogen?<br />

- Wie waren die speziell administrativen Zwecken zugeordneten Räume im<br />

Innern gestaltet und welchen Tätigkeiten wurde in ihnen nachgegangen?<br />

- Gab es fließende Übergänge zu Räumen mit privater oder kultischer<br />

Funktion wie z. B. die areae sacrae bei Benefiziarierstationen?<br />

- Wie verhalten sich die Ergebnisse zu dem, was über entsprechende Bauten<br />

in anderen vormodernen Gesellschaften bekannt ist?<br />

Im Rahmen des Clusters diskutiert das Forschungsprojekt ein zentrales Beispiel<br />

für den nicht-statischen Charakter eines bestimmten Typs von politischen<br />

Räumen. Was ursprünglich im allgemein zugänglichen öffentlichen Raum oder<br />

gar im privaten erledigt wurde, wobei man sich höchstens mit Gittern oder<br />

ähnlichem abgrenzte, verlagerte sich allmählich in geschlossene,<br />

zugangskontrollierte Räume. Die Gründe für diesen Wandel und die sich darin<br />

widerspiegelnden Vorstellungen von der für einen solchen Tätigkeitsort<br />

angemessenen Gestaltung bieten ein wichtiges Beispiel für Mentalitätswandel<br />

in einer historischen Gesellschaft.<br />

Dass es feste, administrativen Zwecken dienende Räume gab, ist für<br />

vormoderne Gesellschaften keine Selbstverständlichkeit. Es wäre zu erörtern,<br />

Stand: 11/2007 100


inwieweit solche Räume auch für die anderen im Cluster vertretenen Projekte,<br />

die sich archäologisch mit Herrschaftszentren auseinandersetzen, eine Rolle<br />

spielen. Es könnte sich ein sehr fruchtbarer Dialog über die Grenzen von<br />

Epochen und Disziplinen hinweg zu den Charakteristika von Herrschaftszentren<br />

in vormodernen Gesellschaften entwickeln. Im Einzelnen erhofft sich das<br />

Forschungsprojekt vom Austausch mit den anderen Clusterteilnehmern eine<br />

Reihe von Hinweisen, insbesondere auch auf relevante, jedoch bisher<br />

überhaupt nicht oder nur unzureichend publizierte Grabungsergebnisse. Aus<br />

den im Rahmen des Projektes gesammelten schriftlichen Quellen dürfte sich<br />

eine Reihe von Anhaltspunkten für die grundsätzliche Interpretation von<br />

einschlägigen Grabungsbefunden ergeben, die dann wiederum den mehr<br />

archäologisch ausgerichteten Projekten zu Gute kämen.<br />

Ansprechpartner:<br />

Mag. Roland Färber (E-Mail: faerber@aek.dainst.de)<br />

HENNER VON HESBERG (Abteilung Rom)<br />

Die Villa des Domitian in Castel Gandolfo (Albanum Domitiani)<br />

Forschungsanliegen des Projekts<br />

In dem Projekt sollen bestimmte Raumdispositionen innerhalb und außerhalb<br />

der Herrschersitze unter der Frage analysiert werden, wie sich an ihrer<br />

Gestaltung die Kommunikation zwischen Herrscher und Untertanen ablesen<br />

lässt. Da die Hinweise in der antiken Literatur zu diesem Fragenkomplex für<br />

weite Bereiche eher dürftig ist, auf der anderen Seite wegen der jeweils<br />

unterschiedlichen Beurteilung der Herrscher im Urteil ihrer Nachwelt<br />

vorbelastet und dadurch bisweilen extrem widersprüchlich ist, kommt der<br />

archäologischen Überlieferung zu dieser Frage eine zentrale Bedeutung zu.<br />

Dabei ist von vornherein nicht zu erwarten, dass sich das Verhältnis von<br />

Herrscher zu Untertanen in der Architektur einfach abbildet. Vielmehr schafft<br />

die Architektur und die sie umgebende Landschaft Räume, innerhalb derer<br />

Kommunikation strukturiert wird. Dabei hat es je nach Konstellation<br />

unterschiedliche Diskursfelder gegeben, für die die Architektur den Rahmen<br />

bildete. Diese Diskursfelder sind aber nun wiederum nicht einfach mit den<br />

Räumen kongruent, sondern überlagern sich gegenseitig. Entscheidend für eine<br />

historische Beurteilung der Bedeutung der Räume sind in diesem<br />

Zusammenhang die Verlagerungen bestimmter Qualitäten.<br />

Villen dienen von ihrer Definition her traditionell dem Rückzug auf das Land<br />

vom politischen Leben in der Stadt. Sie sollen also eigentlich Abgeschlossenheit<br />

und ein Feld für otium schaffen, bekanntermaßen nicht Freizeit, sondern Pflege<br />

eines vom Alltagsgeschäft abweichenden Lebensideals. Dieses römische<br />

Lebensideal war von griechischen Bildungsinhalten besetzt. Damit aber stellt<br />

sich die Frage, wie ein Herrscher, dem von der Definition seiner Aufgaben her<br />

eigentlich kein Rückzug vom politischen Leben möglich ist, sich in seiner Villa<br />

einrichten kann. In seinem Umfeld müssen die traditionell mit den Villen<br />

verbundenen Diskurse neu definiert werden.<br />

Als Beispiel sei hier der Bildungsdiskurs genannt, der sich etwa in den Villen<br />

der römischen Nobilität schlechthin, aber dann besonders in den Villen der<br />

Kaiser in der Adaption griechischer Literatur, bildender Kunst und als<br />

angemessen empfundener Lebensformen manifestierte. Während die früheren<br />

Kaiservillen unseres Wissens keine Theater enthielten, wird in der Villa des<br />

Domitian in Castel Gandolfo zum ersten Mal ein äußerst aufwendiger Bau<br />

Stand: 11/2007 101


dieser Art errichtet. In der Villa des Hadrian bei Tivoli sind gleich zwei<br />

Theaterbauten bezeugt.<br />

Als ein zweites, stärker rituell bestimmtes Feld sei die salutatio angeführt, der<br />

Morgenempfang durch den Patron, aber in der Folge auch andere Empfänge.<br />

Als dafür geeigneter Bau konnte die Kryptoportikus in der Villa von Castel<br />

Gandolfo wahrscheinlich gemacht werden, die deutlich von Zuschnitt,<br />

Gestaltung und Einbettung in den Kontext die Veränderungen anzeigt. Denn<br />

die Konfrontation zwischen Patron und Klientel ist hier einem Beisammensein<br />

der Mitglieder der Klientel gewichen, bei dem der Patron, eben in seiner<br />

eigenen Villa Domitian, in weiter Ferne entrückt erscheint.<br />

In diesen Bereichen werden jeweils in unterschiedlichen Bereichen der Villa das<br />

Verhältnis vom Herrscher und seinem Publikum auf Möglichkeiten hin<br />

untersucht, wie mit Hilfe der Räume Kommunikation strukturiert wurde.<br />

Der eigentliche Kern der Villa, also der Bereich, in den der Kaiser sich<br />

möglicherweise zurückzog, ist so gut wie unbekannt. An der Gestaltung dieses<br />

Bereichs müsste sich ablesen lassen, ob der Kaiser innerhalb seiner Villa<br />

sozusagen in zwei Welten lebte, die eine der Außenwelt zugewandt und die<br />

andere seinen privaten Interessen vorbehalten, oder ob seine neue Stellung<br />

nicht auch diese Sphäre erfasste. Dies legen die weiteren Zeugnisse zumindest<br />

nahe. Dabei aber ist wiederum weniger entscheidend, ob es überhaupt eine<br />

private Sphäre eines Kaisers gab, sondern eher, wie dann dieser Bereich<br />

ausgestaltet war und welche Funktionen der Kernbereich einer Villa zu erfüllen<br />

hatte. Bisher erlaubte die mangelnde Dokumentation der Reste und die<br />

Unzugänglichkeit des Terrains nur sehr allgemeine Vermutungen. Deshalb<br />

sollen die vorhandenen Mauerzüge, soweit sie sich im Gelände ausmachen<br />

lassen, entweder photogrammetrisch dokumentiert bzw. mit geodätischen<br />

Methoden eingemessen werden. Dies ist 2006 durchgeführt worden, wobei die<br />

endgültige Auswertung vor allem der photogrammetrischen Arbeiten sich<br />

erfahrungsgemäß über einen längeren Zeitraum erstrecken werden. Für die<br />

übrigen Bereiche wird eine Prospektion mit geophysikalischen Methoden<br />

angestrebt, wofür 2006 Probemessungen durchgeführt wurden. Die endgültige<br />

Aufnahme der mittleren Terrasse soll 2007 erfolgen.<br />

Auf diese Weise wird es möglich sein, den Charakter der Anlagen im nördlichen<br />

Kernbereich der Villa besser zu bestimmen. Denn über die Kombination der<br />

Daten aus der photogrammetrischen Bauaufnahme und der Bodenprospektion<br />

sollte sich etwa die Form der Portikus in diesem Bereich in wesentlichen<br />

Bestandteilen klären lassen. Gleiches gilt für die Apsidenkonstruktion, deren<br />

Bezug zur Kryptoportikus dabei deutlich werden müsste. Denn die Achse dieser<br />

Apsis liegt in Höhe des Abschlusses des Ganges, der Apsidensaal könnte also<br />

gleichsam den Zielpunkt innerhalb dieser Raumfolge gebildet haben. Wenn es<br />

sich derart verhielte, ergäbe sich insgesamt eine ähnliche Konstellation wie auf<br />

dem Palatin, mit einer Abfolge großräumiger Anlagen auf der einen Seite (sog.<br />

Domus Flavia) und einer Serie kleinteiliger Räume, die um große Peristyle<br />

gelegt sind, auf der anderen (sog. Domus Augustana).<br />

Zusätzlich können einzelne, in dem genannten Terrain der Villa in Castel<br />

Gandolfo früher durchgeführte, aber niemals ausgewertete Grabungen<br />

vielfältige Einblicke in die Ausstattung der einzelnen Bauten gewähren. Es<br />

lassen sich schon jetzt von ihrer Ausstattung her Versorgungsgänge von<br />

repräsentativen Trakten unterscheiden. Möglicherweise haben wir<br />

Konstellationen vor uns, wie sie später in anderer Weise aus der Villa des<br />

Hadrian in Tivoli bekannt sind.<br />

Erst die Erfassung dieses Areals also könnte die räumliche Binnenstruktur der<br />

Kaiservilla wirklich deutlich machen, wobei die Binnengliederung sowohl die<br />

Diskursfelder anzeigen könnte, die die Gestaltung der Villen bestimmten, wie<br />

Stand: 11/2007 102


vor allem auch die Art, in der diese Diskurse im Umfeld des Herrschers<br />

transformiert wurden, um seinen Herrschaftsanspruch zu stabilisieren und zu<br />

stärken.<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Henner von Hesberg (E-Mail: hesberg@rom.dainst.org)<br />

JOSEPH MARAN, ULRICH THALER (Abteilung Athen)<br />

Tiryns. Transformationen des sozialen und politischen Raumes von der<br />

mykenischen Palastzeit zu den „Dunklen Jahrhunderten“<br />

Einleitung<br />

Das Vorhaben beruht auf der Überlegung, dass es unzureichend ist, die<br />

„gebaute Umwelt“ auf ihren Charakter als Widerspiegelung bestimmter<br />

Konzepte und Wertvorstellungen zu reduzieren. Bleibt man bei diesem Aspekt<br />

stehen, so entsteht der Eindruck, Architektur fungiere als eine Art<br />

„versteinerter Ideologie“, ein essentialistischer Standpunkt, der insinuiert,<br />

Architektur würde ein unabänderlicher und für sich selbst sprechender<br />

Bedeutungsgehalt innewohnen (Maran 2006a). Dem widerspricht jedoch allein<br />

schon der Befund, dass ein Raum, der durch die gleichen architektonischen<br />

Formen umschrieben wird, in unterschiedlichen kulturellen und zeitlichen<br />

Zusammenhängen ganz verschiedene Bedeutungen annehmen kann. Dies ist<br />

auch die Ursache, warum Raum nicht wie ein Text „gelesen“ werden kann. Die<br />

entscheidende Frage ist, wie Raum „produziert“ wurde (Lefebvre 1991), d. h.<br />

wie unter spezifischen historischen und politischen Rahmenbedingungen die<br />

ursprünglich der Architektur eingeschriebenen Bedeutungen wachgerufen und<br />

mobilisiert wurden, um eine bestehende Ordnung zu bestätigen bzw. neu<br />

auszuhandeln und um neue Synthesen, wie der architektonische Raum<br />

interpretiert und genutzt werden sollte, entstehen zu lassen. Eine<br />

Beantwortung dieser Frage setzt voraus, Architektur und soziales Handeln als<br />

untrennbar miteinander verbundene Größen einer „Dualität von Raum“ (Löw<br />

2001) aufzufassen. Der architektonische Raum ist nämlich in gleichem Maße<br />

ein Produkt bestimmter sozialer und politischer Rahmenbedingungen, wie<br />

umgekehrt die Gesellschaft und ihre Handlungsabläufe durch diesen Raum<br />

geformt werden.<br />

Aus zwei Gründen eignet sich Tiryns in besonderem Maße als Ansatzpunkt für<br />

ein Vorhaben, das die Veränderungen des sozialen und politischen Raumes in<br />

Griechenland etwa zwischen dem 14. und dem 11. Jh. v. Chr. zum Gegenstand<br />

hat. Zum einen ist Tiryns von allen mykenischen Zentren der Palastzeit (ca.<br />

1400-1200 v. Chr.) das einzige, das auch noch nach dem ausgedehnten<br />

Zerstörungshorizont um 1200 v. Chr., der der mykenischen Palastgesellschaft<br />

ein Ende bereitete und die „Dunklen Jahrhunderte“ einleitete, Anzeichen für<br />

den Versuch einer Wiederherstellung einer politischen Zentralgewalt sowie für<br />

architektonische Neuplanungen aufweist. Der Ort bietet damit die seltene<br />

Möglichkeit, den Wandel des architektonischen Raumes in unterschiedlichen<br />

politischen und sozialen Konstellationen zu untersuchen. Zum anderen wurde<br />

der Ort in historischer Zeit nicht nennenswert überbaut. Die Reste der<br />

aufeinander folgenden mykenischen Siedlungen liegen folglich in den meisten<br />

Zonen unmittelbar unter der heutigen Erdoberfläche und bilden ein noch<br />

weitgehend unerschlossenes Archiv zu Wirtschaft und Gesellschaft des frühen<br />

Griechenlands.<br />

Das Vorhaben besteht aus drei Teilprojekten, von denen sich zwei mit der<br />

Palastzeit, das dritte mit der Nachpalastzeit beschäftigt.<br />

Stand: 11/2007 103


Palastzeit<br />

Die im 14. und 13. Jh. v. Chr. errichteten Paläste der mykenischen Kultur<br />

repräsentieren ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die enge Verbindung<br />

zwischen architektonischem Raum, Bildprogrammen und sozialem Handeln. Es<br />

gibt klare Indizien dafür, dass diese Anlagen bis ins kleinste Detail geplant und<br />

für bestimmte Formen von rituellen Handlungsabläufen, unter denen<br />

Prozessionen eine überragende Rolle gespielt haben, gleichsam<br />

maßgeschneidert wurden. An anderer Stelle wurde dargelegt (Maran 2006b),<br />

dass es für eine Untersuchung der Verbindung zwischen Architektur und den<br />

ehemals darin stattfindenden Handlungen sinnvoll ist, sich dem aus den<br />

Theaterwissenschaften entlehnten Konzept des „performativen Raumes“<br />

zuzuwenden. Nach Erika Fischer-Lichte (2004) eröffnet ein performativer Raum<br />

Möglichkeiten für das Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern, für<br />

Bewegung und Wahrnehmung, die er darüber hinaus strukturiert und<br />

organisiert. Wird dieses Konzept auf mykenische Paläste angewandt, so lässt<br />

sich zeigen, dass in ihrer Struktur und dem Programm der Freskendekoration<br />

nicht nur Aspekte des sozialen und religiösen Überbaus, sondern auch<br />

bestimmte Bewegungsabläufe eingeschrieben sind. Die Analyse der Paläste und<br />

ihrer Bilder erlaubt damit nicht nur Rückschlüsse auf die Ideologie der<br />

mykenischen Gesellschaft, sondern auch darauf, wie diese Weltanschauung<br />

durch Rituale, die mit dem umgebenden Raum interagierten, immer wieder von<br />

neuem erzeugt und affirmiert wurden. In jüngster Zeit zutage gekommene<br />

Funde erbringen neue Ansatzpunkte für eine Beurteilung der genannten<br />

Aspekte.<br />

Eben weil im Rahmen einer solchen Betrachtungsweise mykenischer Paläste<br />

den Bildern eine so zentrale Bedeutung zukommt, ist es ein Glücksfall, dass in<br />

den Jahren 1999 bis 2001 bei Ausgrabungen der Vierten Ephorie des<br />

Griechischen Antikendienstes an der Westtreppe von Tiryns unerwartet ein<br />

umfangreicher Bestand von Freskenfragmenten zum Vorschein kam. Bereits<br />

eine erste Durchsicht der mehreren hundert Fragmente zeigte, dass ein Teil<br />

von ihnen an die berühmten Fresken des Jahres 1910 (Rodenwaldt 1912), die<br />

in dem gleichen Areal gefunden wurden (Fries der großen Frauenprozession,<br />

Jagdfries, Hirschfries) anpassen würde, wogegen ein anderer Teil neue Themen<br />

darstellte. Die Ausgräberin, Alkestis Papadimitriou, erklärte sich bereit, die<br />

noch unrestaurierten Freskenneufunde mit J. Maran und U. Thaler im Rahmen<br />

des aus Mitteln des Forschungsclusters „Politische Räume“ finanzierten<br />

Teilprojekts „Bildräume und Raumbilder: Mykenische Paläste als performativer<br />

Raum“ zu bearbeiten, auszuwerten und zu publizieren. Eine weitere<br />

Kooperationspartnerin ist Lena Papazoglou-Manioudaki, die Direktorin der<br />

prähistorischen Abteilung des Athener Nationalmuseums, denn im Zuge der<br />

Aufarbeitung der Neufunde müssen auch die alten Freskenfunde in die<br />

Bearbeitung einbezogen werden, um Kompositionen zu vervollständigen.<br />

Bei dem neuen Tirynther Freskenfund handelt es sich um den derzeit größten<br />

Bestand unpublizierter palatialer Fresken der mykenischen Kultur. Nach<br />

Restaurierung der Fresken eröffnet sich die Chance, in Zusammenschau mit<br />

den im Athener Nationalmuseum gelagerten Altfunden die Bilderwelt des<br />

Palastes von Tiryns zu rekonstruieren und im Vergleich zu dem Palast von<br />

Pylos (Thaler 2006), dem einzigen anderen mykenischen Palast, dessen<br />

Fresken zu großen Teilen erhalten blieben, neue Einblicke in<br />

Freskenprogramme und ihr Zusammenspiel mit Herrschaftsausübung und<br />

sozialem Handeln gewinnen.<br />

Stand: 11/2007 104


Das zweite mit der Palastzeit befasste Teilprojekt bildet das von U. Thaler<br />

verfolgte Promotionsvorhaben „Architektur der Macht – Macht der Architektur:<br />

Mykenische Paläste als Dokument und Gestaltungsrahmen frühgeschichtlicher<br />

Sozialordnung“, eine über Tiryns hinausgreifende Studie der sozialen<br />

Bedeutung und Wirkung mykenischer Palastarchitektur. Bislang hat die neuere<br />

Forschung zur Sozialgeschichte der mykenischen Zeit die Architektur der<br />

Paläste als Quelle weitestgehend vernachlässigt; ebenso haben Arbeiten zur<br />

Architektur dieser Baukomplexe sozialhistorische Fragestellungen<br />

ausgeklammert. Ziel der Arbeit ist es, diese Lücke zu schließen und das<br />

erhebliche sozialhistorische Aussage- und Interpretationspotential der<br />

mykenischen Paläste zu erschließen. Grundlegend hierfür ist ein Verständnis<br />

der archäologisch überlieferten Baubefunde sowohl als Ausdruck als auch als<br />

Gestaltungsrahmen vorgeschichtlicher gesellschaftlicher Bedingungen.<br />

Methodisch stellt die Untersuchung der architektonischen Grundstruktur eines<br />

Baukomplexes als kommunikative Struktur und als räumlicher Rahmen sozialer<br />

Begegnung und Interaktion die erste Analyseebene dar. Die zweite<br />

Analyseebene orientiert sich stärker an der Wahrnehmung der<br />

Palastarchitektur durch die zeitgenössischen Nutzer und umfasst<br />

Betrachtungen zur Ausgestaltung des Palastinneren ebenso wie zu<br />

Sichtbereichen innerhalb der Paläste. Die dritte Ebene schließlich beinhaltet die<br />

Interpretation von Fundinventaren.<br />

Diesen drei Analyseebenen stehen in der Gliederung des Stoffes vier<br />

aufeinander aufbauende Hauptarbeitsschritte gegenüber. Der erste<br />

Arbeitsschritt umfasst die detaillierte Untersuchung des durch seine Erhaltung<br />

und wissenschaftliche Dokumentation als Musterbeispiel ausgewiesenen<br />

Palastkomplexes von Pylos. Hierbei wird für die verschiedenen Analyseebenen<br />

ein methodisches Instrumentarium entwickelt (Thaler 2006). Im zweiten<br />

Arbeitsschritt erfolgt eine erste Ausweitung des geographischen<br />

Betrachtungsrahmens auf das von dem untersuchten Palast beherrschte<br />

Territorium. Untersuchungsgegenstand ist hierbei nicht die Palastarchitektur<br />

als solche, sondern ihr sozio-geographischer Kontext, das Netzwerk für die<br />

Gemeinschaft bedeutsamer Orte, in dem sie ihre Wirkung entfalten konnte. Die<br />

weiteren Palastanlagen des mykenischen Kulturbereichs werden im dritten<br />

Arbeitsschritt untersucht. Hierbei sind in von Ort zu Ort verschiedenen<br />

Einzelbereichen detailliertere Betrachtungen möglich, die das bereits<br />

gewonnene Verständnis der sozialen Funktionsweise der Paläste teils ergänzen,<br />

teils auch – im Lichte regionaler Eigenheiten – korrigieren. Im abschließenden<br />

vierten Arbeitsschritt wird das so gewonnene Bild in seinen interkulturellen<br />

Kontext gestellt. Dies ist von besonderem Interesse, da die Kulturen der<br />

nahöstlichen Staatenwelt, mit denen der mykenische Kulturbereich in Kontakt<br />

stand, über eine umfangreichere schriftliche Überlieferung verfügen. Vor allem<br />

dort, wo diese mit den architektonischen Überresten der Herrschersitze in<br />

Bezug gesetzt werden kann, sind auf dem Wege des Vergleichs der<br />

archäologischen Hinterlassenschaft interessante Rückschlüsse auf den<br />

mykenischen Bereich zu erwarten.<br />

Nachpalastzeit<br />

Eine zentrale Frage ist, was nach der großen Katastrophe, die um 1200 v. Chr.<br />

den mykenischen Palästen ein Ende bereitete, an die Stelle des für die<br />

ausgehende Palastzeit kennzeichnenden Zusammenspiels zwischen<br />

architektonischem Raum, Bildprogrammen und sozialer Kommunikation trat.<br />

Seit dem 1998 erbrachten Nachweis, dass ein in der Ruine des Großen<br />

Megarons von Tiryns errichteter Antenbau kein eisenzeitlicher Tempel, sondern<br />

ein letztes mykenisches Megaron war, steht fest, dass an wenigstens einem<br />

Stand: 11/2007 105


Ort nach der Katastrophe versucht wurde, architektonisch den Platz des<br />

ehemals wichtigsten Palastgebäudes wiederzubesetzen. Dabei wurden zentrale<br />

Symbole der vorherigen religiösen und politischen Ordnung, wie der Thronplatz<br />

und ein Altar im Hof, in die Neuplanungen einbezogen. Tiryns ist damit das<br />

einzige mykenische Palastzentrum Griechenlands, in dem sich über die große<br />

Katastrophe hinweg im Herzen des Palastes Anzeichen eines Anknüpfens an die<br />

Verhältnisse, die vor 1200 v. Chr. geherrscht haben, beobachten lassen. Trotz<br />

dieser Bezugnahme auf die Palastzeit dürfte aber die Intention der Nutzung im<br />

12. Jh. v. Chr. wohl eine ganz andere gewesen sein. Der Neubau des Megarons<br />

erhielt nicht den Charakter einer Herrscherresidenz, sondern eher den einer<br />

Halle, in der sich die Gemeinschaft zu bestimmten Anlässen unter Leitung des<br />

auf dem Thron sitzenden Anführers zusammenfand. Verschwunden war auch<br />

die Freskenausschmückung, und dies, obwohl sich andernorts der Nachweis<br />

erbringen lässt, dass, allerdings sehr selten, auch noch im 12. Jh. v. Chr.<br />

qualitativ hoch stehende Freskenmalerei ausgeübt wurde. Die wahrscheinliche<br />

Deutung für das viel seltenere Auftreten von Fresken in der Nachpalastzeit<br />

besteht darin, dass Bildern unter den veränderten sozialen Verhältnissen eine<br />

neue Bedeutung zukam (Maran 2006c).<br />

Zur gleichen Zeit, als auf der Oberburg dieses letzte Megaron entstand,<br />

vollzogen sich im Gebiet der in der Literatur als „Stadt“ bezeichneten<br />

Außensiedlung von Tiryns erstaunliche Veränderungen. Unmittelbar nach 1200<br />

v. Chr., d. h. zu einer Zeit, als alle anderen Zentren Griechenlands aufgelassen<br />

wurden oder in ihrer Größe schrumpften, scheint das Gebiet der Tirynther<br />

Außensiedlung planmäßig erschlossen worden zu sein. Die politischen<br />

Hintergründe dieses Größenwachstums liegen ebenso im Dunkeln wie die Frage<br />

der wirtschaftlichen Grundlage und der ethnischen Zusammensetzung der in<br />

dieser Siedlung lebenden Bevölkerung.<br />

All diese Fragen, die mit den Veränderungen in Tiryns im frühen Abschnitt der<br />

„Dunklen Jahrhunderte“ in Zusammenhang stehen, bilden den Gegenstand des<br />

Teilprojektes „Vergangenheitsbewältigung – Architektur und sozialer Raum im<br />

nachpalatialen Tiryns“<br />

Literatur<br />

Fischer-Lichte 2004 E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen. Edition<br />

Suhrkamp 2373 (2004).<br />

Lefebvre 1991 H. Lebevre, The Production of Space (1991).<br />

Löw 2001 M. Löw, Raumsoziologie. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft<br />

1506 (2001).<br />

Maran 2006a J. Maran, Architecture, Ideology and Social Practice – An<br />

Introduction. In: J. Maran, C. Juwig, H. Schwengel und U.<br />

Thaler (Hg.), Constructing Power. Architecture, Ideology and<br />

Social Practice. Geschichte. Forschung und Wissenschaft 19.<br />

LIT-Verlag (2006) 9-14.<br />

Maran 2006b J. Maran, Mycenaean Citadels as Performative Space. In: ebd.<br />

75-88.<br />

Maran 2006c J. Maran, Coming to Terms with the Past: Ideology and Power<br />

in Late Helladic IIIC. In: S. Deger-Jalkotzy und I.S. Lemos<br />

(Hg.), Ancient Greece: From the Mycenaean Palaces to the Age<br />

of Homer. Edinburg Leventis Studies 3 (2006) 123-150.<br />

Rodenwaldt 1912 G. Rodenwaldt, Tiryns II. Die Fresken des Palastes (1912)<br />

Thaler 2006 U. Thaler, Constructing and Reconstructing Power. The Palace<br />

of Pylos. In: J. Maran, C. Juwig, H. Schwengel und U. Thaler<br />

(Hg.), Constructing Power. Architecture, Ideology and Social<br />

Stand: 11/2007 106


Practice. Geschichte. Forschung und Wissenschaft 19. LIT-<br />

Verlag (2006) 93-111.<br />

Kooperation:<br />

Dr. Alkestis Papadimitriou (4. Ephorie des Griechischen Antikendienstes,<br />

Nafplion), Dr. Lena Papazoglou-Manioudaki (Nationalmuseum Athen, Direktorin<br />

der Prähistorischen Sammlung)<br />

Ansprechpartner:<br />

Prof. Dr. Joseph Maran (E-Mail: m17@ix.urz.uni-heidelberg.de),<br />

Ulrich Thaler M.A. (E-Mail: thaler@athen.dainst.org)<br />

ANDREAS SCHACHNER (Abteilung Istanbul)<br />

Die Hethiterhauptstadt Hattuša-Boğazköy / Türkei<br />

Siehe 3. Forschungsfeld!<br />

SUSANNE SIEVERS, AXEL POSLUSCHNY (RGK)<br />

Frühkeltische Fürstensitze und ihr Umland<br />

Das Projekt ist Teil des DFG-SPP „Frühe Zentralisierungs- und<br />

Urbanisierungsprozesse. Zur Genese und Entwicklung frühkeltischer<br />

Fürstensitze und ihres territorialen Umlandes“, das bis 2010 laufen wird.<br />

Gegenstand des Projektes ist der Vergleich mehrerer frühkeltischer befestigter<br />

Zentralsiedlungen Mitteleuropas aus der Zeit des 6.-4. Jhs. v. Chr., die sich in<br />

der Regel durch Importe aus dem Mittelmeerraum, durch goldreiche Gräber<br />

unter Großgrabhügeln in ihrer nächsten Umgebung, durch die vereinzelte<br />

Übernahme mediterraner Sitten und z. T. durch kultische Einrichtungen<br />

auszeichnen. Sie sollen in ihrem Verhältnis zu ihrem Umland sowie die<br />

einzelnen Umlandregionen vergleichend (auch diachron) untersucht werden.<br />

Wesentliches Arbeitsinstrument ist ein Geographisches Informationssystem;<br />

mit der Durchführung des Projektes wurde A. Posluschny (RGK) betraut. Zu<br />

folgenden Fundorten sind Untersuchungen geplant bzw. bereits in Arbeit:<br />

Maindreieck/Würzburg, Wetterau/Glauberg, Nördlinger Ries/Ipf,<br />

Oberschwaben/Heuneburg, Neckargebiet/Hohenasperg, Oberrhein/Breisach,<br />

Altmühltal, Pfalz/Bad Dürkheim; hinzu kommen Fundorte in Tschechien und<br />

Frankreich.<br />

Das Projekt beschäftigt sich vor allem mit der Analyse sozialer Prozesse in ihrer<br />

Auswirkung auf den Raum. Insofern ist es gerechtfertigt von einem politischen<br />

bzw. sozialen Raum zu sprechen. Die Untersuchungen berücksichtigen auch<br />

den davor liegenden und den nachfolgenden Zeitraum, um die<br />

Zentralisierungsprozesse bzw. deren Auflösungserscheinungen besser<br />

einordnen zu können. Nachdem lange Zeit versucht wurde, über<br />

Modellbildungen das Phänomen der sog. Fürstensitze allgemeingültig zu<br />

erklären, zeichnet sich immer mehr die Individualität der einzelnen Anlagen ab.<br />

Damit rückt die Frage, unter welchen unterschiedlichen Bedingungen es zur<br />

Entwicklung sog. Fürstensitze und damit zur Entstehung sozialer Hierarchien<br />

kommen konnte, in den Mittelpunkt. Hier kommt der Naturraumanalyse (Lage,<br />

Vegetation, Klima, Ressourcen), auch im Sinne von Untersuchungen zur<br />

vorgeschichtlichen Landschaftsauffassung und Landschaftsnutzung<br />

insbesondere des Umfeldes sog. Fürstensitze, eine große Bedeutung zu. So<br />

Stand: 11/2007 107


sollen Sichtbarkeitsanalysen den einsehbaren und damit theoretisch<br />

kontrollierbaren Raum analysieren und damit einen Beitrag zur Frage der<br />

Abgrenzung von Räumen leisten. Sie dienen aber auch dazu, den Raum in<br />

seiner dritten Dimension begreifbar zu machen, etwa was den Lauf der<br />

Gestirne betrifft (Kalendarium Glauberg). Die Landschaft wird hierbei sowohl<br />

hinsichtlich ihrer ökonomischen wie kulturellen Nutzbarkeit als den Menschen<br />

beeinflussendes und von ihm beeinflusstes Medium im Sinne des<br />

angloamerikanischen „perception of landscape“-Ansatzes verstanden. Dem<br />

Gegensatz von z. T. emotionsgerichteten Fragestellungen<br />

(Landschaftsauffassung) und technisch-mathematischen Arbeitsweisen, wie sie<br />

in einem GIS zur Anwendung kommen, soll dabei mit einem Ansatz begegnet<br />

werden, bei dem die erarbeiteten Modelle immer wieder sowohl am<br />

archäologischen Datenbestand hinterfragt als auch mit den Ergebnissen<br />

anderer Projekte im Schwerpunkt (Landschaftsökologie,<br />

Kulturgruppenverbreitung, Fundanalyse etc.) verglichen werden.<br />

Wesentlich ist schließlich das Erkennen von weiträumigen Bezugssystemen<br />

durch eine Untersuchung der Anbindung sog. Fürstensitze an Fernwege oder<br />

ihrer Beziehung zu benachbarten und entfernten Räumen, auch mit Hilfe des<br />

Fundstoffs. Eines der Ziele des Projektes stellt somit die Rekonstruktion<br />

politischer Räume dar.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Susanne Sievers (E-Mail: sievers@rgk.dainst.de)<br />

Dr. Axel Posluschny (E-Mail: posluschny@rgk.dainst.de)<br />

HANS-JOACHIM WEIßHAAR (KAAK)<br />

Frühe historische Stadtentwicklung in Südasien am Beispiel Sri Lanka<br />

Seit 1992 untersucht die KAAK in Zusammenarbeit mit dem Archaeological<br />

Department Sri Lankas in Tissamaharama die Zitadelle und Residenz des<br />

antiken Königreichs Ruhuna im Südosten Sri Lankas.<br />

Zeitgleich mit dem Aufkommen des Buddhismus um 300 v. Chr. bilden sich auf<br />

der Insel neben der Hauptstadt Anuradhapura kleinere, lokale Zentren heraus.<br />

Diese kleineren Fürstentümer finden in der Chronik keine oder kaum<br />

Erwähnung.<br />

Eine Ausnahme ist das Königreich Ruhuna, das für den Beginn der<br />

singhalesischen Kultur und der nationalen Identität eine große Bedeutung hat.<br />

Trotzdem findet es in nachchristlicher Zeit nur noch gelegentlich Erwähnung,<br />

wenn Invasoren aus Indien nach Ceylon gelangten und Herrscher und<br />

vornehme Familien Zuflucht in der Südprovinz fanden.<br />

Die Bedeutung Anuradhapuras als zentraler Ort der Insel zeigt sich in<br />

gewaltigen Bauten (Jetavana Dagoba, Abhayagiri-Kloster), der Ausstattung mit<br />

vorzüglichen Statuen und Reliefs und in der schieren Größe der Stadt (rund 50<br />

km 2 ). Erstaunlich spärlich sind jedoch die Funde einer individuellen Prosperität:<br />

Münzen, Siegel, Importiertes. Archäologische Forschung und schriftliche<br />

Überlieferung zeigen kein einheitliches Bild. Der politische Raum und der<br />

merkantile sind nicht deckungsgleich.<br />

Die Chronik wird der Bedeutung der Südprovinz nicht gerecht. Denn ganz<br />

anders sind die Verhältnisse im südlichen Ruhuna. Die Klöster und ihre Bauten<br />

in Tissamaharama sind zwar sehr viel kleiner (Maha Tupa), die<br />

Statuenausstattung ist bescheidener und die antike Stadt war nur etwa ein<br />

Zehntel so groß. Die Grabung in der Zitadelle erbrachte aber eine Fülle von<br />

Münzen (rund 200 Stück: einheimische, südindische, spätrömische<br />

Stand: 11/2007 108


Bronzemünzen und deren Nachahmungen, zwei aksumitische und eine aus<br />

Judäa) und fast 50 Siegel oder gesiegelte Plomben. Viele Importe<br />

dokumentieren die Fernbeziehungen nach China, Indien, Vorderasien, Persien<br />

und in die Römische Welt. Während der Ausgrabungen fanden sich indische<br />

und chinesische Keramik, Glas- und Karneolperlen aus Indien, grün oder türkis<br />

glasierte parthische, sasanidische und islamische Scherben und römische und<br />

mesopotamische Amphorenfragmente.<br />

Ruhuna ist auch die Landschaft, aus der die großen Hortfunde an Münzen<br />

stammen. Sie enthalten von mehreren hundert bis zu mehreren tausend<br />

Stücken; zumeist spätrömische Prägungen und deren Nachahmungen. Der<br />

größte unter ihnen ist der Hort von Beragama, rund 30 km entfernt von<br />

Tissamaharama, der auf rund 60.000 spätrömische Bronzemünzen geschätzt<br />

wird.<br />

Dem Königreich Ruhuna mit seinen Häfen kommt beim Fernhandel eine<br />

besondere Rolle zu. Die Häfen der Süd- und Südostküste Ceylons boten ideale<br />

Voraussetzungen. Ihnen ist der Vorzug zu geben vor Mantai an der Palk Street,<br />

das in der Forschung bisher als wichtigster antiker Hafen der Insel galt. Die<br />

Landbarriere der Adam’s Bridge verhinderte hier einen durchgehenden<br />

Schiffsverkehr. Alle Güter mussten umgeladen werden. Mantai hatte nur eine<br />

Bedeutung als Sprungbrett nach Südindien und durch die Perlenfischerei.<br />

Offensichtlich waren für den Herrscher in Anuradhapura die politischen und<br />

kulturellen Verbindungen nach Indien wichtiger, als das wirtschaftliche<br />

Zentrum im Süden der Insel.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Hans-Joachim Weißhaar (E-Mail: weisshaar@kaak.dainst.de)<br />

ULRIKE WULF-RHEIDT (Zentrale)<br />

Die Kaiserpaläste auf dem Palatin in Rom, der spätantike Kaiserpalast<br />

von Felix Romuliana<br />

Die Kaiserpaläste auf dem Palatin waren in allen ihren Ausbauphasen<br />

hochkomplexe Gebilde, die den kaiserlichen Hof aufnahmen. Der Palatin war<br />

aber immer mehr als nur ein Konglomerat von Räumen, die für die<br />

Durchführung der Amtsgeschäfte und der Dienstpflichten sowie für das Leben<br />

am Hof geeignet waren. Seine Architektur ist deshalb in die Literatur als<br />

Synonym für Herrschaftsarchitektur ganz allgemein eingegangen. Die<br />

Palastgebäude auf dem Palatin waren aber auch über Jahrhunderte hinweg<br />

Sinnbild für die höchste Macht im Römischen Reich und die Vorherrschaft Roms<br />

in der antiken Welt. Sie waren damit geradezu eine Metapher für die<br />

kaiserliche Präsenz, ja für das Kaisertum ganz allgemein, und damit ein<br />

wesentlicher Bestandteil „symbolischer Politik“.<br />

Abgesehen davon, dass die Entwicklung, das Aussehen und die sozialen und<br />

organisatorischen Strukturen der Kaiserpaläste bisher als wenig erforscht<br />

gelten können, sind an das Projekt grundsätzliche Fragen geknüpft, die für den<br />

Themenkomplex des Clusters „Politische Räume“ allgemein relevant sind:<br />

- Was macht Architektur zu Herrschaftsarchitektur und damit zu einem<br />

politischen Raum? Durch welche Transformationsprozesse konnte sich aus<br />

den aristokratischen Häusern nach der Einrichtung des Prinzipats ein<br />

räumliches und ein soziales Gebilde herausformen, das als <strong>Institut</strong>ion „Hof“<br />

funktioniert und als solche auch wahrgenommen werden konnte. Wie wurde<br />

diese <strong>Institut</strong>ion „Hof“ in der Spätantike auf die Kaiserpaläste außerhalb<br />

Roms übertragen und wie wurden sie rezipiert?<br />

Stand: 11/2007 109


- In wie weit ist ein Raum und damit auch ein Palast ein Produkt sozialer<br />

Interaktion? Wie bedingen politische Interaktionen bestimmte<br />

Raumstrukturen?<br />

Die sozialen und organisatorischen Strukturen der Kaiserpaläste auf dem<br />

Palatin müssen im Kontext der traditionellen städtisch-aristokratisch<br />

geprägten Gesellschaftsverhältnisse sowie der überlieferten politischen<br />

Organisationsstrukturen gesehen werden. Es ist daher zu fragen, wie<br />

veränderte Gesellschaftsverhältnisse auch zu einer Wandlung des<br />

architektonischen Gebildes geführt haben. Und umgekehrt, wie aus<br />

Raumstrukturen auf gesellschaftliche und politische Strukturen geschlossen<br />

werden kann. Wie lässt sich z. B. soziale Hierarchisierung in der Architektur<br />

ablesen?<br />

- Wie wird symbolische Politik in Raumstrukturen transportiert? Wie wurde<br />

diese Symbolik gelesen?<br />

Die Deutung der Paläste als Symbolisierung politischer Herrschaft und<br />

sozialer Distanz erfordert hierfür die Einbeziehung der Stadt als<br />

Referenzpunkt und allgegenwärtigen Horizont, dem gegenüber die Paläste<br />

erst ihr Profil gewannen. Es ist zu fragen, wie sich der Raum Palast im<br />

Stadtraum, im Falle von Felix Romuliana in der Landschaft selbst<br />

reproduziert und vernetzt hat und wie der Betrachter diesen symbolischen<br />

Raum erlebt und wahrgenommen hat.<br />

Das methodische Vorgehen des neuen Forschungsprojektes „Palast und Stadt<br />

im severischen Rom“, das von der Gerda Henkel Stiftung ab 2007 gefördert<br />

wird, ist zum ersten durch die Zusammenarbeit dreier Disziplinen<br />

(Bauforschung, Alte Geschichte, Archäologie) gekennzeichnet. Im Rahmen des<br />

Forschungsclusters ergibt sich die willkommene Möglichkeit, die Ergebnisse im<br />

Vergleich mit anderen Epochen und Kulturen zu diskutieren sowie weitere<br />

Disziplinen mit einzubeziehen. Von besonderem Interesse sind hierfür die<br />

Kulturwissenschaften, Geographie und vor allem Architekturtheorie. Da von der<br />

Seite des Architekturreferats das Projekt vor allem aus dem architektonischen<br />

Blickwinkel angegangen wird, ist von besonderem Interesse, welche<br />

Raumtheorien und -modelle schon erfolgreich auf die Interpretation von<br />

Herrschaftsarchitektur übertragen wurden und wie die Aussagen dann<br />

historisch, archäologisch und bauforscherisch nachgewiesen werden konnten.<br />

Das Konzept der Interpretation der Paläste beruht vor allem auf dem<br />

Hintergrund ihrer Einbindung in ihr bauliches, räumliches, materielles und<br />

politisch-soziales Umfeld: Die Stadt Rom wird dabei als entscheidender, die<br />

Entwicklungen beeinflussender Gegenpol der palatinischen Hof- und<br />

Palaststrukturen verstanden. Der Bezug zwischen Palast und städtischem<br />

Gemeinwesen wird als grundlegend für das Verständnis von Funktion und<br />

Bedeutung der neuentstehenden räumlichen, materiellen und politisch-sozialen<br />

Strukturen auf dem Palatin angesehen. Durch einen Vergleich mit anderen<br />

Herrschaftsarchitekturen, an denen sich solche Interaktionsprozesse ebenfalls<br />

nachweisen lassen, erhoffen wir uns allgemeingültige Kriterien herausfiltern zu<br />

können, mit denen sich der Raum Palast als ästhetisches, soziales und<br />

politisches Phänomen ganz allgemein begreifen lässt. Diese Kriterien sollen<br />

dann am konkreten Beispiel des Palatin wieder überprüft und ausdifferenziert<br />

werden.<br />

Ansprechpartner:<br />

Dr. Ulrike Wulf-Rheidt (E-Mail: uwr@dainst.de)<br />

Stand: 11/2007 110


TORSTEN ZIMMER (Abteilung Istanbul)<br />

Die Basileia von Pergamon<br />

Gegenstand des Projektes sind die Palastanlagen Pergamons, die sich in<br />

exponierter Lage über den nordöstlichen Bereich der Pergamener Oberburg<br />

erstrecken. In hellenistischer Zeit befand sich dort das Zentrum der<br />

attalidischen Königsherrschaft, die sich erst im Zuge der Nachfolge Alexanders<br />

des Großen etablierte. Die als Palast angesprochene Anlage umfasst sechs<br />

Baugruppen, die in ihren Funktionen unterschiedlichen Zwecken dienten. Die<br />

Hauptziele der Untersuchung bestehen darin, die genaue Ausdehnung, den<br />

Aufbau und die Funktionen des Palastes sowie dessen Einbindung in die<br />

baulichen Strukturen der Oberburg und das städtische Gesamtgefüge<br />

festzustellen. So ist bei der Bewertung des heute als Palast angesprochenen<br />

Bereichs in stärkerem Maße als bisher geschehen auch das Umfeld auf der<br />

Oberburg mit einzubeziehen.<br />

Frühere Forschungen<br />

Der Bereich der Paläste wurde bereits in der frühen Phase der<br />

Pergamongrabung in den 1880er Jahren durch Carl Humann und Richard Bohn<br />

freigelegt. Eine Publikation des Bereiches erfolge jedoch erst 1930 durch<br />

Theodor Wiegand und Georg Kawerau. Zuletzt wurden bei<br />

Nachuntersuchungen im Jahr 2000 durch Dieter Salzmann Reste der<br />

ehemaligen Ausstattung entdeckt.<br />

Methoden<br />

Grundlegend ist eine Revision der bisherigen Pläne. Die bislang vorgelegten<br />

Grundrisse entsprechen nicht mehr den aktuellen Standards, da aus ihnen die<br />

diversen Bauphasen nur schwer zu erschließen sind und später erzielte<br />

Ergebnisse noch keine Berücksichtigung finden konnten. Die alten Pläne<br />

werden mittels Digitalisierung erneut nutzbar gemacht, während einige<br />

Teilbereiche neu vorgelegt werden. In einem weiteren Schritt ist ein kritischer<br />

Abgleich der bisherigen Rekonstruktionsversuche mit der tatsächlichen<br />

Befundsituation unerlässlich.<br />

Einen weiteren Schwerpunkt stellen die Präzisierung der Zeitstellung sowie der<br />

Funktionen einzelner Räume und Bereiche dar. Dabei werden neben den heute<br />

weiterhin sichtbaren Resten auch die nachgewiesenen Vorgängerbauten<br />

berücksichtigt. Durch die Erstellung eines Katalogs, in dem die Beobachtungen<br />

zu den Funden und Befunden der einzelnen Räume bzw. Bereiche<br />

zusammengefasst werden (Raumbuch), soll deren Zuweisung zu einzelnen<br />

Funktionen erleichtert werden.<br />

Um unvollständige Strukturen zu rekonstruieren und die Aufgaben des<br />

Baukomplexes differenziert zu fassen, sind Vergleiche angebracht. Dabei sollen<br />

nicht nur weitere hellenistische Residenzen oder ähnliche Bauten wie etwa in<br />

Pella, Aigai, Vergina, Alexandria und Antiochia (Antakya) herangezogen<br />

werden, sondern ebenso muss die bereits gut erforschte pergamenische<br />

Wohnbebauung dem Palastbereich gegenübergestellt werden. Die hieraus<br />

deutlich werdenden Gemeinsamkeiten (wie etwa gleiche Baustrukturen) oder<br />

Unterschiede (z. B. in Größe, Ausstattung oder Funktion) sollen der Klärung<br />

der Fragen nach Hierarchien in den Strukturen sowie nach den<br />

Repräsentationsformen dienen.<br />

Durch eine Bestandsaufnahme der Palastanlagen Pergamons soll eine<br />

möglichst vollständige Erfassung der erhaltenen Reste in Form von Plänen<br />

erreicht werden. Der Baukomplex ist als Wohnsitz und Residenz des<br />

pergamenischen Herrschergeschlechts sowie als administratives und vielleicht<br />

Stand: 11/2007 111


auch kultisches Zentrum einer hellenistischen Großstadt zu verstehen. Neben<br />

der Bedeutung, die die Palastanlagen für die Stadtforschung von Pergamon<br />

einnehmen, ist auch deren Stellenwert für die Erforschung hellenistischer<br />

Paläste zu betonen, da Pergamon immer wieder als Beispiel herangezogen<br />

wird. Das Projekt kann zudem einen archäologischen Beitrag zur Klärung des<br />

Verhältnisses zwischen Herrschern und Poleis leisten, das sich als eines der<br />

Hauptprobleme durch die Geschichte des Hellenismus zieht und entsprechend<br />

kontrovers diskutiert wird.<br />

Ansprechpartner:<br />

Torsten Zimmer M.A. (E-Mail: zimmer@istanbul.dainst.org)<br />

Stand: 11/2007 112


Forschungscluster 4<br />

HEILIGTÜMER.<br />

GESTALT UND RITUAL. KONTINUITÄT UND VERÄNDERUNG<br />

Sprecher: M. van Ess, W.-D. Niemeier, D. Raue, R. Senff<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Die Beschäftigung mit dem Heiligen führt zu einer anthropologischen Grundkonstante,<br />

denn das Verhältnis zum Heiligen ist integraler Teil des Menschseins. Die Vielfalt der<br />

antiken Antworten ist im Zeitalter der Globalisierung und dem damit verbundenen<br />

Zusammentreffen moderner Antworten von besonderem Interesse und sollte unbedingt<br />

in die aktuelle Diskussion einbezogen werden.<br />

Die Arbeit des Forschungsclusters zielt darauf, die religiösen Konzepte von<br />

Heiligtümern unterschiedlicher Kulturregionen in wesentlichen Punkten miteinander zu<br />

vergleichen. Mehrere Dutzend Kultplätze werden weltweit durch Projekte des DAI<br />

untersucht. Der Forschungscluster kann damit auf eine umfangreiche und sehr gut<br />

zugängliche Materialbasis zu zentralen Themen hinsichtlich der Stellung von Glauben<br />

und Religion in früheren Gesellschaften zurückgreifen, um jenseits der eigentlichen<br />

archäologischen Arbeit, der Dokumentation und objektkundlichen Auswertung, zu<br />

übergreifenden Fragestellungen vorzustoßen und die Ergebnisse sowohl der Fachwelt<br />

als auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.<br />

EINLEITUNG<br />

Die Fähigkeit zum Glauben an höhere Mächte ist ein wesentliches Merkmal des<br />

Menschen und läßt sich bis in die Frühzeit der Menschheitsentwicklung zurückverfolgen.<br />

Erste Nachweise für spirituelles Handeln fanden sich bereits im<br />

Zusammenhang mit paläolithischen Bestattungen vor ca. 80 000 – 100 000 Jahren.<br />

Der Glaube an eine gemeinsame Götterwelt, an einen Gott oder zumindest eine<br />

übergeordnete religiöse Vorstellung bleibt jedoch nicht auf den Einzelnen beschränkt,<br />

sondern bildet eine der Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Gemeinschaft.<br />

Die Mitglieder kleinerer oder größerer Gemeinwesen finden sich an heiligen Orten zu<br />

ritualisierten Handlungen zusammen. Auch in einer säkularisierten Gesellschaft wie der<br />

unsrigen spielen diese Vorstellungen und Handlungen eine weit größere Rolle als<br />

vielfach angenommen – etwa in der Auseinandersetzung mit benachbarten Kulturen<br />

und Gesellschaften, denen die Trennung von Politik und Religion fremd ist oder als<br />

Relikte einer nur noch auf wenige Feiertage beschränkten und ihrer ursprünglichen<br />

Bedeutung weitgehend entleerten, ehemals umfassenderen religiösen Praxis.<br />

Die Mitglieder jeder Religionsgemeinschaft sind bestrebt, ihre Überzeugungen zum<br />

Ausdruck zu bringen und sei es nur an den ihnen allein zugänglichen Orten. In den<br />

durch große Anhängerschaften oder Mehrheiten getragenen Religionen geschieht dies<br />

aber in der Regel öffentlich und an einer möglichst prominenten Stelle, an der sich das<br />

Wirken des Göttlichen in besonderer Weise manifestiert. Die heiligen Stätten sind meist<br />

besonders hervorgehoben: durch natürliche Gegebenheiten, durch ein Bauwerk, aus<br />

dem im Lauf der Zeit ein umfangreicher Komplexe entstehen kann. Sie sind damit<br />

Stand: 10/2007 113


Ausdruck einer Gesellschaft oder Kultur und ihres gestalterischen Vermögens. Als<br />

Symbole der religiösen Überzeugungen verkörpern sie deren historische Dimension und<br />

überliefern sie der Nachwelt. In den meisten Fällen zeichnen sich solche Orte durch<br />

hohe Investitionen der jeweiligen Gesellschaft und einen großen gestalterischen<br />

Aufwand aus. Nach außen wird dies von den Bauherren und Stiftern mit dem Respekt<br />

vor der Gottheit begründet. Tatsächlich spielt kompetitives Verhalten innerhalb einer<br />

Kultur wie auch gegenüber benachbarten Gesellschaften aber eine ebenso große Rolle.<br />

Der Schutz der Bauten und Votive, in den Augen der Gläubigen durch die höheren<br />

Mächte und praktisch durch das Gemeinwesen, von dem das Heiligtum getragen wird,<br />

lassen im Laufe der Zeit ein unvergleichliches Reservoir von historischen Dokumenten<br />

entstehen. Dieser Aufwand ist es, der Orte mit spiritueller Bedeutung für vergleichende<br />

Betrachtungen von Kulturen besonders geeignet macht. Fast immer sind derartige<br />

Stätten archäologisch nachweisbar, sowohl in prähistorischen wie in historischen<br />

Epochen.<br />

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit heiligen Orten gehört zu den ältesten Themen<br />

der Archäologie. Dennoch ist es bisher nur selten zu vergleichenden Studien der<br />

verschiedenen Bereiche der antiken Welt gekommen. Grund hierfür war lange der<br />

heterogene Kenntnisstand der materiellen Hinterlassenschaften, insbesondere in<br />

Regionen, denen sich die Forschung erst in letzter Zeit zuwenden konnte. Die äußere<br />

Erscheinung der Heiligtümer führt eine stabile und unveränderbare Weltordnung vor<br />

und weist dem Besucher einen festen Platz im Verhältnis zur verehrten übersinnlichen<br />

Welt zu. Diese Relation betont auch das religiöse Ritual mit seinen festgelegten<br />

Verhaltensregeln. Da sich an den heiligen Stätten oft lediglich Spuren der<br />

Kulthandlungen erhalten haben, die von der Archäologie mühsam und meist nur<br />

lückenhaft rekonstruiert werden können, ist die Zuhilfenahme anderer<br />

Informationsquellen, schriftlicher Nachrichten in verschiedenen Formen wie<br />

Beschreibungen, liturgischen Texten oder Inschriften besonders wichtig, um das<br />

kultische Geschehen möglichst vollständig zu rekonstruieren. Die Zusammenarbeit mit<br />

anderen Nachbardisziplinen der Altertumswissenschaften, der Anthropologie und<br />

Religionswissenschaft ist an dieser Stelle in höchstem Maße notwendig. Die Chancen<br />

stehen heute gut, mit einem übergreifenden Vergleich derartiger Stätten zu einem<br />

tieferen Verständnis der untersuchten Gesellschaften und zu einer<br />

Standortbestimmung unserer eigenen Kultur zu kommen.<br />

ZIELE UND VORGEHENSWEISE<br />

Seit seiner Gründung befaßt sich das DAI mit der Erforschung derartiger Komplexe und<br />

kann daher auf eine große Vielfalt eigener Forschungsergebnisse zu diesem Thema<br />

zurückgreifen. Die Materialgrundlage des angestrebten Vergleichs liefern eine<br />

repräsentative Anzahl wissenschaftlich gut untersuchter Heiligtümer. Diese Heiligtümer<br />

sollen unter thematischen Schwerpunkten, die sich aus der zeitlichen Dimension<br />

ergeben, der Genese, der Kontinuität und dem Wandel während ihres Bestehens und<br />

schließlich dem Ende der Religionsausübung und dem Funktionsverlust des Ortes<br />

betrachtet und verglichen werden. Die Untersuchung des kultischen Geschehens, das<br />

den Ort, seine Ausgestaltung und die Kultteilnehmer zu einem Ganzen verbindet, ist<br />

ein weiteres übergreifendes Thema, für das ebenfalls die Frage nach seinem Wandel im<br />

Laufe der Zeit von grundlegender Bedeutung ist. Jeder Kult und auch jeder Kultort<br />

erhält seine Bedeutung erst durch die Gemeinschaft, die für die Entstehung und die<br />

Ausbreitung der Religion verantwortlich ist. Die wenigsten Kultorte behalten ihren<br />

Charakter gleichbleibend während ihrer gesamten Existenz bei. Und kein Kult dauert<br />

ewig – häufig heißt es: „fortan schweigt der Gott“, wie man angeblich in Delphi gesagt<br />

haben soll.<br />

Der Cluster versucht, heilige Stätten als Stationen und Ergebnisse von Prozessen zu<br />

sehen, d.h. die Etappen des Geschehens in den unterschiedlichen Gesellschaften zu<br />

definieren und vergleichenden Studien zu unterziehen.<br />

Stand: 10/2007 114


Genese und Kontinuität<br />

(Sprecher: Reinhard Senff, Wolf-Dietrich Niemeier)<br />

Insbesondere die Archäologie hat in den vergangenen Jahrzehnten Aufschlüsse über<br />

den Ursprung vieler Heiligtümer gewonnen. Heiligtümer gehören oftmals zum ältesten<br />

Baubestand einer Siedlung, wo z.B. ein Gründerheros oder der Schutzgott der Stadt<br />

verehrt wird. Sie können aber auch zu späteren Zeitpunkten in vorhandenen<br />

Siedlungen oder an bereits bestehenden Kultstätten eingerichtet werden. Als Orte der<br />

Weltentstehung haben sie einen universalen Anspruch, als Versammlungsstätten<br />

kleiner oder exklusiver Gruppen stärken sie das Bewußtsein der Zugehörigkeit und<br />

dienen politischen Zwecken. Vielfach spielen sie nicht nur eine wichtige Rolle für die<br />

kulturelle Identität der Kultteilnehmer, sondern auch für die Sicherung des Territoriums<br />

der Gemeinschaft. Oft läßt sich eine Verbindung mit vorhandenen Naturphänomenen<br />

nachweisen, auch wenn an einem Ort im Laufe seiner Existenz andere Formen des<br />

Kultes ausgeübt wurden, welche die ursprünglichen Einrichtung überdecken oder sogar<br />

ganz ablösen. Während die historische Forschung, die sich überwiegend auf schriftliche<br />

Informationen stützt, häufig ein vermeintlich eindeutiges Bild eines Heiligtums entwirft,<br />

vermag die Archäologie in vielen Fällen ein weit komplexeres, facettenreicheres Bild<br />

zu erzielen.<br />

Viel zu oft ist man in der Darstellung heiliger Plätze von ungebrochenen Kontinuitäten<br />

ausgegangen und hat bei der Interpretation von Architektur, Ausstattung und<br />

Kultgegenständen tiefgreifende gesellschaftliche und politische Änderungen nicht<br />

ausreichend berücksichtigt. Es soll eine weitere Aufgabe dieses Forschungsfeldes sein,<br />

solche in anderem Zusammenhang bekannten Veränderungen in Beziehung mit dem<br />

jeweils untersuchten Heiligtum zu setzen. Das Zusammenwirken verschiedener<br />

Disziplinen benachbarter Regionen mit ihren jeweiligen Methoden wird dabei<br />

bestehende Paradigmen auf breiterer Basis überprüfen. Oftmals konnten in der<br />

Vergangenheit nur ungenaue Vermutungen zu den Ursachen des Wandels geäußert<br />

werden. Die chronologisch tiefe und topographisch breite Anlage der Projekte des DAI<br />

ermöglicht erstmals konkrete Antworten auf die Frage nach der Ursächlichkeit von<br />

Veränderungen.<br />

Ende und Nachleben von Kultorten<br />

(Sprecher: Stefan Lehmann)<br />

Das Ende und Nachleben von Kultorten im antiken Mittelmeerraum sind der<br />

Forschungsgegenstand der Projektgruppe. In der bisherigen Forschung wird oft<br />

bemerkenswert unpräzise über das Thema gearbeitet, sowohl was einzelne Sachfragen<br />

als auch die Terminologie anbetrifft. Allein die zahlreichen, unterschiedlich getönten<br />

Begriffe für die Endzeit eines Kultortes (Bruch, Niedergang, Übergang, Untergang,<br />

Verfall, Wende) weisen auf die Vieldeutigkeit des wichtigen Phänomens des Endes und<br />

Nachlebens hin.<br />

Die primären Funktionen eines Kultortes waren religiös bestimmt (Opferplatz, Altar,<br />

Tempel, Kultbild, Opfer, Weihung, Fest, Rituale, Prozession). Wenn der Kult nicht mehr<br />

praktiziert wurde, dann verlor der Kultort a priori seinen Daseinsgrund. Insofern ist das<br />

Ende eines Kultortes als der Zeitpunkt oder das letzte Stadium zu verstehen, in dem<br />

seine primären Funktionen unwiderruflich ausfielen. Was in der Forschung aber häufig<br />

nicht genügend beachtet wird, sind die vielfältigen und unterschiedlichen Funktionen<br />

eines Kultortes. So ist mit dem Verschwinden des traditionellen Kultes nicht<br />

automatisch auch das materielle Ende eines Kultortes verbunden. Insbesondere<br />

größere Kultorte verfügten über sekundäre Funktionen (wirtschaftlich, sozial, politischsymbolisch)<br />

und konnten so das Kultende als Kommunikationszentrum, Festort oder<br />

identitätsstiftenden Orientierungspunkt der lokalen oder regionalen Bevölkerung<br />

Stand: 10/2007 115


überstehen. Dann führte der Kultort ein Nachleben nicht zuletzt auch in der Erinnerung<br />

der Menschen.<br />

Die Projektgruppe bearbeitet Kultorte des Mittelmeerraums von der Steinzeit bis zur<br />

Spätantike. Ausgehend von Befunden aus Grabungen, deren Beginn längere Zeit<br />

zurückliegen, untersucht sie die bislang oft vernachlässigte letzte Phase der jeweiligen<br />

antiken Kultorte und ordnet ihre sich wandelnden Funktionen in einen größeren lokalen<br />

und supralokalen Verstehenszusammenhang ein; das zweite Ziel soll vor allem dadurch<br />

erreicht werden, daß die Grabungsbefunde mit schriftlichen Zeugnissen konfrontiert<br />

werden. Auf diesem Wege soll das Ende und Nachleben von Kultorten in all ihren<br />

Facetten genauer als bislang analysiert werden.<br />

Die erwarteten Ergebnisse werden eine Lücke in der Erforschung antiker Heiligtümer<br />

schließen. Somit wird die Projektgruppe insgesamt zum besseren Verständnis von<br />

Archäologie und Geschichte zentraler Orte antiker Religion beitragen.<br />

Gestalteter Raum<br />

(Sprecher: Nils Hellner)<br />

Heiligtümer sind immer bewußt besetzter, gestalteter Raum zum Zweck eines wie auch<br />

immer gearteten Kultes. Die Bandbreite reicht von einfach gestalteten<br />

Naturheiligtümern über peak sanctuaries, Stelenfelder, Wegaltäre, Brandopferplätze<br />

bis hin zu monumentalen Tempelanlagen. Der gestaltete Raum „Heiligtum“ ist<br />

wesentlicher Ausdruck einer Gesellschaft oder Kultur und ihres gestalterischen<br />

Vermögens bzw. ihres eventuell sogar absichtlich nicht dargestellten Vermögens. In<br />

Form und Gestalt eines Heiligtums manifestieren sich Form und Gestalt der jeweiligen<br />

Religion: ihre Bedürfnisse, ihre Anforderungen und die Ziele des Kultes. Welche<br />

Leistungsanforderungen stellt eine Kultur bzw. die jeweiligen soziale Gruppe oder ein<br />

Individuum an ihren sakralen Ort? Zu untersuchen sind die Heiligtümer hinsichtlich<br />

folgender Aspekte:<br />

- Unterteilung in öffentliche und nichtöffentliche Bereiche oder demonstrativ<br />

hervorgehobene Teilbereiche<br />

- Deponierung oder Vernichtung der Opfer, d.h. Brandstätten oder Magazine<br />

- Wege oder Fixpunkte, Raumfolgen<br />

- Formen des Ritualvollzugs bzw. des Gottesdienstes<br />

- Abschirmung des Sanktuars oder Sichtbarkeit des Götterbildes bzw. des<br />

Kultfokus<br />

- Dimensionen des gestalteten Raumes im Verhältnis zum Menschen.<br />

Der Grad der Geschlossenheit, die externe Erschließung, die innere Wegeführung, die<br />

unterschiedliche Gewichtung der äußeren und inneren Erscheinung bieten sich als<br />

Gestaltungsmittel des Raumes an. Welche Gemeinsamkeiten zeichnen Heiligtümer<br />

gegenüber profanen Orten aus? Bestimmende Faktoren können dabei geographische<br />

Gegebenheiten (Quelle, Berggipfel, Felsplateau, Höhle), besondere Naturmale (Bäume,<br />

Lichtungen, Waldflecken), kultische Anforderungen (Blickachsen, mythische Orte, Orte<br />

sozialer Erinnerung) sein. Der gestalterische Umgang mit diesen Determinanten kann<br />

zur Schaffung eines neuen Bautypus, aber auch zur Übernahme eines Typus und<br />

dessen Veränderung oder gar zur Wahl einer vollständig typenlosen Raumgestaltung<br />

führen.<br />

Die Gestaltung kann sich über gewisse geographische Gegebenheiten hinwegsetzen<br />

oder aber auch von ihnen bestimmt sein. Die Funktionsanforderungen des Kultes<br />

können bei der Anlage des Heiligtums im unterschiedlichen Maße berücksichtigt sein.<br />

Eine besondere Rolle spielt aber auch die großmaßstäbliche Analyse der jeweiligen<br />

Kulttopographie, d.h. die Position, die ein Heiligtum innerhalb eines Territoriums oder<br />

einer definierten Kultlandschaft einnimmt: Befindet es sich an seiner Grenze oder<br />

Stand: 10/2007 116


definiert es eine solche, bildet es das Zentrum, liegt es isoliert oder läßt sich eine<br />

konstellative Einbindung erkennen?<br />

Votiv und Ritual<br />

(Sprecher: Gunvor Lindström – Dietrich Raue – Thomas Schattner)<br />

Kultplätze waren zu allen Zeiten Orte der Begegnung mit dem Heiligen. Der Kontakt<br />

erfolgte in Form von symbolischen Handlungen und Ritualen, wie beispielsweise<br />

Prozessionen, Tanz und Musik, Gebeten, Orakeln, Tier-, Trank- und Rauchopfer,<br />

Dedikationen und Banketten bzw. Kultmahlzeiten. In den Ritualen schlagen sich,<br />

ebenso wie in der Architektur und der Ausstattung des Heiligtums, Vorstellungen einer<br />

Gesellschaft nieder, für deren historische Rekonstruktion deshalb das Verstehen der<br />

Rituale von Bedeutung ist. Der Ablauf der Riten, d. h. der formalisierten, inszenierten<br />

und wiederholt durchgeführten Handlungen, ist heute allerdings nur noch teilweise zu<br />

erschließen. Für den altägyptischen, altorientalischen und griechisch-römischen Bereich<br />

können sowohl Schriftzeugnisse, wie etwa Ritualtexte und Kultgesetze, als auch<br />

bildliche Darstellungen, beispielsweise Vasenbilder und Fresken, Einblick in Form und<br />

Ablauf einiger dieser Handlungen geben. Für Rituale, die nicht schriftlich fixiert oder<br />

bildlich dargestellt wurden, sind dagegen die im Boden erhaltenen Relikte des<br />

kultischen Handelns die einzigen Belege.<br />

In vielen Heiligtümern finden sich Schichten von Asche vermischt mit Tierknochen und<br />

Artefakten, die als materielle Hinterlassenschaften von Opfern und Kultmahlzeiten<br />

gelten können. Die Analyse dieser Relikte setzt – wie an verschiedenen Projekten seit<br />

langem praktiziert – interdisziplinäre Zusammenarbeit (z. B. die Heranziehung von<br />

Spezialisten zur Analyse der Archäofauna und der botanischen Funde) voraus und kann<br />

Aspekte der Riten erhellen, die in der schriftlichen und ikonographischen Überlieferung<br />

keinen Niederschlag gefunden haben.<br />

Außerordentlich häufig und nicht selten das einzige Indiz für die einstige Existenz eines<br />

antiken Heiligtums sind Weihgaben, die am Ort ihrer Aufstellung belassen oder später<br />

im Heiligtum separat deponiert wurden. Diese Gaben an die Götter zeugen von dem<br />

symbolischen Gabentausch der Gläubigen mit den Göttern und können sowohl die<br />

religiösen Vorstellungen, als auch die sozialen Hintergründe der Kultteilnehmer<br />

spiegeln, wie etwa Status, Geschlecht und Herkunft. Die Untersuchungen der<br />

Weihgaben zielen darauf, Aussagen über die Zusammensetzung der Kultgemeinschaft<br />

zu treffen und auf diese Weise Erkenntnisse über den Charakter des jeweiligen<br />

Kultplatzes zu gewinnen, beispielsweise ob er eine lokale oder überregionale<br />

Bedeutung hatte oder ob er vor allem von Frauen oder von Männern besucht wurde. In<br />

vielen Heiligtümern wurden große Mengen von Weihgaben gefunden, die häufig aus<br />

einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten stammen. Über eine diachrone Analyse<br />

des Votivspektrums kann hier nicht nur die Entwicklung der Kultstätten untersucht<br />

werden, sondern es können auch zeittypische Vorlieben für bestimmte Votive und<br />

Konventionen bezüglich des Umgangs mit ihnen beobachtet werden, die nicht nur<br />

veränderte religiöse Vorstellungen, sondern auch gesellschaftlichen Wandel spiegeln.<br />

Auf die Heiligtümer prähistorischer Kulturen können die Kenntnisse über das<br />

Ritualgeschehen in antiken Heiligtümer nur unter großen Einschränkungen übertragen<br />

werden. Oft ist fraglich, ob es überhaupt schon ein Konzept von Göttern gab, denen die<br />

Rituale galten und denen Opfer und Votivgaben dargebracht wurden. Es müssen also<br />

grundsätzliche Fragen nach der Art der zugrunde liegenden religiösen Vorstellungen<br />

gestellt werden. Bildlichen Darstellungen, wie sie seit der jüngeren Altsteinzeit<br />

beispielsweise in Höhlenheiligtümern überliefert sind, kommt dabei eine besondere<br />

Bedeutung zu. Die neue ikonographische Befundlage des vorderasiatischen<br />

Neolithikums konnte in diesem Zusammenhang erst ansatzweise ausgewertet werden.<br />

Erkennbar ist immerhin schon jetzt, dass Bild und Kult hier in enger Verbindung<br />

auftreten und dass es im sakralen Kontext ein vorschriftliches Notationssystem gab.<br />

Stand: 10/2007 117


Der Gesellschaft, die sich ein solches System schuf, ermöglichte es offenbar eine<br />

wirkungsvolle Verankerung ihres kulturellen Gedächtnisses. In dieser Hinsicht scheint<br />

ein Vergleich mit den in antiken Heiligtümern aufgestellten Votiven und den dort<br />

praktizierten Ritualen möglich zu sein.<br />

BETEILIGTE PROJEKTE<br />

Forschungsfeld 1: Genese und Kontinuität<br />

Elephantine<br />

(P. Kopp, Abteilung Kairo)<br />

Auf der Nilinsel Elephantine befand sich die südliche Grenzfeste des pharaonischägyptischen<br />

Staatsgebiets, in der zudem über 4500 Jahre der Afrikahandel des Landes<br />

abgewickelt wurde. Ihr spirituelles Zentrum war das Sanktuar der Göttin Satet. Die<br />

Entwicklung dieses Sanktuars konnte, für die ägyptische Archäologie in einzigartiger<br />

Weise, annähernd vollständig durch die Grabungen geklärt werden. Sie nahm ihren<br />

Ursprung in einem bescheidenen Lehmziegelsanktuar in einer natürlich gebildeten<br />

Felsnische um 3300 v. Chr. und führt über zahlreiche Zwischenschritte bis hin zu den<br />

kaiserzeitlichen Anbauten des 1. und 2. Jh. n. Chr.<br />

Auf Elephantine kann exemplarisch die Entstehungsgeschichte eines Tempels<br />

nachvollzogen werden: Der Ursprung des Sanktuars nimmt Bezug auf ein<br />

Naturschaupiel in einem tiefen natürlichen Strudelloch, auf das die frühesten<br />

Bauphasen ausgerichtet waren. Im Rahmen des Clusters wird derzeit mit einer<br />

Ausgrabung westlich des Tempels nachgeprüft, ob eine Aussparung in der Stadtmauer<br />

des frühen Alten Reiches einen funktionalen Nachfolger dieser Flutkultstätte darstellt.<br />

Mit der Monumentalisierung des Tempelbezirks wird diese Verbindung zur Natur in<br />

steinerne Becken und Wasserkanäle umgedeutet. Am Ende dieser Entwicklung stehen<br />

schließlich die Nilometer mit ihrer landesverbindlichen Eichung. Innerhalb des Clusters<br />

wird es möglich sein, die erste geschlossene Darstellung einer Sanktuarentwicklung in<br />

Ägypten zu erarbeiten.<br />

Der Tempel spiegelt in seiner Entwicklung die mit der Göttin Satet verbundene<br />

existenzielle Bedeutung der Feiern der Nilflut für das Land und, durch den sich<br />

konstant erhöhenden Bauaufwand, für die Zentralmacht wieder. Eingebettet ist diese<br />

Entwicklung in die nun 38jährige Erforschung der Siedlung, die sich im Spannungsfeld<br />

zwischen den Interessen der Zentralmacht und der lokalansässigen ägyptischnubischen<br />

Grenzbevölkerung entwickelte.<br />

Milet, bronzezeitliches Heiligtum und Heiligtum der Athena<br />

(W.-D. Niemeier – I. Kaiser, Abteilung Athen)<br />

Nahe des Athenatempels von Milet wurde bei den neuen Ausgrabungen in den<br />

prähistorischen Schichten (s. auch Forschungscluster 3) ein Heiligtum entdeckt, das –<br />

wie die gleichzeitigen Siedlungsphasen – deutliche Züge der kretisch-minoischen Kultur<br />

zeigt. Dieses Heiligtum entstand wahrscheinlich bereits in der Siedlungsphase Milet III<br />

(20./19. bis Mitte 18. Jh. v. Chr.). Sicher nachzuweisen ist es mit einer Abfolge von<br />

Lehmziegelaltären in Milet IV (Mitte 18. bis Mitte 15. Jh. v. Chr.). Freskomalereien<br />

sowie die große Mehrzahl der Gefäße und Objekte kultischen Charakters sind minoisch,<br />

manche zeigen aber auch einheimischen Charakter. Das Heiligtum stellt damit ein<br />

wichtiges Untersuchungsobjekt für die Einrichtung eines Kultplatzes im Rahmen des<br />

Ausgreifens der minoischen Kultur im östlichen Mittelmeerraum und der Begegnung<br />

mit der einheimischen westanatolischen Zivilisation dar. Nach der Zerstörung von Milet<br />

Stand: 10/2007 118


IV um die Mitte des 15. Jh. v. Chr. zeigen die Nachfolgesiedlungen Milet V (2. Hälfte<br />

15. bis Ende 13. Jh. v. Chr.) und Milet VI (Ende 13. bis frühes 11. Jh. v. Chr.) einen<br />

fast ausschließlich mykenischen Charakter, gleichviel wie groß das<br />

Bevölkerungssegment war, das aus Griechenland stammte, und wie groß das<br />

einheimische, welches die mykenische Kultur vollkommen adaptierte. Die Schichten<br />

von Milet V und VI wurden bereits durch die älteren Grabungen weitgehend freigelegt.<br />

Tagebuchnotizen aus dem frühen 20. Jh., die vom Fund eines mykenischen Altars mit<br />

vielen Tierknochen berichten, belegen, daß hier auch in mykenischer Zeit ein Heiligtum<br />

lag. Neue Untersuchungen liefern Indizien für die Funktion dieses Platzes durch die<br />

sog. Dunklen Jahrhunderte (11.–9. Jh. v. Chr.), so daß er allem Anschein nach von der<br />

Gründung des minoischen Heiligtums an kontinuierlich eine sakrale Funktion hatte und<br />

der Kult der Athena in Milet bronzezeitliche Wurzeln hat. In diesem Zusammenhang ist<br />

von Interesse, daß die Göttin Athena in den spätbronzezeitlichen Linear B-Tafeln aus<br />

dem Palast von Knossos auf Kreta genannt ist.<br />

Kalapodi, Heiligtum von mykenischer Zeit bis zur Römischen Kaiserzeit<br />

(W.-D. Niemeier – I. Kaiser – K. Kopanias - N. Hellner, Abteilung Athen)<br />

Bei dem Dorf Kalapodi (antike Ost-Phokis) liegt ein bedeutendes Heiligtum, das nach<br />

den ersten, 1973–1982 durchgeführten Grabungen als das phokische Nationalheiligtum<br />

der Artemis Elaphebolos von Hyampolis identifiziert wurde. Neuere Indizien sprechen<br />

jetzt aber dafür, dass es sich um das panhellenische Orakel-Heiligtum des Apollo von<br />

Abai handelt, das zu den wichtigsten Heiligtümern Griechenlands zählte. Schon bei den<br />

älteren Grabungen kamen Zeugnisse dafür zutage, dass die Geschichte des Heiligtums<br />

bis in das späte 2. Jts. v. Chr., d.h. in die Zeit unmittelbar nach dem Untergang der<br />

mykenischen Burgen und Paläste um 1200 v. Chr., zurückreichte und bis in die<br />

Römische Kaiserzeit in Betrieb war. Bei den neuen, 2004 wieder aufgenommenen<br />

Grabungen sind nun Indizien dafür zutage gekommen, dass das Heiligtum noch älter<br />

ist und bereits in der mykenischen Palastzeit des 14.–13. Jhs. v. Chr., möglicherweise<br />

sogar schon in die mittelhelladische Periode (20.–18. Jh. v. Chr.) existierte.<br />

Unter der Ruine des 480 v. Chr. von den Persern zerstörten Südtempels befindet sich<br />

eine Abfolge von Heiligtumsschichten und Kultbauten, welche die sog. ‚Dunklen<br />

Jahrhunderte’ Griechenlands zwischen der mykenischen und der archaischen Zeit<br />

überbrücken und damit in bisher auf dem griechischen Festland einzigartiger Weise die<br />

Kontinuität eines Kultortes über diesen Zeitraum hinweg belegen. Unter dem<br />

archaischen Tempel konnten bisher zwei Vorgängerbauten untersucht werden: ein<br />

langgestreckter Tempel des späten 8. bis frühen 6. Jhs. v. Chr. mit apsidalem Abschluß<br />

im Osten und eine kleiner Oikos-artiger Tempel des 8. Jhs. v. Chr. Beide erlitten<br />

Erdbebenzerstörungen, nach denen die eingestürzten Lehmziegelmauern wichtige<br />

Befunde versiegelten, die Indizien für Kult und Votivpraktiken liefern: in situ<br />

aufgefundene Votive (Waffen, Schmuck) und Indizien für die Abhaltung kultischer<br />

Mahlzeiten (Bratspieße, Messer, Asche, zahllose Knochen), im jüngeren der beiden<br />

Vorgängerbauten außerdem Wandmalereifragmente mit der Darstellung von<br />

kämpfenden Kriegern. Diese Fragmente weisen die gleiche Symbolik auf wie die<br />

Fragmente von großen Tongefäßen, Krateren mit der Darstellung von Kriegern und<br />

Kämpfen aus spätmykenischer Zeit und die zahlreichen Waffenweihungen seit dem 8.<br />

Jh. v. Chr.<br />

In den folgenden Jahren sollen die älteren Schichten des Heiligtums untersucht<br />

werden, um Aufklärung über den Charakter der Kontinuität an diesem Platz zu<br />

gewinnen.<br />

Stand: 10/2007 119


Olympia<br />

(R. Senff, Abteilung Athen)<br />

Eines der bedeutendsten Heiligtümer der griechisch-römischen Antike war Olympia, wo<br />

sich zu den alle vier Jahre stattfindenden Sportwettkämpfen Teilnehmer aus der<br />

ganzen antiken Welt zusammenfanden. Die seit 1874 zunächst von den Berliner<br />

Museen, anschließend vom DAI durchgeführten Grabungen haben inzwischen fast das<br />

gesamte Heiligtum freigelegt. Damit ergibt sich die Möglichkeit, ein zentrales Heiligtum<br />

der Antike nicht nur in seiner räumlichen Ausdehnung zu betrachten, sondern auch<br />

durch die Abfolge der Schichten und Bauten ein Bild von der historischen Entwicklung<br />

des Ortes zu gewinnen. Die große Zahl der Besucher anläßlich der Festspiele machte<br />

das Heiligtum zu einem idealen Ort für die Selbstdarstellung von Privatleuten,<br />

Politikern oder gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Form von Weihgeschenken aller<br />

Größen, als einzelne Denkmäler oder umfangreiche Bauten niedergeschlagen hat.<br />

Neben dem archäologischen Material liefern besonders Inschriften und antike Texte,<br />

wie die ausführliche Beschreibung des Pausanias, zahlreiche Informationen über die<br />

Kulte und ihre Veränderungen im Laufe der Zeit.<br />

Die Ausgrabungen haben die Geschichte des Kultortes inzwischen bis in das mittlere 3.<br />

Jt. v. Chr. zurückverfolgt. Allerdings scheint es keine Kontinuität in der Nutzung als<br />

heiliger Stätte, sondern immer wieder neue, voneinander getrennte Phasen im<br />

Frühhelladikum, in der späten Bronzezeit und dann wieder seit geometrischer Zeit bis<br />

in die Spätantike zu geben.<br />

Einzelne Teilprojekte der derzeitigen Erforschung des Heiligtums widmen sich bereits<br />

der Frage nach der Kontinuität des Kultgeschehens, so die Untersuchung des<br />

archaischen Artemisaltars, eine umfassende Analyse der Rolle des Heiligtums in der<br />

römischen Kaiserzeit und des Wandels, dem die pagane Kultstätte nach Einführung des<br />

Christentums in der Spätantike unterlag.<br />

Die Romanisierung einheimischer Heiligtümer im Westen der Iberischen<br />

Halbinsel<br />

(T. G. Schattner, Abteilung Madrid)<br />

Durch Inschriften namentlich des hispanischen Westens sind die Namen von etwa 300<br />

einheimischen Gottheiten bekannt. Ihre Erforschung wird seit etwa einem Jahrhundert<br />

nahezu ausschließlich von Althistorikern und Epigraphikern vorangetrieben. Das Thema<br />

ist eines der spannendsten Kapitel des Romanisierungsprozesses, der die Halbinsel, wie<br />

andere römische Provinzen auch, in tiefgreifender Weise verändert hat. Ziel des neuen<br />

Projektes, das seit 2002 an der Abt. Madrid verfolgt wird, ist es, dem gesammelten<br />

Wissen archäologische Heiligtumsbefunde gegenüberzustellen um sodann im<br />

interdisziplinären Dialog das Verständnis abzurunden, zu vertiefen, zu erweitern und<br />

gelegentlich auch infrage zu stellen.<br />

Angesichts der großen Zahl an Gottheiten ist deutlich, daß eine archäologische<br />

Forschung schon aus statistischen Gründen sich nicht auf ein Heiligtum beschränken<br />

kann. Aus diesem Grunde wird die Fragestellung an mehreren Heiligtümern untersucht.<br />

Diese sind:<br />

- Heiligtum des Endovellicus in São Miguel da Motta (Alandroal/Portugal)<br />

- Heiligtum des deus lar Berobreus auf dem Monte do Facho (Galicien/Spanien)<br />

- Heiligtum des Vaelicus in Postoloboso (Ávila/Spanien)<br />

- Heiligtum auf dem Cabeço das Fráguas (Guarda/Portugal)<br />

Im vorläufigen Ergebnis zeigen sich eine ganze Reihe neuer und vollkommen<br />

unerwarteter Befunde, welche sehr wohl in der Lage sind, das Projekt seinem Ziel<br />

näherzubringen. Die Forschung erfolgt in Zusammenarbeit mit portugiesischen und<br />

spanischen Kollegen.<br />

Stand: 10/2007 120


Forschungsfeld 2: Ende und Nachleben von Kultorten<br />

Das Ende der steinzeitlichen Heiligtümer des Göbekli Tepe<br />

(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />

Auch wenn die genaue Funktion der Heiligtümer des Göbekli Tepe noch nicht<br />

erschlossen ist, so drängt sich beim Versuch einer Charakterisierung der rituellen Welt<br />

der frühholozänen Jägerkulturen Obermesopotamiens diese megalithischen Bauformen<br />

in den Vordergrund. Die Kreisanlagen des Göbekli Tepe beinhalten eine Welt aus<br />

Symbolen und Mythogrammen, die im 8. Jt. v. Chr. von der Bühne der<br />

altorientalischen Kulturen so spurlos verschwunden ist wie sie im 10. Jt. unvermittelt<br />

und in monumentaler Ausprägung erschienen war. Dieses Ende steht offenbar in<br />

direktem Zusammenhang mit der Entstehung, dem Erfolg und der Ausbreitung der<br />

bäuerlicher Lebensweise. Schon in der letzten Nutzungsphase im 9. Jt. ist eine<br />

drastische Reduzierung und Minimierung des früher bei der Errichtung der Heiligtümer<br />

notwendigen immensen Aufwandes zu beobachten. Wie die intensive Spoliennutzung<br />

nahelegt, werden die Bauten jetzt möglicherweise ausschließlich aus den Resten<br />

früherer Anlagen errichtet. Eine eingehende Analyse des ökonomischen Wandels und<br />

der hiermit einhergehenden völligen Umformung der religiösen Ausdrucksweisen wird<br />

einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Alten Orients und dessen früher Religion<br />

liefern.<br />

Heliopolis<br />

(D. Raue, Abteilung Kairo)<br />

Kaum ein antiker Ort besitzt für Ägypten derart konzentriert die wesentlichen Aspekte<br />

einer Kultur wie Heliopolis im nordöstlichen Stadtbereich von Kairo: Es ist Ort der<br />

Weltschöpfung, die Residenz des Sonnengottes, der Ort des Göttergerichts, Schauplatz<br />

der ersten legitimen Thronfolgeregelung, einer der Kristallisationspunkte für die<br />

Entstehung des nahöstlichen Monotheismus. Der Ort wird nie Hauptstadt und doch<br />

muß offensichtlich jeder Herrscher mit Bauten dort präsent sein. Im ägyptischen<br />

Kulturkonzept steht Heliopolis offenbar für den Residenzplatz des Sonnengottes auf<br />

Erden.<br />

Im Rahmen des Forschungsfeldes „Ende und Neubeginn“ soll am Beispiel von Heliopolis<br />

illustriert werden, wie das „Ende“ eines Heiligtums in einer gleichsam lautlosen<br />

Implosion vor sich gehen kann nachdem es fast 2000 Jahre lang der Schauplatz einer<br />

in Stein monumentalisierten Religiösität war.<br />

Es geht um die Auswirkung der oft zunächst lautlosen Verschiebungen der Grundlagen<br />

einer Kultur auf die Bedeutung eines heiligen Ortes und um die für weitere<br />

Jahrhunderte gültige Verlegung dieser Bedeutung in die Welt religiöser Abstraktion im<br />

kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft.<br />

'Alte Stadt – Neues Reich'.<br />

Brüche, Wandel, Kontinuitäten in der Münzprägung von Kardia und<br />

Lysimacheia<br />

(D. Salzmann – A. Lichtenberger – H. Nießwandt, Universität Münster)<br />

Im Jahr 309 v. Chr. wird die bis dahin bedeutendste Stadt der thrakischen Chersones,<br />

Kardia, von Lysimachos zerstört, der dafür in unmittelbarer Nähe eine neue Stadt<br />

gründet, die er nach sich selbst, Lysimacheia, benennt. Sie wird von Lysimachos<br />

anstelle von Kardia zur Hauptstadt der thrakischen Chersones und als königliche<br />

Residenzstadt ausgebaut.<br />

In dem Projekt soll die Münzprägung beider Städte miteinander verglichen und der<br />

Frage nachgegangen werden, welche Identifikationsfiguren (und auf welche Weise)<br />

Stand: 10/2007 121


Kardia und später Lysimacheia nutzen, um ihre jeweils eigenen Besonderheiten für sich<br />

zu charakterisieren und zu formulieren und gleichzeitig nach außen hin zu<br />

präsentieren. Die Relevanz des Projekts für das Forschungscluster ergibt sich aus der<br />

Zeitstellung der Zerstörung Kardias und der Gründung Lysimacheias im<br />

Frühhellenismus: Wie lebt das klassische Erbe in der hellenistischen Neugründung<br />

weiter? Wie wirken die geänderten politischen Rahmenbedingungen auf die Kulte<br />

(städtische Kulte – königliche Kulte)? Zusätzlich zu den numismatischen Quellen sollen<br />

alle epigraphischen und archäologischen Zeugnisse einbezogene werden, insbesondere<br />

auch der neuentdeckte frühhellenistische Tempel in Lysimacheia.<br />

Konzeptionswechsel in der Sakraltopographie kaiserzeitlicher Städte: Tempel<br />

und Altar auf Fora und Agorai<br />

(H.-U. Cain, Universität Leipzig)<br />

Wie die großen Heiligtümer mit ihren diversen Kult- und Opferstätten bisweilen radikal<br />

umgestaltet wurden, so haben bekanntlich auch zentrale Plätze im öffentlichen Raum<br />

der Städte tiefgreifende Veränderungen erfahren. Davon sind immer auch Kultmale<br />

betroffen gewesen, die sich einzeln oder in größerer Zahl mitten auf einem Platz<br />

befunden haben oder die in enger Verbindung mit einem Sakralbau an der Seite eines<br />

Platzes gestanden haben können. Beispielhaft zeigen das etwa die mehrfache<br />

Neukonzeption des Forum Romanum und die komplette Umformung des Forums von<br />

Brescia. Die architektonische Neugestaltung zielt jeweils auf eine inhaltliche<br />

Neuorientierung des Platzes in kultischer und religionspolitischer Hinsicht, die mit den<br />

allgemeinen politischen Verhältnissen und gesellschaftlichen Zwängen der römischen<br />

Republik und Kaiserzeit zusammenhängt. Von diesen Befunden und Aspekten<br />

ausgehend, soll zunächst die Sakraltopographie anderer, ausgewählter urbaner<br />

Zentren in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum untersucht werden. Die<br />

Ergebnisse können als Grundlage einer kulturvergleichenden Betrachtung in einem<br />

erweiterten Rahmen dienen, der die Städte im griechisch geprägten Osten des<br />

Römischen Reiches einschließt.<br />

Abydos<br />

(A. Effland, Abteilung Kairo)<br />

Der Gedanke der Auferstehung und des Fortlebens im Jenseits ist in der pharaonischen<br />

Kultur ab Mitte des 3. Jts v. Chr. eng mit der Gottheit Osiris verbunden. In der<br />

frühdynastischen Nekropole von Umm el-Qaab wurde das Grab des Djer, des dritten<br />

Königs der 1. Dynastie seit der Zeit des Mittleren Reiches mit dem Grab des ersten<br />

mythischen Königs, dem Grab des Gottes Osiris identifiziert. Der sich am Ort<br />

etablierende Osiriskult erfährt im Neuen Reich, während der 19. und 20. Dynastie<br />

einen weiteren Höhepunkt und wird während des 1. vorchristlichen Jahrtausends in<br />

Bezug auf die Ritualrelikte immer umfangreicher. Die Aktivitäten reichen bis in<br />

spätantike Zeit und enden erst am Übergang des 5. zum 6. nachchristlichen<br />

Jahrhundert. Informationen u.a. aus koptischen Viten zur Zerstörung der paganen<br />

Sakralanlagen spiegeln sich in den neuentdeckten archäologischen Funden des DAI in<br />

Umm el-Qaab.<br />

Der Kirchenbau in den spätantiken Patriarchaten Antiocheia und Jerusalem<br />

und der antike Euergetismus<br />

(R. Haensch, AEK)<br />

Die Frage "Niedergang oder Wandel" ist das zentrale Thema der<br />

Forschungsbemühungen um die geschichtliche Einordnung der drei Jahrhunderte<br />

zwischen 284 und 640 n. Chr. In diesem Zusammenhang wurde aber bisher die<br />

Finanzierung des spätantiken Kirchenbaus wenig erörtert, obwohl dieser ein zentrales<br />

Fallbeispiel darstellt. Denn mit diesem Kirchenbau ist nicht nur die Frage verbunden,<br />

Stand: 10/2007 122


inwieweit spätantike Kirchen in oder mittels der bisherigen Kultbauten (pagane,<br />

jüdische) entstanden. Vor allem stellt der spätantike Kirchenbau die letzte große Welle<br />

von Kultbauten in der Antike dar. Damit fragt sich aber, inwieweit die Bauten dieses<br />

neuen Kultes, der in vieler Hinsicht von den bisherigen abwich, in der gleichen Weise<br />

finanziert wurden, wie dies bis dahin der Fall gewesen war. Bis dahin waren Kultbauten<br />

vor allem mit Hilfe des sogenannten Euergetismus finanziert worden, d. h. Angehörige<br />

der Oberschichten hatten solche Baumaßnahmen im Interesse größerer Gruppen<br />

finanziert, um von diesen sozial in ihrer herausragenden Position bestätigt zu werden.<br />

Ob dies auch für den Kirchenbau gilt, war anhand von über 1000 einschlägigen<br />

Inschriften aus den spätantiken Patriarchaten Jerusalem und Antiocheia, also dem<br />

östlichsten Teil der Mittelmeerwelt, zu überprüfen, um so einen wichtigen Beitrag zur<br />

Mentalitätsgeschichte der Spätantike zu leisten.<br />

Olympias zweites Leben in der Spätantike. Von der Errichtung der Domäne um<br />

430 n. Chr. bis zum Einfall der Slaven im 7. Jahrhundert<br />

(A. Gutsfeld, Universität Nancy – St. Lehmann, Universität Halle-Wittenberg)<br />

Die Geschichte der Kultstätten endet in der Spätantike nicht mit dem Verbot paganer<br />

Kulte und dem Ende der traditionellen Feste. Olympia gehört zu den ‚entpaganisierten’<br />

Heiligtümern, die Ende des 4. Jhs. den Sieg des Christentums überlebten: Es wurde<br />

zum Zentrum einer landwirtschaftlichen Domäne, die in Erbpacht bis zur Ankunft der<br />

Slaven im 7. Jh. bewirtschaftet wurde. Das Forschungsprojekt kann sich auf reiche<br />

archäologische Zeugnisse stützen, die Olympia zu einem einzigartigen Fall im<br />

römischen Reich machen. Neben vielen landwirtschaftlichen Einrichtungen und den<br />

weiter genutzten Wasseranlagen ist insbesondere auf die Existenz zahlreicher<br />

Unterkünfte von Bauern hinzuweisen, wahrscheinlich eines kleinen Dorfes von Kolonen.<br />

Das Ziel des Forschungsprojektes ist zunächst, die Umwandlung des Heiligtums in das<br />

Zentrum einer Domäne nachzuzeichnen; außerdem soll der Betrieb des Latifundium<br />

und der Alltag seiner Einwohner rekonstruiert werden. Mit der Analyse des „zweiten<br />

Lebens von Olympia“, soll ein Beitrag zum besseren Verständnis der wechselhaften<br />

Spätgeschichte traditioneller Kultstätten im christlichen Staat geleistet werden.<br />

Diokaisareia-Uzuncaburç: Die ‚Tempelkirche’<br />

(S. Westphalen, Universität Rostock)<br />

Der Umbau des Tempels in eine Kirche setzt die erfolgreiche Christianisierung der<br />

städtischen Eliten voraus, zu der neben reichen Grundbesitzern und einflussreichen<br />

Beamten auch die Bischöfe mit ihren weitreichenden Kompetenzen für die munizipale<br />

Selbstverwaltung gehörten. Im Kreis des höheren Klerus sind auch die Auftraggeber<br />

für den Kirchenbau zu suchen, die mit ihrer Entscheidung dazu beitrugen, dass eine<br />

weitere Verödung des Stadtzentrums verhindert wurde. Denn es ist davon auszugehen,<br />

dass erst zwei bis drei Generationen verstreichen mussten, bevor das in den Jahren<br />

um 400 n. Chr. geschlossene Heiligtum umgewidmet und mit dem Umbau des bereits<br />

verfallenden Tempels begonnen wurde. Damit ist die ‚Tempelkirche’ kein direktes<br />

Zeugnis für die Krise und das Ende des alten Zeuskultes, sondern ein Monument, das<br />

für den bereits vollzogenen Wandel und nach einer Unterbrechung für die<br />

Wiederaufnahme der Kulttradition im zentralen Heiligtum steht. Architektonisch war die<br />

Umwidmung mit einem tiefgreifenden Umbau verbunden, der durch den Anbau einer<br />

Apsis und die Verlegung des Hauptportals auf die Westseite nicht nur eine<br />

Umorientierung des Tempelareals zur Folge hatte, sondern die komplette Entkernung<br />

des Innenraums verlangte, damit innerhalb der hellenistischen Peristasis eine<br />

Emporenbasilika eingebaut werden konnte.<br />

Stand: 10/2007 123


Resafa-Sergiupolis/Resafa-Rusafat Hisham (Syrien)<br />

(D. Sack, Technische Universität Berlin)<br />

Resafa-Sergiupolis ist der Ort, an dem der Hl. Sergios um 300 das Martyrium erlitten<br />

hatte. Die dort entstandene befestigte Pilgerstadt umfasst fünf Kirchenbauten und<br />

große zivile Einrichtungen (Zisternen, Karawanserei, Wohnhäuser). Zwei der<br />

Kirchenareale, die Basilika A (Baubeginn um 470) und die Basilika B (Baubeginn 518,<br />

Vorgängerbauten frühes 5. Jh.) stehen in direktem Zusammenhang mit dem Sergios-<br />

Kult. Seit dem Ende des 5. Jhs. ist der aus Kirche, Vierstützenbau (mit Baptisterium)<br />

und Bischofspalast bestehende Baukomplex der Basilika A, deren nordöstlicher<br />

Apsisnebenraum die Reliquien beherbergte, das Pilgerzentrum entstanden. Den<br />

Nordhof der Kirche ließ der Kalif Hišām b. Abd al-Malik, dessen mehrere große<br />

Gebäudeensemble umfassende Residenz in einem etwa drei Quadratkilometer großen<br />

Bereich südlich der Stadt lag, im 2. Viertel des 8. Jhs. zum Teil von der Großen<br />

Moschee überbauen, denn der Hl. Sergios wurde sowohl von Christen als auch von den<br />

Muslimen verehrt. Die „baraka“, die Heiligmäßigkeit des Ortes führte dazu, dass das<br />

Ensemble der Kultplätze bis zum Ende der Stadt, Mitte des 13. Jhs., in Benutzung war.<br />

Die Statuenbasen im Zeusheiligtum von Olympia<br />

(C. Leypold, Abteilung Athen – Universität Würzburg)<br />

Anhand der ca. 800 im Heiligtumsareal gefundenen Statuenbasen und<br />

Basenfundamente soll eine zeitlich differenzierte Betrachtung der Statuenaufstellung<br />

im Zeusheiligtum von Olympia vorgenommen werden. Diese verspricht nicht nur<br />

wichtige Erkenntnisse zur Gestaltung der Heiligtumstopographie durch die<br />

statuarischen Weihgeschenke, sondern auch darüber, wie in Zeiten gesellschaftlicher<br />

Umbrüche mit den alten Denkmälern verfahren wurde. Diesbezüglich war der Wandel<br />

des Ortes vom paganen Heiligtum in eine christliche Handwerkersiedlung wohl die<br />

grundlegendste Veränderung im Laufe seiner langen Geschichte. Gerade der Umgang<br />

mit den bildlichen Hinterlassenschaften der alten, angeblich nun verhaßten Religion<br />

gibt spannende Einblicke in die Reaktion der Menschen auf die veränderten religiösen<br />

Verhältnisse und damit in die tatsächliche Geisteshaltung während des Übergangs von<br />

der griechischen Tradition zur christlichen Welt. So zeichnet sich beispielsweise ab, daß<br />

einige der alten Statuen gezielt noch nach Ende des Kultbetriebes in frühchristlicher<br />

Zeit bewahrt wurden.<br />

Resistenz, Sublimation und Transformation von Kult in traditionalistischer<br />

Gesellschaft und intellektueller Kultur – Paganismus und Elite Athens im<br />

christianisierten Staat.<br />

(J. Hahn, Universität Münster)<br />

Das Ende eines Kultortes wie überhaupt von Kultpraxis schlägt sich ultimativ im<br />

materiellen Befund nieder – im allgemeinen indiziert dieser aber, angesichts des<br />

Fehlens von Textquellen, meist alleine noch die Schlußetappe eines tatsächlich religiös,<br />

sozial, kulturell und politisch hochkomplexen Prozesses. Im Athen der Spätantike – die<br />

einen atemberaubenden, staatlich geförderten Siegeszug des Christentums und das<br />

rapide Schwinden der alten Kulte erlebte – ist nun nicht nur, gegen den Zeittrend, ein<br />

bemerkenswertes Fortdauern aller <strong>Institut</strong>ionen und Äußerungen paganen Lebens<br />

(religiöse Infrastruktur, Feste, Tempel- und Opferkulte etc.) sichtbar, sondern auch das<br />

Agieren und Reflektieren von Vertretern jener Eliten dokumentiert, welche ökonomisch<br />

wie politisch das Funktionieren und die Kontinuität des Kultlebens sichern mußten. Die<br />

pagane Paideia als Basis zugleich religiöser Identität wurde dabei insbesondere in<br />

Gymnasien und ‚privaten’ Philosophenschulen, v.a. der neuplatonischen Akademie,<br />

energisch gepflegt und – in Auseinandersetzung mit den nun dominierenden religiösen<br />

und anderen Konzepten – fortentwickelt und hierbei lokal wie auf Reichsebene<br />

bemerkenswerte Wirkung erzielt. Die Reflexion, Neuformulierung und Transformation<br />

philosophischer und religiöser Tradition – und so auch paganer Spiritualität und<br />

Stand: 10/2007 124


Kultpraxis – im Kontext offensiver gesellschaftlicher und politischer<br />

Auseinandersetzung bis hin zur Schließung der Akademie durch Justinian 529 n. Chr.<br />

steht im Zentrum des Forschungsvorhaben.<br />

Forschungsfeld 3: Gestalteter Raum<br />

Göbekli Tepe<br />

(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />

Die architektonische Gestaltung der monumentalen steinzeitlichen Heiligtümer des<br />

Göbekli Tepe folgt einem einheitlichen Grundgedanken. Es handelt sich um kreisförmig<br />

aufgestellte, monolithische T-förmige Pfeiler, die von Mauerstreifen verbunden werden,<br />

so daß der Innenraum klar vom Außen abgetrennt wird. Innen an die Mauern sind<br />

steinerne Bänke angelehnt. Im Zentrum der Anlagen steht immer ein Paar<br />

gleichartiger, aber besonders großer Pfeiler. Arme und Hände, die auf einigen dieser<br />

Pfeilern in Flachrelief dargestellt sind, lassen die Monolithe als menschengestaltig<br />

erkennen. Die T-Form erklärt sich somit als stilisierter Umriß einer von der Seite<br />

gesehenen Person. Die Bauform der Heiligtümer repräsentiert folglich eine im Kreis um<br />

ein zentrales Paar gruppierte Versammlung steinerner Wesenheiten. Ob es sich um<br />

hypäthrale Anlagen handelt oder um überdeckte Räume, ist noch nicht geklärt. Die<br />

Miteinbeziehung des Themenkomplexes „megalithische Steinkeise“ in die zukünftigen<br />

Forschungen vermag sicherlich derartige und viele andere Fragen, die sich angesichte<br />

dieses neuen Architekturtyps auftun, zu beantworten.<br />

Dahschur<br />

(N. Alexanian, Abteilung Kairo / FU-Berlin)<br />

Die Nekropole von Dahschur umfaßt ein riesiges Wüstengebiet von 4 x 2 km<br />

Ausdehnung. Beherrscht wird der Platz von zwei Pyramiden des Alten Reiches, die<br />

König Snofru in der 4. Dyn. (um 2500 v. Chr.) errichten ließ, und drei Pyramiden des<br />

Mittleren Reiches, die in der 12. Dyn. (um 1880–1770 v. Chr.) erbaut wurden.<br />

Aufgrund der spezifischen Konzeption des ägyptischen königlichen Totenkultes als<br />

Staatskult, der über lange Zeit eine größere Bedeutung als der Götterkult hatte, muß<br />

man die gesamte Nekropole von Dahschur als heiligen Ort verstehen. Der Kult wurde<br />

in den zu den Pyramiden gehörenden Pyramiden- und Taltempeln über Jahrhunderte<br />

durchgeführt und manifestierte sich in zahlreichen Opfergaben. Räumliche Einheit<br />

entsteht durch die enge Bezugnahme der einzelnen Kulte und Bauwerke aufeinander.<br />

Die den Kult durchführenden Priester wohnten in eigens zu diesem Zwecke<br />

gegründeten Pyramidenstädten am Wüstenrand. Ihre Gräber geben Aufschluß über die<br />

soziale Zusammensetzung und zeitliche Verortung dieser Gemeinschaft. Genauer zu<br />

erforschen wäre die Frage, ob der Kult an den Pyramiden des Snofru am Ende des<br />

Alten Reiches zum Erliegen kam und im Mittleren Reich wiederbelebt wurde oder ob es<br />

eine kontinuierliche, fast tausendjährige Belegungs- und Kultaktivität in Dahschur<br />

gegeben hat. Von größtem Interesse ist auch die Frage, warum und in welcher Form<br />

sich die Könige des Mittleren Reiches an die Architektur und Kulte ihrer Vorgänger<br />

anschlossen.<br />

Uruk – Kulttopographie eines babylonischen Heiligtums<br />

(M. van Ess, Orient-Abteilung)<br />

Das Eanna-Heiligtum in Uruk entstand in der uns bekannten Form am Beginn des<br />

dritten Jahrtausends v. Chr. und bestand bis in die seleukidische Zeit hinein. Es war<br />

der Göttin Inanna/Ischtar geweiht, die – neben dem Himmelsgott Anu – ihren<br />

Hauptverehrungsort in Uruk hatte. Das Heiligtum setzte sich zu allen Zeiten aus einem<br />

im Zentrum der Anlage errichteten Tempel auf einer Terrasse bzw. einer Zikkurrat<br />

Stand: 10/2007 125


sowie einer Anzahl von umgebenden Höfen unterschiedlicher Funktion zusammen. Es<br />

handelt sich um einen Typ eines städtischen Hauptheiligtums, wie er in Babylonien<br />

mehrfach nachgewiesen ist. Das Heiligtum erfuhr im Laufe der Jahrtausende mehrere<br />

Umgestaltungen, die erhebliche bauliche Veränderungen mit sich brachten, mit denen<br />

jedoch das Grundkonzept nicht geändert wurde.<br />

Im Rahmen des Forschungsfeldes „Gestalteter Raum“ sollen die verschiedenen<br />

Bereiche des Heiligtums auf ihre Funktion hin analysiert und versucht werden, deren<br />

Bezüge zu den Kulterfordernissen mehrerer Zeitperioden herauszuarbeiten.<br />

Über Vergleiche zur architektonischen Gestalt und zu archäologischen Befunden<br />

weiterer babylonischer Heiligtümer sollen die Charakteristika derartiger Heiligtümer<br />

hervorgehoben werden. Wesentlich wird darüber hinaus die Einbeziehung<br />

altorientalischer Schriftquellen sein, über die in der Verknüpfung mit den<br />

archäologischen Ergebnissen neue Erkenntnisse zur Funktion der einzelnen<br />

Tempelbereiche zu erwarten sind. Eine enge Vernetzung mit Spezialisten der<br />

altorientalischen Philologie ist daher angestrebt.<br />

Dra’ Abu el-Naga/Theben-West (Luxor)<br />

Vom Grab zum Tempel: Eine königliche Doppelgrabanlage der frühen 18. Dynastie und<br />

ihre Wiederbenutzung am Ende des Neuen Reiches<br />

(U. Rummel, Abteilung Kairo)<br />

In K93.11/K93.12 läßt sich die Neugestaltung eines heiligen Platzes nachvollziehen.<br />

Angelegt in der 18. Dynastie (um 1500 v. Chr.) als Königsgräber – deren Besitzer in<br />

der Folgezeit als Götter verehrt wurden – sind beide Anlagen rund 400 Jahre später<br />

von der Familie des Hohenpriesters Ramsesnacht übernommen und umgestaltet<br />

worden. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die Untersuchung der<br />

Nutzungsgeschichte des Ortes. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Funktion,<br />

welche die königlichen Grabanlagen durch die ramessidische Umgestaltung erworben<br />

haben: Tempel oder Grab – oder Tempelgrab? Beide Anlagen bilden ein<br />

herausragendes Zeugnis des „Wandels des Grabgedankens“ in der Ramessidenzeit, im<br />

Zuge dessen die Tempelfunktion des Grabes immer stärker in den Vordergrund tritt<br />

und das Grab zum „Subjekt der Gottesverehrung“ (Assmann) wird. Die neue Semantik<br />

schlägt sich in K93.11/12 in bislang einzigartiger Weise in der Architektur nieder, und<br />

es ist eine der zentralen Fragen, ob die Tempelelemente im Grabkontext eine neue<br />

Bedeutung gewonnen haben oder vielmehr die Tempelfunktion des Ortes<br />

unterstreichen.<br />

Sabäische Sakralarchitektur: Gestalt, Ausstattung und Kultpraktiken<br />

(I. Gerlach – Orientabteilung, Außenstelle Sanaa)<br />

Im Rahmen der <strong>Clusterforschung</strong> untersucht die Außenstelle Sanaa sabäische<br />

Heiligtümer intra muros in Bezug auf Kultpraktiken und innerstädtische<br />

Kommunikation. Ein Ziel des Projektes ist es, den Bereich des Sakralen, der im<br />

Sabäischen politische, gesellschaftliche und religiöse Aspekte vereint, innerhalb der<br />

beiden wichtigsten sabäischen Stadtanlagen Marib, der Hauptstadt des Reiches von<br />

Saba, und Sirwah zu erforschen. Erstmals für den südarabischen Raum wird dabei<br />

analysiert, in welchem Ausmaß die soziale Ordnung der sabäischen Gesellschaft mit<br />

ihren religiösen Vorstellungen die Gestaltung des sakralen Raums prägte.<br />

Wechselwirkungen zwischen den sich wandelnden Lebensbedingungen und der Religion<br />

vom Beginn der sabäischen Zeit am Anfang des 1. Jt. v. Chr. bis zum Untergang des<br />

Reiches im 6. nachchristlichen Jahrhundert werden dabei berücksichtigt. Von<br />

besonderer Bedeutung ist der Übergang vom Polytheismus zum Monotheismus im<br />

4. Jh. n. Chr. und hier speziell die Auswirkungen auf die Sakralarchitektur sowie den<br />

Kult als Spiegel der sich ändernden sabäischen Gesellschaft.<br />

Stand: 10/2007 126


Darüber hinaus erfolgt eine systematische Untersuchung der Kultpraktiken, Rituale und<br />

Votive anhand archäologischer Funde und Befunde und zwar in Abhängigkeit zur<br />

architektonischen Gestalt der Heiligtümer. Das epigraphische Quellenmaterial, das -<br />

sofern vorhanden - ergänzend zum archäologischen Kontext Hinweise auf den Kult<br />

geben kann, wird dabei gezielt analysiert. Eine systematische Materialsichtung<br />

behandelt darüber hinaus das bisher vernachlässigte Thema der religiösen<br />

Ikonographie der sabäischen Kultur.<br />

Der archaische Apollontempel (‚Tempel II’) in Didyma<br />

(Uta Dirschedl, Zentrale)<br />

Der archaische Apollontempel (‚Tempel II’) in Didyma gilt schon seit seiner Auffindung<br />

zu Beginn des 20. Jhs. – insbesondere auch wegen der qualitätvollen marmornen<br />

Bauskulptur (heute im Pergamonmuseum in Berlin sowie im Archäologischen Museum<br />

in Istanbul) – neben den beiden berühmten Dipteroi im Heraion in Samos sowie dem<br />

älteren Artemision in Ephesos als einer der bemerkenswertesten archaischen ionischen<br />

Tempel in Kleinasien. Der bislang unzureichend erforschte hypäthrale Marmor-<br />

Kalkstein-Bau des 6. Jhs., der einer die Heilige Quelle als natürliches Kultmal<br />

architektonisch einfassenden älteren Hofanlage (‚Sekos I’) nachfolgt, prägt in<br />

funktionaler Anpassung an den Orakelkult konzeptionelle, typologische und stilistische<br />

Besonderheiten aus, die wiederum im hellenistischen Nachfolger, dessen eindrucksvolle<br />

Tempelruine heute noch vor Ort zu sehen ist, weiterwirken.<br />

Ziel des 2003 begonnenen Vorhabens, bei dem auch Dr. Volker Kästner (Kapitelle) von<br />

der Antikensammlung der Staatlichen Museen Berlin sowie Dr.-Ing. Aenne Ohnesorg<br />

(Marmordachziegel) vom Lehrstuhl für Baugeschichte der TU München mitwirken, ist<br />

es, diesen Tempel, Stätte eines über die Grenzen Ioniens hinaus bedeutenden<br />

Orakelkults, seiner Signifikanz für die ionische Baukunst entsprechend auf der<br />

Grundlage einer möglichst vollständigen Materialaufnahme angemessen<br />

wissenschaftlich zu publizieren – ein lange überfälliges Desiderat. Da Bauglieder und<br />

Bauskulptur des Tempels im Vergleich zu den anderen ionischen Dipteroi, mit denen<br />

das Didymaion in Wettstreit trat, in seltener Vollständigkeit und ungewöhnlicher<br />

Formen- und Material-Vielfalt erhalten sind, sind viel versprechende Ergebnisse für die<br />

Kenntnis der archaischen ionischen Baukunst zu erwarten.<br />

Die Statuenbasen im Zeusheiligtum von Olympia<br />

(C. Leypold, Abteilung Athen – Universität Würzburg)<br />

Die zahllosen Bildnisse von Göttern, Heroen und Ehrenmännern, die im Zeusheiligtum<br />

von Olympia zwischen dem späten 6. Jh. v. Chr. und dem späten 3. Jh. n. Chr. als<br />

statuarische Weihgeschenke in den Vorhallen der Tempel und unter freiem Himmel<br />

aufgestellt wurden, prägten entscheidend die Gestalt des Heiligtums. Von mehreren<br />

hundert Statuen wurden noch die Fundamente ihrer Basen freigelegt oder die<br />

steinernen, in der Regel mit Inschrift versehenen Sockel gefunden. Diese tragen<br />

vielfach Spuren von Wiederverwendungen oder Umsetzungen, die darüber Auskunft<br />

geben, daß die Standbilder von der Heiligtumsverwaltung immer wieder abgeräumt<br />

oder umgesetzt werden mußten, um in dem weitläufigen Areal Platz für neue<br />

Weihgeschenke oder auch für Gebäude und Veränderungen der Wegführung zu<br />

schaffen. Das Projekt hat zum Ziel, die Gestaltung des sakralen Bezirks durch die<br />

Statuenaufstellung zeitlich differenziert zu untersuchen und ihre Bedeutung für den<br />

antiken Heiligtumsbesucher zu erfassen.<br />

Stand: 10/2007 127


Kalapodi. Neubewertung der Typologie der dorischen Architektur<br />

(N. Hellner, Abteilung Athen)<br />

Die dorische Architektur gilt im Allgemeinen als gut bekannt. In Kalapodi bietet sich die<br />

einzigartige Möglichkeit eines exemplarischen Studiums vom mykenischen Ursprung<br />

und bislang mindestens acht übereinander Bauten geometrischer bis hadrianischer<br />

Zeit. Durch den Neufund eines archaischen Kapitells und Untersuchungen an<br />

bekannten früharchaischen Kapitellen aus Kalapodi wird jedoch die chronologische<br />

Entwicklungsreihe neu zu ordnen sein. Durch die letzten Grabungskampagnen und die<br />

zukünftig zu erwartenden Ergebnisse kann exemplarisch die Genese des griechischen<br />

Tempels vom mykenischen Megaron über den geometrischen Lehmziegelbau mit<br />

Holzstützen und den Steinbau mit Holzsäulen zum kompletten Steinbau überprüft<br />

werde. Dabei wird der Adaption des Tempeltypus an die Erfordernisse des Kultes<br />

(Wegführung mit beidseitigen Rampen, Weihungen von Streitwagenrädern, bauliche<br />

Manifestation eines Orakels) mit ihren speziellen Lösungen eine besondere<br />

Aufmerksamkeit gelten.<br />

Zur räumlichen Gestaltung punischer Kultstätten<br />

(S. Helas, Abteilung Rom)<br />

Die unterschiedliche architektonische Fassung der bislang bekannten phönizischpunischen<br />

Heiligtümer lässt kein gleichförmiges Bild entstehen und entzieht sich<br />

weitgehend einer Grundrisstypologie. Um punische Sakralanlagen zu entschlüsseln,<br />

müssen wir uns einerseits von der Vorstellung normierter Architekturformen lösen und<br />

andererseits unseren Blick auf die Kultvorgänge lenkten. Ein auf den Kult basierender<br />

Zugang kann neue Perspektiven auf diese Heiligtümer eröffnen, deren bauliche<br />

Unterschiedlichkeit das auffallendstes Merkmal zu sein scheint ("irregular plan"). Einige<br />

Elemente (Opferpodien, Votivbänke und Brandaltäre) treten wiederholt in<br />

verschiedenen punischen Heiligtümern auf und sind mit den religiösen Praktiken des<br />

punisch-phönizischen Kulturkreises in Verbindung zu bringen. Es lassen sich so<br />

verbindende Opferrituale erkennen, die wiederum bauliche Lösungen erfordern. Diese<br />

kultischen Grundelemente konnten offenbar architektonisch recht flexibele kombiniert<br />

werden. Im Rahmen dieses Projektes soll der Versuch unternommen werden, die<br />

räumliche Gestaltung punischer Kultstätten zu beschreiben, zu ordnen und<br />

insbesondere die wechselseitige Beeinflussung von ritueller Handlung und räumlicher<br />

Gestaltung zu analysieren.<br />

Heiligtümer in Latium (Cori, Terracina)<br />

(H. v. Hesberg, Abteilung Rom mit E. Altenhöfer – S. Franz – V. Hinz, München)<br />

Die Städte in Latium nehmen mit der wachsenden Macht Roms und den damit<br />

einhergehenden wachsenden Verbindungen zum griechischen Osten im 3. und 2. Jh. v.<br />

Chr. einen beispiellosen Aufschwung. Diese Veränderungen kulminieren im Ausbau<br />

bestimmter zentraler Heiligtümer. Die berühmtesten Beispiele bilden dabei die<br />

Heiligtümer der Fortuna Primigenia in Praeneste oder das des Hercules Victor in Tivoli,<br />

denen sich in eigentlich allen anderen Städten entsprechende Komplexe zur Seite<br />

stellen lassen.<br />

Die Hauptfragestellung besteht aus einer Untersuchung, wieweit sich bestimmte<br />

religiöse Muster halten und wie stark sie transformiert bzw. auch instrumentalisiert<br />

werden, um sie den veränderten Erwartungen anzupassen. Auf der einen Seite wirken<br />

die neuen Heiligtümer wie eine Transformation sakraler Traditionen, die in ihrer<br />

Monumentalität so etwas wie eine Säkularisierung erkennen lassen. Andererseits fällt<br />

auf, wie sehr bestimmte Kultmale, Naturdenkmäler oder auch nur Orte der Verehrung<br />

und traditionelle Bau- und Kultformen gepflegt werden. Dieser merkwürdige<br />

Widerspruch zwischen der Steigerung des äußeren Aufwands und der neuen<br />

Gewichtung von Kultbild und Kulthandlungen vor dieser Szenerie stehen im Zentrum<br />

Stand: 10/2007 128


der Überlegungen. Im Zentrum der Betrachtung stehen mit dem Dioskurenheiligtum in<br />

Cori und dem Jupiterheiligtum in Terracina zwei sehr unterschiedlich konzipierte<br />

Anlagen, die etwa zur gleichen Zeit (Wende vom 2. zum 1. Jh. v.Chr.) ihre<br />

grundlegend neue Form erhielten, die aber in einer konstrastierenden<br />

Gegenüberstellung bestimmte Aspekte dieser Heiligtümer deutlich machen können.<br />

Das Heiligtum in Cori behält den Ort des früheren Tempels mitsamt den ursprünglichen<br />

Terrassenmauern bei, verändert aber durch eine Serie zusätzlicher Terrassierungen<br />

und Treppenanlagen den Charakter der Anlage. Vor allem der Tempel wird in völlig<br />

neuen Dimensionen errichtet, die allein schon in der Art der Aufstellung der<br />

Kultbildgruppe am besten den veränderten Anspruch zeigen.<br />

Gleiches gilt für Terracina. Während aber Cori in seinem Zuschnitt der Terrassen und<br />

der Wegführung an vorgegebene Situationen innerhalb der Stadt zu folgen scheint,<br />

weswegen auch viele Unregelmäßigkeiten im Plan zu beobachten sind, der Tempel aber<br />

mit seiner Fassade in zentraler Position erscheint und seine Fassade beherrschend<br />

herausstellt, ist es in Terracina eher umgekehrt. Dort gibt es eine aus dem Gelände<br />

und den Kultgepflogenheiten bedingte unregelmäßige Disposition von Tempel, Hallen<br />

und weiteren Anlagen, der Unterbau ist aber weitgehend regelmäßig angelegt. Die<br />

Anforderung, eine möglichst repräsentative neue Form zu finden, wurde also sehr<br />

unterschiedlich eingelöst. Das mag zum einen damit zusammen hängen, dass das eine<br />

Mal das Heiligtum in der Stadt liegt, das andere Mal außerhalb, es mag aber auch der<br />

Ort des Orakels in Terracina eine solche Lösung bewirkt haben.<br />

Das Neuartige des Ansatzes liegt also darin, Heiligtümer in einer Art religiöser<br />

Gesamthaushalt einer Stadt zu sehen, der je nach den Erfordernissen der jeweiligen<br />

Städte unterschiedlich neu bestimmt werden konnte. Dabei sind die verschiedenen<br />

Ebenen in ihren Komponenten zu bestimmen, etwa zum einen Bindung an die<br />

Tradition, ferner die monumentale Ausgestaltung und die Einbindung in das<br />

Ritualgeschehen der Stadt.<br />

Das Zeus-Olbios Heiligtum im Rauhen Kilikien<br />

(D. Wannagat, Universität Rostock)<br />

Die Priesterdynastie des olbischen Tempelstaates herrschte über ein ca. 1000 km 2<br />

umfassendes Territorium im Rauhen Kilikien, das von den Flüssen Kalykadnos und<br />

Lamos begrenzt wurde. Das Zentrum ihrer Macht war das Zeus-Olbios-Heiligtum, das<br />

in hellenistischer Zeit (3.–1. Jahrhundert v. Chr.) monumental ausgebaut wurde. Die<br />

sakrale Topographie des hellenistischen Tempelstaates soll unter zwei Aspekten<br />

analysiert werden. Zum einen gilt es, alle Kultstätten innerhalb des Territoriums in<br />

ihrer spezifischen Qualität zu erfassen und nach ihrer Hierarchie zu fragen. Das<br />

Spektrum reicht von Kultplätzen in natürlichen Höhlen bis zu dem gewaltigen<br />

korinthischen Tempel des Zeus-Olbios als regionalem Zentralheiligtum. Zum anderen<br />

soll die Nutzung des markanten Landschaftsreliefs für die Großbauten im sakralen<br />

Zentrum des Tempelstaates erschlossen werden. Ihr Bezug zum territorialen Wegenetz<br />

und zur nahe gelegenen Polis Olba stehen dabei im Mittelpunkt des<br />

Forschungsinteresses. An diesem Beispiel lässt sich das komplexe Gefüge einer<br />

Heiligtumslandschaft unter den speziellen Bedingungen eines kleinasiatischen<br />

Tempelstaates erfassen.<br />

Gadara/Umm Qais, Heiligtum am östlichen Stadteingang<br />

(C. Bührig, Orient-Abteilung)<br />

Am östlichen Stadteingang von Gadara entstand ab der 1. Hälfte des 2. bis Anfang des<br />

1. Jhs. v. Chr. ein großflächiger, künstlich eingeebneter Tempelbezirk. Er nahm das<br />

vermutlich Zeus Olympios geweihte Hauptheiligtum der Stadt auf.<br />

Während das Areal am östlichen Stadteingang als Kultplatz seit Anfang des 1. Jhs. v.<br />

Chr. eine Nutzungskontinuität aufzeigt, unterliegt das Areal selbst von hellenistischer<br />

Stand: 10/2007 129


is byzantinischer Zeit städtebaulich-kontextuell einem fortwährenden<br />

Wandlungsprozeß. Es ist zu vermuten, daß dieser Wandel mit der kultischen<br />

Bedeutung des Heiligtums interagierte, daß mithin zwischen den neu entstehenden<br />

Bauten und dem Heiligtum ein formaler und ein funktionaler Bezug bestand. Die<br />

Aufdeckung derartiger Bezüge vermag daher auch neue Einblicke in den Kult und seine<br />

Einbindung in das sich verändernde städtische Raumgefüge zu geben.<br />

Didyma: Kultabhängige Kontinuität sakraler Räume und Architektur<br />

(A. Furtwängler, Universität Halle)<br />

Das ungewöhnliche architektonische Konzept, das den großen Apollon-Tempel in<br />

Didyma kennzeichnet, ist auch in Grundzügen für die Vorgängerbauten postuliert<br />

worden. Ferner scheinen weitere hypäthrale Bauten Kleinasiens bei Tieferlegung des<br />

Adytonbereichs ähnlichen Kultvorstellungen entsprungen zu sein. Die neuen<br />

Untersuchungen an den sakralen, didymäischen Vorgängerbauten haben zahlreiche<br />

neue Aspekte sakraler Kontinuität und zeitabhängiger Architekturvorstellungen<br />

erbracht, die nur unter Berücksichtigung einer großen Anzahl von „Bausteinen“<br />

sinnfällig zu einem Ganzen gefügt werden können. Das hierbei aufgedeckte breite<br />

Fundspektrum zu erarbeiten gehört ebenso zu den notwendigen Aufgaben wie die<br />

räumliche Ausdehnung des Gesamtheiligtums im Rahmen der architektonischen<br />

Evolution zu analysieren. Der Wandel des Heiligtums in Form und Raum in<br />

spätgeometrisch - archaischer Zeit, der Stillstand im 5. Jh. und der Versuch seit dem<br />

4. Jh., ein neues ausgreifendes, um nicht zu sagen „bombastisches“ Konzept zu<br />

realisieren, entspringt vordergründig politischen Entwicklungen, wird aber in Rahmen<br />

rein kultkontinuitärer Positionen neu untersucht.<br />

Forschungsfeld 4: Votiv und Ritual<br />

Göbekli Tepe<br />

(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />

Die Heiligtümer am Göbekli Tepe waren ohne Zweifel Orte für rituelle Handlungen.<br />

Welche Art und Gestalt diese besaßen, ist noch völlig ungeklärt. Überhaupt können<br />

verschiedene bei antiken Heiligtümern als gegeben anzusehende Grundlagen, daß es<br />

z.B. Götter gab, denen Opfer und Votivgaben dargebracht wurden, am Göbekli Tepe<br />

nicht ungeprüft übernommen werden. Ob die innen in den Kreisanlagen angefügten<br />

steinernen Bänke als Altäre fungierten, ob die T-Pfeiler, die als menschengestaltige<br />

steinerne Wesenheiten zu verstehen sind, Götter darstellen oder Menschen, gilt es<br />

noch zu ergründen. Erkennbar ist, daß ein fest definiertes Symbolsystem, mit<br />

Einkerbungen notiert auf steinernen Täfelchen, aber auch monumental ausgeführt auf<br />

den Reliefpfeilern des Göbekli Tepe, offenbar eine wirkungsvolle Verankerung des<br />

kulturellen Gedächtnisses dieser Gesellschaft ermöglichte.<br />

Elephantine<br />

(P. Kopp / D. Raue, Abteilung Kairo)<br />

Kaum ein Land oder eine Kultur ist in seiner Existenz derartig von einem einzelnen<br />

Naturereignis abhängig gewesen wie Ägypten von der Nilflut. Der Zeitraum vom<br />

Einsetzen der ersten Pegelerhöhung bis zur Sicherstellung der landwirtschaftlichen<br />

Grundlage des kommenden Jahres wurde landesverbindlich an der Südgrenze<br />

beobachtet – und die Beobachtungsstelle rituell ausgestaltet. Der heilige Platz hierfür<br />

ist der Tempel der Göttin Satet an einem tiefreichenden Strudelloch auf der Nilinsel<br />

Elephantine gegenüber der modernen Großstadt Assuan.<br />

Stand: 10/2007 130


Der Satettempel von Elephantine ist das einzige Heiligtum Ägyptens, das von seinen<br />

Anfängen im 4. Jt. v. Chr. bis in die römische Kaiserzeit durch eine moderne<br />

Ausgrabung vollständig dokumentiert und z. T. auch restauriert werden kann. Die<br />

Grabung konnte das 4. und 3. Jt. v. Chr. betreffend mehr als 20 Phasen der<br />

Entwicklung in einer natürlich gebildeten Felsnische feststellen. Im Anschluss hieran<br />

nimmt das zentralistische ägyptische Königtum mehr und mehr Besitz von der<br />

Kultstelle in Gestalt von Festtempeln mit steinernen Bauteilen sowie schließlich mit<br />

großen steinernen Festtempeln, die, auf höherem Niveau errichtet, den Bezug zum<br />

ursprünglichen Strudelloch verlieren. An seine Stelle treten nun gebaute Ritualräume<br />

und -installationen.<br />

Parallel zu den architektonischen Befunden innerhalb des Temenos, den zahlreichen<br />

epigraphischen Zeugnissen und den Felsinschriften der Umgebung wird die<br />

Befundsituation in idealer Weise durch das archäologische Fundgut aus den<br />

verschiedenen Nutzungshorizonten des Tempels abgerundet: Zahlreiche Votivgaben<br />

und Ritualutensilien lassen sich verschiedenen Tempelstufen zuordnen. Hier steht vor<br />

allem die Bearbeitung des Fundgutes des späten 3. und 2. Jt. v. Chr. sowie eine<br />

Auswertung der Keramikfunde aus. Damit wird die Serie der Ausstattungsgegenstände<br />

und Votivgaben von den Heiligtumsanfängen bis hin zum staatlichen Festtempel des<br />

Neuen Reiches geschlossen und einer übergeordneten Synthesebetrachtung<br />

zugänglich.<br />

Abydos<br />

(U. Effland, Abteilung Kairo)<br />

Im mittelägyptischen Abydos befindet sich die Nekropole der frühesten Könige<br />

Ägyptens. Das Grab des Königs Djer (1. Dynastie, ca. 2950 v. Chr.) wurde spätestens<br />

ab dem Mittleren Reich (um 2000 v. Chr.) als das Grab des mythischen Königs und<br />

Gottes Osiris identifiziert. Der daraus erwachsene lokale Osiriskult erfährt während der<br />

19. und 20. Dynastie einen weiteren Höhepunkt und wird während des 1.<br />

vorchristlichen Jahrtausends immer umfangreicher. Die kultischen Aktivitäten reichen<br />

bis in koptische Zeit und enden erst in der zweiten Hälfte des 5. nachchristlichen<br />

Jahrhunderts. Die in dieser Zeitspanne niedergelegten Votivgaben und die verbliebenen<br />

Ritualrelikte sind in bezug auf die Quantität (alleine ca. 8 Millionen Votivschälchen) und<br />

auf die Qualität (Totenstatuetten, Architekturfragmente, historisch und<br />

religionshistorisch relevante Texte) außergewöhnlich. Die Kombination aus<br />

archäologischen und textlichen Quellen unter Einbeziehung der topographischen<br />

Gegebenheiten ermöglichen erstmals eine Rekonstruktion des aufwendigen<br />

Kultgeschehens.<br />

Dahschur<br />

(N. Alexanian, Abteilung Kairo / FU-Berlin)<br />

Vergleiche Forschungsfeld 4.3.<br />

Die Grobkeramik von Milet IV<br />

(I. Kaiser, Abteilung Athen)<br />

Die Grobkeramik der Phase Milet IV (entspricht MM III bis SM I A/SM II), die im<br />

bronzezeitlichen milesischen Heiligtum wenig südlich des späteren Tempels der Athena<br />

gefunden wurde, weist zweierlei Besonderheiten auf: Zum einen gehören ihre Formen<br />

größtenteils dem kretisch-minoischen Formenspektrum an, zum zweiten ist die<br />

Keramik nahezu ausschließlich aus dem lokalen glimmerhaltigen milesischen Ton<br />

gefertigt. Unter den Formen, die eindeutig auf rituelles Geschehen weisen, sind<br />

konische Rhyta, wie sie vielfach aus kretischen Heiligtümern belegt sind. Des weiteren<br />

kommen sog. fireboxes vor, die möglicherweise zur Herstellung bestimmter, für den<br />

Stand: 10/2007 131


Kult relevanter Essenzen dienten und im ägäischen Raum zahlreich zutage gekommen<br />

sind. Ebenfalls aus kretischen Heiligtümern sind die Unmengen konischer Näpfe und<br />

dreibeiniger Kochtöpfe bekannt, die es für Milet sehr wahrscheinlich machen, daß die<br />

Teilnehmer am Ritual Kreter waren. Indizien für Votive fanden sich indessen unter der<br />

Grobkeramik dieser Phase nicht.<br />

Sabäische Sakralarchitektur: Gestalt, Ausstattung und Kultpraktiken<br />

(I. Gerlach – Orientabteilung, Außenstelle Sanaa)<br />

Vergleiche Forschungsfeld 4.3.<br />

Die dekorierte geometrische Keramik im Heiligtum von Kalapodi<br />

(I. Kaiser, Abteilung Athen)<br />

Die dekorierte geometrische Keramik im Heiligtum von Kalapodi bietet die Möglichkeit,<br />

das Ritualverhalten vom 10. bis zum 7. Jh. v. Chr. zu untersuchen. Die Keramik aus<br />

den geometrischen Kontexten besteht aus klein zerscherbtem Material, das sich<br />

hauptsächlich zu offenen Gefäßformen wie Skyphoi, Tassen und dergleichen<br />

rekonstruieren läßt. Ob die größeren Formen wie Dinoi und Kratere als Votive gedient<br />

haben oder ebenfalls im rituellen Zusammenhang verwendet wurden, muß die weitere<br />

Fundanalyse erbringen, die noch nicht abgeschlossen ist. Die Zusammensetzung der<br />

Kontexte besteht gleichermaßen aus lokaler Produktion wie aus Importen, bei denen<br />

Einflüsse bis nach Sizilien (Thapsosware) nachgewiesen werden können. Das Verhältnis<br />

von Importen zu lokaler Ware bedarf ebenfalls noch der Untersuchung. Die Frage nach<br />

den Benutzern oder Stiftern der Importe ist gleichfalls von Interesse, da Kalapodi als<br />

regionales Heiligtum diente.<br />

Archaischer Kultbezirk auf dem Taxiarchis in Didyma<br />

(H. Bumke, Universität Bonn)<br />

Im Jahre 2000 wurde ca. 200 m nordwestlich des Apollontempels in Didyma ein bislang<br />

unbekannter archaischer Kultplatz lokalisiert. Er befindet sich an exponierter Stelle auf<br />

einer Anhöhe (sog. Taxiarchis-Hügel) oberhalb der Heiligen Straße, die Milet mit<br />

Didyma verband. Im Verlauf der sich bis 2003 anschließenden Grabungen wurde auf<br />

geringer Fläche eine Fülle von äußerst qualitätsvollem Votivmaterial archaischer Zeit<br />

zutage gefördert, wie wir es aus Heiligtümern von überregionaler Bedeutung kennen.<br />

Offensichtlich handelt es sich hierbei um ‘Heiligtumsschutt’, der im wesentlichen drei<br />

stratifizierten Horizonten angehört, die eine Zeitspanne vom 8. bis zum Ende des 6.<br />

Jhs. v. Chr. umfassen. Das meiste Fundmaterial stammt aus einer kompakten<br />

Brandschicht, die wahrscheinlich aus der ‘Perserzerstörung’ von Didyma resultiert. In<br />

diesem Zusammenhang gilt es zu überprüfen, wie sich das Votivmaterial aus einer<br />

solchen Zerstörungsschicht – seine Verteilung und Zusammensetzung – zu dem aus<br />

intentionellen Deponierungen verhält.<br />

Bemerkenswerterweise läßt das Spektrum der Weihegaben ein besonderes Profil<br />

erkennen, das möglicherweise für eine bestimmte Klientel und die Funktion eines<br />

solchen ‘kleinen Kultbezirks’ im Umfeld des milesischen ‘Hauptheiligtums’ signifikant<br />

ist. So wird die Auswertung des Fundmaterials von der übergreifenden Frage geleitet,<br />

ob sich für die verschiedenen milesischen Heiligtümer durch eine vergleichende<br />

Untersuchung ihrer Lage und Ausstattung eine Funktionsdifferenzierung ermitteln läßt<br />

und inwieweit diese mit spezifischen Kulthandlungen verbunden werden kann.<br />

Stand: 10/2007 132


Toten- und Götterkult in Gabii und Latium 650–500 v. Chr.<br />

(G. Zuchtriegel, Abteilung Rom)<br />

Während der Urbanisierung Latiums im 7. und 6. Jh. v. Chr. kam mit den städtischen<br />

Heiligtümern eine neue Form heiligen Handelns auf. Sie wird in den Zwölf-Tafel-<br />

Gesetzen als sacra publica gegenüber den sacra privata (Toten- und Hauskulten)<br />

abgegrenzt. Einer der ältesten dieser latinischen Kultbezirke ist das Ostheiligtum von<br />

Gabii. Aufgrund der guten Erhaltungsbedingungen können hier die sacra publica in<br />

ihrer Entstehungsphase gut untersucht werden.<br />

Die Funde aus dem Ostheiligtum stammen größtenteils aus einer großen Votivgrube,<br />

die vor dem um 570 v. Chr. erbauten Tempel in den Tuff gegraben wurde. Seit seiner<br />

Ausgrabung 1976–77 wurden nur wenige Funde des Komplexes publiziert; eine<br />

Untersuchung des Gesamtspektrums steht noch aus. Sie soll klären, wie Rituale und<br />

heilige Orte im 7. und 6. Jh. v. Chr. aussahen: Wie setzte sich das Ensemble der<br />

Weihgaben zusammen und worin unterschied es sich von dem der Nekropolen, die<br />

noch im 7. Jh. als Hauptschauplätze kultischer Niederlegungen fungierten? Welche<br />

Rolle spielt Bankett- und Symposionskeramik und welche die speziell für kultische<br />

Zwecke gefertigte Keramik, wie beispielsweise Miniatur- und Libationsgefäße? Neben<br />

dem Beginn des Kultes und dessen Beziehungen zu etruskischen und griechischen<br />

Vorbildern steht seine Erscheinungs- und Ausdrucksform in archaischer Zeit im<br />

Mittelpunkt.<br />

Entwicklung und Funktion eines suburbanen Kultes am Beispiel des<br />

Heiligtums von Kako Plaï auf dem Anavlochos (Kreta)<br />

(O. Pilz – M. Krumme, Abteilung Athen/Zentrale)<br />

Die Genese der suburbanen Kultplätze unterliegt nicht nur den allgemeinen<br />

Veränderungen in der Kult- und Weihpraxis, sondern vollzieht sich darüber hinaus in<br />

enger Wechselwirkung mit der Entwicklung der Siedlung oder polis, zu der das<br />

jeweilige Heiligtum gehörte. Am Beispiel einer geometrisch-archaischen Siedlung auf<br />

dem Anavlochos und des zugehörigen suburbanen Heiligtums von Kako Plaï soll<br />

untersucht werden, welche konkrete Funktion dieser Kult erfüllt hat und welche<br />

Rückschlüsse sich möglicherweise aus dem Votivmaterial auf die sozialen Strukturen<br />

innerhalb der Siedlung ziehen lassen. Durch eine ikonographische und quantitative<br />

Analyse der figürlichen Terrakotten, die das Gros der erhaltenen Weihgaben bilden,<br />

sollen der Charakter des Kultes sowie die Intensität der Nutzung des Heiligtums<br />

genauer bestimmt werden. Zusätzliche Hinweise liefert die Keramik, die im<br />

Votivmaterial allerdings nur in verhältnismäßig geringem Umfang vertreten ist.<br />

Milet – Das Heiligtum der Aphrodite auf dem Zeytin Tepe<br />

(V. von Graeve - I. Panteleon, Ruhr-Universität Bochum)<br />

Das 1989 zufällig aufgefundene und seitdem kontinuierlich erforschte Heiligtum der<br />

Aphrodite von Oikous ist ein bedeutendes, sicher bezeugtes Heiligtum von<br />

internationaler Bedeutung. Die bisherigen Grabungsergebnisse zeigen, dass das<br />

Heiligtum seinen Höhepunkt in der archaischen Zeit hatte, daneben treten aber auch<br />

Belege für eine Kontinuität des Aphroditekultes an diesem Ort bis in die spätere<br />

römische Kaiserzeit. Die Grabung am Zeytin Tepe ist programmatisch eingebunden in<br />

den größeren Zusammenhang der Erforschung des archaischen Milets. Im Rahmen des<br />

Forschungsclusters soll das Schicksal der im Heiligtum befindlichen Votivgaben im<br />

Zuge einer weitreichenden Umgestaltung des Areals im ausgehenden 6. Jh. v. Chr.,<br />

sowie der Wandel des Kultes nach der Zäsur durch die persische Zerstörung Milets 494<br />

v. Chr. untersucht werden.<br />

Stand: 10/2007 133


Gürtel, Diademe und Schmuckbleche: Geometrische Votivgaben in Olympia<br />

(Susanne Bocher, Abteilung Athen)<br />

Aus dem großen Spektrum an frühen Weihgaben in Olympia sollen hier die Gürtel,<br />

Diademe und Schmuckbleche untersucht werden. Auffällig ist hierbei, daß der Großteil<br />

der Objekte intentionell unbrauchbar gemacht wurde und überwiegend aus der<br />

sogenannten ‚schwarzen Schicht’ stammt, die mit Kult- bzw. Opferresten einer<br />

Altarstätte in Verbindung zu bringen ist.<br />

Einen Schwerpunkt stellt außerdem die regionale Einordnung der Objekte dar. Anhand<br />

der Herkunft der Weihgaben kann die lokale und überregionale Bedeutung des<br />

Heiligtums von Olympia in seiner Frühzeit untersucht werden. Bemerkenswert ist<br />

hierbei, daß neben lokal hergestellten Weihgaben, die ähnlich auch in benachbarten<br />

Heiligtümern auf der Peloponnes gefunden wurden, viele Votive aus Regionen des<br />

nördlichen und östlichen Balkans stammen.<br />

Artemisheiligtum von Olympia<br />

(J. Heiden, Abteilung Athen)<br />

Im Südosten Olympias wurde ein spätarchaischer Altar und sein frühkaiserzeitlicher<br />

Nachfolgebau zwischen 1962 und 1964 von Emil Kunze ausgegraben. Es handelt sich<br />

um einen der wenigen geschlossenen Befunde im Zeusheiligtum. Eine Inschrift auf<br />

dem Altar belegt neben einer Beschreibung von Pausanias, daß es sich um das<br />

Artemisheiligtum handelt. Der Altar war von einer Opferschicht umgeben, die nicht nur<br />

zahlreiche tönerne und bronzene Weihgaben enthält, die zum Teil noch in situ auf dem<br />

Altar lagen. In der Opferschicht wurden außerdem viele Knochen der Opfertiere<br />

gefunden, die während der Artemisfeste geschlachtet wurden. Eine Analyse der bei<br />

einer Nachgrabung 2002 gefundenen Knochen ergab hochinteressante Einzelheiten<br />

über das Opferritual am Altar.<br />

Olympia - Diachrone Analyse des Votivspektrums<br />

(H. Frielinghaus, Universität Regensburg)<br />

Dank günstiger Lagerungsbedingungen hat sich in Olympia eine große Zahl von<br />

Weihgeschenken erhalten, die innerhalb des weiten Zeitrahmens von der<br />

protogeometrischen Epoche bis zur römischen Kaiserzeit entstand. Auch wenn die<br />

archäologischen Befunde nur von wenigen Schriftquellen ergänzt werden, bietet sich<br />

hier eine hervorragende Möglichkeit, die Entwicklung der Kultstätte wie auch<br />

Veränderungen des Weihverhaltens zu untersuchen. Im Rahmen des Projektes soll die<br />

Bandbreite der olympischen Votive wie auch die Quantität der einzelnen<br />

Weihgeschenkgattungen erfasst und in ihrer Entwicklung über die Jahrhunderte<br />

verfolgt werden. Soweit möglich wird auch die Herkunft der Votive in die Untersuchung<br />

einbezogen; einen weiteren Punkt der Analyse bietet die Auswertung der spärlichen<br />

Hinweise auf Stifter und Anlaß der Weihungen.<br />

Die rotfigurige Keramik von Olympia<br />

(M. Bentz, Universität Bonn)<br />

Thema ist die Funktion von bemalter „Luxus“-Keramik im Heiligtum. Zunächst wird die<br />

bislang unbearbeitete attische und elische rotfigurige Keramik erfaßt und ausgewertet.<br />

Unter Berücksichtigung der Chronologie, der Formen, der Bilder auf den Gefäßen und<br />

der Fundkontexte sowie unter Einbeziehung aller anderen bemalten Gattungen sollen<br />

die möglichen Verwendungsarten geklärt werden: 1. als Weihgeschenk, 2. Verwendung<br />

im Kult, 3. als Geschirr bei kultischen Mahlzeiten, 4. profane Verwendung durch<br />

Besucher außerhalb religiöser Rituale. Es deutet sich an, daß – anders als in anderen<br />

Heiligtümern – vor allem die beiden letztgenannten Möglichkeiten vorherrschen.<br />

Stand: 10/2007 134


Intentionelle Niederlegungen in Großgriechenland und Sizilien<br />

(S. Helas, Abteilung Rom)<br />

Anliegen dieses Projekts ist es, unter dem Aspekt der intentionellen Niederlegungen<br />

einen tieferen Einblick in die religiösen Vorstellungen der archaischen Zeit zu<br />

gewinnen. Besondere Alltagsgegenstände sowie Schmuck und Waffen konnten durch<br />

Zerstören, Vergraben oder Verbergen der antiken Lebenswelt dauerhaft entzogen<br />

werden. Nach einer Zusammenstellung aussagekräftiger Befunde und absichtlich<br />

unbrauchbar gemachter Objekte gilt es, mit Hilfe dieser archäologischen Quellen so<br />

weit wie möglich rituelle Handlungsabläufe zu rekonstruieren. Es sollen sowohl<br />

intentionelle Niederlegungen in Heiligtümern als auch solche in Wohngebieten in den<br />

Blick genommen und verglichen werden. Anschließend ist zu fragen, welche Absichten<br />

diesen Verhaltensweisen zu Grunde lagen.<br />

Votivpraxis im hellenistischen und kuschanzeitlichen Baktrien<br />

(G. Lindström, Eurasienabteilung)<br />

Seit den 1960er Jahren wurden im antiken Baktrien (Zentralasien) mehrere Tempel<br />

aus hellenistischer Zeit und der anschließenden Kuschanzeit ausgegraben. Ob dort<br />

griechische, iranisch-baktrische oder synkretistische Gottheiten verehrt wurden und<br />

nach welchen Mustern der Kult in diesem Randgebiet der hellenistischen Welt ausgeübt<br />

wurde, konnte bisher nicht geklärt werden. Eine systematische und vergleichende<br />

Untersuchung der in diesen Heiligtümern gefundenen Votive ist deshalb von großem<br />

religionsgeschichtlichem Interesse. Orientierten sich die Weihsitten des 3. und 2. Jhs.<br />

v. Chr. an griechischen oder iranischen Traditionen? Und spiegelt sich der für andere<br />

Aspekte der Kultur nachgewiesene griechische Einfluss auch in der Votivpraxis wider?<br />

Außerdem wird die Entwicklung der Weihegebräuche bis zum Ende des 3. Jhs. n. Chr.<br />

untersucht. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie sich die Invasion Baktriens<br />

durch nomadische Stämme um 130 v. Chr. auf die religiösen Vorstellungen ausgewirkt<br />

hat. Das Ziel ist es, am Beispiel der Votivpraxis die Ausprägung der griechischorientalischen<br />

Mischkultur in Baktrien zu beleuchten und ihre Transformation unter<br />

nomadischem Einfluss zu verfolgen.<br />

Der Kultplatz von Yalakbaşı<br />

(B. Stark, Universität Wien – M. Wörrle, AEK)<br />

Das Bergland des Bonda tepesi trennt die Küstenebenen von Myra und Limyra im<br />

südöstlichen Lykien. Das heute vereinsamte und schwer zugängliche Gebiet erwiesen<br />

Surveys von A. Konecny und Th. Marksteiner als in der Antike mit Einzelgehöften und<br />

stattlichen Dörfern dicht besiedelten Kulturraum. Am antiken Aufweg liegt das<br />

Trümmerfeld von Yalakbaşı, in dem die Inschriften das Heiligtum eines bislang<br />

unbekannten Gottes erkennen ließen. Sein epichorischer Name, weist in die luwische<br />

Frühgeschichte des Landes, während die bislang zugänglichen Reste des Kultplatzes<br />

nicht über die späthellenistische Zeit zurückzureichen scheinen. Er besteht aus einem<br />

umfangreichen, wohl in byzantinischer Zeit zerstörten Ensemble von Votivstelen, -<br />

pfeilern und -altären, viele davon ungewöhnlich monumental und auf aufwendigen<br />

Sockeln präsentiert. Ein derartiges Temenos unter freiem Himmel und in freier<br />

Landschaft ist in Lykien bisher einzigartig und dürfte mit seiner vollständigen Erhaltung<br />

von erheblichem religionsgeschichtlichen Interesse sein.<br />

Die Romanisierung einheimischer Heiligtümer im Westen der Iberischen<br />

Halbinsel<br />

(T. G. Schattner, Abteilung Madrid)<br />

Vergleiche Forschungsfeld 4.1.<br />

Stand: 10/2007 135


ARBEITSPROGRAMM UND VERANSTALTUNGEN<br />

2006<br />

29.3.–18.6.2006<br />

Ausstellung im Deutschen Hirtenmuseum "Der heilige Mammas- Schutzpatron der<br />

Hirten und Herden"<br />

(Kooperation Jutta Stroszeck, <strong>Deutsches</strong> Hirtenmuseum, Volker Scheunert, M.A.)<br />

2007<br />

Sommer 2006 bis Sommer 2007<br />

Inhaltliche Präzisierung des Forschungsprogramms innerhalb der aktiv teilnehmenden<br />

Unternehmungen. Ausrichtung laufender Feldforschungen auf die Fragestellungen des<br />

Clusters.<br />

26.–27. März 2007<br />

Konstituierendes Kolloquium des Forschungsclusters<br />

Ort: <strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> Athen<br />

(Ansprechpartner: Margarete van Ess, Wolf-Dietrich Niemeier, Dietrich Raue, Reinhard<br />

Senff)<br />

8. Juni 2007<br />

Arbeitstreffen des Forschungsfeldes 2 „Ende und Neubeginn“<br />

Ort: <strong>Institut</strong> für Klassische Altertumswissenschaften (Robertinum) der Martin-Luther-<br />

Universität Halle-Wittenberg<br />

(Ansprechpartner: Stefan Lehmann)<br />

22. Juni 2007<br />

Arbeitstreffen des Forschungsfelds 4 „Votiv und Ritual“<br />

Ort: Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> Berlin, Wiegandhaus – Gartensaal<br />

(Ansprechpartner: Gunvor Lindström, Dietrich Raue, Thomas Schattner)<br />

2008<br />

12. Januar 2008<br />

Arbeitstreffen des Forschungsfelds 3 „Gestalteter Raum“<br />

Ort: <strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> Berlin – Orientabteilung<br />

(Ansprechpartner: Nils Hellner)<br />

29. September – 2. Oktober 2008<br />

Beteiligung Forschungsfeld 4-4 an der Konferenz „Ritual Dynamics and the Science of<br />

Ritual“ in Heidelberg<br />

Zweite Hälfte November 2008<br />

Tagung des Clusters 4.2 „Spolisierung und Spolienverwendung in Kultorten“<br />

Die Tagung stellt „Spolisierung und Spolienverwendung“ als archäologisch und<br />

historisch zu untersuchendes antikes Phänomen in den Mittelpunkt. Neuere<br />

Forschungen zu Umnutzung, Weiterverwendung und Zerstörung traditioneller Bauten<br />

und Weihgeschenke haben auf die große Bedeutung von Spolien und Spolisierung für<br />

das bessere Verständnis von Ende und Nachleben in der Antike aufmerksam gemacht.<br />

Zwischen der planvollen Umnutzung von Bauten und dem bloßen Recycling antiker<br />

Baumaterialien gibt es eine Fülle von Zwischenformen, in denen Werke der antiken<br />

Architektur als Ganzes oder in Teilen überdauerten oder vernichtet wurden. Bedeutete<br />

solch ein Umgang mit traditionellen Monumenten prima facie zwar Zerstörung,<br />

Stand: 10/2007 136


zumindest der durch sie gestifteten Funktionen und der gestalteten öffentlichen<br />

Räume, so bot die Weiterverwendung und Umnutzung solcher identitätsrelevanter<br />

Bauten doch auch Bewahrungschancen und neue Gestaltungsmöglichkeiten, wurden<br />

die betroffenen Gebäude der zerstörerischen Verwertung doch entzogen. So<br />

überdauerten etwa Tempel als Verwaltungsbauten und später auch Kirchen oder<br />

Heiligtümer als Domänen. Dieses vor allem für die Spätantike geläufige, historisch<br />

bedeutsame und folgenreiche archäologische Überlieferungsproblem wurde noch nicht<br />

übergreifend behandelt. Daher sollen in der ‚kleinen Tagung’ mit etwa 10-12<br />

Referenten typische Verläufe der Überführung und Verwertung des traditionellen<br />

antiken Erbes für die Zeit zwischen dem 4. Jh. v. Chr und 7. Jh. n. Chr. exemplarisch<br />

behandelt und diskutiert werden.<br />

Ort:<br />

Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik<br />

Amalienstraße 73b<br />

80799 München<br />

Ansprechpartner und Anmeldung:<br />

PD Dr. Stefan Lehmann<br />

PD Dr. Rudolf Haensch<br />

2009<br />

Mitte Januar 2009<br />

Kolloquium aller Forschungsfelder des Themenclusters in Kairo.<br />

Stand: 10/2007 137


Forschungscluster 5<br />

GESCHICHTE DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN<br />

INSTITUTS IM 20. JAHRHUNDERT<br />

Sprecher: O. Dally, C. Jansen, M. Linder<br />

Stand 3/2008<br />

1. Einleitung und Ziele<br />

2. Wichtige Literatur zur Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert<br />

3. Einzelne Projekte<br />

3. 1. Uta Dirschedl (DAI-Archiv)/Monika Linder (DAI-Bibliothek): Erfassung und<br />

Erschließung der Bestände des DAI-Archivs<br />

3. 2. Christian Jansen: Archäologie und Politik. Das Deutsche Archäologische<br />

<strong>Institut</strong> zwischen Wissenschaft, Zeitgeist und auswärtiger Kulturpolitik<br />

1900–1980<br />

3. 3. Frederick Jagust: Die Zentrale des DAI in Berlin – Entscheidungsprozesse und<br />

Finanzstrukturen von der Zwischen- zur Nachkriegszeit (1929–1979)<br />

3. 4. Marie Vigener: Archäologie und Öffentlichkeit – Das Deutsche Archäologische<br />

<strong>Institut</strong> in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1929–1979)<br />

3. 5. Susanne Voss: Geschichte des DAI-Kairo von 1907–1979<br />

4. Weitere, mit Cluster 5 verbundene Projekte<br />

Cluster 5 unterscheidet sich in mancher Hinsicht von den übrigen Forschungsclustern: Er<br />

ist vom finanziellen Einsatz und von der Zahl der beteiligten ForscherInnen der kleinste<br />

Cluster. Ein weiteres Spezifikum ist die Zusammenarbeit von Archäologen und<br />

Zeithistorikern. Schließlich hat er eine gestaffelte Struktur: im Zentrum steht ein kleiner,<br />

wissenschaftsgeschichtlicher Forschungsverbund in Berlin, der eng mit den<br />

Erschließungsarbeiten im Archiv zusammenarbeitet und mit den diversen Cluster 5-<br />

Projekten in den Abteilungen locker kooperiert.<br />

1. Einleitung und Ziele<br />

Fragen nach der NS-Vergangenheit heute hoch angesehener <strong>Institut</strong>ionen werden in der<br />

Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit und nicht nachlassendem Interesse verfolgt.<br />

Das <strong>Institut</strong> ist sich der Tatsache bewusst, dass seine Geschichte während der NS-Zeit<br />

trotz einiger Studien (z. B. von Klaus Junker) noch nicht in befriedigendem Maße<br />

aufgearbeitet ist, was verschiedene Gründe hat. Das für die Zeit bedeutsame<br />

Archivmaterial ist noch keinesfalls vollständig ausgewertet, ja nicht einmal erfasst.<br />

Wichtige, bislang nicht gesichtete Akten sind im Archiv des Auswärtigen Amts, im<br />

Bundesarchiv Berlin, im Landesarchiv Berlin und anderen Archiven zu erwarten. Auch die<br />

Bestände des DAI-Archivs sind noch keineswegs systematisch erfasst, geschweige denn<br />

ausgewertet. Außerdem gibt es Hinweise auf heute in Russland befindliche Dokumente<br />

aus dem Bestand des DAI, die offenbar nach Ende des Krieges dorthin verbracht wurden.<br />

Während die Geschichte des DAI bisher, meist im Zusammenhang mit <strong>Institut</strong>sjubiläen,<br />

von wissenschaftsgeschichtlich engagierten Archäologen geschrieben wurde, wurde die<br />

Federführung bei der Untersuchung der Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert im<br />

Rahmen von Cluster 5 mit Prof. Dr. Christian Jansen einem wissenschafts- und<br />

138


universitätsgeschichtlich ausgewiesenen Neuhistoriker übertragen und auch weitere<br />

Forschungsaufträge in erster Linie an Zeit- und Wissenschaftshistoriker vergeben. Dies<br />

geschah aus zweierlei Gründen: Erstens verfügen nur Fachhistoriker über die nötigen<br />

Spezialkenntnisse, die für den kompetenten Umgang mit der schwierigen Akten- und<br />

Quellensituation unerlässlich sind. Zweitens muss eine Gesamtdarstellung der<br />

<strong>Institut</strong>sgeschichte im Kontext der Politik-, Wissenschafts-, <strong>Institut</strong>ionen-, Rechts-,<br />

Ideen-, Mentalitäts- und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben werden.<br />

Auch wenn das Ausgangsinteresse für die Beschäftigung mit der Geschichte des DAI die<br />

NS-Zeit betreffen mag, empfiehlt es sich aus verschiedenen Gründen, den Fokus der<br />

Erforschung zu weiten. Dabei scheint der Zeitraum vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis<br />

etwa 1980 sinnvoll. Die Studie sollte also in der ausgehenden Kaiserzeit beginnen und<br />

mit der 150-Jahr-Feier und der damit verbundenen Gründung der Kommission für<br />

Allgemeine und Vergleichende Archäologie in Bonn (heute Kommission für Archäologie<br />

Außereuropäischer Kulturen) im Jahre 1979 enden, die für die Arbeit des <strong>Institut</strong>s den<br />

letzten Schritt hin zu einer globalen, weltumspannenden archäologischen Forschung<br />

bedeutete. Diese Ausweitung des Betrachtungszeitraums ist notwendig, weil die aktuelle<br />

Zeitgeschichts- und insbesondere NS-Forschung keine Stunde Null mehr kennt. Sie<br />

ordnet vielmehr – mit hohem wissenschaftlichem Ertrag – das Dritte Reich in die<br />

Kontinuität der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein und kann gerade dadurch<br />

sowohl die unbestreitbaren Brüche als auch Kontinuitäten präziser herausarbeiten.<br />

Insofern sollte auch in Bezug auf das DAI die NS-Zeit nicht isoliert betrachtet werden.<br />

Vielmehr gilt es, die Arbeit des DAI in die längerfristigen politischen Entwicklungen und<br />

Trends der Forschung einzuordnen und vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen und<br />

politischen Kontextes zu analysieren.<br />

Angestrebt wird eine von einem Zeithistoriker verfasste integrierte Gesamtdarstellung<br />

der <strong>Institut</strong>sgeschichte von 1900–1979, die etwa 2010 abgeschlossen sein soll, und von<br />

zwei Dissertationen zu speziellen Aspekten sowie von diversen Projekten zur Geschichte<br />

der Auslandsabteilungen flankiert werden wird (s. u. „Einzelne Projekte“). Weitere<br />

Aspekte lassen sich in begleitenden Workshops und Kolloquien vertiefen, die<br />

anschließend ebenfalls veröffentlicht werden könnten.<br />

Ein Vorbild für die Untersuchung der Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert kann die im<br />

Auftrag der Max Planck-Gesellschaft durchgeführte und abgeschlossene Untersuchung zur<br />

Geschichte der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft im Dritten Reich sein (vgl.<br />

http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/publications.htm). Auch die DFG lässt seit<br />

einigen Jahren ihre Geschichte zwischen 1920 und 1970 von unabhängigen<br />

Wissenschaftshistorikern erarbeiten, die ihre Forschungspolitik während der NS-Zeit in<br />

die längerfristigen Trends von allgemeiner Politik und Forschung einordnen soll (vgl.<br />

http://www.histsem.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte/). Ähnlich angelegte Vorhaben<br />

wurden in jüngster Zeit begonnen. So ist auf Beschluss des Akademischen Senats der<br />

Humboldt-Universität 2002 eine Arbeitsgruppe beauftragt worden, sich mit der Rolle der<br />

Berliner Universität in der NS-Zeit zu befassen (vgl. http://ns-zeit.geschichte.huberlin.de/).<br />

Und nicht zuletzt sei hier erwähnt, dass das Auswärtige Amt, zu dessen<br />

Geschäftsbereich das DAI gehört, eine Historikerkommission eingesetzt hat, um seine<br />

Geschichte während des Dritten Reichs entsprechend zu untersuchen (vgl.<br />

http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/Geschichte/Historikerkommission.html).<br />

Eine entsprechende Studie über das DAI wäre also nicht nur um der Sache selbst willen<br />

wünschenswert und könnte auf starkes Interesse stoßen, sondern die Entwicklungen<br />

innerhalb des Archäologischen <strong>Institut</strong>s lassen sich mit Hilfe der vielfältigen neueren<br />

Forschung besonders präzise historisch einordnen. Allerdings hat das Cluster 5-Projekt<br />

finanziell und personell einen weit bescheideneren Zuschnitt als die anderen genannten<br />

Forschungsvorhaben.<br />

Alle Cluster 5-Projekte sollen in enger Abstimmung mit einem Beirat aus Zeithistorikern<br />

und forschungsgeschichtlich arbeitenden Archäologen durchgeführt werden. Diesem<br />

139


wissenschaftlichen Beirat zum Projekt „Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert“ gehören<br />

folgende Archäologen und Zeithistoriker an:<br />

A. Borbein, G. Brands, R. vom Bruch, O. Dally, N. Frei, S. Hansen, H. Hassmann, C.<br />

Jansen, K. Junker, M. Maischberger, H. Parzinger (Vorsitz) und S. von Schnurbein.<br />

2. Literatur<br />

- Altekamp, Stefan: Klassische Archäologie und Nationalsozialismus, in: Elvert,<br />

Jürgen (Hg.): Kulturwissenschaften und Archäologie, Stuttgart: Erscheinen nicht<br />

absehbar; Volltext unter: http://edoc.huberlin.de/oa/bookchapters/reD5IMz1lbPVM/PDF/291OSMHgfjGYo.pdf<br />

- Bittel, Kurt u. a. (Hg.): Beiträge zur Geschichte des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s 1929 bis 1979, Teil 1. Mainz 1979. Dieser Band behandelt die<br />

Auslandsabteilungen des DAI; ein geplanter zweiter Band über die Zentrale ist nie<br />

erschienen.<br />

- Dally, Ortwin: Geschichte und Entwicklung des Deutschen Archäologischen<br />

<strong>Institut</strong>s, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologen-Verbandes 36 (2005), S.<br />

39–51.<br />

- Jansen, Christian: The German Archaeological <strong>Institut</strong>e (DAI) between<br />

Transnational Scholarship and Foreign Cultural Policy, in: Fragmenta 2 (2008).<br />

- Junker, Klaus: Das Archäologische <strong>Institut</strong> des Deutschen Reiches zwischen<br />

Forschung und Politik. Die Jahre 1929 bis 1945. Mainz 1997.<br />

- Meyer, Hans: Der Rechtsstatus des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s.<br />

Rechtsgutachten, in: Archäologischer Anzeiger 2004/2, S. 155–220.<br />

- Parzinger, Hermann: Die Staatlichen Museen zu Berlin und das Deutsche<br />

Archäologische <strong>Institut</strong>. Rückblick und Ausblick, in: Andrea Bärnreuther/Peter-<br />

Klaus Schuster (Hg.): Freistätte für Kunst und Wissenschaft. Die Staatlichen<br />

Museen zu Berlin als Forschungseinrichtung. Berlin 2007, S. 36–43.<br />

- Rieche, Anita (Hg.): Die Satzungen des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />

1828-1972. Mainz 1979.<br />

3. Einzelne Projekte<br />

3. 1. Uta Dirschedl (DAI-Archiv)/Monika Linder (DAI-Bibliothek)<br />

Erfassung und Erschließung der Bestände des DAI-Archivs<br />

Grundlage für die geplante neue Aufarbeitung der Geschichte des DAI im 20. Jh. im<br />

Rahmen des Clusters 5 sind die außerordentlich umfangreichen und vielfältigen<br />

Materialien in den Archiven der Zentrale sowie den Abteilungen und Kommissionen des<br />

DAI.<br />

Das zum 100. <strong>Institut</strong>sjubiläum im Jahre 1929 als „Archiv zur Geschichte der<br />

Archäologie“ gegründete, besonders bedeutende Archiv der Zentrale beinhaltet ca. 250<br />

Nachlässe von Altertumsforschern (Klassischen und Vorderasiatischen Archäologen,<br />

Prähistorikern, Bauforschern und Ägyptologen) im Umfang von ca. 850 Archivkästen/150<br />

lfm. mit mehr als 25 000 Gelehrtenbriefen, Tagebüchern, Manuskripten, Zeichnungen,<br />

Photos etc. (vgl. Zentrale Berlin – Archiv: ‚Beständeübersicht’), spezifische Materialien<br />

zur <strong>Institut</strong>sgeschichte, ihren Statuten, Jubiläen und Kongressen, die umfangreiche<br />

Altregistratur (Akten) des <strong>Institut</strong>s im Umfang von ca. 100 lfm. (wegen Kriegsverlusten<br />

erst seit den 40er Jahren vollständig) sowie eine Biographica-Sammlung zu Mitgliedern<br />

und Reisestipendiaten des <strong>Institut</strong>s.<br />

Die wissenschaftlichen Nachlässe mit dem Schwerpunkt Autographen standen wegen<br />

ihrer kaum zu überschätzenden Bedeutung für die Wissenschafts-, Grabungs- und<br />

Personengeschichte der Altertumswissenschaften seit fast achtzig Jahren im Mittelpunkt<br />

des Interesses und sind in großen Teilen vergleichsweise gut erschlossen, d. h. zu älteren<br />

140


Nachlässen liegen maschinenschriftliche Verzeichnisse verschiedener Erschließungstiefe<br />

vor, zu in jüngerer Zeit hinzugekommenen Nachlässen gibt es elektronisch verwaltete<br />

Verzeichnisse/Findbücher. Ein großer Teil der Gelehrtenbriefe ist durch ein von Hertha<br />

Simon verfasstes, 1973 erschienenes gedrucktes Briefverzeichnis erfasst und Tausende<br />

der Briefe sind in sog. Regesten sogar inhaltlich grob erschlossen.<br />

Gänzlich unerschlossen waren dagegen bislang die so umfang- wie aufschlussreichen<br />

Akten der Altregistratur, die für die Erforschung der Geschichte des <strong>Institut</strong>s im Rahmen<br />

von Cluster 5 eine außerordentlich wichtige Rolle spielen und eingehender Sichtungs- und<br />

Erschließungsarbeiten bedürfen, um einen Überblick über die Fülle der Akten zu<br />

bekommen, einen gezielten Zugriff auf die für die Forschungsarbeiten relevanten Akten<br />

zu ermöglichen und eine möglichst vollständige Auswertung gewährleisten zu können.<br />

Das Hauptaugenmerk der laufenden Arbeiten im Archiv bei der Bearbeitung der bislang<br />

noch gänzlich unerschlossenen Bestände der ‚Altregistratur’ liegt auf den ca. 15 lfm.<br />

umfassenden, kriegsbedingt z. T. stark beschädigten (Granatsplitterdurchschüsse) und<br />

aufgrund von schlechter Papierqualität und Alter gefährdeten (versäuerten und<br />

verbräunten) Akten der NS-Zeit. Zumal bei der Beschäftigung mit der <strong>Institut</strong>sgeschichte<br />

des 20. Jhs. diese Zeitspanne von besonderem Interesse ist, auf der auch in den beiden<br />

Dissertationen von F. Jagust und M. Vigener sowie in dem biographisch angelegten<br />

Publikationsprojekt von M. Maischberger und G. Brands ein Schwerpunkt liegt. Im<br />

Mittelpunkt stehen hierbei Materialien des Präsidialbüros, Korrespondenzen mit den<br />

Abteilungen und Kommissionen, Protokolle der ZD und Sitzungsberichte, die vor allem in<br />

die Zeit der Präsidentschaft von Theodor Wiegand (1932–1936) und Martin Schede<br />

(1937–1945) fallen.<br />

Betreut und beraten werden bei ihren Recherchen im Archiv der Zentrale sowohl die<br />

Historiker und die Mitarbeiter des Clusters 5 in den Auslandsabteilungen (z. B. Rom,<br />

Kairo, Madrid) als auch die Autoren des Projekts „Lebensbilder“ durch die Referentin des<br />

Archivs, U. Dirschedl. Diese koordiniert auch die beiden dem Historikerteam mit<br />

Ordnungs-, Sichtungs-, Kopier- und Scann-Arbeiten zuarbeitenden studentischen<br />

Hilfskräfte, S. Oaie und P. Wodtke.<br />

Neben der listenmäßigen Erfassung der relevanten Akten, der Zusammenstellung von<br />

Personenverzeichnissen mit bei der Recherche ständig benötigten biographischen Daten<br />

sowie dem elektronischen Erfassen der bislang nur maschinenschriftlich vorliegenden<br />

Regesten zu den Gelehrtenbriefen in den Nachlässen (z. B. Wiegand) sowie diverser<br />

Verzeichnisse wird derzeit ein in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten erarbeitetes<br />

Konzept zur möglichst raschen und unkomplizierten elektronischen Kurzerfassung der<br />

Aktenbestände erprobt und umgesetzt. Die dafür unerlässliche Definition von<br />

‚Kernfeldern’ für diese Datenerfassung wurde im größeren Rahmen diskutiert.<br />

Die Tätigkeiten im Archiv der Zentrale für Cluster 5 reihen sich in die Arbeiten bezüglich<br />

der Bestandaufnahme, Aufarbeitung und Erfassung sämtlicher Archive des DAI ein, die<br />

vom Referat Bibliotheken und Archive (M. Linder) koordiniert werden. Für die<br />

Bestandsaufnahme wurden Aufstellungen der Archivmaterialien der einzelnen<br />

Abteilungen erarbeitet, die sich grob in drei Segmente aufteilen lassen: Nachlässe und<br />

Autographen, Altregistraturen und Grabungsarchive. Vor allem die beiden ersten<br />

Segmente enthalten nach einer ersten Durchsicht interessante Materialien für Cluster 5,<br />

die z. T. von den einzelnen Abteilungen bearbeitet werden und für die Erschließungsdaten<br />

partiell vorliegen, meist in hand- oder maschinenschriftlicher Form. Ziel ist für das<br />

gesamte DAI die einheitliche, den spezifischen alltäglichen Erfordernissen der DAI-<br />

Archive entsprechende, nachhaltige elektronische Erschließung der Archivdaten sowie,<br />

soweit sinnvoll und möglich, die Verknüpfung mit anderen Daten des <strong>Institut</strong>s. Hierfür<br />

laufen derzeit Tests und Evaluierungen. Darüber hinaus wird ein Konzept für die dringend<br />

notwendige Bestandserhaltung erarbeitet.<br />

Durch die intensivierte Arbeit mit den Archivmaterialien kommt die Fülle der darin<br />

enthaltenen Informationen mehr denn je zur Geltung. Dies wird verstärkt durch den<br />

141


kontinuierlichen Austausch an Informationen unter den Wissenschaftlern, die in Cluster 5<br />

oder den angrenzenden Projekten mitarbeiten, so dass der Wissenstransfer auf diesem<br />

Gebiet ständig wächst.<br />

3. 2. Christian Jansen<br />

Archäologie und Politik. Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> zwischen<br />

Wissenschaft, Zeitgeist und auswärtiger Kulturpolitik 1900–1980<br />

Im Mittelpunkt der Darstellung sollen zwei Aspekte stehen: (1) die Entwicklung des DAI<br />

als transnationale und transdisziplinäre <strong>Institut</strong>ion und (2) die Politik des <strong>Institut</strong>s unter<br />

den wechselnden politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Dabei<br />

soll zwar ein besonderes Gewicht auf die NS-Zeit gelegt, diese jedoch nicht isoliert<br />

werden. Die institutionelle Entwicklung des DAI und die Politik seiner Führungsgremien<br />

sollen vielmehr im Laufe des ganzen 20. Jahrhunderts (bis 1979) kontinuierlich und vor<br />

dem Hintergrund ihres wissenschaftlichen und politischen Kontextes untersucht werden.<br />

ad (1): Angesichts der allgemeinen Ausdifferenzierung der Wissenschaften im 20.<br />

Jahrhundert ist es ein bemerkenswertes Spezifikum der institutionellen Entwicklung des<br />

DAI, dass es sich trotz der Ausdifferenzierung, die auch in den archäologischen<br />

Wissenschaften zu beobachten ist, als außerordentlich integrativ erwiesen hat. Um dies<br />

zu erforschen, sollen die Erweiterung der Zuständigkeit des DAI von der klassischen<br />

Archäologie bis heute zu weltweiter archäologischer Forschung sowie die immer größere<br />

räumliche und inhaltliche Spannweite der Auslandsabteilungen und Außenstellen einen<br />

Erzählstrang in dem geplanten Buch bilden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die<br />

Gründungsgeschichte der verschiedenen Abteilungen gerichtet.<br />

Das von seiner Gründung in Rom (1829) über die Gründung der ersten Auslandsabteilung<br />

in Athen (1874) ganz auf klassische Archäologie ausgerichtete <strong>Institut</strong> besetzte zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts mit der Gründung der „Römisch-Germanischen Kommission“ in<br />

Frankfurt/M. auch das Feld der „vaterländischen Archäologie“, das bis dahin die Domäne<br />

von Amateuren gewesen war und auf dem die RGK nun wissenschaftliche Standards<br />

durchsetzen sollte. Zwar wurde mit der provinzialrömischen Archäologie zunächst nur das<br />

der klassischen am nächsten stehende Feld der „vaterländischen Archäologie“ in den<br />

Forschungsbereich des DAI integriert, und es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den<br />

„wahren“, meist völkisch ausgerichteten Germanenforschern und den „Römlingen“, wie<br />

die Mitarbeiter der RGK in Anlehnung an zeitgenössische, antikatholische Ressentiments<br />

genannt wurden. Dennoch wurde mit der RGK-Gründung 1902 der erste Schritt in eine<br />

Richtung gemacht, die dann in der Weimarer Republik mit einem ersten großen<br />

Erweiterungsschub fortgesetzt wurde: 1925 weitete die RGK ihr Tätigkeitsfeld auf ganz<br />

Deutschland aus und kam damit dem großen öffentlichen Interesse entgegen, das die<br />

Germanenforschung erregt hatte (bzw. trat der politisierten Germanenforschung<br />

entgegen – das wäre im Einzelnen zu untersuchen). 1929 – zum 100.<br />

Gründungsjubiläum – wurde mit der Aufwertung der 1907 unabhängig vom DAI<br />

entstandenen Kairener Abteilung zur dritten und der türkischen Grabungskommission zur<br />

vierten Auslandsabteilung ein Schritt zur Erweiterung der Auslandsaktivitäten<br />

vorgenommen, der parallel zur Aufwertung der „deutschen Vorgeschichte“ eine<br />

institutionelle Stärkung der orientalischen Archäologie bedeutete. Mit diesem ersten<br />

Erweiterungsschub erweist sich die Zeit der Weimarer Republik als ungemein dynamische<br />

Phase in der Geschichte des DAI. Am Ende der Zwanziger Jahre integrierte das DAI die<br />

drei damals wichtigsten Zweige der archäologischen Forschung in Deutschland: die Urund<br />

Frühgeschichte, die orientalische und die klassische Archäologie, die weiter den<br />

Schwerpunkt der <strong>Institut</strong>sarbeit bildete.<br />

Im Dritten Reich kam es zu heftigen Konflikten mit der nun institutionell stark<br />

aufgewerteten und von Teilen der NSDAP geförderten, völkisch ausgerichteten<br />

Vorgeschichtsforschung. Wie das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> durch diese schwierige<br />

Zeit weitgehend unbeschädigt hindurch kam, ist ein Schwerpunkt des zweiten<br />

Untersuchungsstranges, der der Politik des <strong>Institut</strong>s gewidmet sein soll. Mit Blick auf die<br />

Transnationalität des <strong>Institut</strong>s ist vor allem die Gründungsgeschichte der Abteilung<br />

142


Madrid im Jahre 1943 interessant, die in einem sehr offensichtlichen Zusammenhang mit<br />

der Unterstützung des Reichs für Franco im Spanischen Bürgerkrieg und sein Regime<br />

nach dessen Sieg, insb. mit den Bemühungen zur Bildung einer kulturellen faschistischen<br />

Internationale, zu stehen scheint. Mit Blick auf die Transdisziplinarität des DAI ist<br />

insbesondere zu untersuchen, wie weit die Ausweitung der <strong>Institut</strong>sarbeit im Bereich der<br />

Germanenforschung, etwa im Zuständigkeitsbereich der Abteilung Rom, gegangen ist.<br />

Allerdings ist diese wohl nicht nur als Anpassung an den Zeitgeist zu interpretieren,<br />

sondern auch als eine erneute Erweiterung der Forschungsfelder unter dem immer<br />

breiteren Dach des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s.<br />

In der Nachkriegszeit setzte sich nach einer Krisen- und Konsolidierungsphase seit den<br />

Wirtschaftswunderjahren der Expansionskurs fort: 1955 wurde die Auslandsabteilung in<br />

Bagdad gegründet, 1961 eine weitere in Teheran. Damit wurde nicht nur der<br />

orientalische Zweig in Richtung auf eine Gesamtschau der eurasischen Prähistorie<br />

ausgebaut, sondern es wurden erneut auch Marksteine in der deutschen auswärtigen<br />

Kulturpolitik gesetzt, die nicht allein archäologisch, sondern auch politisch-strategisch zu<br />

verstehen sind. Denn nach dem totalen Ansehensverlust Deutschlands in der<br />

internationalen Gemeinschaft schienen der kulturelle und wissenschaftliche Bereich am<br />

besten geeignet, allmählich das Ansehen Deutschlands in der Welt wieder zu verbessern.<br />

Dabei war die auswärtige Kulturpolitik als Teil der Außenpolitik der Bundesrepublik von<br />

Anfang an in die strategischen Planungen des westlichen Bündnisses integriert, zu deren<br />

Kernzielen die Eindämmung des kommunistischen Einflussbereichs (containment policy)<br />

gehörte. Hierbei galten Irak und Iran als wichtige Regionalmächte, die im<br />

antikommunistischen Sinne stabilisiert werden sollten. Hinzu kam von deutscher Seite die<br />

Hallsteindoktrin, die die internationale Anerkennung des zweiten deutschen Staates<br />

möglichst verhindern sollte. 1967 wurde die 1951 gegründete Kommission für Alte<br />

Geschichte und Epigraphik (München) in das <strong>Institut</strong> integriert. 1978 wurde eine<br />

„Station“ des DAI in Sanaa (Jemen) gegründet. Den Endpunkt der in dem geplanten Buch<br />

zu untersuchenden Entwicklung des <strong>Institut</strong>s markiert die Bildung der Kommission für<br />

außereuropäische vergleichende Archäologie (KAVA; heute KAAK = Kommission für<br />

Archäologie Außereuropäischer Kulturen) im Jahre 1979, die die weltweite Zuständigkeit<br />

des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s für Grabungen deklariert. Auch die<br />

datenschutzrechtlichen Restriktionen und Sperrfristen der Archive sprechen für ein Ende<br />

des Untersuchungszeitraums in den späten 1970er Jahren.<br />

Die Transnationalität und Transdisziplinarität des <strong>Institut</strong>s sowie die Gewichtung der<br />

verschiedenen Bereiche und Abteilungen lassen sich nicht zuletzt auch auf der Ebene der<br />

jeweiligen Etats, der finanziellen und personellen Ausstattung gewichten.<br />

ad (2): Um die Politik des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s zu untersuchen, erscheint<br />

es sinnvoll, sich nicht allein auf die Aktivitäten der hauptamtlichen <strong>Institut</strong>sbeamten zu<br />

beschränken, sondern auch die Zentraldirektion (ZD) als kollegiales Leitungsgremium<br />

und Kontrollorgan in den Blick zu nehmen, das schon im Namen einen Führungsanspruch<br />

trägt und in dem die universitäre Archäologie ihren Einfluss auf das DAI ausübte. Dabei<br />

soll einerseits in einem prosopographischen Zugriff die personelle Zusammensetzung<br />

hinsichtlich der wissenschaftlichen und politischen Ausrichtung der ZD-Mitglieder sowie<br />

des Führungspersonals im Längsschnitt untersucht werden. Andererseits wird es um die<br />

Macht- und Einflussverteilung zwischen den verschiedenen Instanzen im Laufe des 20.<br />

Jahrhunderts gehen: Welche Auswirkungen hatte etwa die Einführung des<br />

nationalsozialistischen „Führerprinzips“? Kam es nach 1945 zu einer Demokratisierung<br />

der Führungsstrukturen?<br />

Einen weiteren Untersuchungsschwerpunkt bildet die eigentliche Politik des <strong>Institut</strong>s, also<br />

sein Verhältnis zu den jeweiligen Regierungen und das Ausmaß der Politisierung von<br />

Forschungsvorhaben und Außendarstellung. Hier sind besonders die Reaktionen auf die<br />

im 20. Jahrhundert in Deutschland zahlreichen Umbrüche des politischen Systems<br />

interessant, also Anpassung und Resistenz gegenüber dem jeweiligen politischen<br />

Zeitgeist. Dies gilt vor allem für die Zeit des Dritten Reichs und Fragen, wie die<br />

Ausschaltung „nicht-arischer“ <strong>Institut</strong>sangehöriger oder ZD-Mitglieder, die Kollaboration<br />

bzw. die Konflikte mit dem SS-Ahnenerbe, dem Amt Rosenberg und dem Kampfbund für<br />

Deutsche Kultur, die Bereitschaft der <strong>Institut</strong>ion bzw. ihrer Exponenten, „dem Führer<br />

143


zuzuarbeiten“ (Kershaw) oder die unterschiedliche antiliberale und autoritäre Ausrichtung<br />

von DVP-Mitgliedern über Deutsch-Nationale und Sympathisanten des Faschismus bis hin<br />

zu Völkischen oder Nationalsozialisten. Mit Blick auf die Auslandsabteilungen ist die<br />

Zusammenarbeit mit der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) besonders interessant –<br />

mindestens in Rom und Athen waren die stellvertretenden Direktoren zugleich AO-<br />

Funktionäre.<br />

Für das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die Bundesrepublik sollen die<br />

Beziehungen zwischen der DAI-Führung und der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt<br />

genau untersucht werden. Einflussnahme bzw. Anpassung haben in diesen „normalen“<br />

Zeiten wohl nicht so spektakuläre Formen angenommen wie im Nationalsozialismus, aber<br />

das DAI wird sich dennoch häufig an strategischen Interessen seines Hauptgeldgebers<br />

orientiert und diese auch in manchen Aspekten mitgeprägt haben. In der Weimarer<br />

Republik, nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs und dem als „Schmach“<br />

empfundenen Versailler Vertrag, scheint das DAI in einer sich selbst ausgrenzenden<br />

deutschen Universitätslandschaft als transnationales <strong>Institut</strong> sich maßgeblich um die<br />

Aufrechterhaltung internationaler wissenschaftlicher Kontakte bemüht zu haben – nicht<br />

ohne dies dem Auswärtigen Amt gegenüber im Kontext einer Revision des Versailler<br />

Vertrags schmackhaft zu machen (z.B. „Stärkung der Stellung Deutschlands im Ausland<br />

gegen die französische Dominanz in der Archäologie“).<br />

Besonders stark dürften die Indienstnahme für politische Ziele des Reichs wie auch die<br />

Anpassungsbereitschaft seitens der führenden DAI-Archäologen während der beiden<br />

Weltkriege gewesen sein. Im Zeichen des „Burgfriedens“ und der Kulturpropaganda<br />

gegen die „Feinde“ hat sich auch das DAI mit populärwissenschaftlichen Schriften und<br />

anderen politischen Aktivitäten funktionalisieren lassen.<br />

Als Indikatoren für den jeweiligen Zeitgeist und für das Ausmaß der Politisierung des DAI<br />

unter verschiedenen Regierungsformen können, frei nach der allgemein gültigen<br />

Erkenntnis, dass die Begründung wissenschaftlicher Vorhaben sich immer sehr stark an<br />

den (vermuteten) Interessen der Geldgeber ausrichtet, die unterschiedlichsten<br />

Dokumente der <strong>Institut</strong>sarbeit herangezogen werden: etwa Forschungsanträge des<br />

<strong>Institut</strong>s, seine Verlautbarungen über spektakuläre Funde oder abgeschlossene Projekte,<br />

die Öffentlichkeitsarbeit zu langfristigen Kampagnen, aber auch die von den Empfängern<br />

der Reisestipendien nach ihrer Rückkehr verfassten, ausführlichen Berichte. Alle diese<br />

Textsorten dürften Anhaltspunkte für das wechselhafte Verhältnis zwischen politischgesellschaftlichem<br />

Zeitgeist und der Begründung archäologischer Projekte und der<br />

Präsentation der Ergebnisse liefern.<br />

3. 3. Frederick Jagust<br />

Die Zentrale des DAI in Berlin – Entscheidungsprozesse und Finanzstrukturen<br />

von der Zwischen- zur Nachkriegszeit (1929–1979)<br />

Einleitung<br />

Die Geschichte wissenschaftlicher <strong>Institut</strong>ionen zu erarbeiten ist in den letzten Jahren zu<br />

einem bedeutenden Arbeitsgebiet der historischen Forschung geworden. Sei es die<br />

Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als Vorläuferin der Max-Planck-<strong>Institut</strong>e oder die Deutsche<br />

Forschungsgesellschaft. Einrichtungen der Forschung und Forschungsförderung haben<br />

verstärkt begonnen, sich mit der kritischen Aufarbeitung ihrer eigenen Vergangenheit zu<br />

beschäftigen.<br />

Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> steht hier nicht abseits und hat eine Reihe von<br />

Projekten auf den Weg gebracht, deren Ziel es ist, die Geschichte dieser altehrwürdigen<br />

Einrichtung der deutschen Wissenschaft näher zu beleuchten.<br />

Dies fällt zusammen mit Bestrebungen im Bereich der Archäologie, sich intensiv mit der<br />

Entwicklung dieser akademischen Disziplin und ihrer Rolle innerhalb der wechselnden<br />

politisch-gesellschaftlichen Systeme in Deutschland und Europa zu beschäftigen.<br />

Fragestellung<br />

Mit dem Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> verfügte und verfügt Deutschland über einen<br />

in dieser Form wohl einzigartigen kommunikativen und administrativen<br />

144


wissenschaftlichen Nexus, welcher die Geschicke der Archäologie maßgeblich beeinflusst<br />

und geprägt hat. Diese kommunikative Funktion schlägt sich hierbei in mehreren Ebenen<br />

nieder, und zwar:<br />

als Kommunikation innerhalb der Archäologenschaft,<br />

als Kommunikation zwischen Wissenschaft und Staat,<br />

als Kommunikation zwischen Archäologie und Öffentlichkeit<br />

sowie als Kommunikation mit der internationalen Forschung.<br />

Das Dissertationsprojekt widmet sich der Erforschung der beiden erstgenannten Ebenen,<br />

d. h. es untersucht die Rolle des DAI als Vermittler sowohl zwischen den Fachgenossen<br />

als auch zwischen der archäologischen Wissenschaft und den politischen<br />

Entscheidungsträgern im Wechsel der deutschen Gesellschaftssysteme im 20.<br />

Jahrhundert.<br />

Als roter Faden dient hierbei das Aufspüren und Nachverfolgen der Finanzströme, ohne<br />

welche die Arbeit des <strong>Institut</strong>s nicht möglich gewesen wäre. Im Hintergrund steht hier die<br />

Frage, ob und, wenn ja, wie der staatliche Geldgeber versucht hat, durch gezielte<br />

Vergabe von Finanzmitteln Einfluss auf die archäologische Forschung zu nehmen,<br />

inwieweit sich das DAI diesem Druck gebeugt, ihn aufgefangen oder möglicherweise<br />

weitergegeben hat.<br />

In diesem Zusammenhang soll auch eine „kleine Sozialgeschichte der Archäologie“<br />

erstellt werden.<br />

Eng damit zusammen hängt die Frage, wie innerhalb des <strong>Institut</strong>s Entscheidungen<br />

getroffen und umgesetzt wurden, etwa über Vergabe und Einsatz von finanziellen und<br />

personellen Ressourcen, aber auch über die Verwendung von „weichem“ politischen<br />

Kapital.<br />

Schwerpunkte und Zeitspanne der Untersuchung<br />

Der Zeitraum der Untersuchung soll sich von der späten Weimarer Republik bis in die<br />

1970er Jahre spannen. Die Analyse nicht früher einsetzen zu lassen ist der<br />

Überlieferungssituation geschuldet; der angepeilte Endpunkt im 150. Jubiläumsjahr,<br />

1979, mit seinen organisatorischen Neuerungen bietet sich nicht zuletzt an, um die<br />

Quantität des zu sichtenden Quellenmaterials nicht „explodieren“ zu lassen.<br />

Der Schwerpunkt der Arbeit soll und wird hierbei auf den 30er, 40er und 50er Jahren<br />

liegen, so dass die Kontinuitäten und Brüche über die vermeintlichen Zäsuren von 1933<br />

und 1945 hinweg in ihrem Kontext beleuchtet werden können.<br />

Quellengrundlage<br />

Grundlage der Analyse bilden die im Bezug auf die Geschichte des DAI noch weitgehend<br />

unaufgearbeiteten Bestände diverser Archive. Vor allem zu nennen sind hier das<br />

Bundesarchiv mit seinen Abteilungen in Berlin und Koblenz sowie das Politische Archiv<br />

des Auswärtigen Amtes.<br />

Besondere Bedeutung kommt allerdings den Archiven des DAI selber zu, und zwar<br />

sowohl den Quellenbeständen in den einzelnen Auslandsabteilungen des <strong>Institut</strong>s als<br />

auch ganz besonders dem Zentralarchiv in Berlin mit seinen umfangreichen<br />

Aktenbeständen und Briefnachlässen.<br />

3. 4. Marie Vigener<br />

Archäologie und Öffentlichkeit – Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> in der<br />

ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1929–1979)<br />

Einleitung<br />

Wissenschaft goes public: Unter dieser Formel wird in den letzten Jahren verstärkt<br />

öffentlichkeitswirksam auf wissenschaftliche Forschung aufmerksam gemacht.<br />

Veranstaltungen wie die Lange Nacht der Wissenschaften oder der Wissenschaftssommer<br />

ziehen ein großes Publikum an. Auch das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> ist bei solchen<br />

Gelegenheiten vertreten und stellt sich und seine Arbeit vor. Public ist Archäologie aber<br />

nicht erst in den letzten Jahren geworden: Bernd Sösemann hat gezeigt, dass öffentliche<br />

Darstellung der <strong>Institut</strong>sarbeit schon bei der ersten Olympia-Grabung ein bedeutender<br />

145


Aspekt war. Zudem stand das <strong>Institut</strong> als wichtiger Teil der deutschen Kulturpolitik und<br />

als eine der ältesten wissenschaftlichen <strong>Institut</strong>ionen des Reiches gerade zu Beginn des<br />

20. Jahrhunderts im Rampenlicht.<br />

Fragestellung<br />

Die Vermittlung von Wissenschaft als Forschungsthema hat im angelsächsischen Raum<br />

schon eine längere Tradition. In Deutschland haben das Andreas Daum und Angela<br />

Schwarz aufgegriffen. Die Vermittlung von Wissensbeständen und Wissenschaft kann<br />

man als soziale Praxis verstehen, bei der um Deutungshoheit gerungen wird (Ulrike Felt)<br />

– ein Prozess, an dem verschiedene Gruppen beteiligt sind. Ich möchte daher anhand der<br />

öffentlichen Darstellung des <strong>Institut</strong>s und seiner Arbeit den vielfältigen Verbindungen<br />

zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit nachgehen, wie sie unter verschiedenen<br />

politischen Systemen bestanden. Besonders spannend sind dabei entstehende<br />

Kontinuitäten und Brüche im politischen und gesellschaftlichen Wandel.<br />

Das Untersuchungsgebiet umfasst die Selbstdarstellung des <strong>Institut</strong>s und die Vermittlung<br />

seiner Grabungen und Forschungsergebnisse anhand ausgewählter Beispiele. Welche<br />

Interessen und Konstellationen standen hinter der Suche nach öffentlicher<br />

Wahrnehmung, welche Deutungsangebote machte das <strong>Institut</strong>? Wichtig sind in diesem<br />

Zusammenhang auch politische Hintergründe und die Reaktion der Öffentlichkeit.<br />

Die Außendarstellung des <strong>Institut</strong>s und die öffentliche Wahrnehmung von Archäologie am<br />

Beispiel des <strong>Institut</strong>s zu untersuchen, ist ein wissenschaftsgeschichtliches<br />

Forschungsdesiderat. Erstens gibt es bislang keine Studien zum Verhältnis zwischen<br />

Wissenschaft und Öffentlichkeit im Dritten Reich und der Bundesrepublik. Zweitens<br />

schließt die Frage nach der öffentlichen Rolle wissenschaftlicher <strong>Institut</strong>ionen im Dritten<br />

Reich die wichtige „geistige Mobilmachung“ und die Selbstindienstnahme im Sinne des<br />

Regimes ein.<br />

Schwerpunkte und Zeitspanne der Untersuchung<br />

Das <strong>Institut</strong> hatte und hat verschiedene Möglichkeiten, sich und seine Arbeit bekannt zu<br />

machen. Dazu gehörten Vorträge, Exkursionen, Zeitungsartikel, populär gehaltene<br />

Publikationen und Ausstellungen. Aufgrund dieser Fülle des Materials und des langen<br />

Untersuchungszeitraumes ist es wichtig, inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Das sind<br />

zum einen wichtige Ereignisse, bei denen das <strong>Institut</strong> repräsentativ auftrat und die ein<br />

breites Echo fanden. Solche Ereignisse sind etwa die 100-Jahr-Feier 1929, der<br />

Internationale Archäologen-Kongress 1939 und die 150-Jahr-Feier 1979.<br />

Auf der anderen Seite lässt sich die Vermittlung von Wissen und die Annahme von<br />

Deutungsangeboten am besten anhand konkreter Grabungen verfolgen. Besonders<br />

interessant ist dabei die Olympia-Grabung, die über einen langen Zeitraum fortgeführt<br />

wurde und ein enormes Echo fand.<br />

Aufgrund der Fragestellung und der Archivbestände werde ich den Zeitraum zwischen<br />

1929 und 1979 näher untersuchen, dessen Eckpunkte die 100- bzw. 150-Jahr-Feiern des<br />

<strong>Institut</strong>s bilden.<br />

Quellengrundlage<br />

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Vielzahl bisher wenig berücksichtigter<br />

Quellenmaterialen. Wichtige Bestände zur Geschichte der Archäologie finden sich<br />

natürlich vor allem im Archiv der Zentrale des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s und in<br />

den Archiven der Zweigstellen. Von den Zweigstellenarchiven sind vor allem Frankfurt,<br />

Rom, Athen, Madrid und Istanbul interessant, da die übrigen Zweigstellen erst später<br />

gegründet wurden bzw. die Bestände nicht zugänglich sind (Kairo).<br />

Außerhalb der Bestände des DAI befinden sich viele Unterlagen der Zeit vor 1934 im<br />

Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. Daneben sind vor allem Materialien im<br />

Bundesarchiv von Interesse. Zum einen ist das die Abteilung R (<strong>Deutsches</strong> Reich) in<br />

Berlin-Lichterfelde. Hier lagern Akten des Reichserziehungsministeriums, des<br />

Innenministeriums und teilweise Akten des Auswärtigen Amtes. Zu allen drei Behörden<br />

gehörte das <strong>Institut</strong>. Aus der Zeit nach 1945 sind größere Bestände im Bundesarchiv<br />

146


Koblenz zu erwarten. Einzelne Bestände zur Nachkriegszeit dürften noch im Landesarchiv<br />

Berlin zu finden sein.<br />

3. 5. Susanne Voss<br />

Geschichte des DAI-Kairo von 1907–1979<br />

Die Gründung der Abteilung Kairo des DAI ist mit dem Namen des Amarna-Ausgräbers<br />

und Nofretete-Entdeckers Ludwig Borchardt (1863–1938) verbunden. 1907 wurde er zum<br />

Direktor des aus staatlichen Mitteln geförderten „Kaiserlich Deutschen <strong>Institut</strong>s für<br />

ägyptische Alterthumskunde“ berufen, das er in seiner Privatvilla auf der Kairener Nilinsel<br />

Zamalek einrichtete. Offiziell unterstand die <strong>Institut</strong>ion dem Auswärtigen Amt, war jedoch<br />

auf private Zuwendungen durch Mäzene und den Kaiser selbst angewiesen, der als<br />

Vorsitzender der Deutschen Orientgesellschaft beträchtliche Mittel aus dem kaiserlichen<br />

Dispositionsfonds beisteuerte. Ein wissenschaftlicher Beirat, der sich aus Mitgliedern der<br />

Akademie der Wissenschaften und der Berliner Wörterbuchkommission zusammensetzte,<br />

bildete den fachlichen Vorsitz, dem Borchardt als <strong>Institut</strong>sdirektor berichtspflichtig war.<br />

Anhand von Borchardts in Kairo erhaltenem, unveröffentlichten Nachlass sowie<br />

zahlreicher Akten in bundesdeutschen und ägyptischen Staatsarchiven lässt sich ein<br />

bemerkenswertes Bild von der gesellschaftlichen und politischen Relevanz der deutschen<br />

Altertumswissenschaft im Ausland während der späten Kaiserzeit und der Weimarer<br />

Republik nachzeichnen. An ihnen zeigt sich, dass die Archäologie dieser Zeit als eine Art<br />

außenpolitischer Einsatz zur Gewinnung von Vorteilen für die eigene Nation verstanden<br />

wurde. Regelrechte Wettkämpfe zwischen den jeweiligen archäologisch tätigen<br />

Landesvertretern waren die Folge, die unter dem Einfluss des 1. Weltkrieges sogar in<br />

Spionage-Affären gipfelten.<br />

Nach der Pensionierung Borchardts, 1929, wurde das ehemalige Kaiserliche <strong>Institut</strong> dem<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> (DAI) angegliedert, wodurch die<br />

Forschungseinrichtung aus ihrer bisherigen Rolle, als einer vom Kaiser persönlich<br />

geförderten Einrichtung, zu einer regulär budgetierten Unterabteilung des Auswärtigen<br />

Amtes promovierte. Wie das einstige Kaiserliche <strong>Institut</strong>, das von der Persönlichkeit ihres<br />

national gesinnten Direktors Borchardt geprägt war, entwickelte sich das Haus nach dem<br />

Wechsel gemäß dem Stil seines Nachfolgers Hermann Junker (1877–1962). Junker, der<br />

als angesehener Philologe auch auf eine 20jährige archäologische Erfahrung als<br />

Ausgräber des Mastaba-Feldes von Giza zurückblicken konnte, versammelte als<br />

ehemaliger Priester zahlreiche Theologen und Vertreter verwandter Wissenschaften im<br />

Kairener <strong>Institut</strong>. Gleichzeitig zeichnete sich unter seiner Führung nach der<br />

Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, 1933, eine zunehmende Politisierung der<br />

Forschungseinrichtung im Sinne des in Deutschland herrschenden Regimes ab. Die<br />

zahlreichen Dokumente, die die Ära Junker in Kairo dokumentieren, sind jedoch noch<br />

nicht gesichtet und aufgearbeitet worden, und bilden somit den Kern der Untersuchung.<br />

Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges, 1939, geriet das <strong>Institut</strong> unter den Einfluss der<br />

politischen Verhältnisse der Nachkriegszeit, die erst 1957, mit der Neueinrichtung des<br />

durch den Krieg verlorenen Hauses unter der Leitung von Hanns Stock (1908–1966),<br />

zukunftsweisend ausgeglichen werden konnten.<br />

Ziel des Forschungsvorhabens ist es somit, eine Dokumentation der Geschichte der<br />

Abteilung Kairo vorzulegen, die ausgehend von der NS-Zeit die Etappen vor und nach<br />

diesem Zeitraum von 1907 bis 1979 beleuchtet und der Öffentlichkeit zugänglich macht.<br />

Systematisch empfiehlt es sich dabei, eine leitungsorientierte Untersuchung<br />

vorzunehmen, da die <strong>Institut</strong>sgeschicke maßgeblich von den Persönlichkeiten der<br />

jeweiligen Direktoren Borchardt, Junker und dem liberalen Gelehrten Stock<br />

gekennzeichnet waren.<br />

147


4. Weitere, mit Cluster 5 verbundene Projekte<br />

Im Zusammenhang mit der Erforschung der <strong>Institut</strong>sgeschichte sollen nach Möglichkeit<br />

weitere, nach Kriegsende an andere Orte verbrachte Unterlagen aus den Beständen des<br />

Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s (z. B. in der Eremitage St. Petersburg) ermittelt und<br />

ausgewertet werden.<br />

Darüber hinaus soll ein Netzwerk von WissenschaftlerInnen (Archäologen und<br />

Zeithistorikern) im In- und Ausland aufgebaut werden, die auf dem Gebiet der Geschichte<br />

der Archäologie und der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts tätig sind.<br />

Diesem Zweck dienten u. a. zwei Workshops:<br />

- „Bedeutende Archäologen im Umfeld des DAI während des Dritten Reichs (1920–<br />

1960) – Biographische Annäherungen“ am 27./28. Oktober 2006 unter Leitung<br />

von G. Brands (Halle) und M. Maischberger (Berlin). Die Tagung diente auch der<br />

Vorbereitung eines Buches „Lebensbilder – Klassische ArchäologInnen in Zeiten<br />

von Nationalsozialismus und Faschismus“ mit Biographien von ausgewählten<br />

deutschen Archäologen des 20. Jahrhunderts.<br />

- „Politische Ziele und Deutungen archäologischer Grabungen im späten 19. und<br />

frühen 20. Jahrhundert im europäischen Vergleich“ am 1./2. Dezember 2006<br />

unter Leitung von C. Jansen (Berlin).<br />

Ferner sind Untersuchungen der Abteilung Rom (T. Fröhlich, S. Diebner) zur<br />

Rezeptionsgeschichte archäologischer Funde während des Faschismus in Italien mit<br />

Cluster 5 verbunden.<br />

Auch die Abteilung Madrid widmet sich, angestoßen durch die Einrichtung von Cluster 5,<br />

der <strong>Institut</strong>sgeschichte. Eine erste Tagung fand am 28. Juni 2007 statt unter dem Titel<br />

„La recepción de la escuela arqueológica alemana y la fundación del <strong>Institut</strong>o“, eine<br />

weitere am 24. Januar 2008 zum Thema „Sus investigaciones y la recepción de la<br />

arqueología y la prehistoria alemana (1954-2004)“. Die Ergebnisse sollen demnächst<br />

veröffentlicht werden.<br />

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