Clusterforschung - Deutsches Archäologisches Institut
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FORSCHUNGSCLUSTER<br />
DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN INSTITUTS
INHALTSVERZEICHNIS<br />
Vorbemerkung 3<br />
Cluster 1<br />
Von der Seßhaftigkeit zur komplexen Gesellschaft:<br />
Siedlung, Wirtschaft, Umwelt 5<br />
(Aktualisiert 01/2007)<br />
Cluster 2<br />
Innovationen: technisch, sozial<br />
(Stand 2006) 14<br />
Cluster 3<br />
Politische Räume 26<br />
(Aktualisiert 11/2007)<br />
Cluster 4<br />
Heiligtümer: Gestalt und Ritual, Kontinuität und Veränderung<br />
(Aktualisiert 10/2007) 113<br />
Cluster 5<br />
Geschichte des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s im 20. Jahrhundert<br />
(Stand 03/2008) 138<br />
15.11.2007 2
VORBEMERKUNG<br />
Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> hat beschlossen, seine weltweit stattfindenden<br />
Forschungen, die im Forschungsplan des <strong>Institut</strong>s zusammengefaßt sind, unter<br />
übergeordneten Fragestellungen stärker zu vernetzen. Aufgrund der Tatsache, daß die<br />
Abteilungen und Kommissionen des <strong>Institut</strong>s mit ihren Projekten in den<br />
unterschiedlichsten Kulturräumen der Alten wie der Neuen Welt oft sehr ähnlichen<br />
Fragestellungen nachgehen, schien es naheliegend, bestimmte Phänomene<br />
vergleichend zu untersuchen, um auf diese Weise zu tiefgreifenderen Einsichten in<br />
Mechanismen kultureller Prozesse und historischer Entwicklungen der frühen<br />
Menschheitsgeschichte zu gelangen. Gerade die Aussicht, dies im globalen Maßstab zu<br />
tun, hielten wir dabei für besonders reizvoll. Auch wenn der Schwerpunkt der<br />
<strong>Institut</strong>sarbeit traditionell im Mittelmeerraum und im Vorderen Orient liegt, so eröffnen<br />
doch die in den letzten Jahren vermehrt in Angriff genommenen Projekte in der<br />
eurasischen Steppe, in Ostasien, auf dem afrikanischen Kontinent oder in<br />
Lateinamerika die große Chance zu einer weltweit ausgreifenden Perspektive, die es zu<br />
nutzen gilt.<br />
Die Fragestellungen, die sich auf diese Weise mit Gewinn untersuchen ließen, sind<br />
vielfältig und zahlreich. Auf seiner Sitzung am 22. November 2005 wurde dieses<br />
Anliegen vom Direktorium des DAI ausführlich diskutiert. Vier Themen schienen dabei<br />
besonders geeignet, weiterverfolgt zu werden. Sie stehen im Mittelpunkt von vier sog.<br />
Forschungsclustern, die die Zusammenarbeit innerhalb des <strong>Institut</strong>s auf eine neue<br />
Grundlage stellen sollen. Im einzelnen handelt es sich um folgende aktuelle Fragen:<br />
Cluster 1:<br />
Cluster 2:<br />
Cluster 3:<br />
Cluster 4:<br />
Von der Seßhaftigkeit zur komplexen Gesellschaft:<br />
Siedlung, Wirtschaft, Umwelt<br />
Innovationen: technisch, sozial<br />
Politische Räume<br />
Heiligtümer: Gestalt und Ritual, Kontinuität und Veränderung.<br />
Daneben gibt es noch einen fünften Cluster, der forschungsgeschichtlich konzipiert ist.<br />
Cluster 5:<br />
Geschichte des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
im 20. Jahrhundert.<br />
Für jeden der Forschungscluster wurden Sprecher bestimmt, die ein erstes inhaltliches<br />
Konzept auszuarbeiten und den Forschungsplan des <strong>Institut</strong>s auf daran zu beteiligende<br />
Projekte durchzusehen hatten. Cluster 5 wird von einem Beirat aus Archäologen und<br />
Zeithistorikern begleitet. Ende 2006 und Anfang 2007 sollen zu den einzelnen Clustern<br />
Workshops stattfinden, in denen die Leiter und Mitarbeiter der daran beteiligten<br />
Projekte die Ausarbeitungen diskutieren und die nächsten Arbeitsschritte besprechen.<br />
Es wird das Ziel sein, in Kolloquien weitere Fortschritte zu erreichen, die auch in<br />
Publikationen entsprechenden Niederschlag finden sollen, und zwar im Rahmen einer<br />
neuen Reihe des <strong>Institut</strong>s, die speziell den Ergebnissen dieser Forschungscluster<br />
gewidmet sein wird.<br />
Für alle vier Cluster wird es sich als notwendig erweisen, die theoretischen Grundlagen<br />
der jeweiligen Themen zu vertiefen, was zwangsläufig zu stärkerer Interdisziplinarität<br />
führen wird, und zwar nicht nur im Zusammenwirken mit verschiedenen<br />
naturwissenschaftlichen Disziplinen, die längst fester Bestandteil moderner<br />
archäologischer Forschung sind, sondern ganz besonders auch im Diskurs mit anderen<br />
Geisteswissenschaften (Ethnologie, Soziologie, Psychologie, Religions- und<br />
Kunstwissenschaften etc.).
Während wir zum jetzigen Zeitpunkt in einem ersten Schritt möglichst viele thematisch<br />
ähnlich konzipierte Forschungsvorhaben des <strong>Institut</strong>s verknüpfen, wäre es sehr gut<br />
vorstellbar, daß daraus in einer späteren Phase Forschergruppen, Forschungsverbünde<br />
u. ä. entstehen, die dann wiederum neue Projekte in Gang setzen, die sich aus den<br />
Clustern ergebende Fragen aufgreifen. Dies muß nicht so sein, und gewiß wird dieser<br />
Fall auch nicht bei jedem Cluster eintreten, weil sich der Gang der Diskussion nicht<br />
vorbestimmen läßt; wenn es aber gelegentlich dennoch geschähe, wäre es ein Zeichen<br />
für fruchtbare Kooperation. Auch die ‚Lebensdauer’ der verschiedenen Clusterthemen<br />
wird von unterschiedlicher Länge sein: Bei manchen wird ein vorläufiges Ende der<br />
Diskussion früher eintreten, während sich andere dynamisch weiterentwickeln mögen.<br />
Andere drängende Forschungsfragen, die ebenfalls im Rahmen von Clustern behandelt<br />
werden wollen, könnten sich in der Folgezeit in den Vordergrund schieben, wie es für<br />
ein dynamisches, modernes Forschungsinstitut selbstverständlich sein sollte.<br />
Neben dem wissenschaftlichen Erkenntniszugewinn sollen die Cluster aber vor allem<br />
auch dazu beitragen, eine neue Qualität der Zusammenarbeit innerhalb des <strong>Institut</strong>s<br />
entstehen zu lassen. Selbstverständlich wird es weiterhin Einzelvorhaben geben, die<br />
sich nicht mit anderen vernetzen lassen, und die für das wissenschaftliche Gesamtprofil<br />
des <strong>Institut</strong>s wie der jeweiligen Abteilung/Kommission mindestens genauso bedeutsam<br />
sind wie die durch Cluster verbundenen Projekte. Es steht nämlich außer Diskussion,<br />
daß diese wissenschaftliche Freiheit eine der wichtigsten Voraussetzungen erfolgreicher<br />
Forschung ist. Doch dort, wo sich Zusammenarbeit anbietet, ja geradezu aufdrängt,<br />
sollten wir die Chance auf Vernetzung auch ergreifen und nutzen. In Vorbereitung ist<br />
dazu ein Internet-Diskussionsforum, das den Gedankenaustausch zu den<br />
verschiedenen Forschungsfragen erleichtern und fördern wird.<br />
Auch wenn es bei den Clustern zunächst darum geht, eine stärkere Vernetzung<br />
innerhalb des <strong>Institut</strong>s herzustellen, so ist ein wirklicher Fortschritt im<br />
wissenschaftlichen Erkenntniszugewinn nur dann zu erreichen, wenn es uns gelingt,<br />
diese Diskussionen auch mit Vertretern von Universitäten und anderen<br />
Forschungseinrichtungen im In- und Ausland zu führen, sofern dort ähnliche Fragen<br />
verfolgt werden. Diese zweite Stufe der Vernetzung, die in vielen Bereichen bereits<br />
sehr erfolgreich praktiziert wird, ist ein weiteres zentrales Ziel des <strong>Institut</strong>s. Das DAI<br />
mag zwar aufgrund seiner Organisationsstruktur und seiner Möglichkeiten innerhalb<br />
des Faches auch international durchaus eine Sonderstellung einnehmen und in jeder<br />
Hinsicht autark sein, was jedoch nicht zu Isolation und Abkopplung führen darf. Eine<br />
Entwicklung, wonach die Einen grabend Grundlagen erforschen und die Anderen<br />
übergreifende theoretische Fragen erörtern, kann weder im Sinne des <strong>Institut</strong>s noch<br />
der Universitäten sein. Es wäre deshalb wichtig, daß die Forschungscluster <strong>Institut</strong> und<br />
Universitäten noch stärker aneinander binden, als dies bislang der Fall ist. Die<br />
vorzüglichen Möglichkeiten des <strong>Institut</strong>s zur Nachwuchsförderung ließen sich dann<br />
noch zielführender einsetzen, was auch für die Zukunft des <strong>Institut</strong>s von<br />
entscheidender Bedeutung ist.<br />
Berlin, im April 2006<br />
Hermann Parzinger
Forschungscluster 1<br />
VON DER SESSHAFTIGKEIT ZUR KOMPLEXEN GESELLSCHAFT:<br />
SIEDLUNG, WIRTSCHAFT, UMWELT<br />
Sprecher: N. Benecke, H. Parzinger, M. Reindel<br />
EINLEITUNG<br />
Die Seßhaftwerdung ursprünglich wildbeuterisch lebender Gemeinschaften in<br />
Verbindung mit der Domestikation von Pflanzen und Tieren markiert einen der<br />
folgenreichsten Entwicklungsschritte der Menschheit auf dem Weg zur Entstehung<br />
komplexer Gesellschaften. Verlauf und Intensität dieses Prozesses wurden oftmals von<br />
den naturräumlichen Rahmenbedingungen beeinflußt. Siedlung, Wirtschaft und Umwelt<br />
sind deshalb die entscheidenden Faktoren, die die Dynamik und die Richtung dieser<br />
Entwicklung bestimmen. Vor dem Hintergrund altweltlicher Kulturverhältnisse wird das<br />
Phänomen der Seßhaftwerdung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Übergang<br />
von aneignender zu produzierender Wirtschaftsweise (Ackerbau und Viehzucht) bei<br />
gleichzeitigem Auftreten von ersten gebrannten Tongefäßen (Keramik) und<br />
geschliffenen Steingeräten gesehen. Der Prozeß, an dessen Ende diese Kernmerkmale<br />
(das sog. neolithische ‚Bündel’) stehen, wird gemeinhin als „Neolithisierung“<br />
bezeichnet. Die Einzelheiten dieser Entwicklung sind jedoch noch weitgehend<br />
unbekannt und bedürfen dringend näherer Klärung.<br />
Früheste Formen permanenter Ansiedlungen und die Anfänge der Domestikation von<br />
Pflanzen und Tieren sind aus dem Vorderen Orient (dem sog. fruchtbaren Halbmond)<br />
seit dem 10. Jt. v. Chr. bekannt. Von dort breitete sich diese frühbäuerliche Lebensund<br />
Wirtschaftsweise ab dem 7. Jt. v. Chr. aus, wobei die Forschung von vier<br />
‚klassischen’ Richtungen ausgeht: erstens von der Levante über Zypern und Anatolien<br />
nach Griechenland und über Balkan und Karpatenbecken bis Mittel- und Nordeuropa,<br />
zweitens vom ostmediterranen Raum aus entlang der Mittelmeerküste über Süditalien<br />
und Südfrankreich bis Spanien und Nordwestafrika, drittens über Ostanatolien und<br />
Transkaukasien in die osteuropäische Steppe sowie – etwas weiter östlich – über<br />
Nordiran nach Mittelasien und viertens über Ägypten nach Nordafrika.<br />
Die Ursachen und Mechanismen dieser Ausbreitung werden seit langem kontrovers<br />
diskutiert. Die Standpunkte gehen dabei von einer unterschiedlichen Bewertung der<br />
Phänomene Migration, Kommunikation und Autochthonie aus. Die Frage, ob Migration<br />
oder autochthone Entwicklung den Beginn von Seßhaftigkeit und Landwirtschaft<br />
auslösten, stand dabei von Anfang an im Vordergrund. Unter dem Einfluß von<br />
prozessualer Archäologie und Systemtheorie verfolgte man später vermehrt<br />
ökologische Ansätze zur Erklärung dieses Phänomens. Als Folge postprozessualer<br />
Strömungen richtete sich das Augenmerk dann eher auf soziale Aspekte. Die Modelle<br />
und Hypothesen wurden dadurch immer komplexer und vielschichtiger. Sie spiegeln<br />
die vorherrschenden theoretischen Ansätze ihrer jeweiligen Entstehungszeit wider,<br />
aber das Ergebnis blieb weitgehend unverändert: Noch heute geht es im Kern um die<br />
Frage, ob Migration oder Klimawandel und Bevölkerungsdruck die Neolithisierung<br />
weiter Teile der Alten Welt bewirkten. Außer Frage steht inzwischen, daß die<br />
Umweltbedingungen entscheidenden Einfluß auf diesen Prozeß hatten; doch das<br />
Ausmaß der ökologischen Determiniertheit ist noch immer schwer abzuschätzen.<br />
Insofern bleibt auch offen, wie prägend der Zusammenhang zwischen den zur<br />
Stand: 01/2007 5
Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen und den Anfängen seßhaften Lebens<br />
tatsächlich war.<br />
AUFGABENSTELLUNG<br />
Mit dem Schritt weg von einer ausschließlich auf den Vorderen Orient und Alteuropa<br />
gerichteten Forschungsperspektive und hin zu einer Einbeziehung anderer Teile der<br />
Welt – ein Schritt, den das DAI bereits vor Jahrzehnten vollzogen hat – wurde deutlich,<br />
daß Überlegungen, die von mehreren vom fruchtbaren Halbmond ausgehenden<br />
Neolithisierungswellen ausgehen, nicht überall anwendbar sind. Weitere<br />
Entstehungszentren zumindest einiger der genannten Kernmerkmale frühbäuerlichen<br />
Lebens und Wirtschaftens lassen sich in Ostasien, in der Zentralsahara, in Südamerika<br />
und anderswo lokalisieren und scheinen teilweise vergleichbar früh einzusetzen,<br />
wenngleich eine tragfähige chronologische Grundlage für eine komparative<br />
Betrachtung dieses Phänomens im globalen Maßstab erst noch zu erarbeiten ist.<br />
Die jüngsten Ausgrabungen am Göbekli Tepe in Südostanatolien mit dem Nachweis<br />
religiöser Monumentalarchitektur in einem noch wildbeuterisch geprägten Umfeld<br />
haben der Forschung um die frühe Seßhaftwerdung und die Anfänge<br />
landwirtschaftlicher Produktion neue Impulse gegeben, die bislang nicht gestellte<br />
Fragen zum Übergang von Jäger- und Sammlergemeinschaften zu bäuerlichen Kulturen<br />
aufwerfen. In den Waldgebieten Nordosteuropas kommt es dagegen zu der in Göbekli<br />
Tepe noch unbekannten Keramikherstellung, ohne daß jedoch feste Siedlungen<br />
gegründet sind und produzierend gewirtschaftet wird. Im Hinterland der<br />
marokkanischen Küste scheinen anfangs seßhafte Gruppen wieder zu wildbeuterischem<br />
Leben übergegangen zu sein. Diese wenigen Beispiele zeigen bereits, daß die Anfänge<br />
von Seßhaftwerdung und der Beginn produzierenden Wirtschaftens nicht immer<br />
zusammenfielen, auch konnte die Entwicklung in unterschiedliche Richtungen führen.<br />
Selbst in den schon früh von vollneolithischen Kulturverhältnissen geprägten Gebieten<br />
Vorderasiens sowie Süd- und Mitteleuropas vollzog sich dieser Prozeß komplexer als<br />
bislang vielfach angenommen.<br />
Neue Forschungsergebnisse von Unternehmungen des DAI in verschiedenen Teilen der<br />
Alten Welt zeigen, daß eine allzu starre Anwendung des Begriffs ‚Neolithikum’ den<br />
tatsächlichen in Verbindung mit der Seßhaftwerdung des Menschen verbundenen<br />
Entwicklungen nicht mehr ganz gerecht wird. Beziehen wir archäologische Befunde der<br />
Neuen Welt ein, wird dieses Dilemma noch deutlicher. So kam es an den Küsten Nordund<br />
Südamerikas aufgrund reichhaltiger Nahrungsressourcen schon früh zur<br />
Ausbildung dauerhafter Siedlungen, allerdings ohne Anzeichen von Bodenbau und<br />
Keramikproduktion. Ebenso existierten im Andenraum stadtähnliche Siedlungen mit<br />
Monumentalarchitektur, die jedoch noch keine Keramik kannten. Dies erinnert zwar an<br />
Entwicklungen, wie sie der Göbekli Tepe zum Ausdruck bringt, und dennoch haben<br />
beide Phänomene wenig gemeinsam. Diese Vorgänge jedoch ausschließlich unter dem<br />
Begriff der Neolithisierung in seiner altweltlichen Bedeutung zu betrachten, d. h. vom<br />
Standpunkt wirtschaftlicher Neuerungen, speziell des Bodenbaus und der Viehzucht,<br />
aus, hieße, die Perspektive beträchtlich einzuengen.<br />
Der entscheidende und nachhaltigste Schritt, den der Mensch in sehr<br />
verschiedenartigen Natur- und Kulturräumen unter teilweise stark voneinander<br />
abweichenden Voraussetzungen und Rahmenbedingungen vollzog, war die<br />
Seßhaftwerdung, die vielfach dem Übergang von aneignendem zu produzierendem<br />
Wirtschaften voranging. Die Seßhaftigkeit bewirkte neue Formen des<br />
Zusammenlebens, was die bis dahin bestehenden sozialen Strukturen aufbrach und<br />
neue entstehen ließ, wie Siedlungsformen und diverse Hinweise auf gesellschaftliche<br />
Hierarchien und Arbeitsteilung etc. erkennen lassen. Die Konzentration der<br />
Betrachtung auf den Entstehungsprozeß permanenter Niederlassungen besitzt zudem<br />
den Vorteil, daß das Untersuchungsobjekt im archäologischen Befund klarer faßbar und<br />
dadurch weltweit besser vergleichbar wird. Sind früheste Siedlungen lokalisiert, so<br />
Stand: 01/2007 6
lassen sich die Faktoren, die dafür ausschlaggebend waren, gezielt untersuchen. Dabei<br />
wird vermutlich deutlich werden, daß Seßhaftwerdung unter unterschiedlichsten<br />
Vorzeichen und Einflüssen stattfand, wobei Nahrungsgrundlagen, Zugang zu<br />
Ressourcen, Standortfaktoren, Klimaeinflüsse u. v. m. gleichermaßen von Bedeutung<br />
waren. Doch unabhängig von dem jeweiligen Natur- und Kulturraum, der hinter der<br />
Seßhaftwerdung stehende Wandel war – einmal in Gang gesetzt – nirgendwo statisch,<br />
sondern ausgesprochen dynamisch und führte in der Folgezeit zur Entstehung<br />
komplexer Gesellschaften.<br />
Inhaltliche Aspekte<br />
Der Bedarf, das Umfeld und die Rahmenbedingungen der Seßhaftwerdung des<br />
Menschen in den unterschiedlichsten Natur- und Kulturräumen der Alten wie Neuen<br />
Welt vergleichend zu untersuchen – das vordringliche Ziel dieses Forschungsclusters –,<br />
ist enorm und könnte auch die Diskussion zu den Anfängen des Neolithikums in<br />
Vorderasien und Alteuropa durch neue Betrachtungsansätze entscheidend beleben und<br />
zu einer kritischen Neubewertung bisheriger Modelle und Hypothesen beitragen. Nur so<br />
ist zu wirklich weiterführenden Einsichten zu gelangen. Etliche in verschiedenen Teilen<br />
der Alten wie der Neuen Welt durchgeführte Ausgrabungsprojekte des DAI gehen von<br />
ähnlichen Fragestellungen aus und bieten deshalb geradezu ideale Voraussetzungen für<br />
ein solches Vorhaben.<br />
Die Fragen, die sich alle mit diesem Cluster verbundenen Projekte zu stellen haben,<br />
sind dabei klar: Wie stark war der ökologische Einfluß auf die kulturelle Entwicklung<br />
des Menschen tatsächlich, gerade im Hinblick auf Seßhaftwerdung und den Übergang<br />
zu produzierender Wirtschaftsweise? Was führte den Menschen dazu, das<br />
jahrtausendelang praktizierte Jäger- und Sammlertum zugunsten einer<br />
arbeitsintensiveren und letztlich auch risikoreicheren, weil stärker vom Klima<br />
abhängigen Landwirtschaft aufzugeben? Waren die Formen menschlichen<br />
Zusammenlebens und Wirtschaftens in der Tat in erster Linie von den natürlichen<br />
Rahmenbedingungen abhängig, oder kommt auch bestimmten kulturellen Faktoren<br />
eine vielleicht ähnliche wichtige Rolle zu, was möglicherweise sogar zu einer<br />
Relativierung der ökologischen Determiniertheit führen könnte? Immerhin griff der<br />
Mensch nach der Seßhaftwerdung und nach dem Übergang zur Landwirtschaft auch<br />
nachhaltig in seine Umwelt ein und formte sie vielfach um, was wiederum<br />
Rückwirkungen auf ihn selbst haben konnte. Daraus folgt die Frage, wie der Mensch<br />
die Nutzung der zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen im Umfeld<br />
permanenter Siedlungen organisierte, um auch – was für ihn überlebenswichtig war –<br />
ihren Fortbestand zu sichern. Lassen sich aus den zu diesem Cluster<br />
zusammengeschlossenen Projekten nur Modelle für ganz spezifische historische<br />
Einzelsituationen entwickeln, oder sind Mechanismen zu erkennen, die unter<br />
bestimmten Voraussetzungen einer gewissen Gesetzmäßigkeit, ja Zwangsläufigkeit<br />
unterliegen und dadurch generalisierbar sind?<br />
Interdisziplinäre Aspekte<br />
Die enge Vernetzung solcher Forschungen mit modernen archäonaturwissenschaftlichen<br />
Methoden, wie sie bereits in nahezu allen an diesem Cluster<br />
beteiligten Projekten erfolgreich praktiziert wird, ist dabei unerläßliche Voraussetzung.<br />
Dabei muß es das vordringliche Ziel sein, diese interdisziplinäre Kooperation noch<br />
weiter zu intensivieren und gleichzeitig auf die Entwicklung neuer<br />
naturwissenschaftlicher Verfahren hinzuwirken. Dies betrifft z. B. den Einsatz von<br />
exakten Datierungsmethoden (Radiokarbonmethode, Dendrochronologie,<br />
Termolumineszenz u. a.) als Grundlage einer komparativen Betrachtung<br />
unterschiedlichster Kulturräume, die Nutzung bekannter und die Entwicklung neuer<br />
geophysikalischer Prospektionsverfahren zur Erfassung von Siedlungsgrößen,<br />
Siedlungsstrukturen und landwirtschaftlichen Nutzflächen, archäozoologische und<br />
Stand: 01/2007 7
archäobotanische Forschungen zur Rekonstruktion von Wirtschaftsgrundlagen und<br />
Ernährungsgewohnheiten, geowissenschaftliche Disziplinen zur Klima- und<br />
Landschaftsgeschichte, Materialanalysen an Keramik, Stein u. a., paläopathologische<br />
Untersuchungen an menschlichem Skelettmaterial zur Feststellung von<br />
Mangelernährung und Krankheitsbildern seßhaft gewordener Bevölkerungen im<br />
Vergleich zu Wildbeutern, Isotopenanalysen zur Quantifizierung der Mobilität von<br />
Mensch und Tier u. v. m. Dabei ergeben sich in besonderer Weise<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten mit dem Förderschwerpunkt „Neue naturwissenschaftliche<br />
Methoden und Technologien in den Geisteswissenschaften“ des Bundesministeriums für<br />
Bildung und Forschung (BMBF).<br />
Regionale Aspekte<br />
Die durch diesen Forschungscluster vernetzten Projekte des DAI werden in ganz<br />
unterschiedlichen Teilen der Alten wie Neuen Welt durchgeführt, wobei insgesamt vier<br />
Großräume zu unterscheiden sind. Die Unternehmungen am südostanatolischen<br />
Göbekli Tepe und im mittleren Orontes-Tal liegen gewissermaßen im<br />
Entstehungsgebiet von Seßhaftwerdung und produzierendem Wirtschaften im Bereich<br />
des sog. fruchtbaren Halbmonds und zielen auch auf eine Erforschung der Anfänge<br />
dieses Prozesses ab. Aruchlo, Kırklareli und Okolište befinden sich dagegen in einem<br />
primären Ausbreitungsgebiet, wobei im transkaukasischen Aruchlo die Verbindungen<br />
von Vorderasien über den Kaukasus-Hauptkamm hinweg nach Norden untersucht<br />
werden, während in Kırklareli Fragen der Einflüsse Anatoliens auf die Balkanhalbinsel<br />
im Vordergrund stehen, und in Okolište werden wiederum die Kontakte zwischen<br />
Adriaküste und zentralbalkanischem Hinterland untersucht. Mit einem sekundären<br />
Ausbreitungsgebiet befassen sich die Projekte in Ambrona auf der Kastilischen<br />
Hochebene, im Hinterland der marokkanischen Küstenzone sowie in den Waldregionen<br />
Nordosteuropas; die Anfänge und der Verlauf der Seßhaftwerdung unterschieden sich<br />
dort bereits erheblich von den Entstehungs- und primären Ausbreitungsgebieten. Die<br />
globale Perspektive ermöglichen schließlich weit außerhalb des Vorderen Orients und<br />
Alteuropas gelegene Räume mit gänzlich unabhängigen Eigenentwicklungen, zu denen<br />
die Vorhaben im südperuanischen Palpa und Montegrande sowie im ostbolivianischen<br />
Llanos de Moxos gehören.<br />
PROJEKTE<br />
Im folgenden werden die einzelnen an diesem Cluster teilhabenden Forschungsprojekte<br />
noch einmal kurz beschrieben, insbesondere hinsichtlich der hier im Vordergrund<br />
stehenden Fragestellung. Weitere Informationen zu den Unternehmungen,<br />
insbesondere zu den in- und ausländischen Kooperationspartnern usw., sind den<br />
Ausführungen im Forschungsplan zu entnehmen, in dem die Vorhaben im Rahmen der<br />
Forschungsziele der jeweiligen Abteilung bzw. Kommission erläutert werden.<br />
Göbekli Tepe, Südostanatolien<br />
(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />
Der mit 15 m Schichtmächtigkeit gewaltige, rein steinzeitliche Siedlungshügel von<br />
Göbekli Tepe bei Urfa wird seit 1995 systematisch erforscht. Herausragend sind die<br />
monumentalen, mit Skulpturen und Reliefs ausgestatteten Kreisanlagen aus der Zeit<br />
um 9000 v. Chr. Sie kennzeichnen den Göbekli Tepe als rituelles Zentrum und als<br />
Kommunikationsplattform für eine offenbar großräumig vernetzte jägerische<br />
Bevölkerung. Diese Monumente stellen damit eine weltweit einzigartige Quelle zur<br />
Geschichte des Umbruchs von jägerischen Gesellschaften zum Bauerntum dar und<br />
lassen diesen Wandel in gänzlich neuem Licht erscheinen. Der Göbekli Tepe belegt, wie<br />
andere zeitgleiche Plätze der Region auch, daß Seßhaftigkeit und Ortsbindung nicht<br />
zwangsläufig mit produzierendem Wirtschaften zusammengehen müssen. Da sich<br />
Stand: 01/2007 8
östlich von Göbekli aber die Vulkanlandschaft Karacadağ erstreckt, die mit Hilfe<br />
naturwissenschaftlicher Untersuchungen als Heimat später kultivierter Getreidearten<br />
bestimmt werden konnte, stellt sich u. a. auch die Frage, ob die in erster Linie<br />
jägerisch geprägte Kultgemeinschaft des Göbekli Tepe nicht doch die Kultivierung von<br />
Wildgetreide initiiert haben könnte; jedenfalls gehört dieser Problemkreis zu den<br />
zentralen Fragen, die die Forschungen an diesem Ort verfolgen.<br />
Orontes-Tal, Syrien<br />
(K. Bartl, Orient-Abteilung, Außenstelle Damaskus)<br />
Das Projekt befaßt sich mit der Entstehung und Entwicklung des Neolithikums (10000-<br />
6000 v. Chr.) im zentralen Bereich des sog. Levantinischen Korridors. Die Arbeiten<br />
gehen dabei von der allgemein akzeptierten These aus, daß der durch Jordan-Tal,<br />
Beqa’a-Ebene und Orontes-Tal gebildete Grabenbruch eine zentrale Rolle innerhalb der<br />
Neolithisierungsprozesse im Vorderen Orient gespielt haben muß. Von der Existenz<br />
permanent genutzter Ansiedlungen ist möglicherweise schon seit dem Epipaläolithikum<br />
(12000-10000 v. Chr.), sicher aber ab dem Frühneolithikum (10000-7000 v. Chr.)<br />
auszugehen, doch bleiben entsprechende Belege bislang spärlich und nur auf das<br />
Spätneolithikum beschränkt. Das Untersuchungsgebiet am mittleren Orontes, das<br />
derzeit erstmals intensiven Prospektionen unterzogen wird, bildet aufgrund seiner<br />
naturräumlichen Voraussetzungen eine Region, die optimale Bedingungen für<br />
Seßhaftigkeit und produzierendes Wirtschaften bietet. Die bisherigen Surveys<br />
bestätigten das große Potential dieser Region hinsichtlich einer eingehenderen<br />
Erforschung des Frühneolithikums. Dabei stieß man mehrfach auf Plätze (Tell Karzali,<br />
Tell Ahmar), die sich für eine Ausgrabung zur Gewinnung stratifizierter<br />
frühneolithischer Fundkomplexe eignen.<br />
Aruchlo, Transkaukasien<br />
(S. Hansen, Eurasien-Abteilung)<br />
Die Ausbreitung der bäuerlichen Wirtschafts- und Lebensweise aus dem Fruchtbaren<br />
Halbmond in die nördlich angrenzenden Gebiete des Kaukasus ist noch unzureichend<br />
erforscht. Zwar sind Siedlungen des frühen Neolithikums in diesem Großraum seit<br />
längerem bekannt und einige auch durch kleine Grabungen sondiert, doch fehlt es<br />
bislang an detaillierten Angaben zu Chronologie, Wirtschaftsweise, Hausbau,<br />
Siedlungsstruktur u. a. m. Um diese Kenntnislücke zu füllen, werden seit 2005<br />
Ausgrabungen auf dem frühneolithischen Siedlungshügel Aruchlo I unweit von Tiblissi<br />
durchgeführt. Vordergründige Ziele des Projektes sind die Bereitstellung von<br />
Basisdaten zur Siedlungs- und Lebensweise sowie zu den Umweltverhältnissen, der<br />
Aufbau einer Chronologie der Siedlungshorizonte sowie die Klärung des Verhältnisses<br />
zu den benachbarten Tell-Siedlungen. Daneben wird die Rolle Aruchlos im<br />
Obsidianhandel eine wichtige Rolle spielen. An der komplexen Erforschung des Platzes<br />
und seines Umfeldes sind verschiedene archäologische und naturwissenschaftliche<br />
Disziplinen beteiligt. Das Projekt Aruchlo verspricht neue Erkenntnisse zum Prozeß der<br />
Neolithisierung in der Kaukasusregion. Langfristig sind weitere Ausgrabungen an<br />
frühneolithischen Siedlungen in benachbarten Regionen von Azerbajdjan, Iran und<br />
Turkmenistan geplant. Damit ergibt sich die Möglichkeit eines Vergleichs von<br />
Anpassungsstrategien früher Bauern an ganz unterschiedliche Umweltbedingungen.<br />
Kırklareli, Türkisch-Thrakien<br />
(H. Parzinger, Zentrale)<br />
Der türkische Teil Thrakiens zwischen Istrandža-Gebirge im Norden, Marmara-Meer im<br />
Süden, Rhodopen im Westen und Schwarzem Meer im Osten spielte eine<br />
entscheidende Rolle bei der Verknüpfung prähistorischer Kulturentwicklungen<br />
Anatoliens, der Ägäis und der Balkanhalbinsel, ganz besonders hinsichtlich der<br />
Stand: 01/2007 9
Ausbreitung neolithischer Lebens- und Wirtschaftsformen. Die Bedeutung dieser Region<br />
als Brückenkopf unterstrichen die Ausgrabungen in Hoca Çeşme zu Beginn der 90er<br />
Jahre, die die bislang ältesten frühneolithischen Siedlungsreste in diesem Teil<br />
Südosteuropas erbrachten. Hoca Çeşme darf dabei als ‚Außenposten’ einer<br />
frühneolithischen Kultur von gänzlich anatolischem Gepräge gelten. Dies stellt erneut<br />
die Frage nach der Rolle Anatoliens für den Beginn von Seßhaftigkeit und<br />
produzierendem Wirtschaften auf dem Balkan, die sich nun auf soliderer Grundlage<br />
stellen läßt. Ausgrabungen der letzten Jahre im neolithischen Tell von Aşaği Pınar bei<br />
Kırklareli im Inneren Türkisch-Thrakiens haben umfassende Einblicke in die mittel- und<br />
spätneolithische Entwicklung dieses Raumes geliefert, wobei sich Veränderungen in der<br />
Siedlungsstruktur, in der Architektur, im Fundmaterial und in der Wirtschaftsweise<br />
abzeichneten, die unsere Kenntnis dieser Periode erheblich erweiterten. Dabei war<br />
u. a. festzustellen, daß dieses Gebiet ab dem Mittelneolithikum zusammen mit heute in<br />
Bulgarien gelegenen Orten der Stufen Karanovo III und IV eine kulturelle Einheit<br />
bildete, die deutlich von gleichzeitigen Kulturen Anatoliens unterschieden ist. Die<br />
künftigen Untersuchungen in Aşaği Pınar werden sich auf die Erforschung der<br />
vorzüglich erhaltenen frühneolithischen Schichten konzentrieren, um auch das<br />
Verhältnis von den stark anatolisch geprägten Orten der Marmara-Küste (z. B. Hoca<br />
Çeşme) zur Entwicklung im Inneren Türkisch-Thrakiens (Aşaği Pınar) während des<br />
7./6. Jt. v. Chr. zu klären, eine Frage, die von zentraler Bedeutung für die<br />
Neolithisierung Südosteuropas ist.<br />
Okolište, Zentralbosnien<br />
(K. Rassmann, RGK)<br />
Das Gebiet von Zentralbosnien spielte im Neolithikum eine wichtige Rolle als Mittler<br />
zwischen den Siedlungsgebieten an der Adriaküste und dem zentralen Balkan. Entlang<br />
der Flüsse Neretva und Bosna erstreckt sich eine verkehrsgeographisch begünstigte<br />
Landschaft, über die beide Großräume miteinander verbunden sind. Moderne<br />
archäologische Untersuchungen fehlen in Zentralbosnien, doch seit 2002 werden<br />
kleinere Grabungen und geophysikalische Prospektionen am großen Siedlungshügel<br />
Okolište im Visoko-Becken durchgeführt. Als erstes Ergebnis dieser Aktivitäten liegt der<br />
geomagnetische Plan einer 5 ha großen Siedlung mit Häuserzeilen und<br />
Befestigungssystemen vor. Vorzüglich erhaltene Siedlungsbefunde sowie typologische,<br />
radiometrische, archäozoologische und botanische Analysen an Fundmaterialien der<br />
bisherigen Grabungen weisen auf ein großes wissenschaftliches Potential des in das<br />
Spätneolithikum gehörenden Platzes hin. In weiteren Grabungskampagnen soll zum<br />
einen die innere Struktur der Siedlung erforscht werden. Durch Freilegung<br />
ausgewählter Flächen lassen sich einzelne Haushalte, siedlungsinterne<br />
Verkehrsverhältnisse und die Befestigung der Siedlungsanlage rekonstruieren.<br />
Begleitende bauarchäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen sollen sich<br />
der Architekturgeschichte und der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse am Platz<br />
widmen. Zum anderen können die zentralörtliche Funktion von Okolište und das<br />
Netzwerk der Kleinregion Visoko im späten Neolithikum über Sondagen bereits<br />
prospektierter Siedlungshügel der Umgebung näher untersucht werden. Das Projekt<br />
Okolište verspricht neue Erkenntnisse zum spätneolithischen Siedlungswesen in einer<br />
naturräumlich gut abgegrenzten Siedlungskammer.<br />
Ambrona, Kastilisches Hochland<br />
(M. Kunst, Abteilung Madrid)<br />
Bis vor wenigen Jahren ging die Forschung davon aus, daß die Anfänge des frühesten<br />
Neolithikums auf der Iberischen Halbinsel mit Siedlern zusammenhingen, die aus dem<br />
ostmediterranen Raum stammten. Diese sollten sich an der Ostküste Spaniens<br />
niedergelassen und die entlang der Küsten des Mittelmeeres weit verbreitete<br />
Cardialkeramik mitgebracht haben. In einem Akkulturationsprozeß hätten die<br />
Einheimischen dann die neolithische Lebensweise übernommen und aus der<br />
Stand: 01/2007 10
Cardialkeramik das sog. Epicardial entwickelt. Im Inneren der Iberischen Halbinsel<br />
waren beide Keramikstile lange Zeit unbekannt, und man nahm an, daß seßhafte<br />
Lebensweise und produzierendes Wirtschaften dort erst erheblich später mit dem<br />
Beginn der Megalithkultur Einzug hielten. In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch<br />
vermehrt Funde eines sog. Meseta-Neolithikums bekannt, die eine gänzlich andere<br />
Entwicklung denkbar erscheinen ließen, bislang aber noch nicht verläßlich datiert<br />
werden konnten. Die vor einigen Jahren durchgeführten Ausgrabungen an Fundstellen<br />
im kastilischen Hochland im Raum Ambrona verfolgten das Ziel, diese Spuren eines<br />
frühesten, vom Cardial-Bereich offenbar unabhängigen Neolithikums näher zu<br />
erforschen. Dabei gelang es, für die zweite Hälfte des 6. Jt. v. Chr. ein<br />
vollausgebildetes Frühneolithikum mit Tierhaltung und Pflanzenanbau nachzuweisen,<br />
das die Anfänge von seßhaftem Leben und produzierendem Wirtschaften auf der<br />
Meseta nun in anderem Licht erscheinen läßt.<br />
Marokkanisches Küstenland<br />
(J. Eiwanger, KAAK)<br />
Das Thema „Neolithisierungstendenzen im marokkanischen Küstenland“ steht im<br />
Mittelpunkt eines multidisziplinären Kooperationsprojekts, das für eine weitgehend<br />
unerforschte Region des westlichen Maghreb ein möglichst vollständiges Bild der<br />
Kulturfolge von den Anfängen menschlicher Besiedlung bis in die geschichtliche Zeit<br />
schaffen soll. Die unterschiedlichen Lebensräume des Arbeitsgebietes, die montane<br />
Zone des Rif, der Küstenstreifen, die Moulouya-Stromoase und die östlichen<br />
Gebirgsausläufer, werden exemplarisch prospektiert, und an ausgewählten Fundstellen<br />
folgen ergänzende Grabungen. Die bisherigen Forschungen lassen annehmen, daß<br />
nach einer primären altneolithischen Besiedlung des Küstenraumes durch Träger der<br />
mediterranen Cardialkeramik eine fortschreitende Aufsiedlung des Hinterlandes<br />
erfolgte. Dort blieb jedoch weiterhin eine epipaläolithische Wirtschaftsweise prägend,<br />
und es entwickelte sich ein Jäger-Hirten-Komplex ohne wesentliche agrikulturelle Züge.<br />
Dies entspricht einer Tendenz in weiten Teilen Afrikas, wo seßhafte Fischer-Hirten-<br />
Kulturen den gesamten Südsahararaum besiedelten. Erklärbar sind diese Kontinuitäten<br />
vor allem dadurch, daß die afrikanische Tierwelt an der Wende vom Glazial zum<br />
Holozän keinem Wandel unterworfen war. Diese Lebens- und Wirtschaftsform reichte<br />
im Maghreb bis ins Spätneolithikum, führte u. a. zu Zentralheiligtümern wie dem<br />
Cromlech von M'sora im westlichen Rif, wandelte sich dann jedoch im fortgeschrittenen<br />
3. Jt. v. Chr. zu einer teils vollnomadischen, teils transhumanen Hirtenkultur<br />
(Felsbilder des Atlas u. a.). Die Gründe dafür sind noch weitgehend unbekannt und<br />
wohl spezifisch afrikanisch, weil sich auf der benachbarten Iberischen Halbinsel zur<br />
selben Zeit eine absolut gegenläufige Entwicklung vollzog, die schließlich zu<br />
frühmetallzeitlichen Großsiedlungen mit Befestigungen usw. führte.<br />
Nordosteuropäisches Waldgebiet<br />
(H. Piezonka, Zentrale)<br />
In der Waldzone Nordosteuropas existierte seit dem 6. und teilweise bis ins 2. Jt. v.<br />
Chr. hinein ein als ‚neolithisch’ bezeichneter Kulturkomplex, der durch eine spezifische<br />
kamm- und grübchenverzierte Keramik gekennzeichnet wird. Vom mittel- und<br />
südeuropäischen Neolithikum unterscheidet er sich insbesondere dadurch, daß trotz<br />
des Auftretens von Keramik weiterhin eine im Grunde noch mesolithisch geprägte<br />
aneignende Wirtschaftsweise die Lebensgrundlage seiner Träger bildete. Auch von<br />
Ortsfestigkeit und permanent genutzten Siedlungen kann wohl nur bedingt<br />
ausgegangen werden, vielmehr dürften saisonale Wanderbewegungen vorgeherrscht<br />
haben. Dieses sog. Waldneolithikum soll in einer vergleichenden Gesamtbetrachtung<br />
(Promotionsvorhaben) neu bewertet werden, wobei insbesondere die regionale und<br />
chronologische Gliederung sowie die Lebens- und Wirtschaftsformen im Vordergrund<br />
stehen werden. Entscheidende Bedeutung nimmt dabei u. a. die Frage ein, ob der<br />
Anstoß zu dieser Entwicklung aus dem Bereich der bereits vollneolithischen Kulturen<br />
Stand: 01/2007 11
Mittel- und Südosteuropas kam, oder ob die Keramik erzeugenden Wildbeuter<br />
Nordosteuropas eine davon gänzlich unabhängige Tradition vertreten.<br />
Palpa, Südperu<br />
(M. Reindel, KAAK)<br />
Das Forschungsvorhaben mit dem Thema „Andentranssekt – Siedlungsdynamik<br />
zwischen Meeresküste und Altiplano der Anden“ wird im Süden Perus durchgeführt. Die<br />
zentralen Anden sind ein Hochgebirge in den Tropen. Zwischen der Küstenwüste im<br />
Westen und den gletscherbedeckten Berggipfeln im Osten finden sich die<br />
unterschiedlichsten ökologischen Zonen, die im Laufe der Zeit einem klimatischen,<br />
landschaftlichen und kulturellen Wandel unterworfen waren. Das Untersuchungsgebiet<br />
umfaßt das Flußsystem der Täler von Palpa, einen geographisch scharf gegen die<br />
nördlich und südlich angrenzende Wüste definierten Raum mit Hunderten<br />
archäologischer Siedlungen. In den vier Hauptregionen Küste, Andenfuß, Täler und<br />
Hochgebirge haben sich Menschen im Laufe der Jahrtausende in verschiedenster Weise<br />
mit wechselnden Wirtschaftsformen an die Umwelt angepaßt. Unterschiedliche<br />
Kulturstufen sind durch jeweils abweichende Siedlungsstandorte und Siedlungsformen<br />
geprägt. Im Rahmen dieses Projektes soll exemplarisch der Prozeß der<br />
Seßhaftwerdung und Siedlungsentwicklung in Südamerika von ersten akeramischen<br />
Fischersiedlungen über frühen Bodenbau, Bewässerungswirtschaft bis hin zu<br />
komplexen Gesellschaftsformen untersucht werden. Bisherige Untersuchungen haben<br />
sich auf die Region am Andenfuß konzentriert. Durch eine Ausweitung in die<br />
Bergregionen und die Vernetzung mit dem Projekt „Montegrande“ (s. u.) soll das<br />
gesamte Landschaftsprofil von der Meeresküste bis zu den Anden erforscht werden.<br />
Montegrande, Südperu<br />
(B. Vogt, KAAK)<br />
Der Reichtum an marinen Ressourcen hat an den Meeresküsten des amerikanischen<br />
Kontinents zur Seßhaftwerdung ohne die gleichzeitige Entwicklung der Landwirtschaft<br />
geführt. Ackerbau entstand dort als sekundäre Wirtschaftsform zunächst in den<br />
feuchten Flußuferzonen und später – in Verbindung mit künstlicher Bewässerung – in<br />
den gesamten kultivierbaren Auen von Taloasen. Das in der Küstenwüste Südperus<br />
gelegene Mündungsgebiet des Rio Grande weist zwei benachbarte, aber deutlich<br />
abgrenzbare Naturräume auf: einerseits das eigentliche Mündungsgebiet, in dem<br />
Prospektionen Anzeichen für eine präkeramische Besiedlung und Muschelhaufen aus<br />
der Zeit um 4000 v. Chr. lieferten, und andererseits eine Talweitung etwa 3 km<br />
flußaufwärts, die für Bewässerungslandwirtschaft geeignet war und Siedlungsreste aus<br />
der Paracaszeit (800-200 v. Chr.) und nachfolgenden Perioden erbrachte. An diesen<br />
beiden Schlüsselstellen lassen sich früheste Wirtschaftsformen und deren Einfluß auf<br />
die Siedlungsentwicklung erforschen.<br />
Llanos de Moxos, Ostbolivien<br />
(H. Prümers, KAAK)<br />
Das Projekt Llanos de Moxos widmet sich Siedlungsprozessen in einer<br />
Überschwemmungssavanne des südlichen Amazonasbeckens. Tropische Regenwälder<br />
galten bislang als natürliche, d. h. durch den Menschen nicht oder kaum veränderte<br />
geographische Großräume. Diese Lehrmeinung ist seit den 80er Jahren zunehmend ins<br />
Wanken geraten. Für das Amazonasgebiet wird gegenwärtig zu klären versucht, wie<br />
stark der Mensch dort die Umwelt gestaltet hatte. Zur Aufsiedlung des<br />
Amazonasbeckens und den darauf folgenden Kulturentwicklungen liegen bisher jedoch<br />
kaum archäologische Daten vor. Im Zentrum der Forschungen steht ein Randgebiet<br />
des Amazonasbeckens, die Llanos de Moxos. In dieser ca. 110.000 km 2 großen<br />
Überschwemmungssavanne finden sich zahlreiche Reste von Kanälen, Dämmen,<br />
Stand: 01/2007 12
Wasserreservoirs und Hügelbeet-Komplexen. Allein das Ausmaß dieser Anlagen läßt<br />
auf die Existenz komplexer Kulturen mit seßhafter bäuerlicher Lebensweise in einer<br />
Region schließen, die heute auf Grund schlechter Böden als untauglich für<br />
Landwirtschaft gilt. Unklar bleibt ferner, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen<br />
Voraussetzungen die „Kultur von Moxos“ entstanden ist, doch auch ihre weitere<br />
Entwicklung und die Gründe für ihr Ende entziehen sich genauerer Kenntnis. Eine<br />
verläßliche Beantwortung dieser Fragen würde unsere Kenntnis der Siedlungsprozesse<br />
und Kulturentwicklungen im vorspanischen Amazonien erheblich verbessern.<br />
Stand: 01/2007 13
Forschungscluster 2<br />
INNOVATIONEN: TECHNISCH, SOZIAL<br />
Sprecher: R. Eichmann, S. Hansen, C. Schuler<br />
EINLEITUNG<br />
Die Erfahrung von Wandel prägt die moderne Lebenswelt in allen Bereichen. Nicht nur<br />
allmähliche Veränderungen, sondern der Zwang zu Reformen und die ständige Suche<br />
nach Innovationen in einem globalen Wettbewerb bestimmen das Bewußtsein von<br />
Politik und Gesellschaft. Innovationen werden als unbedingte Voraussetzung für eine<br />
erfolgreiche Bewältigung der Zukunft, die Bewahrung von Lebensstandards und die<br />
Stabilität der Gesellschaftsordnung betrachtet und deshalb gezielt und in hohem<br />
Tempo angestrebt. Dabei werden Innovationen heute vor allem als technische<br />
verstanden, und die noch vor kurzem stärker akzentuierte Kritik an naiver<br />
Technikgläubigkeit hat einer differenzierteren Sicht Platz gemacht, in der die Lösung<br />
drängender Probleme wieder vor allem von neuen, 'intelligenten' Techniken erhofft<br />
wird. Auf der anderen Seite stehen Verunsicherung und Zukunftsängste breiter<br />
Bevölkerungskreise angesichts des Veränderungsdrucks auf bis dahin<br />
selbstverständlich tragende Strukturen. Diese Beobachtungen verweisen auf die<br />
Einbettung von Technik und Innovationen in ihren gesellschaftlichen Kontext und die<br />
Abhängigkeit ihrer Akzeptanz von der herrschenden Mentalität.<br />
In starkem Kontrast zur heutigen Situation wirken vormoderne Kulturen in ihrem<br />
Entwicklungsgang langsam oder geradezu statisch. Vielfach blieben die konkreten<br />
Lebensumstände innerhalb einzelner Generationen nahezu unverändert. Dabei ist<br />
Statik nicht mit Stabilität zu verwechseln: Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />
erlaubte oft nicht mehr als ein labiles Gleichgewicht mit geringer Krisentoleranz, so daß<br />
Kriege oder Naturkatastrophen schwere Rückschläge bewirken konnten. Über<br />
Generationen langsam erarbeitete Fortschritte konnten auf diese Weise fast mit einem<br />
Schlag wieder zunichte gemacht werden.<br />
Dennoch spielen auch und gerade in vormodernen Gesellschaften Entwicklungsimpulse<br />
und Neuerungen aller Art eine zentrale Rolle. Sie sind aufgrund ihres selteneren<br />
Vorkommens sogar ein besonders interessantes Phänomen. Denn gerade vor dem<br />
Hintergrund eines grundsätzlich langsamen Entwicklungstempos drängt sich umso<br />
mehr die Frage nach den Bedingungen der Entstehung und Ausbreitung von<br />
Innovationen auf.<br />
Innovationen haben in der frühen Menschheitsgeschichte zweifellos eine wichtige Rolle<br />
gespielt. Das Bündel von neuen Techniken, das Gordon Childe mit der griffigen Formel<br />
der "Neolithischen Revolution" belegte, veränderte grundlegend die Wirtschafts- und<br />
Lebensweise des Menschen. Die Erfindung des Rades im 4. Jahrtausend empfinden wir<br />
als so elementar, daß sie in Form von Redewendungen in unsere Sprache eingegangen<br />
ist. Die 'Erfindung' der Demokratie im klassischen Athen ist festes Traditionselement<br />
der europäischen Geschichte. Die Entstehung des Christentums in der frühen<br />
römischen Kaiserzeit markiert den Beginn eines langen Konflikts mit den traditionellen<br />
Kulten, der schließlich zu einem tiefgreifenden Wandel aller Ebenen der antiken Welt<br />
beitrug. Obwohl also die Bedeutung von Innovationen für die Herausbildung sozialer<br />
und politischer Organisation unbestritten ist, ist dieser Zusammenhang bislang im<br />
Rahmen der modernen archäologischen und altertumswissenschaftlichen Forschung<br />
Stand: 2006 14
noch kaum untersucht worden. Für die dafür erforderliche Langzeitperspektive bieten<br />
sich die Archäologien und Altertumswissenschaften an, um im Kulturvergleich neue<br />
komparative Einsichten in die Verschiedenheit innovativer Prozesse zu gewinnen.<br />
Dabei geht es nicht um eine traditionelle Fortschrittsgeschichte der technischen<br />
Erfindungen, sondern um die Bedeutung von Techniken verschiedenster Art in<br />
kulturellen Systemen. Der Begriff der 'Innovation' steht deshalb im folgenden nicht nur<br />
für technische Neuerungen im engeren Sinn, sondern auch für neue Erscheinungen in<br />
anderen kulturellen Bereichen. Das Aufkommen neuer religiöser Kulte gehört dazu<br />
ebenso wie die Entwicklung von Gebäudetypen oder die Einführung neuer öffentlicher<br />
Ämter. In einer kulturgeschichtlich orientierten Betrachtung sollen technische und<br />
andere Innovationen nicht in erster Linie als funktionale Problemlösungen, sondern im<br />
Hinblick auf ihre soziale und symbolische Dimension betrachtet werden.<br />
Gesellschaftliche Strukturen und Innovationen bedingen sich gegenseitig. Die<br />
Möglichkeit und konkrete Entfaltung von Innovationen ist abhängig von den Strukturen<br />
einer Gesellschaft, und ihre Durchsetzung und Ausbreitung hat wiederum<br />
Auswirkungen auf das soziale Gefüge. Ein prinzipielles Positivurteil im Sinne eines<br />
linearen Fortschrittsdenkens ist dabei zu vermeiden. Was als 'Fortschritt' bewertet<br />
wird, ist vielmehr Ausdruck zeitgebundener Werturteile sowohl im Kontext des<br />
untersuchten Zeitraums wie in der Perspektive des Forschenden und deshalb einer<br />
kritischen Reflexion zu unterwerfen. Das schließt auch und gerade eine Perspektive auf<br />
die Verweigerung von Innovation und den Widerstand gegen sie ein. Neben der<br />
Bedeutung von Innovationen als Motor sozialen Wandels ist deshalb die starke<br />
Traditionsorientierung vieler vormoderner Gesellschaften in den Blick zu nehmen.<br />
BESCHREIBUNG DES CLUSTERS<br />
Das Forschungscluster Innovationen: technisch, sozial bündelt die am Deutschen<br />
Archäologischen <strong>Institut</strong> existierenden Forschungsprojekte, die in besonderer Weise<br />
Innovationen in den Vordergrund rücken. Den Schwerpunkt bilden dabei komplexe<br />
Gesellschaften; den spezifischen Fragen und Problemen, die mit der 'neolithischen<br />
Revolution' verbunden sind, ist ein eigenes Cluster gewidmet. Für den konkreten<br />
Arbeitsprozeß ist es sinnvoll, zwei Schwerpunkte zu bilden.<br />
Technische Innovationen<br />
In diesem Block sollen in engerem Sinne technikgeschichtliche Untersuchungen ihren<br />
Platz finden. Die Konzentration auf zwei zentrale natürliche Ressourcen und ihre<br />
Nutzung durch den Menschen bietet sich im Sinne einer Bündelung innerhalb des DAI<br />
vorhandener Forschungsschwerpunkte an. Es ist klar, daß die Archäologie hierfür an<br />
aktuelle Diskussionen über die Kulturgeschichte der Technik bzw. von Techniken in<br />
anderen Kulturwissenschaften anknüpfen muß.<br />
a) Ressource Wasser<br />
Dem Umgang mit Wasser als einer Grundbedingung des Lebens ist für die<br />
Herausbildung sozialer Formationen immer große Bedeutung beigemessen worden,<br />
wie etwa die anhaltende Diskussion über die Rolle der Bewässerungswirtschaft für<br />
die Staatsentstehung in Mesopotamien zeigt. Die Mechanismen und Techniken, die<br />
gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen antiken Wassermanagements sind<br />
in den Zivilisationszentren der großen alluvialen Flußtäler (z. B. Nil, Euphrat/Tigris,<br />
Indus, Yangtse usw.) und der bedeutenden Oasen archäologisch-baugeschichtlich<br />
und/oder aus schriftlicher Überlieferung meist gut bekannt. Folgenreich für Natur<br />
und Mensch waren vor allem wasserbautechnische Innovationen in ariden<br />
Regionen Ägyptens und Mesopotamiens ohne ganzjährig verfügbare<br />
Wasserressourcen. Die frühen Hochkulturen, die dort entstanden, waren von<br />
Bewässerungstechniken abhängig, entsprechende Befunde werden aber häufig<br />
nicht identifiziert oder in ihrer Bedeutung für die Kulturentwicklung unterschätzt.<br />
Stand: 2006 15
Innerhalb des DAI spielen wasserwirtschaftliche Projekte vor allem in der<br />
Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen und der Orient-Abteilung<br />
eine wichtige Rolle. Mehrere laufende Projekte behandeln im Hinblick auf<br />
unterschiedliche Kulturen ähnliche Fragestellungen zur Wasserwirtschaft und<br />
können von einer vergleichenden Perspektive profitieren. Besonders lohnend<br />
erscheint eine geographisch übergreifende, vergleichende Untersuchung zur<br />
Adaption menschlichen Verhaltens an konkrete Umweltbedingungen. In einer<br />
erweiterten Perspektive wäre zu prüfen, inwieweit das Wissen über antike<br />
Wasserbautechniken für die Lösung gegenwärtiger wasserwirtschaftlicher Probleme<br />
herangezogen werden könnte.<br />
b) Ressource Metall<br />
Metalle spielten in der Prähistorie und der Antike eine bedeutende Rolle für die<br />
Verbesserung von Geräten und Waffen und als Darstellungsmittel sozialen Rangs.<br />
Die Epochenbenennung in der Prähistorischen Archäologie ist seit dem 19. Jh. an<br />
die jeweils charakteristische Verwendung einzelner Metalle angelehnt (Kupfer-,<br />
Bronze-, Eisenzeit).<br />
Technische Innovationen in der Metallurgie und infolge metallurgischer Fortschritte<br />
sind mehrfach von entscheidender Bedeutung gewesen. Die Bedeutung der Metalle<br />
für die grundlegende Umgestaltung der neolithischen Ökonomie und die<br />
Herausbildung politischer Macht wird bereits seit langem diskutiert. Aber auch in<br />
späteren Epochen spielen die Kontrolle über Rohstoffvorkommen, die Gewinnung<br />
von Metallen und die Methoden ihrer Verarbeitung und Verwendung eine zentrale<br />
Rolle. Hier können verschiedene Projekte in einen unmittelbaren<br />
Diskussionszusammenhang eintreten und gemeinsam untersuchen, in welchem<br />
Ausmaß Innovationen auf dem Gebiet der Metallurgie das gesellschaftliche Leben<br />
veränderten. Insbesondere in der Eurasien-Abteilung und in der Abteilung Madrid<br />
bestehen zu diesem Thema bereits eigene Forschungsschwerpunkte.<br />
Soziale Innovationen<br />
Innerhalb dieses besonders weiten Feldes empfiehlt sich eine Konzentration auf zwei<br />
zentrale Bereiche, wobei die Interdependenz von technisch-funktionaler Innovation und<br />
sozioökonomischer Entwicklung im Mittelpunkt steht.<br />
a) Gesellschaftliche und politische <strong>Institut</strong>ionen<br />
Das Aufkommen von institutionalisierten Häuptlingen war in neolithischen<br />
akephalen Gesellschaften eine Innovation, die für die Organisation des Bergbaus<br />
bzw. die Mobilisierung von Arbeitskraft entscheidend gewesen sein dürfte. Die<br />
Entwicklung oder Übernahme der Schrift ist als einschneidender<br />
Entwicklungsschritt früher Gesellschaften von besonderer Bedeutung. Der Staat<br />
oder besondere Formen des Gemeinwesens wie die griechische Polis waren<br />
innovative Organisationsformen mit nachhaltigen Folgen für die weitere kulturelle<br />
Entwicklung. Diese Beispiele, die sich beliebig vermehren ließen, unterstreichen die<br />
Bedeutung institutioneller Neuerungen quer durch die Epochen. Mehrere Projekte<br />
innerhalb des DAI beschäftigen sich mit Einzelaspekten innovativer Prozesse dieser<br />
Art und können von einem verstärkten Austausch profitieren.<br />
b) Mobilität und Wissenstransfer<br />
Innovationen sind teils die Folge echter Erfindungen im Sinne bewußter kreativer<br />
Akte bestimmter Personen, teils entstehen sie innerhalb eines bestimmten<br />
Zeitraums als Summe vieler kleiner Schritte, deren Ergebnis sich schließlich als<br />
deutlicher Entwicklungsschritt bemerkbar macht. Innovationen der zweiten<br />
Kategorie sind als kollektive Entwicklungen von Anfang an gesellschaftlich breit<br />
verankert, sie entstehen aus der Praxis und fließen unmittelbar in die Praxis ein.<br />
Stand: 2006 16
Dagegen sind Erfindungen oft Produkte einzelner Köpfe oder einer intellektuellen<br />
Avantgarde, die für eine breite Wirkung einer bewußten Förderung und des<br />
Werbens um Akzeptanz bedürfen. Teilweise sind ihre Urheber aber auch gar nicht<br />
an einer praktischen Anwendung interessiert. Aus moderner Sicht erscheint es<br />
paradox, daß antike Wissenschaftler wiederholt wichtige Erkenntnisse und<br />
Erfindungen erreichten, zu deren praktischer Umsetzung es niemals kam. Das<br />
Beispiel illustriert, daß die Ausbreitung von Innovationen nicht nur durch Mißtrauen<br />
oder Widerstand gegen Neuerungen gehemmt werden kann, sondern auch durch<br />
schlichtes Desinteresse. Warum manche Innovationen bereitwillig aufgenommen<br />
wurden und andere nicht, ist ein interessanter Aspekt der Mentalitätsgeschichte.<br />
Bei der Verbreitung von Innovationen können sowohl Medien der Mobilität, wie das<br />
Rad oder das domestizierte Pferd, als auch institutionelle Formen von Mobilität<br />
eine Rolle spielen. Mit Mobilität verbunden sind Wissenstransfers auf<br />
verschiedenen Ebenen, von technischen über soziale Innovationen bis hin zu<br />
sakralem Wissen. Dabei ist andererseits die Möglichkeit parallaler Entwicklung an<br />
verschiedenen Orten nicht aus dem Blick zu verlieren.<br />
PROJEKTE<br />
WASSER<br />
Die Oase und der Große Damm von Marib, Jemen<br />
(I. Gerlach, Orient-Abteilung,<br />
B. Vogt, KAAK)<br />
Die Oase von Marib war der Lebensnerv eines bedeutenden Karawanenreiches des<br />
1. Jt. v. Chr. In ihr entstand infolge von Aromata- und Gewürzhandel sowie<br />
landwirtschaftlicher Prosperität eine Hochkultur mit weiter Ausstrahlung. Die<br />
Außenstelle Sanaa begann im Jahr 2004 mit Geländebegehungen im Oasengebiet von<br />
Marib, die neue Erkenntnisse zur Entwicklungsgeschichte der künstlichen Bewässerung<br />
in der Oase liefern, wobei die überwiegende Zahl der Fundstellen in die altsüdarabische<br />
Zeit (12. Jh. v. Chr. – 6. Jh. n. Chr.) datiert werden kann.<br />
Ein eigenes Projekt ist dem Großen Damm von Marib gewidmet. Dieser 620 m lange<br />
Erddamm sperrt ein Trockenbett vollständig ab und ist in seiner Funktion vor allem<br />
über seine beiden monumentalen, steinernen Auslaßbauwerke erschließbar. Die<br />
Sperranlage diente dem kurzfristigen Aufstauen saisonaler Sturzfluten während der<br />
Regenzeit. Über die Auslaßbauwerke konnten die sich durch ständige<br />
Aufsedimentierung erhöhenden Felder mit Wasser versorgt werden. Die Anbaufläche<br />
erreichte eine Ausdehnung von mindestens 9600 Hektar und bot der antiken<br />
sabäischen Hauptstadt eine ausreichende Versorgungsgrundlage. Umfassende<br />
Reinigungsarbeiten ergeben jetzt ein stark modifiziertes Bild vom ursprünglichen<br />
Erscheinungsbild der Dammanlage. Epigraphische Neufunde erlauben außerdem eine<br />
einschneidende Umdatierung ihrer Entstehung in das 5. oder 6. Jh. n. Chr. Der<br />
politische und gesellschaftliche Kontext des Dammbaus ist damit neu zu überdenken.<br />
Bei den abschließenden Arbeiten 2006 bleibt außerdem die Lokalisierung der bisher nur<br />
indirekt belegten Vorgängerbauten an derselben Stelle zu klären.<br />
Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman<br />
(R. Eichmann, Orient-Abteilung)<br />
Die Oasenwirtschaft in Oman kann als Beispiel dienen für eine Lebensweise, die im<br />
Vorderen und Mittleren Orient sowie in Nordafrika weit verbreitet ist und den<br />
Gegenentwurf zum Leben in den großen Flussoasen von Nil, Euphrat und Tigris bildet.<br />
Im Oman beruht die seßhafte Lebensweise auf Grund der ökologischen Bedingungen<br />
fast ausschließlich auf der Oasenwirtschaft. Die Untersuchungen umfassen den<br />
Zeitraum vom 5./6. Jt. v. Chr. bis in die Moderne. Gegenstand der Arbeiten sind die<br />
Stand: 2006 17
Siedlungen selbst, ihre Wasserversorgung und die zugehörigen agrarischen<br />
Nutzflächen. Die archäologische Fragestellung richtet sich auf den Prozess der<br />
Seßhaftwerdung des Menschen in einer lebensfeindlichen Umwelt und die von ihm<br />
gewählten Anpassungsstrategien (z. B. Wahl und Veränderung der Siedlungsstandorte,<br />
Veränderung der Wirtschaftsweise, Bodenauftrag für die Landwirtschaft, Entwicklung<br />
unterschiedlicher Bewässerungssysteme) sowie auf die Gründe für den dramatisch<br />
erscheinenden Zusammenbruch der Oasenwirtschaft im 2. Jt. v. Chr. Dabei soll<br />
erstmals der Versuch unternommen werden, die Entwicklung der Oasen in einem<br />
größeren Rahmen zu betrachten.<br />
Die Oase von Tayma, Saudi-Arabien<br />
(R. Eichmann, Orient-Abteilung)<br />
Tayma gilt als eine der herausragendsten archäologischen Fundstätten Saudi-Arabiens<br />
und des Vorderen Orients. Der aus der Bibel und der keilschriftlichen Literatur<br />
bekannte Ort entwickelte sich auf Grund seiner geographischen Lage und<br />
Wasserressourcen zu einer ausgedehnten Oasensiedlung und einem<br />
Handelsstützpunkt. Der spätbabylonische König Nabonid, auf dessen Präsenz in der<br />
Region u. a. Felsinschriften in der Umgebung von Tayma hinweisen, hatte hier<br />
vorübergehend (für 10 Jahre) seine Residenz.<br />
Wasserwirtschaft in Südperu<br />
(B. Vogt, M. Reindel, KAAK)<br />
Fast der gesamte Küstenverlauf Perus wird von Wüsten eingenommen, die zu den<br />
trockensten weltweit gehören. Während der Antike ist in der Region dennoch eine<br />
starke Siedlungstätigkeit und eine intensive landwirtschaftliche Nutzung zu<br />
beobachten, die zeit- und klimaabhängig in Teilbereichen auf künstliche Bewässerung<br />
angewiesen war. Dafür sprechen ausgedehnte antike Bewässerungssedimente und die<br />
allgegenwärtigen Spuren antiker Bewässerungskanäle. Die wechselvolle<br />
Klimageschichte und die zunehmende Austrocknung am unmittelbaren Andenfuß<br />
Südperus während der vergangenen 2-3000 Jahre zeichnet sich durch die<br />
multidisziplinären Forschungen des Verbundprojektes Palpa/Nasca immer deutlicher<br />
ab. Anders verhält es sich im unmittelbaren Bereich der vorgelagerten<br />
Küstenkordilliere, die nach ersten Beobachtungen schon länger ein vollarides Klima<br />
aufgewiesen haben muss. Im Durchbruch des Rio Grande durch die Küstenkordilliere<br />
haben sich Sedimente abgelagert, die wahrscheinlich auf antike Bewässerung<br />
zurückzuführen sind und die Existenz Paracas- und Nasca-zeitlicher Siedlungsplätze<br />
erklären können. Im steilwandigen Kessel von Monte Grande sind zudem alte<br />
Kanalreste am Talboden erkennbar. Als Ergänzung zu den bisherigen Untersuchungen<br />
im benachbarten Raum Palpa soll hier in den nächsten Jahren die antike Bewässerung<br />
in ihrer Funktion, Technik und Entwicklung rekonstruiert werden.<br />
Strukturen der Wasserversorgung bronzezeitlicher Siedlungen im östlichen<br />
Mittelmeerraum<br />
(S. Bocher, Abteilung Athen)<br />
Obwohl die Wasserversorgung einen wesentlichen Aspekt des Siedlungswesens bildet,<br />
fehlt bisher eine systematische Analyse der Bewässerungskonzepte bronzezeitlicher<br />
Siedlungen. Neben wassertechnischen und hydrogeologischen Untersuchungen steht<br />
vor allem die Frage im Vordergrund, inwieweit sich in der Organisation des<br />
Wasserhaushalts gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklungen widerspiegeln.<br />
Hierbei soll u. a. untersucht werden, inwieweit die komplexen Wassersysteme<br />
orientalischer Siedlungen jene in der bronzezeitlichen Ägäis beeinflusst haben.<br />
Stand: 2006 18
METALL<br />
Ausgrabungen in Pietrele, Rumänien<br />
(S. Hansen, A. Reingruber, Eurasien-Abteilung)<br />
Im westlichen Schwarzmeerraum ist im letzten Viertel des 5. Jt. v. Chr. erstmalig eine<br />
vollentwickelte Kupferproduktion und, wie die Gräberfelder zeigen, eine stratifizierte<br />
Gesellschaft nachweisbar. Die Ausgrabungen in Magura Gorgana bei Pietrele an der<br />
Unteren Donau bieten die Chance, die wirtschaftliche Entwicklung in einer Siedlung<br />
über mehrere Jahrhunderte ab etwa der Mitte des 5. Jt. v. Chr. zu beleuchten. Damit<br />
wird das Aufkommen der Kupfermetallurgie in einen ökonomischen und sozialen<br />
Rahmen gestellt. Mehr als 80 Kupferobjekte, die bisher gefunden wurden, zeigen, daß<br />
Pietrele in den Austausch, möglicherweise auch die Produktion von Metallobjekten<br />
eingebunden war und in den Fernbeziehungen eine wichtige Rolle gespielt haben<br />
dürfte.<br />
Frühe Metallurgie im Gebiet von Aqaba, Jordanien<br />
(R. Eichmann, K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />
Im 4. Jt. v. Chr. wurde in der Siedlung Hujayrat al Ghuzlan bei Aqaba Kupfer verhüttet,<br />
das aus dem ca. 30 km entfernten Bergwerksgebiet von Timna stammt. Auf Grund<br />
ihrer geostrategischen Lage war zu vermuten, dass die Aqaba-Region direkte Kontakte<br />
mit Ägypten unterhielt. Nach sechs Feldforschungskampagnen in der Aqaba-Region<br />
steht jetzt fest, dass das metallarme Ägypten bereits im 4. Jt. v. Chr. Kupfer aus dem<br />
Bereich der südlichen Levante bezog. Es ist möglich, daß der Golf von Aqaba als<br />
Verkehrsweg genutzt wurde und die in Ägypten gefundenen Kupferbarren direkt aus<br />
Aqaba geliefert wurden. In diesem Zusammenhang gelangten ägyptische Artefakte<br />
nach Aqaba. Kupferverarbeitung und künstliche Bewässerung sowie die hierfür<br />
notwendige Arbeitskraft, vor allem aber das erforderliche Knowhow, lassen folgern,<br />
daß eine ausgeprägte Arbeitsteilung und die zum Management ingenieurtechnischer<br />
Aufgaben notwendigen hierarchischen Strukturen bereits in dieser Zeit existierten.<br />
Prähistorischer Güteraustausch zwischen der südlichen Levante und Ägypten:<br />
Kupfer im Sinai und in Maadi<br />
(U. Hartung, Abteilung Kairo,<br />
R. Eichmann, Orient-Abteilung)<br />
Mit den Ausgrabungen der Orient-Abteilung des DAI am Tell Hujayrat al-Ghuzlan,<br />
Aqaba, ist die Frage der Handelsbeziehungen zwischen der südlichen Levante und dem<br />
prädynastischen Unterägypten wieder in den Brennpunkt des Interesses gerückt. Eine<br />
wichtige Rolle bei diesem Austausch scheinen metallurgische Güter gespielt zu haben.<br />
Die in großer Zahl in Hujayrat gefundenen Gußformen haben eine verblüffende<br />
Ähnlichkeit mit Kupferbarren aus Maadi, und ein Import des Metalls aus dem Wadi<br />
Arabah mit den beiden gut untersuchten Erzlagerstätten Timna und Feinan erscheint<br />
durchaus möglich. Alle Überlegungen zur Provenienz von Kupferobjekten im<br />
prädynastischen Ägypten entbehren jedoch einer soliden Basis, solange nicht die Rolle<br />
der Kupfererzlagerstätten auf dem Sinai sowie in der ägyptischen Ostwüste geklärt ist.<br />
Als Ergänzung zu diesen montanarchäologischen Erkundungen an den Erzlagerstätten<br />
sind Nachuntersuchungen in Maadi nötig, um mehr über die Verhüttung oder<br />
Weiterverarbeitung des angelieferten Metalls in der Siedlung zu erfahren.<br />
Stand: 2006 19
Frühe Metallverarbeitung in Arisman, Iran<br />
(B. Helwing, Eurasien-Abteilung,<br />
H. Parzinger, Zentrale)<br />
Die Forschungen in der Region von Arisman sind Teil des interdisziplinären<br />
Forschungsprojekts „Bergbau und Metallurgie im Altertum auf dem Iranischen<br />
Hochplateau". Dabei soll die Entwicklung der frühen Metallurgie und ihre Auswirkungen<br />
auf Gesellschaft und Umwelt unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden<br />
(Rohstoffgewinnung, Verhüttungstechnologie, Umweltauswirkungen, Organisation von<br />
Arbeit und Handel, Fernbeziehungen). Arisman ist eine Siedlung, in der von der Mitte<br />
des 4. Jt. v. Chr. bis zum Beginn des 3. Jt. v. Chr. Kupferverhüttung und -verarbeitung<br />
in industriellem Maßstab stattfanden. In den letzten Jahren wurden Teile einer<br />
Metallhandwerkersiedlung sowie Kupferverhüttungsöfen am Rand der Siedlung<br />
freigelegt, so daß der metallurgische Prozeß detailliert rekonstruiert werden kann. Ein<br />
Survey im Hinterland von Arisman ergab, daß es eine noch ältere Phase der<br />
Kupferverarbeitung in dieser Region und weitere Verhüttungsplätze am Rand der<br />
Wüste gibt. Arisman scheint aber zu einem zentralen Ort im näheren Umkreis zu<br />
avancieren, was auf eine Bevölkerungsverdichtung hinweisen könnte.<br />
Ausgrabung Zambujal, Portugal<br />
(M. Kunst, Abteilung Madrid)<br />
Durch die Grabungen des DAI seit 1964 wurde der kupferzeitliche Fundort zu einem<br />
der berühmtesten der Iberischen Halbinsel. Das gegenwärtige Forschungsprogramm ist<br />
speziell der Herkunft des Kupfers, das in Zambujal verarbeitet wurde, gewidmet. Dabei<br />
sollen zumindest das Herkunftsgebiet eingeengt und vorgeschichtliche Minen gefunden<br />
werden, wodurch die Erforschung des kupferzeitlichen Bergbaus in diesem Raum auf<br />
eine neue Grundlage gestellt werden könnte. Daneben sind neue Kenntnisse zur<br />
kupferzeitlichen Technologie zu erwarten. Im Rahmen des seit 2004 laufenden DFG-<br />
Projektes zur Archäometallurgie von Zambujal wurden u. a. eine erste, bisher<br />
unbekannte vorgeschichtliche Mine, ein möglicher Kupfergießplatz und Herde mit<br />
Resten von Kupferverarbeitung untersucht. Daneben wurden bereits zahlreiche<br />
Materialproben im Labor bearbeitet.<br />
Sizandro und Alcabrichel:<br />
Zwei kupferzeitliche Siedlungskammern im Vergleich<br />
(M. Kunst, Abteilung Madrid)<br />
Ausgehend von den Ergebnissen aus dem Grabungsprojekt in Zambujal ist ein<br />
umfassenderes Projekt geplant, bei dem es um die innere Struktur und Entwicklung<br />
der frühen kupferzeitlichen Kultur in Mittelportugal gehen soll (Rekonstruktion der<br />
Umwelt, Handelsbeziehungen, Machtbereiche, Gesellschaftsstruktur). Die bisherigen<br />
Ausgrabungen haben sich ausschließlich auf die Stratigraphie, Bau- und<br />
Siedlungsgeschichte von Zambujal beschränkt. Aus dem unmittelbaren Hinterland sind<br />
verschiedene, wesentlich kleinere Siedlungen derselben Epoche bekannt, aber nahezu<br />
unerforscht (Täler des rio Sizandro und des rio Alcabrichel). Ziel dieses internationalen<br />
Projektes ist, anhand der intensiven interdisziplinären Untersuchung einer Kleinregion<br />
exemplarisch die Entwicklung ökonomischer und gesellschaftlicher Strukturen in der<br />
von zahlreichen Innovationen gekennzeichneten Kupferzeit (3. Jt. v. Chr.) der<br />
Iberischen Halbinsel aufzuzeigen. Damit soll die in der Literatur aufgeworfene<br />
Hypothese einer frühen staatlichen Organisation getestet werden.<br />
Stand: 2006 20
Untersuchungen zur frühbronzezeitlichen Siedlungslandschaft im mittleren<br />
Grantal und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Metallurgie im<br />
nordwestlichen Karpatenbecken<br />
(K. Rassmann, RGK)<br />
Die Siedlungsgeschichte am Übergang vom Spätneolithikum zur Bronzezeit ist im<br />
Grantal durch besondere Dynamik und Komplexität gekennzeichnet. Die in der<br />
Frühbronzezeit zunehmenden Einflüsse von Kulturen des Karpatenbeckens sind<br />
plausibel mit der Erschließung der reichen Erzlagerstätten der Nordwestkarpaten zu<br />
erklären. Im August 2004 begannen Untersuchungen auf der unmittelbar am<br />
Slowakischen Tor gelegenen befestigten Siedlung von Rybnik. Besonderes Interesse<br />
gilt der Funktion der befestigten Siedlung in Zusammenhang mit der Metallurgie.<br />
Deren Bedeutung spiegelt sich in den neu entstehenden Kontakten zwischen den<br />
Kulturen des Karpatenbeckens und dem Gebirgsbereich, die anhand der reichen<br />
Keramikfunde zu verfolgen sind.<br />
Frühe Metallurgie in Xinjiang, China<br />
(M. Wagner, Eurasien-Abteilung)<br />
In diesem Forschungsprogramm werden neue Antworten auf die alte Frage gesucht, ob<br />
die Technologie der Kupfermetallurgie nach China eingeführt wurde oder ob man sie in<br />
China unabhängig entwickelte. Das Projekt ist darauf ausgerichtet, die aus Grabungen<br />
der letzten Jahre in Xinjiang gewonnenen Metallfunde des 2. und 1. Jt. v. Chr.<br />
systematisch für chemische und isotopische Analysen zu beproben, typologisch zu<br />
ordnen und absolut zu datieren. Die metallurgischen und kulturellen Sequenzen sollen<br />
mit denen der benachbarten Gebiete verglichen und auf diese Weise die frühe<br />
Technologieentwicklung Xinjiangs in einen breiten eurasischen Kontext eingebunden<br />
werden. Metallurgie ist eine der technischen Innovationen, die wesentliche<br />
wirtschaftliche und soziale Wandlungen verursachen. Für Mitteleuropa und den Orient<br />
ist dies bereits erkannt und untersucht worden. Im zentral- und ostasiatischen Raum<br />
stehen solche Untersuchungen dagegen noch am Anfang. Erst in den letzten Jahren ist<br />
die entscheidende Rolle des östlichen Zentralasiens, insbesondere der Gebiete<br />
Xinjiang, Gansu und Qinghai, in den prähistorischen Beziehungen von Ost und West<br />
überhaupt erkannt worden.<br />
Goldgewinnung in Togo<br />
(J. Eiwanger, KAAK)<br />
In Bearbeitung ist eine ausgedehnte eisenzeitliche Goldgewinnungsanlage im südlichen<br />
Togo (Kpévu bei Notsé). Hierzu wird ein kurzer Feldaufenthalt zur mineralogischen<br />
Probenentnahme erforderlich, da während des früheren Projektes eine andere<br />
Zweckbestimmung der Anlage angenommen worden war und keine adäquaten<br />
Sedimentproben vorhanden sind. Die Anlage erschließt sich mittlerweile über sehr<br />
ähnliche Ensembles, die in enger geographischer Bindung an den Gold Belt in<br />
Botswana und angrenzenden Ländern vorkommen. Zu untersuchen ist weiterhin, ob<br />
etwa mediterrane Anlagen ähnlicher Form (z. B. Sardinien) demselben Zweck gedient<br />
haben könnten.<br />
Die Wirtschaftsgrundlagen der Stadt Munigua, Spanien<br />
(T. Schattner, Abteilung Madrid)<br />
Im hispano-römischen Munizipium Munigua (Sevilla) spielen Fragen der Metallurgie<br />
(Bergbau und Verhüttung) für das Verständnis der Stadtgeschichte eine zentrale Rolle.<br />
Das Fallbeispiel eignet sich gut für die Untersuchung des Zusammenwirkens von<br />
natürlichen Ressourcen, ihrer Bewirtschaftung und der Stadtentwicklung. Wie sich<br />
zeigt, handelt es sich um einen Modellfall, der im römischen Hispanien vielfach zu<br />
Stand: 2006 21
eobachten, aber bisher nirgendwo untersucht ist. Die Wirtschaftsform, namentlich der<br />
Bergbau, führte in Munigua zu einem charakteristischen Siedlungsmuster, das für viele<br />
Städte Gültigkeit besitzt und sich durch den Charakter der Stadt als Zentralort<br />
auszeichnet. Während die Stadt hauptsächlich die Infrastruktur für Verwaltung, Kult,<br />
Handel und Verkehr bereithält, indessen kaum für Wohnung, siedelt die Bevölkerung<br />
mehrheitlich im Umland in Weilern oder auf einzeln liegenden Höfen. Die große Zahl<br />
der Fundstellen der von Minen und Bergbau geprägten Region läßt den Schluß zu, daß<br />
das römische Munigua in augusteischer Zeit wegen der im Umland gelegenen Minen<br />
gegründet wurde. Als im 2. Jh. n. Chr. die Minen ausgebeutet waren, begann der<br />
Niedergang der Stadt.<br />
Tharsis - Castro Cerquillo und Pico del Oro.<br />
Wirtschaftsweise, Gesellschaft und Kultur in der Kontaktzone zwischen Küste<br />
und Hinterland zur mittleren Eisenzeit<br />
(T. Schattner, Abteilung Madrid)<br />
Die Iberische Halbinsel gehört zu den reichsten Bergbauregionen Europas. Erz und<br />
Metall, Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn u. v. a. m., ihre Ausbeutung, Gewinnung,<br />
Verhüttung und Verarbeitung spielen seit der Kupferzeit eine Hauptrolle in der<br />
Geschichte des Landes. Der Zustrom fremder Völker auf der Suche nach Metall ist die<br />
Regel. Wer es hatte, wer die Technik der Erzeugung beherrschte, war den anderen<br />
entscheidend voraus. Es geht um technische Innovationen, um ökonomische und<br />
soziale Entwicklungen. Anhand von Grabungen in Castro Cerquillo und Pico del Oro<br />
(Tharsis, Ortsgemeinde Alosno, Provinz Huelva), die in Sichtweite voneinander in etwa<br />
5 km Entfernung liegen, soll das Problem der Kulturgrenze untersucht werden, welche<br />
dazwischen verläuft; denn das Castro gehört nach seiner Anlage und nach den Funden<br />
zur einheimischen Kultur, die Siedlung Pico del Oro jedoch zur orientalisch-punisch<br />
geprägten. Obgleich Tharsis nach Riotinto der zweitwichtigste Platz des Iberischen<br />
Pyritgürtels ist, liegen von beiden Orten bisher nur Kurzuntersuchungen vor. Eine<br />
Grabung auf dem Pico del Oro würde die nunmehr einzige Untersuchung einer<br />
orientalisch-punischen Bergwerkssiedlung darstellen. Im Falle des Castro wird die<br />
Untersuchung wichtige Aufschlüsse über die Kenntnisse der Metallverhüttung in<br />
einheimischen Siedlungen bringen; derartige Befunde fehlen bisher.<br />
GESELLSCHAFT, INSTITUTIONEN, MOBILITÄT<br />
Griechische Kolonien in archaischer und klassischer Zeit<br />
(O. Dally, Zentrale,<br />
D. Mertens, Abteilung Rom,<br />
R. Posamentir, Abteilung Istanbul)<br />
Die griechischen Kolonien spielten eine wichtige Rolle als Experimentierfelder, die zur<br />
institutionellen Entwicklung der Polis und zur Erfindung neuer Stadtformen bedeutende<br />
Beiträge leisteten. Die Kolonien waren zugleich Kontaktzonen, in denen Kulturgüter<br />
und Ideen zwischen Griechen und Einheimischen sowie über den Handel zwischen<br />
Griechenland und den Nachbarkulturen im Westen und Osten vermittelt wurden. Dieser<br />
Austausch führte zu vielfältigen Anregungen für alle Beteiligten. Die von mehreren<br />
Abteilungen des DAI betriebenen Forschungen zu griechischen Kolonien in Unteritalien<br />
und auf Sizilien sowie im Schwarzmeergebiet sind aus verschiedenen Blickwinkeln für<br />
die Frage relevant, inwieweit die Städtegründungen als Innovationsträger gelten<br />
können.<br />
Stand: 2006 22
Polis-<strong>Institut</strong>ionen in hellenistischer Zeit<br />
(C. Schuler, H. Müller, AEK,<br />
F. Pirson, Abteilung Istanbul)<br />
Der Hellenismus wird heute im Gegensatz zur älteren Forschung als eine Blütezeit der<br />
griechischen Polis verstanden. Während in der klassischen Zeit nur Athen<br />
differenzierter untersucht werden kann, liegt uns für die hellenistische Zeit eine Fülle<br />
von Inschriften aus allen Teilen der griechischen Welt vor, die es uns erlauben, die<br />
institutionelle Entwicklung der Poleis breiter zu untersuchen. Dabei ist im Rahmen der<br />
allgemeinen gesellschaftlichen und urbanistischen Entwicklung der Städte, die sich<br />
z. B. in der Verbreitung von Gymnasien und Theatern äußert, vielfach die Einführung<br />
neuer <strong>Institut</strong>ionen, Ämter oder Organisationsformen belegt. Bei der Frage nach den<br />
Bedingungen und Auswirkungen solcher Reformen bietet sich eine Zusammenführung<br />
der von der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik betriebenen<br />
Untersuchungen zu einzelnen Polis-Ämtern und den öffentlichen Finanzen der Städte<br />
mit den in anderen Abteilungen betriebenen Forschungen zur Entwicklung und<br />
Verbreitung bestimmter Typen öffentlicher Gebäude an.<br />
Die Inschriftenkultur der Iberischen Halbinsel<br />
(A. Stylow, AEK)<br />
Den Begriff epigraphic habit prägte vor gut zwanzig Jahren R. MacMullen für die Sitte,<br />
mit Inschriften versehene Monumente aus dauerhaften Materialien zu errichten. Die<br />
Verbreitung des Phänomens stellt einen der wichtigsten und am besten<br />
dokumentierten Vorgänge im Rahmen der Romanisierung dar, da in vielen Regionen<br />
des Westens der Gebrauch von Inschriften erst im Gefolge der römischen Herrschaft<br />
üblich wurde. Aber auch für den griechischen Osten wird heute vermehrt nach der<br />
kulturellen Bedeutung der Verwendung von Inschriften oder bestimmter<br />
Monumenttypen gefragt, etwa im Hinblick auf die Selbstdarstellung nicht nur der Eliten<br />
oder die Repräsentation von Herrschaft. Unverzichtbare Vorrausetzung für diesen<br />
Forschungsansatz ist ein möglichst vollständiger Zugriff auf alle Inschriften einer<br />
Region, der nur durch die Sammlung und Edition in Corpora zu gewährleisten ist. Im<br />
Zusammenhang mit dem Langzeitprojekt des Corpus der lateinischen Inschriften der<br />
Iberischen Halbinsel (CIL II 2 ) hat sich A. Stylow mehrfach mit den Anfängen der<br />
epigraphischen Kultur, ihrem explosionsartigen Aufblühen unter Augustus sowie<br />
einzelnen regionalen Phänomenen beschäftigt. Im November 2006 soll das Thema im<br />
Rahmen einer internationalen Tagung in München weiterverfolgt werden.<br />
Die Verwaltung der Stadt Rom in der Kaiserzeit<br />
(C. Schuler, AEK)<br />
Im Rahmen seiner Habilitationsschrift hat C. Schuler eine zusammenfassende Studie<br />
der administrativen Organisation der Stadt Rom in der Kaiserzeit (1.-3. Jh.) vorgelegt,<br />
die jetzt für den Druck vorbereitet wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage, wie<br />
die Einführung neuer Ämter und die wiederholten Reformen in der Verwaltung der<br />
Stadt legitimiert wurden und inwieweit diese Neuerungen nach den Maßstäben antiker<br />
städtischer Verwaltung als innovativ gelten können. Als Perspektive für weiterführende<br />
Arbeiten bietet sich ein Vergleich Roms mit anderen antiken Metropolen und mit<br />
Millionenstädten anderer Epochen an, in dessen Rahmen nach den Standards der<br />
städtischen Verwaltungsorganisation und nach den Bedingungen der Entwicklung oder<br />
Übernahme neuer Organisationsformen zu fragen wäre.<br />
Stand: 2006 23
Die römische Armee im Osten als Vermittler von Kulten<br />
(R. Haensch, AEK)<br />
Die Rolle, die die römische Armee bei der Verbreitung von Kulten und der<br />
Durchdringung mit neuen religiösen Anschauungen zwischen den verschiedenen<br />
lokalen Kulturen des Reiches spielte, wurde bisher nur für die Provinzen des weit<br />
besser erforschten Westens intensiver untersucht. Das Forschungsprojekt will dies für<br />
den Osten mit seinen in vieler Hinsicht anders gestalteten Voraussetzungen auf der<br />
Basis von Inschriften, Papyri, literarischen Aussagen und archäologischen Befunden<br />
nachholen. Dabei geht es vor allem um die Frage, in welcher Weise das überregionale<br />
System "Armee" zur Entwicklung und zum Transfer von Innovationen im Bereich von<br />
Kult und religiöser Praxis beitrug.<br />
Südliches jemenitisches Hochland:<br />
Forschungen zur Genese der himyarischen Kultur<br />
(I. Gerlach, Außenstelle Sanaa, Orient-Abteilung)<br />
Im Laufe des 1. Jh. v. Chr. kommt es zu einschneidenden politischen und kulturellen<br />
Veränderungen in Südarabien. Diese sind Folge des fortschreitenden Machtverfalls der<br />
Karawanenreiche am Wüstenrandgebiet, die zunehmend durch von Norden<br />
eindringende arabische Stämme unter Druck geraten und einen Großteil ihres<br />
wirtschaftlichen Einflusses durch die Verlagerung der Weihrauchstraße von den<br />
Inlandrouten auf das Rote Meer verlieren. Das dadurch hervorgerufene Machtvakuum<br />
wird durch sich neu etablierende Hochlandstämme ausgefüllt. Der Stammesverbund<br />
von Himyar setzt sich dabei in der sog. frühhimyarischen Zeit (1. v. Chr. bis 3. Jh. n.<br />
Chr.) gegen andere Konkurrenten durch, kontrolliert den Weihrauchhandel und ergreift<br />
im frühen 4. Jh. n. Chr. die Macht über ganz Südarabien. Bedingt durch die<br />
Verlagerung des Überlandhandels auf den Seehandel kommt es erstmalig in der<br />
südarabischen Geschichte zu engeren politischen Kontakten außerhalb des Kernlandes<br />
und zu einem intensiven Kulturtransfer mit der mediterranen Welt. Soziale aber auch<br />
technische Innovationen, die zu einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel in der<br />
frühhimyarischen Zeit in Südarabien führten, deuten sich neben den archäologischen<br />
Funden und Befunden auch in den inschriftlichen Quellen an. Eine genaue Analyse der<br />
materiellen Kultur soll dazu führen, den gesellschaftlichen Umbruch umfassend<br />
nachzuweisen, der sich u. a. in Individualisierungsprozessen, der Entstehung neuer<br />
Kulte und einer stärkeren Bindung der Gesellschaft an das Herrscherhaus als an eine<br />
Religionsgemeinschaft widerspiegelt.<br />
ARBEITSPROGRAMM UND ZEITPLAN<br />
Das Forschungscluster wird sich Anfang März mit einem von den Sprechern<br />
diskutierten Programmentwurf an die Abteilungen und die Einzelprojekte mit der<br />
Aufforderung zur Mitarbeit wenden. Im Laufe des Jahres 2006 soll an einer<br />
ausführlicheren theoretischen Fundierung von „Innovationen: technisch, sozial“<br />
gearbeitet werden.<br />
VERANSTALTUNGEN 2006<br />
1.-3. Juni 2006<br />
Internationale Konferenz „Von Maikop bis Trialeti. Metalle und Obsidian in<br />
Kaukasien im 4.-2. Jt. v. Chr.“<br />
(S. Hansen, I. Motzenbäcker, Eurasien-Abteilung)<br />
Im Mittelpunkt der Tagung stehen die Gewinnung, Verarbeitung und der Einsatz<br />
verschiedener metallischer Rohstoffe und Obsidian zwischen dem 4. und 2. Jt. v. Chr.<br />
Stand: 2006 24
in Kaukasien. Damit wird ein für den gesamten Schwarzmeerraum bis Südosteuropa<br />
bedeutsamer Zeitraum beleuchtet, in dem nicht nur neue Techniken der<br />
Metallverarbeitung, sondern offenkundig auch soziale Umordnungsprozesse stattfinden.<br />
Die bekannten Gräber von Maikop, Trialeti und vom Arslantepe sind hierfür beredter<br />
Ausdruck. Die Teilnehmer sollen genauen Vorgaben der Veranstalter folgend den<br />
archäologischen und montanarchäologischen Forschungsstand in verschiedenen<br />
Regionen referieren, neue Ergebnisse der archäometallurgischen Untersuchungen,<br />
Methoden und Ergebnisse der Herkunftsbestimmung des Obsidians vorstellen,<br />
herstellungstechnische Innovationen des Bronzegusses beleuchten und Aspekte des<br />
Gütertransfers behandeln.<br />
5.-7. November 2006<br />
Internationale Konferenz "Aufkommen, Entwicklung und Transformation des<br />
epigraphic habit in den hispanischen Provinzen"<br />
(A. Stylow, C. Schuler, AEK)<br />
Die Tagung beschäftigt sich in einer ersten Sektion mit allgemeinen Fragen des<br />
epigraphic habit und untersucht dann die Entwicklung auf der Iberischen Halbinsel,<br />
teils bezogen auf einzelne Städte oder Regionen, teils mit Blick auf bestimmte<br />
Inschriften- und Monumenttypen. Spanien eignet sich aufgrund seines Reichtums an<br />
Inschriften besonders gut für diesen Ansatz. Die Tagung wird von der DFG gefördert.<br />
15.-16. Dezember 2006<br />
Kolloquium „Innovationen: technisch, sozial“<br />
(R. Eichmann, Orient-Abteilung,<br />
S. Hansen, Eurasien-Abteilung,<br />
C. Schuler, AEK)<br />
Auf dieser Tagung sollen sowohl Techniksoziologen, Technikhistoriker und<br />
Kulturanthropologen/Ethnologen als auch Archäologen über Grundlagen und<br />
Perspektiven des Forschungsclusters in den Dialog finden. Die Tagung wird für<br />
interessierte Projekte offen sein.<br />
Stand: 2006 25
Forschungscluster 3<br />
POLITISCHE RÄUME<br />
Sprecher: O. Dally, R. Haensch, F. Pirson, S. Sievers<br />
EINLEITUNG<br />
Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> betreibt und fördert Forschungen zur Deutung<br />
und zum Verständnis menschlichen Verhaltens in der Vergangenheit. Dieses Ziel<br />
impliziert die Beschäftigung mit den Kategorien Zeit und Raum als konstitutiven<br />
Grundlagen von Geschichte überhaupt. Nachdem der Zeit im neuzeitlichen Denken<br />
lange eine Vorrangstellung eingeräumt worden war, deutet sich in den letzten zehn bis<br />
fünfzehn Jahren eine Verschiebung der Interessen an. Fragen nach Räumen und ihrer<br />
Funktion als Träger sozialer Praxis gewinnen an Gewicht, so daß mittlerweile gar von<br />
einem „spatial turn“ (D. Cosgrove) in den Kulturwissenschaften die Rede ist.<br />
Trotz der Aktualität des Themas ist die Diskussion nicht neu: In der derzeitigen<br />
Debatte werden Theoreme weiterentwickelt, die erstmalig um die Wende vom 19. zum<br />
20. Jh. formuliert worden sind. Im damals geführten soziologischen und<br />
kulturphilosophischen Diskurs wurde Raum nicht mehr als statische Größe<br />
wahrgenommen, sondern als die Art und Weise, wie Räume gestaltet werden. Damit<br />
war die Beschreibung von Räumen als Produkte sozialer Interaktion möglich geworden,<br />
deren kulturelle Formung erst durch ihre Nutzer und deren Wahrnehmung stattfindet.<br />
Diese Positionen werden momentan wieder aufgegriffen, nachdem Forschungen zu<br />
Raumfragen seit der Nachkriegszeit kaum weiterentwickelt worden sind. Eine Ursache<br />
dafür war die Bedeutung der Kategorie Raum in der Ideologie der Nationalsozialisten<br />
und der deutschen Expansionspolitik während des Zweiten Weltkriegs. Hinzu kam die<br />
Verabsolutierung des Raumbegriffes z.B. in der Kunstwissenschaft der Zwanziger und<br />
Dreißiger Jahre, die den künstlerischen Raum als Strukturmerkmal von Kunstkreisen<br />
ansah und ihn infolgedessen zum Ausdruck des `Volkscharakters´ einzelner Ethnien<br />
stilisierte. Dieser politisch wie erkenntnistheoretisch gleichermaßen problematischen<br />
Verwendung des Raumbegriffs ist es zuzuschreiben, daß die Beschäftigung mit dem<br />
Phänomen Raum bis in die 1970er Jahre hinein als ausgesprochen reaktionär<br />
angesehen wurde.<br />
Das neue Interesse am Raum in den visuellen und materialorientierten Disziplinen der<br />
Kulturwissenschaften, d.h. vor allem in der Kunstgeschichte und der Archäologie, ist<br />
ausgesprochen kontextbezogen und strebt insofern nicht nach der Definition<br />
struktureller Homologien über Epochengrenzen hinweg. Demgegenüber steht die Frage<br />
im Mittelpunkt des Interesses, welchen Beitrag die Kategorie Raum zur Konstruktion<br />
sozialer und politischer Wirklichkeit in unterschiedlichen historischen Kontexten<br />
leistete. Der methodische Fortschritt gegenüber der bisher üblichen<br />
Auseinandersetzung mit räumlichen Gebilden in der archäologischen Forschung liegt<br />
darin, daß `Räume´ nicht mehr bloß als materielle Hülsen für menschliches Verhalten<br />
angesehen werden (essentialistischer Raumbegriff). Vielmehr wird vorausgesetzt, daß<br />
sich Räume erst im Zusammenspiel gebauter Grenzen, festen und beweglichen<br />
Inventars, der Nutzung durch Lebewesen und in der Rezeption durch Betrachter<br />
konstituieren (dynamischer Raumbegriff). Unter dieser Prämisse, die eine Verbindung<br />
des `ästhetischen Raums´ (E. Cassirer) und der Vorstellung von Räumen als<br />
Produkten sozialer Interaktion (G. Simmel) darstellt, können Räume als Strukturen<br />
analysiert und interpretiert werden, durch die soziale und politische Verhältnisse<br />
produziert und reproduziert werden (C. Jöchner mit Bezug auf D. Gregory und J. Ury).<br />
Stand: 11/2007 26
In zahlreichen Projekten des DAI, die sich mit Architektur und der Gestaltung von<br />
Lebensräumen beschäftigen, kann der dynamische Raum-Begriff zur Anwendung<br />
kommen. Innerhalb dieses breiten Spektrums konzentriert sich das Forschungscluster<br />
3 auf solche Projekte, die sich mit politischen Räumen beschäftigen. Darunter werden<br />
Räume verstanden, die im Rahmen der Organisation von Gemeinschaften und<br />
Gemeinwesen konkrete Funktionen übernehmen. Diese Definition entspricht am<br />
ehesten der von H. Arendt entwickelten Vorstellung vom politischen Raum als<br />
Handlungssphäre der „vita activa“, wobei das politische Handeln auf eine „freie<br />
Gestaltung und Veränderung des Gemeinwesens abzielt“ (W. Köster). Aus Sicht der<br />
archäologischen Forschung können Lagerplätze steinzeitlicher Jägergemeinschaften<br />
ebenso als politische Räume gelten wie die Agorai griechischer Poleis. Gemeinsame<br />
Fragestellung ist, wie Räume zu Trägern politischer Organisation wurden. Letztere<br />
umfaßt den Zugriff auf Ressourcen und die Hierarchisierung von Gesellschaften ebenso<br />
wie die Ausprägung und Exekution politischer Macht und den Umgang mit<br />
symbolischen Formen.<br />
Die Hauptaufgabe der einzelnen Projekte besteht zunächst in der Rekonstruktion der<br />
Räume im oben definierten Sinn, wobei sich je nach Epoche und<br />
Überlieferungssituation eine sehr unterschiedliche Detailliertheit der Rekonstruktion<br />
möglich ist. Während unter idealen Bedingungen, wie z.B. in den Vesuvstädten, die<br />
Chance besteht, anhand des archäologischen Befundes den Prozeß der Ausprägung<br />
politischer Räume nachzuvollziehen, ihre Ausstattung in die Interpretation mit<br />
einzubeziehen und durch die Verteilung beweglichen Inventars oder in Gestalt von<br />
Selbstzeugnissen (Wandinschriften u.ä.) sogar die Benutzer faßbar werden, stehen<br />
andernorts zunächst nur die Raumhülsen selbst zur Verfügung. Um trotz dieser sehr<br />
heterogenen Basis einen vergleichbaren Querschnitt zu erhalten, bietet es sich an, in<br />
einem ersten Schritt nach den konstituierenden Elementen der zu analysierenden<br />
Räume zu fragen. Ausgehend von der Prämisse, daß vor der Verbreitung der<br />
wissenschaftlichen Geographie und der allgemeinen Zugänglichkeit maßstabsgerechter<br />
Karten seit der frühen Neuzeit eine natürliche, d.h. lineare und prinzipiell<br />
eindimensionale (=hodologische) Orientierung vorherrschte, gilt es nach den<br />
markanten Punkten und Strecken zu fragen, anhand derer man sich orientierte und die<br />
zugleich die Räume konstituierten. Erst im Anschluß an die Rekonstruktion der<br />
jeweiligen hodologischen Schemata kann der Beitrag analysiert werden, den die so<br />
gestalteten Räume und Territorien zur Ausprägung politischer Strukturen leisteten.<br />
Für die Organisation des Forschungsclusters ergibt sich aus dem bisher Gesagten<br />
folgende Gliederung: In einem ersten Workshop im Dezember 2006 wurde die<br />
methodische und inhaltliche Ausrichtung des Clusters diskutiert und die Terminologie<br />
präzisiert. Weiterhin konnten vier Forschungsfelder definiert werden, denen sich die<br />
einzelnen Projekte des Forschungsclusters zugeordnet haben. Dabei können einzelne<br />
Projekte in mehreren Forschungsfeldern vertreten sein. Die Forschungsfelder sind<br />
folgendermaßen gegliedert:<br />
Erschließung und<br />
Nutzung<br />
Grenzen politischer<br />
Räume<br />
Politische Räume<br />
Urbane Räume<br />
Orte der Herrschaft<br />
Stand: 11/2007 27
Forschungsfeld 1: Erschließung und Nutzung<br />
Die im Forschungsfeld „Erschließung und Nutzung von Räumen“ vertretenen Projekte<br />
kennzeichnet eine beträchtliche geographische Spannweite. Sie reicht von<br />
Mitteleuropa, über Italien, Griechenland, Kleinasien, das nördliche Schwarzmeergebiet,<br />
Kaukasien, die arabische Halbinsel, Ägypten bis nach Marokko. Dem entsprechend<br />
unterschiedlich stellen sich auch Qualität und Struktur der archäologischen Daten dar,<br />
wie z. B. das Verhältnis von Siedlungsfunden zu Grabfunden einschließlich ihrer<br />
Auswertung und Veröffentlichung. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die<br />
Sozialstrukturen in den jeweiligen Untersuchungsgebieten unterschiedlich differenziert<br />
sind. Vor diesem Hintergrund ist die Variabilität der sich in archäologischen Daten<br />
spiegelnden Vorgänge von Erschließung und Nutzung keine Überraschung. Die Vielfalt<br />
eröffnet Möglichkeiten für vergleichende Untersuchungen. Im Zentrum des Interesses<br />
steht die Frage, wie stark die verschiedenen Faktoren (Naturraum, Wirtschaftsweise,<br />
Land- und Wasserwege, Rohstoffvorkommen, Politische Organisation, Religion) wirken<br />
und welche Wechselwirkungen bestanden.<br />
Die meisten Vorhaben betrachten die archäologischen Daten nicht isoliert, sondern aus<br />
einer landschaftsarchäologischen Perspektive. Der übereinstimmende Ansatz bietet<br />
zudem gute Voraussetzungen für die Diskussion der eingesetzten Methoden. Deren<br />
Entwicklung ist in Archäologie und Naturwissenschaften ohne Austausch und<br />
Diskussion in wissenschaftlichen Netzwerken nicht zu verfolgen; der im Forschungsfeld<br />
1 begonnene Erfahrungsaustausch markiert einen hoffnungsvollen Auftakt.<br />
Forschungsfeld 2: Grenzen<br />
Räume als Träger der politischen Organisation menschlicher Gesellschaften formen<br />
Grenzen. Vor dem Hintergrund allgemeiner und abstrakter Bestimmungsmöglichkeiten<br />
von Grenzen mit den semantischen Feldern Begrenzung, Entgrenzung und<br />
Grenzüberschreitung in den heutigen Sozial- und Kulturwissenschaften werden im<br />
Forschungsfeld 2 speziellere Verwendungen des Begriffs Grenze als<br />
geschichtswissenschaftliche Kategorie diskutiert mit dem Ziel, hinreichend plastische<br />
Vorstellungen von kulturellen Grenzen zu entwickeln. Hierzu sind Verbindungen<br />
zwischen den konkreten und sichtbaren Interaktionssträngen zu der Metaphorik von<br />
kultureller Differenz, Fremdheit und Anderssein aufzuzeigen.<br />
Im ersten Arbeitstreffen ergab sich für die im Forschungsfeld vertretenen Projekte eine<br />
Untergliederung in solche, die sich mit Grenzen zwischen ähnlichen, und jenen, die sich<br />
mit Grenzen zwischen unterschiedlichen politischen Räumen befassen.<br />
Forschungsfeld 3: Urbane Räume<br />
Urbane Räume sind komplexe Gebilde, die durch die vielschichtigen Bedürfnisse und<br />
Verhaltensmuster organisierter Gemeinwesen bestimmt werden. Die Verwirklichung<br />
politischer, wirtschaftlicher, religiöser, sozialer und kultureller Anliegen bestimmter<br />
gesellschaftlicher Gruppen führt zu dem Prozeß der Formation urbaner Räume, die in<br />
unterschiedlichster Weise gestaltet werden können. Für die Kommunikations- und<br />
Interaktionsprozesse sind öffentliche Räume für das gesellschaftliche und politische<br />
Leben notwendig. Nicht nur Nutzbauten, Straßen, Plätze und infrastrukturelle<br />
Einrichtungen wie die Wasserversorgung formen den urbanen Raum, sondern auch<br />
Häuser, Ehrenmonumente und Nekropolen.<br />
Die im Forschungsfeld 3 vertretenen Projekte sind chronologisch und räumlich weit<br />
gespannt und reichen von der hethitischen Hochkultur bis hin zu spät- und nachantiken<br />
Anlagen, mit einem gewissen Schwerpunkt in der Klassischen Antike im östlichen und<br />
westlichen Mittelmeerraum. Den gesellschaftlichen und kulturellen Unterschieden<br />
entsprechend vielfältig sind die Lösungen, die in der Gestaltung des urbanen Raumes<br />
beobachtet werden können, wobei aber gewisse Einzelkomponenten wie Straßen und<br />
Verkehrsflächen, sakrale Anlagen, öffentliche Begegnungsräume sowie Räume der<br />
Macht und Machtrepräsentation als solche immer vorhanden sind. Daneben steht der<br />
mehr oder minder deutlich abgrenzbare private Bereiche der Häuser und Gräber.<br />
Stand: 11/2007 28
Forschungsfeld 4: Orte der Herrschaft<br />
Wie jedwede Art menschlichen Handelns vollzieht sich Herrschaft im Raum. Sie<br />
manifestiert sich an konkreten Stellen, die als „Orte der Herrschaft“ bezeichnet werden<br />
können. Herrschaft wird dabei verstanden als zielgerichtete Ausübung konzentrierter<br />
Macht zur Ordnung einer oder mehrerer Gesellschaften. Sie ist es, die den politischen<br />
Souverän – seien dies Einzelne, Gruppen oder die Gesamtheit – ausmacht. So lassen<br />
sich „Orte der Herrschaft“ allgemein definieren als Orte, an denen der politische<br />
Souverän im Dienste seiner Herrschaft präsent und/ oder wirksam ist. Die Herrschaft<br />
kann tatsächlich ausgeübt, aber auch bloß kommuniziert und inszeniert werden. Beides<br />
wiederum kann unmittelbar oder mittelbar erfolgen, ebenso wie die Präsenz des<br />
Souveräns unterschiedlicher Natur sein kann: er kann persönlich, durch Vertreter<br />
(Statthalter, Soldaten etc.), aber auch durch Symbole (Schriftdokumente, Architektur,<br />
Statuen etc.) präsent und wirksam sein.<br />
Von den vielen denkbaren Formen von Herrschaft beschäftigt sich Forschungsfeld 4 –<br />
insbesondere auch in Abgrenzung zu Forschungsfeld 3 – mit der räumlichen Präsenz<br />
von Herrschaft überregionaler Natur. Methoden- und epochenübergreifend soll erörtert<br />
werden, welche Orte sich die jeweiligen Souveräne zur Ausübung und Kommunikation<br />
ihrer Herrschaft aussuchten und wie sie diese gestalteten. Vornehmliches Interesse gilt<br />
dabei der Frage, wie die verschiedenen Gesellschaften und Herrschaftssysteme<br />
bestimmte funktional bedingte Anforderungen in bezug auf Präsenz und Praxis von<br />
Herrschaft in Abhängigkeit von ihrem jeweiligen historischen Horizont umsetzten. Dies<br />
soll auf der Basis von archäologischen Befunden und schriftlichen Quellen<br />
unterschiedlichster Art (Historiographie, Inschriften, Papyri etc.) diskutiert werden. So<br />
vermag z.B. die architektonische Gestaltung von Repräsentationsräumen Einblick in<br />
Herrschaftsverständnis und -praxis zu gewähren. Anhand von Schriftquellen lässt sich<br />
demgegenüber nachvollziehen, wie an konkreten Orten Herrschaft in Ritualen<br />
kommuniziert und von den Betroffenen empfunden und erfahren wurde. Ein solch<br />
interkultureller Vergleich der Darstellung von Herrschaft im Raum im Hinblick auf<br />
Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede verspricht neue differenzierte Einsichten in<br />
das Phänomen Herrschaft.<br />
Am 17./18. Dezember soll die nächste Tagung des Forschungsclusters stattfinden,<br />
wobei die Forschungsfelder einzelnen Sektionen entsprechen. Die Moderatoren der vier<br />
Forschungsfelder werden bis zu dieser Tagung kurze Informationstexte zu den<br />
konkreten Fragestellungen und Zielen der Forschungsfelder erstellen. Weitere<br />
Tagungen sollen im Jahresrhythmus stattfinden.<br />
FORSCHUNGSFELDER UND PROJEKTE<br />
1. FORSCHUNGSFELD: ERSCHLIEßUNG UND NUTZUNG<br />
Moderatoren: Ingo Motzenbäcker, Knut Rassmann<br />
ORTWIN DALLY (Zentrale)<br />
Taganrog und sein Umland<br />
Dem Vorhaben zugrunde liegt die Annahme, dass ein enger Zusammenhang<br />
zwischen sozialem Handeln und der Ausgestaltung von Räumen durch gebaute<br />
Grenzen besteht. Der gebaute Raum ist ein Resultat sozialer Interaktion; als<br />
solcher spiegelt er nicht nur soziale, sondern auch politische Entwicklungen<br />
wider. Im Rahmen des Projekts soll anhand von Taganrog und seiner<br />
Umgebung (Südrussland) der Zusammenhang zwischen politischen und<br />
Stand: 11/2007 29
sozialen Raumveränderungen in einer diachronen Perspektive verfolgt werden.<br />
Als die griechische Kolonisation des Schwarzmeerraumes in der 2. Hälfte des 7.<br />
Jhs. v. Chr einsetzte, gelangten griechische Siedler von der kleinasiatischen<br />
Mittelmeerküste auch an die Mündung des Don. Spuren einer frühen<br />
griechischen Siedlung haben sich bei Taganrog ca. 10 km westlich der heutigen<br />
Mündung des Flusses in das Asovsche Meer erhalten. Die Siedlung dürfte nach<br />
Ausweis der bislang bekannten Keramik gemeinsam mit oder kurz vor den<br />
Siedlungen von Berezan in der heutigen Ukraine und Histria im heutigen<br />
Rumänien noch im 7. Jh. v. Chr. gegründet worden sein. Sie ist in jedem Fall<br />
älter als die ersten griechischen Siedlungen und Kolonien am kimmerischen<br />
Bosporus, die um 580-60 v. Chr. gegründet worden sind. Die seit 2004<br />
laufenden Bohrungen und Grabungen haben deutlich gemacht, dass die<br />
Siedlung mindestens bis zum späten 4./frühen 3. Jh. v. Chr. Bestand hatte.<br />
Angesichts der Ausgangslage – die griechischen Kulturschichten liegen 3-5<br />
Meter unter dem heutigen Bodenniveau und z. T. unter dem Sandboden des<br />
Asovschen Meeres in der Bucht von Taganrog begraben – ist es nur möglich,<br />
wesentliche topographische Eckpunkte der Siedlung zu ermitteln und Aussagen<br />
zu der Dauer ihrer Existenz und ihren wirtschaftlichen Grundlagen zu treffen.<br />
Aus diesem Grund ist geplant, die Untersuchungen auszudehnen und die<br />
Arbeiten in Taganrog in einen größeren Kontext zu stellen.<br />
Zum Zeitpunkt der Gründung von Taganrog waren die angrenzenden<br />
Steppengebiete und das Dondelta schon existente Lebens- und<br />
Wirtschaftsräume. Bereits in der späten Bronzezeit hatte sich ein System aus<br />
Siedlungen, die möglicherweise von halbsesshaften Nomaden nur temporär<br />
genutzt worden sind, gebildet. Grabhügel (Kurgane), die im Dondelta bereits<br />
seit der frühen bis mittleren Bronzezeit zu beobachten sind, haben das Bild<br />
der Landschaft geprägt. In der späten Bronzezeit kam es jedoch zu<br />
signifikanten Veränderungen: Parallel zu der Anlage von Siedlungsplätzen<br />
wurden größere Grabhügel als sichtbare Exponenten einer neuartigen sozialen<br />
Stratifizierung errichtet. Die Kurgane lagen nicht mehr wie noch in der<br />
mittleren Bronzezeit unmittelbar in den Flussniederungen, sondern auf<br />
Terrassen oberhalb der Flüsse Don und Myus. Zum Zeitpunkt der griechischen<br />
Gründung scheinen die meisten der bronzezeitlichen Siedlungsplätze verlassen<br />
gewesen zu sein, erst in der Folgezeit, d. h. im 5.-4. Jh. v. Chr., kommt es<br />
offenbar zur Neugründung von Siedlungen auf der westlich von Taganrog<br />
gelegenen Halbinsel am Myus Liman und im Dondelta selber. Viele, aber<br />
offenbar nicht alle bronzezeitlichen Kurgane wurden verstärkt seit dem 5. Jh.<br />
v. Chr. für Sekundärbestattungen genutzt.<br />
Die skizzierten Veränderungen sind Zeugnisse für unterschiedliche soziale<br />
Gruppen und sich wandelnde politische Verhältnisse. Im Rahmen des Projekts<br />
soll aufgrund von Untersuchungen in Taganrog und seiner Chora verfolgt<br />
werden, wie unterschiedliche Siedlungsräume demarkiert worden sind. Wie<br />
werden sie gegenüber der Steppe be- oder entgrenzt vor und nach der<br />
Gründung von Taganrog? Wie wird durch die Kurgane das Umland von<br />
Taganrog symbolisch markiert? Welche Kurgane wurden gezielt für<br />
Sekundärbestattungen genutzt? Welche Veränderungen lassen sich bei der<br />
Anlage der deutlich sichtbaren Grabhügel in Zusammenhang mit den sich<br />
ändernden Siedlungsaktivitäten am Myus Liman von der Spätbronzezeit an bis<br />
zum 4. Jh. v. Chr. beobachten? Ein besonderes Augenmerk gilt in diesem<br />
Zusammenhag nicht nur den Gräbern und Siedlungsplätzen, sondern auch den<br />
Verkehrswegen.<br />
Ansprechpartner:<br />
PD Dr. Ortwin Dally (E-Mail: od@dainst.de)<br />
Stand: 11/2007 30
OLAF DRÄGER (Abteilung Rom)<br />
Die Siedlung von Castellina Vecchia – Herrensitz oder Vorposten?<br />
Projektziel ist die Erforschung einer etruskischen Siedlung in ihrem räumlichen<br />
Umfeld während des ersten vorchristlichen Jahrtausends.<br />
Der Ort<br />
Die Wüstung Castellina Vecchia liegt im Chianti, und zwar auf einem Höhenzug<br />
im Norden von Siena, der sich nordsüdlich zwischen den Flusstälern der Elsa<br />
einerseits und des Arbia beziehungsweise des Ombrone andererseits erstreckt.<br />
Die Fundstelle ist mitsamt ihrem näheren Umfeld ein unverbautes und im<br />
jüngsten Bebauungsplan der heutigen Gemeinde Castellina in Chianti als<br />
denkmalgeschützt ausgewiesenes antikes Habitat, das bisher nur oberflächlich<br />
untersucht wurde. Soweit es heute im Gelände erkennbar ist, hat es die Größe<br />
von etwa einem halben Hektar. Als befestigter Hügel gleicht es damit einem<br />
großen Gehöft oder Herrensitz nach dem Muster der Ansiedlung von Murlo. Es<br />
gibt jedoch Hinweise, dass die Bevölkerung schon früh deutlich größeren<br />
Umfang hatte, und der Platz kann vermutungsweise als Akropolis<br />
angesprochen werden, die zumindest phasenweise den Kern einer größeren<br />
Ansiedlung bildete. Der Ort war vermutlich bereits seit archaischer Zeit<br />
bewohnt.<br />
Etruskische Siedlungen<br />
Bisher werden für die Erforschung der materiellen Kultur der Etrusker primär<br />
Grabbefunde und fallweise Heiligtumsfunde genutzt. Viele Fragen der<br />
Raumordnung und Siedlungstopographie stehen angesichts äußerst spärlicher<br />
Sekundärquellen und geringer Befunde oft weitgehend im Raum der<br />
Hypothese. Siedlungskundliche Fragestellungen sind vor allem anhand des<br />
Sonderfalles der Planstadt Marzabotto und weniger anderer Fundorte diskutiert<br />
werden, wobei die gut erforschte Ansiedlung von Murlo für unser Projekt<br />
zahlreiche Vergleichspunkte bietet. Die Vorlage des Bandes „Il Chianti senese“<br />
im Rahmen der Carta Archeologica della Provincia di Siena durch Marco Valenti<br />
bildet mit seiner mustergültigen Aufarbeitung der archäologischen Befunde im<br />
geographischen Umfeld des untersuchten Ortes eine optimale<br />
Diskussionsgrundlage.<br />
Der Siedlungsraum von Castellina im Altertum<br />
Anhand von Funden kann eine frühe etruskische Akkulturierung des Gebietes<br />
schon im siebten Jahrhundert vorausgesetzt werden, in der von einer<br />
Urbanisierung am Ort noch nicht die Rede ist, sondern die Siedlungen des<br />
Chiantigebietes nach der gängigen Arbeitshypothese eher als Fürstensitze mit<br />
geringem Aktionsradius zu verstehen sind. Castellina muss in diesem Rahmen<br />
eine herausgehobene Bedeutung gehabt haben, wie das monumentale<br />
Fürstengrab von Monte Calvario zeigt.<br />
Im Zuge der Genese der etruskischen Kultur im Siedlungsraum änderte sich<br />
das ökonomische System der seit der Bronzezeit dort nachweisbaren<br />
großräumigen Transhumanzwirtschaft zugunsten einer intensivierten<br />
Bodenbewirtschaftung, die ihrerseits erst die Voraussetzung für die<br />
Akkumulierung von Macht und Ressourcen in der Aristokratie schuf.<br />
Nachgewiesen ist speziell im Gebiet von Castellina anhand von Bodenfunden<br />
schon für die etruskische Periode der Weinanbau – sicher belegt bereits im<br />
vierten bis dritten Jahrhundert –, dessen Wert als Handelsgut in<br />
Stand: 11/2007 31
überregionalem Zusammenhang die Frage nach den Transportwegen aufwirft.<br />
Am Ende des dritten Jahrhunderts, also nach dem Hannibalkrieg, wurden die<br />
zahlreichen befestigten etruskischen Höhensiedlungen im Chianti weitgehend<br />
aufgegeben. Die Ursachen dafür sind mangels Quellen bisher nicht konkret<br />
benennbar, dürften aber mit der Schwächung der raumordnenden Vormacht<br />
zusammenhängen. Dass Castellina dennoch als Ansiedlung fortlebte,<br />
möglicherweise unter verengten geographischen Horizonten, ist<br />
wahrscheinlich, sind doch in seinem Umfeld Nekropolen des späten ersten<br />
Jahrhunderts vor Christus nachgewiesen. Aufzuspüren sind archäologische<br />
Belege für die Besiedlung im zweiten und ersten Jahrhundert, die<br />
gegebenenfalls der Siedlungsstelle eine hohe strategische Relevanz in dieser<br />
Epoche vermutlich zurückgehender ländlicher Siedlungsdichte sichern können.<br />
Erst im Hochmittelalter kann wieder sicher von einer Ansiedlung im Gebiet<br />
ausgegangen werden, als Markgräfin Matilde von Tuszien mit dem hier<br />
befindlichen Lehen Salingolpe im elften Jahrhundert zunächst den Grafen Guidi<br />
und später den Herren von Trebbio belehnte. Erst im fünfzehnten Jahrhundert<br />
wurde die bis heute bestehende Festung von Castellina in Chianti als<br />
florentinischer Vorposten gegen die Republik Siena errichtet.<br />
Fragen und Hypothesen<br />
In Hinblick auf die archaische Zeit soll der ländliche Raum von Castellina durch<br />
den Bezug auf den Herrensitz als im praktischen Sinne strukturiert verstanden<br />
werden, und durch den Bezug auf das Fürstengrab im ideellen. Es stellt sich<br />
also die Frage nach den Formen räumlicher Sichtbarkeit und Sichtbarmachung<br />
der Territorialherrschaft im engen geographischen Gebiet. Dass eine solche<br />
Evidenz beabsichtigt war, beweist der monumentale Grabhügel von Monte<br />
Calvario, das einzige und weithin sichtbare Monumentalgrab weithin, mit<br />
Dimensionen, die denen des Habitats gleichkommen. An einem festen, weithin<br />
sichtbaren Punkt in entschiedener Distanz zum Siedlungskern selbst wird somit<br />
die Überlegenheit eines lokalen Fürstengeschlechts anschaulich demonstriert,<br />
wodurch mithin primär die Dominanz über das Territorium zur Anschauung<br />
kommt. Die Relation zwischen dem vermuteten Herrensitz und dem<br />
Fürstengrab soll und kann die Diskussion um die Akkumulation von Besitz und<br />
Macht auf Seiten der Aristokratie in der Frühzeit der etruskischen Kultur<br />
weiterführen.<br />
Eine wichtige Grundfrage betrifft die Erschließung des Gebietes für den<br />
Transport, eine wichtige Voraussetzung für die Ressourcennutzung. Die<br />
Wegsamkeit ist gerade für diese Zone vermutlich schon in sehr früher Zeit<br />
gegeben, da das Hochchianti hier nordsüdlich von einer alten Höhenstraße<br />
durchzogen wird, die seit dem Mittelalter als Verbindung zwischen Florenz und<br />
Siena dient und in deren Nachfolge in etwa die Trasse der heute sekundären<br />
Staatsstraße 222 Chinatigiana steht. Ihre Bedeutung dürfte bereits in der<br />
Frühzeit hoch zu veranschlagen sein, als die benachbarten Flusstäler kaum<br />
gangbar oder querbar waren.<br />
Für spätere Epochen steht vor allem die Rolle von Castellina im Rahmen von<br />
Verbindungen und Grenzziehungen im Vordergrund. Für das vierte und dritte<br />
Jahrhundert kann im Hochchianti ein System befestigter Höhensiedlungen,<br />
sogenannter Oppida (Cetamura, Poggio La Croce), angenommen werden, das<br />
vermutlich von der raumgreifenden übergeordneten Instanz des im Wachsen<br />
begriffenen Stadtstaates Faesulae (Fiesole) organisiert wurde. Für diese<br />
Periode ist von der Zielsetzung der Erschließung landwirtschaftlicher<br />
Ressourcen im Chiantigebiet seitens Fiesoles auszugehen, die sich in<br />
Konkurrenz zu Volterra vollzog. Auch in dieser Hinsicht ist der Vergleich mit<br />
dem in dieser Zeit bereits aufgelassenen Murlo wichtig, das offenbar außerhalb<br />
Stand: 11/2007 32
eines solchen Aktionsradius’ lag. Es wird davon ausgegangen, dass Castellina<br />
in dieser Phase die Rolle eines Vorpostens im Rahmen der Territorialordnung<br />
von Fiesole spielte.<br />
Von zentraler Bedeutung für die Chronologie und die Entwicklungsgeschichte<br />
der Siedlung sind eine Untersuchung der Stadtmauer und die Suche nach<br />
einem bisher hypothetisch angenommenen zweiten Mauerring. Zu untersuchen<br />
ist, ob das Habitat die Gestalt verstreuter Einzelgehöfte hatte oder ob es eine<br />
geschlossene räumliche Form besaß, beziehungsweise wann eine solche<br />
entstand und welche Formen der räumlichen Binnenhierarchisierung zur<br />
Anwendung kamen.<br />
Vorgehen<br />
Die seit 2006 im Gange befindliche Aufarbeitung von Archivmaterial, Altfunden,<br />
historischer kartographischer Dokumentation und historischen Quellen soll die<br />
Voraussetzung für die Untersuchungen im Gelände bilden. Dabei ist vor allem<br />
der Frage nach der genauen Lokalisierung des mittelalterlichen Salingolpe<br />
nachzugehen, das gegebenenfalls die Befunde der antiken Wüstung gestört<br />
haben könnte. Geplant ist nach georeferenzierter kartographischer Aufnahme,<br />
die Ausdehnung des Habitat und sein unmittelbares Umfeld sowie die Frage<br />
nach einem hypothetischen zweiten Mauerring mittels Surveys zu untersuchen<br />
sowie die erhaltenen Reste der rechteckigen Ummauerung des Hügels zu<br />
erforschen. Die Ergebnisse werden in einer georeferenzierten Datenbank<br />
zusammengeführt.<br />
Kooperationspartner<br />
Soprintendenza Archeologica della Toscana<br />
Museo Archeologico del Chianti Senese<br />
(http://www.museoarcheologicodelchianti.it)<br />
Ansprechpartner<br />
Dr. Olaf Dräger (E-Mail: draeger@rom.dainst.org)<br />
RICARDO EICHMANN, JUTTA HÄSER (Orient-Abteilung)<br />
Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman<br />
Das Projekt „Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman“ wurde<br />
1998 als interdisziplinäres Projekt initiiert. Das Ziel der archäologischen<br />
Untersuchungen war es, die historische Tiefe dieser Lebens- und<br />
Wirtschaftsform zu ermitteln und Veränderungen im Siedlungsbild zu<br />
erforschen.<br />
Bei den Untersuchungen stellte sich heraus, dass seit dem Beginn der<br />
sesshaften Lebensweise, die im Oman erst am Übergang vom 4. zum 3.<br />
Jahrtausend v. Chr. einsetzte, die Oasen die Basis der Wirtschaft liefern. Die<br />
naturräumliche Ausstattung ist im Oman so karg – und war es bereits im 3.<br />
Jahrtausend v. Chr. –, dass nur dort, wo das Wasser der äußerst geringen<br />
Niederschläge sich in den Sedimentkörpern der Wadis sammelte, und dort wo<br />
es Quellen gab, Siedlungen gegründet werden konnten. Die umliegenden<br />
Felder und Gärten waren von Anbeginn auf künstliche Bewässerung<br />
angewiesen. Bislang gibt es nur ganz wenige Befunde, die etwas über diese<br />
bronzezeitlichen Bewässerungssysteme aussagen. Erst für die Eisenzeit – ab<br />
etwa 1000 v. Chr. – sind wir besser über das Wassermanagement informiert.<br />
Diese auf ganz wenige Punkte beschränkte Lebensmöglichkeit hat essentielle<br />
Auswirkungen auf das politische System, und dies gilt für die gesamte<br />
Stand: 11/2007 33
Omanische Halbinsel. Erst in der frühen Neuzeit lassen sich größere politische<br />
Gebilde in dieser Region ausmachen, die aber auch dann ganz<br />
stammesorientiert und auf die Oasen konzentriert sind.<br />
Im 3. Jahrtausend v. Chr. wird in mesopotamischen Keilschrifttexten der<br />
Begriff „Magan“ für diese Region verwendet. Kaufleute pflegten – meist über<br />
Dilmun/Bahrain – Handelskontakte mit Magan. Anziehungspunkt waren die<br />
dortigen Kupfervorkommen. Es handelte sich bei dem Begriff „Magan“ jedoch<br />
um die Bezeichnung einer Region und nicht um die eines Staates. Wir erfahren<br />
aus diesen Quellen auch nichts über die Verwaltung, die den Kupferhandel auf<br />
der Omanischen Halbinsel organisierte, und es gibt keine Erwähnungen eines<br />
irgendwie gearteten politischen Systems.<br />
Am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. oder zu Beginn des 2. Jahrtausends v.<br />
Chr. brach der Kupferhandel zusammen und der Begriff Magan erschien nicht<br />
mehr in den schriftlichen Quellen. Ins Licht der Geschichte trat die Region zur<br />
Zeit des assyrischen Reiches. In Quellen, die unter Assurbanipal II. entstanden<br />
sind, wird ein König Pade im Königreich Qade mit der Hauptstadt I-s/z-k/q-e<br />
genannt. Diese Erwähnung findet sich im Zusammenhang mit Tributzahlungen<br />
an den assyrischen König. Doch nichts wird zu der Art oder Größe dieses<br />
Königreiches gesagt.<br />
Unsere intensiven Geländebegehungen und ältere, vereinzelte Ausgrabungen<br />
haben an dem Ort Izki, der mit der genannten Hauptstadt I-s/z-k/q-e<br />
geglichen wird, keine Befunde erbracht, die auf eine zentrale Funktion des<br />
Ortes hinweisen. Und dieses Ergebnis gilt im Wesentlichen auch für alle<br />
Fundplätze des 3. Jahrtausends v. Chr. bis in die frühe Neuzeit. Es finden sich<br />
in keiner der Oasen Gebäude, die offensichtlich als Verwaltungszentren gedient<br />
haben, keine Paläste und auch keine Tempel. Es wurde trotz der Kontakte zu<br />
Mesopotamien einerseits und zur Indus-Kultur andererseits weder ein<br />
Schriftsystem entwickelt noch eines übernommen. Das bedeutet, dass selbst<br />
der Kupferhandel, der erhebliche Ausmaße hatte, ohne eine größere<br />
Verwaltung ausgekommen sein muss.<br />
Die archäologischen Geländeuntersuchungen des Oasenprojektes wurden im<br />
letzten Jahr abgeschlossen und die Ergebnisse werden gerade formuliert,<br />
weshalb sie hier nur kurz als Thesen erläutert werden sollen.<br />
Die Siedlungsweise im Oman ist aufgrund der besonderen – äußerst kargen –<br />
ökologischen Ausstattung punktuell. Siedlungssysteme von zentralen<br />
Siedlungen mit abhängigen kleinen Siedlungen sind nicht zu erkennen.<br />
Definierte Territorien sind ebenfalls nicht festzustellen. So kann ein Bild<br />
gezeichnet werden, das ganz von einer punktuellen Siedlungsweise geprägt ist.<br />
Neben dem Anbau von Feldfrüchten und Datteln gehört zur Wirtschaftsweise in<br />
einer Oase auch die Tierhaltung. Daraus lässt sich eine Art Territorium<br />
erschließen. Es könnte – so wie es traditionell im Oman geregelt ist – durch die<br />
Weideradien des Kleinviehs der einzelnen Oasen definiert gewesen sein. Doch<br />
wechselt dieses „Territorium“ je nach jahreszeitlichem Bewuchs. Da sich dieser<br />
vorwiegend entlang der Wadis erstreckt, ist dieses Territorium auch nicht so<br />
sehr flächig als vielmehr linear. Diese Wadis sind es auch, welche die<br />
Verbindungswege zu den Quellen und Brunnen in den Wadis selbst, aber auch<br />
auf den Hochflächen des Gebirges bilden, die lebenswichtig sind, weil dort das<br />
Vieh täglich getränkt werden muss. So scheinen also nicht so sehr die Flächen<br />
als vielmehr die Punkte (Siedlungen, Wasserstellen) und Linien<br />
(Verbindungswege) das Siedlungsbild und Aktionsschema zu bestimmen. Sie<br />
waren es vermutlich, die gegen Fremde verteidigt wurden, nicht das<br />
Territorium in ihrer Umgebung. Für die Verteidigung eines größeren<br />
Territoriums war auch die Anzahl der Siedler viel zu gering, und ein<br />
Zusammenschluss von Siedlungen zu einem größeren politischen, gemeinsam<br />
Stand: 11/2007 34
agierenden Gebilde lässt sich, wie gesagt, nicht erkennen.<br />
Bei den Geländebegehungen des Oasenprojektes hat sich ein interessanter<br />
Befund abgezeichnet, der einen Hinweis gibt, dass den Wadis eine große<br />
Bedeutung beigemessen wurde. An den Zugängen zu den großen Wadis und<br />
speziell an solchen, die eine Verbindung zwischen Regionen herstellen, sowie<br />
entlang dieser Wadis, aber auch auf den Hochflächen, wo mehrere<br />
Wadisysteme zusammentreffen, wurden Gräber des 4./3. Jahrtausends v. Chr.<br />
errichtet. Sie sind eindeutig so angelegt, dass sie diese besonderen<br />
Geländepunkte markieren. Auch hier ist nicht das Abstecken eines<br />
Territoriums, d. h. einer Fläche, sondern vielmehr die Markierung eines Weges,<br />
d. h. einer Linie, zu erkennen. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings dadurch,<br />
dass bis heute nicht geklärt werden konnte, welches Verhältnis zwischen den<br />
Erbauern der Gräber und den Bewohnern der Oasensiedlungen bestand. Es<br />
besteht noch kein Konsens darüber, ob sie älter als die frühesten<br />
Oasensiedlungen sind oder ob sie auch noch errichtet wurden, als die<br />
Oasensiedlungen schon bestanden. Die Gräber wurden aber in späteren Zeiten<br />
(vor allem in der Eisenzeit) wieder verwendet, und es finden sich auch in<br />
direkter Umgebung dieser Gräber eindeutig jüngere Grabanlagen. Dies weist<br />
darauf hin, dass auch in späteren Zeiten diese Wege und markanten Punkte<br />
von Bedeutung waren.<br />
Trotz keiner erkennbaren siedlungsübergreifenden politischen Organisation<br />
sind in den Funden, in der Architektur und auch in den Bestattungssitten große<br />
Übereinstimmungen zu erkennen. Damit wird deutlich, dass die Siedlungsweise<br />
zwar punktuell war, dass aber dennoch ein reger Austausch von Gütern und<br />
Informationen stattgefunden haben muss.<br />
Ohne hier in einen Öko-Determinismus verfallen zu wollen, zeichnet sich die<br />
These ab, dass die ökologische Ausstattung auf der Omanischen Halbinsel stets<br />
– und zwar bis in die Neuzeit hinein – so karg war und die besiedelbaren<br />
Punkte so verstreut und entfernt voneinander lagen, dass sie der Bildung eines<br />
größeren politischen Gebildes entgegen wirkten. Dennoch scheint es vor allem<br />
im 3. Jahrtausend v. Chr. so etwas wie eine gemeinsame soziale und kulturelle<br />
Identität gegeben zu haben, die sich in der materiellen Kultur und den<br />
Bestattungssitten widerspiegeln. In späteren Perioden – besonders im 1.<br />
Jahrtausend v. Chr. – ist eine größere Diversität vor allem in den<br />
Bestattungssitten zu finden, die vielleicht einen Hinweis auf kleinere soziale<br />
Gruppen geben.<br />
Die Erwartungen an das Forschungscluster bestehen in der Erweiterung der<br />
eigenen Erfahrungen im methodischen und theoretischen Bereich. Dies gilt<br />
besonders für Erklärungsmodelle von Siedlungsweisen und<br />
Sozialorganisationen in Kulturen, für die keine schriftlichen Quellen vorliegen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Ricardo Eichmann (E-Mail: re@orient.dainst.de)<br />
Dr. Jutta Häser (E-Mail: gpia@go.com.jo)<br />
VERONICA HINTERHUBER (Zentrale)<br />
Architektonische Ausgestaltung von Prozessionswegen ägyptischer<br />
Tempel<br />
Die Untersuchung basiert auf der Frage, wie sich Veränderungen im Kultbetrieb<br />
als Resultat gewandelter machtpolitischer Situationen in der Nutzung und<br />
Ausgestaltung von politischen Räumen widerspiegeln können und inwieweit<br />
sich in den Zutrittsregelungen zu Räumen gesellschaftliche Hierarchien<br />
Stand: 11/2007 35
manifestierten. In diesem Zusammenhang steht auch die Auseinandersetzung<br />
mit Ein- und Durchgangsbereichen als Öffnung gebende und zugleich Grenzen<br />
schaffende Bestandteile der Architektur, die nicht unbedeutend zur religiösen<br />
oder politischen Konnotation eines Raumes beitragen. Es sind gerade jene<br />
Bereiche eines Tempels, durch welche eine Differenzierung von „Außen“ und<br />
„Innen“, von „Hier“ und „Dort“ und somit eine Scheidung von profanum und<br />
fanum ermöglicht wird; die Signifikanz von Schwellenbereichen sollte demnach<br />
direkt proportional zu den Werten, die sich dahinter befinden, gesehen werden.<br />
In Ägypten bildeten Feste seit jeher einen äußerst wichtigen Bestandteil des<br />
kollektiven, religiösen Geschehens. Aus der starken Abgrenzung zwischen der<br />
weltlichen Ebene und der Sphäre des Sakralen resultierte ein streng<br />
reglementierter Zugang zu den Heiligtümern. Die einzige Kontaktaufnahme der<br />
Bevölkerung mit der Gottheit erfolgte anlässlich des periodischen Auszugs der<br />
sichtbaren Manifestation des Gottes – dem Götterbild – aus dem Tempel im<br />
Rahmen hoher Feiertage. Für das Volk fand die Religion somit an den Festen<br />
statt, im Verlauf derer es entlang der Prozessionsstraßen und vor den<br />
monumentalen Tempeltoren auf das Erscheinen der Gottheit wartete, um diese<br />
auf ihren Wegen während der Prozession zu begleiten.<br />
Die ägyptische Sakralarchitektur spiegelt das Festgeschehen mit einer Fülle an<br />
verschiedenen Konstruktionstypen wider, die in den meisten Epochen der<br />
ägyptischen Geschichte anzutreffen sind.<br />
Eine erstaunliche Emphase des Festkultes kann jedoch in der ägyptischen<br />
Spätzeit beobachtet werden, wie eine in diesen Epochen gesteigerte<br />
Hinwendung zur Wahl bestimmter, explizit mit dem Prozessionsgeschehen<br />
verbundener Architekturformen zeigt.<br />
Das Projekt (Promotionsvorhaben) widmet sich der Untersuchung jener in der<br />
späten ägyptischen Zeit verstärkt erbauten Konstruktionstypen, im Besonderen<br />
der Ein- und Durchgangsbereiche ägyptischer Heiligtümer, die als<br />
architektonische Reflektion eines gewandelten Kultbetriebes – bedingt durch<br />
die sich nun veränderte Stellung des Herrschers – gewertet werden sollen.<br />
Der Ursprung dieses Wandels im Kultgeschehen mag in der Regierungszeit<br />
jener Könige von Kusch (Nubien) zu suchen sein, die als kuschitische oder 25.<br />
Dynastie im ausgehenden 8. und beginnenden 7. Jh. v. Chr. Ägypten regierten.<br />
Die Bauaktivität dieser Epoche, die sich in einer außerordentlichen Dominanz<br />
von Belegen aus Theben manifestiert, ist entgegen früherer Zeiten<br />
charakterisiert durch eine ausschließliche Fokussierung auf architektonische<br />
Konstruktionstypen, wie beispielsweise Kiosken oder Kolonnaden, die in der<br />
ägyptischen Sakralarchitektur primär mit dem Festgeschehen verbunden<br />
waren.<br />
Neben den genannten Bauwerken zeigten die Pharaonen der kuschitischen Zeit<br />
zudem eine bemerkenswerte Affinität zu Neu- und Umgestaltungen von<br />
Tempelpylonen und -toren an den vorderen Räumen der Heiligtümer und<br />
entlang der Prozessionsstraßen. Während die restliche Bautätigkeit<br />
durchgängig als Festarchitektur im Rahmen einer Reorganisierung thebanischer<br />
Tempelfeste nach den Wirren der vorangegangenen Dynastien gedeutet wird,<br />
beschränkte sich die klassische Forschungsmeinung darauf, die<br />
Baumaßnahmen an den Ein- und Durchgangsbereichen der Heiligtümer<br />
lediglich als unsystematische Reparaturen von Zerstörungen der ferneren oder<br />
nächsten Vergangenheit zu interpretieren, wodurch eine tiefere Beleuchtung<br />
dieses in der Spätzeit Ägyptens zu beobachtenden Phänomens verwehrt wurde.<br />
In einer vorhergehenden Untersuchung konnte eine solche Deutung nicht nur<br />
Stand: 11/2007 36
widerlegt, sondern vielmehr eine Interpretation der in der 25. Dynastie<br />
realisierten Arbeiten an den Toren und Pylonen als ein wichtiger Bestandteil<br />
des auf den Festkult ausgerichteten Bauprogrammes der Herrscher verifiziert<br />
werden. Die Signifikanz der liminalen Bereiche als Scheidegrenze zwischen der<br />
profanen und sakralen Sphäre und ihre daraus resultierende Bedeutung als<br />
markierende und gliedernde Elemente von Prozessionswegen wurde<br />
aufgezeigt. Dieser Sinngehalt war den Kuschiten deutlich bewusst und wurde,<br />
wie es scheint, auch in den nachfolgenden Dynastien und der griechischrömischen<br />
Zeit mit Übergangsbereichen verbunden. Die Beobachtung, dass die<br />
Verlagerung der Bauaktivität auf die publikumswirksameren Festprozessionen<br />
keine alleinige Erscheinung der kuschitischen Zeit darstellte, sondern nach<br />
Ende dieser Dynastie eine Fortführung fand, ist Gegenstand der gegenwärtigen<br />
Untersuchung. Anhand einer Beleuchtung der bevorzugt gewählten<br />
Architekturformen und der favorisiert gefeierten Feste der nachfolgenden<br />
Zeiten, soll in diesem Projekt aufgezeigt werden, dass sich die seit der 25.<br />
Dynastie erkennbare Bedeutung des Festes als äußerst wichtiges, wenn nicht<br />
sogar primäres Mittel zur Ausübung liturgischer Vorgänge und religiöser Riten<br />
in den nachfolgenden Dynastien und dem ptolemäerzeitlichen Ägypten<br />
fortsetzte, wie die Tendenz einer besonderen Akzentuierung der vorderen<br />
Tempelbereiche und Prozessionswege – im Besonderen durch die Errichtung<br />
und Bearbeitung von Tempelein- und -durchgängen – in diesen Epochen zeigt.<br />
Der Hintergrund dieser Fokussierung auf das Fest ist nicht zuletzt in der sich<br />
nun ändernden Stellung der häufigen Fremdherrscher der späten ägyptischen<br />
Zeit zu suchen, die den Festkult als wichtiges Medium der königlichen<br />
Repräsentation aber auch der religiösen Legitimation instrumentalisierten.<br />
Aus der Verlagerung des religiösen Geschehens auf die vorderen<br />
Tempelbereiche und der Lockerung der Zutrittsbestimmungen zu den<br />
Heiligtümern resultierte eine stärkere Einbindung der Bevölkerung in die<br />
liturgischen Vorgänge. Durch deren Ausübung konnte der Pharao seine<br />
Fähigkeit, als authentischer ägyptischer Pharao zu agieren, zeigen, sich aber<br />
auch gleichzeitig neben der weltlichen auf religiöser Ebene legitimieren.<br />
Die Idee auf das Medium des Festes zurückzugreifen, um ein derartiges<br />
religiös-politisches Programm umzusetzen, war ein faszinierender Schachzug<br />
der Herrscher. Architektonisch realisiert wurde dies durch die Festarchitektur,<br />
wobei die Durchgangsbereiche der Tempel, wie es scheint, eine nicht<br />
unbedeutende Rolle einnahmen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Veronica Hinterhuber M.A. (E-Mail: vh@dainst.de)<br />
DIRCE MARZOLI (Abteilung Madrid), JOSEF EIWANGER (KAAK)<br />
Mogador: ein phönikischer Außenposten und sein afrikanisches<br />
Hinterland<br />
Übersicht<br />
Die Insel Mogador liegt im Atlantik etwa 1000 m vor der Hafenstadt Essaouira<br />
(Marokko). Sie ist ca. 600 m lang, 500 m breit und an ihrer höchsten Stelle 28<br />
m hoch. Ihre steil abfallende schroffe Felsküste wird nur an der Südseite durch<br />
eine kleine Bucht unterbrochen. Die Insel beherrscht eine große, von<br />
Sanddünen umgebene Bucht, in die der Oued Qsob mündet. Die<br />
geographischen Gegebenheiten der Insel in der Meeresbucht stellen eine<br />
Ausnahme an der vorwiegend geraden marokkanischen Atlantikküste dar: sie<br />
bieten Vorteile für eine Besiedlung, für Anlegestellen und Hafenanlagen und<br />
schaffen Voraussetzungen für einen außergewöhnlichen Handelsknotenpunkt,<br />
Stand: 11/2007 37
wo afrikanische Karawanenwege mit Seerouten zusammentreffen, die bis ins<br />
östliche Mittelmeer reichen.<br />
Während das Hinterland von Mogador archäologisch vollkommen unbekannt<br />
ist, haben die von A. Jodin zwischen 1956 und 1958 durchgeführten<br />
Ausgrabungen auf der Insel eine phönizische „Faktorei“ zum Vorschein<br />
gebracht, wohin ab der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. Importe aus<br />
unterschiedlichsten mediterranen Regionen gelangt waren. Phönizische<br />
Keramik aus den südspanischen Zentren, aus Nordafrika ebenso wie solche<br />
zyprischer, chiotischer, milesischer und attischer Herkunft geben einen<br />
kaleidoskopartigen Eindruck von der Reichweite der Kontakte.<br />
Auffallende Übereinstimmungen mit phönizischen Keramikproduktionen aus<br />
Cádiz und seinem Hinterland lassen eine enge Verbindung mit dieser<br />
westphönizischen Metropole vermuten.<br />
Auffallend sind Graffiti auf Amphoren und vor allem auf Tellerböden, die an der<br />
Zahl jeden anderen westphönizischen Fundplatz übertreffen. Einige sind<br />
Eigennamen, wobei es sich – soweit erkennbar – durchgehend um Theonyme<br />
handelt. Diese Funde sind von außergewöhnlicher Bedeutung, denn sie sind –<br />
mit denen von Lixus – die ältesten Schriftzeugnisse an der afrikanischen<br />
Atlantikküste. Besonders hoch ist bei der vorrangig „Roten Ware“ der Anteil an<br />
Lampen. Tongrundige Ware ist nur durch die zahlreichen Amphoren vertreten,<br />
bei denen die Form R1 vorherrscht. Unsicher ist, inwieweit das im Museum von<br />
Rabat deponierte Fundmaterial dem ursprünglichen Umfang entspricht, wie<br />
stark die Selektion war, wo (bzw. ob) handgemachte Ware und Sonderfunde<br />
aufbewahrt werden.<br />
Bauliche Strukturen der phönizischen Besiedlungsphasen wurden bei den<br />
Ausgrabungen der 50er Jahre nicht beobachtet. Die Funktion des Platzes bleibt<br />
vorerst unbekannt.<br />
Überregionale Bedeutung hatte die Insel auch zur Zeit von Juba II. Eine Villa<br />
mit Mosaikfußböden und qualitätsvolle Funde bezeugen es.<br />
Erste Anhaltspunkte<br />
Erste Ergebnisse von Prospektionen (Februar/März 2005)<br />
- Die Oberflächenbegehung der Insel erbrachte Funde, die<br />
mittelpaläolithische Silexgeräte, auffallend wenig phönizische, jedoch<br />
zahlreiche republikanisch- bis spätrömische, islamische, rezente und z. Zt.<br />
noch unbestimmbare Keramik, zahlreiche Tierknochen (Sonderfunde:<br />
Unterkiefer eines Geparden, Hornzapfen eines großen afrikanischen Büffels<br />
mit Sägespuren), Muschel und Meeres- wie Festlandsschnecken umfassen.<br />
Dabei sind Konzentrationen zu beobachten: römische und phönizische<br />
Funde im Südsektor der Insel, islamische im Nordsektor und<br />
mittelpaläolithische gemeinsam mit römischen im Nordostsektor. Eine<br />
Nekropole, die aus mindestens 24 Gräbern besteht, wurde im Nordsektor<br />
dokumentiert. Ihre Datierung ist vorerst unsicher, ihre Zuweisung mit<br />
großer Wahrscheinlichkeit islamisch.<br />
- ca. 2/3 der Oberfläche der Insel wurden erstmalig vermessen. Die Arbeit<br />
wurde von dem Vermessungstechniker Chr. Hartl-Reiter durchgeführt. Der<br />
Plan mit den 1-Meter-Höhenlinien liegt vor. Das fehlende Drittel soll 2007<br />
vermessen werden.<br />
- Im Südsektor der Insel wurden drei für die geophysikalische Untersuchung<br />
bestimmte, mit einer dichten Macchia bewachsene Areale gerodet.<br />
- Sieben archäologisch besonders interessant erscheinende Areale der Insel<br />
wurden mit Geomagnetik und Georadar prospektiert. Strukturen zeichnen<br />
sich in einer Tiefe zwischen 50 und 150 cm vor allem im südlichen Teil der<br />
Stand: 11/2007 38
Insel nördlich der natürlichen Hafenbucht ab. Hier könnte es sich um<br />
kleinräumige, terrassenförmig angelegte Häuser handeln, eine nähere<br />
Interpretation ist noch nicht möglich, der geophysikalische Bericht ist noch<br />
in Bearbeitung.<br />
- Erste geomorphologische Untersuchungen wurden von H. Brückner und J.<br />
Lucas im Mündungsbereich des Oued Ksob, bei den Sümpfen im Nordosten<br />
von Essaouira und auf der Insel durchgeführt. Bereits im Gelände konnte<br />
die Verlagerung der Flussmündung festgestellt werden ebenso wie marine<br />
Sedimente im Bereich der Sümpfe nordwestlich von Essaouira. Sie<br />
bezeugen die – zeitlich freilich noch nicht bestimmbare – Ausdehung der<br />
Meeresbucht nach Osten. Spuren des veränderten Meersspiegels wurden u.<br />
a. auch an historischen Bauten dokumentiert, so an Borj Baroud, einer<br />
Ruine des 18. Jahrhunderts am südlichen Ufer der Bucht.<br />
- Im Hinterland wurden Prospektionen durchgeführt. Die Provinz Essaouira ist<br />
ein archäologisches Neuland. Für das Verständnis der historischen<br />
Entwicklung, die zur phönizischen Niederlassung auf der Insel Mogador<br />
führte, ist die Kenntnis der Besiedlungs- und Landschaftsgeschichte der<br />
Region Essaouira ausschlaggebend. Dabei sollte nicht nur das gesamte<br />
Holozän Beachtung finden, sondern auch vorangehende Epochen, die durch<br />
Oberflächenfunde auf der Insel ab dem Mittelpaläolithikum belegt sind.<br />
In einem Umkreis von ca. 30 km wurden zahlreiche archäologische Fundplätze<br />
dokumentiert. Sie lassen Abschnitte der Besiedlungsgeschichte der Region bis<br />
in das Epipaläolithikum verfolgen. Neben mehreren Höhlen und den bis ins<br />
Epipaläolithikum reichenden Oberflächenfunden in ihrem Umfeld, sind ein<br />
möglicherweise bronzezeitlicher Steinkreis (Grabanlage?) sowie große<br />
Schlackenhalden bei Ain el-Hajar am Fuß des Jebel el Hadid hevorzuheben.<br />
Hier wurden im November des Jahres geomagnetische und geoelektrische<br />
Prospektionen durchgeführt, deren Ergebnisse in Bearbeitung sind.<br />
Erste Fragestellungen<br />
Die erste Kampagne galt Prospektionen, sodass noch keine aussagefähigen<br />
Ergebnisse vorliegen. Es können vorerst nur Fragen angeführt und mögliche<br />
Richtlinien gesetzt werden.<br />
Die kleine Insel ist einerseits ein in sich geschlossener, durch den<br />
dominierenden Atlantik scharf begrenzter Raum, anderseits ist sie nicht<br />
isoliert, sondern nur als Teil eines Großraumes zu verstehen, zu dem das<br />
Hinterland ebenso wie der Atlantik gehörten.<br />
Die extreme Lage am Rande der Antiken Welt 1000 km südlich der Säulen des<br />
Herakles, ihr offensichtlicher Bezug zu weit reichenden Handelswegen, ihre<br />
Funktion als Verbindung zwischen afrikanischen Karawanen- und atlantischen<br />
Seerouten lässt im 7. Jahrhundert v. Chr. Verbindungen entstehen, deren<br />
äußerste Posten im Vorderen Orient und in Zentralafrika liegen, wobei sich die<br />
Apoikía Gadir als westliche Vormacht abzuzeichnen scheint.<br />
Die Insellage stellt für eine phönizische Niederlassung im Westen zwar eine<br />
Ausnahme, aber keinen Einzelfall dar, sie lässt sich für dieselbe Zeit u. a. mit<br />
Rachgoun (Algerien) und dem Cerro del Villar (Spanien) vergleichen.<br />
Hafenstellen bzw. Anlegeplätze sind sowohl auf der Insel wie auch auf dem<br />
Festland ausfindig zu machen. Dafür sind archäologische, geomorphologische<br />
und submarine Untersuchungen geplant. Vergleiche mit vorrömischen<br />
Handelsplätzen an der westlichen Mittelmeer- und Altantikküste zeigen, dass<br />
bauliche Strukturen mit großer Wahrscheinlichkeit auch hier nicht zu erwarten<br />
sind. Es geht ausschließlich um den Nachweis von günstigen Anlegeplätzen.<br />
Wie war die Insel gegliedert? Lassen sich unterschiedliche Nutzungsräume<br />
erkennen? Befand sich auf der Insel außer der Ansieldung auch eine<br />
Stand: 11/2007 39
phönizische Nekropole? Gehören die Häuser, die sich geophysikalisch im<br />
Südwesten nachweisen lassen, zu einer geplanten Anlage? Liegen bei den<br />
Bauten Einheitsmaße vor, welche auf die Ursprungsregion der Bauherren<br />
verweisen und auf die Verteilung des Besitzes schließen lassen?<br />
Mit einem Heiligtum ist zu rechen, unter dessen Schutz sich die Kontakte mit<br />
der einheimischen Bevölkerung abgespielt haben. Ein 1958 ausgegrabener<br />
(heute verschollener) Baitylus weist auf einen sakralen Bereich im Südwesten<br />
der Insel. Die breitrandigen Teller mit eingeritzten Theonymen, bei denen<br />
Astarte und Melqart vorherrschen, könnten hierfür ein weiteres Indiz<br />
darstellen.<br />
Die Süßwasserversorgung mit all ihren sozialen und wirtschaftlichen<br />
Implikationen stellt eine offene Frage dar. Quellen sind bisher auf der Insel<br />
nicht ausfindig gemacht. Die Insel bietet keine Ressourcen. Auch für eine<br />
kleine Bevölkerungsgruppe war eine Versorgung von außen notwendig. Die<br />
Beschaffung von Getreide, Holz u. a. war über das Festland kontinuierlich zu<br />
gewährleisten. Die fischreichen Meeresgründe bieten Handelsgut (in punischer<br />
und römischer Zeit durch Garumamphoren belegt), das Salz die dafür<br />
notwendigen Konservierungsmittel. Waren die (nach geomorphologischen<br />
Kriterien in der Antike wahrscheinlichen) Salinen im Umfeld von Essaouira im<br />
Besitz der einheimischen Bevölkerung oder wurden sie von den Phöniziern<br />
bewirtschaftet? Verfügte die phönizische Faktorei über ein Territorium oder war<br />
sie in eine einheimische Siedlungskammer integriert? Sind hierbei<br />
Veränderungen im Laufe der Zeit geschehen? Lag außer der Ansiedlung auf der<br />
Insel eine weitere auf dem gegenüberliegenden Festland?<br />
Es müssen die Handelswaren definiert werden, die den Kontakt zwischen den<br />
Phöniziern und der einheimischen Bevölkerung so begehrenswert machten. Das<br />
weithin verhandelte Elfenbein war sicher nur eine der wertvollen Waren, das<br />
bernsteinähnliche Harz der im Umland wachsenden tuya berberiska/citrus nicht<br />
das einzige schwer nachweisbare mögliche Exportprodukt.<br />
Auf die Bedeutung des Eisens und seiner Verarbeitung weisen Schlacken und<br />
Tondüsen, die bei den Ausgrabungen der 50er Jahre in Schichten der Mitte des<br />
7. Jhs. v. Chr. zum Vorschein kamen. Die Untersuchungen der<br />
Schlackenhalden bei Ain el-Hajar am Fuß des Jebel el Hadid lassen Ergebnisse<br />
zur Herkunft der Erze erwarten, die auf der Insel verarbeitet wurden. Ein<br />
Vergleich mit gleichzeitigen phönizischen Niederlassungen im Westen lässt die<br />
räumliche Nähe zu Eisenerzvorkommen erkennen, wobei bei der geringen<br />
Produktion die Bedeutung der Technologie vorrangig erscheint.<br />
Methoden<br />
Es handelt sich um ein internationales und interdisziplinäres Projekt, an dem<br />
bei der ersten Kampagne außer Archäologen, Geomorphologen (Prof. Helmut<br />
Brückner, Julius Lucas, Universität Marburg/Lahn) und Geophysiker (easternatlas,<br />
Berlin) teilgenommen haben, wobei für die kommenden Kampagnen, die<br />
nicht nur Prospektionen, sondern auch Ausgrabungen gelten sollen, auch<br />
Bauforschung und naturwissenschaftliche Disziplinen (u. a. Zoologie, Botanik)<br />
vertreten sein werden.<br />
Es werden Satelliten- und Luftbilder ausgewertet: Veränderungen im<br />
Landschaftsbild und zahlreiche bisher unbekannte Siedlungsplätze sind bereits<br />
nach einer ersten Durchsicht zu erkennen.<br />
Eine submarine Prospektion ist geplant, vorbereitende Studien sind im Gang.<br />
Zusammenfassend<br />
Die Insel und ihr Umland, ihre Genese und Funktion, ihre Gestaltung und<br />
Entwicklung, ihre wirtschaftliche und politische Bedeutung stehen in engem<br />
Stand: 11/2007 40
wechselseitigen Bezug zueinander. Ihre Besiedlungs- und<br />
Landschaftsgeschichte ist als dynamischer Prozess zu verstehen, der mit dem<br />
ersten Auftreten des Menschen in der Region beginnt und in der Neuzeit endet.<br />
Unter Berücksichtigung der Gesamtentwicklung wird die „Zeit der Phönizier“<br />
besonders beachtet, weil sich in dieser Epoche durch den ersten direkten<br />
Kontakt fremder Kulturen kulturelle Ausprägungen mit besonderer Prägnanz<br />
fassen lassen. Sie betreffen u. a. die Nutzung, Gliederung und Gestaltung von<br />
Territorien, die Entfaltung gesellschaftlicher und politischer Strukturen, die<br />
Ausbeutung von Ressourcen, die Entwicklung von neuen Kommunikations- und<br />
Handelsformen.<br />
Bei alldem ist zu beachten, dass es sich bei diesem Raum um ein<br />
archäologisches Neuland handelt.<br />
Ansprechpartner:<br />
PD Dr. Dirce Marzoli (E-Mail: marzoli@madrid.dainst.org)<br />
Dr. Josef Eiwanger (E-Mail: eiwanger@kaak.dainst.de)<br />
INGO MOTZENBÄCKER (Eurasien-Abteilung)<br />
Landschaftsarchäologie in Südkaukasien: Grabung und Prospektionen<br />
in der bronze-früheisenzeitlichen (16./15.-8./7. Jh. v. Chr.) Siedlung<br />
Tachti Perda / Ostgeorgien<br />
Kaukasien bildet geographisch eine „Brücke“ und kulturell eine „Drehscheibe“,<br />
über die im Altertum Einflüsse zwischen den südlichen altorientalischen<br />
Zivilisationen einerseits und den nördlich des Gebirges beheimateten<br />
Steppenkulturen Eurasiens andererseits vermittelt wurden. Kaukasien ist<br />
geographisch durch das erzreiche große Kaukasusgebirge in eine Nord- und<br />
Südhälfte und durch die Flusssysteme von Kuban und Terek im Norden sowie<br />
Rioni und Kura im Süden in eine West- und Osthälfte gegliedert. In diesem<br />
geographischen Raster nimmt das Gebiet des heutigen Staates Georgien eine<br />
gewisse Schlüsselstellung ein. Eingebettet zwischen die Gebirge des Großen<br />
(im Norden) und Kleinen (im Süden) Kaukasus, im Westen begrenzt vom<br />
Schwarzen Meer, im Osten von den heutigen Grenzen der Republik<br />
Azerbajdžan, umfasst das Staatsgebiet der heutigen Republik Georgien jene<br />
Landschaften, die in archäologischer und kulturhistorischer Hinsicht als<br />
Schlüsselregionen verstanden werden dürfen, bilden diese doch im zweiten<br />
(mittlere und späte Bronzezeit) und im frühen ersten Jahrtausend v. Chr.<br />
(ältere Eisenzeit) das nördliche „Hinterland“ zu den altorientalischen<br />
Zivilisationen der Hethiter, Mitanni, Assyrer, Urartäer, Meder und Perser.<br />
Von nicht geringerem Interesse sind dabei selbstverständlich auch die<br />
Beziehungen zu den damals nördlich des Großen Kaukasus lebenden Stämmen,<br />
wie etwa den frühen Reiternomaden, z. B. den Skythen. Eine der<br />
Schlüsselregionen, die bezüglich dieser Fragen nach Akkulturationen,<br />
Transkulturationen und Migrationen, wie von der bisherigen Forschung<br />
postuliert, Auskunft geben kann, ist die östlichste georgische Provinz<br />
Kachetien. Diese Region im östlichen Südkaukasien bildet eine<br />
Siedlungskammer, die durch die Einzugsgebiete der Flüsse Iori im Süden und<br />
Alazani im Norden, die beide in den Kura (Kyros) münden, gegliedert wird.<br />
Dadurch ist die Verbindung nach Süden, nach Armenien, Ostanatolien,<br />
Azerbajdžan und Nordwestiran, somit in das zuvor erwähnte Siedelgebiet der<br />
Hethiter, Mitanni, Assyrer, Urartäer, Meder und Perser gegeben. Eine weitere<br />
wesentliche Frage ist die nach der Ausnutzung und Verteilung der in Kaukasien<br />
Stand: 11/2007 41
eichlich vorhandenen Rohstoffe, wie etwa Metallerzen und Obsidian, die über<br />
weite Strecken verhandelt worden sind.<br />
Bevor jedoch diese Fragen sinnvoll beantwortet werden können, sind in dieser<br />
Region noch erhebliche chronologische Probleme zu lösen. Denn trotz der<br />
zahlreichen archäologischen Quellen, die gerade in Kachetien besonders reich<br />
sprudeln, und trotz jahrzehntelanger intensiver Forschungen bestehen<br />
insbesondere für die Chronologie des 2. Jahrtausends v. Chr. in diesem Raum<br />
noch erhebliche Unklarheiten. Die bisherige Forschung konzentrierte sich auf<br />
Grabfunde, die hier für die genannten Zeitperioden in die Hunderte gehen,<br />
während die archäologische Untersuchung von Siedlungen erst nach der<br />
welthistorischen Wende 1989/1990, nach dem Ende der Sowjetunion, durch<br />
die Beteiligung von ausländischen, besonders deutschen Wissenschaftlern<br />
intensiviert wurde. Denn Siedlungen, die über einen langen Zeitraum bewohnt<br />
waren, bieten die besten Voraussetzungen für die genaue Altersbestimmung<br />
von aufeinander folgenden Kulturphänomenen. Der für die gegenwärtigen<br />
Ausgrabungen und Prospektionen ausgewählte mehrschichtige Siedlungsplatz<br />
Tachti Perda bei der Stadt Dedopliscqaro in Kachetien erfüllt diese<br />
Bedingungen optimal, liegt er doch verkehrstechnisch und strategisch günstig.<br />
Von hier ließen sich die Wege nach Westen in Richtung der heutigen Stadt<br />
Tbilisi, nach Norden in das Alazani-Tal, nach Süden in das Iori-Tal und<br />
schließlich nach Osten zur Širaki-Hochebene kontrollieren. Zudem befindet er<br />
sich in Nachbarschaft zu zwei Bergheiligtümern, dem Gochebi-Berg im Norden<br />
und dem Elias-Berg im Osten. Die Siedlung besteht aus einem ca. 20 m hoch<br />
aufragenden, ca. 200 m breiten trapezförmigen Hügel, der im Norden auf<br />
halber Höhe künstlich terrassiert worden ist, sowie aus einem nördlich<br />
vorgelagerten, mindestens 10 ha umfassenden Terrain.<br />
Nach vorbereitenden Begehungen, Sondagen und Vermessungen in den Jahren<br />
2002 und 2003 wird diese Siedlung seit Sommer 2004 systematisch<br />
ausgegraben. Der Hügel selbst umfasst mehrere mächtige Schichten der<br />
älteren Eisenzeit (10.-8./7. Jh. v. Chr.) sowie der späten und mittleren<br />
Bronzezeit (17.-1l. Jh. v. Chr.). Der hier bislang wichtigste Befund ist eine<br />
spätbronzezeitliche Mauer (ca. 14.-1l. Jh. v. Chr.), die rings um die<br />
Hügelkuppe führt. Neben einer Fundamentierung aus großen Kalksteinblöcken<br />
zeigt diese etwa vier Meter breite Maueranlage einen komplizierten Aufbau aus<br />
Lehm, Holzpfosten, Steinen und Lehmziegeln. Diese Mauer wie auch die<br />
Siedlung auf dem Hügel ist wahrscheinlich zum Ende der Bronzezeit Opfer<br />
einer verheerenden Brandkatastrophe geworden.<br />
Sowohl diese Maueranlage als auch die imposante Topographie und die Größe<br />
des Platzes deuten darauf hin, dass es sich bei dieser Siedlung im Altertum um<br />
einen zentralen Ort von möglicherweise überregionaler Bedeutung gehandelt<br />
haben dürfte, der in eine befestigte „Ober-“ und „Unterstadt“ gegliedert war.<br />
Auch der Fundstoff (Keramiktypen, Bronzen, Obsidiangeräte) aller bislang<br />
erfassten Zeitstufen lässt Fernbeziehungen vor allem nach Süden, nach<br />
Armenien und Azerbajdžan, möglicherweise auch nach Iran erkennen.<br />
Für derartige landschaftsarchäologische Untersuchungen sind moderne<br />
Prospektionsmethoden, wie geophysikalische Bodenwiderstandsmessungen und<br />
Erkundungen aus der Luft von besonderer Bedeutung. Deshalb wurden in<br />
Kooperation mit Dr. Baoquan Song, <strong>Institut</strong> für Archäologische Wissenschaften<br />
der Ruhr-Universität Bochum, geophysikalische Prospektionen sowie eine erste<br />
Befliegung der Region durchgeführt. Mit geomagnetischen Messungen wurde<br />
im letzten Jahr der gesamte Siedlungshügel und in diesem Jahr dessen<br />
nördliches Umfeld erhellt (bislang insgesamt 7 ha). Die Geomagnetik-<br />
Messungen auf dem Terrain nördlich des Hügelfußes von Tachti Perda zeigten<br />
Spuren einer vorgelagerten Siedlung mit Öfen sowie Stein- und<br />
Stand: 11/2007 42
Lehmbaustrukturen, welche durch Bohrkernanalyse bestätigt wurden.<br />
Nordwestlich dieses Areals konnte ein bereits teilweise ausgegrabenes<br />
Gräberfeld geomagnetisch untersucht werden. Dort zeigten sich Strukturen, die<br />
auf weitere bisher noch unentdeckte Gräber hinweisen. Aufgrund der<br />
getätigten Lesefunde, im wesentlichen charakteristische Keramikscherben,<br />
dürfte es sich dabei um ältereisenzeitliche Siedlungsreste handeln, die mit den<br />
oberen Schichten der „Oberstadt“ sowie den bereits bekannten Grabfunden aus<br />
der Nachbarschaft der Siedlung korrelieren. Durch die erste Befliegung konnten<br />
zwischen der Širaki-Hochebene, dem Fundort Tachti Perda und der modernen<br />
Stadt Sighnaghi auf einem ca. 500 Quadratkilometer großen Areal bereits<br />
bekannte Fundstellen aus der Luft dokumentiert werden; aber auch bislang<br />
unbekannte Bodendenkmäler wie Höhensiedlungen oder Hügelgräber wurden<br />
entdeckt und fotografiert.<br />
Methoden:<br />
- Fortsetzung der Ausgrabung mit Schwerpunkt auf die durch die<br />
geomagnetischen Messungen erkannten Strukturen,<br />
- ergänzende geomagnetische Messungen in den noch nicht erfassten<br />
Bereichen des Nordterrains,<br />
- eine intensive Befliegung des Geländes um die Siedlung Tachti Perda. Die<br />
neuen Luftbilder sowie die älteren, im Luftbildarchiv des „<strong>Institut</strong>s für<br />
Archäologische Forschung“, Tbilisi, vorhandenen, sollen zum Aufbau eines<br />
Archäologischen Informationssystems auf der Grundlage eines GIS<br />
eingesetzt werden. Im Anschluss daran soll die individuelle Visualisierung<br />
ausgewählter Objekte bzw. eine 3D-Modellierung des Arbeitsgebietes<br />
(hybride Landschaftsmodellierung) vorgenommen werden, und zwar nicht<br />
als medienwirksame Präsentation, sondern als heuristisches Mittel zum<br />
Verständnis der Raumbezüge.<br />
Einbindung in Cluster 3:<br />
Da das Ziel der Untersuchungen ist, exemplarisch die natürlichen,<br />
ökonomischen und symbolischen Strukturen einer definierten Mikroregion im<br />
späten 2. Jt. v. Chr. hinsichtlich Grenzen (ummauerte „Oberstadt“; Tachti als<br />
Marke), sozialer Hierarchien (Zentraler Ort) und symbolischer Raumbezüge<br />
(Höhenheiligtümer) zu erfassen, erklärt sich sein Bezug zu Forschungsfeld 1<br />
„Erschließung von Räumen“ in Cluster 3, in dem hier spezifische archäologische<br />
Objekte in schriftloser Zeit in einer definierten Region, die sich im<br />
Spannungsfeld zwischen altorientalischen Zivilisationen einerseits und den<br />
Kulturen der eurasischen Steppen andererseits befinden, räumlich zu verorten<br />
sind.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Ingo Motzenbäcker (E-Mail: imo@eurasien.dainst.de)<br />
WOLF-DIETRICH NIEMEIER, IVONNE KAISER, JUTTA STROSZECK (Abteilung Athen)<br />
Der Kerameikos von Athen und seine Straßen: Raum, Verwendung,<br />
Entwicklung und Denkmäler<br />
Lage:<br />
Das heute unter dem Namen Kerameikos bekannte Ausgrabungsgelände<br />
umfasst nur einen kleinen Teil des antiken Demos Kerameis, der sich von der<br />
Agora bis zur ca. 3 km entfernten Akademie erstreckte. Im<br />
Ausgrabungsgelände des Kerameikos ist ein Teil der antiken Stadtmauer<br />
Stand: 11/2007 43
erhalten, die den „inneren Kerameikos“ vom „äußeren Kerameikos“ teilt. Durch<br />
die Mauer führten im Abstand von 40 m zwei Tore, das Heilige Tor und das<br />
Dipylon. Die Heilige Straße und die Kerameikos-Straße verbinden den<br />
„inneren“ mit dem „äußeren“ Kerameikos.<br />
1. Die Heilige Straße<br />
Die Heilige Straße im Bereich des Heiligen Tores ist eng mit der Geschichte des<br />
Heiligen Tores verknüpft. Themistokles ließ das Heilige Tor im Zusammenhang<br />
mit der neuen Stadtmauer 479/478 v. Chr. errichten. In diese Zeit fällt auch<br />
die durch das Tor vorgegebene architektonische Fassung der Heiligen Straße,<br />
auf welcher sich die Prozession vom und zum ca. 20 km entfernten Heiligtum<br />
der Demeter in Eleusis bewegte. War das Gebiet des Kerameikos vor den<br />
Perserkriegen hauptsächlich Nekropole, so wurde mit dem Bau der Stadtmauer<br />
und -tore und der damit einhergehenden Anlage der Straßen der politische<br />
Raum der Polis Athen nach Westen erweitert.<br />
Die Grabungen an der Heiligen Straße im Bereich des Heiligen Tores wurden<br />
von 2002 bis 2005 durchgeführt, während ihre wissenschaftliche Auswertung<br />
noch andauert. Anlass für die Grabungen war zunächst die Klärung von<br />
Datierungsfragen zu den Bauphasen des Heiligen Tores für die Publikation<br />
desselben durch Dr. Gerhard Kuhn (Marburg). Die bei diesen Grabungen 2002<br />
unter der themistokleischen Straße zutage gekommenen archaischen<br />
Skulpturen, u. a. ein Kouros, bestimmten die Fragestellungen der darauf<br />
folgenden Kampagnen. Es zeigte sich, dass die Heilige Straße nach Westen hin<br />
nicht nur viele Ausbesserungen von Fahrspuren und dergleichen aufwies,<br />
sondern auch durch massivere Bauaktivitäten gestört war. So fand sich<br />
unmittelbar vor dem Heiligen Tor stadtauswärts, inmitten der Heiligen Straße<br />
gelegen, eine unterirdische Wasserreinigungsanlage, aus der durch eine<br />
Brunnenöffnung Wasser geschöpft werden konnte. Diese steht wahrscheinlich<br />
in Zusammenhang mit einem um 410/400 v. Chr. zu datierenden Altar, der an<br />
der Stelle des um 300 v. Chr. erbauten Proteichismas stand. In die Zeit der<br />
Erbauung des Proteichismas fallen auch die Verfüllung der Wasseranlage und<br />
die Demontage des Altars.<br />
Fragestellungen:<br />
1. Die archaischen Skulpturen dienten in ihrer Zweitverwendung zur<br />
Befestigung der Furt über den Eridanos. Es bleibt die Frage nach dem<br />
ursprünglichen Aufstellungsort der Skulpturen zu klären, die aufgrund ihres<br />
Gewichtes nicht von sehr weit transportiert worden sein konnten. Gab es<br />
also schon in archaischer Zeit Grabbezirke, wie wir sie sonst erst aus dem<br />
5. und 4. Jh. v. Chr. kennen, in unmittelbarer Umgebung der Heiligen<br />
Straße?<br />
2. Ist die unterirdische Wasserreinigungsanlage für kultische Handlungen am<br />
direkt daneben gelegenen Altar gebaut worden?<br />
3. Welche politische Motivation führte dazu, dass der an prominenter Stelle<br />
gelegene Altar nicht mehr genutzt wurde und stattdessen das Proteichisma<br />
errichtet wurde?<br />
4. Wie griff die Brunnenöffnung der Wasserreinigungsanlage inmitten der<br />
Heiligen Straße in den Alltag der Straße ein, die zum Transport von<br />
Menschen, Wagen und Vieh diente?<br />
5. Wie wurden die Denkmäler am Straßenrand wahrgenommen? Bedeuteten<br />
diese Denkmäler, dass auf der Straße mehr Aktionsraum für einzelne<br />
Stand: 11/2007 44
Gruppen geschaffen wurde? Wie interagierten diese Gruppen, so dass die<br />
eigentliche Funktion der Straße als Verkehrsweg bestehen blieb?<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Wolf-Dietrich Niemeier (E-Mail: niemeier@athen.dainst.org)<br />
Dr. des. Ivonne Kaiser (E-Mail: kaiser@athen.dainst.org)<br />
2. Die Kerameikos-Straße vor dem Dipylon<br />
Begriff<br />
Der Begriff Kerameikos wird in klassischer Zeit auf das Areal der Straße<br />
zwischen Akademie und Agora bezogen, seine Bedeutung ändert sich jedoch im<br />
Lauf der Zeit. Die deutschen Ausgrabungen im Kerameikosgelände (gemeint ist<br />
hier der neuzeitliche Kerameikos als archäologischer Park) bieten die<br />
Möglichkeit, einen Teil dieser antiken Straße zu untersuchen. Zum Gelände<br />
gehören das Stadttor, das über der Straße errichtet wurde, sowie ein ca. 150<br />
m langer Abschnitt der Straße vor dem Tor einschließlich der Bebauung entlang<br />
des südwestlichen Straßenrandes.<br />
Quellen<br />
Aus den antiken Quellen ist bekannt, dass entlang dieser Straße und vor dem<br />
Dipylon Gräber für Personen angelegt worden sind, deren Handlungen zu<br />
Lebzeiten auf ganz unterschiedliche Weise identitätsstiftende Wirkung für die<br />
Polis Athen hatten oder die sich sonst um die Stadt verdient gemacht hatten,<br />
darunter gefallene Athener, Feldherren, Politiker, Olympiasieger und berühmte<br />
Künstler.<br />
Aussehen der Straße<br />
Die Kerameikosstraße war vor dem Tor mehr als 40 m breit. Das entspricht<br />
dem Abstand der Grenzsteine beiderseits des Dipylon vor der Stadtmauer.<br />
Diese Breite ist durch die Grabungen von Dieter Ohly auch noch 70 m vor der<br />
Toranlage archäologisch nachgewiesen. Im landseitigen Tordurchgang verengte<br />
sie sich auf 18 m.<br />
Schon allein diese monumentalen Ausmaße unterscheiden diese Straße von<br />
allen anderen bekannten antiken Straßen: Normalerweise waren Straßen 3-5<br />
m breit, seltener 8-10 m. Die große Hauptstraße in Alexandria war 30 m breit.<br />
Eine so breite Straße vor dem Haupttor einer Stadt war im Verteidigungsfall<br />
von Nachteil. Es müssen daher gewichtige Argumente für den Ausbau der<br />
Straße im letzten Viertel des 5. Jhs. gegolten haben.<br />
Funktion der Straße<br />
Aus der enormen Breite der Straße ist klar, dass es sich hier nicht um eine<br />
normale Straße handeln kann, die nur die üblichen Funktionen hatte<br />
(Verkehrsweg für Reise und Transport). Verwaltet wurde der antike<br />
Kerameikos von der Stadt. Darauf weisen die Stelen mit der Inschrift ΟΡΟΣ<br />
ΚΕΡΑΜΕΙΚΟΥ hin, die um 350 v. Chr. entlang der Straßenränder aufgestellt<br />
worden sind. Die Polis war damit für alle Belange der Straße und der Bauten<br />
entlang der angrenzenden Straßenränder zuständig. Der von der Polis<br />
geschaffene und begrenzte Raum vor dem Dipylon stand den Bürgern für<br />
verschiedene Nutzungsweisen zur Verfügung:<br />
Zum Beispiel war die Straße in ganzer Länge Veranstaltungsort von Agonen, im<br />
Besonderen von Fackelläufen, die unter anderem im Rahmen des Staatskultes<br />
der Panathenäen stattfanden und an denen das ganze Volk als Zuschauer<br />
beteiligt war. Auch bei anderen Staatskulten spielte die Straße eine Rolle, z. B.<br />
Stand: 11/2007 45
ei den Kultfesten für Dionysos Eleuthereus. An den im Lauf der Zeit entlang<br />
der Straße errichteten Grabdenkmälern wurden jährliche Gedenkfeiern<br />
abgehalten, z. B. fanden regelmäßig Riten am Polyandrion der Athener statt.<br />
Durch diese gemeinsam, z. T. auch unter Beteiligung der Frauen, vollzogenen<br />
Rituale wurden die Strukturen der athenischen Gesellschaft ausgedrückt und<br />
durch die Wiederholung dauerhaft gefestigt.<br />
Archäologische Untersuchungen<br />
Die Ausgrabungen an der Kerameikosstraße wurden 1914 von Alfred Brueckner<br />
begonnen und mit Unterbrechungen, u. a. durch die beiden Weltkriege, bis<br />
1974 fortgesetzt, sie sind aber großenteils unpubliziert geblieben.<br />
Seit 1998 durchgeführte Nachgrabungen ergänzen die vorliegende<br />
Dokumentation mit dem Ziel der Publikation. Auf zwei besonders bedeutende<br />
Phasen bzw. Abschnitte in der Geschichte der Straße konzentrieren sich die<br />
Untersuchungen derzeit:<br />
1. Die durch Xenophon, Hellenika 2,4,33 bezeugten und von Alfred Brueckner<br />
wiedergefundenen Lakedaimoniergräber, die im Jahr 403 v. Chr. während<br />
des athenischen Bürgerkrieges am südwestlichen Straßenrand angelegt<br />
wurden. Besonders deutlich lassen sich an diesem Monument in<br />
prominenter Lage die Vorgänge in Athen, ein Jahr nach der Niederlage der<br />
Stadt gegen Sparta, zeigen, unter anderem<br />
- an den durch die Grabungsphotos dokumentierten Beisetzungsriten<br />
sowie<br />
- an den unpublizierten keramischen Bestandteilen eines Opfers, das an<br />
dieser Grabanlage dargebracht wurde.<br />
Mit dieser Grabanlage wurde dem vormaligen Gegner aller Athener und<br />
aktuellen Bundesgenossen einer Bürgerkriegspartei ein Areal an<br />
prominenter Stelle eingeräumt. Dieser Vorgang ist im Einzelnen noch nicht<br />
ausreichend untersucht und gewürdigt.<br />
2. In der frühen römischen Kaiserzeit entstanden vor dem Dipylon – und,<br />
soweit bislang bekannt ist, ausschließlich vor diesem Tor der Stadt –<br />
mehrere monumentale Grabbauten in der Art der Grabbauten in Kifissia und<br />
Chalandri bzw. des Philopapposmonuments, also eines Grabtypus, der bis<br />
dahin in Athen keine Tradition hatte. In der Stadt galten vielmehr seit 317<br />
v. Chr. strenge Auflagen bezüglich der Grabformen, die die Ausbildung<br />
aufwendiger Denkmäler verhinderten. Außerdem ist durch die Inschrift auf<br />
dem Epistyl eines solchen Grabbaues, die im Kerameikos gefunden wurde,<br />
die Bezeichnung „Heroon“ belegt. Die Auswahl des Platzes vor dem Dipylon<br />
ist sicher nicht zufällig und ist ohne die besondere Tradition dieser Straße<br />
und ohne die Funktionen, die sie – wenn auch verändert – weiterhin für die<br />
Bürger der Stadt hatte, nicht erklärbar.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Jutta Stroszeck (E-Mail: stroszeck@athen.dainst.org)<br />
HERMANN PARZINGER, ANATOLI NAGLER (Zentrale)<br />
Skythenzeitliche Eliten im kazachischen Siebenstromland<br />
Die eurasische Steppe bietet beträchtliches Potential für Untersuchungen zu<br />
Forschungsfeld 1, der Erschließung und Nutzung von Räumen. Eine ideale<br />
Modellregion für derartige Betrachtungen ist das im Südosten des heutigen<br />
Kazachstan gelegene Siebenstromland, in dem ab 2008 ein umfassendes<br />
Forschungsvorhaben beginnen soll. Dabei handelt es sich um einen klar<br />
Stand: 11/2007 46
egrenzten Lebensraum mit einer einmaligen Konzentration von Denkmälern<br />
vieler Perioden. Im Gegensatz zu den offenen Steppen weiter Teile Eurasiens<br />
wird dieses Gebiet von fruchtbaren Flusstälern durchzogen, die eine<br />
landwirtschaftliche Entwicklung begünstigten. Das Nebeneinander von<br />
Viehzucht und Ackerbau dürfte die wirtschaftlichen Grundlagen dieser<br />
Landschaft von Anfang an geprägt haben, doch ist es noch kaum erforscht,<br />
obwohl die naturräumlichen Voraussetzungen ein solches Nebeneinander<br />
geradezu bedingten. Hinzu tritt eine bevorzugte verkehrsstrategische Lage, die<br />
neben Gütertausch auch intensivere Kulturkontakte ermöglichte, und zwar von<br />
den Hochkulturen Chinas aus durch die Dsungarische Pforte und entlang des<br />
Ili-Flusses in den Südosten Kazachstans. Dort entstand in skythischer Zeit die<br />
sog. sakische Kultur.<br />
Das Siebenstromland gehört zu jenen Regionen des eurasischen<br />
Steppengürtels, die in der Zeit des Reiterkriegernomadismus neben<br />
Grabanlagen auch Siedlungsstellen liefern und somit ein vielseitigeres Bild der<br />
archäologischen Überlieferung bieten als andere Teile der Steppe. Die<br />
Niederlassungen treten jedoch erst allmählich zutage und zeigen einmal mehr,<br />
dass die von der früheren Forschung skizzierten Bilder nur bedingt tragfähig<br />
sind. Es liegt eine kontinuierliche Kultur- und Siedlungsentwicklung besonders<br />
seit der Bronzezeit vor. Erst an ihrem Ende vollzieht sich jener tiefgreifende<br />
Wandel, den wir in nahezu allen Teilen des eurasischen Steppengürtels fassen:<br />
Reiternomadische Kulturverhältnisse entstehen, die ihren Ausdruck in einer<br />
teilweise veränderten Wirtschaftsform, besonders aber in einer beispiellosen<br />
sozialen Stratifizierung, sichtbar an monumentalen Grabanlagen mit<br />
prunkvollen Beigabenausstattungen, sowie in einer aus älteren Wurzeln<br />
erwachsenen neuen Kunstform, dem Tierstil, finden.<br />
Die gesteigerte Mobilität der Reiternomaden bewirkte neue Formen des<br />
Raumverständnisses sowie der Erschließung und Nutzung von Räumen. Ein<br />
tieferes Verständnis davon, wie der Raum in Besitz genommen, strukturiert<br />
und genutzt wird, läßt den hinter dem Beginn des Reiternomadentums<br />
stehenden kulturellen Wandel besser begreifbar machen. Insbesondere die<br />
Verteilung von Kurgan-Gräberfeldern und die Erfassung der inneren Struktur<br />
großer, für ihre jeweilige Region zentraler Nekropolen wird wichtige<br />
weiterführende Einblicke gestatten, die durch die gezielte Ausgrabung einzelner<br />
Kurgane ergänzt werden sollen. Zentrale Frage wird dabei sein, wie sich das<br />
Auftreten neuer Eliten in der Gestaltung und Nutzung von Räumen auswirkt.<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Hermann Parzinger (E-Mail: praesident@dainst.de)<br />
FELIX PIRSON (Abteilung Istanbul)<br />
Pergamon: Eine hellenistische Residenzstadt und ihr Umland<br />
Zusammenfassung<br />
Die antike Stadt Pergamon an der Westküste Kleinasiens blickt auf eine<br />
bewegte Siedlungsgeschichte zurück, die den Wandel von Stadtformen unter<br />
wechselnden historischen Rahmenbedingungen anschaulich illustriert (3. Jh. v.<br />
Chr. – 14. Jh.). Im Mittelpunkt der aktuellen Arbeiten steht die Rekonstruktion<br />
der hellenistischen Stadt als Gesamtorganismus, so dass Genese und Nutzung<br />
verschiedenartiger urbaner Räume zukünftig im Rahmen eines übergeordneten<br />
Kontextes fassbar werden. Als Zeugnisse herrschaftlichen Machtanspruchs<br />
spielen dabei u. a. der Palastbezirk und die Befestigungsanlagen eine<br />
Stand: 11/2007 47
herausragende Rolle. Gleichermaßen bedeutend ist die Untersuchung des<br />
Straßensystems, der Einbindung von Großbauten wie Gymnasion und Agorai<br />
sowie die Nutzung des vorstädtischen Bereiches. Darüber hinaus soll der Blick<br />
auch auf das Umland der Metropole gerichtet werden, wo der gestaltende<br />
Einfluss der Pergamener in der räumlichen Organisation der Landschaft und der<br />
benachbarten Poleis deutlich zutage tritt. In diesem Rahmen sollen in zwei<br />
eigenständigen Projekten zunächst die Hafenstadt Elaia und die Landstadt<br />
Atarneus mit dem westlichen Kaikos-Tal untersucht werden. Zur Verwaltung<br />
des umfangreichen Datenmaterials aus den aktuellen Arbeiten und aus älteren<br />
Projekten ist eine komplexe relationale Datenbank entwickelt worden, die zum<br />
GIS ausgebaut wird.<br />
Bezüge zum Forschungscluster 3<br />
Mit der Untersuchung der hellenistischen Polis Pergamon als<br />
Gesamtorganismus und von Schlüsselmonumenten, wie z. B. der<br />
„Eumenischen“ Stadtbefestigung, dem Gymnasion, den Agorai oder den<br />
Palästen, stehen politische Räume im Mittelpunkt des Projektes. Gleiches gilt<br />
für die Erforschung des Umlandes von Pergamon, die sich Fragen der<br />
symbolischen Markierung des Territoriums durch die Pergamener widmet. In<br />
beiden Projekten geht es zunächst um die Genese verschiedenartiger Räume<br />
(Territorium, Stadtorganismus, architektonisch definierter Binnenraum) aus<br />
Grenzen bzw. gebauten Raumhülsen, fester und beweglicher Ausstattung sowie<br />
Verhalten der Nutzer. Bei der Rekonstruktion der Räume spielt die Frage nach<br />
Betrachterperspektiven und nach Angeboten zur Orientierung im Raum eine<br />
zentrale Rolle. Im Anschluss daran gilt es, die Manifestation politischer Macht,<br />
die Etablierung gesellschaftlicher Hierarchien und das Verfügen über<br />
wirtschaftliche und militärische Ressourcen als räumliche Praktiken zu<br />
analysieren und zu interpretieren.<br />
Aus Sondermitteln zur Förderung multidisziplinärer Grundlagenforschung am<br />
DAI wird seit 2006 in Pergamon ein Programm zum Einsatz von<br />
Geowissenschaften in der archäologischen Stadtforschung finanziert. Die dabei<br />
neu gewonnen Daten und die erweiterten Möglichkeiten ihrer Nutzung kommen<br />
Fragestellungen zugute, wie sie im Forschungscluster 3 behandelt werden. So<br />
erlaubt die Erstellung eines 3D-Modells unter Einbeziehung aktueller Grabungsund<br />
Prospektionsergebnisse die Beurteilung der Zusammenhänge zwischen<br />
Naturraum und architektonischer Gestaltung der Stadt. Die geophysikalischen<br />
Prospektionen leisten Grundlagenforschung zum Straßenraster, das seinerseits<br />
ein zentrales Element für das Verständnis der räumlichen Gliederung der Stadt<br />
ist. Erst auf Basis der gemeinsamen Beurteilung von Topographie und<br />
Architektur sowie der Kenntnis städteplanerischer Parameter ist es möglich,<br />
nach den Kriterien zu fragen, die bei der Gestaltung politischer Räume in<br />
Pergamon zur Anwendung kamen. Durch die Verwendung desselben<br />
Geoinformationssystems bei den DFG-finanzierten Surveyprojekten „Elaia“ und<br />
„Die Chora von Pergamon“, die im Rahmen der Pergamongrabung durchgeführt<br />
werden, besteht in Zukunft die Möglichkeit, räumliche Bezüge zwischen Stadt<br />
und Umland dreidimensional darzustellen und diese Darstellungen auch für<br />
analytische Zwecke zu nutzen. Dabei könnte es z. B. konkret darum gehen,<br />
wie Straßen, Heiligtümer, Stadtbefestigungen oder auch Grabanlagen zur<br />
symbolischen Besetzung des Territoriums beigetragen haben.<br />
Ansprechpartner:<br />
PD Dr. Felix Pirson (E-Mail: pirson@istanbul.dainst.org)<br />
Stand: 11/2007 48
GABRIELE RASBACH (RGK)<br />
Spätaugusteische Stadtanlage von Lahnau-Waldgirmes<br />
Seit 1993 untersucht die Römisch-Germanische Kommission in Waldgirmes<br />
eine römische Stadtanlage, die noch während ihrer Gründungsphase wieder<br />
aufgegeben wurde. Aufgrund von dendrochronologischen Daten und<br />
Münzfunden können die Spuren dieser Siedlung in die Zeit von 4 v. Chr. bis 9<br />
n. Chr. (Niederlage der Römer unter Führung des Varus 9 n. Chr. in der<br />
„Schlacht im Teutoburger Wald“) datiert werden und damit in die Zeit<br />
römischer Eroberungszüge nach Germanien. Dabei handelt es sich nicht um<br />
eine militärische, sondern um eine zivile Anlage von rund 8 ha Größe.<br />
Politische Räume und ihre Grenzzonen / Entwicklung von Herrschaftsstrukturen<br />
Für die Interpretation der römischen Germanienpolitik ist Waldgirmes in<br />
mehrfacher Hinsicht ein Fixpunkt: Zum einen bietet der Ort einen einmaligen<br />
Einblick in Vorgänge der Urbanisierung von Gebieten, die neu unter römischer<br />
Kontrolle standen, und damit die Einbeziehung der indigenen Bevölkerung in<br />
den politischen Raum einer (geplanten) römischen Provinz (Romanisierung).<br />
Zum anderen bietet die reiche Auswahl an Funden der einheimischen<br />
Bevölkerung Ansatzpunkte weit über das direkte Umfeld hinausreichende<br />
Beziehungen der Römer in die Germania magna aufzudecken. In den<br />
Jahrhunderten um Christi Geburt kommt es im rechtsrheinischen<br />
Mittelgebirgsraum vom Rhein bis zum böhmischen Becken zu Umformungen<br />
der eisenzeitlichen Kulturen (zu dynamischen Interaktionen zwischen Kelten,<br />
Germanen und Römern), die durch große Mobilität der Bevölkerung<br />
(Wanderungen, Kriegszüge) aber auch durch gezieltes römisches Handeln<br />
ausgelöst und beeinflusst wurden.<br />
Waldgirmes liegt an einem Kreuzungspunkt mehrerer Wege, die den römischen<br />
Eroberern den Raum nach Osten öffneten. Aber auch das direkte Umfeld der<br />
römischen Stadt gilt es in den nächsten Jahren in die Untersuchungen<br />
einzubeziehen, denn nach Ausweis des Fundmaterials aus der Stadt müssen<br />
einheimische Siedlungen zwingend in der Nähe zu suchen sein. Dort wurden<br />
vermutlich auch Ressourcen bereitgestellt, die zur Versorgung der ersten<br />
Stadtbewohner notwendig waren.<br />
Mit Archäobotanik, Pollenanalysen und Dendrochronologie werden zurzeit<br />
Hinweise auf die naturräumlichen Bedingungen um Christi Geburt in diesem<br />
Raum zusammengetragen, die nicht nur die landwirtschaftliche Nutzung des<br />
Umfeldes, sondern auch weit reichende Handelsbeziehungen zeigen. Die enge<br />
Zusammenarbeit der Naturwissenschaften an den Materialien aus Waldgirmes<br />
wird möglicherweise auch zu klimageschichtlichen Aussagen führen.<br />
Herrschaftsarchitektur<br />
Die Baubefunde in Waldgirmes, vor allem das Zentralgebäude (Forum), regen<br />
die Diskussion um Militär- und zivile Architektur an. Wann entwickelte sich die<br />
Bauform der Principia und wurde zum Standard in römischen Militärlagern? Die<br />
Verwandtschaft von Forum und Principia wird am Beispiel von Waldgirmes<br />
offensichtlich. Diese in Waldgirmes aufgedeckte Herrschaftsarchitektur und der<br />
sich darin ausgedrückte Anspruch (u. a. auch mit mindestens einer<br />
lebensgroßen vergoldeten Reiterstatue) muss mit Regionen verglichen werden,<br />
in denen die Römer Kolonien errichteten. Wurden die Architekturprogramme<br />
aus dem Süden (z. B. Norditalien mit caesarisch-augusteischen<br />
Veteranenkolonien) auf den Norden übertragen?<br />
Stand: 11/2007 49
Perspektive<br />
Der Fundort Waldgirmes trägt Wesentliches zum Verständnis des Übergangs<br />
der jüngereisenzeitlichen Kulturen in die ältere römische Kaiserzeit sowie der<br />
Ethnogenese der Germanen und damit der Veränderungen des politischen<br />
Raums zwischen Rhein und Böhmen bei. Zur methodisch breiten Grundlage<br />
tragen auch einschlägige Funddaten von Holland bis nach Böhmen bei, die auf<br />
der Grundlage von GIS-fähigen Karten ausgewertet werden. Dafür bieten z. B.<br />
die im „Corpus der Römischen Funde im Barbaricum“ zusammengetragenen<br />
Funde eine ideale Vorarbeit.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Gabriele Rasbach (E-Mail: rasbach@rgk.dainst.de)<br />
KNUT RASSMANN (RGK)<br />
Siedlungsarchäologische Studien zur Frühbronzezeit am Südwestrand<br />
des Slowakischen Erzgebirges. Untersuchungen zur Entwicklung der<br />
Metallurgie im nordwestlichen Karpatenbecken<br />
Die Entwicklung der spätfrühbronzezeitlichen Siedlungslandschaft im<br />
nordwestlichen Karpatenbecken ist durch die Entstehung zahlreicher<br />
befestigter Siedlungen gekennzeichnet. Sie befinden sich in verkehrsgünstiger<br />
Lage in Nachbarschaft zu den reichen Erzlagerstätten der Nordwestkarpaten.<br />
Hinweise auf das Aufblühen der frühen Metallurgie liefern Gräberfelder in der<br />
Slowakei, deren Metallreichtum innerhalb der europäischen Frühbronzezeit<br />
singulär ist.<br />
Konkrete Hinweise auf die frühe Metallurgie liegen trotz zahlreicher<br />
Siedlungsgrabungen noch nicht vor. Unklar bleibt auch die Bedeutung der<br />
befestigten Siedlungen bei der Organisation der Kupfergewinnung und der<br />
Metalldistribution. Um dieser Frage nachzugehen, erfolgen vergleichende<br />
Forschungen auf ausgewählten frühbronzezeitlichen Fundplätzen in den<br />
benachbarten Fundlandschaften der Flusstäler von Žitava, Gran und Eipel.<br />
In der Vergangenheit konzentrierten sich die slowakische und ungarische<br />
Forschung auf die befestigten Siedlungen bzw. Tellsiedlungen, ohne deren<br />
Umfeld zu berücksichtigen. Dieses Defizit wird durch die seit 2002 laufenden<br />
Geländearbeiten im Umfeld der befestigten Siedlungen ausgeglichen. Damit<br />
wird es einerseits möglich, die siedlungsgeschichtlichen Veränderungen in den<br />
unterschiedlichen Landschaften zu erfassen, und andererseits, diese Abläufe<br />
miteinander zu vergleichen.<br />
Methoden<br />
Unsere Arbeiten stützen sich auf Untersuchungen ausgewählter Fundplätze und<br />
eine umfangreiche Prospektionstätigkeit. Ergänzend finden Sondagegrabungen<br />
auf ausgewählten Fundplätzen statt (Rybnik, Vrable). Die Prospektionen<br />
(Geländebegehungen, Bohrprogamme, Geophysik) schließen topographische<br />
Aufnahmen ausgewählter Siedlungsplätze ein. Umfangreiche geochemischbodenphysikalische<br />
Untersuchungen werden durch das Geographische <strong>Institut</strong><br />
der Universität Heidelberg (Verantw. Prof. B. Eitel) durchgeführt.<br />
Die geochemisch-bodenphysikalischen Methoden dienen der Erforschung der<br />
Mensch-Umwelt-Beziehungen und sollen insbesondere die anthropogenen<br />
Einflüsse auf den Wandel in der Landschaft untersuchen. Erst durch die<br />
Verknüpfung der bodengeographischen Untersuchungen mit der GISgestützten<br />
Auswertung der siedlungsarchäologischen Daten ist ein tiefer<br />
gehendes Verständnis der siedlungsgeschichtlichen Prozesse möglich.<br />
Stand: 11/2007 50
Die geochemischen Untersuchungen bieten zugleich die Chance, Hinweise auf<br />
die zyklische Nutzung der Erzlagerstätten im Slowakischen Erzgebirge zu<br />
erlangen, die sich u. a. in Schwermetallkontamina-tionen in Geoarchiven<br />
spiegeln müsste. Um diesem Ziel näher zu kommen, werden potenzielle<br />
Geoarchive im engeren Umfeld der Erzlagerstätten von Pukanec nahe Rybnik<br />
prospektiert.<br />
Die erhobenen Daten (Naturraum, Ausgrabungen, Prospektionen, naturwiss.<br />
Untersuchungen) werden in ein GIS eingearbeitet, verwaltet und mit<br />
raumbezogenen statistischen Verfahren ausgewertet.<br />
Allgemeine Aspekte zum Cluster „Politische Räume“<br />
- Austausch über die eingesetzten Methoden (Prospektionsmethoden, GIS,<br />
naturwiss. Methoden).<br />
- Diskussion des Problems der Herausbildung hierarchischer Systeme von<br />
Siedlungen (u. a. zentrale Orte, vgl. W. Christaller).<br />
- Untersuchung der Wechselwirkung von Naturraum und Siedlungslandschaft,<br />
insbesondere der Bedeutung von Gunstfaktoren wie Bodenschätze,<br />
Bodengüte.<br />
- Rekonstruktion von Grenzen in der Landschaft (politische Strukturen,<br />
Austauschsysteme, Verbreitungsmuster von Schmuck, Waffen und<br />
Werkzeugen).<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Knut Rassmann (E-Mail: rassmann@rgk.dainst.de)<br />
FLORIAN SEILER (Zentrale)<br />
Rekonstruktion der antiken Kulturlandschaften des Sarno-Beckens. Ein<br />
interdisziplinäres Kooperationsprojekt mit Partnern aus<br />
Geowissenschaften und Altertumswissenschaften in Italien und<br />
Deutschland<br />
Die Ebene des Sarno in Kampanien bildet eine uralte Kulturlandschaft, die<br />
wegen ihrer besonderen naturräumlichen Vorzüge (geographische Lage,<br />
Wasserreichtum, äußerste Fruchtbarkeit des Bodens, günstige<br />
Klimabedingungen) spätestens seit der Bronzezeit von Menschen verschiedener<br />
Kulturen intensiv und kontinuierlich besiedelt wurde. Die Landschaft ist durch<br />
das häufige Auftreten von Naturereignissen (Vulkantätigkeit,<br />
Erdbebentätigkeit, Bradyseismus, hohe Sedimentierung) einem starken<br />
Transformationsprozess unterworfen, der durch anthropogene Einwirkungen<br />
(Abholzung, Trockenlegung, Landnutzung) noch potenziert wurde, und der<br />
zuletzt durch die moderne Urbanisierung der Ebene in dramatischer Weise<br />
beschleunigt wird. Die Lebensbedingungen in der Region sind also in<br />
besonderer Weise durch den Überfluss an natürlichen Ressourcen einerseits<br />
und die andauernde Bedrohung durch die Naturkatastrophen andererseits<br />
geprägt. Das Forschungsvorhaben nimmt sich vor, die Lebensverhältnisse des<br />
Menschen in der Antike in der Sarno-Ebene unter diesen ambivalenten<br />
Umweltbedingungen zu untersuchen und nach dem jeweiligen<br />
Siedlungsverhalten der sozialen Gemeinschaften im landschaftlichen Großraum<br />
über verschiedene Epochen hin zu fragen. Unter diesen umweltarchäologischen<br />
Aspekten werden die verschiedenen Siedlungsaktivitäten großräumlich<br />
klassifiziert, die Wechselbeziehungen der Siedlungen untereinander und in<br />
ihrer Abhängigkeit von den naturräumlichen Gegebenheiten analysiert. Eine<br />
wesentliche Rolle spielen dabei Fragen der paläoökologischen Genese der<br />
Stand: 11/2007 51
Landschaft des Sarno-Beckens, der Siedlungsdynamik, der Nutzung und<br />
Verteilung der natürlichen Ressourcen, der ökonomischen Grundlagen, der<br />
Bewirtschaftung, der räumlichen Erschließung über Nah- und Fern-<br />
Verbindungswege und Wasserwege, der territorialen Abgrenzung, der sozialen<br />
und politischen Organisation, der ethnischen Zusammensetzung der<br />
Bevölkerung, der Lage und Beziehung der heiligen Orte zu Siedlungsräumen.<br />
Pompeji mit seinem immensen Informationsgehalt an Daten und Fakten der<br />
historischen Perioden und die neu ausgegrabene bronze- bis eisenzeitliche<br />
Fluss-Niederlassung Longola-Poggiomarino bilden zwar selbstverständlich<br />
Schwerpunkte im Rahmen der Untersuchung, doch werden genauso alle<br />
übrigen Siedlungsplätze und menschlichen Niederlassungen im Sarno-Becken<br />
berücksichtigt.<br />
Diese komplexen fach- und epochenübergreifenden Fragen sind nur im<br />
Zusammenwirken verschiedener Disziplinen und unter Beteiligung von<br />
Wissenschaftlern archäologischer, historisch-philologischer und<br />
naturwissenschaftlicher Fachrichtungen zu bearbeiten. Die multidisziplinäre<br />
Vernetzung des Projekts ist immanent, da die Bearbeitung der geo- und<br />
naturwissenschaftlichen Faktoren der naturräumlichen Veränderungen vielfach<br />
erst die Voraussetzung für die Auswertung der archäologisch-historischen<br />
Fragen bildet. Aufgrund der ständigen Überformung der Landschaft stellen sich<br />
hier zudem besondere technisch-methodische Herausforderungen an die<br />
geoarchäologischen Untersuchungen. In der Regel liegen die antiken<br />
Kulturhorizonte unter meterhohen Tephra-Auflagerungen und Sedimenten<br />
verborgen und verlangen den Einsatz spezieller naturwissenschaftlicher<br />
Prospektions- und Analyseverfahren, um „sichtbar“ gemacht zu werden. Der<br />
Entwicklung und Anwendung geeigneter technischer Untersuchungsmethoden<br />
gilt daher ein besonderes Interesse innerhalb des Projekts.<br />
Das Forschungsprojekt, das formell aus Kooperationen mit verschiedenen<br />
<strong>Institut</strong>ionen und Wissenschaftlern in Deutschland und Italien besteht, hat das<br />
Ziel, die komplexen naturräumlichen und anthropogenen<br />
Veränderungsprozesse der Kulturlandschaften in der Sarno-Ebene auf der<br />
Grundlage geoarchäologischer Methoden zu untersuchen, die genetischen<br />
Vorgänge nach Epochen und Räumen zu beschreiben und die Ergebnisse in<br />
digitalen Rekonstruktionen von interpretierten Landschaftsmodellen<br />
darzustellen. Im Rahmen des Clusters „Politische Räume“ ergeben sich<br />
vielfältige Schnittstellen mit verwandten Projekten, zunächst wird jedoch von<br />
einer Mitarbeit im Forschungsfeld „Erschließung und Nutzung“ ein<br />
wissenschaftlicher Mehrwert erwartet.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Florian Seiler (E-Mail fs@dainst.de)<br />
DIETER VIEWEGER, JUTTA HÄSER (Orient-Abteilung)<br />
Das „Gadara Region Project“ in Nordjordanien<br />
Das „Gadara Region Project“ in Nordjordanien wurde im Jahr 2001 von Prof.<br />
Dr. Dr. Dieter Vieweger, Leiter des Biblisch-Archäologischen <strong>Institut</strong>s in<br />
Wuppertal, initiiert. Das Ziel der Forschungen dieses interdisziplinären<br />
Projektes ist die Untersuchung der Geschichte der Region um den antiken Ort<br />
Gadara. Das Projekt basiert auf einer engen Verzahnung mit den<br />
archäologischen Forschungen in Gadara, insbesondere durch das Deutsche<br />
Archäologische <strong>Institut</strong> (A. Hoffmann, G. Schauerte, C. Bührig) und das<br />
Deutsche Evangelische <strong>Institut</strong> (U. Wagner-Lux, K. Vriezen). Nach intensiven<br />
Stand: 11/2007 52
Surveys in den südlich von Gadara gelegenen Tälern, dem Wādī el-‘Arab und<br />
dem Wādī ez-Zahar, im Jahr 2001 wurde der Tall Zirā‘a für eine Ausgrabung<br />
ausgewählt, mit der im Sommer 2003 begonnen wurde. Seit 2004 besteht eine<br />
Kooperation zwischen dem Biblisch-Archäologischen <strong>Institut</strong> in Wuppertal mit<br />
dem Deutschen Evangelischen <strong>Institut</strong> für Altertumswissenschaft des Heiligen<br />
Landes in Amman unter der gemeinsamen Leitung der beiden Autoren.<br />
Das Wadi al-‘Arab ist ein Gunstraum der Archäologie. In der Kontaktzone<br />
zwischen der Levante und dem syrisch-mesopotamischen Kulturraum gelegen,<br />
nimmt es in geopolitischer Hinsicht eine Schlüsselfunktion für Palästina ein.<br />
Hier lassen sich kulturelle Entwicklungen und politische Umbrüche – wie sie in<br />
Palästina häufig von den Kulturgebieten im Norden angestoßen wurden –<br />
besonders gut nachvollziehen.<br />
Das Wadi al-‘Arab diente über Jahrtausende als Handelsweg zwischen Ägypten<br />
und dem Mittelmeer im Süden und Westen sowie Syrien und Mesopotamien im<br />
Norden und Osten. Es bietet aufgrund seiner Topografie die einzigartige<br />
Möglichkeit, den schwierigen Aufstieg vom Jordantal (hier bei 290 m unter dem<br />
Meeresspiegel) zum ostjordanischen Hochland (550 m über dem<br />
Meeresspiegel) ganz ohne Geländestufen und Engpässe bei drei Prozent<br />
durchschnittlicher Steigung in einer Länge von ca. 30 Kilometern zu<br />
bewältigen. Dieser Umstand zeichnete das Wadi al-‘Arab über Jahrtausende als<br />
bevorzugte Handelsroute aus.<br />
Einer der größten Fundplätze im Wadi al-‘Arab ist der Tall Zirā‘a. Dieser<br />
Siedlungshügel war von der frühen Bronzezeit bis in die Neuzeit besiedelt. Er<br />
bildete in vielen Perioden das Zentrum des Siedlungsraumes. In hellenistischer<br />
und dann besonders in römischer Zeit fand mit der Gründung Gadaras in<br />
hellenistischer Zeit trotz der besonders guten strategischen Situation und der<br />
guten ökologischen Bedingungen eine Verschiebung des regionalen<br />
Siedlungszentrums statt.<br />
Fragestellung im Hinblick auf das Cluster-Thema<br />
Neben vielseitigen Fragestellungen zu Siedlungsgeschichte, Landschaftswandel<br />
und Technik-geschichte wird auch untersucht, wie sich die politische<br />
Bedeutung ein und desselben landschaftlichen Raumes, d. h. der Gadara-<br />
Region, im Laufe von 5000 Jahren durch die Verlegung von Zentren und<br />
Wegesystemen veränderte. Dabei ist noch zu erforschen, welche Gründe es für<br />
diese Verlegung gab. Diese können u. a. in den Reaktionen auf Veränderungen<br />
der ökologischen aber auch der politischen Verhältnisse gelegen haben.<br />
Interessant ist zudem die Frage nach den territorialen Grenzen, die sich<br />
ebenfalls über die Jahrtausende gewandelt haben. Für die Frühzeit der<br />
Besiedlung des Untersuchungsraumes dürfte man wohl eher von Einflusszonen<br />
als von eigentlichen Grenzen sprechen. Für die späte Bronzezeit und Eisenzeit<br />
wissen wir aus schriftlichen Quellen, dass diese Einflusszonen der politischen<br />
Gebilde und Zentren häufig wechselten. Sofern keine schriftlichen Quellen<br />
vorliegen, können die Einflusszonen nur aus verschiedenen archäologischen<br />
Befunden und topografischen Gegebenheiten (s. u.) erschlossen werden.<br />
Methoden<br />
1. Ausgrabung auf dem Tall Zirā‘a. Dabei wird besonderes Augenmerk auf<br />
Funde und Befunde gelegt, in denen sich die Siedlungsstruktur, politische<br />
Verwaltung und Kontakte zu anderen Räumen manifestieren:<br />
- Siedlungsformen und Architektur (städtisch – dörflich; befestigt –<br />
unbefestigt; dichte Bebauung – offene Siedlungsform mit großen,<br />
unbebauten Flächen; repräsentative Gebäude; große Vorratseinheiten;<br />
kostenintensive Bauformen, überregionale Architekturformen, soziale<br />
Stand: 11/2007 53
Hierarchien)<br />
- Wirtschaftsformen (Vorratshaltung, Importe, Tierknochen von<br />
unterschiedlichen Haustieren, Jagdwild; botanische Großreste von<br />
Nutzpflanzen)<br />
- Technologien (Keramikproduktion, Metallverarbeitung,<br />
Technologietransfer)<br />
- Handelssysteme (Wandel der Importe)<br />
- Bezüge zu unterschiedlichen religiösen Vorstellungswelten<br />
(Götterfiguren, kultische Geräte, kultische Bauten)<br />
- Verwaltungsstrukturen (Verwaltungsgebäude, Vorratseinrichtungen,<br />
Siegel, Schriftzeugnisse)<br />
- Häusliche Inventare (Vorratseinrichtungen, Arbeitsvorrichtungen,<br />
Keramik, Steingeräte, Metallgeräte und -gefäße)<br />
2. Aufnahme aller Fundplätze (Siedlungen, Wirtschaftseinrichtungen,<br />
Bewässerungsanlagen) in der Untersuchungsregion zur Bestimmung ihres<br />
Bezuges zum Zentrum<br />
3. Geländeforschungen zur Aufnahme alter Wegesysteme<br />
4. Studium schriftlicher und archäologischer Quellen zu Nordjordanien, um<br />
andere Zentren und ihre gegenseitige Abgrenzung zu erkennen<br />
5. Verknüpfung mit den Forschungsergebnissen zur Stadtentwicklung in<br />
Gadara des DAI<br />
6. Auseinandersetzung mit der theoretischen Literatur zu Siedlungssystemen<br />
und Landschaftsarchäologie<br />
Erwartungen an das Forschungscluster<br />
Von der Mitarbeit im Forschungscluster werden neue methodische Anstöße -<br />
besonders im Hinblick auf Erklärungsmodelle für die Veränderung von<br />
„Einflusszonen“ in nicht territorial klar umrissenen politischen Systemen -<br />
erhofft. Interessant ist zudem der Vergleich mit anderen Regionen, in denen in<br />
der hellenistisch-römischen Zeit ebenfalls ein eindeutiger Einschnitt in der<br />
Siedlungsstruktur zu erkennen ist.<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger (E-Mail: vieweger@uni-wuppertal.de)<br />
Dr. Jutta Häser (E-Mail: gpia@go.com.jo)<br />
2. FORSCHUNGSFELD: GRENZEN POLITISCHER RÄUME<br />
Moderatoren: Joachim Heiden, Claus-Michael Hüssen, Corinna Rohn<br />
Räume als Träger der politischen Organisation menschlicher Gesellschaften<br />
formen Grenzen. Vor dem Hintergrund allgemeiner und abstrakter<br />
Bestimmungsmöglichkeiten von Grenzen mit den semantischen Feldern<br />
Begrenzung, Entgrenzung und Grenzüberschreitung in den heutigen Sozialund<br />
Kulturwissenschaften werden im Forschungsfeld 2 speziellere<br />
Verwendungen des Begriffs Grenze als geschichtswissenschaftliche Kategorie<br />
diskutiert mit dem Ziel, hinreichend plastische Vorstellungen von kulturellen<br />
Grenzen zu entwickeln. Hierzu sind Verbindungen zwischen den konkreten und<br />
sichtbaren Interaktionssträngen zu der Metaphorik von kultureller Differenz,<br />
Fremdheit und Anderssein aufzuzeigen.<br />
Im ersten Arbeitstreffen ergab sich für die im Forschungsfeld vertretenen<br />
Projekte eine Untergliederung in solche, die sich mit Grenzen zwischen<br />
Stand: 11/2007 54
ähnlichen, und jenen, die sich mit Grenzen zwischen unterschiedlichen<br />
politischen Räumen befassen.<br />
GERDA VON BÜLOW (RGK)<br />
Gamzigrad (Teilaspekt: Umfassungsmauern)<br />
Siehe auch die allgemeine Darstellung zum Projekt Gamzigrad-Romuliana im 4.<br />
Forschungsfeld!<br />
Fragestellung<br />
Die äußere Umfassungsmauer des ca. 200 x 200 m großen, um 300 n. Chr.<br />
entstandenen Kaiserpalastes von Gamzigrad ist ziemlich gut erhalten und wirkt<br />
auch heute noch sehr wehrhaft. Sie ist 3,60 m dick und mit 20 weit nach<br />
außen vorspringenden und relativ eng beieinander stehenden polygonalen<br />
Türmen besetzt. In der Mitte der Ost- und der Westseite befindet sich je ein<br />
Tor. Vor der torlosen Südseite der Anlage ist ein etwa 1,80 m tiefer Graben<br />
festgestellt worden, der nach stratigraphischen Beobachtungen zeitgleich mit<br />
der Mauer anzusetzen ist.<br />
In einem gewissen Gegensatz zu der wehrhaften Fernwirkung der Anlage steht<br />
ihr Erscheinungsbild bei näherer Betrachtung: Die Außenseiten der beiden Tore<br />
wirkten durch Nischen und reich gegliederte Scheinarkaden sowie reliefierte<br />
Bauglieder auf den Betrachter eher wie repräsentative Ehrenbögen denn wie<br />
verteidigungsfähige Festungstore. Durch archäologische Untersuchungen<br />
konnte in dem Turm südlich des Westtores eine mehrschichtige,<br />
nachpalastzeitliche Siedlungstätigkeit nachgewiesen werden.<br />
Diese widersprüchlichen Befunde werfen die Frage nach der tatsächlichen<br />
Funktion der monumentalen Umfassung des Palastes auf.<br />
Methoden und Zielstellung<br />
Im Kontext von spätantiken Militäranlagen und von römischer und spätantiker<br />
Herrschaftsarchitektur aus verschiedenen Provinzen des römischen Reiches soll<br />
die Position von Romuliana bestimmt werden. In die notwendigen<br />
Untersuchungen muss auch eine detaillierte Analyse der älteren<br />
Umfassungsmauer einbezogen werden, die sowohl durch die Form der Türme<br />
wie auch in ihrer Gesamtkonzeption sich wesentlich von der heute noch<br />
sichtbaren Mauer unterscheidet.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Gerda von Bülow (E-Mail: vonbuelow@rgk.dainst.de)<br />
RICARDO EICHMANN, JUTTA HÄSER (Orient-Abteilung)<br />
Transformationsprozesse in Oasensiedlungen in Oman<br />
Siehe 1. Forschungsfeld!<br />
MARKUS GSCHWIND (Orient-Abteilung)<br />
Raphaneae<br />
Die 2005 und 2006 in Raphaneae durchgeführten Surveyarbeiten zeigen das<br />
große wissenschaftliche Potential des archäologisch bislang nahezu<br />
unbekannten Fundplatzes. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass sich Raphaneae<br />
Stand: 11/2007 55
in vielerlei Hinsicht von anderen Städten und Legionsstandorten des Vorderen<br />
Orients unterscheidet. Im Zusammenhang mit dem 2. Forschungsfeld des<br />
Forschungsclusters 3 sind zwei Punkte von besonderem Interesse:<br />
1. Das Legionslager Raphaneae liegt an einem Straßenkreuzungspunkt von<br />
untergeordneter geostrategischer Bedeutung, in einem Talkessel ohne<br />
Blickverbindung mit der umgebenden Landschaft und – abgesehen von der<br />
Nähe zum Klientelkönigreich von Emesa – weit abseits jeglicher von<br />
äußeren Feinden bedrohter Grenzen.<br />
2. Legionen wurden im Vorderen Orient gewöhnlich in Städten in strategisch<br />
wichtiger Lage stationiert. Als Beispiele seien hier nur Zeugma und<br />
Samosata genannt, die beiden anderen permanenten früh- und<br />
mittelkaiserzeitlichen Legionsstandorte der Provinz Syria. In beiden Fällen<br />
handelt es sich um bereits bestehende Städte an wichtigen<br />
Euphratübergängen, die direkt an der Grenze zum parthischen<br />
Einflussbereich lagen und zwei Hauptrouten der Seidenstraße kontrollierten.<br />
Die Stadtentwicklung in Raphaneae war nach neuesten Erkenntnissen hingegen<br />
die Folge der Stationierung einer Legion. Die Siedlungsentwicklung folgte hier<br />
einem Schema, das aus den in vorrömischer Zeit nicht urbanisierten Gebieten<br />
Mitteleuropas gut bekannt ist und für das G. Webster den Begriff „fortress into<br />
city“ prägte (G. Webster [Hrsg.], Fortress into City. The Consolidation of<br />
Roman Britain first century AD, London 1988). Angesichts der Lage von<br />
Raphaneae im stark urbanisierten Kerngebiet des hellenistisch-römischen<br />
Syrien ist dies äußerst ungewöhnlich.<br />
Die Erklärungen für beide Punkte sind sehr wahrscheinlich eng miteinander<br />
verbunden und nur vor dem Hintergrund des besonderen politischen<br />
Instrumentariums zu verstehen, mit dem Rom den gesamten Vorderen Orient<br />
während der späten Republik und der frühen Kaiserzeit beherrschte: Im<br />
Gegensatz zu den Nordwestprovinzen kontrollierte die römische Aristokratie<br />
hier eine ganze Region über 100 Jahre lang mit Hilfe zahlreicher Klientelkönige,<br />
deren Loyalität durch die römische Provinz Syria und die Präsenz der dort<br />
stationierten römischen Truppen sichergestellt wurde. Eines dieser<br />
Klientelkönigreiche – jenes von Emesa – lag in einem der Kerngebiete des<br />
römischen Syrien. Zum einen umfasste es eine der landwirtschaftlich reichen,<br />
fruchtbaren Ebenen des Vorderen Orients. Zum anderen kreuzten sich hier<br />
wichtige, überregionale Verkehrswege.<br />
Die Lage von Raphaneae in einem Talkessel bedingt, dass weder<br />
Blickverbindung mit der nahe gelegenen Ebene von Emesa-Homs noch mit den<br />
wichtigen, durch sie verlaufenden Straßenverbindungen besteht. Dies ist<br />
wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass man zu dem traditionell<br />
romfreundlichen Klientelkönigreich von Emesa einen respektvollen Abstand<br />
wahren, gleichzeitig aber nicht darauf verzichten wollte, die Loyalität dieses<br />
wichtigen Verbündeten durch die Stationierung einer Legion sicherzustellen.<br />
Bevor diese wichtige Frage näher betrachtet werden kann, muss allerdings eine<br />
möglichst genaue Datierung der Gründung des Legionslagers Raphaneae<br />
erarbeitet werden.<br />
Mit dem Abzug der Legion im 3. Jahrhundert n. Chr. stellt sich zudem die<br />
Frage, wie der Bereich des Legionslagers nach dem Abzug des Militärs genutzt<br />
wurde und ob symbolträchtige Räume wie beispielsweise das Stabsgebäude<br />
nach ihrer Eingliederung in den urbanistischen Raum eine besondere Stellung<br />
beibehielten. Eine Klärung dieser Fragen, die thematisch dem 4.<br />
Forschungsfeld des Forschungsclusters 3 zuzuordnen sind, wird erst nach<br />
umfangreichen Feldarbeiten möglich sein.<br />
Trotz des Abzugs der Legion und der Zerstörung des Ortes durch die Sasaniden<br />
im 3. Jahrhundert n. Chr. behielt Raphaneae seine Bedeutung als städtisches<br />
Stand: 11/2007 56
Zentrum mit Bischofssitz in der Spätantike bei. Noch in der Kreuzfahrerzeit<br />
bestand hier eine befestigte Stadtanlage. Aufgrund der – angesichts der neuen<br />
politischen Situation – strategisch wichtigen Lage an der Kreuzung zweier<br />
überregionaler Verkehrswege war sie zusammen mit der auf einem<br />
benachbarten Höhenrücken gelegenen Kreuzritterburg Montferrand heftig<br />
umkämpft.<br />
Alle genannten Fragen sind für das Verständnis der Siedlungsentwicklung von<br />
Raphaneae von zentralem Interesse. Im Rahmen des Forschungsclusters 3 des<br />
DAI kann am Beispiel Raphaneae exemplarisch untersucht werden, welche<br />
Auswirkungen wechselnde politische Räume und Befindlichkeiten auf die<br />
militärischen Dispositionen und die Siedlungsentwicklung vom späten<br />
Hellenismus bis in die Kreuzfahrerzeit hatten und in welchem Maße sich dies<br />
wiederum auf die Bedeutung und die Nutzung des Raumes innerhalb der Stadt<br />
niederschlug.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Markus Gschwind (E-Mail: markus.gschwind@gmx.de)<br />
JANET HABERKORN (Zentrale)<br />
Die hellenistischen Stadtbefestigungen von Pergamon<br />
Als Teil des neuen Forschungsprogramms der Pergamongrabung zum<br />
Städtebau und zum Gesamtorganismus der hellenistischen Stadt befasst sich<br />
das Projekt mit den zwei Mauerringen, durch welche die Stadt in hellenistischer<br />
Zeit neu befestigt bzw. beträchtlich vergrößert worden ist. Sie werden<br />
Philetairos (281-263 v. Chr.), dem Begründer der Attaliden-Dynastie und.<br />
Eumenes II. (197–159 v. Chr.), in dessen Regierungszeit das Herrschaftsgebiet<br />
seine größte Ausdehnung erreichte, zugeschrieben. Stratigrafisch sind sie<br />
bisher jedoch nicht datiert.<br />
Wie schon W. Raeck formuliert hatte, ist die Kenntnis über die Entwicklung der<br />
antiken Wehrarchitektur in den vergangenen Jahrzehnten fortgeschritten,<br />
weshalb sich der bauarchäologische Befund nicht mehr ohne weiteres mit der<br />
Zuweisung zu den beiden genannten Herrschern in Übereinstimmung bringen<br />
lässt. Für die Beurteilung, wann und wie sich Stadträume verändert haben,<br />
spielt die genaue Untersuchung und womöglich Datierung der beiden<br />
Stadtmauern jedoch eine entscheidende Rolle.<br />
Darüber hinaus kann die Untersuchung der Wehranlagen einer Polis zu<br />
verschiedenen Teilbereichen des hellenistischen Stadtorganismus Aussagen<br />
liefern, denn neben strategisch-taktischen Aspekten müssen bei deren<br />
Errichtung auch ökonomische, politische, soziale und ästhetische<br />
Gesichtspunkte eine wichtige Rolle gespielt haben. In erster Linie handelt es<br />
sich jedoch um einen Wehrbau, der die Sicherheit der Bürger und des<br />
Herrschers sicherzustellen hatte. Als öffentliches Bauwerk wurden die<br />
Wehranlagen vom Herrscher und/oder der Polis finanziert und mussten als<br />
Element der antiken Stadt mit deren Infrastruktur abgestimmt werden (z. B.<br />
Wasserver- und Entsorgung). Wie jedes andere städtische Bauwerk dienten die<br />
Befestigungen zudem der Repräsentation und Darstellung von Potenz und<br />
Größe der Polis und ihrer Herrscher, denn für den Ankommenden muss das<br />
Bild der Stadt schon von weitem maßgeblich von deren Befestigung bestimmt<br />
gewesen sein.<br />
Ein wichtiger Arbeitsschritt ist es daher, die bisherigen punktuellen<br />
Forschungen zusammenzuführen und zu verdichten, um damit ein<br />
Stand: 11/2007 57
vollständigeres Bild von den hellenistischen Befestigungen zeichnen zu können,<br />
als das bisher möglich war.<br />
Befestigungen bilden die baulichen Grenzen zwischen unterschiedlichen<br />
politischen Räumen. In Pergamon handelt es sich bei diesen Räumen um die<br />
Basileia, den Sitz des Königs, um die Wohnstadt, deren räumliche Entwicklung<br />
in hellenistischer Zeit in zwei Ausbauphasen stattgefunden hatte, sowie die<br />
Chora und das Umland der Stadt, die durch den Burgberg mit seinen<br />
Befestigungen visuell dominiert wurden.<br />
Akropolis – Wohnstadt: Das in der Hellenismusforschung derzeit viel diskutierte<br />
Verhältnis von Herrscher und Polis kulminiert in Pergamon im Hinblick auf die<br />
Befestigungen in der Frage nach Art und Grad der Abgeschlossenheit der<br />
Basileia gegenüber der Wohnstadt, das am Befund nicht ohne weiteres<br />
ablesbar ist und detailliert neu untersucht werden soll.<br />
„Altstadt“ – „Neustadt“: Stadträumlich von Bedeutung ist die Form des<br />
Umgangs mit der „Philetairischen Stadtmauer“ nach dem Bau der neuen und<br />
größeren „Eumenischen“ Ummauerung. Wie andernorts durchaus üblich, wurde<br />
sie nämlich nicht als Diateichisma weiter genutzt, sondern<br />
höchstwahrscheinlich abgetragen und teilweise sogar überbaut, wie z. B. durch<br />
den Großen Altar und Bau Z. Für die Planung der neuen „Eumenischen“ Stadt<br />
wurde die alte Stadtmauer anscheinend völlig negiert.<br />
Stadt – Umland: Die Befestigung fasst einerseits den Stadtraum – ist zugleich<br />
aber für die landschaftsarchitektonische Gestaltung des Kaikostales, das im<br />
Falle von Pergamon i. A. grob mit deren Chora gleichgesetzt wird, allein wegen<br />
seiner Größe, immens wichtig. Mit Hilfe einer Sichtbarkeitsanalyse soll deshalb<br />
geprüft werden, wie weit die Stadtbefestigung das Umland dominierte.<br />
Funktionen der Grenze: Aus dem interdisziplinär besetzten Teilnehmerfeld<br />
erhoffe ich mir insbesondere Hinweise auf Fragen, welche an solchen Grenzen<br />
vollzogenen Handlungen betreffen, die über die reine Verteidigungsfunktion<br />
hinausgehen und in friedlichen Zeiten an den Toren stattgefunden haben (Kult,<br />
jegliche Art von Kontrolle, wie z. B. Zoll).<br />
Ansprechpartner:<br />
Dipl.-Ing. Janet Haberkorn (E-Mail:jha@dainst.de)<br />
JOACHIM HEIDEN, CORINNA ROHN (Zentrale)<br />
Die antike Siedlungstopographie Triphyliens<br />
Triphylien liegt an der Westküste der Peloponnes und wird von den<br />
Landschaften Elis, Arkadien und Messenien umrahmt. Mehrere Poleis und<br />
Heiligtümer unterschiedlicher Größe und Bedeutung sind von der antiken<br />
Siedlungsstruktur erhalten und bieten eine gute Grundlage, Fragen zur<br />
Siedlungsdichte sowie zur Form und Ausstattung der Städte zu untersuchen. In<br />
der antiken Literatur über Triphylien ist im 4. und 3. Jh. v. Chr. ein<br />
entscheidender Wandel von abhängigen Perioikenstädten hin zu selbständigen<br />
Poleis zu belegen, der sich in einem neuen Selbstbewusstsein der Bürger und<br />
im Ausbau der Städte widerzuspiegeln scheint. Mit archäologischen und<br />
bauhistorischen Methoden soll diese Veränderung nachgewiesen und deren<br />
raumbildende Konsequenzen innerhalb der Städte und des Städtebundes<br />
diskutiert werden. Das Projekt zur antiken Siedlungstopographie Triphyliens ist<br />
mit diesem Ansatz im Schwerpunktprogramm der DFG zur Erforschung der<br />
hellenistischen Polis als Lebensform vertreten. Das Schwerpunktprogramm hat<br />
sich zum Ziel gesteckt, die Polisentwicklung im Hellenismus nicht wie bisher als<br />
Niedergang, sondern als Neubeginn zu verstehen. Schon etwas früher als im<br />
Stand: 11/2007 58
eginnenden Hellenismus, nämlich unmittelbar nach dem elisch-spartanischen<br />
Krieg (402-400 v. Chr.), sind in Triphylien politische Veränderungen<br />
nachzuweisen, die die im Cluster 3 formulierten Themen zu territorialen<br />
Grenzen, Hierarchien und zur Identitätsfindung hervorragend treffen.<br />
Nachdem die triphylischen Städte mehr als ein Jahrhundert in einem<br />
Perioikenverhältnis zur übermächtigen Polis Elis standen, konnten sie nach der<br />
Niederlage von Elis im elisch-spartanischen Krieg diese Abhängigkeit mit Hilfe<br />
der Spartaner abschütteln. Nicht nur ein wirtschaftlicher Aufschwung, der sich<br />
in zahlreichen Um- und Neubauten ausdrückt, war die Folge. Die Städte legten<br />
sich eine neue Identität unter mythistorischen, kulturellen und<br />
architektonischen Aspekten zu, um einem erneuten Anspruch und Zugriff des<br />
allmählich wieder erstarkenden Elis vorzubeugen. Vor 400 v. Chr. waren die<br />
Städte weitgehend voneinander isoliert und von Elis unterjocht. Die<br />
Landschaftsbezeichnung Triphylien gab es nicht. Die Eleer hatten ihr<br />
Herrschaftsgebiet von ihrem Kernland am Peneios aus zunächst auf die Pisatis<br />
mit Olympia, dann über den Alpheios hinaus weiter nach Süden auf die<br />
triphylischen Städte ausgedehnt. Daher zählen in den literarischen Quellen die<br />
Poleis südlich des Alpheios in dieser Zeit zu den von Elis abhängigen Städten,<br />
die elischen Inschriften sprechen von Symmachien. Nach 400 v. Chr. jedoch<br />
schlossen sich die nun unabhängigen Poleis zu einem Bund zusammen und<br />
führten ihre Herkunft auf Triphylos, den Sohn des Arkas und Stammvater der<br />
Arkadier, zurück. Damit wurde die Zugehörigkeit zu Arkadien, dem Nachbarn<br />
im Osten, manifestiert. Arkadien war nach der Niederlage und dem<br />
vollkommenen Machtverlust der Spartaner nach der Schlacht bei Leuktra im<br />
Jahre 371 v. Chr. der einzige militärisch potente Nachbar, der Elis die Stirn<br />
bieten konnte und so den Triphyliern die Unabhängigkeit garantierte.<br />
Als Grenze zu Elis diente der Alpheios, an dessen nördlichem Ufer das von Elis<br />
verwaltete Zeusheiligtum von Olympia lag. Unmittelbar gegenüber von<br />
Olympia wurde bereits in triphylischem Gebiet auf dem höchsten Hügel ein<br />
nach Norden weithin sichtbares Gebäude, vermutlich ein Tempel errichtet, von<br />
dem Überreste während der Kampagne im Sommer 2006 entdeckt wurden.<br />
Dieser Tempel liegt in der Chora der Polis Makistos und sollte von den Eleern<br />
als herrschafts-repräsentierendes Monument des triphylischen Bundes gesehen<br />
und verstanden werden. Gleichzeitig wurden einige Poleis mit Stadtmauern<br />
umgeben, deren Dimensionen weit über den eigentlichen poliorketischen<br />
Zweck hinausgehen. Mit ihrem stark repräsentativen Charakter sind sie auf<br />
Fernwirkung angelegt und dienen der Demonstration von wirtschaftlicher und<br />
politischer Macht und neuer Identität. Es zeichnet sich ab, dass gerade im<br />
Grenzgebiet zu den umgebenden Landschaften (Platiana und Vrestos) sowie an<br />
wichtigen Verkehrswegen (Lepreon und Samikon) solche auf Repräsentation<br />
angelegten Mauern entstanden.<br />
Die einzelnen Städte weisen große Unterschiede in ihren Strukturen und der<br />
Anordnung der öffentlichen und privaten Bauten auf, was zeigt, dass es sich<br />
um gewachsene Städte mit eigener Geschichte und Identität handelt. Es stellt<br />
sich bei den Untersuchungen die Frage, inwieweit die politischen<br />
Machtverhältnisse des 4. Jh. v. Chr. – nachdem der Städtebund geschlossen<br />
war – zusammen mit der neu geschaffenen intentionalen Mythistorie ihren<br />
sichtbaren Ausdruck im neuen politischen Raum der Triphylier findet. Als<br />
Beispiel sei das Bundesheiligtum der Triphylier genannt. Dieses<br />
Poseidonheiligtum lag nah der Küste bei der Stadt Samikon, wurde aber von<br />
der weit im Osten liegenden Polis Makistos verwaltet.<br />
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Bauforschung,<br />
zusätzlich unterstützt durch geophysikalische Prospektionen, will Fragen zur<br />
Raumgestaltung auf drei Ebenen beantworten, die sich vom Mikrokosmos der<br />
Stand: 11/2007 59
einzelnen Polis bis zur hellenistischen Staatenwelt weiten.<br />
- Wie verändern sich die einzelnen Poleis und ihr Umland?<br />
- Wie wird das Territorium des triphylischen Städtebundes gestaltet und wie<br />
grenzt sich der Bund architektonisch sichtbar gegen die Nachbarstaaten ab?<br />
- Können charakteristische Elemente politischer Raumgestaltung, wie wir sie<br />
aus den bedeutenden Zentren der hellenistischen Welt kennen, in den<br />
kleinen provinziellen Poleis Triphyliens, den Vertretern des „Dritten<br />
Griechenlands“ wiedergefunden werden?<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Joachim Heiden (E-Mail: ah@dainst.de)<br />
Dipl.-Ing. Corinna Rohn (E-Mail: rohn@tu-cottbus.de)<br />
SOPHIE HELAS (Abteilung Rom)<br />
Die Städte Latiums – Stadtbefestigungen und die Organisation<br />
räumlicher Ordnungen vom 8.-3. Jh. v. Chr.<br />
Das Projekt möchte vor dem Hintergrund der Machterweiterung Roms<br />
untersuchen, wie Räume im frühen und republikanischen Latium und im Gebiet<br />
der seit dem 5. Jh. mit Rom verbündeten Herniker als politische<br />
Ausdrucksformen fungierten. Städte setzen sich durch ihre Struktur in ein<br />
Verhältnis zu anderen Städten, z. B. durch ihre Lage und Anbindung, aber auch<br />
durch ihr Erscheinungsbild. Indem sie planerische und konstruktive Vorbilder<br />
nachahmen oder modifizieren, stellen sie Bedeutungszusammenhänge her. In<br />
welcher Beziehung stehen diese Strukturen zur juristischen Verfasstheit des<br />
latinischen Städtebundes und zum historischen Verlauf?<br />
Wir setzen an bei den Stadtmauern, denen einerseits eine wichtige Bedeutung<br />
in der Urbanisierung zukommt und die andererseits ästhetische Merkmale<br />
tragen, die als kulturelle Aussagen interpretiert werden sollen. Im Vergleich zu<br />
den Geschichtskonstruktionen der literarischen Überlieferung, die den Beginn<br />
Roms möglichst weit in die mythische Vorzeit zurückversetzen, ist gerade die<br />
symbolische Dimension des Polygonalmauerwerks zu erörtern, das ein hohes<br />
Alter der Stadt in Konkurrenz zu anderen Städten zu suggerieren scheint. In<br />
Jahr 2007 werden wir unsere Foto- und Vermessungskampagnen mit den<br />
Städten Ferentino, Alatri, Arpino und Veroli beginnen.<br />
Die Befestigungsanlagen dürfen zum anderen nicht ohne die innerstädtische<br />
Bebauung betrachtet werden. So haben die Wahl des Geländes und die<br />
Ausrichtung der Stadttore Konsequenzen für die städtische Binnenstruktur. Zu<br />
fragen ist nach stadtplanerischen Konzepten, die in der archäologischen<br />
Überlieferung zum Ausdruck kommen. Die Fragestellung zielt schließlich auf die<br />
Phasen der Stadtwerdung in Latium und zugleich auf die Konstruktionen eines<br />
von urbanen Strukturen geprägten Territoriums.<br />
Als ein Untersuchungsschwerpunkt wurde die in frührepublikanischer Zeit<br />
bedeutende Stadt Gabii im latinischen Kernland ausgewählt. Aufgrund der<br />
günstigen Überlieferungsbedingungen können hier aller Voraussicht nach<br />
Aussagen zur Datierung der Stadtmauer und zur innerstädtischen Bebauung<br />
gewonnen werden. Nach der Bauaufnahme bereits ausgegrabener Mauerzüge,<br />
die nun eine grobe Einteilung in Bauphasen ermöglicht, ist eine neue<br />
geodätische Vermessung des gesamten Stadtareals geplant. Die aus dem Plan<br />
lesbare Geländemorphologie wird deutliche Hinweise auf den Verlauf der<br />
Stadtmauern geben. Angeschlossen werden soll eine geophysikalische<br />
Prospektion (Archäomagnetik), um weitere Aufschlüsse zum antiken Stadtplan<br />
und zur Zonierung des bebauten Areals zu erhalten. Auf dieser Grundlage<br />
Stand: 11/2007 60
können schließlich zielgerichtete Sondagen durchgeführt werden, die den<br />
Ergebnissen der Prospektion gegenüber zu stellen sind.<br />
Um unsere Daten zu verwalten, benutzen wir eine georeferenzierte Datenbank<br />
(GIS) mit verknüpften Bild-, Plan-, Literatur- und Objektdatenbanken.<br />
Kooperationspartner:<br />
Giuseppina Ghini und Sandra Gatti, Soprintendenza per i Beni Archeologici del Lazio.<br />
Stefano Musco, Soprintendenza per i Beni Archeologici di Roma.<br />
Tobias Scheffler, Hochschule Magdeburg-Stendal, Fachbereich Bauwesen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Sophie Helas, Projektleiterin (E-Mail: helas@rom.dainst.org)<br />
Dipl.-Ing. Antje Werner, Bauforschung (E-Mail: arch@antje-werner.de)<br />
Gabriel Zuchtriegel M.A., Datenbanken (E-Mail: gabrielzuchtriegel@yahoo.de)<br />
CLAUS-MICHAEL HÜSSEN (RGK)<br />
Römische Eroberung und Grenzsicherung<br />
Verschiedene Unternehmungen der Forschungsstelle befassen sich mit der<br />
Limesforschung, die heute nicht mehr beschränkt auf die Außengrenzen<br />
gesehen wird, deren sichtbare Manifestation in England und Deutschland als<br />
Weltkulturerbe Limes geschützt ist.<br />
Musterhaft betrachtet wird die Gestaltung des politischen Raums an einzelnen<br />
Grenzabschnitten in verschiedenen Provinzen des römischen Reichs, in<br />
Raetien, Pannonien und Dakien, mit den Aspekten Militär, Wirtschaft und<br />
Kultur. Repräsentiert werden diese Aspekte durch ein weit verzweigtes<br />
Verkehrsnetz zu Wasser und zu Lande, durch die Truppenlager und eine<br />
Besiedlung des ländlichen Raums mit regionalen Zentren und stark<br />
differenzierten landwirtschaftlichen Betrieben (villae rusticae). Hierdurch<br />
symbolisieren sich politisch-wirtschaftliche Macht und soziale Hierarchien.<br />
Zwei Vorhaben befassen sich mit dem Wirken der römischen Grenzen auf die<br />
Völker des Barbaricums. Mit dem interdisziplinären Forschungsprojekt „A<br />
sustainable frontier? The establishment of the Roman frontier in the Rhine<br />
delta“ in Niedergermanien findet ein Austausch statt.<br />
Die militärische Sicherung der Donaugrenze zwischen Burgheim und Eining im<br />
1. Jh. n. Chr.<br />
Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf den Militärplätzen des 1. Jh. n.<br />
Chr. von der Provinzwerdung bis zur Gründung der ersten Kastelle im<br />
unmittelbaren Vorfeld der Donau. An diesem rund 60 km langen Flussabschnitt<br />
liegen sechs reguläre Kastelle und über 20 temporäre Truppenlager,<br />
Kleinkastelle, spätantike Kastelle und Burgi. Diese Militärpräsenz zu<br />
verschiedenen Zeiten ist bedingt durch die besondere geographische Situation<br />
an diesem Stromabschnitt am Schnittpunkt zweier europäischer<br />
Hauptverkehrsachsen: der Donau und einer seit vorgeschichtlicher Zeit<br />
genutzten Nord-Süd-Verbindung zu Lande.<br />
Römische Grenzsperren und temporäre Truppenlager<br />
Mit dem Breitung-Kastell am raetischen Limes wird demnächst das erste<br />
vollständig untersuchte semipermanente Lager publiziert. Es handelt sich um<br />
den Prototyp eines Kastells, das für kurze Zeit und für eine ganz spezielle<br />
Aufgabe errichtet wurde, wahrscheinlich in der letzten Ausbauphase des<br />
obergermanisch-raetischen Limes um 160 n. Chr.<br />
Stand: 11/2007 61
Eine ganze Reihe unbekannter römischer Feldlager aus der Zeit der<br />
Markomannenkriege wurden in der Südwestslowakei bei systematischen<br />
Befliegungen nördlich der Donau entdeckt und durch Ausgrabungen,<br />
Sondierungen, topographische Aufnahmen sowie geophysikalische Messungen<br />
erforscht. Diese Marschlager stehen beispielhaft für das zeitweise Ausgreifen<br />
römischer Macht über die definierte Grenze hinaus ins Barbaricum.<br />
Auch im Vorfeld des Limes Porolissensis (NW-Rumänien) wurde nach Spuren<br />
römischer Militärpräsenz gesucht. Weitere Untersuchungen in Marschlagern in<br />
dieser Region sind geplant.<br />
Im Projekt Keltische Traditionen im römischen Süddeutschland werden<br />
ländliche Siedlungsplätze der frühen und mittleren römischen Kaiserzeit an der<br />
Donau untersucht. Die früheste römische Besiedlung ab der Mitte des 1. Jh. n.<br />
Chr. ist durch bescheidene Gehöfte in Pfostenbauweise gekennzeichnet, die<br />
deutlich keltische Bautraditionen erkennen lassen. Die Frage nach der Herkunft<br />
dieser Siedler bzw. einer Siedlungskontinuität sind Kernanliegen dieses<br />
Vorhabens.<br />
Römische Siedlungs- und Wirtschaftstrukturen im ländlichen Raum an Donau<br />
und Limes<br />
Der gute Forschungsstand zur Villenbesiedlung im Gebiet zwischen Donau und<br />
Limes in Raetien erlaubt für diese Region weitergehende Fragen zur Rezeption<br />
von Räumen, zur Siedlungsentwicklung, ihrer Differenzierung sowie zur<br />
Nutzung von Ressourcen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Claus-Michael Hüssen (E-Mail: huessen@rgk.dainst.de)<br />
PHILINE KALB (RGK)<br />
Vale de Rodrigo (Co. Évora, Portugal)<br />
Das als „Megalithgebiet von Vale de Rodrigo“ bezeichnete Arbeitsgebiet des<br />
Projektes umfasst eine Fläche von ca. 240 km 2 . Im Zentrum liegen vier sog.<br />
„große“ Megalithgräber, Vale de Rodrigo 1 bis 4; unter zweien von ihnen sind<br />
ältere Siedlungsspuren nachgewiesen. Die Grabkammern sind aus<br />
tonnenschweren Blöcken und Platten verschiedener Granitgesteine errichtet,<br />
die am Ort fremd sind. Nach der Mindestentfernung von deren natürlichen<br />
Vorkommen, die in allen vier Himmelsrichtungen liegen, ist das Gebiet als<br />
„Raum“ definiert.<br />
Es entspricht einer geographischen Einheit, dem Einzugsgebiet am Oberlauf<br />
der Ribeira de Alcáçovas, einem Nebenfluss des Rio Sado, der in etwa 80 km<br />
Luftlinie entfernt bei Setúbal in den Atlantik mündet. Innerhalb des Gebietes<br />
sind insgesamt etwa 50 Megalithgräber verschiedener Größe und Typologie<br />
bekannt. Nach Norden und Osten wird das Gebiet durch Höhenzüge begrenzt,<br />
die – mit Ausnahme der Anta de Almendres – keine Megalithgräber, wohl aber<br />
Menhire und Steinkreise aufweisen. Diese scheinen u. a. auch Grenzfunktion zu<br />
haben, da sich sowohl im Osten, als auch im Norden, hinter der megalithfreien<br />
Zone wieder Megalithgebiete erstrecken. Megalithfreie Zonen, allerdings ohne<br />
Nachweis von Menhiren, begrenzen auch im Westen und Süden das Gebiet.<br />
Unsere Interpretation, dass die Auswahl der Gesteine für die Gräber von Vale<br />
de Rodrigon u. a. einen territorialen Machtbereich, d. h. einen politischen Raum<br />
abstecken, könnte und soll durch die Ausweitung der geologischen<br />
Untersuchungen auf die angrenzenden Gebiete untermauert werden, um zu<br />
Stand: 11/2007 62
überprüfen, ob dort ähnliche Verhältnisse zu beobachten sind.<br />
Dass Menhire eine Grenzlinie markieren können, ist im nördlichen Alentejo, im<br />
Megalithgebiet von Castelo de Vide, nachgewiesen. Dort stehen sie auf der<br />
Grenze zwischen Granit und Schieferuntergrund, und zwar jeweils auf Sicht,<br />
und trennen offensichtlich zwei Megalithgrabgruppen, die sich in der<br />
Grabtypologie und in ihren Wirtschaftsweisen voneinander unterscheiden.<br />
Das Megalithgebiet auf der Serra de Aboboreira in Nordportugal ist auf allen<br />
Seiten durch tief ins Relief eingeschnittene Flussläufe abgegrenzt. Auffallend<br />
ist, dass die Zahl der Megalithgräber (knapp 50) und die eingenommene Fläche<br />
von knapp ca. 240 km 2 , den Verhältnissen in Vale de Rodrigo auffallend<br />
gleicht.<br />
Die Fragen nach möglicher regelhafter Größe von derartig geschlossenen<br />
Megalithgebieten und deren möglicher Definition als politischem Raum und von<br />
Beziehungen zwischen benachbarten „Räumen“ im Neolithikum sind Fragen des<br />
Projektes, die zum Cluster 3 Bezug haben. Vor allem von der Diskussion mit<br />
Geographen und Historikern (Wirtschaftlichkeit eines solchen Gebietes,<br />
Grenzziehungen) und mit Kunsthistorikern und Klassischen Archäologen<br />
(Beschaffung von Baumaterial für Monumentalbauten und der geistige und<br />
politische Hintergrund) versprechen wir uns wichtige Hinweise und<br />
Vergleichsbeispiele.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Philine Kalb (E-Mail: kalb@rgk.dainst.de)<br />
MICHAEL KUNST, NINA LUTZ (Abteilung Madrid)<br />
Sizandro und Alcabrichel: Zwei kupferzeitliche Siedlungskammern im<br />
Vergleich<br />
Einführung<br />
Auf der Iberischen Halbinsel sind aus der Kupferzeit (3. Jt. v. Chr.) zahlreiche<br />
befestigte Siedlungen unterschiedlicher Größe bekannt, die größte, Marroquíes<br />
Bajos bei Jaén (Spanien) umfasst nach heutigem Kenntnisstand einen Raum<br />
von etwa 35 Hektar. Seit 1964 untersucht das DAI Madrid die kupferzeitliche,<br />
befestigte Siedlung von Zambujal (concelho Torres Vedras, Distrikt Lissabon,<br />
Portugal). Die bisher bekannte Fläche dieser Anlage beträgt nur etwa 3,3<br />
Hektar. Sie weist aber im Gegensatz zu allen anderen bekannten Plätzen, auf<br />
denen die Mauern nur bis zu maximal 2 m Höhe erhalten sind, in ihrem<br />
Zentrum Reste von 4 m hohen Mauern auf. In verschiedenen solcher<br />
Befestigungen ist Kupferverarbeitung nachgewiesen, die früheste auf der<br />
Iberischen Halbinsel, so auch in Zambujal. Zur Herkunft des Kupfers in dieser<br />
Siedlung läuft z. Zt. ein DFG-Projekt, das zu Forschungscluster 2 gehört.<br />
Zahlreiche Arbeiten beschäftigen sich z. Zt. mit Fragen zu den Territorien, die<br />
zu solchen Siedlungen gehörten. Im Süden Spaniens wird sogar darüber<br />
diskutiert, ob man von frühen Staaten sprechen kann. Zu diesen<br />
Fragestellungen kann sicher die Erforschung von Zambujal und seinem Umland<br />
wichtige Erkenntnisse beitragen. Mit der Behandlung solcher Fragen gehört das<br />
Projekt „Sizandro und Alcabrichel“ zum Forschungscluster 3 „Politische<br />
Räume“.<br />
Untersuchungsgebiet<br />
Das Untersuchungsgebiet liegt an der Atlantikküste der portugiesischen<br />
Estremadura ca. 50 km nordwestlich von Lissabon. Zambujal selbst liegt etwa<br />
Stand: 11/2007 63
14 km von der heutigen Atlantikküste entfernt, im Hinterland gibt es mehrere<br />
kleinere gleichzeitige Siedlungen mit Befestigungsbauten.<br />
Im Zentrum der Untersuchungen stehen die beiden parallelen Flusstäler des<br />
Rio Sizandro und des Rio Alcabrichel. Ihr Einzugsgebiet wird im Osten durch<br />
die Serra de Montejunto begrenzt. Das Arbeitsgebiet beschränkt sich damit auf<br />
den Landkreis (concelho) von Torres Vedras. Mit dieser Stadt gibt es schon seit<br />
längerem – nämlich innerhalb des Projektes Zambujal – eine gute<br />
Zusammenarbeit, für die wir sehr dankbar sind. Zambujal liegt an der Ribeira<br />
de Pedrulhos, einem kleinen Nebenfluss des Rio Sizandro.<br />
Ziele und Methoden<br />
Durch das neue Projekt „Sizandro-Alcabrichel“ soll die Funktion dieser<br />
Siedlungen im Kontext der kupferzeitlichen Landschaft untersucht werden. Da<br />
das Gewässernetz auch als ein natürliches Kommunikationsnetz verstanden<br />
werden kann, gehen die Untersuchungen von den Einzugsgebieten der beiden<br />
genannten Flüsse aus.<br />
Mit Hilfe von intensiven Prospektionen, Funddichtekartierungen sowie Analyse<br />
der Funde nach Ähnlichkeiten und Unterschieden soll hierfür das kupferzeitliche<br />
Besiedlungsnetz innerhalb des Arbeitsgebietes erforscht werden. Im<br />
Fordergrund stehen dabei die Fragen nach der Nutzung des Raums und der<br />
Ressourcen sowie der Warenzirkulation. Durch Sondierungsgrabungen auf<br />
ausgesuchten Fundstellen – Siedlungen und Nekropolen – soll die Chronologie<br />
dieser Plätze präzisiert werden. Dafür sind neben stratigraphischen Analysen<br />
auch 14 C-Datenserien vorgesehen.<br />
Ergänzend werden anthropologische Untersuchungen an menschlichen<br />
Skelettresten sowohl aus Nekropolen als auch aus den Siedlungen<br />
durchgeführt. Eine weitere wichtige Stellung nimmt innerhalb des Projektes die<br />
geologisch-geographische Forschung sowie Untersuchungen zur Paläobotanik<br />
und Paläozoologie ein. Dadurch wird versucht, die Veränderungen der Umwelt<br />
im Holozän zu rekonstruieren, um einerseits den anthropogenen Einfluss auf<br />
die Landschaftsentwicklung zu erforschen und andererseits eine bessere<br />
Grundlage für die Behandlung der Frage nach den Ressourcen und möglichen<br />
Territoriumsgrenzen zu schaffen. Dabei spielt die Rekonstruktion der<br />
ehemaligen Vegetation durch Pollenanalyse und Bodenkunde eine wesentliche<br />
Rolle.<br />
Alle Daten zur Lage der Fundplätze zueinander und in Bezug zur<br />
rekonstruierten Landschaft, der Lage von Ressourcen sowie der<br />
archäologischen und archäometrischen Fundanalysen zur Warenzirkulation<br />
gehen in ein Geographisches Informationssystem (GIS) auf Basis des<br />
Programms Manifold ein. Dadurch werden verschiedene Beziehungsmuster<br />
erarbeitet mit dem Ziel, die Besiedlungsdynamik vom Neolithikum bis zur<br />
Bronzezeit aufzuzeigen und Argumente zu finden, um das zu Zambujal<br />
gehörende Territorium einzugrenzen und seine historische Entwicklung, soweit<br />
es die archäologischen Mittel ermöglichen, in groben Zügen nachzuzeichnen.<br />
Die bisher bekannten Siedlungsplätze liegen an den beiden genannten Flüssen<br />
und ihren Nebenflüssen. Die entsprechenden Täler können eventuell als<br />
Siedlungskammern aufgefasst werden. Interessant wäre nun, ob sich aus dem<br />
Vergleich der Landschaftsrekonstruktion mit der Lage der Siedlungs- und<br />
Bestattungsplätze sowie des Fundmaterials mehr Trennendes oder mehr<br />
Verbindendes zwischen beiden Flusseinzugsgebieten nachweisen lässt.<br />
Das Projekt ist also interdisziplinär, aber auch international, denn es wird in<br />
enger Zusammenarbeit mit K. Lillios von der Universität Iowa (U.S.A.) und<br />
ihren Mitarbeitern durchgeführt, die sich in diesem Sommer erstmals mit<br />
Prospektionen und Ausgrabungen beteiligen.<br />
Stand: 11/2007 64
Erste Ergebnisse<br />
In der ersten Projektphase wurde vom 12.11. bis 03.12.2006 eine<br />
Feldkampagne durchgeführt, die sich hauptsächlich der Vorbereitung des<br />
geplanten Projektes widmete. Wichtige Ziele waren die Zusammenstellung des<br />
nötigen Kartenmaterials, die Verfeinerung der koordinatengestützten<br />
Prospektionsmethode, die Schaffung einer Projektdatenbank als Grundlage für<br />
ein geographisches Informationssystem und die Bestandsaufnahme der bisher<br />
bekannten Fundstellen im Arbeitsgebiet.<br />
Im Rahmen der ersten Kampagne konnten bereits wichtige Ergebnisse erzielt<br />
werden. Auf den Begehungsflächen östlich des bislang bekannten<br />
Siedlungsareals von Zambujal wurden verschiedene Fundkonzentrationen<br />
beobachtet. Aufgrund ihrer Fundzusammensetzung lassen sich die Fundplätze<br />
2 und 4 am überzeugendsten als Schlagplätze für die Herstellung von<br />
Silexartefakten deuten. Damit versprechen sie Einblicke in die Frage nach<br />
unterschiedlichen Aktivitätszonen im Umfeld der Siedlung. Die Fundplätze 1<br />
und 3 können möglicherweise als kleinere Siedlungskerne im Umfeld der<br />
Siedlung von Zambujal gedeutet werden oder das ganze Gebiet gehörte zu<br />
einer riesigen, etwa 20 Hektar großen Anlage; andererseits könnten sich dort<br />
auch Nekropolen befinden. Diese Fragen lassen sich erst durch Ausgrabungen<br />
klären. Im Sizandrotal wurde vom 2. bis 28.8. eine Geländekampagne unter<br />
der örtlichen Leitung von. R. Dambeck (Arbeitsgruppe Bodenkunde, <strong>Institut</strong> für<br />
Physische Geographie, Frankfurt a. Main mit drei studentischen Hilfskräften der<br />
Universitäten Frankfurt a. Main und Leipzig) durchgeführt. Sondierbohrungen<br />
im Tal des Rio Sizandro, südlich der Ortschaft Benfica, dienten der Erkundung<br />
des Sedimentaufbaus, um Erkenntnisse zur Landschaftsgeschichte zu<br />
gewinnen. Entlang eines Querprofils in der Sizandro-Aue wurden in Abständen<br />
von 30 m insgesamt 8 Rammkernbohrungen mit einer Gesamtbohrleistung von<br />
160 m durchgeführt und 263 Sedimentproben gewonnen. An einer Lokalität<br />
wurden Ablagerungen mit marinem Fauneninhalt (Schalenbruchstücke fossiler<br />
Muscheln) geborgen, die für die Interpretation der holozänen Talgeschichte von<br />
besonderem Wert sind. Die Bohrungen belegen eine lokal bis zu 24,3 m<br />
mächtige Sedimentverfüllung. Daraus lässt sich ein einfaches Bild der<br />
Talentwicklung seit Beginn des Holozäns vor ca. 11.500 Jahren rekonstruieren.<br />
Folgende Phasen der Landschaftsentwicklung sind grob zu modellieren.<br />
1. Ablagerung von Hochflutsedimenten am Talgrund und anschließende<br />
Bodenentwicklung (altholozäne Landoberfläche)<br />
2. Marine Transgression als Folge des gegen Ende der letzten Kaltzeit<br />
einsetzenden klimatisch bedingten Meeresanstiegs, Ausbildung einer Bucht<br />
(mittleres Holozän)<br />
3. Verlandung der Bucht als Folge des terrestrischen Sedimenteintrags aus<br />
dem Hinterland, verursacht durch Bodenerosion (etwa ab Kupferzeit)<br />
Anhand der Geländebefunde sind die bisherigen Annahmen zur Ausdehnung<br />
der im Sizandro-Tal entwickelten ehemaligen Meeresbucht zu präzisieren. Das<br />
Gewässer dürfte schmaler als bislang angenommen (Hoffmann 1988) gewesen<br />
sein, könnte aber eine etwas größere Wassertiefe aufgewiesen haben.<br />
Für das Jahr 2007 sind archäologische und bodenkundliche Prospektionen, vor<br />
allem auch im Alcabricheltal geplant, sowie Ausgrabungen unserer<br />
amerikanischen Partner von der Universität Iowa an einer Hypogäen-Nekropole<br />
bei Bolores im Sizandrotal.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Michael Kunst (E-Mail: kunst@madrid.dainst.org)<br />
Nina Lutz M.A. (E-Mail: lutz@madrid.dainst.org)<br />
Dr. Rainer Dambeck (E-Mail: dambeck@em.uni-frankfurt.de<br />
Stand: 11/2007 65
ASTRID LINDENLAUF (Abteilung Athen)<br />
Befestigungsanlagen Athens im Spiegel der Stadtentwicklung<br />
Diese Studie beschäftigt sich mit den bisher wenig erforschten Verteidigungsund<br />
Befestigungsanlagen des Stadtstaates Athen in der Antike: den<br />
Stadtmauern und Befestigungen, die das Stadtgebiet spätestens seit 479 v.<br />
Chr. klar markierten, begrenzten und gegen Eindringlinge schützten. Ziel des<br />
Projektes ist es, erstmalig eine umfassende und dem neuesten<br />
Forschungsstand entsprechende topographische Dokumentation der antiken<br />
Befestigungsanlagen Athens von der geometrischen bis zur spätantiken Zeit zu<br />
erstellen und deren Bedeutung für die Geschichte der Stadt zu analysieren. Die<br />
Arbeit wird neben der Aufarbeitung und neuen Analyse bekannten Materials die<br />
Ergebnisse neuer Ausgrabungen berücksichtigen, sowie Reiseberichte von<br />
Griechenlandreisenden des 18. und 19. Jahrhunderts, die bisher unzureichend<br />
auf ihre Aussagekraft hinsichtlich des athenischen Befestigungssystems hin<br />
untersucht worden sind.<br />
Der Forschungsschwerpunkt liegt auf dem ersten Befestigungssystem, der sog.<br />
Themistokleischen Stadtmauer, dem ersten archäologisch nachweisbaren<br />
Mauerring der Stadt Athen, der bis auf wenige Änderungen und<br />
Unterbrechungen bis in die Spätantike zu Verteidigungszwecken genutzt<br />
wurde. Dessen Mauerverlauf kann aufgrund der in den zahlreichen<br />
Notgrabungen der letzten Jahrzehnte und in den <strong>Institut</strong>sgrabungen im<br />
Kerameikos gefundenen datierbaren Mauerfunde sowie aufgrund indirekter<br />
Hinweise (wie die Lokalisierung von klassischen Friedhöfen und Straßen)<br />
rekonstruiert werden. Die Lokalisierung von zusätzlichen Toren und die<br />
Erforschung der Einbindung der Tore in das existierende Straßennetz wurden<br />
durch die jüngeren Stadtgrabungen ermöglicht. Die historische Bedeutung des<br />
Themistokleischen Stadtmauerringes ist literarisch belegt. Thukydides<br />
beispielsweise behandelt nicht nur die Errichtung dieser Mauer, sondern auch<br />
deren Bedeutung als historisches Monument der Stadtgeschichte. Deren<br />
Erinnerungscharakter an die Perserkriege und an das Erstarken Athens zu einer<br />
führenden Großmacht ist in den Quellen selbst noch zu einer Zeit bezeugt, in<br />
der große Strecken der Themistokleischen Mauer bereits zerstört waren.<br />
Aufgrund der reichen Quellenlage für Athen können auch andere Aspekte der<br />
Stadtmauer untersucht werden, wie etwa deren repräsentativer Charakter in<br />
der Selbstdarstellung der Stadt und deren Funktion als Grenzmarkierung.<br />
Ein diachronischer Interpretationsansatz ermöglicht Veränderungen im Verlauf<br />
der Verteidigungslinie zu verfolgen und diese sowohl mit veränderten Angriffsund<br />
Verteidigungstechniken zu erklären, als auch mit der urbanistischen<br />
Entwicklung und den veränderten Bedürfnissen des Stadtstaates und seiner<br />
Einwohner. Wird das Konzept der Mauer als Grenze in einem diachronischen<br />
Rahmen angewandt, können Fragen zum antiken Verständnis der Stadt als<br />
Asty und Polis beantwortet werden:<br />
Wann wurde die Stadtmauer als Grenze zwischen urbanen und extra-urbanen<br />
Räumen und Tätigkeiten verstanden?<br />
Wie wirken sich Veränderungen in den Siedlungsstrukturen auf den<br />
Mauerverlauf aus, und welche Auswirkungen hatte die Errichtung des<br />
Diateichismas auf die jenseits der Quermauer liegenden Stadtviertel?<br />
Inwieweit trug die Erfahrung des Peloponnesischen Krieges, in der sich die<br />
Bevölkerung der Polis Athen im Themistokleischen Stadtmauerring<br />
verschanzte, zu einem veränderten Selbstverständnis des Stadtstaates bei,<br />
Stand: 11/2007 66
welches nicht nur die Stadt (asty), sondern auch die zur Stadt gehörende<br />
chora als schützenswerten Raum ansah.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Astrid Lindenlauf (E-Mail: z. Zt. alindenlauf@chs.harvard.edu)<br />
NORBERT NEBES (Orient-Abteilung)<br />
Politische Hegemonie und Handelswege in Südarabien<br />
Die Formation der altsüdarabischen Stadtstaaten im frühen 1. Jt. v. Chr. wird<br />
zum einen durch naturräumliche Gegebenheiten wie das Vorhandensein von<br />
ausreichenden Wasserressourcen, zum anderen durch ihre strategische Lage<br />
an der Weihrauchstraße bestimmt. Zu Beginn des 7. Jh. v. Chr. etablieren sich<br />
die Sabäer als die dominierende Hegemonialmacht in Südwestarabien, was<br />
durch einschlägige epigraphische Zeugnisse dokumentiert wird. Durch weit<br />
reichende Militäraktivitäten, ein ausgewogenes Bündnissystem sowie durch den<br />
käuflichen Erwerb von Städten und ganzen Landschaften sichern sie sich die<br />
Kontrolle der südwestarabischen Route dieses Handelsweges. Aufgrund der in<br />
den epigraphischen Quellen genannten Konfliktparteien und Bündnispartner<br />
kann der Verlauf des Wegenetzes zu dieser Zeit in seinen Grundzügen<br />
rekonstruiert werden.<br />
Der kürzliche Neufund einer Monumentalinschrift aus Sirwah, die ins<br />
ausgehende 8. Jh. v. Chr. zu datieren ist, beleuchtet den Aufstieg Sabas zur<br />
Hegemonialmacht. Die Inschrift gibt zugleich einen Einblick in ein historisches<br />
Szenario, welches sich von jenem einige Jahrzehnte später insofern<br />
grundlegend unterscheidet, als die Sabäer mit anderen Konfliktparteien und<br />
Koalitionen konfrontiert sind. Die Schlussfolgerungen, die sich hieraus ergeben,<br />
legen nahe, dass der Verlauf der Weihrauchstraße zumindest zu dieser Zeit<br />
modifiziert werden muss, und führen letztlich zu der Frage, inwieweit der<br />
Seeweg für die innerarabische Route bereits in dieser frühen Formationsphase<br />
eine Rolle gespielt haben kann.<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Norbert Nebes (E-Mail: gnn@uni-jena.de)<br />
ANDREAS OETTEL (Zentrale)<br />
Die frühbyzantinische Siedlung von Tall Dġērāt-Süd / Nord-Ost-Syrien<br />
Das Forschungsvorhaben ist entstanden aus dem Projekt „Rettungsgrabung<br />
Tall Dġērāt-Süd/Nord-Ost-Syrien“, das – gefördert durch die Fritz Thyssen<br />
Stiftung – in den Jahren 2000 bis 2004 in Kooperation zwischen der Zentrale<br />
des DAI und dem <strong>Institut</strong> für Vorderasiatische Altertumskunde der FU Berlin<br />
(Prof. Dr. Hartmut Kühne) durchgeführt wurde. Die Arbeiten in Syrien konnten<br />
mit einer letzten Aufarbeitungskampagne im Museum von Dēir az-Zōr im Jahre<br />
2004 abgeschlossen werden (siehe Forschungsplan). Die wissenschaftliche<br />
Auswertung erfolgt zur Zeit.<br />
Die Grabung galt einem durch ein Stauseeprojekt akut gefährdeten und<br />
mittlerweile zerstörten Kastell des frühen 4. Jhs. n. Chr. am Fluss Hābūr.<br />
Römische Kastelle waren hier bislang nur aus schriftlichen Quellen bekannt.<br />
Wahrscheinlich handelt es sich um den Standort der „Ala prima nova<br />
Diocletiana, inter Thannurin et Horobam“, der in der Notitia Dignitatum<br />
Stand: 11/2007 67
(Or 35, 31.) erwähnt wird.<br />
Der Nachweis einer repräsentativen Um- und Neubebauung des<br />
Kastellgeländes noch in frühbyzantinischer Zeit war ein überraschendes<br />
Ergebnis. Der bisherige Stand der Auswertung erhärtet die Arbeitsthese, dass<br />
in Tall Dġērāt-Süd aus dem spätrömischen Kastell ein frühchristliches Kloster<br />
mit Kirche zu einer Zeit entstand, als die Grenzverteidigung in dieser Region<br />
des frühbyzantinischen Reiches in den Händen der Ġassaniden, eines<br />
christlichen Araberstammes, lag. Die symbolische Bedeutung der christlichen<br />
Anlage in dem nun zur Siedlung geöffneten Kastellgelände dürfte sowohl im<br />
intramuralen wie extramuralen Raum enorm gewesen sein. Der befestigte Ort<br />
als Ganzes blieb davon unabhängig sicher weiterhin ein wichtiger Faktor der<br />
Grenzsicherung: möglicherweise ein Beispiel für die Transformation politischen<br />
Raumes bei konstanter Funktion.<br />
Die Umgebung von Tall Dġērāt-Süd bietet sich daher in besonderer Weise zur<br />
Untersuchung von Strategien räumlicher Organisation an, zudem wurde sie<br />
bereits im Zusammenhang mit dem Tal des unteren Hābūr unter<br />
naturräumlichen Aspekten untersucht. Vor allem haben Surveys eine gute<br />
Materialgrundlage geschaffen, um die Siedlungsverteilung in dieser Periode<br />
genauer betrachten zu können. Die Voraussetzungen für die Erforschung der<br />
Transformationsprozesse dieses spätantiken Grenzpostens im Vorfeld der<br />
islamischen Eroberung sind im Hinblick auf die Phänomene<br />
„Ressourcennutzung“ und „Grenzen“ daher sehr gut.<br />
Die methodische Diskussion von „Strategien räumlicher Organisation beim<br />
Zugriff auf Ressourcen“ unter besonderer Berücksichtigung der Grenzsituation,<br />
insbesondere aber auch der symbolischen Bedeutung von weithin sichtbarer<br />
Architektur verspricht für die Interpretation der Befunde wertvolle Anregungen.<br />
Damit scheint Tall Dġērāt-Süd sehr gut geeignet, einen Beitrag zum<br />
erweiterten Verständnis des Begriffs „politischer Raum“ zu leisten.<br />
Kooperationspartner:<br />
<strong>Institut</strong> für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität Berlin (Prof. Dr.<br />
Hartmut Kühne)<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Andreas Oettel (E-Mail: ao@dainst.de)<br />
ANDREAS OETTEL (Zentrale)<br />
Lissos: Stadtmauern und Umland<br />
Die Stadtmauer von Lissos war ein konstituierendes Element bei der<br />
Ausprägung sowohl des intramuralen als auch des extramuralen Raumes dieser<br />
Polis in Illyrien. Denn in der nordwestalbanischen Küstenebene war sie weithin<br />
sichtbar und unterstrich damit auch symbolisch die Bedeutung der Stadt,<br />
welche wohl vornehmlich durch die Kontrolle der Hauptverbindungsstraße<br />
entlang der Küste sowie der Straße nach Kosovo und durch die beiden Häfen<br />
begründet war.<br />
Die Stadtmauer von Lissos stellt einen wichtigen Schwerpunkt des deutschalbanischen<br />
Projekts „Lissos. Urbanistik und sozio-ökonomische Strukturen<br />
einer hellenistischen Polis in Illyrien“ dar (siehe 3. Forschungsfeld: Urbane<br />
Räume), das von der DFG im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1209 („Die<br />
hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche<br />
Identität zwischen Tradition und Wandel“) gefördert wird. Einer detaillierten<br />
Baubeschreibung sollen in der nächsten Kampagne mehrere Sondagen folgen,<br />
Stand: 11/2007 68
um die Bauphasen chronologisch einordnen zu können. Insbesondere stellt sich<br />
die Frage, ob das die Oberstadt gliedernde Diateichisma erst in die späte<br />
caesarische Erneuerungsphase gehört. Von einer Mitarbeit in diesem<br />
Forschungsfeld sind durch den Austausch mit den anderen Stadtmauer-<br />
Projekten wichtige Impulse für die Arbeiten in Lissos zu erwarten.<br />
Die Frage, welche Bedeutung die Stadtmauer von Lissos für den extramuralen<br />
Raum besaß, versucht ein Survey zu antworten, der die bislang weitgehend<br />
unbekannten Orte und Festungen im Umland systematisch erfasst. Die relativ<br />
kleine nordalbanische Küstenebene zwischen der Maat-Mündung im Süden und<br />
der montenegrinischen Grenze im Norden, die von der Adria im Westen und<br />
hohen Bergen im Osten eingeschlossen und gleichzeitig von mehreren<br />
Hügelrücken durchzogen wird, bietet sich in besonderer Weise für eine<br />
exemplarische multidisziplinäre Untersuchung eines Siedlungsraumes an.<br />
Um die naturräumlichen Bedingungen des Umlands von Lissos besser kennen<br />
zu lernen, wurden 2006 durch das Geographische <strong>Institut</strong> der Universität<br />
Marburg (Prof. Dr. Helmut Brückner) Bohrungen im Küstenbereich der<br />
modernen Stadt Lezha durchgeführt, die bereits erste wichtige Ergebnisse zum<br />
Verlauf der antiken Küstenlinie, des Flusses Drin und vor allem zur Lage des<br />
vermuteten Seehafens in der Antike erbrachten. Sie sollen 2007 im Rahmen<br />
eines eigenen Projekts fortgeführt werden.<br />
Die gerade erst begonnenen mulitdisziplinären Forschungen lassen wichtige<br />
Erkenntnisse zur Organisation des extramuralen Raums der Polis Lissos<br />
erwarten.<br />
Kooperationspartner:<br />
<strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> der Akademie der Wissenschaften Albaniens, Tirana<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Andreas Oettel (E-Mail: ao@dainst.de)<br />
Dipl.-Ing. Hans-Christof Haas (E-Mail: hans-christof_haas@gmx.de)<br />
Prof. as. Dr. Gëzim Hoxha (E-Mail: ghoxha@albmail.com)<br />
DIETRICH RAUE, STEPHAN SEIDLMAYER, PHILIPP SPEISER (Abteilung Kairo)<br />
Der Erste Katarakt<br />
Wenige Gebiete in der antiken Welt können einerseits über annähernd 5000<br />
Jahre hinweg eine derartige Denkmälerdichte wie der Erste Katarakt<br />
aufweisen, und sind andererseits seit den Anfängen der Archäologie im<br />
Blickpunkt der Altertumswissenschaften. Hierfür sind vor allem die<br />
topographischen Grundgegebenheiten verantwortlich: Hier endet der auf<br />
Landwirtschaft basierende Wirtschaftsraum des zentralistischen Flächenstaates<br />
Ägypten und geht, gerahmt von eng angrenzenden Wüstengebieten, über in<br />
den eher eine seminomadische Lebensweise fördernden, von Felsformationen<br />
bestimmten Raum der nubischen Kataraktfolge. Letztere ist gleichzeitig die<br />
Brücke zum Handel mit Gütern aus Schwarzafrika. Die Folge hiervon ist ein gut<br />
fünf Jahrtausende währendes Nebeneinander der nubischen und ägyptischen<br />
Kultur, staatliche Repräsentation vs. lokal-ethnische Realitäten, ägyptische<br />
Staatsinteressenssphären vs. externe Okkupationsinteressen (Perser, etc.) vs.<br />
Ansätze zur Staatsbildung in den nubischen Kulturen.<br />
Das DAI ist in diesem Raum mit zwei Projekten vertreten und kooperiert eng<br />
mit einem dritten Feldprojekt: Die ZD-Unternehmung Elephantine befasst sich<br />
seit 1969 mit dem urbanen Zentrum der Region, der Inselsiedlung Elephantine.<br />
Hier steht mittlerweile eine Fülle von Informationen zur Geschichte dieses 4500<br />
Stand: 11/2007 69
Jahre lang besiedelten Grenzortes und Stapelplatzes zur Verfügung. Seit 2005<br />
wird der Zeitraum des frühen islamischen Mittelalters, der auf der Insel<br />
lediglich schlecht erhalten ist, in der Nekropole der fatimidischen und<br />
ayyubidischen Zeit in der gegenüberliegenden Stadt Assuan untersucht.<br />
Außerhalb von Kairo steht in Ägypten kein Befund zur Verfügung, in dem die<br />
soziale Stratigraphie einer islamischen Gesellschaft dieser Zeit mit hunderten<br />
von Grabbauten archäologisch noch derart gut erhalten auf einer Fläche von 30<br />
ha zu beobachten ist. Aus den Untersuchungen auf der Insel Elephantine ging<br />
als weiteres Projekt ein nunmehr von der DFG gefördertes Unternehmen der<br />
FU Berlin hervor, das sich mit den Felsinschriften der Region beschäftigt.<br />
Hiermit liegt ein einmaliges Corpus von mehr als 1000 Texten vor, die sowohl<br />
das externe Interesse wie auch die lokalen Verhältnisse beleuchten.<br />
Die Konstanten, die internen Befundbezüge und die Variablen dieses Raumes<br />
herauszuarbeiten ist das Ziel der Beteiligung am Cluster 3. Hierfür sind im<br />
kommenden Jahr zwei Schritte vorgesehen: Im September 2007 ist ein<br />
Internationaler Workshop zum Thema „The First Cataract: one region - various<br />
perspectives“ in Vorbereitung. Das Treffen soll eine Materialbasis schaffen, mit<br />
der dieser Raum exemplarisch soziale, ökonomische und politische<br />
Entwicklungen über einen Zeitraum von 4800 Jahren einbringen kann. Hierfür<br />
werden neben den Projekten deutscher Universitäten auch die Kollegen aus der<br />
Schweiz und aus Österreich, aus England, Frankreich und Ägypten<br />
hinzugeladen, um einen möglichst vollständigen Überblick zu gewinnen. Im<br />
Anschluss an das Treffen ist eine Veröffentlichung der Referate in Gestalt einer<br />
Internet-Publikation vorgesehen.<br />
Im Rahmen der Untersuchungen zur Insel Elephantine wird ein<br />
geomorphologischer Survey beginnen. Auf der Insel und im Vorfeld des<br />
Westufers werden sukzessive mittels Bohrungen die Frage nach Anzahl und<br />
Größe weiterer Siedlungsplätze geklärt werden, um schließlich die Stellung der<br />
Inselsiedlung auch mit externen Befunden absichern zu können und Klarheit in<br />
die urbanistische Struktur des Raumes zu bringen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Dietrich Raue (E-Mail: raue@soficom.com.eg)<br />
Prof. Dr. Stephan J. Seidlmayer (E-Mail: seidlmay@zedat.fu-berlin.de)<br />
Dr. Philipp Speiser (E-Mail: speiser@baugeschichte.a.tu-berlin.de)<br />
UDO SCHLOTZHAUER (Eurasien-Abteilung)<br />
Kepoi: Survey- und Grabungsprojekt<br />
Das Gemeinschaftsprojekt der Eurasien-Abteilung, des Staatlichen Historischen<br />
Museums Moskau und der Russischen Akademie der Wissenschaften an der<br />
Nordwestspitze der Taman-Halbinsel in Südrussland startete im Juli 2006. Die<br />
bisherige Erforschung der milesischen Kolonie Kepoi und ihres Hinterlandes<br />
wurde in den späten 50er bis frühen 70er Jahren von N. I. Sokolskij und N. P.<br />
Sorokina sowie in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von V. D.<br />
Kuznetsov geleistet. Das Hinterland wird seit über dreißig Jahren vor allem in<br />
Form von Luftbildarchäologie und Oberflächenbegehungen durch J. M. Paromov<br />
untersucht.<br />
Der Ansatz, Stadt- und Hinterlanderforschung in einem Vorhaben zu bündeln,<br />
ist für das nördliche Schwarzmeergebiet bisher selten ins Auge gefasst worden.<br />
Daher wird mit dem Projekt – bezogen auf die Region – bereits Neuland<br />
betreten und es kann darum im Augenblick nur in geringem Umfang auf<br />
konkrete oder theoretische Grundlagen zurückgreifen. Allerdings sind zu dem<br />
Stand: 11/2007 70
zweiten deutsch-russischen Forschungsunternehmen in Taganrog (O. Dally,<br />
DAI Zentrale), vielfältige Verbindungen gegeben.<br />
Der historische Rahmen, die naturräumlichen Bedingungen sowie das vom<br />
Projekt ausgewählte Untersuchungsgebiet stellten für die Fragen nach Raum,<br />
Nutzung von Raum und seine Gestaltung eine Vielzahl von Ansatzpunkten, die<br />
im folgenden thematisch vorgestellt werden.<br />
Grenzen<br />
Die in der Forschung, bes. in der historischen Landeskunde, bedeutende Frage<br />
nach den Grenzen von Poleis ist in den Gebieten des nördlichen<br />
Schwarzmeerraum besonders schwierig zu beantworten. Grenzfragen mit der<br />
Methode des Surveys zu klären, hat in dieser Region bislang kaum Erfolg<br />
gezeitigt. Doch auch dort, wo detaillierte Studien vorliegen, wie in Olbia oder<br />
Chersonesos, konnten Grenzen bisher lediglich durch befestigte Siedlungen<br />
nachgewiesen werden.<br />
Auf der Taman-Halbinsel zeichnet sich allerdings eine besondere Situation ab,<br />
da zur Zeit der griechischen Kolonisierung, seit dem späten 7. Jh. v.Chr.,<br />
kleine Inseln an der Stelle der heutigen Halbinsel bestanden haben. Die offene<br />
Frage, wie diese gestaltet waren, soll eine geoarchäologische Untersuchung<br />
klären, die in Zusammenarbeit mit dem Projekt in Taganrog begonnen wurde.<br />
Sie soll den Küstenverlauf im Asovschen Meer und am Kimmerischen Bosporus<br />
über die Jahrhunderte klären. Denn es ist zu vermuten, dass die Grenzen der<br />
Kolonie und ihres Hinterlandes durch die Insellage vorgegeben waren. Doch<br />
wie befestigten und erschlossen die Siedler ihre Territorien?<br />
Siedlungen<br />
Neben der literarisch bezeugten Hauptsiedlung, der milesischen Apoikia Kepoi,<br />
konnten bereits weitere, teilweise überraschend stark befestigte Siedlungen<br />
festgestellt werden. Einige liegen an strategischen Positionen, etwa an<br />
Durchfahrten zwischen möglichen Inseln. Eine solche befestigte Siedlung an<br />
einer Meerenge ist im Sommer 2006 anhand geomagnetischer Prospektion und<br />
begrenzter Kontrollgrabungen bekannt geworden. Überraschend ist, dass bei<br />
der Oberflächenbegehung Scherben angetroffen wurden, die bis in die erste<br />
Hälfte des 6. Jhs. v. Chr. zurückreichen. Damit wären die Siedlungen nach<br />
jetzigem Kenntnisstand nicht wesentlich jünger oder vielleicht etwa zeitgleich<br />
mit Kepoi zu datieren. Offenkundig ist die strategische Bedeutung dieser<br />
befestigten Siedlung. Doch in welchem Verhältnis standen sie sowohl<br />
zueinander als auch zum Hauptort, und gab es weitere Funktionen, die diesen<br />
Siedlungen zuzuordnen sind?<br />
Straßen, Siedlungen und Nekropolen<br />
Eine weitere wichtige Komponente der Erschließung des politischen und<br />
wirtschaftlichen Raums stellt das Straßensystem von Kepoi und seinem<br />
Hinterland dar. Dieses scheint sich in einigen Fällen mit heutigen<br />
Straßenverläufen zu decken, die häufig natürlichen Vorgaben folgen. Die<br />
Luftbildarchäologie hat weitere Straßen sichtbar gemacht. Diese werden<br />
ebenfalls kartiert und sollen durch Grabungen datiert werden. Dabei hat sich<br />
bereits herausgestellt, dass Indikatoren für vermutete Straßenverläufe<br />
flankierende Kurgane sein können, antike Ansiedlungen an Knotenpunkten von<br />
Straßen und Nekropolen an Ausfallstraßen zu vermuten sind. Die Beziehungen<br />
von Straßen, repräsentativen Grabanlagen und Besiedlung sind offenkundig.<br />
Weitere Fragen im Rahmen der Untersuchungen sind noch offen: In welcher<br />
Weise beziehen sich die Straßen auf den Hauptort und wie auf das Umland?<br />
Welche Informationen lassen sich zur Hierarchie von Hauptort und Hinterland,<br />
Stand: 11/2007 71
von Städtern und Siedlern, von Eliten und einfacher Bevölkerung gewinnen?<br />
Heiligtümer<br />
Heiligtümer spielen in der wissenschaftlichen Diskussion zu Räumen, ihrer<br />
Gestaltung und symbolischen Besetzung eine wesentliche Rolle. Doch während<br />
im Mutterland die Fragen der Ortswahl eines Heiligtums mit den Möglichkeiten<br />
von Übernahme älterer Vorgänger (Bronzezeit, oder autochthoner<br />
Bevölkerung), Grenzmarkierungen oder als politischer Treffpunkt diskutiert<br />
werden, scheint sich die Situation im nördlichen Schwarzmeerraum teilweise<br />
anders darzustellen. Da keine starke autochthone Vorbesiedlung angenommen<br />
wird, ist für die Ortswahl von Heiligtümern stärker von symbolischen,<br />
machtpolitischen und propagandistischen Motiven auszugehen, als dies<br />
möglicherweise im Mutterland der Fall war.<br />
Wie die angeführte Auflistung anzeigt, sind die Forschungen zu Kepoi und<br />
ihrem Hinterland in vielfältiger Weise mit den Fragstellungen des Clusters 3<br />
verbunden und werden zu unterschiedlichen Aspekten Ergebnisse beisteuern<br />
können.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Udo Schlotzhauer (E-Mail: us@dainst.de)<br />
PETER IRENÄUS SCHNEIDER (Zentrale)<br />
Die Stadtmauer von Tayma<br />
Nach Vorarbeiten im Jahr 2005 beschäftigt sich das von der<br />
Thyssen-Stiftung unterstützte Projekt „Die Mauern von Tayma“ seit 2006<br />
als Kooperationsprojekt von BTU Cottbus und DAI im Rahmen des<br />
DFG-Projekts Tayma, das an der Orient-Abteilung des DFG angesiedelt ist,<br />
mit den Mauern der Oasenstadt Tayma. Vorrangiges Ziel des Projekts ist es,<br />
mit einem bauforscherischen Ansatz die Mauerverläufe zu klären, die zeitliche<br />
Entwicklung der Maueranlage nachzuvollziehen, Aufbau und konstruktive<br />
Besonderheiten zu erklären und schließlich Hinweise auf die funktionale<br />
Bedeutung der Anlage zu gewinnen.<br />
Die Oasenstadt Tayma liegt im Nordwesten der Arabischen Halbinsel am<br />
Schnittpunkt zweier Handelsstraßen. Archäologisch belegt ist eine Besiedlung<br />
der Oase seit der Späten Bronzezeit. Spätestens zum Ende des zweiten<br />
vorchristlichen Jahrtausends war der Ort auch von einer Stadtmaueranlage<br />
geschützt, die nicht allein den zentralen Siedlungskern im Süden, sondern mit<br />
einer Gesamtlänge von gut 15 km auch die gesamte Oase und mehr noch<br />
einen Teil des nördlich anschließenden Binnengewässers (Sebkha) mit<br />
umfasste. Über weitere Mauerzüge sind zusätzliche Areale angeschlossen. In<br />
Tayma beschränkt sich so die Maueranlage nicht auf die Umwallung des<br />
Siedlungskerns, sie greift vielmehr auf den Maßstab des Umlandes aus.<br />
Mit Blick auf die vorgefundene Situation wird deutlich, wie über eine bislang<br />
ungeklärte militärische Funktion hinaus die Organisation der gesamten Oase<br />
mit ihrem zentralen Siedlungsbereich, den bewirtschafteten Feldern, dem<br />
inzwischen ausgetrockneten See im Norden und dem Palmenwald von dem<br />
Mauersystem strukturiert wird. Militärische Erfordernisse allein können die<br />
Gestalt der Anlage nicht erklären: die Mauerzüge erscheinen viel zu lang für<br />
eine ausreichende Besatzung und zu schwach angesichts ihres konstruktiven<br />
Aufbaus, in dem Hohlräume, Nischen und Schlitze ein häufiges Muster bilden.<br />
Stand: 11/2007 72
Die Bestimmung der unterschiedlichen Funktionen der Maueranlage ist ein<br />
grundlegendes Interesse des Projekts: Eine wesentliche Bedeutung wird die<br />
Kontrolle des Zugangs zum Wasser gespielt haben. Auch die Möglichkeit, sich<br />
von Seiten der Oasenbewohner gegenüber den anlaufenden Karawanen und<br />
gegenüber Fremden abschotten zu können, kann als ein Beweggrund für den<br />
Mauerbau erwogen werden. Die heute bekannten vormodernen Wasserquellen<br />
von Tayma befinden sich innerhalb der Maueranlage. Im Kontext des ariden<br />
Klimas ist neben dem Schutz vor menschlicher Aggression oder der<br />
Zugangskontrolle vor allem aber auch der Schutz vor Wind, Flugsand und<br />
Wasser als lebensnotwendige Anforderung zu berücksichtigen, wenn der<br />
vorislamische Dichter Imru ´l-K.ais schreibt: „Nicht lässt er (der Regensturm)<br />
einen Palmenstamm in Taimā übrig und keine Burg, wenn sie nicht aus Steinen<br />
gebaut ist.“ (zit. nach Fr. Buhl, EI X, S. 674 „TAIMA_´“). Die Maueranlage im<br />
Kontext der Oase erweist sich vor dem Hintergrund einer prekären<br />
Umweltsituation als multifunktionale Membran, gleichsam als Haut, als<br />
lebenswichtiges Organ.<br />
Auf vergleichbare Weise wie die Oase Tayma sind im Nordwesten der<br />
arabischen Halbinsel auch die Oasensiedlungen Khuraybah, das antike Dedan<br />
(heute in der Oase al-Ula gelegen), und Qurayyah (nordwestlich von Tabuk<br />
gelegen) strukturiert: Quraya besitzt ebenfalls ein ähnlich umfassendes und<br />
differenziertes Mauersystem, in Khuraybah ergänzen einzelne<br />
Landschaftsmauern den natürlichen Ring von Bergrücken, die den eigentlichen<br />
Siedlungskern umschließen. Für die gesamten Oase al-Ula, in der weitere<br />
antike Siedlungen inmitten des breiten, felsgesäumten Tals mindestens zu<br />
finden sind, kann der Literatur eine Reihe von Landschaftsmauern entnommen<br />
werden. Die Schutzsysteme dieser beiden Siedlungen sind im Zusammenhang<br />
zu berücksichtigen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Peter I. Schneider (E-Mail: ps@dainst.de)<br />
CHRISTOF SCHULER, ANDREAS VICTOR WALSER (AEK)<br />
Sympolitien und Synoikismen. Gesellschaftliche und urbanistische<br />
Implikationen von Konzentrationsprozessen in hellenistischer Zeit<br />
Die griechische Welt war in klassischer Zeit geprägt von zahllosen Poleis<br />
(Bürgergemeinden, Stadtstaaten), von denen viele nur winzige Territorien<br />
kontrollierten. Diese kleinteilige politische Landschaft veränderte sich seit dem<br />
4. Jh. und besonders im Hellenismus ganz erheblich durch Zusammenschlüsse,<br />
die sich meist als Eingemeindung kleinerer Nachbarn durch bedeutendere<br />
Poleis darstellen (Sympolitien, Synoikismen). In dem seit Juli 2007 im Rahmen<br />
des DFG – Schwerpunktprogrammes 1209: „Die hellenistische Polis als<br />
Lebensform“ laufenden Projekt sollen Sympolitien und Synoikismen als<br />
Indikator oder Katalysator für gesellschaftliche und städtebauliche<br />
Entwicklungen verstanden werden, die charakteristisch für die hellenistische<br />
Zeit sind. Im Mittelpunkt stehen die Interessen der beteiligten Partner: Die<br />
Bündelung von Ressourcen begünstigte die Zentralorte und dämpfte die<br />
urbanistische Entwicklung der peripheren Siedlungen. Deren Bewohner<br />
erhielten aber Zugang zur besser entwickelten Infrastruktur der Zentralorte.<br />
Die stärkeren Partner erzielten territoriale und demographische Gewinne,<br />
mussten jedoch die Exklusivität ihres Bürgerrechts aufheben und ihre<br />
<strong>Institut</strong>ionen für die Integration der kleineren Einheiten öffnen. Deren Bürger<br />
wiederum tauschten ihre Selbständigkeit gegen die erweiterten politischen<br />
Stand: 11/2007 73
Möglichkeiten einer Großpolis; die lokalen Eliten gewannen eine größere Bühne<br />
für ihre politischen Aktivitäten und ihre Selbstdarstellung.<br />
Die in das Zentrum des Forschungsclusters 3 gestellte Frage danach, „wie die<br />
räumliche Gliederung und Gestaltung von Siedlungen oder Territorien zur<br />
Ausprägung politischer Strukturen beigetragen haben“, ist für das Projekt von<br />
evidenter Bedeutung: Bestimmte naturräumliche Gegebenheiten sind für den<br />
politischen Zusammenschluss vormals unabhängiger Gemeinden<br />
selbstverständlich Voraussetzung. Darüber hinaus können Veränderungen in<br />
der geographischen Situation – etwa Verlandungsprozesse – oder die<br />
veränderte Sicht und Bewertung konstanter räumlicher Gegebenheiten – etwa<br />
Küstenlage gegen Binnenlage – Anlass zum politischen Zusammenschluss<br />
geben.<br />
Stärker noch als die kontigente Beeinflussung der politischen Strukturen durch<br />
Raumfaktoren rückt bei der Analyse von Sympolitien und Synoikismen der<br />
umgekehrte Vorgang ins Blickfeld: Durch die Zusammenschlüsse von<br />
Gemeinden, die das Ergebnis von komplexen, in den Einzelfällen höchst<br />
unterschiedlichen politischen Entscheidungsprozessen sind, wird zum einen der<br />
politische Raum durch die Neudefinition oder Aufhebung von Grenzen konkret<br />
neu gegliedert und geordnet. Zum anderen führen die politischen<br />
Transformationen zu Verschiebungen in der Wertigkeit bestimmter Teilräume<br />
in der neuen Gesamtpolis, die nicht ohne Auswirkungen auf deren bauliche und<br />
urbanistische Gestaltung bleiben.<br />
Die im Projekt unternommene Analyse der politischen Konzentrationsprozesse<br />
geht in erster Linie von schriftlichen, insbesondere epigraphischen Quellen aus.<br />
Von der Teilnahme am Forschungscluster werden deshalb vor allem<br />
theoretisch-methodische Impulse erhofft, die für den noch stärkeren Einbezug<br />
der archäologischen Forschung fruchtbar gemacht werden können.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. des. Andreas Victor Walser (E-Mail: walser@aek.dainst.de)<br />
SUSANNE SIEVERS, MICHELE ELLER (RGK)<br />
Das keltische Oppidum von Manching / Bayern<br />
Das keltische Oppidum von Manching (320-50 v. Chr.), seit 1956 von der RGK<br />
meist in Form von Rettungsgrabungen untersucht, umfasst 380 ha. Es war in<br />
seiner Spätphase von einer 7 km langen Stadtmauer umgeben. Manching gilt<br />
mit 25 ha untersuchter Fläche als das am besten erforschte Oppidum<br />
überhaupt, ist Motor der deutschen Oppidaforschung und hat die europäische<br />
Kelten-Forschung ganz wesentlich mitbestimmt. Die verkehrsgünstige Lage der<br />
Siedlung in der Ebene, an der Mündung der Paar in die Donau, prädestinierte<br />
sie in Kombination mit den sie umgebenden Ressourcen (u. a. Eisenerz) für<br />
ihre Rolle als Zentralort, der im Fernhandel ein Scharnier zwischen ost- und<br />
westkeltischem Raum bildete. Dennoch war das Oppidum, nicht nur was die<br />
Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, in hohem Maße von seinem Umland<br />
abhängig.<br />
Die Dimension der Stadtmauer erinnert an hellenistische<br />
Landschaftsfestungen, innerhalb derer auch Ackerbau betrieben wurde. Die<br />
Funktion der Stadtmauer als Territorialgrenze im engsten Sinn ist gleichsam<br />
als Symbol für die (angestrebte) politische Einheit aufzufassen.<br />
Stand: 11/2007 74
Fragestellung<br />
Das Umland des Oppidums ist unter der Fragestellung des politischen Raumes<br />
so gut wie nicht erforscht, weshalb eine Dissertation hierzu in Auftrag gegeben<br />
wurde (M. Eller, RGK Ingolstadt). Das Oppidum von Manching beherrschte<br />
sicherlich das sogenannte Ingolstädter Becken, das von der Donau<br />
durchflossen wird. Welche Rolle das Oppidum jedoch in Bezug auf sein Umland<br />
im Detail spielte, ist weitgehend unklar. In der Dissertation soll<br />
herausgearbeitet werden, ob sich verschiedene Siedlungstypen unterscheiden<br />
lassen und in welcher Beziehung diese zueinander standen. Im Fokus steht<br />
dabei der Einfluss Manchings in seiner 300-jährigen Geschichte auf diese<br />
Siedlungen sowie deren Beziehung zum Oppidum. Nahm Manching von Anfang<br />
an eine zentralörtliche Funktion ein? Wenn ja, welcher Art war diese Funktion<br />
(kultisch, wirtschaftlich, politisch)? In diesem Zusammenhang ist auch die<br />
Frage nach dem Hintergrund der Errichtung einer Stadtmauer zu stellen, ein<br />
Aspekt, der u. a. hinsichtlich eventueller mediterraner Einflüsse im Gefolge des<br />
keltischen Söldnerwesens zu untersuchen sein wird. Diente die Stadtmauer<br />
allein dem Schutz bzw. der Verteidigung? Gegen wen wollten sich die<br />
Bewohner des Oppidums schützen, oder wen „ausgrenzen“? Besteht die<br />
Möglichkeit, dass Manching für sein Umland Refugium war, oder grenzten sich<br />
seine Einwohner gegenüber dem unmittelbaren Umfeld ab? Welchen<br />
Stellenwert hatte der Aspekt der Repräsentation? Hier knüpft das Thema an<br />
das von S. Sievers im Forschungsfeld „urbane Räume“ angesiedelte Projekt zur<br />
Binnenstruktur des Oppidums von Manching an.<br />
Neben der Betrachtung der Grenzen zwischen dem Innern des Oppidums und<br />
seinem Umland müssen selbstverständlich auch naturräumliche Grenzen<br />
beachtet werden. Hierbei wird in erster Linie zu untersuchen sein, inwiefern die<br />
Donau als Grenze oder auch als verbindendes Element diente. Gibt es<br />
Unterschiede zwischen Siedlungen nördlich und südlich der Donau – in ihrem<br />
Verhältnis zu Manching, in ihren Beziehungen untereinander sowie in ihrer<br />
Funktion und Struktur? Leider wird diese Fragestellung durch<br />
forschungsgeschichtliche Gegebenheiten erschwert, da das südliche Umland<br />
nicht so gut erforscht ist wie die nördlichen Areale. Als weitere naturräumliche<br />
Grenzen sind auch die Übergänge vom Ingolstädter Becken zu den<br />
Mittelgebirgszügen zu verstehen, die sich vermutlich ebenfalls archäologisch<br />
fassen lassen.<br />
Methoden<br />
Um die Binnenstrukturen der Siedlung besser erfassen zu können, ist eine<br />
geophysikalische Prospektion der Reste der ungestörten Innenfläche geplant,<br />
die mit den Ergebnissen der Luftbildarchäologie und der bereits vorliegenden<br />
LIDAR-Befliegungen abzugleichen ist. Diese Untersuchungen werden auf das<br />
nähere Umfeld des Oppidums ausgedehnt, um in Erfahrung zu bringen, wie das<br />
Oppidum mit den es umgebenden befestigten Gehöften (Viereckschanzen) und<br />
sonstigen Siedlungsresten verbunden war. Alle Daten sollen in ein GIS-<br />
Programm einfließen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Susanne Sievers (E-Mail: sievers@rgk.dainst.de)<br />
Michèle Eller M.A. (E-Mail: eller@rgk.dainst.de)<br />
Stand: 11/2007 75
3. FORSCHUNGSFELD: URBANE RÄUME<br />
Moderatoren: Heinz-Jürgen Beste, Klaus S. Freyberger<br />
MARTIN BACHMANN, PHILIPP NIEWÖHNER (Abteilung Istanbul)<br />
Topographie und Stadträume in Istanbul. Strukturanalysen zum<br />
byzantinischen und osmanischen Siedlungsgefüge<br />
Zielsetzung<br />
Die Untersuchung der Istanbuler Stadttopographie und ihrer baulichen<br />
Zeugnisse aus verschiedenen Epochen bildete in der Vergangenheit einen<br />
Schwerpunkt der Forschungsarbeit der Abteilung Istanbul. Gerade vor dem<br />
Hintergrund der dramatischen Veränderungen, denen die Metropole in ihrem<br />
Stadtbild und in ihrer historischen Substanz unterworfen ist, gilt es, diesen<br />
Schwerpunkt neu zu beleben. Dabei steht die Frage nach der Genese und der<br />
Entwicklung historischer Stadträume im Mittelpunkt des Interesses. Als<br />
Schmelztiegel unterschiedlicher kultureller Einflüsse bietet Istanbul besonderes<br />
Potenzial für eine kulturvergleichende Analyse urbaner Räume<br />
unterschiedlicher kultureller Prägungen (Spätantike – Byzanz –<br />
westeuropäische Handelskolonien – Islam – Judentum – Moderne). Mit seinen<br />
beiden Schwerpunkten „byzantinische Topographie“ und „Holzhäuser“ deckt<br />
das Projekt zwei Hauptphasen der Stadtgeschichte (Mittelalter und Neuzeit) ab.<br />
Die geplanten Untersuchungen zur byzantinischen Siedlungstopographie<br />
Istanbuls streben zum einen die Analyse und Rekonstruktion größerer Bauten<br />
insbesondere anhand der erhaltenen Bauglieder an, zum anderen die<br />
baubegleitende Dokumentation von Resten byzantinischer und älterer<br />
Bebauung, die in Großbaustellen häufig zutage treten und in das Gefüge des<br />
byzantinischen Konstantinopel eingeordnet werden sollen. Auf diese Weise soll<br />
die rekonstruierte Stadttopographie der byzantinischen Metropole verdichtet<br />
und die vorwiegend punktuell über die Analyse von Einzelmonumenten<br />
gewonnenen Vorstellungen des Stadtgefüges erweitert werden. Die<br />
multidisziplinär angelegten Untersuchungen sollen geodätische, bauhistorische,<br />
byzantinistische und siedlungsarchäologische Forschungsergebnisse zu einem<br />
integrativen Modell führen, das neben den rein architekturbezogenen und<br />
topographischen Daten auch sozialhistorische Aspekte und<br />
siedlungsdynamische Prozesse vereint und so zu einem neuen Verständnis von<br />
den Lebens- und Wohnbedingungen im byzantinischen Konstantinopel führt.<br />
Da diese Vorstellungen bisher in erster Linie auf der Analyse schriftlicher<br />
Quellen und Überlieferungen beruhten, bietet das Forschungsvorhaben die<br />
Chance, sie über die direkte Beschäftigung mit den Zeugnissen der materiellen<br />
Kultur und deren Untersuchung auf Grundlage neuer technischer und<br />
methodischer Ansätze erheblich zu erweitern und zu vertiefen.<br />
Die Untersuchungen zur byzantinischen Siedlungstopographie berühren die<br />
Inhalte des Forschungsclusters 3 „Politische Räume“ im Kern, soll es doch in<br />
erster Linie um die baugeschichtlichen und sozialhistorischen Dimensionen der<br />
Kategorie Raum in dem bisher weitgehend unbekannten Gefüge der<br />
byzantinischen Stadt gehen, zu dessen Klärung die oben geschilderten<br />
Aktivitäten beitragen sollen. Öffentlicher und privater Raum ebenso wie der<br />
zeitgenössische städtebauliche Umgang mit diesen Kategorien, die darin<br />
enthaltenen Manifestationen politischer und vor allem religiöser Macht und die<br />
Betrachterrezeption dieser Strukturen stehen im Vordergrund. So wird die<br />
raumbezogene Untersuchung der materiellen byzantinischen Kultur Istanbuls<br />
im Sinne des Forschungsclusters zu einer neuen Sicht auf diese für die<br />
Stadtgeschichte so bedeutsame Epoche verhelfen.<br />
Stand: 11/2007 76
Ähnliches gilt für den zweiten Schwerpunkt des Projektes, der allerdings<br />
zunächst kleinräumliche Strukturen ins Blickfeld nimmt. Das Osmanische<br />
Holzhaus hat in seinen verschiedenen Ausprägungen städtischen Wohnens bis<br />
in das 19. Jh. hinein räumliche Konzepte und dahinter stehende Lebensweisen<br />
transportiert, deren Elemente bis ins Altertum zurückreichen (Iwan, Hofhaus).<br />
Diese Elemente wurden unter neuzeitlichem europäischem Einfluss zu<br />
einzigartigen Raumschöpfungen fortentwickelt, deren Konzeptionen in der<br />
Architekturgeschichte des Wohnens eine Sonderstellung einnehmen. Im späten<br />
19. Jh. wurden die traditionellen Grundrissanordnungen durch<br />
mitteleuropäische, standardisierte Lösungen verdrängt, doch blieb Holz bis ins<br />
frühe 20. Jh. das bevorzugte Baumaterial des Wohnungsbaus in Istanbul. Erst<br />
danach setzte ein beispielloser Siegeszug des Massivbaus ein, der das noch bis<br />
vor wenigen Jahrzehnten von Holzhäusern dominierte Stadtbild grundlegend<br />
veränderte. So ist die Morphologie der islamischen Stadt fast ebenso wie die<br />
des byzantinischen Konstantinopel in vielen Teilen verloren und die<br />
Großmonumente sind der Folie ihres städtebaulichen Zusammenhangs beraubt.<br />
Ebenso wie die Untersuchungen zur byzantinischen Siedlungstopographie wird<br />
die Beschäftigung mit den Istanbuler Holzhäusern einen wesentlichen Beitrag<br />
zu den Fragestellungen des Forschungsclusters 3 leisten. Erst vor dem<br />
Hintergrund genauerer Kenntnisse der urbanen Strukturen und Proportionen,<br />
der baukonstruktiven und gestalterischen Parameter des islamischen<br />
Stadtgefüges werden die Prozesse bei der Entstehung und Transformation<br />
politischer Räume in Istanbul erkennbar. Als Schnittstellen zwischen<br />
Öffentlichkeit und Privatheit können die Holzhäuser und ihre Einbindung in<br />
größere Siedlungsstrukturen selbst als politische Räume gemäß der Definition<br />
von Forschungscluster 3 gelten, die gesellschaftliche Strukturen widerspiegeln<br />
und durch spezifische räumliche Dispositionen zugleich in ihrem Bestand<br />
sichern.<br />
Im Verein können beide Schwerpunkte des Projektes einen epochen- und<br />
materialübergreifenden Beitrag zur Siedlungsgeschichte und räumlichen<br />
Organisation Istanbuls in zwei wesentlichen Phasen seiner Geschichte leisten.<br />
Arbeitsprogramm 2007<br />
In 2007 sollen im Bereich der Untersuchungen zur byzantinischen<br />
Siedlungstopographie zusammen mit den türkischen Partnern der<br />
Stadtarchäologie Voruntersuchungen vorgenommen werden, die der Klärung<br />
der Arbeitsbereiche und der Koordination der Einzelmaßnahmen dienen. Mit<br />
der Aufnahme byzantinischer Architekturteile von verschwundenen Bauten soll<br />
begonnen werden. Im Rahmen der Untersuchungen an den Holzhäusern soll<br />
ein kleineres Objekt auf Büyük Ada systematisch untersucht und dokumentiert<br />
werden.<br />
Arbeitsprogramm 2008<br />
Für 2008 ist die Beteiligung an einer der großen innerstädtischen<br />
Notgrabungen, die im Zusammenhang mit erheblichen Veränderungen der<br />
Stadtmorphologie – etwa durch den Bau der U-Bahn – immer häufiger werden,<br />
geplant. Gerade die bauhistorischen Belange werden bei diesen Grabungen<br />
häufig vernachlässigt und sollen deshalb in exemplarischer Weise im<br />
Vordergrund stehen. Geodätische Untersuchungen, rechnergestützte<br />
Datenerfassung und Visualisierung werden zu zusätzlicher Kostenbelastung<br />
führen.<br />
Die Untersuchungen zu den Holzhäusern sollen auf ein größeres Objekt und<br />
dessen städtebaulichen Kontext ausgedehnt werden. Auch hierfür werden<br />
größere Kosten entstehen, da geodätische und photogrammetrische<br />
Stand: 11/2007 77
Unterstützung erforderlich ist. Zudem ist auch hier eine rechnergestützte<br />
Visualisierung der Forschungsergebnisse vorgesehen<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr.-Ing. Martin Bachmann (E-Mail: bachmann@istanbul.dainst.org)<br />
Dr. Philipp Niewöhner (E-Mail: niewoehner@istanbul.dainst.org)<br />
HEINZ-JÜRGEN BESTE, THOMAS FRÖHLICH (Abteilung Rom)<br />
Fabrateria Nova (Regione Lazio, Provincia di Frosinone)<br />
Das aufständische Fregellae wurde im Jahre 125 v. Chr. zerstört und in der<br />
Folgezeit nicht mehr besiedelt. Stattdessen erfolgte ein Jahr später die<br />
Gründung der colonia Fabrateria Nova, die nur wenige Kilometer südlich am<br />
Zusammenfluss von Sacco und Liri in der Nähe des modernen Ortes S.<br />
Giovanni Incarico auf einem ebenen Kalksteinplateau etwa 10 m oberhalb des<br />
Flusses liegt.<br />
Soweit es nicht brach liegt, wird das Gelände heute landwirtschaftlich genutzt<br />
und ist von moderner Überbauung weitgehend verschont geblieben. Im<br />
ausgehenden 18. Jh. hat Pasquale Cayro an den damals sichtbaren Ruinen<br />
topographische Untersuchungen angestellt und einige begrenzte Grabungen<br />
durchgeführt. Eine Reihe von Funden sind dabei in seine Sammlung gelangt,<br />
die später allerdings auf verschiedene Museen und private Besitzer<br />
übergegangen ist. Aus dem Jahre 1983 stammt eine erste topographische<br />
Aufnahme des Gebietes, die in erster Linie auf Luftbildfotografien basiert. Die<br />
bislang einzige wissenschaftliche Grabung fand 1985 am Amphitheater statt,<br />
dessen Position und Umfang festgestellt werden konnten, ohne dass der<br />
Versuch unternommen worden wäre, die Baugeschichte der Anlage durch<br />
gezielte Tiefgrabungen zu klären.<br />
Fabrateria Nova bietet sich auf Grund dieser Voraussetzungen geradezu für ein<br />
konzertiertes Projekt an, welches nicht-zerstörende Maßnahmen wie Survey,<br />
Luftbildarchäologie und geophysikalische Prospektion vereint und durch<br />
gezielte Grabungen absichert. Die historischen Eckdaten und die in den letzten<br />
Jahren intensiv betriebenen Studien in den benachbarten Orten Fregellae und<br />
Aquinum legen eine Reihe von Fragestellungen nahe, denen sich das Projekt<br />
anzunähern sucht:<br />
1. Warum wählte man für die colonia von 124 v. Chr. diesen Platz aus? Gab es<br />
eine Vorgängerbebauung, etwa in Form eines Emporiums?<br />
2. Wie stellt sich Fabrateria Nova in urbanistischer Hinsicht dar und inwieweit<br />
lassen sich grundsätzliche Unterschiede im Umgang mit Raum und<br />
Raumaufteilung zum Vorgängerort Fregellae feststellen? Wie erklärt sich<br />
etwa die exzeptionelle Lage des Amphitheaters im Zentrum des<br />
Stadtgebietes.<br />
3. Welche Rolle spielte die Neugründung im Verhältnis zu bestehenden Orten<br />
wie Aquinum und älteren ländlichen Siedlungen? Veränderten sich die<br />
Infrastruktur und die Nutzung der Landschaft durch die Neugründung oder<br />
blieb deren Rolle marginal?<br />
4. Unterscheidet sich das Landschafts- und Siedlungsgefüge der Antike<br />
grundsätzlich von dem der nachfolgenden Epochen oder gibt es eine etwa<br />
durch die landschaftlichen Gegebenheiten (Morphologie, Klima, Vegetation)<br />
bedingte Kontinuität?<br />
5. Welche Bedeutung hatten und haben die antiken Städte und Monumente für<br />
den Umgang mit dem Landschaftsraum in Geschichte und Gegenwart?<br />
Konditionierte ihre Existenz die Landschaftsnutzung etwa im ausgehenden<br />
Stand: 11/2007 78
18. Jh. unter dem Einfluss der Forschungen Cayros? Ist heute die<br />
wissenschaftliche Beschäftigung mit Orten wie Fabrateria Nova ein probates<br />
Mittel zu deren Bewahrung?<br />
Das Projekt ist bereits in seine erste Phase getreten und hat mit neuen,<br />
systematischen Luftbildaufnahmen begonnen, die ebenso wie ein erster Survey<br />
innerhalb und außerhalb des vermutlichen Stadtgebietes von den Kollegen der<br />
Università di Lecce im Sommer und Herbst 2006 realisiert worden sind.<br />
Ergänzend hierzu ist von Seiten der Abteilung Rom des DAI für Januar/Februar<br />
eine erste geophysikalische Projektionskampagne im Stadtgebiet geplant,<br />
welche an den durch die Ergebnisse des Surveys nahe gelegten Stellen<br />
ansetzen soll. Auf den Resultaten dieser Untersuchungen sollen gezielte<br />
Grabungen aufsetzen, die von der Università di Cassino in Zusammenarbeit mit<br />
der Abteilung Rom des DAI geplant sind. Ergänzend hierzu werden Archiv- und<br />
Museumsstudien vorangetrieben, welche unter anderem den heute verstreuten<br />
Denkmälerbestand des Ortes erfassen sollen. Neben der wissenschaftlichen<br />
Auswertung des Bestandes zielt diese Maßnahme auf die Darstellung des<br />
antiken Ortes und seiner Landschaft in einer lokalen Ausstellung ab, die von<br />
den Vertretern der zuständigen Kommune ausdrücklich begrüßt wird. Auf diese<br />
Weise greift der antike Umgang mit dem Raum in die Gegenwart ein.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Heinz-Jürgen Beste (E-Mail: beste@rom.dainst.org)<br />
Dr. Thomas Fröhlich (E-Mail: froehlich@rom.dainst.org)<br />
CLAUDIA BÜHRIG (Orient-Abteilung)<br />
Gadara/Umm Qais (Jordanien): Politiken der Siedlungsentwicklung.<br />
Von der hellenistischen Kuppensiedlung zur byzantinischen<br />
Straßensiedlung<br />
Auf einer Hügelkuppe am Rand einer fruchtbaren, östlich an das Jordantal<br />
angrenzenden Hochebene liegt der hellenistische Siedlungskern (2. Jh. v. Chr.)<br />
der antiken Stadt Gadara. Die topographischen und geomorphologischen<br />
Raumstrukturen ließen eine Ausdehnung der Stadt nur nach Westen zu. Blieb<br />
die hellenistische Siedlung auf den Akropolishügel begrenzt, so bildete in der<br />
römischen Kaiserzeit eine Ost-West-orientierte Verkehrsachse das<br />
städtebauliche Rückgrat der Stadt. Entlang dieser Achse hat sich die Stadt<br />
nach Westen bis in die Plateauebene ausgedehnt.<br />
Seit der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. verfolgte Rom in den<br />
Siedlungsgebieten der östlichen Provinzen eine forcierte Urbanisierungspolitik.<br />
Vielfältige archäologische Spuren in den regionalen Raumstrukturen verweisen<br />
auf den eminenten politischen Stellenwert, den das Imperium Romanum der<br />
Stadtentwicklung in der Provinz zuwies. Auch Gadara gehörte zu den Städten,<br />
die davon profitierten und einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebten. Hiervon<br />
zeugen die verschiedenen öffentlichen Bauten, die entlang der von Kolonnaden<br />
gesäumten Ost-West-Achse aufgereiht sind und diese abschnittsweise betonen.<br />
Die straßenbegleitenden Kolonnaden entstanden abschnittsweise und bildeten<br />
den „Lebensnerv“ der Stadt. Diese für den Osten des Reiches typische<br />
Gestaltung der innerstädtischen Hauptverkehrsachse mit flankierenden<br />
Kolonnadenstraßen – in der Art römischer Foren – und die lineare Anordnung<br />
der öffentlichen Bauten entlang der Achse, die neben ihrer Funktionalität auch<br />
Größe und Reichtum der Stadt zum Ausdruck bringt, bestimmte im 2. und 3.<br />
Jh. n. Chr. das Stadtbild und wirkte auch in byzantinischer Zeit auf die<br />
Stadtentwicklung ein.<br />
Stand: 11/2007 79
Das Forschungsprojekt zielt auf die umfassende Untersuchung der<br />
urbanistischen und kulturhistorischen Siedlungsentwicklung Gadaras von der<br />
hellenistischen bis in die byzantinische Zeit und ihrer räumlichen Einbindung.<br />
Im Zentrum steht dabei die bau- und kulturhistorische sowie städtebaulichkontextuelle<br />
Analyse eines städtebaulichen Ensembles am östlichen<br />
„Stadteingang“ Gadaras im Vergleich mit der Stadtentwicklung im Westen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. des. Ing. Claudia Bührig (E-Mail: clb@orient.dainst.de)<br />
BETTINA FISCHER-GENZ (Orient-Abteilung)<br />
Das Hinterland von Heliopolis-Baalbek / Libanon<br />
Im Rahmen des multidisziplinären Projektes zur Stadtentwicklung in Baalbek<br />
wird seit 2004 ein Survey im Umland durchgeführt, der die diachrone<br />
Erfassung und Untersuchung der ländlichen Siedlungsstruktur und<br />
ökonomischen Nutzung des Umlandes zum Ziel hat. Die außergewöhnlich guten<br />
Erhaltungsbedingungen besonders im Antilibanon bieten die Möglichkeit, die<br />
Siedlungen nicht nur als „Raumhülsen“, sondern mit Blick auf die Nutzung von<br />
Ressourcen und der Auswirkung von politischer Macht zu erforschen.<br />
Die Frage nach den ökonomischen Grundlagen der Stadt Baalbek, dem antiken<br />
Heliopolis, ist in Anbetracht des monumentalen Ausbaus des überregional<br />
bedeutenden Hauptheiligtums sowie öffentlicher und privater Bereiche der<br />
Stadt in der römischen Kaiserzeit zentral für das Verständnis der<br />
Stadtentwicklung. Es zeichnet sich ab, dass seit prähistorischer Zeit die<br />
Siedlung vorrangig abhängig von der Entwicklung und dem Ausbau des<br />
Hauptheiligtums war, und ihre ökonomischen Ressourcen möglicherweise<br />
durch politisch motivierte exogene Finanzierung aufgestockt wurden.<br />
Mit dem Survey-Projekt im Umland wird einerseits untersucht, welche<br />
Siedlungssysteme sowie ökonomischen Landnutzungsstrukturen und<br />
industriellen Einrichtungen durch die Jahrhunderte zu beobachten sind, und<br />
andererseits, in welche regionalen und überregionalen Wege- und<br />
Kommunikationsnetzwerke die Stadt und ihr Umland eingebunden sind.<br />
Ein besonderes Augenmerk richtet sich hier auf die verkehrstechnische<br />
Erschließung vom Umland in die Stadt hinein: welche Art von Straßen führen<br />
letztendlich vom regionalen Wegenetz in die Stadt hinein beziehungsweise<br />
durch sie hindurch, und was für andere Straßen und Zugänge in das Umland<br />
sind aus der Stadt hinaus festzustellen. Das interne Wegenetz wiederum bietet<br />
mit seinen Verkehrsknotenpunkten einen Schlüssel zum Verständnis des<br />
urbanistischen Konzeptes der Stadt. Dies sind komplexe Fragen, bei denen<br />
einen Austausch mit anderen Projekten des Clusters 3 von großem Nutzen sein<br />
wird.<br />
Neben den Fernhandelswegen durch die Beqaa nach Homs, Byblos, Beirut und<br />
Damaskus sind die weniger bekannten Verbindungswege durch den Antilibanon<br />
wieder stärker in unser Blickfeld gerückt. Dabei handelt es sich jedoch auch um<br />
eine Kontaktzone zwischen urbanen und halbsesshaften<br />
Bevölkerungselementen, wobei sich letztere besonders in den Vorgebirgen des<br />
Antilibanon materiell in siedlungsfernen Tumulusbestattungen und<br />
semitroglodyter Wohnbebauung abzuzeichnen scheinen.<br />
Ein neu entdeckter bronze- und eisenzeitlicher Tell von beachtlichen Ausmaßen<br />
scheint durch seine Proximität die eher periphere Stellung des Tell Baalbek im<br />
vergleichsweise gut bekannten geostrukturellen Siedlungsgeflecht der Beqaa-<br />
Ebene zu bestätigen. Überraschend ist hingegen die Entdeckung einer<br />
Stand: 11/2007 80
hellenistischen Siedlung, die aufgrund ihrer Lage und Größe möglicherweise ein<br />
zeitweiliges politisches Gegengewicht zu dem sakralen Aufstieg Baalbeks<br />
gebildet haben könnte.<br />
Die politische und religiöse Bedeutung des urbanen Zentrums ab römischer<br />
Zeit spiegelt sich in der Besiedlungsstruktur des direkten Umlandes wider, vor<br />
allem aber im diachronen Vergleich der materiellen Ausstattung der ländlichen<br />
Siedlungen untereinander sowie mit der Stadt Baalbek. Die Unterschiede in der<br />
Größe und dem architektonischen Ausbau der Siedlungen sowie der Menge von<br />
Importfunden in den Hauptsiedlungsperioden bietet neue Einblicke in die<br />
politische Dynamik und den Wandel in der Abhängigkeit zu dem urbanen<br />
Zentrum.<br />
Von besonderem Interesse für das Forschungsprojekt ist nun, inwieweit die<br />
verstärkte Siedlungsaktivität in der römischen Kaiserzeit auf politische und<br />
sozioökonomische Impulse aus der Stadt Baalbek reagiert, und welche<br />
Entwicklung von dieser Siedlungsstruktur zu der ebenfalls bedeutenden<br />
mamlukischen Periode zu beobachten ist. Während in der Ebene eindeutig der<br />
Getreideanbau den wichtigsten Landwirtschaftssektor darstellt, ist im<br />
Vorgebirge neben Feldbau vor allem eine große Dichte an in den Fels<br />
gehauenen Pressinstallation zu beobachten, die – komplementär zur Ebene –<br />
zusammen mit der Weidehaltung weitere Wirtschaftssektoren abdeckt. Fragen<br />
der Landunterteilung werden im direkten Vergleich zur Ebene und bekannten<br />
Beispielen von Zenturiation untersucht.<br />
Das Projekt hat auch die Erforschung der geomorphologischen Entwicklung des<br />
Naturraumes und den anthropogenen Veränderungen der Landschaft in Bezug<br />
auf Vegetation und vor allem Wassernutzung zum Ziel. Dieser<br />
Forschungsschwerpunkt wird seit Beginn des Projektes durch eine<br />
gleichberechtigte Zusammenarbeit mit einem Geologen verfolgt, und hat die<br />
angewandten Surveymethoden entscheidend mitbestimmt. Die Erkenntnisse<br />
des archäologischen wie geomorphologischen Surveys basieren neben der<br />
Arbeit im Gelände auf Fernerkundung mit Hilfe von hochauflösenden<br />
Satellitenbildern und Luftbildern aus nahezu einem Jahrhundert und werden in<br />
einem auf das Gesamtprojekt ausgerichteten GIS ausgewertet.<br />
Ansprechpartner:<br />
Bettina Fischer-Genz M.A. (E-Mail: bge@orient.dainst.de)<br />
KLAUS S. FREYBERGER (Abteilung Rom)<br />
Funktion und Bedeutung der Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum<br />
in Rom<br />
1. Disposition und Ziel des Forschungsprojektes<br />
Das von der DFG geförderte Forschungsprojekt der Basilica Aemilia dient<br />
primär dem Ziel, die verschiedenen Bauphasen in der Republik, die<br />
Rekonstruktion des augusteischen Neubaus und die verschiedenen<br />
Nutzungsphasen bis in die Spätantike zu gewinnen. Auf der Basis der<br />
Dokumentation von H. Bauer wurden das bestehende Mauerwerk und<br />
zahlreiche Bauglieder neu vermessen, wobei die Bauaufnahme durch eine<br />
Reihe neuer Zeichnungen ergänzt und modifiziert werden konnte. Die in vielen<br />
Punkten gesicherte Rekonstruktion bildet den Ausgangspunkt für die<br />
Funktionsanalyse des Gebäudes, wobei die Ausstattung (Kleinfunde, Münzen<br />
usw.) und deren Bildwerke sich als Indizien eignen. Ergänzend ist das<br />
Verhältnis der Basilika zu den umliegenden Gebäuden zu klären. Aufschlüsse<br />
darüber ergeben sich aus der Vernetzung des archäologischen Befunds mit den<br />
Stand: 11/2007 81
ekannten epigraphischen Zeugnissen und den überlieferten Nachrichten über<br />
das Bauwerk.<br />
Bei der Betrachtung der Basilica Aemilia im Kontext des politischen Raums, der<br />
in dem vorliegenden Fall der zentrale Bereich des Forumsplatzes ist, ergeben<br />
sich zwei methodische Ansätze:<br />
1. Eine Untersuchung nach chronologischen Gesichtspunkten, in der das<br />
Bauwerk und die Nutzung des umliegenden „Raums“ über einen längeren<br />
Zeitpunkt zu verfolgen sind. Dabei stellt sich die Frage, welche Gründe für<br />
die baulichen Veränderungen der Basilika und des Umfelds in den<br />
verschiedenen Phasen ausschlaggebend waren.<br />
2. Eine diachrone Untersuchung, in der Fragen zur Genese und Herausbildung<br />
der verschiedenen Funktionsbereiche im Vordergrund der Betrachtung<br />
stehen. Im Folgenden sollen die Zweckbestimmungen der Basilika Aemilia<br />
und deren funktionale Verknüpfung mit dem politischen Umfeld erläutert<br />
werden.<br />
2. Die Funktionsbereiche der Basilika<br />
Ein „politischer Raum“ wird nicht nur durch seine Funktion, sondern auch durch<br />
seine Gestaltung definiert. Solche Räume können durch besonderen<br />
Materialaufwand und eine reiche Ausstattung an Einrichtung (Mobiliar) und<br />
Bildwerken ausgegrenzt werden. Ein markantes Beispiel dafür liefert die<br />
Basilica Aemilia in Rom, die sich einerseits durch eine besondere<br />
Innenausstattung, andererseits durch eine reiche Gestaltung der<br />
Außenfassaden als öffentlicher Bau und zugleich als politisches Interaktionsfeld<br />
durch die Verknüpfung mit anderen politischen Räumen definiert. Dabei<br />
zeichnen sich drei Funktionsbereiche der Basilika ab:<br />
2.1 Die Basilika als luxuriöse Bank und Verkaufsstätte<br />
Im Inneren präsentiert sich die Basilika als ein luxuriöser Nutzbau, dessen<br />
Einrichtung vor allem merkantilen und monetären Zwecken diente. Sie<br />
fungierte zugleich als Bank und Verkaufsstätte von Luxusgütern aus<br />
Edelmetallen. Ihre Wandverkleidung mit Marmor und der Bodenbelag aus<br />
buntem Marmor bezeugen den repräsentativen Anspruch. Aus dem Gebäude<br />
stammen Gewichte, die zum Wiegen von Silber und anderem Metall bestimmt<br />
waren.<br />
2.2 Die Basilika als Ort der Gerichtsbarkeit<br />
Es ist nicht bekannt, ob, und wenn ja, welche Tribunale in der Basilica Aemilia<br />
abgehalten wurden. Vorstellbar wären Finanztribunale, die sich gut mit der<br />
monetären Funktion des Bauwerks vereinbaren ließen. Falls solche in dem<br />
Gebäude stattgefunden haben sollten, wurde der für sie bestimmte Platz durch<br />
hölzerne Schranken oder andere ephemere Einrichtungen von dem übrigen<br />
Raum getrennt. Die Verbindung zwischen Tribunal und Basilika manifestiert<br />
sich auch in den Tribünen über den zum Forumsplatz ausgerichteten Portiken,<br />
den maeniana, von denen aus die Zuschauer die im Freien stattfindenden<br />
Tribunale verfolgen konnten.<br />
2.3 Die Basilika als Schauplatz politischer Repräsentation<br />
Da die Basilica Aemilia ein viel besuchtes Gebäude war, eignete sie sich als<br />
Schauplatz für politische Repräsentation. Während in der republikanischen Zeit<br />
sich die Aemilier mit eigenen Bildwerken zur Schau stellten, nahmen im<br />
Prinzipat zunehmend die Kaiser das Bauwerk für ihre politischen Zwecke in<br />
Anspruch. Besonders deutlich ist dieser Prozess an der Ausstattung des<br />
augusteischen Bauwerks ablesbar. In der Basilika befanden sich die Reliefs mit<br />
Stand: 11/2007 82
den mythologischen Darstellungen der Gründungsgeschichte Roms und<br />
vermutlich auch die imagines clipeatae mit den Porträts der<br />
Familienoberhäupter der Aemilier aus republikanischer Zeit. Im Unterschied zur<br />
inneren Ausstattung illustrieren die Bildwerke am Außenbau das aktuelle<br />
politische Zeitgeschehen. Dazu gehören die überlebensgroßen<br />
„Partherstatuen“, die nach der neu gewonnenen Rekonstruktion am Rand der<br />
Terrasse über den Tabernen und Portiken weithin sichtbar über der Sacra via<br />
aufragten. Sie stehen als monumentale Bildzeichen für den diplomatischen<br />
Erfolg des Prinzeps, dem mit den Parthern ein Friedensabkommen gelang.<br />
3. Geplante Untersuchungen für das Jahr 2007<br />
Die für das Jahr 2007 vorgesehenen Untersuchungen zu den spätantiken<br />
Phasen der Basilica Aemilia auf dem Forum Romanum in Rom stehen unter der<br />
zentralen Frage, in welcher Weise werden traditionelle politische <strong>Institut</strong>ionen<br />
und Räume aus der Republik und der Kaiserzeit in spätantiker Zeit definiert<br />
und genutzt. Verläuft der Prozess der politischen Kommunikation ungebrochen<br />
in gleicher Weise weiter oder sind Veränderungen feststellbar? Wenn ja, sind<br />
nach den Gründen der Veränderungen im politisch-sozialen Umfeld zu fragen.<br />
Behalten die „politischen Räume“ ihre herkömmlichen Funktionen bei oder<br />
werden sie in einer gänzlich neuen Weise genutzt? Dabei gilt zu untersuchen,<br />
wie sich die „politischen Räume“ nach innen und außen hin präsentieren.<br />
Bestehen die alten verbindlichen Leitformen und Leitbilder fort oder werden<br />
neue konzipiert, die als sichtbare Zeichen für eine neue Organisation des<br />
politischen Raums zu werten sind?<br />
Die genannten Aspekte stehen im Zentrum der geplanten Untersuchung über<br />
die Nutzungsphasen des Bauwerks in spätantiker Zeit. Auszugehen ist dabei<br />
auf der einen Seite von dem Erscheinungsbild der Basilika im Inneren, auf der<br />
anderen Seite von der äußeren Gestaltung, insbesondere von der nach Süden<br />
zum Forumsplatz gerichteten Fassade mit ihren Tabernen und Portiken.<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Klaus S. Freyberger (E-Mail: freyberger@rom.dainst.org)<br />
WOLF-DIETRICH NIEMEIER, IVONNE KAISER, JUTTA STROSZECK (Abteilung Athen)<br />
Der Kerameikos von Athen und seine Straßen: Raum, Verwendung,<br />
Entwicklung und Denkmäler<br />
Siehe 1. Forschungsfeld!<br />
ANDREAS OETTEL (Zentrale)<br />
Lissos. Urbanistik und sozio-ökonomische Strukturen einer<br />
hellenistischen Polis in Illyrien<br />
Das deutsch-albanische Projekt gilt der Erforschung des hellenistischen Lissos<br />
und wird von der DFG im Rahmen des Schwerpunktprogramms 1209 („Die<br />
hellenistische Polis als Lebensform. Urbane Strukturen und bürgerliche<br />
Identität zwischen Tradition und Wandel“) gefördert.<br />
Ziel ist es, die Funktionsweise dieser in einer hellenisierten Region neu<br />
entstandenen „illyrischen“ Polis in ihrer Abhängigkeit vom griechischen<br />
Kulturbereich zu erforschen. Ausgehend von der Annahme, dass sich die<br />
während der hellenistischen Zeit deutlich veränderten politischen<br />
Rahmenbedingungen auf das Stadtbild und die urbane Struktur auswirkten,<br />
Stand: 11/2007 83
sind Entwicklungen in der Organisation des öffentlichen, sakralen und privaten<br />
Raumes zu erwarten. Diese gilt es auf die sich wandelnden politischen und<br />
sozio-ökonomischen Verhältnisse zu hinterfragen. Prozesse der Genese und<br />
Formung „politischen Raumes“ stehen somit im Mittelpunkt der Untersuchung.<br />
Als für die Stadtentwicklung wesentliche Phasen zeichnen sich bisher ab:<br />
- die Gründungsphase, möglicherweise frühes 4. Jh. oder erst 3. Jh. v. Chr.<br />
Die von Diodor (15,13,2; vgl. 15,14,2.) berichtete Gründung durch<br />
Dionysios I. von Syrakus als eine seiner Adriakolonien im Jahre 385/84 v.<br />
Chr. ist in der Forschung noch umstritten;<br />
- die Zeit der illyrischen Kleinkönigreiche, zeitweise auch mit Sitz in Lissos im<br />
3./2. Jh. v. Chr.;<br />
- die caesarische Zeit mit Erneuerung der Stadtmauer durch Caesar (civ.<br />
3,29,1.), conventus civium Romanorum;<br />
- die frühe Kaiserzeit.<br />
Darüber hinaus soll im Rahmen des Clusters 3 – über die Zielsetzung des SPP<br />
1209 hinaus – auch die urbane Entwicklung von Lissos/Lissus bis in die<br />
Spätantike untersucht werden.<br />
Die albanischen Forschungen in den 70er und 80er Jahren widmeten sich vor<br />
allem der Stadtmauer, der eindruckvollsten und interessantesten antiken<br />
Wehranlage Albaniens, die sich bis auf eine Höhe von 160 m den Berg hinauf<br />
erstreckt. Die Akropolis wurde später von der venezianisch-osmanischen<br />
Zitadelle überbaut. Weitgehend unbeachtet blieb bislang die Unterstadt, deren<br />
südwestlicher in einem archäologischen Park geschützter Teil ideale<br />
Voraussetzungen für Ausgrabungen bietet.<br />
Die Untersuchungen, die im Sommer 2006 in einer ersten Grabungskampagne<br />
begonnen haben, betreffen drei Bereiche:<br />
- das Stadtgebiet<br />
- die Stadtmauer (siehe auch 2. Forschungsfeld: Grenzen politischer Räume)<br />
- das Umland zwischen der Mündung des Maat im Süden, dem antiken<br />
Scodra im Norden, der Adria im Westen und den Bergen im Osten (siehe 2.<br />
Forschungsfeld: Grenzen politischer Räume).<br />
Methodisch wird wie folgt vorgegangen: Bei der Erforschung der Unterstadt<br />
liegt das Hauptaugenmerk auf den beiden wichtigsten Verkehrsadern der<br />
Stadt. Die Straße von Epidamnos führte durch das „Südtor“ in die Stadt und<br />
weiter nach Scodra. Eine nach Osten verlaufende innerstädtische Straße<br />
verband das unmittelbar am Fluss Drin gelegene „Hafentor“ mit dem Zentrum<br />
der Stadt. Als Arbeitshypothese lässt sich formulieren, dass das Umfeld der<br />
vom „Südtor“ kommenden Straße eher repräsentativen Charakter hatte,<br />
während der Bereich am „Hafentor“ stärker ökonomisch geprägt war und<br />
entsprechend eine Hierarchisierung in den angrenzenden Wohnbereichen<br />
sichtbar gewesen sein muss. Es stellt sich daher die Frage, welches die<br />
konstituierenden Elemente für den Raumeindruck in beiden Bereichen waren.<br />
Um hierüber gesicherte Aussagen treffen zu können, wurden zwei<br />
Grabungsbereiche eingerichtet:<br />
- Grabungsbereich A südlich der Ost-West-Verbindung nahe dem<br />
Kreuzungspunkt beider Straßen<br />
- Grabungsbereich C auf der Innenseite des Hafentores<br />
Grabungsbereich A gab Einblick in das Lissos des 1. Jhs. v. Chr. Freigelegt<br />
wurden große Teile eines Gebäudes, das bereits im 1. Jh. v. Chr. mit Scherben<br />
von Hunderten von Amphoren aufgefüllt wurde. Besonders interessant an<br />
diesem Befund ist, dass das Haus stellenweise auf älteren Mauern gründet, die<br />
nach ihrer Technik in die frühe Zeit der Stadtmauer zu gehören scheinen.<br />
Mehrere Phasen urbanen Wandels im Zentrum der Stadt zeichnen sich hier<br />
bereits deutlich ab und werden in der Kampagne 2007 weiter verfolgt werden.<br />
Stand: 11/2007 84
Der Grabungsbereich C am „Hafentor“ wird im nächsten Jahr ebenfalls<br />
Informationen zur hellenistischen Zeit liefern, sobald dort die entsprechenden<br />
Schichten erreicht werden.<br />
Eine symbolische Bedeutung könnte ein der Werktechnik nach sicher<br />
repräsentatives Gebäude mit annähernd quadratischem Grundriss auf einer<br />
Terrasse der Oberstadt besessen haben.<br />
Außerhalb des Stadtgebiets, vor dem „Südtor“, ergaben kleinere<br />
Untersuchungen im „Apsidenbau“, einem bis in die Spätantike genutzten<br />
Thermengebäude, Hinweise darauf, dass das „Südtor“ wahrscheinlich in<br />
caesarischer Zeit nicht vollkommen instand gesetzt wurde. Aus einem Raum<br />
wurde Keramik sogar des 1. Jhs. v. Chr. geborgen. Damit stellt sich die Frage<br />
nach der Datierung dieses in das „Südtor“ der Unterstadt eingreifenden Baus<br />
neu. Der Befund wird im nächsten Jahr detailliert untersucht werden.<br />
Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wahrnehmung des intra- wie<br />
extramuralen „politischen Raums“ hatte die Stadtmauer selbst, deren<br />
Erforschung besonderes Augenmerk gilt (siehe 2. Forschungsfeld: Grenzen<br />
politischer Räume).<br />
Die Ergebnisse der Grabungen im Stadtgebiet und an der Stadtmauer werden<br />
die Grundlage dafür bieten, wesentliche konstituierende Elemente im Vergleich<br />
mit anderen Projekten herauszuarbeiten, die bei der Ausprägung politischer<br />
Räume in Lissos eine Rolle spielten. Die Strategien räumlicher Organisation im<br />
Hinblick auf die innere Struktur der Stadt sowie die Hierarchisierung der<br />
Gesellschaft werden sich besser verstehen lassen, wenn diese konstituierenden<br />
Elemente vor dem Hintergrund der sich wandelnden Rahmenbedingungen<br />
interpretiert werden. Auf dieser Basis und in Anbetracht der wechselnden<br />
politischen Rahmenbedingungen im Untersuchungszeitraum lassen sich<br />
weitreichende Erkenntnisse zum Verhältnis „politische Macht“ und „räumliche<br />
Struktur“ gewinnen und damit – als Beitrag zu Cluster 3 – ein tieferes<br />
Verständnis des Begriffs „politischer Raum“.<br />
Kooperationspartner:<br />
<strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> der Akademie der Wissenschaften Albaniens, Tirana<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Andreas Oettel (E-Mail: ao@dainst.de)<br />
Prof. as. Dr. Gëzim Hoxha (E-Mail: ghoxha@albmail.com)<br />
RICHARD POSAMENTIR (Abteilung Istanbul)<br />
Anazarbos - Surveyprojekt<br />
Wichtigstes Ziel des 2004 begonnenen Surveyprojektes stellt die Erfassung und<br />
Interpretation der stetigen Veränderung eines Siedlungsgeschehens über eine<br />
Zeitspanne von inzwischen mehr als siebzehn Jahrhunderten dar – doch soll<br />
durchaus der Versuch unternommen werden, das Nacheinander menschlicher<br />
Interaktion nicht nur zweidimensional zu erfassen, sondern auch zu<br />
untersuchen, ob sich das jeweilige Verhältnis zum Raum an sich wandelt.<br />
Gerade in einem geographischen Areal wie Kilikien liegen jedoch nicht nur die<br />
Anfänge und das Erscheinungsbild urbanistischer Strukturen völlig im Dunkeln,<br />
sondern sind auch der Umgang mit einem bemerkenswerten Naturraum und<br />
die Erschließung der umgebenden politischen Räume (inmitten eines hart<br />
umkämpften Grenzlandes) weitgehend unbekannt. Insofern sind es drei<br />
verschiedene Bezugspunkte, die das Projekt eng mit den Fragestellungen des<br />
Stand: 11/2007 85
Forschungsclusters verknüpfen und hier (beispielhaft) dargestellt werden:<br />
1. Der Naturraum<br />
Räumliche Umgebung kann gleichermaßen Hindernis und Schutz darstellen –<br />
jedenfalls zwingt sie den Einzelnen oder das Kollektiv zur intensiven<br />
Auseinandersetzung mit den natürlichen Gegebenheiten. In Anazarbos ist<br />
dieser Naturraum allerdings so übermächtig, dass architektonisch nichts<br />
geschehen kann, ohne das gewaltige Bergmassiv mit einzubeziehen – gleich in<br />
welcher Epoche oder unter welcher Herrschaft diese menschlichen Eingriffe<br />
stattfinden. Und obwohl die meisten Gebäude in Anazarbos nur schlecht<br />
erhalten sind und man ihr ehemaliges Aussehen nur partiell beurteilen kann,<br />
ist der Bezug bei vielen Strukturen immer noch offensichtlich: Als Beispiel mag<br />
die monumentale Nord-Süd verlaufende Säulenstraße der römischen Kaiserzeit<br />
dienen, der mit seinem Knick gleichsam wie ein lebendiger Organismus die<br />
Krümmung oder „Bewegung“ des Berges aufgreift. Da dieser jedoch<br />
verkehrstechnisch als Hindernis zu begreifen ist, stellt der Decumanus in seiner<br />
Funktion als Verkehrsweg inhaltlich einen deutlichen Kontrapunkt dar. Auf der<br />
anderen Seite führen die beiden im rechten Winkel zur Hauptachse orientierten<br />
Säulenstraßen zu den extremen Punkten einer Stadt: das innerste und am<br />
frühesten besiedelte, gleichzeitig wohl auch aus religiösen Gesichtspunkten<br />
wichtigste Areal, liegt am Ende der auf den Berg zulaufenden Straße – wobei<br />
die eindrucksvolle Felswand die imposante, sicherlich letztlich auch identitätsund<br />
mythenstiftende Kulisse für diesen Platz abgab. Außerdem aber auch das<br />
äußerste Gebiet, denn die vom Fels weg führende Straße strebt auf ein Tor zu,<br />
das den Weg nach Westen bezeichnete. Im wesentlichen ist die räumliche Lage<br />
der Stadt also fast als Sinnbild für die politische Situation dieser Zeit zu<br />
interpretieren: Anazarbos, das Winterlager des kaiserlichen Heeres, diente als<br />
Bollwerk gegen die Bedrohung aus dem Osten – und so liegt die Stadt an der<br />
Westflanke des Felsens, gleichsam wie durch eine natürliche Mauer geschützt.<br />
Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass der Name der Stadt<br />
eigentlich zunächst den Berg meinte und die Hauptgottheiten des Öfteren als<br />
„erhörende“ Mächte tituliert werden – was angesichts der akustischen<br />
Phänomene vor der über 220 m hohen Felswand nicht überrascht.<br />
2. Der umgebende politische Raum<br />
Ein intensiver Keramik-Survey im Stadtgebiet erbrachte erstaunlich klare<br />
Resultate, wonach in Anazarbos schon in sehr früher Zeit mit Besiedlung zu<br />
rechnen ist: ein kleiner, aber nicht zu übersehender Anteil bronzezeitlicher<br />
Keramik bestätigt die Annahme, dass das Areal rund um diese prägnante<br />
Landmarke schon in früheren Perioden genutzt wurde. Danach setzt Keramik<br />
erst wieder im 3. Jh. v. Chr. ein, doch ist auch dies gut 200 Jahre früher als<br />
bislang angenommen – die Gleichzeitigkeit einer Ansiedlung am Anazarbos mit<br />
der Bergfestung am Karasis, die nach den Oberflächenfunden schon in das 2.<br />
Jh. v. Chr. gehört, ist damit aber bewiesen, was vor allem für die Betrachtung<br />
des gesamten umliegenden politischen Raumes von entscheidender Bedeutung<br />
ist. Die zusätzliche Einbeziehung mehrerer kleiner Tells der Umgebung mit<br />
hellenistischen Besiedlungsspuren hilft damit die Struktur jener seleukidischen<br />
Toparchie zu rekonstruieren, die dem späteren Reichsgründer Tarkondimotos I.<br />
als Grundlage für sein eigenes kleines Königreich mit Anazarbos als Hauptstadt<br />
diente – wobei sein Sohn Tarkondimotos II. sich mittels seines an<br />
makedonische Kammergräber erinnernden und an der höchsten Stelle des<br />
ganzen Berges gelegenen Grabbaues offensichtlich auch über diese Anklänge<br />
legitimierte. Von hier blickt der Tote (auch ganz sinngemäß, denn in die<br />
Rückwand des Grabes ist ein kleines Fensterchen eingelassen) in Anspruch auf<br />
Stand: 11/2007 86
den umliegenden Raum mit seinen Bewohnern und an diesen<br />
Herrschaftsanspruch erinnernd, bis an die Grenzen seines kleinen Reiches.<br />
Freistehende Grabmonumente herrschender Eliten oder Heiligtümer entlang<br />
der Ausfallstrassen oder an besonders prominenten Stellen des Umlandes<br />
spielen hierbei allerdings ohnehin eine besondere Rolle, denn mit diesen kann<br />
territorialer Machtanspruch, der sich auf frühere Raumstrukturen gleichsam<br />
berufen kann, noch Jahre nach dem Enden einer Ära kommuniziert werden. Da<br />
nationale Territorien in den wenigsten Fällen automatisch vorgegeben sind,<br />
sind außerdem Schaffung kollektiver Erinnerung mittels Traditionen oder<br />
Mythen ein entscheidender Faktor – noch heute ranken sich zahlreiche<br />
Legenden um den Berg von Anazarbos, der in diesen mit anderen Punkten in<br />
der Ebene eng verbunden ist.<br />
3. Der Stadtraum<br />
Über das Aussehen der hellenistischen Vorgängersiedlung kann zwar<br />
einstweilen anhand der geophysikalischen Prospektionsbilder nur spekuliert<br />
werden, doch das Anazarbos der römischen Kaiserzeit ist einigermaßen<br />
erschließbar: Der an sich sinnlosen Anlage von großen Bogenmonumenten an<br />
den beiden Enden der 1,7 km langen und über 30 m breiten Haupt-<br />
Säulenstrasse liegt ganz offensichtlich der Gedanke an ein<br />
„Erschließungsprinzip“ zugrunde, der sich in der Visualisierung des Überganges<br />
von Weg zu Ort manifestiert. Der darauf folgende und eigentliche<br />
Bewegungsraum „Straße“ ist durch seine Breite und seine anliegenden<br />
Gebäudestrukturen dagegen als Ruhe- und Kommunikationsraum<br />
gleichermaßen konzipiert und stellt in seiner Monumentalität politischen<br />
Machtanspruch und Nahtstelle über Zeit und Raum hinweg dar – eine Funktion,<br />
die normalerweise nur große Platzanlagen einnehmen. Zum Berg hin liegt nach<br />
Ausweis der Oberflächenfunde das alte Siedlungsgebiet, während die Straße<br />
auch als Bindeglied zwischen allen wichtigen Punkten der Stadt dient. Vor<br />
allem der virtuellen Rekonstruktion von Gebäudekomplexen verschiedener<br />
Epochen, die zu diesem architektonischen Angelpunkt in Verbindung stehen,<br />
kommt hier verstärkt Bedeutung zu bzw. sie stellt sogar eine methodische<br />
Notwendigkeit dar – da nur auf diese Weise der sich über Jahrhunderte<br />
hinziehende dynamische Prozess einer Stadtbildentwicklung und damit<br />
Raumaufteilung einigermaßen begreifbar wird. Denn Anspruch auf Herrschaft<br />
kann auf unterschiedliche Weise demonstriert werden, in jedem Fall aber ist<br />
die Erfassung von Räumen durch Herrschaft auch als Kommunikationsvorgang<br />
im weiteren Sinn zu verstehen. Kommunikation läuft jedoch nahezu<br />
ausschließlich über Verkehrswege, wobei die Wasserversorgung in antiken<br />
Städten ebenfalls noch eingebunden ist – was auch auf die große<br />
Säulenstrasse von Anazarbos zutrifft. In weiterer Folge beweist im Übrigen<br />
abermals die Zusammensetzung der Oberflächenfunde die sukzessive Aufgabe<br />
von ehemals besiedelter Fläche ab dem 5. Jh. n. Chr. – wodurch sich das<br />
Siedlungsgebiet letztlich wieder genau zu dem Kerngebiet zurückentwickelt,<br />
auf dem es über 1200 Jahre früher entstanden ist.<br />
Erwartung an das Forschungscluster<br />
Der Nutzen wird sich vor allem in der Vergleichsmöglichkeit diverser<br />
Phänomene offenbaren, da grundsätzliche Fragen zum Wesen und der<br />
Begrifflichkeit des Raumes zu diskutieren sind. Vor allem der vielfältige und<br />
epochenübergreifende Zugang ist hier von Interesse, da sich auf diese Art<br />
neue Impulse nahezu zwangsläufig ergeben und zu Korrekturen eigener<br />
Denkmodelle führen könnten.<br />
Stand: 11/2007 87
Ansprechpartner:<br />
Dr. Richard Posamentir (E-Mail: posamentir@istanbul.dainst.org)<br />
WULF RAECK, AXEL FILGES (Abteilung Istanbul)<br />
Strukturwandel des öffentlichen Raumes im spät- und nachantiken<br />
Priene<br />
Das Forschungsvorhaben steht thematisch und arbeitstechnisch im<br />
Zusammenhang mit dem derzeit laufenden DFG-Projekt „Interdependenzen<br />
urbanistischer Veränderungen im hellenistischen Priene“ innerhalb des<br />
Schwerpunktprogramms „Die hellenistische Polis als Lebensform“. Ziel dieses<br />
Projektes ist es, strukturelle Veränderungen des Stadtgefüges von Priene im<br />
Hellenismus im Zusammenhang untereinander und mit historischen Faktoren<br />
zu erfassen und zu untersuchen. Dabei stehen die öffentlichen oder politischen<br />
Räume im Zentrum des Interesses. Das DFG-Projekt klammert aber per<br />
definitionem Fragestellungen und Befunde aus, die in enger Verbindung mit<br />
seinem Thema stehen. Dies gilt insbesondere für nachhellenistische Phasen<br />
von Gebäuden oder Stadtvierteln, deren hellenistischer Zustand Gegenstand<br />
des DFG-Projekts ist.<br />
Im Rahmen des Clusters 3 soll ein Bereich bearbeitet werden, der einerseits<br />
von der bisherigen Forschung weitgehend vernachlässigt wurde, andererseits<br />
aber die Möglichkeit bietet, einen wichtigen Beitrag zum Thema der<br />
Neustrukturierung politischer Räume am Übergang von der Antike zur<br />
frühbyzantinischen Zeit und ihrer Entwicklung im Mittelalter zu liefern, und<br />
zwar in Bezug auf die Kategorie von Städten kleinerer bis mittlerer<br />
Größenordnung, deren Kenntnis für ein Gesamtbild nicht weniger wichtig ist als<br />
die der Metropolen.<br />
Die Baureste des spätantiken und mittelalterlichen Priene sind bisher<br />
weitgehend ignoriert worden, abgesehen von der Basilika am Theater (S.<br />
Westfalen, IstMitt 48, 1998) und ansatzweise des Agorakastells (W. Müller-<br />
Wiener, IstMitt 11, 1961). Dennoch ergeben sich anhand der sichtbaren<br />
Baureste sowie der Grabungsbefunde seit 1998 genügend Anhaltspunkte für<br />
die Bildung einer Arbeitshypothese. Diese betrifft die Verschiebung des antiken<br />
politischen Zentrums auf und an der Agora in den östlich anschließenden<br />
Bereich, der aus dem Prytaneion, dem ihm südlich gegenüberliegenden<br />
repräsentativen Apsidenbau, sowie der zwischen beiden verlaufenden Straße<br />
gebildet wird, ferner die Entwicklung des südlich anschließenden Areals zum<br />
Kern der byzantinischen Siedlung und vermutlich zeitweise des örtlichen<br />
Machthabers. Dieser Umwandlungsprozess des gebauten Raumes (Umnutzung<br />
der Säulenhalle; Aufgabe des freien Agoraplatzes) dürfte mit einer<br />
Veränderung der sozialen Praxis einhergehen und seine Untersuchung daher<br />
dem Konzept der Interdependenz von gebautem und sozialem Raum<br />
entsprechen, das in der Definition der Ziele des Forschungsclusters eine<br />
wichtige Rolle spielt.<br />
Die skizzierte Vorstellung von der Veränderung des politischen Zentrums in<br />
Priene basiert auf Beobachtungen in verschiedenen Teilbereichen:<br />
- Feststellung eines Nutzungshorizontes des 6./7. Jhs. im Nordschiff der<br />
Agora-Nordhalle (Einbau von Läden). Die Grabungsbefunde sind<br />
dokumentiert, aber noch nicht ausgewertet, die Baureste nicht vollständig<br />
aufgenommen.<br />
- Spätantike Ausbauphase des Prytaneions, 2006 erstmals genauer<br />
dokumentiert.<br />
- „Apsidenbau“ südlich gegenüber dem Prytaneion zwischen Straßenhalle und<br />
Stand: 11/2007 88
Asklepiosheiligtum, erst in den letzten Jahren untersucht. Datierung und<br />
Funktion noch unklar (Amtsgebäude?).<br />
- Beobachtung mittelalterlicher Reparatur- und Ausbauphasen der<br />
Stadtbefestigung über das bisher Bekannte hinaus im Rahmen eines<br />
Dissertationsvorhabens zur Stadtmauer von Priene.<br />
Das im Rahmen des Clusters 3 zu realisierende Arbeitsprogramm beinhaltet<br />
keinerlei feldarchäologische Aktivitäten in bisher unausgegrabenen Bereichen,<br />
sondern beschränkt sich auf die Untersuchung bereits sichtbarer Baureste und<br />
die Auswertung existierender Grabungsbefunde. Dabei kommt der Bearbeitung<br />
der stratifizierten byzantinischen Fundkeramik aus den jüngsten Grabungen im<br />
östlichen Wohnviertel (Insula F 15) als Datierungsgrundlage für nachantike<br />
Grabungsbefunde besondere Bedeutung zu. Für die Bauuntersuchungen sind<br />
Reinigungsarbeiten und ggf. Sondagen zur Klärung uneindeutiger<br />
Bauzusammenhänge nötig.<br />
Das Arbeitsprogramm im Einzelnen:<br />
- Auswertung der spätantik-frühbyzantinischen Funde aus den vergangenen<br />
Kampagnen, besonders der Agora-Grabung<br />
- Abschluss der Bauaufnahme der frühbyzantinischen Ein- und Umbauten der<br />
Agora-Nordhalle<br />
- Auswertung der mittel- und spätbyzantinischen Funde aus den vergangenen<br />
Kampagnen<br />
- Untersuchung der mittel- und spätbyzantinischen Bauten östlich der Agora<br />
(Kastellbereich mit „Kastellkirche“ und das Areal südlich davon)<br />
- Auswertung des einschlägigen Fundmaterials<br />
- Zusammenfassende Auswertung der Teilergebnisse<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Wulf Raeck (E-Mail: W.Raeck@em.uni-frankfurt.de)<br />
Dr. Axel Filges (E-Mail: A.Filges@em.uni-frankfurt.de)<br />
DIETRICH RAUE, STEPHAN SEIDLMAYER, PHILIPP SPEISER (Abteilung Kairo)<br />
Der Erste Katarakt<br />
Siehe 2. Forschungsfeld!<br />
KLAUS RHEIDT (TU Cottbus), RALF VON DEN HOFF (Uni Freiburg)<br />
Urbane Strukturen und kulturelle Prägung in einer Stadt des<br />
hellenistischen Zentralanatolien: Aizanoi<br />
Zielsetzung des Vorhabens<br />
Seit dem späten 4. Jh. v. Chr. und dem Zug Alexanders des Großen<br />
entwickelten sich in Kleinasien, Anatolien und den östlich anschließenden<br />
Regionen neue Kulturen und politische Strukturen, die lokale Vorgaben mit<br />
Formen urbanen Lebens in griechischer Tradition verbanden. Unsere bisherige<br />
Vorstellung von diesen Veränderungen innerhalb von Städten als zentralen<br />
politischen Organisationsformen ist wesentlich von den Großzentren an der<br />
Westküste Kleinasiens geprägt. Das „Brückenland“ Zentralanatolien jedoch, der<br />
Raum im topographischen Zentrum des Alexanderreiches und seiner<br />
Nachfolgestaaten, liegt an der Schnittstelle zwischen diesen schon vorher<br />
griechischen und den weiter östlich liegenden, orientalisch geprägten Gebieten.<br />
Hier finden sich überdies seit der Frühzeit stark ausgeprägte lokale Kulturen<br />
Stand: 11/2007 89
(Phrygien). Die Frage nach räumlicher, politischer und kultureller<br />
Neuorganisation menschlichen Zusammenlebens im Hellenismus, nach der<br />
Organisation Zentralanatoliens in Siedlungen und nach den Schritten seiner<br />
Urbanisierung stellt sich unter diesen Prämissen umso drängender und fällt in<br />
den Kern der Fragestellungen des Forschungsclusters 3 „Politische Räume“. Sie<br />
ist indes auf archäologischer Grundlage bisher kaum erforscht. Das Projekt<br />
zielt darauf ab. In einer Fallstudie sollen die Prozesse der urbanen Gestaltung,<br />
der Raumorganisation und der damit zusammenhängenden kulturellen Prägung<br />
einer hellenistischen Kleinstadt Zentral-anatoliens, Aizanoi, die zugleich im<br />
ehemals phrygischen Kernland liegt, untersucht werden.<br />
Für die Grabungen in Aizanoi wird damit ein neues Arbeitsfeld eröffnet. In den<br />
letzten 20 Jahren widmeten sich die Forschungen dort den z. T. hervorragend<br />
erhaltenen Monumenten in erster Linie der römischen Stadt. Dabei ist erstmals<br />
eine zusammenhängende Vorstellung von der urbanen Entwicklung der<br />
Siedlung zwischen dem 1. Jh. n. Chr. und der Spätantike erarbeitet worden.<br />
Die Vorgeschichte dieser Entwicklung liegt indes noch im Dunkeln.<br />
Bei den wenigen neueren Grabungen sind in kleinen Arealen der Siedlung<br />
überraschend hellenistische Befunde zutage getreten. Sie zeichnen sich durch<br />
gute Erhaltung sowie durch eine Vielzahl relevanter Funde in ihren<br />
ursprünglichen Kontexten aus. Durch diese Funde und durch epigraphische<br />
Zeugnisse ist eine Prägung durch Siedler aus den Städten der Westküste<br />
(Pergamon) bereits belegt, doch fehlen bisher Informationen zur Ausdehnung<br />
der Siedlung, zu ihren Grenzen zum Umland, zur Organisation ihres urbanen<br />
Raumes, ihrer Infrastruktur und ihres städtischen Organismus’ sowie zu der<br />
diese Elemente belebenden materiellen Kultur. Dies ist der innovative<br />
Ansatzpunkt des neuen Projektes.<br />
Im Rahmen des Projektes geht es zum einen um die Frage nach der<br />
städtischen Konstitution und Organisation Aizanois im 2. und 1. Jh. v. Chr.<br />
Bislang ist weder klar, wo ihre Agora, das urbane Zentrum, lag, bevor die<br />
große Anlage des Zeustempels in domitianischer Zeit die Gegebenheiten neu<br />
prägte. Noch ist erkennbar, welche Arten von öffentlichen Arealen<br />
(Heiligtümer, Plätze, Verwaltungsgebäude) im Hellenismus überhaupt<br />
ausgewiesen und wie diese organisiert waren. Bestanden die bisher nur<br />
punktuell bekannten römischen Platzanlagen bereits in dieser Zeit? Wie verhält<br />
sich die Stadtstruktur einer „Kolonie“ zu „griechischen“ Städten des Westens?<br />
Mit diesen Fragen wird Grundlagenforschung für die urbanistische Struktur der<br />
Siedlung betrieben, die im weiteren Verlauf durch die Klärung der<br />
Siedlungsorganisation, der Straßenführungen und der Lokalisierung öffentlicher<br />
Bauten zentrale Fragen betrifft, die im Forschungscluster 3 diskutiert werden.<br />
Zum anderen lassen die wenigen bisher vorliegenden Hinweise den Schluss zu,<br />
dass mit gut erhaltenen, weitgehend ungestörten Befunden zur materiellen<br />
Kultur der hellenistischen Siedlung zu rechnen ist. Hier stellt sich besonders die<br />
Frage nach der Verbindung zu anderen hellenistischen Metropolen anhand der<br />
zutage tretenden Funde und Befunde (z. B. Keramikinventare, Hausformen<br />
usw.). Die lebendige Füllung des urbanen Raumes mit konkretem materiellem<br />
Inventar ist zu erwarten, wie sie in „Stadtgrabungen“ der letzten Jahrzehnte<br />
oftmals erhofft wurde.<br />
Zusammen mit Untersuchungen zur kulturellen Identität der Bewohner des<br />
hellenistischen Aizanoi stehen so das Problem von Zentrum und Peripherie in<br />
der urbanen und politischen Prägung von Siedlungen und die Frage, wie der<br />
neu auch für griechische Siedler eröffnete, von den Zentren der Westküste<br />
aber politisch dominierte Raum Zentralanatoliens organisiert wurde, und<br />
welche Rolle die äußeren Formen und materiellen Gegebenheiten der Siedlung<br />
für die Ausprägung sozialer Strukturen spielten, im Zentrum des Projektes.<br />
Stand: 11/2007 90
Dies und die Untersuchung des Zusammenspiels räumlicher Organisation und<br />
kultureller Praxis, wie es sich im Materiellen niederschlägt, lässt überdies<br />
wesentliche Ergebnisse für die Forschungskooperation innerhalb des<br />
Forschungsclusters 3 erwarten.<br />
Arbeitsprogramm 2007<br />
1. Ab 2007 werden gezielt einzelne, für die urbane Struktur der Siedlung<br />
relevante Areale durch Grabungen untersucht: durch größere, flächigere<br />
Schnitte dort, wo schon früher gut stratifizierte hellenistische Befunde<br />
angeschnitten wurden (Westecke des Tempelplateaus), um eine<br />
zusammenhängende Vorstellung von der Binnenstruktur der Siedlung zu<br />
erlangen. Ergänzt wird dies durch kleinere Sondagen in den Bereichen der<br />
späteren römischen Platzanlagen. 2007 geht es hier zunächst um den bislang<br />
kaum erforschten sog. Dorischen Säulenhof, eine mutmaßliche Agora, an der<br />
R. Naumann bereits frühe Befunde berührt, aber nicht weiter ergraben hatte<br />
(Finanzierung aus Mitteln der Abteilung Istanbul). Diese kleineren Sondagen<br />
sollen die Frage nach der Datierung der Anlagen und/oder ihrer hellenistischen<br />
Vorgänger klären. Insgesamt ist durch die Grabungen zudem ein Überblick<br />
über die materielle Kultur, das Keramik- und sonstige Inventar der Siedlung<br />
und seine kulturelle Einordnung zu erarbeiten. Die Grabungs- und<br />
Fundbearbeitungsaktivitäten, die weit über die in den letzten Jahren<br />
durchgeführten derartigen Arbeiten hinausgehen, erfordern einen erhöhten<br />
Personalaufwand (Arbeiter, Hilfskräfte), die Etablierung eines modernen<br />
Dokumentations- und Datenverwaltungssystems (Übernahme des GIS-<br />
Pergamon geplant) und die Neustrukturierung der Fundbearbeitung<br />
(Hilfskräfte).<br />
2. Zudem soll der erstmalige Versuch unternommen werden, einen möglichst<br />
umfassenden Überblick über die räumliche und bauliche Organisation des<br />
gesamten Siedlungsareals in hellenistischer Zeit zu erhalten. Dazu werden in<br />
den kommenden Jahren geophysikalische Prospektionen durchgeführt, die<br />
zudem – soweit möglich – in großen Flächen angelegt die zukünftigen<br />
Grabungsareale zu ermitteln helfen. Für 2007 sind vorbereitende Arbeiten und<br />
Probemessungen vorgesehen (Geomagnetik, Georadar; Werkverträge).<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Klaus Rheidt, Klaus (E-Mail: Rheidt@tu-cottbus.de)<br />
Prof. Dr. Ralf von den Hoff (E-Mail: vd.hoff@archaeologie.uni-freiburg.de)<br />
ANDREAS SCHACHNER (Abteilung Istanbul)<br />
Die Hethiterhauptstadt Hattuša-Boğazköy / Türkei<br />
Die seit 100 Jahren unter Federführung des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s andauernden Forschungen in der hethitischen Hauptstadt Hattuša<br />
haben die Entwicklung von ersten Siedlungsansätzen im Chalkolithikum bis<br />
zum Ausbau zu einer repräsentativen Herrschaftsstadt im 13. Jh. v. Chr.<br />
ebenso dokumentiert, wie das Nachleben in der Eisenzeit und in Byzantinischer<br />
Zeit.<br />
In der archäologischen Hinterlassenschaft spiegelt sich so die<br />
Auseinandersetzung des Menschen mit dem ihm zur Verfügung stehenden<br />
Raum in einer seltenen historischen Tiefe. Deshalb ist es möglich, sich mit dem<br />
Phänomen der Anpassung an die geographischen Vorbedingungen und der<br />
Formung des Raumes außerhalb und innerhalb der Siedlung vergleichend über<br />
einen langen Zeitraum auseinanderzusetzen. In den verschiedenen Aspekten<br />
Stand: 11/2007 91
der Problematik werden jeweils neben evidenten Unterschieden auch<br />
Gemeinsamkeiten der Strategien deutlich, die eventuell über die Region<br />
Boğazköy hinaus exemplarischen Charakter für Zentralanatolien haben<br />
könnten.<br />
Grenzen<br />
Die hethitische Hauptstadt ist ein in der Kulturgeschichte Anatoliens einmaliges<br />
Beispiel für die aktive Gestaltung der Umwelt durch den Menschen. Dies äußert<br />
sich bereits in der Wahl des Siedlungsplatzes, da die bewusste Wahl eines<br />
komplexen Territoriums für die Stadt eine dauernde Auseinandersetzung mit<br />
dem Naturraum nach sich zog. Dieser Umstand unterscheidet Boğazköy-<br />
Hattuša grundlegend von den vorhergehenden und nachfolgenden Kulturen<br />
dahingehend, dass bis heute sichtbare und wirkende Veränderungen in der<br />
Topographie der Region erhalten blieben.<br />
Mit Blick auf den innerstädtischen Bereich spielen neben praktischen<br />
Notwendigkeiten (z. B. die Wasserversorgung) auch repräsentative und<br />
ideologische Überlegungen eine große Rolle bei der Formung der urbanen<br />
Landschaft. Das Phänomen der aktiven Landschaftsgestaltung unterscheidet<br />
hethitische Städte bereits in grundsätzlicher Hinsicht von den älteren und<br />
jüngeren Siedlungen Anatoliens. Gleichzeitig ist die Hauptstadt jedoch durch<br />
eine Vielzahl von Beispielen aktiver Maßnahmen zur Formung des Lebensraums<br />
geprägt, die weit über das in anderen Städten belegte Maß hinausgehen. Diese<br />
sind zweifelsohne auf die besondere Funktion und die damit verbundenen<br />
besonderen ideologischen Bedingungen zurückzuführen und werden somit im<br />
direkten Vergleich mit anderen Siedlungen in Hattuša in besonderer Klarheit<br />
sichtbar.<br />
Insbesondere fällt im Falle von Hattuša die klare Abgrenzung der Stadt an sich<br />
und einzelner innerstädtischer Bereiche auf. Die Art, Grenzen unter<br />
Einbeziehung der Topographie zu ziehen, ist an der gesamten Stadt ebenso zu<br />
beobachten wie in der Unterscheidung einzelner Stadtbereiche und auch in der<br />
Abgrenzung einzelner Gebäude.<br />
Ein gutes Beispiel für dieses Vorgehen ist die Palastanlage auf Büyükkale, die<br />
als Ganzes topographisch klar vom Rest der Stadt abgegrenzt und in sich durch<br />
verschiedene Höhenstufen nochmals mehrfach gegliedert wird. Ein ähnliches<br />
Prinzip der vertikalen und horizontalen Abgrenzung findet sich zum Beispiel<br />
auch im Falle des zentralen Tempelviertels in der Oberstadt. Die Tatsache,<br />
dass sich Hattuša über nahezu ein Jahrtausend von der Frühbronzezeit bis zum<br />
13. Jh. v. Chr. entwickelte, bietet nicht nur die Möglichkeit, die Entstehung<br />
dieser repräsentativen Formen nachzuzeichnen, sondern auch – und unter<br />
Berücksichtigung der historischen Überlieferung – die Gründe für deren<br />
Entstehung zu erforschen.<br />
Um den angeschnittenen Fragestellungen weiter nachgehen zu können, wurde<br />
2006 parallel zu den Ausgrabungen mit ausgedehnten Begehungen und<br />
geophysikalischen Prospektionen begonnen. Diese zeigen, dass weite Teile der<br />
bisher unerforschten Stadt dichte Bebauung aufweisen. Besonders<br />
bemerkenswert ist jedoch, dass nach den Ergebnissen der Geomagnetik auch<br />
außerhalb der Stadt mit einer lockeren Besiedlung zu rechnen ist, die<br />
möglicherweise aus einzelnen Gehöften bestand. Es werden so erstmals<br />
Einblicke in die Art der Verbindung zwischen der Stadt und ihrem Umland<br />
möglich.<br />
Soziale Hierarchien<br />
Die Erforschung der Frage, inwieweit sich soziale Hierarchien in der<br />
Stadtlandschaft von Hattuša widerspiegelten, steht noch weitgehend am<br />
Stand: 11/2007 92
Anfang. Einerseits sind weite Bereiche der Stadt noch gänzlich unbekannt,<br />
andererseits wurden in den bisherigen Forschungen vor allem Wohngebiete nur<br />
ansatzweise untersucht. Dennoch werden an der bekannten internen Zonierung<br />
und klaren Separierung einzelner Funktionsbereiche (Tempel vs. Palast)<br />
entsprechende Hierarchien deutlich. Insbesondere der Vergleich zwischen der<br />
Unter- und der später angelegten Oberstadt kann zeigen, inwieweit soziale<br />
oder ideologische Hierarchien zur Ausbildung bzw. Gestaltung einzelner<br />
Stadtareale beitrugen. Ein weiterer Aspekt, der auf festgefügte Hierarchien<br />
hinweist, ist die Tatsache, dass bestimmte Gebäudeformen über mehrere<br />
Jahrhunderte unverändert fortgeführt wurden, während sich andere wandeln<br />
konnten. Die große Menge an Gebäuden gleicher Funktion, deren Grundriss<br />
sich über die Zeit veränderte, ermöglicht im Verbund mit der textlichen<br />
Überlieferung eine Annäherung an die Frage, in wie weit die Form durch die<br />
Funktion bedingt war, und ob es Freiheiten gab, bzw. durch wen die Form<br />
bestimmt wurde.<br />
Im Zusammenhang mit sozialen Hierarchien stellt sich die Frage nach der<br />
funktionalen Entwicklung einzelner Stadtbereiche und den Gründen für<br />
Veränderungen. Insbesondere die laufenden Grabungen in der westlichen<br />
Oberstadt, im Tal vor Sarikale, erlauben Einblicke in die funktionale<br />
Entwicklung dieses Stadtbereichs und in die Gründe für dessen Veränderungen,<br />
in deren Zusammenhang nicht nur jeweils neue Funktionen, sondern auch<br />
neue soziale Gruppen in diesem Teil der Stadt verankert wurden. Ähnliche<br />
Veränderungen sind auch im zentralen Tempelviertel zu beobachten, das nach<br />
dem Auflassen einiger Tempel zu einem Werkstattareal umgewidmet wurde.<br />
Ressourcen und Kontrolle über das Umland<br />
Eine Stadt von der Größe Hattušas benötigte zwangsläufig eine enorme Menge<br />
an Rohstoffen. Diese wurden sicher zu einem großen Teil im unmittelbaren<br />
Umfeld der Stadt gewonnen. Die Wechselwirkung zwischen Stadt und Umland<br />
ist im Falle von Hattuša noch weitgehend unerforscht, weshalb für die<br />
kommenden Jahre Feldforschungen in diese Richtung unternommen werden<br />
sollen.<br />
In einem zweiten Punkt, der Kontrolle über das Umland bzw. der Gestaltung<br />
desselben, kann dagegen auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden, die einen<br />
spürbaren Einfluss der Stadt auf ihr Umland mittels kleinerer Strukturen (evtl.<br />
Kastelle oder Türme oder Ähnlichem) während der hethitischen Zeit erkennen<br />
lassen. Wahrscheinlich kommt in diesem System eine Kontrolle der Landschaft<br />
um die Stadt zum Ausdruck, das nicht nur einem Bedürfnis nach Sicherheit,<br />
sondern auch der Notwendigkeit der Versorgung mit Agrargütern und<br />
Rohstoffen diente.<br />
Erwartungen<br />
Aufgrund seiner Stellung als Hauptstadt eines der wichtigsten Großreiche des<br />
2. Jts. v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum bietet die Erforschung von Hattuša<br />
zahlreiche Möglichkeiten für einen komparatistischen Ansatz. Insbesondere der<br />
Fragenkomplex der aktiven Formung der Landschaft und der Gründe für diese<br />
Gestaltung verspricht im Vergleich mit anderen, ähnlich gearteten Zentren eine<br />
Trennung des genuin Hethitischen von eher allgemein gültigen Strategien.<br />
Ansprechpartner:<br />
PD Dr. Andreas Schachner (E-Mail: schachner@istanbul.dainst.org)<br />
Stand: 11/2007 93
SUSANNE SIEVERS (RGK)<br />
Das keltische Oppidum von Manching / Bayern<br />
Das keltische Oppidum von Manching (320-50 v. Chr.), seit 1956 von der RGK<br />
meist in Form von Rettungsgrabungen untersucht, umfasst 380 ha. Es war in<br />
seiner Spätphase von einer 7 km langen Stadtmauer umgeben. Manching gilt<br />
mit 25 ha untersuchter Fläche als das am besten erforschte Oppidum<br />
überhaupt, ist der Motor der deutschen Oppidaforschung und hat die<br />
europäische Kelten-Forschung ganz wesentlich mitbestimmt. Die<br />
verkehrsgünstige Lage der Siedlung in der Ebene, an der Mündung der Paar in<br />
die Donau, prädestinierte sie in Kombination mit den sie umgebenden<br />
Ressourcen (u. a. Eisenerz) für ihre Rolle als Zentralort, der im Fernhandel ein<br />
Scharnier zwischen ost- und westkeltischem Raum bildete. Dennoch war das<br />
Oppidum, nicht nur was die Versorgung mit Lebensmitteln betrifft, in hohem<br />
Maße von seinem Umland abhängig.<br />
Fragestellung<br />
Die Binnenstruktur des Oppidums ist nur in Ausschnitten erfasst. Hier sollen<br />
durch verschiedene Prospektionsmethoden Lücken geschlossen werden, die<br />
zumindest eine Rekonstruktion der Infrastruktur erlauben. Die Topographie<br />
(Altwasserläufe, Moore) wirkte sich kaum bestimmend auf die Gestaltung der<br />
Siedlung aus. Dennoch liefert sie Anhaltspunkte für Grundzüge der<br />
Siedlungsentwicklung, da sich einige bauliche Elemente daran orientiert haben.<br />
Auch wenn in Manching ländlich wirkende Gehöfteinheiten vorherrschen, lässt<br />
das Oppidum für seine Zeit überraschend viele „urbane“ Merkmale erkennen.<br />
So zeichnen sich im Zentrum kultische Einrichtungen ab, und Groß- sowie<br />
Sonderbauten lassen in Zusammenhang mit den Funden auf eine soziale<br />
Staffelung schließen, die auch in der Architektur zum Ausdruck kam. Wie sich<br />
innerhalb der Siedlung soziale Hierarchien entwickelten, wie sich einzelne<br />
Einheiten zueinander verhielten und wie deren Position innerhalb des uns nur<br />
in Ansätzen bekannten keltischen Gesellschaftssystems einzuordnen sind, ist<br />
noch unklar und kann nur im Vergleich mit den Befunden des Umlandes enger<br />
eingegrenzt werden. An dieser Stelle besteht eine Verklammerung mit dem 2.<br />
Forschungsfeld „Grenzen politischer Räume“.<br />
Die Bündelung unterschiedlicher Funktionseinheiten in der Siedlung erlaubt,<br />
Manching als komplexes Zentrum anzusprechen, ein Begriff, der womöglich für<br />
prähistorische Siedlungen zutreffender ist als der Begriff „Stadt“. Gerade die<br />
engen Verbindungen zum Mittelleerraum führen allerdings zu der Frage, welche<br />
Rolle im urbanen Bild eines keltischen Oppidums rechts des Rheins eventuelle<br />
südliche Einflüsse gespielt haben. Überraschend ist allein schon die Größe<br />
keltischer Oppida, die 1000 ha überschreiten konnte. Aus diesem Grund<br />
werden konkrete Vergleiche mit den Strukturen hellenistischer Städte<br />
angestrebt. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob nicht auch nördlich der<br />
Alpen „urbane“ Strukturen eine Tradition besitzen.<br />
Methoden<br />
Um die Binnenstrukturen der Siedlung besser erfassen zu können, ist an eine<br />
geophysikalische Prospektion der Reste der ungestörten Innenfläche gedacht,<br />
die mit den Ergebnissen der Luftbildarchäologie und einer bereits<br />
durchgeführten LIDAR-Befliegungen abzugleichen ist. Diese Untersuchungen<br />
werden auf das nähere Umfeld des Oppidums ausgedehnt, um in Erfahrung zu<br />
bringen, wie das Oppidum mit den es umgebenden befestigten Gehöften<br />
(Viereckschanzen) und sonstigen Siedlungsresten verbunden war. Alle Daten<br />
sollen in ein GIS-Programm einfließen.<br />
Stand: 11/2007 94
Ansprechpartner:<br />
Dr. Susanne Sievers (E-Mail: sievers@rgk.dainst.de)<br />
MARGARETE VAN ESS (Orient-Abteilung)<br />
Urbane Struktur und Funktion der Großstadt Uruk<br />
Die Stadt Uruk, 300 km südlich von Baghdad (Irak) gelegen, gehört zu den<br />
frühen Großstädten der Alten Welt. Sie entstand Ende des 5. Jt. v. Chr. aus<br />
vermutlich mehreren kleineren Ansiedlungen, die sich im Bereich eines<br />
Übergangs über den Euphrat befanden. Schon Ende des 4. Jt. v. Chr. war<br />
dieses Konglomerat zu einer ca. 2,5 km 2 großen Stadt angewachsen, deren<br />
Gliederung in verschiedene funktionale Bereiche erschließbar ist. Die<br />
langjährigen Ausgrabungen im Zentrum der Stadt ließen erkennen, dass schon<br />
in dieser frühen Zeit nicht nur die Stadt, sondern alle Belange der damaligen<br />
Gesellschaft in hohem Maße strukturiert und wahrscheinlich straff politisch<br />
organisiert waren. Am Beginn des 3. Jt. v. Chr. hatte die Stadt ihre größte<br />
Ausdehnung (5,5 km 2 ) erreicht und wurde von einer 9,5 km langen<br />
Stadtmauer geschützt. Auch für diese Zeit sowie für fast alle nachfolgenden<br />
Perioden bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein lässt sich deren urbane Struktur<br />
nachweisen.<br />
Forschungen zur räumlichen Nutzung von Uruk sind vor allem dank der<br />
hervorragenden Datenlage möglich. Reihenbefliegungen des Ortes durch die<br />
Royal Air Force im Jahr 1935, Luftphotos aus den 1970er Jahren, die<br />
Ergebnisse eines sehr detaillierten, flächendeckenden archäologischen Surveys<br />
aus den Jahren 1982-84 sowie ein geophysikalischer Survey aus den Jahren<br />
2001 und 2002 in Teilbereichen der Stadt und hochauflösende Satellitenbilder<br />
aus den Jahren 2001, 2003, 2005 bieten eine Informationsgrundlage, wie sie<br />
im Vorderen Orient nur selten für archäologische Orte zur Verfügung steht. Mit<br />
Hilfe dieser Daten können Analysen durchgeführt werden, in denen die<br />
topographische Gliederung, technische und bauliche Strukturen – ergrabener<br />
wie noch im Boden liegender Anlagen –, sowie archäologische Informationen<br />
zur Funktion der verschiedenen Bereiche verknüpft und in Abhängigkeit<br />
voneinander betrachtet werden können.<br />
Vorläufige Ergebnisse sind Hypothesen zur Lage, Größe und inneren<br />
Erschließung verschiedener Viertel in der Stadt, zur Funktion einzelner<br />
Bereiche sowie zur urbanen Strukturierung der Gesamtstadt. In Teilbereichen<br />
konnten Theorien zur historischen Entwicklung einzelner Stadtviertel begründet<br />
werden. Wahrscheinlich aus der Notwendigkeit heraus, ein großes Stadtgebiet,<br />
bestehend aus einem zentralen Heiligtums- und Verwaltungsbereich, aus<br />
verschiedenen Wohnvierteln und aus innerstädtischen Gärten und Feldern, vor<br />
Angriffen zu schützen, entsteht Anfang des 3. Jt. v. Chr. die monumentale<br />
Stadtmauer. Spätestens im Zusammenhang mit dieser Baumaßnahme musste<br />
der Fluss, der die Stadt versorgte, reguliert werden, um die in Mesopotamien<br />
so häufig auftretenden Hochfluten nicht zur Gefahr für die Stadt werden zu<br />
lassen. Der Fluss wurde kanalisiert und innerstädtisch mehrere Nebenkanäle<br />
zur Versorgung der Gärten und Felder, offenbar aber auch als Transportwege<br />
angelegt.<br />
Ziel des derzeitigen Projektes ist es, diese im Groben schon erkennbaren<br />
Strukturen im Detail zu erfassen und zu beschreiben. Anhand der<br />
Satellitenbilder sollen Analysen der Vorstädte und der Gliederung der<br />
außerstädtischen Nutzungsgebiete folgen. Unter Berücksichtigung der<br />
historischen Entwicklung der Stadt, also der verschiedenen, über die<br />
Stand: 11/2007 95
archäologischen Daten definierbaren Siedlungsschichten und unter<br />
Einbeziehung der topographischen Information, d. h. auch der<br />
Höheninformation, sollen die Siedlungs- und Funktionsmuster verschiedener<br />
Perioden sichtbar gemacht und gegeneinander abgesetzt werden. Im Spiegel<br />
der in weiten Teilen bekannten politischen Geschichte der Region versprechen<br />
wir uns neue Erkenntnisse zur Funktion der Gesamtstadt in ihrem politischen<br />
Umfeld und zum jeweiligen Charakter der Stadt in verschiedenen Perioden.<br />
Das Projekt erfolgt angesichts der derzeitigen politischen Situation im Irak<br />
ausschließlich anhand der vorhandenen Daten.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Margarete van Ess (E-Mail: orient@dainst.de)<br />
4. FORSCHUNGSFELD: ORTE DER HERRSCHAFT<br />
Moderatoren: Felix Arnold, Ulrike Wulf-Rheidt<br />
FELIX ARNOLD (Abteilung Madrid)<br />
Herrschaftliche Villen in Córdoba<br />
Ansatz:<br />
Die Architektur von Herrschaftssitzen interpretiert ein bestimmtes Verständnis<br />
von Herrschaft und erlaubt daher Rückschlüsse auf das zugrunde liegende<br />
Herrschaftsverständnis. Ziel der Untersuchung islamischer Palastarchitektur in<br />
Córdoba ist die Definition von Eigenheiten islamischer<br />
Herrschaftsvorstellungen. Innerhalb der islamischen Palastlandschaft Córdobas<br />
nehmen die herrschaftlichen Villen am Rand der Stadt eine besondere Stellung<br />
ein. Fern von militärischen und verwaltungstechnischen Erwägungen setzen die<br />
Villen das Selbstverständnis ihrer Bauherren in Szene. Zwei Fragestellungen an<br />
die Architektur der Villen versprechen Hinweise auf die Eigenheiten der<br />
zugrunde liegenden Herrschaftsvorstellungen:<br />
- Haus und Palast. Der Palast ist das Wohnhaus eines Herrschers. Was aber<br />
unterscheidet einen Palast von einem gewöhnlichen Wohnhaus? Die<br />
Gestaltung eines Palastes verleiht bestimmten Aspekten des Wohnens – das<br />
Eintreten, das Auftreten, das Gegenübertreten – eine besondere<br />
Bedeutung. Welche Aspekte des Wohnens auf welche Weise bedeutungsvoll<br />
gemacht werden – durch Veränderungen im Maßstab, im Bodenniveau, in<br />
den Blickbeziehungen –, erlaubt Rückschlüsse auf den Unterschied zwischen<br />
Herrscher und Beherrschtem und damit auf das Selbstverständnis des<br />
Herrschers.<br />
- Stadt und Palast. Die Macht eines Herrschers beruht auf der Gemeinschaft<br />
derjenigen, die ihm die Macht verleihen. Welche Bezüge zwischen dem<br />
Palast und der Stadt – ihrer sakralen Räume, ihrem Markt, ihrer<br />
Befestigungsanlagen und ihrem Verkehrssystem – aufgebaut werden,<br />
erlaubt Rückschlüsse auf die Machtgrundlage des Herrschers und die Art<br />
seiner Legitimation.<br />
Kulturhistorisches Anliegen:<br />
Das Projekt ist aus Untersuchungen zur spätrömischen und islamischen<br />
Palastarchitektur in Abū Mina (Ägypten) und Almería (Spanien)<br />
hervorgegangen und hat die Beantwortung folgender Fragen zum Ziel:<br />
Stand: 11/2007 96
- Kontinuität von der römischen zur islamischen Palastarchitektur. Auf der<br />
Iberischen Halbinsel scheint sich eine ungebrochene Villentradition von der<br />
Antike bis in das islamische Mittelalter nachvollziehen zu lassen. Damit<br />
bietet sich hier die Möglichkeit, den römischen Wurzeln der islamischen<br />
Kultur nachzugehen, den Grad der Verwandtschaft der islamischen und<br />
christlichen Kultur zu bestimmen (die beide Wurzeln in der römischen<br />
haben) und Unterschiede aufzuzeigen.<br />
- Definition des islamischen Raumverständnisses. Dem Islam ist ein<br />
Raumverständnis eigen, welches sich vom römischen und christlichen<br />
grundsätzlich unterscheidet. Gewisse Eigenheiten dieses<br />
Raumverständnisses – der Raum als Kontinuum und der fließende Übergang<br />
zwischen Landschaft und gebautem Raum – wurden in der Villenarchitektur<br />
ausgeprägt und lassen sich hier besonders deutlich nachvollziehen. Gefragt<br />
wird dabei nach dem zugrunde liegenden Menschenbild und der Beziehung<br />
zwischen Mensch und Raum.<br />
- Rolle der Villen innerhalb islamischer Palastlandschaften. Islamische Fürsten<br />
der Iberischen Halbinsel hatten in der Regel mehrere Residenzen<br />
unterschiedlichen Charakters, von Stadtpalast über Zitadelle bis Landvilla.<br />
Für die architekturästhetische Entwicklung der Paläste kam den Villen dabei<br />
eine zentrale Rolle zu. Welche Funktion aber hatten diese Villen innerhalb<br />
des Herrschaftssystems? Inwiefern wurde die Architektur der Villen als<br />
Mittel zur Etablierung und Förderung von Bindungen zwischen dem<br />
Herrscher und seiner Klientel – den Mitgliedern der von ihm abhängigen<br />
Führungsschicht – genutzt?<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Felix Arnold (E-Mail: arnold@madrid.dainst.org)<br />
HEINZ-JÜRGEN BESTE (Abteilung Rom)<br />
Die Kaiserresidenz Domus Aurea in Rom<br />
Nach dem großen Brand in Rom 64 n. Chr. ließ Nero in kürzester Zeit und mit<br />
einem Geldaufwand, der die Staatskasse auf Jahre hinaus belastete, bis zu<br />
seinem Tod im Jahr 68 n. Chr. eine neue Kaiserresidenz errichten, die weitaus<br />
größer und luxuriöser war; als die vorherigen Anlagen Domus Tiberiana und<br />
Domus Transitoria. Die sich auf ca. 80 Hektar verteilende Anlage zwischen<br />
Palatin, Oppius und Caelius umfasste neben dem eigentlichen Residenzgebäude<br />
einen künstlichen See, an dessen Stelle heute das Colosseum steht, ein<br />
gigantisches Nymphaeum, Portiken und Gartenanlagen. Der ganze Komplex,<br />
der zum Zeitpunkt des Todes Neros noch nicht fertig gestellt war, zählt mit den<br />
Palastanlagen auf dem Palatin sowie mit der Domitiansvilla in Castel Gandolfo<br />
und der Hadriansvilla bei Tivoli zum Inbegriff einer Kaiserresidenz.<br />
Da Repräsentation ein in seinen Zielen zeit- und raumunabhängiges Anliegen<br />
der Mächtigen ist, in seiner konkreten materiellen Umsetzung dagegen durch<br />
den jeweiligen historischen und kulturellen Kontext geprägt wird, eignet sich<br />
die Domus Aurea besonders für eine Untersuchung zum Thema Residenz und<br />
Herrschersitze. Schon die Standortwahl (nicht auf dem Palatin, sondern an den<br />
Hängen des Colle Oppio) macht deutlich, dass es dem Auftraggeber bei der<br />
Konzeption der Anlage speziell um eine neue Palastanlage ging, die sich der<br />
bisherigen architektonischen Formensprache, den historischen und politischen<br />
Implikationen (mithin dem genius loci des Palatin) entledigen bzw. diese<br />
übertreffen wollte.<br />
Stand: 11/2007 97
Bei dem Vorhaben geht es darum nicht allein um die Dokumentation und<br />
Bauuntersuchungen am Residenzgebäude der Domus Aurea selber, vielmehr<br />
soll die gesamte Anlage des neronischen Projektes mit all seinen baulichen und<br />
inhaltlichen Konnotationen untersucht werden. Trotz zahlreicher fast alle<br />
Themen der Archäologie abdeckender Untersuchungen und Studien zur Domus<br />
Aurea sind die Gestalt und die Funktion von weiten Teilen der Anlage noch<br />
ungeklärt. Unkenntnis besteht auch über ihre Entstehungsgeschichte,<br />
Umstrukturierung und Umnutzung nach dem Tod Neros. Insbesondere ist das<br />
Verhältnis zu den Bauten, die vor dem Brand (64 n. Chr.) an der Stelle der<br />
Domus Aurea standen und die teilweise in das Projekt integriert wurden,<br />
unklar, wie auch ihre Umbauphasen bis zur Errichtung der Trajansthermen<br />
(offizielle Einweihung 109 n. Chr.) kaum bestimmt sind.<br />
In einem zweiten Schritt soll die Domus Aurea mit dem Konglomerat von<br />
Palastanlagen auf dem Palatin und den ihr zeitlich nachfolgenden<br />
Kaiserresidenzen in Castel Gandolfo (Domitian) sowie bei Tivoli (Hadrian)<br />
verglichen werden. Hier wird verschiedenen Fragestellungen nachzugehen<br />
sein: In welcher Weise wird über Herrschersitze die Kommunikation zwischen<br />
Herrscher und Untertanen geregelt? Wieweit dienen sie als „Laboratorium“ für<br />
die Gestaltung bestimmter für den jeweiligen Herrscheranspruch gültiger<br />
Konzepte? Sind überall bei den Residenzanlagen (Castel Gandolfo und Tivoli)<br />
die architektonischen Ausdrucksformen der Herrschaft im engeren und<br />
weiteren Raum im Wesentlichen die gleichen, oder sind die Architekturen, weil<br />
Herrschaft eben nicht gleich Herrschaft ist, stets verschieden? Und wenn<br />
letzteres, dann gänzlich oder nur in mehr oder minder bedeutenden Teilen?<br />
Werden die stets gleichen Elemente nur jeweils neu kombiniert? Lassen sich im<br />
urbanen bzw. extraurbanen Kontext dieselben architektonischen<br />
Grundelemente finden? Wie verhalten sich die privaten und öffentlichen<br />
Bereiche der jeweiligen Residenz zueinander? Wird stets zwischen Innen und<br />
Außen, Privatem und Öffentlichem differenziert? Ist Macht auch immer Pracht,<br />
ist überall die Demonstration von Macht durch die Größe des Bauwerks und die<br />
Kostbarkeit der Materialien festzustellen? Schlagen sich die persönlichen<br />
Charaktere der einzelnen Kaiser und ihre Rolle, die sie spielen, auf die<br />
Konzeption der Anlage nieder – z. B. diejenige des „Gelehrten“, was zum<br />
entsprechenden Raum führt, dem studiolo? Ist die Konzeption innovativ oder<br />
wird auf ein traditionelles Raumschema zurückgegriffen? Sollen Kontinuität und<br />
pietas demonstriert werden oder, wie im Falle der Doums Aurea, der Beginn<br />
eines neuen Zeitalters? Wie steht es mit Nähe und Distanz, Sichtbarkeit und<br />
Entrückung? Bestimmt distanzierendes Zeremoniell den Bau oder stufenlose<br />
Offenheit?<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Heinz-Jürgen Beste (E-Mail: beste@rom.dainst.org)<br />
GERDA VON BÜLOW (RGK), ULRIKE WULF-RHEIDT (Zentrale)<br />
Der spätantike Kaiserpalast Felix Romuliana bei Gamzigrad / Serbien<br />
Die ca. 200 x 200 m große Palastanlage Felix Romuliana bei Gamzigrad /<br />
Serbien ist im Unterschied zum gut vergleichbaren Diokletianspalast in Split /<br />
Kroatien in nachantiker Zeit nie überbaut worden. Sie liegt eingebettet in eine<br />
hügelige Landschaft am Rande des serbischen Erzgebirges (in den<br />
nachpalastzeitlichen Siedlungen wurde auch in größerem Umfang Metallurgie<br />
betrieben). Mit der Grenzregion an der unteren Donau ist Romuliana durch das<br />
Flusstal des Timok verbunden.<br />
Stand: 11/2007 98
Seit mehr als 50 Jahren werden Ausgrabungen durchgeführt, und wesentliche<br />
Teile der Innenbebauung sind bereits freigelegt worden. Durch eine hier<br />
gefundene Inschrift und das überlebensgroße Porphyrporträt des Kaisers<br />
Galerius (293 – 311 n. Chr.) ist Romuliana als Herrschersitz / Palast gut<br />
definiert. Die bereits bekannte Innenbebauung eignet sich hervorragend als<br />
Ansatzpunkt für die Untersuchung von spätantiker Herrschaftsarchitektur als<br />
politischem und sozialem Raum.<br />
Fragestellung<br />
Nach außen präsentiert sich Romuliana durch eine überdimensionierte<br />
Umfassungsmauer mit dominant vorspringenden Türmen und reich dekorierten<br />
(u. a. mit „politischen“ Reliefs) Toren. Der Fernwirkung diente ein auf einer<br />
Passhöhe gelegenes Tetrapylon. Von hier aus bestand auch eine Verbindung<br />
bis in die Limeszone an der unteren Donau – einem politischen Raum par<br />
excellence.<br />
In der unmittelbaren Umgebung des Palastes sind außer einem großen<br />
Speicherbau und einem Objekt unbekannter Funktion bislang keine markanten<br />
Siedlungsstrukturen zutage gekommen. War diese sehr auf Außenwirkung<br />
bedachte Anlage tatsächlich als der selbstgenügsame Ruhesitz des Kaisers am<br />
(nach den Quellen nicht genau lokalisierbaren) Ort seiner Geburt (einige<br />
Mauerzüge im Innern werden als Reste der bäuerlichen Villa seiner Eltern<br />
gedeutet) konzipiert? Oder ist nicht vielmehr zu erwarten, dass die sich in der<br />
Architektur ausdrückende Herrscher- und Herrschaftsideologie auch auf die<br />
unmittelbare Umgebung ausstrahlen sollte? Und wie war diese Mikroregion<br />
strukturiert und in Wechselbeziehung mit dem Palast organisiert?<br />
Aufgrund des guten Erhaltungszustandes lässt sich im Vergleich mit anderen<br />
spätantiken und hier besonders den tetrarchischen Residenzen auch die Frage<br />
klären, ob es wirklich eine neue Programmatik in der spätantiken<br />
Palastbaukunst gab, wie dies Beat Breank postuliert hat, oder sich nicht doch<br />
Gemeinsamkeiten und Traditionslinien wiederfinden lassen. Wie spiegelt sich<br />
das neue Herrschaftsverständnis der spätantiken Kaiser in einer politisch<br />
schwierigen Umbruchszeit architektonisch wieder.<br />
Methode und Perspektiven<br />
Um diesen Fragen nachzugehen, soll im Rahmen eines deutsch-serbischen<br />
Kooperationsvertrages die bereits begonnene geophysikalische Prospektion in<br />
Verbindung mit archäologischen Detailunter-suchungen im Umfeld der<br />
Palastanlage weiter ausgedehnt werden. Als Grundlage wurde, basierend auf<br />
einem einheitlichen Messnetz erstmals eine systematische Bauaufnahme des<br />
gesamten Palastareals und der Monumente auf dem Grabhügel im Osten<br />
angefertigt und diese in einen Umgebungsplan integriert. Die so gewonnenen<br />
Daten bilden zusammen mit den Forschungsergebnissen im Palastinnern die<br />
Grundlage für ein komplexes GIS.<br />
Der auf diese Weise definierte politische Raum „Romuliana“ kann einerseits in<br />
seiner inneren Struktur mit dem Kaiserpalast als Zentrum untersucht und<br />
dargestellt werden, und er kann als Referenz zur Interpretation vergleichbarer<br />
Objekte im spätrömischen Reich dienen. Andererseits lässt sich auch die<br />
Mikroregion „Kaiserpalast“ in Beziehung setzen zu dem politischen Großraum<br />
der Limeszone an der unteren Donau bzw. der Grenzprovinz Dacia ripensis.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Gerda von Bülow (E-Mail: vonbuelow@rgk.dainst.de)<br />
Dr.-Ing. Ulrike Wulf-Rheidt (E-Mail: uwr@dainst.de)<br />
Stand: 11/2007 99
RUDOLF HAENSCH, ROLAND FÄRBER (AEK)<br />
Administrative Räume der römischen Reichsverwaltung in Kaiserzeit<br />
und Spätantike<br />
Die jüngste Forschung revidierte die vor allem von F. Millar und seinen<br />
Schülern vertretene primitivistische Sicht von der Verwaltung des Römischen<br />
Reiches, nach welcher der Kaiser und eine Handvoll aristokratischer Amateure<br />
die Geschicke eines Großreiches weitgehend alleine geleitet hätten. Es gelang<br />
der Nachweis, dass sich die Vertreter Roms zumindest seit der Hohen<br />
Kaiserzeit auf umfangreiche schriftliche Unterlagen und ein erhebliches<br />
subalternes Personal stützten. Gerade in der praktischen Arbeit bildeten sich<br />
bürokratische Strukturen heraus, wie z. B. die selbständige Erledigung von<br />
anliegenden Entscheidungen durch Untergeordnete.<br />
Noch nicht systematisch nachgegangen wurde aber der Frage, welche bauliche<br />
Infrastruktur (Archivräume, Gerichtssäle, Amtslokale für subalternes Personal<br />
etc.) sich diese entstehende Administration schuf bzw. inwieweit sie sich<br />
weiterhin im allgemein zugänglichen öffentlichen Raum vollzog. Bisher wurde<br />
immer nur im Zusammenhang mit einzelnen archäologischen Funden darüber<br />
diskutiert, wie eine Benefiziarierstation aussah, welche Räumlichkeiten eines<br />
Kaiserpalastes oder eines Statthalterprätoriums administrativen Zwecken<br />
gedient haben könnten etc. Solche Einzelbefunde und -interpretationen sollen<br />
im Rahmen dieses Forschungsvorhabens einmal grundsätzlich<br />
zusammengestellt und kritisch gesichtet werden. Einen methodisch<br />
zuverlässigen Ausgangspunkt bieten jene Fälle, in denen die Funktion eines<br />
bestimmten Raumes durch Inschriftenfunde zweifelsfrei zu identifizieren ist<br />
(wie z. B. die Räume für officiales in den praetoria von Apulum und Caesarea<br />
Iud.). Einen weiteren Ausgangspunkt bieten die den literarischen,<br />
papyrologischen und epigraphischen Quellen zu entnehmenden Hinweise auf<br />
entsprechende Bauten und ihre Charakteristika, die das Projekt ebenfalls<br />
erstmals umfassend aufarbeiten will. Auf Basis dieser Sammlung von<br />
archäologischen Befunden und literarischen, epigraphischen und<br />
papyrologischen Quellen lässt sich z. B. untersuchen:<br />
- Für welche administrativen Zwecke entstanden zu welchem Zeitpunkt in<br />
welchen Anlagen separate Räumlichkeiten?<br />
- Welche Funktionen wurden weiterhin lange Zeit im allgemein zugänglichen<br />
öffentlichen Raum vollzogen?<br />
- Wie waren die speziell administrativen Zwecken zugeordneten Räume im<br />
Innern gestaltet und welchen Tätigkeiten wurde in ihnen nachgegangen?<br />
- Gab es fließende Übergänge zu Räumen mit privater oder kultischer<br />
Funktion wie z. B. die areae sacrae bei Benefiziarierstationen?<br />
- Wie verhalten sich die Ergebnisse zu dem, was über entsprechende Bauten<br />
in anderen vormodernen Gesellschaften bekannt ist?<br />
Im Rahmen des Clusters diskutiert das Forschungsprojekt ein zentrales Beispiel<br />
für den nicht-statischen Charakter eines bestimmten Typs von politischen<br />
Räumen. Was ursprünglich im allgemein zugänglichen öffentlichen Raum oder<br />
gar im privaten erledigt wurde, wobei man sich höchstens mit Gittern oder<br />
ähnlichem abgrenzte, verlagerte sich allmählich in geschlossene,<br />
zugangskontrollierte Räume. Die Gründe für diesen Wandel und die sich darin<br />
widerspiegelnden Vorstellungen von der für einen solchen Tätigkeitsort<br />
angemessenen Gestaltung bieten ein wichtiges Beispiel für Mentalitätswandel<br />
in einer historischen Gesellschaft.<br />
Dass es feste, administrativen Zwecken dienende Räume gab, ist für<br />
vormoderne Gesellschaften keine Selbstverständlichkeit. Es wäre zu erörtern,<br />
Stand: 11/2007 100
inwieweit solche Räume auch für die anderen im Cluster vertretenen Projekte,<br />
die sich archäologisch mit Herrschaftszentren auseinandersetzen, eine Rolle<br />
spielen. Es könnte sich ein sehr fruchtbarer Dialog über die Grenzen von<br />
Epochen und Disziplinen hinweg zu den Charakteristika von Herrschaftszentren<br />
in vormodernen Gesellschaften entwickeln. Im Einzelnen erhofft sich das<br />
Forschungsprojekt vom Austausch mit den anderen Clusterteilnehmern eine<br />
Reihe von Hinweisen, insbesondere auch auf relevante, jedoch bisher<br />
überhaupt nicht oder nur unzureichend publizierte Grabungsergebnisse. Aus<br />
den im Rahmen des Projektes gesammelten schriftlichen Quellen dürfte sich<br />
eine Reihe von Anhaltspunkten für die grundsätzliche Interpretation von<br />
einschlägigen Grabungsbefunden ergeben, die dann wiederum den mehr<br />
archäologisch ausgerichteten Projekten zu Gute kämen.<br />
Ansprechpartner:<br />
Mag. Roland Färber (E-Mail: faerber@aek.dainst.de)<br />
HENNER VON HESBERG (Abteilung Rom)<br />
Die Villa des Domitian in Castel Gandolfo (Albanum Domitiani)<br />
Forschungsanliegen des Projekts<br />
In dem Projekt sollen bestimmte Raumdispositionen innerhalb und außerhalb<br />
der Herrschersitze unter der Frage analysiert werden, wie sich an ihrer<br />
Gestaltung die Kommunikation zwischen Herrscher und Untertanen ablesen<br />
lässt. Da die Hinweise in der antiken Literatur zu diesem Fragenkomplex für<br />
weite Bereiche eher dürftig ist, auf der anderen Seite wegen der jeweils<br />
unterschiedlichen Beurteilung der Herrscher im Urteil ihrer Nachwelt<br />
vorbelastet und dadurch bisweilen extrem widersprüchlich ist, kommt der<br />
archäologischen Überlieferung zu dieser Frage eine zentrale Bedeutung zu.<br />
Dabei ist von vornherein nicht zu erwarten, dass sich das Verhältnis von<br />
Herrscher zu Untertanen in der Architektur einfach abbildet. Vielmehr schafft<br />
die Architektur und die sie umgebende Landschaft Räume, innerhalb derer<br />
Kommunikation strukturiert wird. Dabei hat es je nach Konstellation<br />
unterschiedliche Diskursfelder gegeben, für die die Architektur den Rahmen<br />
bildete. Diese Diskursfelder sind aber nun wiederum nicht einfach mit den<br />
Räumen kongruent, sondern überlagern sich gegenseitig. Entscheidend für eine<br />
historische Beurteilung der Bedeutung der Räume sind in diesem<br />
Zusammenhang die Verlagerungen bestimmter Qualitäten.<br />
Villen dienen von ihrer Definition her traditionell dem Rückzug auf das Land<br />
vom politischen Leben in der Stadt. Sie sollen also eigentlich Abgeschlossenheit<br />
und ein Feld für otium schaffen, bekanntermaßen nicht Freizeit, sondern Pflege<br />
eines vom Alltagsgeschäft abweichenden Lebensideals. Dieses römische<br />
Lebensideal war von griechischen Bildungsinhalten besetzt. Damit aber stellt<br />
sich die Frage, wie ein Herrscher, dem von der Definition seiner Aufgaben her<br />
eigentlich kein Rückzug vom politischen Leben möglich ist, sich in seiner Villa<br />
einrichten kann. In seinem Umfeld müssen die traditionell mit den Villen<br />
verbundenen Diskurse neu definiert werden.<br />
Als Beispiel sei hier der Bildungsdiskurs genannt, der sich etwa in den Villen<br />
der römischen Nobilität schlechthin, aber dann besonders in den Villen der<br />
Kaiser in der Adaption griechischer Literatur, bildender Kunst und als<br />
angemessen empfundener Lebensformen manifestierte. Während die früheren<br />
Kaiservillen unseres Wissens keine Theater enthielten, wird in der Villa des<br />
Domitian in Castel Gandolfo zum ersten Mal ein äußerst aufwendiger Bau<br />
Stand: 11/2007 101
dieser Art errichtet. In der Villa des Hadrian bei Tivoli sind gleich zwei<br />
Theaterbauten bezeugt.<br />
Als ein zweites, stärker rituell bestimmtes Feld sei die salutatio angeführt, der<br />
Morgenempfang durch den Patron, aber in der Folge auch andere Empfänge.<br />
Als dafür geeigneter Bau konnte die Kryptoportikus in der Villa von Castel<br />
Gandolfo wahrscheinlich gemacht werden, die deutlich von Zuschnitt,<br />
Gestaltung und Einbettung in den Kontext die Veränderungen anzeigt. Denn<br />
die Konfrontation zwischen Patron und Klientel ist hier einem Beisammensein<br />
der Mitglieder der Klientel gewichen, bei dem der Patron, eben in seiner<br />
eigenen Villa Domitian, in weiter Ferne entrückt erscheint.<br />
In diesen Bereichen werden jeweils in unterschiedlichen Bereichen der Villa das<br />
Verhältnis vom Herrscher und seinem Publikum auf Möglichkeiten hin<br />
untersucht, wie mit Hilfe der Räume Kommunikation strukturiert wurde.<br />
Der eigentliche Kern der Villa, also der Bereich, in den der Kaiser sich<br />
möglicherweise zurückzog, ist so gut wie unbekannt. An der Gestaltung dieses<br />
Bereichs müsste sich ablesen lassen, ob der Kaiser innerhalb seiner Villa<br />
sozusagen in zwei Welten lebte, die eine der Außenwelt zugewandt und die<br />
andere seinen privaten Interessen vorbehalten, oder ob seine neue Stellung<br />
nicht auch diese Sphäre erfasste. Dies legen die weiteren Zeugnisse zumindest<br />
nahe. Dabei aber ist wiederum weniger entscheidend, ob es überhaupt eine<br />
private Sphäre eines Kaisers gab, sondern eher, wie dann dieser Bereich<br />
ausgestaltet war und welche Funktionen der Kernbereich einer Villa zu erfüllen<br />
hatte. Bisher erlaubte die mangelnde Dokumentation der Reste und die<br />
Unzugänglichkeit des Terrains nur sehr allgemeine Vermutungen. Deshalb<br />
sollen die vorhandenen Mauerzüge, soweit sie sich im Gelände ausmachen<br />
lassen, entweder photogrammetrisch dokumentiert bzw. mit geodätischen<br />
Methoden eingemessen werden. Dies ist 2006 durchgeführt worden, wobei die<br />
endgültige Auswertung vor allem der photogrammetrischen Arbeiten sich<br />
erfahrungsgemäß über einen längeren Zeitraum erstrecken werden. Für die<br />
übrigen Bereiche wird eine Prospektion mit geophysikalischen Methoden<br />
angestrebt, wofür 2006 Probemessungen durchgeführt wurden. Die endgültige<br />
Aufnahme der mittleren Terrasse soll 2007 erfolgen.<br />
Auf diese Weise wird es möglich sein, den Charakter der Anlagen im nördlichen<br />
Kernbereich der Villa besser zu bestimmen. Denn über die Kombination der<br />
Daten aus der photogrammetrischen Bauaufnahme und der Bodenprospektion<br />
sollte sich etwa die Form der Portikus in diesem Bereich in wesentlichen<br />
Bestandteilen klären lassen. Gleiches gilt für die Apsidenkonstruktion, deren<br />
Bezug zur Kryptoportikus dabei deutlich werden müsste. Denn die Achse dieser<br />
Apsis liegt in Höhe des Abschlusses des Ganges, der Apsidensaal könnte also<br />
gleichsam den Zielpunkt innerhalb dieser Raumfolge gebildet haben. Wenn es<br />
sich derart verhielte, ergäbe sich insgesamt eine ähnliche Konstellation wie auf<br />
dem Palatin, mit einer Abfolge großräumiger Anlagen auf der einen Seite (sog.<br />
Domus Flavia) und einer Serie kleinteiliger Räume, die um große Peristyle<br />
gelegt sind, auf der anderen (sog. Domus Augustana).<br />
Zusätzlich können einzelne, in dem genannten Terrain der Villa in Castel<br />
Gandolfo früher durchgeführte, aber niemals ausgewertete Grabungen<br />
vielfältige Einblicke in die Ausstattung der einzelnen Bauten gewähren. Es<br />
lassen sich schon jetzt von ihrer Ausstattung her Versorgungsgänge von<br />
repräsentativen Trakten unterscheiden. Möglicherweise haben wir<br />
Konstellationen vor uns, wie sie später in anderer Weise aus der Villa des<br />
Hadrian in Tivoli bekannt sind.<br />
Erst die Erfassung dieses Areals also könnte die räumliche Binnenstruktur der<br />
Kaiservilla wirklich deutlich machen, wobei die Binnengliederung sowohl die<br />
Diskursfelder anzeigen könnte, die die Gestaltung der Villen bestimmten, wie<br />
Stand: 11/2007 102
vor allem auch die Art, in der diese Diskurse im Umfeld des Herrschers<br />
transformiert wurden, um seinen Herrschaftsanspruch zu stabilisieren und zu<br />
stärken.<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Henner von Hesberg (E-Mail: hesberg@rom.dainst.org)<br />
JOSEPH MARAN, ULRICH THALER (Abteilung Athen)<br />
Tiryns. Transformationen des sozialen und politischen Raumes von der<br />
mykenischen Palastzeit zu den „Dunklen Jahrhunderten“<br />
Einleitung<br />
Das Vorhaben beruht auf der Überlegung, dass es unzureichend ist, die<br />
„gebaute Umwelt“ auf ihren Charakter als Widerspiegelung bestimmter<br />
Konzepte und Wertvorstellungen zu reduzieren. Bleibt man bei diesem Aspekt<br />
stehen, so entsteht der Eindruck, Architektur fungiere als eine Art<br />
„versteinerter Ideologie“, ein essentialistischer Standpunkt, der insinuiert,<br />
Architektur würde ein unabänderlicher und für sich selbst sprechender<br />
Bedeutungsgehalt innewohnen (Maran 2006a). Dem widerspricht jedoch allein<br />
schon der Befund, dass ein Raum, der durch die gleichen architektonischen<br />
Formen umschrieben wird, in unterschiedlichen kulturellen und zeitlichen<br />
Zusammenhängen ganz verschiedene Bedeutungen annehmen kann. Dies ist<br />
auch die Ursache, warum Raum nicht wie ein Text „gelesen“ werden kann. Die<br />
entscheidende Frage ist, wie Raum „produziert“ wurde (Lefebvre 1991), d. h.<br />
wie unter spezifischen historischen und politischen Rahmenbedingungen die<br />
ursprünglich der Architektur eingeschriebenen Bedeutungen wachgerufen und<br />
mobilisiert wurden, um eine bestehende Ordnung zu bestätigen bzw. neu<br />
auszuhandeln und um neue Synthesen, wie der architektonische Raum<br />
interpretiert und genutzt werden sollte, entstehen zu lassen. Eine<br />
Beantwortung dieser Frage setzt voraus, Architektur und soziales Handeln als<br />
untrennbar miteinander verbundene Größen einer „Dualität von Raum“ (Löw<br />
2001) aufzufassen. Der architektonische Raum ist nämlich in gleichem Maße<br />
ein Produkt bestimmter sozialer und politischer Rahmenbedingungen, wie<br />
umgekehrt die Gesellschaft und ihre Handlungsabläufe durch diesen Raum<br />
geformt werden.<br />
Aus zwei Gründen eignet sich Tiryns in besonderem Maße als Ansatzpunkt für<br />
ein Vorhaben, das die Veränderungen des sozialen und politischen Raumes in<br />
Griechenland etwa zwischen dem 14. und dem 11. Jh. v. Chr. zum Gegenstand<br />
hat. Zum einen ist Tiryns von allen mykenischen Zentren der Palastzeit (ca.<br />
1400-1200 v. Chr.) das einzige, das auch noch nach dem ausgedehnten<br />
Zerstörungshorizont um 1200 v. Chr., der der mykenischen Palastgesellschaft<br />
ein Ende bereitete und die „Dunklen Jahrhunderte“ einleitete, Anzeichen für<br />
den Versuch einer Wiederherstellung einer politischen Zentralgewalt sowie für<br />
architektonische Neuplanungen aufweist. Der Ort bietet damit die seltene<br />
Möglichkeit, den Wandel des architektonischen Raumes in unterschiedlichen<br />
politischen und sozialen Konstellationen zu untersuchen. Zum anderen wurde<br />
der Ort in historischer Zeit nicht nennenswert überbaut. Die Reste der<br />
aufeinander folgenden mykenischen Siedlungen liegen folglich in den meisten<br />
Zonen unmittelbar unter der heutigen Erdoberfläche und bilden ein noch<br />
weitgehend unerschlossenes Archiv zu Wirtschaft und Gesellschaft des frühen<br />
Griechenlands.<br />
Das Vorhaben besteht aus drei Teilprojekten, von denen sich zwei mit der<br />
Palastzeit, das dritte mit der Nachpalastzeit beschäftigt.<br />
Stand: 11/2007 103
Palastzeit<br />
Die im 14. und 13. Jh. v. Chr. errichteten Paläste der mykenischen Kultur<br />
repräsentieren ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die enge Verbindung<br />
zwischen architektonischem Raum, Bildprogrammen und sozialem Handeln. Es<br />
gibt klare Indizien dafür, dass diese Anlagen bis ins kleinste Detail geplant und<br />
für bestimmte Formen von rituellen Handlungsabläufen, unter denen<br />
Prozessionen eine überragende Rolle gespielt haben, gleichsam<br />
maßgeschneidert wurden. An anderer Stelle wurde dargelegt (Maran 2006b),<br />
dass es für eine Untersuchung der Verbindung zwischen Architektur und den<br />
ehemals darin stattfindenden Handlungen sinnvoll ist, sich dem aus den<br />
Theaterwissenschaften entlehnten Konzept des „performativen Raumes“<br />
zuzuwenden. Nach Erika Fischer-Lichte (2004) eröffnet ein performativer Raum<br />
Möglichkeiten für das Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern, für<br />
Bewegung und Wahrnehmung, die er darüber hinaus strukturiert und<br />
organisiert. Wird dieses Konzept auf mykenische Paläste angewandt, so lässt<br />
sich zeigen, dass in ihrer Struktur und dem Programm der Freskendekoration<br />
nicht nur Aspekte des sozialen und religiösen Überbaus, sondern auch<br />
bestimmte Bewegungsabläufe eingeschrieben sind. Die Analyse der Paläste und<br />
ihrer Bilder erlaubt damit nicht nur Rückschlüsse auf die Ideologie der<br />
mykenischen Gesellschaft, sondern auch darauf, wie diese Weltanschauung<br />
durch Rituale, die mit dem umgebenden Raum interagierten, immer wieder von<br />
neuem erzeugt und affirmiert wurden. In jüngster Zeit zutage gekommene<br />
Funde erbringen neue Ansatzpunkte für eine Beurteilung der genannten<br />
Aspekte.<br />
Eben weil im Rahmen einer solchen Betrachtungsweise mykenischer Paläste<br />
den Bildern eine so zentrale Bedeutung zukommt, ist es ein Glücksfall, dass in<br />
den Jahren 1999 bis 2001 bei Ausgrabungen der Vierten Ephorie des<br />
Griechischen Antikendienstes an der Westtreppe von Tiryns unerwartet ein<br />
umfangreicher Bestand von Freskenfragmenten zum Vorschein kam. Bereits<br />
eine erste Durchsicht der mehreren hundert Fragmente zeigte, dass ein Teil<br />
von ihnen an die berühmten Fresken des Jahres 1910 (Rodenwaldt 1912), die<br />
in dem gleichen Areal gefunden wurden (Fries der großen Frauenprozession,<br />
Jagdfries, Hirschfries) anpassen würde, wogegen ein anderer Teil neue Themen<br />
darstellte. Die Ausgräberin, Alkestis Papadimitriou, erklärte sich bereit, die<br />
noch unrestaurierten Freskenneufunde mit J. Maran und U. Thaler im Rahmen<br />
des aus Mitteln des Forschungsclusters „Politische Räume“ finanzierten<br />
Teilprojekts „Bildräume und Raumbilder: Mykenische Paläste als performativer<br />
Raum“ zu bearbeiten, auszuwerten und zu publizieren. Eine weitere<br />
Kooperationspartnerin ist Lena Papazoglou-Manioudaki, die Direktorin der<br />
prähistorischen Abteilung des Athener Nationalmuseums, denn im Zuge der<br />
Aufarbeitung der Neufunde müssen auch die alten Freskenfunde in die<br />
Bearbeitung einbezogen werden, um Kompositionen zu vervollständigen.<br />
Bei dem neuen Tirynther Freskenfund handelt es sich um den derzeit größten<br />
Bestand unpublizierter palatialer Fresken der mykenischen Kultur. Nach<br />
Restaurierung der Fresken eröffnet sich die Chance, in Zusammenschau mit<br />
den im Athener Nationalmuseum gelagerten Altfunden die Bilderwelt des<br />
Palastes von Tiryns zu rekonstruieren und im Vergleich zu dem Palast von<br />
Pylos (Thaler 2006), dem einzigen anderen mykenischen Palast, dessen<br />
Fresken zu großen Teilen erhalten blieben, neue Einblicke in<br />
Freskenprogramme und ihr Zusammenspiel mit Herrschaftsausübung und<br />
sozialem Handeln gewinnen.<br />
Stand: 11/2007 104
Das zweite mit der Palastzeit befasste Teilprojekt bildet das von U. Thaler<br />
verfolgte Promotionsvorhaben „Architektur der Macht – Macht der Architektur:<br />
Mykenische Paläste als Dokument und Gestaltungsrahmen frühgeschichtlicher<br />
Sozialordnung“, eine über Tiryns hinausgreifende Studie der sozialen<br />
Bedeutung und Wirkung mykenischer Palastarchitektur. Bislang hat die neuere<br />
Forschung zur Sozialgeschichte der mykenischen Zeit die Architektur der<br />
Paläste als Quelle weitestgehend vernachlässigt; ebenso haben Arbeiten zur<br />
Architektur dieser Baukomplexe sozialhistorische Fragestellungen<br />
ausgeklammert. Ziel der Arbeit ist es, diese Lücke zu schließen und das<br />
erhebliche sozialhistorische Aussage- und Interpretationspotential der<br />
mykenischen Paläste zu erschließen. Grundlegend hierfür ist ein Verständnis<br />
der archäologisch überlieferten Baubefunde sowohl als Ausdruck als auch als<br />
Gestaltungsrahmen vorgeschichtlicher gesellschaftlicher Bedingungen.<br />
Methodisch stellt die Untersuchung der architektonischen Grundstruktur eines<br />
Baukomplexes als kommunikative Struktur und als räumlicher Rahmen sozialer<br />
Begegnung und Interaktion die erste Analyseebene dar. Die zweite<br />
Analyseebene orientiert sich stärker an der Wahrnehmung der<br />
Palastarchitektur durch die zeitgenössischen Nutzer und umfasst<br />
Betrachtungen zur Ausgestaltung des Palastinneren ebenso wie zu<br />
Sichtbereichen innerhalb der Paläste. Die dritte Ebene schließlich beinhaltet die<br />
Interpretation von Fundinventaren.<br />
Diesen drei Analyseebenen stehen in der Gliederung des Stoffes vier<br />
aufeinander aufbauende Hauptarbeitsschritte gegenüber. Der erste<br />
Arbeitsschritt umfasst die detaillierte Untersuchung des durch seine Erhaltung<br />
und wissenschaftliche Dokumentation als Musterbeispiel ausgewiesenen<br />
Palastkomplexes von Pylos. Hierbei wird für die verschiedenen Analyseebenen<br />
ein methodisches Instrumentarium entwickelt (Thaler 2006). Im zweiten<br />
Arbeitsschritt erfolgt eine erste Ausweitung des geographischen<br />
Betrachtungsrahmens auf das von dem untersuchten Palast beherrschte<br />
Territorium. Untersuchungsgegenstand ist hierbei nicht die Palastarchitektur<br />
als solche, sondern ihr sozio-geographischer Kontext, das Netzwerk für die<br />
Gemeinschaft bedeutsamer Orte, in dem sie ihre Wirkung entfalten konnte. Die<br />
weiteren Palastanlagen des mykenischen Kulturbereichs werden im dritten<br />
Arbeitsschritt untersucht. Hierbei sind in von Ort zu Ort verschiedenen<br />
Einzelbereichen detailliertere Betrachtungen möglich, die das bereits<br />
gewonnene Verständnis der sozialen Funktionsweise der Paläste teils ergänzen,<br />
teils auch – im Lichte regionaler Eigenheiten – korrigieren. Im abschließenden<br />
vierten Arbeitsschritt wird das so gewonnene Bild in seinen interkulturellen<br />
Kontext gestellt. Dies ist von besonderem Interesse, da die Kulturen der<br />
nahöstlichen Staatenwelt, mit denen der mykenische Kulturbereich in Kontakt<br />
stand, über eine umfangreichere schriftliche Überlieferung verfügen. Vor allem<br />
dort, wo diese mit den architektonischen Überresten der Herrschersitze in<br />
Bezug gesetzt werden kann, sind auf dem Wege des Vergleichs der<br />
archäologischen Hinterlassenschaft interessante Rückschlüsse auf den<br />
mykenischen Bereich zu erwarten.<br />
Nachpalastzeit<br />
Eine zentrale Frage ist, was nach der großen Katastrophe, die um 1200 v. Chr.<br />
den mykenischen Palästen ein Ende bereitete, an die Stelle des für die<br />
ausgehende Palastzeit kennzeichnenden Zusammenspiels zwischen<br />
architektonischem Raum, Bildprogrammen und sozialer Kommunikation trat.<br />
Seit dem 1998 erbrachten Nachweis, dass ein in der Ruine des Großen<br />
Megarons von Tiryns errichteter Antenbau kein eisenzeitlicher Tempel, sondern<br />
ein letztes mykenisches Megaron war, steht fest, dass an wenigstens einem<br />
Stand: 11/2007 105
Ort nach der Katastrophe versucht wurde, architektonisch den Platz des<br />
ehemals wichtigsten Palastgebäudes wiederzubesetzen. Dabei wurden zentrale<br />
Symbole der vorherigen religiösen und politischen Ordnung, wie der Thronplatz<br />
und ein Altar im Hof, in die Neuplanungen einbezogen. Tiryns ist damit das<br />
einzige mykenische Palastzentrum Griechenlands, in dem sich über die große<br />
Katastrophe hinweg im Herzen des Palastes Anzeichen eines Anknüpfens an die<br />
Verhältnisse, die vor 1200 v. Chr. geherrscht haben, beobachten lassen. Trotz<br />
dieser Bezugnahme auf die Palastzeit dürfte aber die Intention der Nutzung im<br />
12. Jh. v. Chr. wohl eine ganz andere gewesen sein. Der Neubau des Megarons<br />
erhielt nicht den Charakter einer Herrscherresidenz, sondern eher den einer<br />
Halle, in der sich die Gemeinschaft zu bestimmten Anlässen unter Leitung des<br />
auf dem Thron sitzenden Anführers zusammenfand. Verschwunden war auch<br />
die Freskenausschmückung, und dies, obwohl sich andernorts der Nachweis<br />
erbringen lässt, dass, allerdings sehr selten, auch noch im 12. Jh. v. Chr.<br />
qualitativ hoch stehende Freskenmalerei ausgeübt wurde. Die wahrscheinliche<br />
Deutung für das viel seltenere Auftreten von Fresken in der Nachpalastzeit<br />
besteht darin, dass Bildern unter den veränderten sozialen Verhältnissen eine<br />
neue Bedeutung zukam (Maran 2006c).<br />
Zur gleichen Zeit, als auf der Oberburg dieses letzte Megaron entstand,<br />
vollzogen sich im Gebiet der in der Literatur als „Stadt“ bezeichneten<br />
Außensiedlung von Tiryns erstaunliche Veränderungen. Unmittelbar nach 1200<br />
v. Chr., d. h. zu einer Zeit, als alle anderen Zentren Griechenlands aufgelassen<br />
wurden oder in ihrer Größe schrumpften, scheint das Gebiet der Tirynther<br />
Außensiedlung planmäßig erschlossen worden zu sein. Die politischen<br />
Hintergründe dieses Größenwachstums liegen ebenso im Dunkeln wie die Frage<br />
der wirtschaftlichen Grundlage und der ethnischen Zusammensetzung der in<br />
dieser Siedlung lebenden Bevölkerung.<br />
All diese Fragen, die mit den Veränderungen in Tiryns im frühen Abschnitt der<br />
„Dunklen Jahrhunderte“ in Zusammenhang stehen, bilden den Gegenstand des<br />
Teilprojektes „Vergangenheitsbewältigung – Architektur und sozialer Raum im<br />
nachpalatialen Tiryns“<br />
Literatur<br />
Fischer-Lichte 2004 E. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen. Edition<br />
Suhrkamp 2373 (2004).<br />
Lefebvre 1991 H. Lebevre, The Production of Space (1991).<br />
Löw 2001 M. Löw, Raumsoziologie. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft<br />
1506 (2001).<br />
Maran 2006a J. Maran, Architecture, Ideology and Social Practice – An<br />
Introduction. In: J. Maran, C. Juwig, H. Schwengel und U.<br />
Thaler (Hg.), Constructing Power. Architecture, Ideology and<br />
Social Practice. Geschichte. Forschung und Wissenschaft 19.<br />
LIT-Verlag (2006) 9-14.<br />
Maran 2006b J. Maran, Mycenaean Citadels as Performative Space. In: ebd.<br />
75-88.<br />
Maran 2006c J. Maran, Coming to Terms with the Past: Ideology and Power<br />
in Late Helladic IIIC. In: S. Deger-Jalkotzy und I.S. Lemos<br />
(Hg.), Ancient Greece: From the Mycenaean Palaces to the Age<br />
of Homer. Edinburg Leventis Studies 3 (2006) 123-150.<br />
Rodenwaldt 1912 G. Rodenwaldt, Tiryns II. Die Fresken des Palastes (1912)<br />
Thaler 2006 U. Thaler, Constructing and Reconstructing Power. The Palace<br />
of Pylos. In: J. Maran, C. Juwig, H. Schwengel und U. Thaler<br />
(Hg.), Constructing Power. Architecture, Ideology and Social<br />
Stand: 11/2007 106
Practice. Geschichte. Forschung und Wissenschaft 19. LIT-<br />
Verlag (2006) 93-111.<br />
Kooperation:<br />
Dr. Alkestis Papadimitriou (4. Ephorie des Griechischen Antikendienstes,<br />
Nafplion), Dr. Lena Papazoglou-Manioudaki (Nationalmuseum Athen, Direktorin<br />
der Prähistorischen Sammlung)<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Joseph Maran (E-Mail: m17@ix.urz.uni-heidelberg.de),<br />
Ulrich Thaler M.A. (E-Mail: thaler@athen.dainst.org)<br />
ANDREAS SCHACHNER (Abteilung Istanbul)<br />
Die Hethiterhauptstadt Hattuša-Boğazköy / Türkei<br />
Siehe 3. Forschungsfeld!<br />
SUSANNE SIEVERS, AXEL POSLUSCHNY (RGK)<br />
Frühkeltische Fürstensitze und ihr Umland<br />
Das Projekt ist Teil des DFG-SPP „Frühe Zentralisierungs- und<br />
Urbanisierungsprozesse. Zur Genese und Entwicklung frühkeltischer<br />
Fürstensitze und ihres territorialen Umlandes“, das bis 2010 laufen wird.<br />
Gegenstand des Projektes ist der Vergleich mehrerer frühkeltischer befestigter<br />
Zentralsiedlungen Mitteleuropas aus der Zeit des 6.-4. Jhs. v. Chr., die sich in<br />
der Regel durch Importe aus dem Mittelmeerraum, durch goldreiche Gräber<br />
unter Großgrabhügeln in ihrer nächsten Umgebung, durch die vereinzelte<br />
Übernahme mediterraner Sitten und z. T. durch kultische Einrichtungen<br />
auszeichnen. Sie sollen in ihrem Verhältnis zu ihrem Umland sowie die<br />
einzelnen Umlandregionen vergleichend (auch diachron) untersucht werden.<br />
Wesentliches Arbeitsinstrument ist ein Geographisches Informationssystem;<br />
mit der Durchführung des Projektes wurde A. Posluschny (RGK) betraut. Zu<br />
folgenden Fundorten sind Untersuchungen geplant bzw. bereits in Arbeit:<br />
Maindreieck/Würzburg, Wetterau/Glauberg, Nördlinger Ries/Ipf,<br />
Oberschwaben/Heuneburg, Neckargebiet/Hohenasperg, Oberrhein/Breisach,<br />
Altmühltal, Pfalz/Bad Dürkheim; hinzu kommen Fundorte in Tschechien und<br />
Frankreich.<br />
Das Projekt beschäftigt sich vor allem mit der Analyse sozialer Prozesse in ihrer<br />
Auswirkung auf den Raum. Insofern ist es gerechtfertigt von einem politischen<br />
bzw. sozialen Raum zu sprechen. Die Untersuchungen berücksichtigen auch<br />
den davor liegenden und den nachfolgenden Zeitraum, um die<br />
Zentralisierungsprozesse bzw. deren Auflösungserscheinungen besser<br />
einordnen zu können. Nachdem lange Zeit versucht wurde, über<br />
Modellbildungen das Phänomen der sog. Fürstensitze allgemeingültig zu<br />
erklären, zeichnet sich immer mehr die Individualität der einzelnen Anlagen ab.<br />
Damit rückt die Frage, unter welchen unterschiedlichen Bedingungen es zur<br />
Entwicklung sog. Fürstensitze und damit zur Entstehung sozialer Hierarchien<br />
kommen konnte, in den Mittelpunkt. Hier kommt der Naturraumanalyse (Lage,<br />
Vegetation, Klima, Ressourcen), auch im Sinne von Untersuchungen zur<br />
vorgeschichtlichen Landschaftsauffassung und Landschaftsnutzung<br />
insbesondere des Umfeldes sog. Fürstensitze, eine große Bedeutung zu. So<br />
Stand: 11/2007 107
sollen Sichtbarkeitsanalysen den einsehbaren und damit theoretisch<br />
kontrollierbaren Raum analysieren und damit einen Beitrag zur Frage der<br />
Abgrenzung von Räumen leisten. Sie dienen aber auch dazu, den Raum in<br />
seiner dritten Dimension begreifbar zu machen, etwa was den Lauf der<br />
Gestirne betrifft (Kalendarium Glauberg). Die Landschaft wird hierbei sowohl<br />
hinsichtlich ihrer ökonomischen wie kulturellen Nutzbarkeit als den Menschen<br />
beeinflussendes und von ihm beeinflusstes Medium im Sinne des<br />
angloamerikanischen „perception of landscape“-Ansatzes verstanden. Dem<br />
Gegensatz von z. T. emotionsgerichteten Fragestellungen<br />
(Landschaftsauffassung) und technisch-mathematischen Arbeitsweisen, wie sie<br />
in einem GIS zur Anwendung kommen, soll dabei mit einem Ansatz begegnet<br />
werden, bei dem die erarbeiteten Modelle immer wieder sowohl am<br />
archäologischen Datenbestand hinterfragt als auch mit den Ergebnissen<br />
anderer Projekte im Schwerpunkt (Landschaftsökologie,<br />
Kulturgruppenverbreitung, Fundanalyse etc.) verglichen werden.<br />
Wesentlich ist schließlich das Erkennen von weiträumigen Bezugssystemen<br />
durch eine Untersuchung der Anbindung sog. Fürstensitze an Fernwege oder<br />
ihrer Beziehung zu benachbarten und entfernten Räumen, auch mit Hilfe des<br />
Fundstoffs. Eines der Ziele des Projektes stellt somit die Rekonstruktion<br />
politischer Räume dar.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Susanne Sievers (E-Mail: sievers@rgk.dainst.de)<br />
Dr. Axel Posluschny (E-Mail: posluschny@rgk.dainst.de)<br />
HANS-JOACHIM WEIßHAAR (KAAK)<br />
Frühe historische Stadtentwicklung in Südasien am Beispiel Sri Lanka<br />
Seit 1992 untersucht die KAAK in Zusammenarbeit mit dem Archaeological<br />
Department Sri Lankas in Tissamaharama die Zitadelle und Residenz des<br />
antiken Königreichs Ruhuna im Südosten Sri Lankas.<br />
Zeitgleich mit dem Aufkommen des Buddhismus um 300 v. Chr. bilden sich auf<br />
der Insel neben der Hauptstadt Anuradhapura kleinere, lokale Zentren heraus.<br />
Diese kleineren Fürstentümer finden in der Chronik keine oder kaum<br />
Erwähnung.<br />
Eine Ausnahme ist das Königreich Ruhuna, das für den Beginn der<br />
singhalesischen Kultur und der nationalen Identität eine große Bedeutung hat.<br />
Trotzdem findet es in nachchristlicher Zeit nur noch gelegentlich Erwähnung,<br />
wenn Invasoren aus Indien nach Ceylon gelangten und Herrscher und<br />
vornehme Familien Zuflucht in der Südprovinz fanden.<br />
Die Bedeutung Anuradhapuras als zentraler Ort der Insel zeigt sich in<br />
gewaltigen Bauten (Jetavana Dagoba, Abhayagiri-Kloster), der Ausstattung mit<br />
vorzüglichen Statuen und Reliefs und in der schieren Größe der Stadt (rund 50<br />
km 2 ). Erstaunlich spärlich sind jedoch die Funde einer individuellen Prosperität:<br />
Münzen, Siegel, Importiertes. Archäologische Forschung und schriftliche<br />
Überlieferung zeigen kein einheitliches Bild. Der politische Raum und der<br />
merkantile sind nicht deckungsgleich.<br />
Die Chronik wird der Bedeutung der Südprovinz nicht gerecht. Denn ganz<br />
anders sind die Verhältnisse im südlichen Ruhuna. Die Klöster und ihre Bauten<br />
in Tissamaharama sind zwar sehr viel kleiner (Maha Tupa), die<br />
Statuenausstattung ist bescheidener und die antike Stadt war nur etwa ein<br />
Zehntel so groß. Die Grabung in der Zitadelle erbrachte aber eine Fülle von<br />
Münzen (rund 200 Stück: einheimische, südindische, spätrömische<br />
Stand: 11/2007 108
Bronzemünzen und deren Nachahmungen, zwei aksumitische und eine aus<br />
Judäa) und fast 50 Siegel oder gesiegelte Plomben. Viele Importe<br />
dokumentieren die Fernbeziehungen nach China, Indien, Vorderasien, Persien<br />
und in die Römische Welt. Während der Ausgrabungen fanden sich indische<br />
und chinesische Keramik, Glas- und Karneolperlen aus Indien, grün oder türkis<br />
glasierte parthische, sasanidische und islamische Scherben und römische und<br />
mesopotamische Amphorenfragmente.<br />
Ruhuna ist auch die Landschaft, aus der die großen Hortfunde an Münzen<br />
stammen. Sie enthalten von mehreren hundert bis zu mehreren tausend<br />
Stücken; zumeist spätrömische Prägungen und deren Nachahmungen. Der<br />
größte unter ihnen ist der Hort von Beragama, rund 30 km entfernt von<br />
Tissamaharama, der auf rund 60.000 spätrömische Bronzemünzen geschätzt<br />
wird.<br />
Dem Königreich Ruhuna mit seinen Häfen kommt beim Fernhandel eine<br />
besondere Rolle zu. Die Häfen der Süd- und Südostküste Ceylons boten ideale<br />
Voraussetzungen. Ihnen ist der Vorzug zu geben vor Mantai an der Palk Street,<br />
das in der Forschung bisher als wichtigster antiker Hafen der Insel galt. Die<br />
Landbarriere der Adam’s Bridge verhinderte hier einen durchgehenden<br />
Schiffsverkehr. Alle Güter mussten umgeladen werden. Mantai hatte nur eine<br />
Bedeutung als Sprungbrett nach Südindien und durch die Perlenfischerei.<br />
Offensichtlich waren für den Herrscher in Anuradhapura die politischen und<br />
kulturellen Verbindungen nach Indien wichtiger, als das wirtschaftliche<br />
Zentrum im Süden der Insel.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Hans-Joachim Weißhaar (E-Mail: weisshaar@kaak.dainst.de)<br />
ULRIKE WULF-RHEIDT (Zentrale)<br />
Die Kaiserpaläste auf dem Palatin in Rom, der spätantike Kaiserpalast<br />
von Felix Romuliana<br />
Die Kaiserpaläste auf dem Palatin waren in allen ihren Ausbauphasen<br />
hochkomplexe Gebilde, die den kaiserlichen Hof aufnahmen. Der Palatin war<br />
aber immer mehr als nur ein Konglomerat von Räumen, die für die<br />
Durchführung der Amtsgeschäfte und der Dienstpflichten sowie für das Leben<br />
am Hof geeignet waren. Seine Architektur ist deshalb in die Literatur als<br />
Synonym für Herrschaftsarchitektur ganz allgemein eingegangen. Die<br />
Palastgebäude auf dem Palatin waren aber auch über Jahrhunderte hinweg<br />
Sinnbild für die höchste Macht im Römischen Reich und die Vorherrschaft Roms<br />
in der antiken Welt. Sie waren damit geradezu eine Metapher für die<br />
kaiserliche Präsenz, ja für das Kaisertum ganz allgemein, und damit ein<br />
wesentlicher Bestandteil „symbolischer Politik“.<br />
Abgesehen davon, dass die Entwicklung, das Aussehen und die sozialen und<br />
organisatorischen Strukturen der Kaiserpaläste bisher als wenig erforscht<br />
gelten können, sind an das Projekt grundsätzliche Fragen geknüpft, die für den<br />
Themenkomplex des Clusters „Politische Räume“ allgemein relevant sind:<br />
- Was macht Architektur zu Herrschaftsarchitektur und damit zu einem<br />
politischen Raum? Durch welche Transformationsprozesse konnte sich aus<br />
den aristokratischen Häusern nach der Einrichtung des Prinzipats ein<br />
räumliches und ein soziales Gebilde herausformen, das als <strong>Institut</strong>ion „Hof“<br />
funktioniert und als solche auch wahrgenommen werden konnte. Wie wurde<br />
diese <strong>Institut</strong>ion „Hof“ in der Spätantike auf die Kaiserpaläste außerhalb<br />
Roms übertragen und wie wurden sie rezipiert?<br />
Stand: 11/2007 109
- In wie weit ist ein Raum und damit auch ein Palast ein Produkt sozialer<br />
Interaktion? Wie bedingen politische Interaktionen bestimmte<br />
Raumstrukturen?<br />
Die sozialen und organisatorischen Strukturen der Kaiserpaläste auf dem<br />
Palatin müssen im Kontext der traditionellen städtisch-aristokratisch<br />
geprägten Gesellschaftsverhältnisse sowie der überlieferten politischen<br />
Organisationsstrukturen gesehen werden. Es ist daher zu fragen, wie<br />
veränderte Gesellschaftsverhältnisse auch zu einer Wandlung des<br />
architektonischen Gebildes geführt haben. Und umgekehrt, wie aus<br />
Raumstrukturen auf gesellschaftliche und politische Strukturen geschlossen<br />
werden kann. Wie lässt sich z. B. soziale Hierarchisierung in der Architektur<br />
ablesen?<br />
- Wie wird symbolische Politik in Raumstrukturen transportiert? Wie wurde<br />
diese Symbolik gelesen?<br />
Die Deutung der Paläste als Symbolisierung politischer Herrschaft und<br />
sozialer Distanz erfordert hierfür die Einbeziehung der Stadt als<br />
Referenzpunkt und allgegenwärtigen Horizont, dem gegenüber die Paläste<br />
erst ihr Profil gewannen. Es ist zu fragen, wie sich der Raum Palast im<br />
Stadtraum, im Falle von Felix Romuliana in der Landschaft selbst<br />
reproduziert und vernetzt hat und wie der Betrachter diesen symbolischen<br />
Raum erlebt und wahrgenommen hat.<br />
Das methodische Vorgehen des neuen Forschungsprojektes „Palast und Stadt<br />
im severischen Rom“, das von der Gerda Henkel Stiftung ab 2007 gefördert<br />
wird, ist zum ersten durch die Zusammenarbeit dreier Disziplinen<br />
(Bauforschung, Alte Geschichte, Archäologie) gekennzeichnet. Im Rahmen des<br />
Forschungsclusters ergibt sich die willkommene Möglichkeit, die Ergebnisse im<br />
Vergleich mit anderen Epochen und Kulturen zu diskutieren sowie weitere<br />
Disziplinen mit einzubeziehen. Von besonderem Interesse sind hierfür die<br />
Kulturwissenschaften, Geographie und vor allem Architekturtheorie. Da von der<br />
Seite des Architekturreferats das Projekt vor allem aus dem architektonischen<br />
Blickwinkel angegangen wird, ist von besonderem Interesse, welche<br />
Raumtheorien und -modelle schon erfolgreich auf die Interpretation von<br />
Herrschaftsarchitektur übertragen wurden und wie die Aussagen dann<br />
historisch, archäologisch und bauforscherisch nachgewiesen werden konnten.<br />
Das Konzept der Interpretation der Paläste beruht vor allem auf dem<br />
Hintergrund ihrer Einbindung in ihr bauliches, räumliches, materielles und<br />
politisch-soziales Umfeld: Die Stadt Rom wird dabei als entscheidender, die<br />
Entwicklungen beeinflussender Gegenpol der palatinischen Hof- und<br />
Palaststrukturen verstanden. Der Bezug zwischen Palast und städtischem<br />
Gemeinwesen wird als grundlegend für das Verständnis von Funktion und<br />
Bedeutung der neuentstehenden räumlichen, materiellen und politisch-sozialen<br />
Strukturen auf dem Palatin angesehen. Durch einen Vergleich mit anderen<br />
Herrschaftsarchitekturen, an denen sich solche Interaktionsprozesse ebenfalls<br />
nachweisen lassen, erhoffen wir uns allgemeingültige Kriterien herausfiltern zu<br />
können, mit denen sich der Raum Palast als ästhetisches, soziales und<br />
politisches Phänomen ganz allgemein begreifen lässt. Diese Kriterien sollen<br />
dann am konkreten Beispiel des Palatin wieder überprüft und ausdifferenziert<br />
werden.<br />
Ansprechpartner:<br />
Dr. Ulrike Wulf-Rheidt (E-Mail: uwr@dainst.de)<br />
Stand: 11/2007 110
TORSTEN ZIMMER (Abteilung Istanbul)<br />
Die Basileia von Pergamon<br />
Gegenstand des Projektes sind die Palastanlagen Pergamons, die sich in<br />
exponierter Lage über den nordöstlichen Bereich der Pergamener Oberburg<br />
erstrecken. In hellenistischer Zeit befand sich dort das Zentrum der<br />
attalidischen Königsherrschaft, die sich erst im Zuge der Nachfolge Alexanders<br />
des Großen etablierte. Die als Palast angesprochene Anlage umfasst sechs<br />
Baugruppen, die in ihren Funktionen unterschiedlichen Zwecken dienten. Die<br />
Hauptziele der Untersuchung bestehen darin, die genaue Ausdehnung, den<br />
Aufbau und die Funktionen des Palastes sowie dessen Einbindung in die<br />
baulichen Strukturen der Oberburg und das städtische Gesamtgefüge<br />
festzustellen. So ist bei der Bewertung des heute als Palast angesprochenen<br />
Bereichs in stärkerem Maße als bisher geschehen auch das Umfeld auf der<br />
Oberburg mit einzubeziehen.<br />
Frühere Forschungen<br />
Der Bereich der Paläste wurde bereits in der frühen Phase der<br />
Pergamongrabung in den 1880er Jahren durch Carl Humann und Richard Bohn<br />
freigelegt. Eine Publikation des Bereiches erfolge jedoch erst 1930 durch<br />
Theodor Wiegand und Georg Kawerau. Zuletzt wurden bei<br />
Nachuntersuchungen im Jahr 2000 durch Dieter Salzmann Reste der<br />
ehemaligen Ausstattung entdeckt.<br />
Methoden<br />
Grundlegend ist eine Revision der bisherigen Pläne. Die bislang vorgelegten<br />
Grundrisse entsprechen nicht mehr den aktuellen Standards, da aus ihnen die<br />
diversen Bauphasen nur schwer zu erschließen sind und später erzielte<br />
Ergebnisse noch keine Berücksichtigung finden konnten. Die alten Pläne<br />
werden mittels Digitalisierung erneut nutzbar gemacht, während einige<br />
Teilbereiche neu vorgelegt werden. In einem weiteren Schritt ist ein kritischer<br />
Abgleich der bisherigen Rekonstruktionsversuche mit der tatsächlichen<br />
Befundsituation unerlässlich.<br />
Einen weiteren Schwerpunkt stellen die Präzisierung der Zeitstellung sowie der<br />
Funktionen einzelner Räume und Bereiche dar. Dabei werden neben den heute<br />
weiterhin sichtbaren Resten auch die nachgewiesenen Vorgängerbauten<br />
berücksichtigt. Durch die Erstellung eines Katalogs, in dem die Beobachtungen<br />
zu den Funden und Befunden der einzelnen Räume bzw. Bereiche<br />
zusammengefasst werden (Raumbuch), soll deren Zuweisung zu einzelnen<br />
Funktionen erleichtert werden.<br />
Um unvollständige Strukturen zu rekonstruieren und die Aufgaben des<br />
Baukomplexes differenziert zu fassen, sind Vergleiche angebracht. Dabei sollen<br />
nicht nur weitere hellenistische Residenzen oder ähnliche Bauten wie etwa in<br />
Pella, Aigai, Vergina, Alexandria und Antiochia (Antakya) herangezogen<br />
werden, sondern ebenso muss die bereits gut erforschte pergamenische<br />
Wohnbebauung dem Palastbereich gegenübergestellt werden. Die hieraus<br />
deutlich werdenden Gemeinsamkeiten (wie etwa gleiche Baustrukturen) oder<br />
Unterschiede (z. B. in Größe, Ausstattung oder Funktion) sollen der Klärung<br />
der Fragen nach Hierarchien in den Strukturen sowie nach den<br />
Repräsentationsformen dienen.<br />
Durch eine Bestandsaufnahme der Palastanlagen Pergamons soll eine<br />
möglichst vollständige Erfassung der erhaltenen Reste in Form von Plänen<br />
erreicht werden. Der Baukomplex ist als Wohnsitz und Residenz des<br />
pergamenischen Herrschergeschlechts sowie als administratives und vielleicht<br />
Stand: 11/2007 111
auch kultisches Zentrum einer hellenistischen Großstadt zu verstehen. Neben<br />
der Bedeutung, die die Palastanlagen für die Stadtforschung von Pergamon<br />
einnehmen, ist auch deren Stellenwert für die Erforschung hellenistischer<br />
Paläste zu betonen, da Pergamon immer wieder als Beispiel herangezogen<br />
wird. Das Projekt kann zudem einen archäologischen Beitrag zur Klärung des<br />
Verhältnisses zwischen Herrschern und Poleis leisten, das sich als eines der<br />
Hauptprobleme durch die Geschichte des Hellenismus zieht und entsprechend<br />
kontrovers diskutiert wird.<br />
Ansprechpartner:<br />
Torsten Zimmer M.A. (E-Mail: zimmer@istanbul.dainst.org)<br />
Stand: 11/2007 112
Forschungscluster 4<br />
HEILIGTÜMER.<br />
GESTALT UND RITUAL. KONTINUITÄT UND VERÄNDERUNG<br />
Sprecher: M. van Ess, W.-D. Niemeier, D. Raue, R. Senff<br />
ZUSAMMENFASSUNG<br />
Die Beschäftigung mit dem Heiligen führt zu einer anthropologischen Grundkonstante,<br />
denn das Verhältnis zum Heiligen ist integraler Teil des Menschseins. Die Vielfalt der<br />
antiken Antworten ist im Zeitalter der Globalisierung und dem damit verbundenen<br />
Zusammentreffen moderner Antworten von besonderem Interesse und sollte unbedingt<br />
in die aktuelle Diskussion einbezogen werden.<br />
Die Arbeit des Forschungsclusters zielt darauf, die religiösen Konzepte von<br />
Heiligtümern unterschiedlicher Kulturregionen in wesentlichen Punkten miteinander zu<br />
vergleichen. Mehrere Dutzend Kultplätze werden weltweit durch Projekte des DAI<br />
untersucht. Der Forschungscluster kann damit auf eine umfangreiche und sehr gut<br />
zugängliche Materialbasis zu zentralen Themen hinsichtlich der Stellung von Glauben<br />
und Religion in früheren Gesellschaften zurückgreifen, um jenseits der eigentlichen<br />
archäologischen Arbeit, der Dokumentation und objektkundlichen Auswertung, zu<br />
übergreifenden Fragestellungen vorzustoßen und die Ergebnisse sowohl der Fachwelt<br />
als auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.<br />
EINLEITUNG<br />
Die Fähigkeit zum Glauben an höhere Mächte ist ein wesentliches Merkmal des<br />
Menschen und läßt sich bis in die Frühzeit der Menschheitsentwicklung zurückverfolgen.<br />
Erste Nachweise für spirituelles Handeln fanden sich bereits im<br />
Zusammenhang mit paläolithischen Bestattungen vor ca. 80 000 – 100 000 Jahren.<br />
Der Glaube an eine gemeinsame Götterwelt, an einen Gott oder zumindest eine<br />
übergeordnete religiöse Vorstellung bleibt jedoch nicht auf den Einzelnen beschränkt,<br />
sondern bildet eine der Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Gemeinschaft.<br />
Die Mitglieder kleinerer oder größerer Gemeinwesen finden sich an heiligen Orten zu<br />
ritualisierten Handlungen zusammen. Auch in einer säkularisierten Gesellschaft wie der<br />
unsrigen spielen diese Vorstellungen und Handlungen eine weit größere Rolle als<br />
vielfach angenommen – etwa in der Auseinandersetzung mit benachbarten Kulturen<br />
und Gesellschaften, denen die Trennung von Politik und Religion fremd ist oder als<br />
Relikte einer nur noch auf wenige Feiertage beschränkten und ihrer ursprünglichen<br />
Bedeutung weitgehend entleerten, ehemals umfassenderen religiösen Praxis.<br />
Die Mitglieder jeder Religionsgemeinschaft sind bestrebt, ihre Überzeugungen zum<br />
Ausdruck zu bringen und sei es nur an den ihnen allein zugänglichen Orten. In den<br />
durch große Anhängerschaften oder Mehrheiten getragenen Religionen geschieht dies<br />
aber in der Regel öffentlich und an einer möglichst prominenten Stelle, an der sich das<br />
Wirken des Göttlichen in besonderer Weise manifestiert. Die heiligen Stätten sind meist<br />
besonders hervorgehoben: durch natürliche Gegebenheiten, durch ein Bauwerk, aus<br />
dem im Lauf der Zeit ein umfangreicher Komplexe entstehen kann. Sie sind damit<br />
Stand: 10/2007 113
Ausdruck einer Gesellschaft oder Kultur und ihres gestalterischen Vermögens. Als<br />
Symbole der religiösen Überzeugungen verkörpern sie deren historische Dimension und<br />
überliefern sie der Nachwelt. In den meisten Fällen zeichnen sich solche Orte durch<br />
hohe Investitionen der jeweiligen Gesellschaft und einen großen gestalterischen<br />
Aufwand aus. Nach außen wird dies von den Bauherren und Stiftern mit dem Respekt<br />
vor der Gottheit begründet. Tatsächlich spielt kompetitives Verhalten innerhalb einer<br />
Kultur wie auch gegenüber benachbarten Gesellschaften aber eine ebenso große Rolle.<br />
Der Schutz der Bauten und Votive, in den Augen der Gläubigen durch die höheren<br />
Mächte und praktisch durch das Gemeinwesen, von dem das Heiligtum getragen wird,<br />
lassen im Laufe der Zeit ein unvergleichliches Reservoir von historischen Dokumenten<br />
entstehen. Dieser Aufwand ist es, der Orte mit spiritueller Bedeutung für vergleichende<br />
Betrachtungen von Kulturen besonders geeignet macht. Fast immer sind derartige<br />
Stätten archäologisch nachweisbar, sowohl in prähistorischen wie in historischen<br />
Epochen.<br />
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit heiligen Orten gehört zu den ältesten Themen<br />
der Archäologie. Dennoch ist es bisher nur selten zu vergleichenden Studien der<br />
verschiedenen Bereiche der antiken Welt gekommen. Grund hierfür war lange der<br />
heterogene Kenntnisstand der materiellen Hinterlassenschaften, insbesondere in<br />
Regionen, denen sich die Forschung erst in letzter Zeit zuwenden konnte. Die äußere<br />
Erscheinung der Heiligtümer führt eine stabile und unveränderbare Weltordnung vor<br />
und weist dem Besucher einen festen Platz im Verhältnis zur verehrten übersinnlichen<br />
Welt zu. Diese Relation betont auch das religiöse Ritual mit seinen festgelegten<br />
Verhaltensregeln. Da sich an den heiligen Stätten oft lediglich Spuren der<br />
Kulthandlungen erhalten haben, die von der Archäologie mühsam und meist nur<br />
lückenhaft rekonstruiert werden können, ist die Zuhilfenahme anderer<br />
Informationsquellen, schriftlicher Nachrichten in verschiedenen Formen wie<br />
Beschreibungen, liturgischen Texten oder Inschriften besonders wichtig, um das<br />
kultische Geschehen möglichst vollständig zu rekonstruieren. Die Zusammenarbeit mit<br />
anderen Nachbardisziplinen der Altertumswissenschaften, der Anthropologie und<br />
Religionswissenschaft ist an dieser Stelle in höchstem Maße notwendig. Die Chancen<br />
stehen heute gut, mit einem übergreifenden Vergleich derartiger Stätten zu einem<br />
tieferen Verständnis der untersuchten Gesellschaften und zu einer<br />
Standortbestimmung unserer eigenen Kultur zu kommen.<br />
ZIELE UND VORGEHENSWEISE<br />
Seit seiner Gründung befaßt sich das DAI mit der Erforschung derartiger Komplexe und<br />
kann daher auf eine große Vielfalt eigener Forschungsergebnisse zu diesem Thema<br />
zurückgreifen. Die Materialgrundlage des angestrebten Vergleichs liefern eine<br />
repräsentative Anzahl wissenschaftlich gut untersuchter Heiligtümer. Diese Heiligtümer<br />
sollen unter thematischen Schwerpunkten, die sich aus der zeitlichen Dimension<br />
ergeben, der Genese, der Kontinuität und dem Wandel während ihres Bestehens und<br />
schließlich dem Ende der Religionsausübung und dem Funktionsverlust des Ortes<br />
betrachtet und verglichen werden. Die Untersuchung des kultischen Geschehens, das<br />
den Ort, seine Ausgestaltung und die Kultteilnehmer zu einem Ganzen verbindet, ist<br />
ein weiteres übergreifendes Thema, für das ebenfalls die Frage nach seinem Wandel im<br />
Laufe der Zeit von grundlegender Bedeutung ist. Jeder Kult und auch jeder Kultort<br />
erhält seine Bedeutung erst durch die Gemeinschaft, die für die Entstehung und die<br />
Ausbreitung der Religion verantwortlich ist. Die wenigsten Kultorte behalten ihren<br />
Charakter gleichbleibend während ihrer gesamten Existenz bei. Und kein Kult dauert<br />
ewig – häufig heißt es: „fortan schweigt der Gott“, wie man angeblich in Delphi gesagt<br />
haben soll.<br />
Der Cluster versucht, heilige Stätten als Stationen und Ergebnisse von Prozessen zu<br />
sehen, d.h. die Etappen des Geschehens in den unterschiedlichen Gesellschaften zu<br />
definieren und vergleichenden Studien zu unterziehen.<br />
Stand: 10/2007 114
Genese und Kontinuität<br />
(Sprecher: Reinhard Senff, Wolf-Dietrich Niemeier)<br />
Insbesondere die Archäologie hat in den vergangenen Jahrzehnten Aufschlüsse über<br />
den Ursprung vieler Heiligtümer gewonnen. Heiligtümer gehören oftmals zum ältesten<br />
Baubestand einer Siedlung, wo z.B. ein Gründerheros oder der Schutzgott der Stadt<br />
verehrt wird. Sie können aber auch zu späteren Zeitpunkten in vorhandenen<br />
Siedlungen oder an bereits bestehenden Kultstätten eingerichtet werden. Als Orte der<br />
Weltentstehung haben sie einen universalen Anspruch, als Versammlungsstätten<br />
kleiner oder exklusiver Gruppen stärken sie das Bewußtsein der Zugehörigkeit und<br />
dienen politischen Zwecken. Vielfach spielen sie nicht nur eine wichtige Rolle für die<br />
kulturelle Identität der Kultteilnehmer, sondern auch für die Sicherung des Territoriums<br />
der Gemeinschaft. Oft läßt sich eine Verbindung mit vorhandenen Naturphänomenen<br />
nachweisen, auch wenn an einem Ort im Laufe seiner Existenz andere Formen des<br />
Kultes ausgeübt wurden, welche die ursprünglichen Einrichtung überdecken oder sogar<br />
ganz ablösen. Während die historische Forschung, die sich überwiegend auf schriftliche<br />
Informationen stützt, häufig ein vermeintlich eindeutiges Bild eines Heiligtums entwirft,<br />
vermag die Archäologie in vielen Fällen ein weit komplexeres, facettenreicheres Bild<br />
zu erzielen.<br />
Viel zu oft ist man in der Darstellung heiliger Plätze von ungebrochenen Kontinuitäten<br />
ausgegangen und hat bei der Interpretation von Architektur, Ausstattung und<br />
Kultgegenständen tiefgreifende gesellschaftliche und politische Änderungen nicht<br />
ausreichend berücksichtigt. Es soll eine weitere Aufgabe dieses Forschungsfeldes sein,<br />
solche in anderem Zusammenhang bekannten Veränderungen in Beziehung mit dem<br />
jeweils untersuchten Heiligtum zu setzen. Das Zusammenwirken verschiedener<br />
Disziplinen benachbarter Regionen mit ihren jeweiligen Methoden wird dabei<br />
bestehende Paradigmen auf breiterer Basis überprüfen. Oftmals konnten in der<br />
Vergangenheit nur ungenaue Vermutungen zu den Ursachen des Wandels geäußert<br />
werden. Die chronologisch tiefe und topographisch breite Anlage der Projekte des DAI<br />
ermöglicht erstmals konkrete Antworten auf die Frage nach der Ursächlichkeit von<br />
Veränderungen.<br />
Ende und Nachleben von Kultorten<br />
(Sprecher: Stefan Lehmann)<br />
Das Ende und Nachleben von Kultorten im antiken Mittelmeerraum sind der<br />
Forschungsgegenstand der Projektgruppe. In der bisherigen Forschung wird oft<br />
bemerkenswert unpräzise über das Thema gearbeitet, sowohl was einzelne Sachfragen<br />
als auch die Terminologie anbetrifft. Allein die zahlreichen, unterschiedlich getönten<br />
Begriffe für die Endzeit eines Kultortes (Bruch, Niedergang, Übergang, Untergang,<br />
Verfall, Wende) weisen auf die Vieldeutigkeit des wichtigen Phänomens des Endes und<br />
Nachlebens hin.<br />
Die primären Funktionen eines Kultortes waren religiös bestimmt (Opferplatz, Altar,<br />
Tempel, Kultbild, Opfer, Weihung, Fest, Rituale, Prozession). Wenn der Kult nicht mehr<br />
praktiziert wurde, dann verlor der Kultort a priori seinen Daseinsgrund. Insofern ist das<br />
Ende eines Kultortes als der Zeitpunkt oder das letzte Stadium zu verstehen, in dem<br />
seine primären Funktionen unwiderruflich ausfielen. Was in der Forschung aber häufig<br />
nicht genügend beachtet wird, sind die vielfältigen und unterschiedlichen Funktionen<br />
eines Kultortes. So ist mit dem Verschwinden des traditionellen Kultes nicht<br />
automatisch auch das materielle Ende eines Kultortes verbunden. Insbesondere<br />
größere Kultorte verfügten über sekundäre Funktionen (wirtschaftlich, sozial, politischsymbolisch)<br />
und konnten so das Kultende als Kommunikationszentrum, Festort oder<br />
identitätsstiftenden Orientierungspunkt der lokalen oder regionalen Bevölkerung<br />
Stand: 10/2007 115
überstehen. Dann führte der Kultort ein Nachleben nicht zuletzt auch in der Erinnerung<br />
der Menschen.<br />
Die Projektgruppe bearbeitet Kultorte des Mittelmeerraums von der Steinzeit bis zur<br />
Spätantike. Ausgehend von Befunden aus Grabungen, deren Beginn längere Zeit<br />
zurückliegen, untersucht sie die bislang oft vernachlässigte letzte Phase der jeweiligen<br />
antiken Kultorte und ordnet ihre sich wandelnden Funktionen in einen größeren lokalen<br />
und supralokalen Verstehenszusammenhang ein; das zweite Ziel soll vor allem dadurch<br />
erreicht werden, daß die Grabungsbefunde mit schriftlichen Zeugnissen konfrontiert<br />
werden. Auf diesem Wege soll das Ende und Nachleben von Kultorten in all ihren<br />
Facetten genauer als bislang analysiert werden.<br />
Die erwarteten Ergebnisse werden eine Lücke in der Erforschung antiker Heiligtümer<br />
schließen. Somit wird die Projektgruppe insgesamt zum besseren Verständnis von<br />
Archäologie und Geschichte zentraler Orte antiker Religion beitragen.<br />
Gestalteter Raum<br />
(Sprecher: Nils Hellner)<br />
Heiligtümer sind immer bewußt besetzter, gestalteter Raum zum Zweck eines wie auch<br />
immer gearteten Kultes. Die Bandbreite reicht von einfach gestalteten<br />
Naturheiligtümern über peak sanctuaries, Stelenfelder, Wegaltäre, Brandopferplätze<br />
bis hin zu monumentalen Tempelanlagen. Der gestaltete Raum „Heiligtum“ ist<br />
wesentlicher Ausdruck einer Gesellschaft oder Kultur und ihres gestalterischen<br />
Vermögens bzw. ihres eventuell sogar absichtlich nicht dargestellten Vermögens. In<br />
Form und Gestalt eines Heiligtums manifestieren sich Form und Gestalt der jeweiligen<br />
Religion: ihre Bedürfnisse, ihre Anforderungen und die Ziele des Kultes. Welche<br />
Leistungsanforderungen stellt eine Kultur bzw. die jeweiligen soziale Gruppe oder ein<br />
Individuum an ihren sakralen Ort? Zu untersuchen sind die Heiligtümer hinsichtlich<br />
folgender Aspekte:<br />
- Unterteilung in öffentliche und nichtöffentliche Bereiche oder demonstrativ<br />
hervorgehobene Teilbereiche<br />
- Deponierung oder Vernichtung der Opfer, d.h. Brandstätten oder Magazine<br />
- Wege oder Fixpunkte, Raumfolgen<br />
- Formen des Ritualvollzugs bzw. des Gottesdienstes<br />
- Abschirmung des Sanktuars oder Sichtbarkeit des Götterbildes bzw. des<br />
Kultfokus<br />
- Dimensionen des gestalteten Raumes im Verhältnis zum Menschen.<br />
Der Grad der Geschlossenheit, die externe Erschließung, die innere Wegeführung, die<br />
unterschiedliche Gewichtung der äußeren und inneren Erscheinung bieten sich als<br />
Gestaltungsmittel des Raumes an. Welche Gemeinsamkeiten zeichnen Heiligtümer<br />
gegenüber profanen Orten aus? Bestimmende Faktoren können dabei geographische<br />
Gegebenheiten (Quelle, Berggipfel, Felsplateau, Höhle), besondere Naturmale (Bäume,<br />
Lichtungen, Waldflecken), kultische Anforderungen (Blickachsen, mythische Orte, Orte<br />
sozialer Erinnerung) sein. Der gestalterische Umgang mit diesen Determinanten kann<br />
zur Schaffung eines neuen Bautypus, aber auch zur Übernahme eines Typus und<br />
dessen Veränderung oder gar zur Wahl einer vollständig typenlosen Raumgestaltung<br />
führen.<br />
Die Gestaltung kann sich über gewisse geographische Gegebenheiten hinwegsetzen<br />
oder aber auch von ihnen bestimmt sein. Die Funktionsanforderungen des Kultes<br />
können bei der Anlage des Heiligtums im unterschiedlichen Maße berücksichtigt sein.<br />
Eine besondere Rolle spielt aber auch die großmaßstäbliche Analyse der jeweiligen<br />
Kulttopographie, d.h. die Position, die ein Heiligtum innerhalb eines Territoriums oder<br />
einer definierten Kultlandschaft einnimmt: Befindet es sich an seiner Grenze oder<br />
Stand: 10/2007 116
definiert es eine solche, bildet es das Zentrum, liegt es isoliert oder läßt sich eine<br />
konstellative Einbindung erkennen?<br />
Votiv und Ritual<br />
(Sprecher: Gunvor Lindström – Dietrich Raue – Thomas Schattner)<br />
Kultplätze waren zu allen Zeiten Orte der Begegnung mit dem Heiligen. Der Kontakt<br />
erfolgte in Form von symbolischen Handlungen und Ritualen, wie beispielsweise<br />
Prozessionen, Tanz und Musik, Gebeten, Orakeln, Tier-, Trank- und Rauchopfer,<br />
Dedikationen und Banketten bzw. Kultmahlzeiten. In den Ritualen schlagen sich,<br />
ebenso wie in der Architektur und der Ausstattung des Heiligtums, Vorstellungen einer<br />
Gesellschaft nieder, für deren historische Rekonstruktion deshalb das Verstehen der<br />
Rituale von Bedeutung ist. Der Ablauf der Riten, d. h. der formalisierten, inszenierten<br />
und wiederholt durchgeführten Handlungen, ist heute allerdings nur noch teilweise zu<br />
erschließen. Für den altägyptischen, altorientalischen und griechisch-römischen Bereich<br />
können sowohl Schriftzeugnisse, wie etwa Ritualtexte und Kultgesetze, als auch<br />
bildliche Darstellungen, beispielsweise Vasenbilder und Fresken, Einblick in Form und<br />
Ablauf einiger dieser Handlungen geben. Für Rituale, die nicht schriftlich fixiert oder<br />
bildlich dargestellt wurden, sind dagegen die im Boden erhaltenen Relikte des<br />
kultischen Handelns die einzigen Belege.<br />
In vielen Heiligtümern finden sich Schichten von Asche vermischt mit Tierknochen und<br />
Artefakten, die als materielle Hinterlassenschaften von Opfern und Kultmahlzeiten<br />
gelten können. Die Analyse dieser Relikte setzt – wie an verschiedenen Projekten seit<br />
langem praktiziert – interdisziplinäre Zusammenarbeit (z. B. die Heranziehung von<br />
Spezialisten zur Analyse der Archäofauna und der botanischen Funde) voraus und kann<br />
Aspekte der Riten erhellen, die in der schriftlichen und ikonographischen Überlieferung<br />
keinen Niederschlag gefunden haben.<br />
Außerordentlich häufig und nicht selten das einzige Indiz für die einstige Existenz eines<br />
antiken Heiligtums sind Weihgaben, die am Ort ihrer Aufstellung belassen oder später<br />
im Heiligtum separat deponiert wurden. Diese Gaben an die Götter zeugen von dem<br />
symbolischen Gabentausch der Gläubigen mit den Göttern und können sowohl die<br />
religiösen Vorstellungen, als auch die sozialen Hintergründe der Kultteilnehmer<br />
spiegeln, wie etwa Status, Geschlecht und Herkunft. Die Untersuchungen der<br />
Weihgaben zielen darauf, Aussagen über die Zusammensetzung der Kultgemeinschaft<br />
zu treffen und auf diese Weise Erkenntnisse über den Charakter des jeweiligen<br />
Kultplatzes zu gewinnen, beispielsweise ob er eine lokale oder überregionale<br />
Bedeutung hatte oder ob er vor allem von Frauen oder von Männern besucht wurde. In<br />
vielen Heiligtümern wurden große Mengen von Weihgaben gefunden, die häufig aus<br />
einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten stammen. Über eine diachrone Analyse<br />
des Votivspektrums kann hier nicht nur die Entwicklung der Kultstätten untersucht<br />
werden, sondern es können auch zeittypische Vorlieben für bestimmte Votive und<br />
Konventionen bezüglich des Umgangs mit ihnen beobachtet werden, die nicht nur<br />
veränderte religiöse Vorstellungen, sondern auch gesellschaftlichen Wandel spiegeln.<br />
Auf die Heiligtümer prähistorischer Kulturen können die Kenntnisse über das<br />
Ritualgeschehen in antiken Heiligtümer nur unter großen Einschränkungen übertragen<br />
werden. Oft ist fraglich, ob es überhaupt schon ein Konzept von Göttern gab, denen die<br />
Rituale galten und denen Opfer und Votivgaben dargebracht wurden. Es müssen also<br />
grundsätzliche Fragen nach der Art der zugrunde liegenden religiösen Vorstellungen<br />
gestellt werden. Bildlichen Darstellungen, wie sie seit der jüngeren Altsteinzeit<br />
beispielsweise in Höhlenheiligtümern überliefert sind, kommt dabei eine besondere<br />
Bedeutung zu. Die neue ikonographische Befundlage des vorderasiatischen<br />
Neolithikums konnte in diesem Zusammenhang erst ansatzweise ausgewertet werden.<br />
Erkennbar ist immerhin schon jetzt, dass Bild und Kult hier in enger Verbindung<br />
auftreten und dass es im sakralen Kontext ein vorschriftliches Notationssystem gab.<br />
Stand: 10/2007 117
Der Gesellschaft, die sich ein solches System schuf, ermöglichte es offenbar eine<br />
wirkungsvolle Verankerung ihres kulturellen Gedächtnisses. In dieser Hinsicht scheint<br />
ein Vergleich mit den in antiken Heiligtümern aufgestellten Votiven und den dort<br />
praktizierten Ritualen möglich zu sein.<br />
BETEILIGTE PROJEKTE<br />
Forschungsfeld 1: Genese und Kontinuität<br />
Elephantine<br />
(P. Kopp, Abteilung Kairo)<br />
Auf der Nilinsel Elephantine befand sich die südliche Grenzfeste des pharaonischägyptischen<br />
Staatsgebiets, in der zudem über 4500 Jahre der Afrikahandel des Landes<br />
abgewickelt wurde. Ihr spirituelles Zentrum war das Sanktuar der Göttin Satet. Die<br />
Entwicklung dieses Sanktuars konnte, für die ägyptische Archäologie in einzigartiger<br />
Weise, annähernd vollständig durch die Grabungen geklärt werden. Sie nahm ihren<br />
Ursprung in einem bescheidenen Lehmziegelsanktuar in einer natürlich gebildeten<br />
Felsnische um 3300 v. Chr. und führt über zahlreiche Zwischenschritte bis hin zu den<br />
kaiserzeitlichen Anbauten des 1. und 2. Jh. n. Chr.<br />
Auf Elephantine kann exemplarisch die Entstehungsgeschichte eines Tempels<br />
nachvollzogen werden: Der Ursprung des Sanktuars nimmt Bezug auf ein<br />
Naturschaupiel in einem tiefen natürlichen Strudelloch, auf das die frühesten<br />
Bauphasen ausgerichtet waren. Im Rahmen des Clusters wird derzeit mit einer<br />
Ausgrabung westlich des Tempels nachgeprüft, ob eine Aussparung in der Stadtmauer<br />
des frühen Alten Reiches einen funktionalen Nachfolger dieser Flutkultstätte darstellt.<br />
Mit der Monumentalisierung des Tempelbezirks wird diese Verbindung zur Natur in<br />
steinerne Becken und Wasserkanäle umgedeutet. Am Ende dieser Entwicklung stehen<br />
schließlich die Nilometer mit ihrer landesverbindlichen Eichung. Innerhalb des Clusters<br />
wird es möglich sein, die erste geschlossene Darstellung einer Sanktuarentwicklung in<br />
Ägypten zu erarbeiten.<br />
Der Tempel spiegelt in seiner Entwicklung die mit der Göttin Satet verbundene<br />
existenzielle Bedeutung der Feiern der Nilflut für das Land und, durch den sich<br />
konstant erhöhenden Bauaufwand, für die Zentralmacht wieder. Eingebettet ist diese<br />
Entwicklung in die nun 38jährige Erforschung der Siedlung, die sich im Spannungsfeld<br />
zwischen den Interessen der Zentralmacht und der lokalansässigen ägyptischnubischen<br />
Grenzbevölkerung entwickelte.<br />
Milet, bronzezeitliches Heiligtum und Heiligtum der Athena<br />
(W.-D. Niemeier – I. Kaiser, Abteilung Athen)<br />
Nahe des Athenatempels von Milet wurde bei den neuen Ausgrabungen in den<br />
prähistorischen Schichten (s. auch Forschungscluster 3) ein Heiligtum entdeckt, das –<br />
wie die gleichzeitigen Siedlungsphasen – deutliche Züge der kretisch-minoischen Kultur<br />
zeigt. Dieses Heiligtum entstand wahrscheinlich bereits in der Siedlungsphase Milet III<br />
(20./19. bis Mitte 18. Jh. v. Chr.). Sicher nachzuweisen ist es mit einer Abfolge von<br />
Lehmziegelaltären in Milet IV (Mitte 18. bis Mitte 15. Jh. v. Chr.). Freskomalereien<br />
sowie die große Mehrzahl der Gefäße und Objekte kultischen Charakters sind minoisch,<br />
manche zeigen aber auch einheimischen Charakter. Das Heiligtum stellt damit ein<br />
wichtiges Untersuchungsobjekt für die Einrichtung eines Kultplatzes im Rahmen des<br />
Ausgreifens der minoischen Kultur im östlichen Mittelmeerraum und der Begegnung<br />
mit der einheimischen westanatolischen Zivilisation dar. Nach der Zerstörung von Milet<br />
Stand: 10/2007 118
IV um die Mitte des 15. Jh. v. Chr. zeigen die Nachfolgesiedlungen Milet V (2. Hälfte<br />
15. bis Ende 13. Jh. v. Chr.) und Milet VI (Ende 13. bis frühes 11. Jh. v. Chr.) einen<br />
fast ausschließlich mykenischen Charakter, gleichviel wie groß das<br />
Bevölkerungssegment war, das aus Griechenland stammte, und wie groß das<br />
einheimische, welches die mykenische Kultur vollkommen adaptierte. Die Schichten<br />
von Milet V und VI wurden bereits durch die älteren Grabungen weitgehend freigelegt.<br />
Tagebuchnotizen aus dem frühen 20. Jh., die vom Fund eines mykenischen Altars mit<br />
vielen Tierknochen berichten, belegen, daß hier auch in mykenischer Zeit ein Heiligtum<br />
lag. Neue Untersuchungen liefern Indizien für die Funktion dieses Platzes durch die<br />
sog. Dunklen Jahrhunderte (11.–9. Jh. v. Chr.), so daß er allem Anschein nach von der<br />
Gründung des minoischen Heiligtums an kontinuierlich eine sakrale Funktion hatte und<br />
der Kult der Athena in Milet bronzezeitliche Wurzeln hat. In diesem Zusammenhang ist<br />
von Interesse, daß die Göttin Athena in den spätbronzezeitlichen Linear B-Tafeln aus<br />
dem Palast von Knossos auf Kreta genannt ist.<br />
Kalapodi, Heiligtum von mykenischer Zeit bis zur Römischen Kaiserzeit<br />
(W.-D. Niemeier – I. Kaiser – K. Kopanias - N. Hellner, Abteilung Athen)<br />
Bei dem Dorf Kalapodi (antike Ost-Phokis) liegt ein bedeutendes Heiligtum, das nach<br />
den ersten, 1973–1982 durchgeführten Grabungen als das phokische Nationalheiligtum<br />
der Artemis Elaphebolos von Hyampolis identifiziert wurde. Neuere Indizien sprechen<br />
jetzt aber dafür, dass es sich um das panhellenische Orakel-Heiligtum des Apollo von<br />
Abai handelt, das zu den wichtigsten Heiligtümern Griechenlands zählte. Schon bei den<br />
älteren Grabungen kamen Zeugnisse dafür zutage, dass die Geschichte des Heiligtums<br />
bis in das späte 2. Jts. v. Chr., d.h. in die Zeit unmittelbar nach dem Untergang der<br />
mykenischen Burgen und Paläste um 1200 v. Chr., zurückreichte und bis in die<br />
Römische Kaiserzeit in Betrieb war. Bei den neuen, 2004 wieder aufgenommenen<br />
Grabungen sind nun Indizien dafür zutage gekommen, dass das Heiligtum noch älter<br />
ist und bereits in der mykenischen Palastzeit des 14.–13. Jhs. v. Chr., möglicherweise<br />
sogar schon in die mittelhelladische Periode (20.–18. Jh. v. Chr.) existierte.<br />
Unter der Ruine des 480 v. Chr. von den Persern zerstörten Südtempels befindet sich<br />
eine Abfolge von Heiligtumsschichten und Kultbauten, welche die sog. ‚Dunklen<br />
Jahrhunderte’ Griechenlands zwischen der mykenischen und der archaischen Zeit<br />
überbrücken und damit in bisher auf dem griechischen Festland einzigartiger Weise die<br />
Kontinuität eines Kultortes über diesen Zeitraum hinweg belegen. Unter dem<br />
archaischen Tempel konnten bisher zwei Vorgängerbauten untersucht werden: ein<br />
langgestreckter Tempel des späten 8. bis frühen 6. Jhs. v. Chr. mit apsidalem Abschluß<br />
im Osten und eine kleiner Oikos-artiger Tempel des 8. Jhs. v. Chr. Beide erlitten<br />
Erdbebenzerstörungen, nach denen die eingestürzten Lehmziegelmauern wichtige<br />
Befunde versiegelten, die Indizien für Kult und Votivpraktiken liefern: in situ<br />
aufgefundene Votive (Waffen, Schmuck) und Indizien für die Abhaltung kultischer<br />
Mahlzeiten (Bratspieße, Messer, Asche, zahllose Knochen), im jüngeren der beiden<br />
Vorgängerbauten außerdem Wandmalereifragmente mit der Darstellung von<br />
kämpfenden Kriegern. Diese Fragmente weisen die gleiche Symbolik auf wie die<br />
Fragmente von großen Tongefäßen, Krateren mit der Darstellung von Kriegern und<br />
Kämpfen aus spätmykenischer Zeit und die zahlreichen Waffenweihungen seit dem 8.<br />
Jh. v. Chr.<br />
In den folgenden Jahren sollen die älteren Schichten des Heiligtums untersucht<br />
werden, um Aufklärung über den Charakter der Kontinuität an diesem Platz zu<br />
gewinnen.<br />
Stand: 10/2007 119
Olympia<br />
(R. Senff, Abteilung Athen)<br />
Eines der bedeutendsten Heiligtümer der griechisch-römischen Antike war Olympia, wo<br />
sich zu den alle vier Jahre stattfindenden Sportwettkämpfen Teilnehmer aus der<br />
ganzen antiken Welt zusammenfanden. Die seit 1874 zunächst von den Berliner<br />
Museen, anschließend vom DAI durchgeführten Grabungen haben inzwischen fast das<br />
gesamte Heiligtum freigelegt. Damit ergibt sich die Möglichkeit, ein zentrales Heiligtum<br />
der Antike nicht nur in seiner räumlichen Ausdehnung zu betrachten, sondern auch<br />
durch die Abfolge der Schichten und Bauten ein Bild von der historischen Entwicklung<br />
des Ortes zu gewinnen. Die große Zahl der Besucher anläßlich der Festspiele machte<br />
das Heiligtum zu einem idealen Ort für die Selbstdarstellung von Privatleuten,<br />
Politikern oder gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Form von Weihgeschenken aller<br />
Größen, als einzelne Denkmäler oder umfangreiche Bauten niedergeschlagen hat.<br />
Neben dem archäologischen Material liefern besonders Inschriften und antike Texte,<br />
wie die ausführliche Beschreibung des Pausanias, zahlreiche Informationen über die<br />
Kulte und ihre Veränderungen im Laufe der Zeit.<br />
Die Ausgrabungen haben die Geschichte des Kultortes inzwischen bis in das mittlere 3.<br />
Jt. v. Chr. zurückverfolgt. Allerdings scheint es keine Kontinuität in der Nutzung als<br />
heiliger Stätte, sondern immer wieder neue, voneinander getrennte Phasen im<br />
Frühhelladikum, in der späten Bronzezeit und dann wieder seit geometrischer Zeit bis<br />
in die Spätantike zu geben.<br />
Einzelne Teilprojekte der derzeitigen Erforschung des Heiligtums widmen sich bereits<br />
der Frage nach der Kontinuität des Kultgeschehens, so die Untersuchung des<br />
archaischen Artemisaltars, eine umfassende Analyse der Rolle des Heiligtums in der<br />
römischen Kaiserzeit und des Wandels, dem die pagane Kultstätte nach Einführung des<br />
Christentums in der Spätantike unterlag.<br />
Die Romanisierung einheimischer Heiligtümer im Westen der Iberischen<br />
Halbinsel<br />
(T. G. Schattner, Abteilung Madrid)<br />
Durch Inschriften namentlich des hispanischen Westens sind die Namen von etwa 300<br />
einheimischen Gottheiten bekannt. Ihre Erforschung wird seit etwa einem Jahrhundert<br />
nahezu ausschließlich von Althistorikern und Epigraphikern vorangetrieben. Das Thema<br />
ist eines der spannendsten Kapitel des Romanisierungsprozesses, der die Halbinsel, wie<br />
andere römische Provinzen auch, in tiefgreifender Weise verändert hat. Ziel des neuen<br />
Projektes, das seit 2002 an der Abt. Madrid verfolgt wird, ist es, dem gesammelten<br />
Wissen archäologische Heiligtumsbefunde gegenüberzustellen um sodann im<br />
interdisziplinären Dialog das Verständnis abzurunden, zu vertiefen, zu erweitern und<br />
gelegentlich auch infrage zu stellen.<br />
Angesichts der großen Zahl an Gottheiten ist deutlich, daß eine archäologische<br />
Forschung schon aus statistischen Gründen sich nicht auf ein Heiligtum beschränken<br />
kann. Aus diesem Grunde wird die Fragestellung an mehreren Heiligtümern untersucht.<br />
Diese sind:<br />
- Heiligtum des Endovellicus in São Miguel da Motta (Alandroal/Portugal)<br />
- Heiligtum des deus lar Berobreus auf dem Monte do Facho (Galicien/Spanien)<br />
- Heiligtum des Vaelicus in Postoloboso (Ávila/Spanien)<br />
- Heiligtum auf dem Cabeço das Fráguas (Guarda/Portugal)<br />
Im vorläufigen Ergebnis zeigen sich eine ganze Reihe neuer und vollkommen<br />
unerwarteter Befunde, welche sehr wohl in der Lage sind, das Projekt seinem Ziel<br />
näherzubringen. Die Forschung erfolgt in Zusammenarbeit mit portugiesischen und<br />
spanischen Kollegen.<br />
Stand: 10/2007 120
Forschungsfeld 2: Ende und Nachleben von Kultorten<br />
Das Ende der steinzeitlichen Heiligtümer des Göbekli Tepe<br />
(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />
Auch wenn die genaue Funktion der Heiligtümer des Göbekli Tepe noch nicht<br />
erschlossen ist, so drängt sich beim Versuch einer Charakterisierung der rituellen Welt<br />
der frühholozänen Jägerkulturen Obermesopotamiens diese megalithischen Bauformen<br />
in den Vordergrund. Die Kreisanlagen des Göbekli Tepe beinhalten eine Welt aus<br />
Symbolen und Mythogrammen, die im 8. Jt. v. Chr. von der Bühne der<br />
altorientalischen Kulturen so spurlos verschwunden ist wie sie im 10. Jt. unvermittelt<br />
und in monumentaler Ausprägung erschienen war. Dieses Ende steht offenbar in<br />
direktem Zusammenhang mit der Entstehung, dem Erfolg und der Ausbreitung der<br />
bäuerlicher Lebensweise. Schon in der letzten Nutzungsphase im 9. Jt. ist eine<br />
drastische Reduzierung und Minimierung des früher bei der Errichtung der Heiligtümer<br />
notwendigen immensen Aufwandes zu beobachten. Wie die intensive Spoliennutzung<br />
nahelegt, werden die Bauten jetzt möglicherweise ausschließlich aus den Resten<br />
früherer Anlagen errichtet. Eine eingehende Analyse des ökonomischen Wandels und<br />
der hiermit einhergehenden völligen Umformung der religiösen Ausdrucksweisen wird<br />
einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des Alten Orients und dessen früher Religion<br />
liefern.<br />
Heliopolis<br />
(D. Raue, Abteilung Kairo)<br />
Kaum ein antiker Ort besitzt für Ägypten derart konzentriert die wesentlichen Aspekte<br />
einer Kultur wie Heliopolis im nordöstlichen Stadtbereich von Kairo: Es ist Ort der<br />
Weltschöpfung, die Residenz des Sonnengottes, der Ort des Göttergerichts, Schauplatz<br />
der ersten legitimen Thronfolgeregelung, einer der Kristallisationspunkte für die<br />
Entstehung des nahöstlichen Monotheismus. Der Ort wird nie Hauptstadt und doch<br />
muß offensichtlich jeder Herrscher mit Bauten dort präsent sein. Im ägyptischen<br />
Kulturkonzept steht Heliopolis offenbar für den Residenzplatz des Sonnengottes auf<br />
Erden.<br />
Im Rahmen des Forschungsfeldes „Ende und Neubeginn“ soll am Beispiel von Heliopolis<br />
illustriert werden, wie das „Ende“ eines Heiligtums in einer gleichsam lautlosen<br />
Implosion vor sich gehen kann nachdem es fast 2000 Jahre lang der Schauplatz einer<br />
in Stein monumentalisierten Religiösität war.<br />
Es geht um die Auswirkung der oft zunächst lautlosen Verschiebungen der Grundlagen<br />
einer Kultur auf die Bedeutung eines heiligen Ortes und um die für weitere<br />
Jahrhunderte gültige Verlegung dieser Bedeutung in die Welt religiöser Abstraktion im<br />
kulturellen Gedächtnis einer Gesellschaft.<br />
'Alte Stadt – Neues Reich'.<br />
Brüche, Wandel, Kontinuitäten in der Münzprägung von Kardia und<br />
Lysimacheia<br />
(D. Salzmann – A. Lichtenberger – H. Nießwandt, Universität Münster)<br />
Im Jahr 309 v. Chr. wird die bis dahin bedeutendste Stadt der thrakischen Chersones,<br />
Kardia, von Lysimachos zerstört, der dafür in unmittelbarer Nähe eine neue Stadt<br />
gründet, die er nach sich selbst, Lysimacheia, benennt. Sie wird von Lysimachos<br />
anstelle von Kardia zur Hauptstadt der thrakischen Chersones und als königliche<br />
Residenzstadt ausgebaut.<br />
In dem Projekt soll die Münzprägung beider Städte miteinander verglichen und der<br />
Frage nachgegangen werden, welche Identifikationsfiguren (und auf welche Weise)<br />
Stand: 10/2007 121
Kardia und später Lysimacheia nutzen, um ihre jeweils eigenen Besonderheiten für sich<br />
zu charakterisieren und zu formulieren und gleichzeitig nach außen hin zu<br />
präsentieren. Die Relevanz des Projekts für das Forschungscluster ergibt sich aus der<br />
Zeitstellung der Zerstörung Kardias und der Gründung Lysimacheias im<br />
Frühhellenismus: Wie lebt das klassische Erbe in der hellenistischen Neugründung<br />
weiter? Wie wirken die geänderten politischen Rahmenbedingungen auf die Kulte<br />
(städtische Kulte – königliche Kulte)? Zusätzlich zu den numismatischen Quellen sollen<br />
alle epigraphischen und archäologischen Zeugnisse einbezogene werden, insbesondere<br />
auch der neuentdeckte frühhellenistische Tempel in Lysimacheia.<br />
Konzeptionswechsel in der Sakraltopographie kaiserzeitlicher Städte: Tempel<br />
und Altar auf Fora und Agorai<br />
(H.-U. Cain, Universität Leipzig)<br />
Wie die großen Heiligtümer mit ihren diversen Kult- und Opferstätten bisweilen radikal<br />
umgestaltet wurden, so haben bekanntlich auch zentrale Plätze im öffentlichen Raum<br />
der Städte tiefgreifende Veränderungen erfahren. Davon sind immer auch Kultmale<br />
betroffen gewesen, die sich einzeln oder in größerer Zahl mitten auf einem Platz<br />
befunden haben oder die in enger Verbindung mit einem Sakralbau an der Seite eines<br />
Platzes gestanden haben können. Beispielhaft zeigen das etwa die mehrfache<br />
Neukonzeption des Forum Romanum und die komplette Umformung des Forums von<br />
Brescia. Die architektonische Neugestaltung zielt jeweils auf eine inhaltliche<br />
Neuorientierung des Platzes in kultischer und religionspolitischer Hinsicht, die mit den<br />
allgemeinen politischen Verhältnissen und gesellschaftlichen Zwängen der römischen<br />
Republik und Kaiserzeit zusammenhängt. Von diesen Befunden und Aspekten<br />
ausgehend, soll zunächst die Sakraltopographie anderer, ausgewählter urbaner<br />
Zentren in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum untersucht werden. Die<br />
Ergebnisse können als Grundlage einer kulturvergleichenden Betrachtung in einem<br />
erweiterten Rahmen dienen, der die Städte im griechisch geprägten Osten des<br />
Römischen Reiches einschließt.<br />
Abydos<br />
(A. Effland, Abteilung Kairo)<br />
Der Gedanke der Auferstehung und des Fortlebens im Jenseits ist in der pharaonischen<br />
Kultur ab Mitte des 3. Jts v. Chr. eng mit der Gottheit Osiris verbunden. In der<br />
frühdynastischen Nekropole von Umm el-Qaab wurde das Grab des Djer, des dritten<br />
Königs der 1. Dynastie seit der Zeit des Mittleren Reiches mit dem Grab des ersten<br />
mythischen Königs, dem Grab des Gottes Osiris identifiziert. Der sich am Ort<br />
etablierende Osiriskult erfährt im Neuen Reich, während der 19. und 20. Dynastie<br />
einen weiteren Höhepunkt und wird während des 1. vorchristlichen Jahrtausends in<br />
Bezug auf die Ritualrelikte immer umfangreicher. Die Aktivitäten reichen bis in<br />
spätantike Zeit und enden erst am Übergang des 5. zum 6. nachchristlichen<br />
Jahrhundert. Informationen u.a. aus koptischen Viten zur Zerstörung der paganen<br />
Sakralanlagen spiegeln sich in den neuentdeckten archäologischen Funden des DAI in<br />
Umm el-Qaab.<br />
Der Kirchenbau in den spätantiken Patriarchaten Antiocheia und Jerusalem<br />
und der antike Euergetismus<br />
(R. Haensch, AEK)<br />
Die Frage "Niedergang oder Wandel" ist das zentrale Thema der<br />
Forschungsbemühungen um die geschichtliche Einordnung der drei Jahrhunderte<br />
zwischen 284 und 640 n. Chr. In diesem Zusammenhang wurde aber bisher die<br />
Finanzierung des spätantiken Kirchenbaus wenig erörtert, obwohl dieser ein zentrales<br />
Fallbeispiel darstellt. Denn mit diesem Kirchenbau ist nicht nur die Frage verbunden,<br />
Stand: 10/2007 122
inwieweit spätantike Kirchen in oder mittels der bisherigen Kultbauten (pagane,<br />
jüdische) entstanden. Vor allem stellt der spätantike Kirchenbau die letzte große Welle<br />
von Kultbauten in der Antike dar. Damit fragt sich aber, inwieweit die Bauten dieses<br />
neuen Kultes, der in vieler Hinsicht von den bisherigen abwich, in der gleichen Weise<br />
finanziert wurden, wie dies bis dahin der Fall gewesen war. Bis dahin waren Kultbauten<br />
vor allem mit Hilfe des sogenannten Euergetismus finanziert worden, d. h. Angehörige<br />
der Oberschichten hatten solche Baumaßnahmen im Interesse größerer Gruppen<br />
finanziert, um von diesen sozial in ihrer herausragenden Position bestätigt zu werden.<br />
Ob dies auch für den Kirchenbau gilt, war anhand von über 1000 einschlägigen<br />
Inschriften aus den spätantiken Patriarchaten Jerusalem und Antiocheia, also dem<br />
östlichsten Teil der Mittelmeerwelt, zu überprüfen, um so einen wichtigen Beitrag zur<br />
Mentalitätsgeschichte der Spätantike zu leisten.<br />
Olympias zweites Leben in der Spätantike. Von der Errichtung der Domäne um<br />
430 n. Chr. bis zum Einfall der Slaven im 7. Jahrhundert<br />
(A. Gutsfeld, Universität Nancy – St. Lehmann, Universität Halle-Wittenberg)<br />
Die Geschichte der Kultstätten endet in der Spätantike nicht mit dem Verbot paganer<br />
Kulte und dem Ende der traditionellen Feste. Olympia gehört zu den ‚entpaganisierten’<br />
Heiligtümern, die Ende des 4. Jhs. den Sieg des Christentums überlebten: Es wurde<br />
zum Zentrum einer landwirtschaftlichen Domäne, die in Erbpacht bis zur Ankunft der<br />
Slaven im 7. Jh. bewirtschaftet wurde. Das Forschungsprojekt kann sich auf reiche<br />
archäologische Zeugnisse stützen, die Olympia zu einem einzigartigen Fall im<br />
römischen Reich machen. Neben vielen landwirtschaftlichen Einrichtungen und den<br />
weiter genutzten Wasseranlagen ist insbesondere auf die Existenz zahlreicher<br />
Unterkünfte von Bauern hinzuweisen, wahrscheinlich eines kleinen Dorfes von Kolonen.<br />
Das Ziel des Forschungsprojektes ist zunächst, die Umwandlung des Heiligtums in das<br />
Zentrum einer Domäne nachzuzeichnen; außerdem soll der Betrieb des Latifundium<br />
und der Alltag seiner Einwohner rekonstruiert werden. Mit der Analyse des „zweiten<br />
Lebens von Olympia“, soll ein Beitrag zum besseren Verständnis der wechselhaften<br />
Spätgeschichte traditioneller Kultstätten im christlichen Staat geleistet werden.<br />
Diokaisareia-Uzuncaburç: Die ‚Tempelkirche’<br />
(S. Westphalen, Universität Rostock)<br />
Der Umbau des Tempels in eine Kirche setzt die erfolgreiche Christianisierung der<br />
städtischen Eliten voraus, zu der neben reichen Grundbesitzern und einflussreichen<br />
Beamten auch die Bischöfe mit ihren weitreichenden Kompetenzen für die munizipale<br />
Selbstverwaltung gehörten. Im Kreis des höheren Klerus sind auch die Auftraggeber<br />
für den Kirchenbau zu suchen, die mit ihrer Entscheidung dazu beitrugen, dass eine<br />
weitere Verödung des Stadtzentrums verhindert wurde. Denn es ist davon auszugehen,<br />
dass erst zwei bis drei Generationen verstreichen mussten, bevor das in den Jahren<br />
um 400 n. Chr. geschlossene Heiligtum umgewidmet und mit dem Umbau des bereits<br />
verfallenden Tempels begonnen wurde. Damit ist die ‚Tempelkirche’ kein direktes<br />
Zeugnis für die Krise und das Ende des alten Zeuskultes, sondern ein Monument, das<br />
für den bereits vollzogenen Wandel und nach einer Unterbrechung für die<br />
Wiederaufnahme der Kulttradition im zentralen Heiligtum steht. Architektonisch war die<br />
Umwidmung mit einem tiefgreifenden Umbau verbunden, der durch den Anbau einer<br />
Apsis und die Verlegung des Hauptportals auf die Westseite nicht nur eine<br />
Umorientierung des Tempelareals zur Folge hatte, sondern die komplette Entkernung<br />
des Innenraums verlangte, damit innerhalb der hellenistischen Peristasis eine<br />
Emporenbasilika eingebaut werden konnte.<br />
Stand: 10/2007 123
Resafa-Sergiupolis/Resafa-Rusafat Hisham (Syrien)<br />
(D. Sack, Technische Universität Berlin)<br />
Resafa-Sergiupolis ist der Ort, an dem der Hl. Sergios um 300 das Martyrium erlitten<br />
hatte. Die dort entstandene befestigte Pilgerstadt umfasst fünf Kirchenbauten und<br />
große zivile Einrichtungen (Zisternen, Karawanserei, Wohnhäuser). Zwei der<br />
Kirchenareale, die Basilika A (Baubeginn um 470) und die Basilika B (Baubeginn 518,<br />
Vorgängerbauten frühes 5. Jh.) stehen in direktem Zusammenhang mit dem Sergios-<br />
Kult. Seit dem Ende des 5. Jhs. ist der aus Kirche, Vierstützenbau (mit Baptisterium)<br />
und Bischofspalast bestehende Baukomplex der Basilika A, deren nordöstlicher<br />
Apsisnebenraum die Reliquien beherbergte, das Pilgerzentrum entstanden. Den<br />
Nordhof der Kirche ließ der Kalif Hišām b. Abd al-Malik, dessen mehrere große<br />
Gebäudeensemble umfassende Residenz in einem etwa drei Quadratkilometer großen<br />
Bereich südlich der Stadt lag, im 2. Viertel des 8. Jhs. zum Teil von der Großen<br />
Moschee überbauen, denn der Hl. Sergios wurde sowohl von Christen als auch von den<br />
Muslimen verehrt. Die „baraka“, die Heiligmäßigkeit des Ortes führte dazu, dass das<br />
Ensemble der Kultplätze bis zum Ende der Stadt, Mitte des 13. Jhs., in Benutzung war.<br />
Die Statuenbasen im Zeusheiligtum von Olympia<br />
(C. Leypold, Abteilung Athen – Universität Würzburg)<br />
Anhand der ca. 800 im Heiligtumsareal gefundenen Statuenbasen und<br />
Basenfundamente soll eine zeitlich differenzierte Betrachtung der Statuenaufstellung<br />
im Zeusheiligtum von Olympia vorgenommen werden. Diese verspricht nicht nur<br />
wichtige Erkenntnisse zur Gestaltung der Heiligtumstopographie durch die<br />
statuarischen Weihgeschenke, sondern auch darüber, wie in Zeiten gesellschaftlicher<br />
Umbrüche mit den alten Denkmälern verfahren wurde. Diesbezüglich war der Wandel<br />
des Ortes vom paganen Heiligtum in eine christliche Handwerkersiedlung wohl die<br />
grundlegendste Veränderung im Laufe seiner langen Geschichte. Gerade der Umgang<br />
mit den bildlichen Hinterlassenschaften der alten, angeblich nun verhaßten Religion<br />
gibt spannende Einblicke in die Reaktion der Menschen auf die veränderten religiösen<br />
Verhältnisse und damit in die tatsächliche Geisteshaltung während des Übergangs von<br />
der griechischen Tradition zur christlichen Welt. So zeichnet sich beispielsweise ab, daß<br />
einige der alten Statuen gezielt noch nach Ende des Kultbetriebes in frühchristlicher<br />
Zeit bewahrt wurden.<br />
Resistenz, Sublimation und Transformation von Kult in traditionalistischer<br />
Gesellschaft und intellektueller Kultur – Paganismus und Elite Athens im<br />
christianisierten Staat.<br />
(J. Hahn, Universität Münster)<br />
Das Ende eines Kultortes wie überhaupt von Kultpraxis schlägt sich ultimativ im<br />
materiellen Befund nieder – im allgemeinen indiziert dieser aber, angesichts des<br />
Fehlens von Textquellen, meist alleine noch die Schlußetappe eines tatsächlich religiös,<br />
sozial, kulturell und politisch hochkomplexen Prozesses. Im Athen der Spätantike – die<br />
einen atemberaubenden, staatlich geförderten Siegeszug des Christentums und das<br />
rapide Schwinden der alten Kulte erlebte – ist nun nicht nur, gegen den Zeittrend, ein<br />
bemerkenswertes Fortdauern aller <strong>Institut</strong>ionen und Äußerungen paganen Lebens<br />
(religiöse Infrastruktur, Feste, Tempel- und Opferkulte etc.) sichtbar, sondern auch das<br />
Agieren und Reflektieren von Vertretern jener Eliten dokumentiert, welche ökonomisch<br />
wie politisch das Funktionieren und die Kontinuität des Kultlebens sichern mußten. Die<br />
pagane Paideia als Basis zugleich religiöser Identität wurde dabei insbesondere in<br />
Gymnasien und ‚privaten’ Philosophenschulen, v.a. der neuplatonischen Akademie,<br />
energisch gepflegt und – in Auseinandersetzung mit den nun dominierenden religiösen<br />
und anderen Konzepten – fortentwickelt und hierbei lokal wie auf Reichsebene<br />
bemerkenswerte Wirkung erzielt. Die Reflexion, Neuformulierung und Transformation<br />
philosophischer und religiöser Tradition – und so auch paganer Spiritualität und<br />
Stand: 10/2007 124
Kultpraxis – im Kontext offensiver gesellschaftlicher und politischer<br />
Auseinandersetzung bis hin zur Schließung der Akademie durch Justinian 529 n. Chr.<br />
steht im Zentrum des Forschungsvorhaben.<br />
Forschungsfeld 3: Gestalteter Raum<br />
Göbekli Tepe<br />
(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />
Die architektonische Gestaltung der monumentalen steinzeitlichen Heiligtümer des<br />
Göbekli Tepe folgt einem einheitlichen Grundgedanken. Es handelt sich um kreisförmig<br />
aufgestellte, monolithische T-förmige Pfeiler, die von Mauerstreifen verbunden werden,<br />
so daß der Innenraum klar vom Außen abgetrennt wird. Innen an die Mauern sind<br />
steinerne Bänke angelehnt. Im Zentrum der Anlagen steht immer ein Paar<br />
gleichartiger, aber besonders großer Pfeiler. Arme und Hände, die auf einigen dieser<br />
Pfeilern in Flachrelief dargestellt sind, lassen die Monolithe als menschengestaltig<br />
erkennen. Die T-Form erklärt sich somit als stilisierter Umriß einer von der Seite<br />
gesehenen Person. Die Bauform der Heiligtümer repräsentiert folglich eine im Kreis um<br />
ein zentrales Paar gruppierte Versammlung steinerner Wesenheiten. Ob es sich um<br />
hypäthrale Anlagen handelt oder um überdeckte Räume, ist noch nicht geklärt. Die<br />
Miteinbeziehung des Themenkomplexes „megalithische Steinkeise“ in die zukünftigen<br />
Forschungen vermag sicherlich derartige und viele andere Fragen, die sich angesichte<br />
dieses neuen Architekturtyps auftun, zu beantworten.<br />
Dahschur<br />
(N. Alexanian, Abteilung Kairo / FU-Berlin)<br />
Die Nekropole von Dahschur umfaßt ein riesiges Wüstengebiet von 4 x 2 km<br />
Ausdehnung. Beherrscht wird der Platz von zwei Pyramiden des Alten Reiches, die<br />
König Snofru in der 4. Dyn. (um 2500 v. Chr.) errichten ließ, und drei Pyramiden des<br />
Mittleren Reiches, die in der 12. Dyn. (um 1880–1770 v. Chr.) erbaut wurden.<br />
Aufgrund der spezifischen Konzeption des ägyptischen königlichen Totenkultes als<br />
Staatskult, der über lange Zeit eine größere Bedeutung als der Götterkult hatte, muß<br />
man die gesamte Nekropole von Dahschur als heiligen Ort verstehen. Der Kult wurde<br />
in den zu den Pyramiden gehörenden Pyramiden- und Taltempeln über Jahrhunderte<br />
durchgeführt und manifestierte sich in zahlreichen Opfergaben. Räumliche Einheit<br />
entsteht durch die enge Bezugnahme der einzelnen Kulte und Bauwerke aufeinander.<br />
Die den Kult durchführenden Priester wohnten in eigens zu diesem Zwecke<br />
gegründeten Pyramidenstädten am Wüstenrand. Ihre Gräber geben Aufschluß über die<br />
soziale Zusammensetzung und zeitliche Verortung dieser Gemeinschaft. Genauer zu<br />
erforschen wäre die Frage, ob der Kult an den Pyramiden des Snofru am Ende des<br />
Alten Reiches zum Erliegen kam und im Mittleren Reich wiederbelebt wurde oder ob es<br />
eine kontinuierliche, fast tausendjährige Belegungs- und Kultaktivität in Dahschur<br />
gegeben hat. Von größtem Interesse ist auch die Frage, warum und in welcher Form<br />
sich die Könige des Mittleren Reiches an die Architektur und Kulte ihrer Vorgänger<br />
anschlossen.<br />
Uruk – Kulttopographie eines babylonischen Heiligtums<br />
(M. van Ess, Orient-Abteilung)<br />
Das Eanna-Heiligtum in Uruk entstand in der uns bekannten Form am Beginn des<br />
dritten Jahrtausends v. Chr. und bestand bis in die seleukidische Zeit hinein. Es war<br />
der Göttin Inanna/Ischtar geweiht, die – neben dem Himmelsgott Anu – ihren<br />
Hauptverehrungsort in Uruk hatte. Das Heiligtum setzte sich zu allen Zeiten aus einem<br />
im Zentrum der Anlage errichteten Tempel auf einer Terrasse bzw. einer Zikkurrat<br />
Stand: 10/2007 125
sowie einer Anzahl von umgebenden Höfen unterschiedlicher Funktion zusammen. Es<br />
handelt sich um einen Typ eines städtischen Hauptheiligtums, wie er in Babylonien<br />
mehrfach nachgewiesen ist. Das Heiligtum erfuhr im Laufe der Jahrtausende mehrere<br />
Umgestaltungen, die erhebliche bauliche Veränderungen mit sich brachten, mit denen<br />
jedoch das Grundkonzept nicht geändert wurde.<br />
Im Rahmen des Forschungsfeldes „Gestalteter Raum“ sollen die verschiedenen<br />
Bereiche des Heiligtums auf ihre Funktion hin analysiert und versucht werden, deren<br />
Bezüge zu den Kulterfordernissen mehrerer Zeitperioden herauszuarbeiten.<br />
Über Vergleiche zur architektonischen Gestalt und zu archäologischen Befunden<br />
weiterer babylonischer Heiligtümer sollen die Charakteristika derartiger Heiligtümer<br />
hervorgehoben werden. Wesentlich wird darüber hinaus die Einbeziehung<br />
altorientalischer Schriftquellen sein, über die in der Verknüpfung mit den<br />
archäologischen Ergebnissen neue Erkenntnisse zur Funktion der einzelnen<br />
Tempelbereiche zu erwarten sind. Eine enge Vernetzung mit Spezialisten der<br />
altorientalischen Philologie ist daher angestrebt.<br />
Dra’ Abu el-Naga/Theben-West (Luxor)<br />
Vom Grab zum Tempel: Eine königliche Doppelgrabanlage der frühen 18. Dynastie und<br />
ihre Wiederbenutzung am Ende des Neuen Reiches<br />
(U. Rummel, Abteilung Kairo)<br />
In K93.11/K93.12 läßt sich die Neugestaltung eines heiligen Platzes nachvollziehen.<br />
Angelegt in der 18. Dynastie (um 1500 v. Chr.) als Königsgräber – deren Besitzer in<br />
der Folgezeit als Götter verehrt wurden – sind beide Anlagen rund 400 Jahre später<br />
von der Familie des Hohenpriesters Ramsesnacht übernommen und umgestaltet<br />
worden. Das übergeordnete Ziel des Projekts ist die Untersuchung der<br />
Nutzungsgeschichte des Ortes. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Funktion,<br />
welche die königlichen Grabanlagen durch die ramessidische Umgestaltung erworben<br />
haben: Tempel oder Grab – oder Tempelgrab? Beide Anlagen bilden ein<br />
herausragendes Zeugnis des „Wandels des Grabgedankens“ in der Ramessidenzeit, im<br />
Zuge dessen die Tempelfunktion des Grabes immer stärker in den Vordergrund tritt<br />
und das Grab zum „Subjekt der Gottesverehrung“ (Assmann) wird. Die neue Semantik<br />
schlägt sich in K93.11/12 in bislang einzigartiger Weise in der Architektur nieder, und<br />
es ist eine der zentralen Fragen, ob die Tempelelemente im Grabkontext eine neue<br />
Bedeutung gewonnen haben oder vielmehr die Tempelfunktion des Ortes<br />
unterstreichen.<br />
Sabäische Sakralarchitektur: Gestalt, Ausstattung und Kultpraktiken<br />
(I. Gerlach – Orientabteilung, Außenstelle Sanaa)<br />
Im Rahmen der <strong>Clusterforschung</strong> untersucht die Außenstelle Sanaa sabäische<br />
Heiligtümer intra muros in Bezug auf Kultpraktiken und innerstädtische<br />
Kommunikation. Ein Ziel des Projektes ist es, den Bereich des Sakralen, der im<br />
Sabäischen politische, gesellschaftliche und religiöse Aspekte vereint, innerhalb der<br />
beiden wichtigsten sabäischen Stadtanlagen Marib, der Hauptstadt des Reiches von<br />
Saba, und Sirwah zu erforschen. Erstmals für den südarabischen Raum wird dabei<br />
analysiert, in welchem Ausmaß die soziale Ordnung der sabäischen Gesellschaft mit<br />
ihren religiösen Vorstellungen die Gestaltung des sakralen Raums prägte.<br />
Wechselwirkungen zwischen den sich wandelnden Lebensbedingungen und der Religion<br />
vom Beginn der sabäischen Zeit am Anfang des 1. Jt. v. Chr. bis zum Untergang des<br />
Reiches im 6. nachchristlichen Jahrhundert werden dabei berücksichtigt. Von<br />
besonderer Bedeutung ist der Übergang vom Polytheismus zum Monotheismus im<br />
4. Jh. n. Chr. und hier speziell die Auswirkungen auf die Sakralarchitektur sowie den<br />
Kult als Spiegel der sich ändernden sabäischen Gesellschaft.<br />
Stand: 10/2007 126
Darüber hinaus erfolgt eine systematische Untersuchung der Kultpraktiken, Rituale und<br />
Votive anhand archäologischer Funde und Befunde und zwar in Abhängigkeit zur<br />
architektonischen Gestalt der Heiligtümer. Das epigraphische Quellenmaterial, das -<br />
sofern vorhanden - ergänzend zum archäologischen Kontext Hinweise auf den Kult<br />
geben kann, wird dabei gezielt analysiert. Eine systematische Materialsichtung<br />
behandelt darüber hinaus das bisher vernachlässigte Thema der religiösen<br />
Ikonographie der sabäischen Kultur.<br />
Der archaische Apollontempel (‚Tempel II’) in Didyma<br />
(Uta Dirschedl, Zentrale)<br />
Der archaische Apollontempel (‚Tempel II’) in Didyma gilt schon seit seiner Auffindung<br />
zu Beginn des 20. Jhs. – insbesondere auch wegen der qualitätvollen marmornen<br />
Bauskulptur (heute im Pergamonmuseum in Berlin sowie im Archäologischen Museum<br />
in Istanbul) – neben den beiden berühmten Dipteroi im Heraion in Samos sowie dem<br />
älteren Artemision in Ephesos als einer der bemerkenswertesten archaischen ionischen<br />
Tempel in Kleinasien. Der bislang unzureichend erforschte hypäthrale Marmor-<br />
Kalkstein-Bau des 6. Jhs., der einer die Heilige Quelle als natürliches Kultmal<br />
architektonisch einfassenden älteren Hofanlage (‚Sekos I’) nachfolgt, prägt in<br />
funktionaler Anpassung an den Orakelkult konzeptionelle, typologische und stilistische<br />
Besonderheiten aus, die wiederum im hellenistischen Nachfolger, dessen eindrucksvolle<br />
Tempelruine heute noch vor Ort zu sehen ist, weiterwirken.<br />
Ziel des 2003 begonnenen Vorhabens, bei dem auch Dr. Volker Kästner (Kapitelle) von<br />
der Antikensammlung der Staatlichen Museen Berlin sowie Dr.-Ing. Aenne Ohnesorg<br />
(Marmordachziegel) vom Lehrstuhl für Baugeschichte der TU München mitwirken, ist<br />
es, diesen Tempel, Stätte eines über die Grenzen Ioniens hinaus bedeutenden<br />
Orakelkults, seiner Signifikanz für die ionische Baukunst entsprechend auf der<br />
Grundlage einer möglichst vollständigen Materialaufnahme angemessen<br />
wissenschaftlich zu publizieren – ein lange überfälliges Desiderat. Da Bauglieder und<br />
Bauskulptur des Tempels im Vergleich zu den anderen ionischen Dipteroi, mit denen<br />
das Didymaion in Wettstreit trat, in seltener Vollständigkeit und ungewöhnlicher<br />
Formen- und Material-Vielfalt erhalten sind, sind viel versprechende Ergebnisse für die<br />
Kenntnis der archaischen ionischen Baukunst zu erwarten.<br />
Die Statuenbasen im Zeusheiligtum von Olympia<br />
(C. Leypold, Abteilung Athen – Universität Würzburg)<br />
Die zahllosen Bildnisse von Göttern, Heroen und Ehrenmännern, die im Zeusheiligtum<br />
von Olympia zwischen dem späten 6. Jh. v. Chr. und dem späten 3. Jh. n. Chr. als<br />
statuarische Weihgeschenke in den Vorhallen der Tempel und unter freiem Himmel<br />
aufgestellt wurden, prägten entscheidend die Gestalt des Heiligtums. Von mehreren<br />
hundert Statuen wurden noch die Fundamente ihrer Basen freigelegt oder die<br />
steinernen, in der Regel mit Inschrift versehenen Sockel gefunden. Diese tragen<br />
vielfach Spuren von Wiederverwendungen oder Umsetzungen, die darüber Auskunft<br />
geben, daß die Standbilder von der Heiligtumsverwaltung immer wieder abgeräumt<br />
oder umgesetzt werden mußten, um in dem weitläufigen Areal Platz für neue<br />
Weihgeschenke oder auch für Gebäude und Veränderungen der Wegführung zu<br />
schaffen. Das Projekt hat zum Ziel, die Gestaltung des sakralen Bezirks durch die<br />
Statuenaufstellung zeitlich differenziert zu untersuchen und ihre Bedeutung für den<br />
antiken Heiligtumsbesucher zu erfassen.<br />
Stand: 10/2007 127
Kalapodi. Neubewertung der Typologie der dorischen Architektur<br />
(N. Hellner, Abteilung Athen)<br />
Die dorische Architektur gilt im Allgemeinen als gut bekannt. In Kalapodi bietet sich die<br />
einzigartige Möglichkeit eines exemplarischen Studiums vom mykenischen Ursprung<br />
und bislang mindestens acht übereinander Bauten geometrischer bis hadrianischer<br />
Zeit. Durch den Neufund eines archaischen Kapitells und Untersuchungen an<br />
bekannten früharchaischen Kapitellen aus Kalapodi wird jedoch die chronologische<br />
Entwicklungsreihe neu zu ordnen sein. Durch die letzten Grabungskampagnen und die<br />
zukünftig zu erwartenden Ergebnisse kann exemplarisch die Genese des griechischen<br />
Tempels vom mykenischen Megaron über den geometrischen Lehmziegelbau mit<br />
Holzstützen und den Steinbau mit Holzsäulen zum kompletten Steinbau überprüft<br />
werde. Dabei wird der Adaption des Tempeltypus an die Erfordernisse des Kultes<br />
(Wegführung mit beidseitigen Rampen, Weihungen von Streitwagenrädern, bauliche<br />
Manifestation eines Orakels) mit ihren speziellen Lösungen eine besondere<br />
Aufmerksamkeit gelten.<br />
Zur räumlichen Gestaltung punischer Kultstätten<br />
(S. Helas, Abteilung Rom)<br />
Die unterschiedliche architektonische Fassung der bislang bekannten phönizischpunischen<br />
Heiligtümer lässt kein gleichförmiges Bild entstehen und entzieht sich<br />
weitgehend einer Grundrisstypologie. Um punische Sakralanlagen zu entschlüsseln,<br />
müssen wir uns einerseits von der Vorstellung normierter Architekturformen lösen und<br />
andererseits unseren Blick auf die Kultvorgänge lenkten. Ein auf den Kult basierender<br />
Zugang kann neue Perspektiven auf diese Heiligtümer eröffnen, deren bauliche<br />
Unterschiedlichkeit das auffallendstes Merkmal zu sein scheint ("irregular plan"). Einige<br />
Elemente (Opferpodien, Votivbänke und Brandaltäre) treten wiederholt in<br />
verschiedenen punischen Heiligtümern auf und sind mit den religiösen Praktiken des<br />
punisch-phönizischen Kulturkreises in Verbindung zu bringen. Es lassen sich so<br />
verbindende Opferrituale erkennen, die wiederum bauliche Lösungen erfordern. Diese<br />
kultischen Grundelemente konnten offenbar architektonisch recht flexibele kombiniert<br />
werden. Im Rahmen dieses Projektes soll der Versuch unternommen werden, die<br />
räumliche Gestaltung punischer Kultstätten zu beschreiben, zu ordnen und<br />
insbesondere die wechselseitige Beeinflussung von ritueller Handlung und räumlicher<br />
Gestaltung zu analysieren.<br />
Heiligtümer in Latium (Cori, Terracina)<br />
(H. v. Hesberg, Abteilung Rom mit E. Altenhöfer – S. Franz – V. Hinz, München)<br />
Die Städte in Latium nehmen mit der wachsenden Macht Roms und den damit<br />
einhergehenden wachsenden Verbindungen zum griechischen Osten im 3. und 2. Jh. v.<br />
Chr. einen beispiellosen Aufschwung. Diese Veränderungen kulminieren im Ausbau<br />
bestimmter zentraler Heiligtümer. Die berühmtesten Beispiele bilden dabei die<br />
Heiligtümer der Fortuna Primigenia in Praeneste oder das des Hercules Victor in Tivoli,<br />
denen sich in eigentlich allen anderen Städten entsprechende Komplexe zur Seite<br />
stellen lassen.<br />
Die Hauptfragestellung besteht aus einer Untersuchung, wieweit sich bestimmte<br />
religiöse Muster halten und wie stark sie transformiert bzw. auch instrumentalisiert<br />
werden, um sie den veränderten Erwartungen anzupassen. Auf der einen Seite wirken<br />
die neuen Heiligtümer wie eine Transformation sakraler Traditionen, die in ihrer<br />
Monumentalität so etwas wie eine Säkularisierung erkennen lassen. Andererseits fällt<br />
auf, wie sehr bestimmte Kultmale, Naturdenkmäler oder auch nur Orte der Verehrung<br />
und traditionelle Bau- und Kultformen gepflegt werden. Dieser merkwürdige<br />
Widerspruch zwischen der Steigerung des äußeren Aufwands und der neuen<br />
Gewichtung von Kultbild und Kulthandlungen vor dieser Szenerie stehen im Zentrum<br />
Stand: 10/2007 128
der Überlegungen. Im Zentrum der Betrachtung stehen mit dem Dioskurenheiligtum in<br />
Cori und dem Jupiterheiligtum in Terracina zwei sehr unterschiedlich konzipierte<br />
Anlagen, die etwa zur gleichen Zeit (Wende vom 2. zum 1. Jh. v.Chr.) ihre<br />
grundlegend neue Form erhielten, die aber in einer konstrastierenden<br />
Gegenüberstellung bestimmte Aspekte dieser Heiligtümer deutlich machen können.<br />
Das Heiligtum in Cori behält den Ort des früheren Tempels mitsamt den ursprünglichen<br />
Terrassenmauern bei, verändert aber durch eine Serie zusätzlicher Terrassierungen<br />
und Treppenanlagen den Charakter der Anlage. Vor allem der Tempel wird in völlig<br />
neuen Dimensionen errichtet, die allein schon in der Art der Aufstellung der<br />
Kultbildgruppe am besten den veränderten Anspruch zeigen.<br />
Gleiches gilt für Terracina. Während aber Cori in seinem Zuschnitt der Terrassen und<br />
der Wegführung an vorgegebene Situationen innerhalb der Stadt zu folgen scheint,<br />
weswegen auch viele Unregelmäßigkeiten im Plan zu beobachten sind, der Tempel aber<br />
mit seiner Fassade in zentraler Position erscheint und seine Fassade beherrschend<br />
herausstellt, ist es in Terracina eher umgekehrt. Dort gibt es eine aus dem Gelände<br />
und den Kultgepflogenheiten bedingte unregelmäßige Disposition von Tempel, Hallen<br />
und weiteren Anlagen, der Unterbau ist aber weitgehend regelmäßig angelegt. Die<br />
Anforderung, eine möglichst repräsentative neue Form zu finden, wurde also sehr<br />
unterschiedlich eingelöst. Das mag zum einen damit zusammen hängen, dass das eine<br />
Mal das Heiligtum in der Stadt liegt, das andere Mal außerhalb, es mag aber auch der<br />
Ort des Orakels in Terracina eine solche Lösung bewirkt haben.<br />
Das Neuartige des Ansatzes liegt also darin, Heiligtümer in einer Art religiöser<br />
Gesamthaushalt einer Stadt zu sehen, der je nach den Erfordernissen der jeweiligen<br />
Städte unterschiedlich neu bestimmt werden konnte. Dabei sind die verschiedenen<br />
Ebenen in ihren Komponenten zu bestimmen, etwa zum einen Bindung an die<br />
Tradition, ferner die monumentale Ausgestaltung und die Einbindung in das<br />
Ritualgeschehen der Stadt.<br />
Das Zeus-Olbios Heiligtum im Rauhen Kilikien<br />
(D. Wannagat, Universität Rostock)<br />
Die Priesterdynastie des olbischen Tempelstaates herrschte über ein ca. 1000 km 2<br />
umfassendes Territorium im Rauhen Kilikien, das von den Flüssen Kalykadnos und<br />
Lamos begrenzt wurde. Das Zentrum ihrer Macht war das Zeus-Olbios-Heiligtum, das<br />
in hellenistischer Zeit (3.–1. Jahrhundert v. Chr.) monumental ausgebaut wurde. Die<br />
sakrale Topographie des hellenistischen Tempelstaates soll unter zwei Aspekten<br />
analysiert werden. Zum einen gilt es, alle Kultstätten innerhalb des Territoriums in<br />
ihrer spezifischen Qualität zu erfassen und nach ihrer Hierarchie zu fragen. Das<br />
Spektrum reicht von Kultplätzen in natürlichen Höhlen bis zu dem gewaltigen<br />
korinthischen Tempel des Zeus-Olbios als regionalem Zentralheiligtum. Zum anderen<br />
soll die Nutzung des markanten Landschaftsreliefs für die Großbauten im sakralen<br />
Zentrum des Tempelstaates erschlossen werden. Ihr Bezug zum territorialen Wegenetz<br />
und zur nahe gelegenen Polis Olba stehen dabei im Mittelpunkt des<br />
Forschungsinteresses. An diesem Beispiel lässt sich das komplexe Gefüge einer<br />
Heiligtumslandschaft unter den speziellen Bedingungen eines kleinasiatischen<br />
Tempelstaates erfassen.<br />
Gadara/Umm Qais, Heiligtum am östlichen Stadteingang<br />
(C. Bührig, Orient-Abteilung)<br />
Am östlichen Stadteingang von Gadara entstand ab der 1. Hälfte des 2. bis Anfang des<br />
1. Jhs. v. Chr. ein großflächiger, künstlich eingeebneter Tempelbezirk. Er nahm das<br />
vermutlich Zeus Olympios geweihte Hauptheiligtum der Stadt auf.<br />
Während das Areal am östlichen Stadteingang als Kultplatz seit Anfang des 1. Jhs. v.<br />
Chr. eine Nutzungskontinuität aufzeigt, unterliegt das Areal selbst von hellenistischer<br />
Stand: 10/2007 129
is byzantinischer Zeit städtebaulich-kontextuell einem fortwährenden<br />
Wandlungsprozeß. Es ist zu vermuten, daß dieser Wandel mit der kultischen<br />
Bedeutung des Heiligtums interagierte, daß mithin zwischen den neu entstehenden<br />
Bauten und dem Heiligtum ein formaler und ein funktionaler Bezug bestand. Die<br />
Aufdeckung derartiger Bezüge vermag daher auch neue Einblicke in den Kult und seine<br />
Einbindung in das sich verändernde städtische Raumgefüge zu geben.<br />
Didyma: Kultabhängige Kontinuität sakraler Räume und Architektur<br />
(A. Furtwängler, Universität Halle)<br />
Das ungewöhnliche architektonische Konzept, das den großen Apollon-Tempel in<br />
Didyma kennzeichnet, ist auch in Grundzügen für die Vorgängerbauten postuliert<br />
worden. Ferner scheinen weitere hypäthrale Bauten Kleinasiens bei Tieferlegung des<br />
Adytonbereichs ähnlichen Kultvorstellungen entsprungen zu sein. Die neuen<br />
Untersuchungen an den sakralen, didymäischen Vorgängerbauten haben zahlreiche<br />
neue Aspekte sakraler Kontinuität und zeitabhängiger Architekturvorstellungen<br />
erbracht, die nur unter Berücksichtigung einer großen Anzahl von „Bausteinen“<br />
sinnfällig zu einem Ganzen gefügt werden können. Das hierbei aufgedeckte breite<br />
Fundspektrum zu erarbeiten gehört ebenso zu den notwendigen Aufgaben wie die<br />
räumliche Ausdehnung des Gesamtheiligtums im Rahmen der architektonischen<br />
Evolution zu analysieren. Der Wandel des Heiligtums in Form und Raum in<br />
spätgeometrisch - archaischer Zeit, der Stillstand im 5. Jh. und der Versuch seit dem<br />
4. Jh., ein neues ausgreifendes, um nicht zu sagen „bombastisches“ Konzept zu<br />
realisieren, entspringt vordergründig politischen Entwicklungen, wird aber in Rahmen<br />
rein kultkontinuitärer Positionen neu untersucht.<br />
Forschungsfeld 4: Votiv und Ritual<br />
Göbekli Tepe<br />
(K. Schmidt, Orient-Abteilung)<br />
Die Heiligtümer am Göbekli Tepe waren ohne Zweifel Orte für rituelle Handlungen.<br />
Welche Art und Gestalt diese besaßen, ist noch völlig ungeklärt. Überhaupt können<br />
verschiedene bei antiken Heiligtümern als gegeben anzusehende Grundlagen, daß es<br />
z.B. Götter gab, denen Opfer und Votivgaben dargebracht wurden, am Göbekli Tepe<br />
nicht ungeprüft übernommen werden. Ob die innen in den Kreisanlagen angefügten<br />
steinernen Bänke als Altäre fungierten, ob die T-Pfeiler, die als menschengestaltige<br />
steinerne Wesenheiten zu verstehen sind, Götter darstellen oder Menschen, gilt es<br />
noch zu ergründen. Erkennbar ist, daß ein fest definiertes Symbolsystem, mit<br />
Einkerbungen notiert auf steinernen Täfelchen, aber auch monumental ausgeführt auf<br />
den Reliefpfeilern des Göbekli Tepe, offenbar eine wirkungsvolle Verankerung des<br />
kulturellen Gedächtnisses dieser Gesellschaft ermöglichte.<br />
Elephantine<br />
(P. Kopp / D. Raue, Abteilung Kairo)<br />
Kaum ein Land oder eine Kultur ist in seiner Existenz derartig von einem einzelnen<br />
Naturereignis abhängig gewesen wie Ägypten von der Nilflut. Der Zeitraum vom<br />
Einsetzen der ersten Pegelerhöhung bis zur Sicherstellung der landwirtschaftlichen<br />
Grundlage des kommenden Jahres wurde landesverbindlich an der Südgrenze<br />
beobachtet – und die Beobachtungsstelle rituell ausgestaltet. Der heilige Platz hierfür<br />
ist der Tempel der Göttin Satet an einem tiefreichenden Strudelloch auf der Nilinsel<br />
Elephantine gegenüber der modernen Großstadt Assuan.<br />
Stand: 10/2007 130
Der Satettempel von Elephantine ist das einzige Heiligtum Ägyptens, das von seinen<br />
Anfängen im 4. Jt. v. Chr. bis in die römische Kaiserzeit durch eine moderne<br />
Ausgrabung vollständig dokumentiert und z. T. auch restauriert werden kann. Die<br />
Grabung konnte das 4. und 3. Jt. v. Chr. betreffend mehr als 20 Phasen der<br />
Entwicklung in einer natürlich gebildeten Felsnische feststellen. Im Anschluss hieran<br />
nimmt das zentralistische ägyptische Königtum mehr und mehr Besitz von der<br />
Kultstelle in Gestalt von Festtempeln mit steinernen Bauteilen sowie schließlich mit<br />
großen steinernen Festtempeln, die, auf höherem Niveau errichtet, den Bezug zum<br />
ursprünglichen Strudelloch verlieren. An seine Stelle treten nun gebaute Ritualräume<br />
und -installationen.<br />
Parallel zu den architektonischen Befunden innerhalb des Temenos, den zahlreichen<br />
epigraphischen Zeugnissen und den Felsinschriften der Umgebung wird die<br />
Befundsituation in idealer Weise durch das archäologische Fundgut aus den<br />
verschiedenen Nutzungshorizonten des Tempels abgerundet: Zahlreiche Votivgaben<br />
und Ritualutensilien lassen sich verschiedenen Tempelstufen zuordnen. Hier steht vor<br />
allem die Bearbeitung des Fundgutes des späten 3. und 2. Jt. v. Chr. sowie eine<br />
Auswertung der Keramikfunde aus. Damit wird die Serie der Ausstattungsgegenstände<br />
und Votivgaben von den Heiligtumsanfängen bis hin zum staatlichen Festtempel des<br />
Neuen Reiches geschlossen und einer übergeordneten Synthesebetrachtung<br />
zugänglich.<br />
Abydos<br />
(U. Effland, Abteilung Kairo)<br />
Im mittelägyptischen Abydos befindet sich die Nekropole der frühesten Könige<br />
Ägyptens. Das Grab des Königs Djer (1. Dynastie, ca. 2950 v. Chr.) wurde spätestens<br />
ab dem Mittleren Reich (um 2000 v. Chr.) als das Grab des mythischen Königs und<br />
Gottes Osiris identifiziert. Der daraus erwachsene lokale Osiriskult erfährt während der<br />
19. und 20. Dynastie einen weiteren Höhepunkt und wird während des 1.<br />
vorchristlichen Jahrtausends immer umfangreicher. Die kultischen Aktivitäten reichen<br />
bis in koptische Zeit und enden erst in der zweiten Hälfte des 5. nachchristlichen<br />
Jahrhunderts. Die in dieser Zeitspanne niedergelegten Votivgaben und die verbliebenen<br />
Ritualrelikte sind in bezug auf die Quantität (alleine ca. 8 Millionen Votivschälchen) und<br />
auf die Qualität (Totenstatuetten, Architekturfragmente, historisch und<br />
religionshistorisch relevante Texte) außergewöhnlich. Die Kombination aus<br />
archäologischen und textlichen Quellen unter Einbeziehung der topographischen<br />
Gegebenheiten ermöglichen erstmals eine Rekonstruktion des aufwendigen<br />
Kultgeschehens.<br />
Dahschur<br />
(N. Alexanian, Abteilung Kairo / FU-Berlin)<br />
Vergleiche Forschungsfeld 4.3.<br />
Die Grobkeramik von Milet IV<br />
(I. Kaiser, Abteilung Athen)<br />
Die Grobkeramik der Phase Milet IV (entspricht MM III bis SM I A/SM II), die im<br />
bronzezeitlichen milesischen Heiligtum wenig südlich des späteren Tempels der Athena<br />
gefunden wurde, weist zweierlei Besonderheiten auf: Zum einen gehören ihre Formen<br />
größtenteils dem kretisch-minoischen Formenspektrum an, zum zweiten ist die<br />
Keramik nahezu ausschließlich aus dem lokalen glimmerhaltigen milesischen Ton<br />
gefertigt. Unter den Formen, die eindeutig auf rituelles Geschehen weisen, sind<br />
konische Rhyta, wie sie vielfach aus kretischen Heiligtümern belegt sind. Des weiteren<br />
kommen sog. fireboxes vor, die möglicherweise zur Herstellung bestimmter, für den<br />
Stand: 10/2007 131
Kult relevanter Essenzen dienten und im ägäischen Raum zahlreich zutage gekommen<br />
sind. Ebenfalls aus kretischen Heiligtümern sind die Unmengen konischer Näpfe und<br />
dreibeiniger Kochtöpfe bekannt, die es für Milet sehr wahrscheinlich machen, daß die<br />
Teilnehmer am Ritual Kreter waren. Indizien für Votive fanden sich indessen unter der<br />
Grobkeramik dieser Phase nicht.<br />
Sabäische Sakralarchitektur: Gestalt, Ausstattung und Kultpraktiken<br />
(I. Gerlach – Orientabteilung, Außenstelle Sanaa)<br />
Vergleiche Forschungsfeld 4.3.<br />
Die dekorierte geometrische Keramik im Heiligtum von Kalapodi<br />
(I. Kaiser, Abteilung Athen)<br />
Die dekorierte geometrische Keramik im Heiligtum von Kalapodi bietet die Möglichkeit,<br />
das Ritualverhalten vom 10. bis zum 7. Jh. v. Chr. zu untersuchen. Die Keramik aus<br />
den geometrischen Kontexten besteht aus klein zerscherbtem Material, das sich<br />
hauptsächlich zu offenen Gefäßformen wie Skyphoi, Tassen und dergleichen<br />
rekonstruieren läßt. Ob die größeren Formen wie Dinoi und Kratere als Votive gedient<br />
haben oder ebenfalls im rituellen Zusammenhang verwendet wurden, muß die weitere<br />
Fundanalyse erbringen, die noch nicht abgeschlossen ist. Die Zusammensetzung der<br />
Kontexte besteht gleichermaßen aus lokaler Produktion wie aus Importen, bei denen<br />
Einflüsse bis nach Sizilien (Thapsosware) nachgewiesen werden können. Das Verhältnis<br />
von Importen zu lokaler Ware bedarf ebenfalls noch der Untersuchung. Die Frage nach<br />
den Benutzern oder Stiftern der Importe ist gleichfalls von Interesse, da Kalapodi als<br />
regionales Heiligtum diente.<br />
Archaischer Kultbezirk auf dem Taxiarchis in Didyma<br />
(H. Bumke, Universität Bonn)<br />
Im Jahre 2000 wurde ca. 200 m nordwestlich des Apollontempels in Didyma ein bislang<br />
unbekannter archaischer Kultplatz lokalisiert. Er befindet sich an exponierter Stelle auf<br />
einer Anhöhe (sog. Taxiarchis-Hügel) oberhalb der Heiligen Straße, die Milet mit<br />
Didyma verband. Im Verlauf der sich bis 2003 anschließenden Grabungen wurde auf<br />
geringer Fläche eine Fülle von äußerst qualitätsvollem Votivmaterial archaischer Zeit<br />
zutage gefördert, wie wir es aus Heiligtümern von überregionaler Bedeutung kennen.<br />
Offensichtlich handelt es sich hierbei um ‘Heiligtumsschutt’, der im wesentlichen drei<br />
stratifizierten Horizonten angehört, die eine Zeitspanne vom 8. bis zum Ende des 6.<br />
Jhs. v. Chr. umfassen. Das meiste Fundmaterial stammt aus einer kompakten<br />
Brandschicht, die wahrscheinlich aus der ‘Perserzerstörung’ von Didyma resultiert. In<br />
diesem Zusammenhang gilt es zu überprüfen, wie sich das Votivmaterial aus einer<br />
solchen Zerstörungsschicht – seine Verteilung und Zusammensetzung – zu dem aus<br />
intentionellen Deponierungen verhält.<br />
Bemerkenswerterweise läßt das Spektrum der Weihegaben ein besonderes Profil<br />
erkennen, das möglicherweise für eine bestimmte Klientel und die Funktion eines<br />
solchen ‘kleinen Kultbezirks’ im Umfeld des milesischen ‘Hauptheiligtums’ signifikant<br />
ist. So wird die Auswertung des Fundmaterials von der übergreifenden Frage geleitet,<br />
ob sich für die verschiedenen milesischen Heiligtümer durch eine vergleichende<br />
Untersuchung ihrer Lage und Ausstattung eine Funktionsdifferenzierung ermitteln läßt<br />
und inwieweit diese mit spezifischen Kulthandlungen verbunden werden kann.<br />
Stand: 10/2007 132
Toten- und Götterkult in Gabii und Latium 650–500 v. Chr.<br />
(G. Zuchtriegel, Abteilung Rom)<br />
Während der Urbanisierung Latiums im 7. und 6. Jh. v. Chr. kam mit den städtischen<br />
Heiligtümern eine neue Form heiligen Handelns auf. Sie wird in den Zwölf-Tafel-<br />
Gesetzen als sacra publica gegenüber den sacra privata (Toten- und Hauskulten)<br />
abgegrenzt. Einer der ältesten dieser latinischen Kultbezirke ist das Ostheiligtum von<br />
Gabii. Aufgrund der guten Erhaltungsbedingungen können hier die sacra publica in<br />
ihrer Entstehungsphase gut untersucht werden.<br />
Die Funde aus dem Ostheiligtum stammen größtenteils aus einer großen Votivgrube,<br />
die vor dem um 570 v. Chr. erbauten Tempel in den Tuff gegraben wurde. Seit seiner<br />
Ausgrabung 1976–77 wurden nur wenige Funde des Komplexes publiziert; eine<br />
Untersuchung des Gesamtspektrums steht noch aus. Sie soll klären, wie Rituale und<br />
heilige Orte im 7. und 6. Jh. v. Chr. aussahen: Wie setzte sich das Ensemble der<br />
Weihgaben zusammen und worin unterschied es sich von dem der Nekropolen, die<br />
noch im 7. Jh. als Hauptschauplätze kultischer Niederlegungen fungierten? Welche<br />
Rolle spielt Bankett- und Symposionskeramik und welche die speziell für kultische<br />
Zwecke gefertigte Keramik, wie beispielsweise Miniatur- und Libationsgefäße? Neben<br />
dem Beginn des Kultes und dessen Beziehungen zu etruskischen und griechischen<br />
Vorbildern steht seine Erscheinungs- und Ausdrucksform in archaischer Zeit im<br />
Mittelpunkt.<br />
Entwicklung und Funktion eines suburbanen Kultes am Beispiel des<br />
Heiligtums von Kako Plaï auf dem Anavlochos (Kreta)<br />
(O. Pilz – M. Krumme, Abteilung Athen/Zentrale)<br />
Die Genese der suburbanen Kultplätze unterliegt nicht nur den allgemeinen<br />
Veränderungen in der Kult- und Weihpraxis, sondern vollzieht sich darüber hinaus in<br />
enger Wechselwirkung mit der Entwicklung der Siedlung oder polis, zu der das<br />
jeweilige Heiligtum gehörte. Am Beispiel einer geometrisch-archaischen Siedlung auf<br />
dem Anavlochos und des zugehörigen suburbanen Heiligtums von Kako Plaï soll<br />
untersucht werden, welche konkrete Funktion dieser Kult erfüllt hat und welche<br />
Rückschlüsse sich möglicherweise aus dem Votivmaterial auf die sozialen Strukturen<br />
innerhalb der Siedlung ziehen lassen. Durch eine ikonographische und quantitative<br />
Analyse der figürlichen Terrakotten, die das Gros der erhaltenen Weihgaben bilden,<br />
sollen der Charakter des Kultes sowie die Intensität der Nutzung des Heiligtums<br />
genauer bestimmt werden. Zusätzliche Hinweise liefert die Keramik, die im<br />
Votivmaterial allerdings nur in verhältnismäßig geringem Umfang vertreten ist.<br />
Milet – Das Heiligtum der Aphrodite auf dem Zeytin Tepe<br />
(V. von Graeve - I. Panteleon, Ruhr-Universität Bochum)<br />
Das 1989 zufällig aufgefundene und seitdem kontinuierlich erforschte Heiligtum der<br />
Aphrodite von Oikous ist ein bedeutendes, sicher bezeugtes Heiligtum von<br />
internationaler Bedeutung. Die bisherigen Grabungsergebnisse zeigen, dass das<br />
Heiligtum seinen Höhepunkt in der archaischen Zeit hatte, daneben treten aber auch<br />
Belege für eine Kontinuität des Aphroditekultes an diesem Ort bis in die spätere<br />
römische Kaiserzeit. Die Grabung am Zeytin Tepe ist programmatisch eingebunden in<br />
den größeren Zusammenhang der Erforschung des archaischen Milets. Im Rahmen des<br />
Forschungsclusters soll das Schicksal der im Heiligtum befindlichen Votivgaben im<br />
Zuge einer weitreichenden Umgestaltung des Areals im ausgehenden 6. Jh. v. Chr.,<br />
sowie der Wandel des Kultes nach der Zäsur durch die persische Zerstörung Milets 494<br />
v. Chr. untersucht werden.<br />
Stand: 10/2007 133
Gürtel, Diademe und Schmuckbleche: Geometrische Votivgaben in Olympia<br />
(Susanne Bocher, Abteilung Athen)<br />
Aus dem großen Spektrum an frühen Weihgaben in Olympia sollen hier die Gürtel,<br />
Diademe und Schmuckbleche untersucht werden. Auffällig ist hierbei, daß der Großteil<br />
der Objekte intentionell unbrauchbar gemacht wurde und überwiegend aus der<br />
sogenannten ‚schwarzen Schicht’ stammt, die mit Kult- bzw. Opferresten einer<br />
Altarstätte in Verbindung zu bringen ist.<br />
Einen Schwerpunkt stellt außerdem die regionale Einordnung der Objekte dar. Anhand<br />
der Herkunft der Weihgaben kann die lokale und überregionale Bedeutung des<br />
Heiligtums von Olympia in seiner Frühzeit untersucht werden. Bemerkenswert ist<br />
hierbei, daß neben lokal hergestellten Weihgaben, die ähnlich auch in benachbarten<br />
Heiligtümern auf der Peloponnes gefunden wurden, viele Votive aus Regionen des<br />
nördlichen und östlichen Balkans stammen.<br />
Artemisheiligtum von Olympia<br />
(J. Heiden, Abteilung Athen)<br />
Im Südosten Olympias wurde ein spätarchaischer Altar und sein frühkaiserzeitlicher<br />
Nachfolgebau zwischen 1962 und 1964 von Emil Kunze ausgegraben. Es handelt sich<br />
um einen der wenigen geschlossenen Befunde im Zeusheiligtum. Eine Inschrift auf<br />
dem Altar belegt neben einer Beschreibung von Pausanias, daß es sich um das<br />
Artemisheiligtum handelt. Der Altar war von einer Opferschicht umgeben, die nicht nur<br />
zahlreiche tönerne und bronzene Weihgaben enthält, die zum Teil noch in situ auf dem<br />
Altar lagen. In der Opferschicht wurden außerdem viele Knochen der Opfertiere<br />
gefunden, die während der Artemisfeste geschlachtet wurden. Eine Analyse der bei<br />
einer Nachgrabung 2002 gefundenen Knochen ergab hochinteressante Einzelheiten<br />
über das Opferritual am Altar.<br />
Olympia - Diachrone Analyse des Votivspektrums<br />
(H. Frielinghaus, Universität Regensburg)<br />
Dank günstiger Lagerungsbedingungen hat sich in Olympia eine große Zahl von<br />
Weihgeschenken erhalten, die innerhalb des weiten Zeitrahmens von der<br />
protogeometrischen Epoche bis zur römischen Kaiserzeit entstand. Auch wenn die<br />
archäologischen Befunde nur von wenigen Schriftquellen ergänzt werden, bietet sich<br />
hier eine hervorragende Möglichkeit, die Entwicklung der Kultstätte wie auch<br />
Veränderungen des Weihverhaltens zu untersuchen. Im Rahmen des Projektes soll die<br />
Bandbreite der olympischen Votive wie auch die Quantität der einzelnen<br />
Weihgeschenkgattungen erfasst und in ihrer Entwicklung über die Jahrhunderte<br />
verfolgt werden. Soweit möglich wird auch die Herkunft der Votive in die Untersuchung<br />
einbezogen; einen weiteren Punkt der Analyse bietet die Auswertung der spärlichen<br />
Hinweise auf Stifter und Anlaß der Weihungen.<br />
Die rotfigurige Keramik von Olympia<br />
(M. Bentz, Universität Bonn)<br />
Thema ist die Funktion von bemalter „Luxus“-Keramik im Heiligtum. Zunächst wird die<br />
bislang unbearbeitete attische und elische rotfigurige Keramik erfaßt und ausgewertet.<br />
Unter Berücksichtigung der Chronologie, der Formen, der Bilder auf den Gefäßen und<br />
der Fundkontexte sowie unter Einbeziehung aller anderen bemalten Gattungen sollen<br />
die möglichen Verwendungsarten geklärt werden: 1. als Weihgeschenk, 2. Verwendung<br />
im Kult, 3. als Geschirr bei kultischen Mahlzeiten, 4. profane Verwendung durch<br />
Besucher außerhalb religiöser Rituale. Es deutet sich an, daß – anders als in anderen<br />
Heiligtümern – vor allem die beiden letztgenannten Möglichkeiten vorherrschen.<br />
Stand: 10/2007 134
Intentionelle Niederlegungen in Großgriechenland und Sizilien<br />
(S. Helas, Abteilung Rom)<br />
Anliegen dieses Projekts ist es, unter dem Aspekt der intentionellen Niederlegungen<br />
einen tieferen Einblick in die religiösen Vorstellungen der archaischen Zeit zu<br />
gewinnen. Besondere Alltagsgegenstände sowie Schmuck und Waffen konnten durch<br />
Zerstören, Vergraben oder Verbergen der antiken Lebenswelt dauerhaft entzogen<br />
werden. Nach einer Zusammenstellung aussagekräftiger Befunde und absichtlich<br />
unbrauchbar gemachter Objekte gilt es, mit Hilfe dieser archäologischen Quellen so<br />
weit wie möglich rituelle Handlungsabläufe zu rekonstruieren. Es sollen sowohl<br />
intentionelle Niederlegungen in Heiligtümern als auch solche in Wohngebieten in den<br />
Blick genommen und verglichen werden. Anschließend ist zu fragen, welche Absichten<br />
diesen Verhaltensweisen zu Grunde lagen.<br />
Votivpraxis im hellenistischen und kuschanzeitlichen Baktrien<br />
(G. Lindström, Eurasienabteilung)<br />
Seit den 1960er Jahren wurden im antiken Baktrien (Zentralasien) mehrere Tempel<br />
aus hellenistischer Zeit und der anschließenden Kuschanzeit ausgegraben. Ob dort<br />
griechische, iranisch-baktrische oder synkretistische Gottheiten verehrt wurden und<br />
nach welchen Mustern der Kult in diesem Randgebiet der hellenistischen Welt ausgeübt<br />
wurde, konnte bisher nicht geklärt werden. Eine systematische und vergleichende<br />
Untersuchung der in diesen Heiligtümern gefundenen Votive ist deshalb von großem<br />
religionsgeschichtlichem Interesse. Orientierten sich die Weihsitten des 3. und 2. Jhs.<br />
v. Chr. an griechischen oder iranischen Traditionen? Und spiegelt sich der für andere<br />
Aspekte der Kultur nachgewiesene griechische Einfluss auch in der Votivpraxis wider?<br />
Außerdem wird die Entwicklung der Weihegebräuche bis zum Ende des 3. Jhs. n. Chr.<br />
untersucht. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie sich die Invasion Baktriens<br />
durch nomadische Stämme um 130 v. Chr. auf die religiösen Vorstellungen ausgewirkt<br />
hat. Das Ziel ist es, am Beispiel der Votivpraxis die Ausprägung der griechischorientalischen<br />
Mischkultur in Baktrien zu beleuchten und ihre Transformation unter<br />
nomadischem Einfluss zu verfolgen.<br />
Der Kultplatz von Yalakbaşı<br />
(B. Stark, Universität Wien – M. Wörrle, AEK)<br />
Das Bergland des Bonda tepesi trennt die Küstenebenen von Myra und Limyra im<br />
südöstlichen Lykien. Das heute vereinsamte und schwer zugängliche Gebiet erwiesen<br />
Surveys von A. Konecny und Th. Marksteiner als in der Antike mit Einzelgehöften und<br />
stattlichen Dörfern dicht besiedelten Kulturraum. Am antiken Aufweg liegt das<br />
Trümmerfeld von Yalakbaşı, in dem die Inschriften das Heiligtum eines bislang<br />
unbekannten Gottes erkennen ließen. Sein epichorischer Name, weist in die luwische<br />
Frühgeschichte des Landes, während die bislang zugänglichen Reste des Kultplatzes<br />
nicht über die späthellenistische Zeit zurückzureichen scheinen. Er besteht aus einem<br />
umfangreichen, wohl in byzantinischer Zeit zerstörten Ensemble von Votivstelen, -<br />
pfeilern und -altären, viele davon ungewöhnlich monumental und auf aufwendigen<br />
Sockeln präsentiert. Ein derartiges Temenos unter freiem Himmel und in freier<br />
Landschaft ist in Lykien bisher einzigartig und dürfte mit seiner vollständigen Erhaltung<br />
von erheblichem religionsgeschichtlichen Interesse sein.<br />
Die Romanisierung einheimischer Heiligtümer im Westen der Iberischen<br />
Halbinsel<br />
(T. G. Schattner, Abteilung Madrid)<br />
Vergleiche Forschungsfeld 4.1.<br />
Stand: 10/2007 135
ARBEITSPROGRAMM UND VERANSTALTUNGEN<br />
2006<br />
29.3.–18.6.2006<br />
Ausstellung im Deutschen Hirtenmuseum "Der heilige Mammas- Schutzpatron der<br />
Hirten und Herden"<br />
(Kooperation Jutta Stroszeck, <strong>Deutsches</strong> Hirtenmuseum, Volker Scheunert, M.A.)<br />
2007<br />
Sommer 2006 bis Sommer 2007<br />
Inhaltliche Präzisierung des Forschungsprogramms innerhalb der aktiv teilnehmenden<br />
Unternehmungen. Ausrichtung laufender Feldforschungen auf die Fragestellungen des<br />
Clusters.<br />
26.–27. März 2007<br />
Konstituierendes Kolloquium des Forschungsclusters<br />
Ort: <strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> Athen<br />
(Ansprechpartner: Margarete van Ess, Wolf-Dietrich Niemeier, Dietrich Raue, Reinhard<br />
Senff)<br />
8. Juni 2007<br />
Arbeitstreffen des Forschungsfeldes 2 „Ende und Neubeginn“<br />
Ort: <strong>Institut</strong> für Klassische Altertumswissenschaften (Robertinum) der Martin-Luther-<br />
Universität Halle-Wittenberg<br />
(Ansprechpartner: Stefan Lehmann)<br />
22. Juni 2007<br />
Arbeitstreffen des Forschungsfelds 4 „Votiv und Ritual“<br />
Ort: Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> Berlin, Wiegandhaus – Gartensaal<br />
(Ansprechpartner: Gunvor Lindström, Dietrich Raue, Thomas Schattner)<br />
2008<br />
12. Januar 2008<br />
Arbeitstreffen des Forschungsfelds 3 „Gestalteter Raum“<br />
Ort: <strong>Deutsches</strong> <strong>Archäologisches</strong> <strong>Institut</strong> Berlin – Orientabteilung<br />
(Ansprechpartner: Nils Hellner)<br />
29. September – 2. Oktober 2008<br />
Beteiligung Forschungsfeld 4-4 an der Konferenz „Ritual Dynamics and the Science of<br />
Ritual“ in Heidelberg<br />
Zweite Hälfte November 2008<br />
Tagung des Clusters 4.2 „Spolisierung und Spolienverwendung in Kultorten“<br />
Die Tagung stellt „Spolisierung und Spolienverwendung“ als archäologisch und<br />
historisch zu untersuchendes antikes Phänomen in den Mittelpunkt. Neuere<br />
Forschungen zu Umnutzung, Weiterverwendung und Zerstörung traditioneller Bauten<br />
und Weihgeschenke haben auf die große Bedeutung von Spolien und Spolisierung für<br />
das bessere Verständnis von Ende und Nachleben in der Antike aufmerksam gemacht.<br />
Zwischen der planvollen Umnutzung von Bauten und dem bloßen Recycling antiker<br />
Baumaterialien gibt es eine Fülle von Zwischenformen, in denen Werke der antiken<br />
Architektur als Ganzes oder in Teilen überdauerten oder vernichtet wurden. Bedeutete<br />
solch ein Umgang mit traditionellen Monumenten prima facie zwar Zerstörung,<br />
Stand: 10/2007 136
zumindest der durch sie gestifteten Funktionen und der gestalteten öffentlichen<br />
Räume, so bot die Weiterverwendung und Umnutzung solcher identitätsrelevanter<br />
Bauten doch auch Bewahrungschancen und neue Gestaltungsmöglichkeiten, wurden<br />
die betroffenen Gebäude der zerstörerischen Verwertung doch entzogen. So<br />
überdauerten etwa Tempel als Verwaltungsbauten und später auch Kirchen oder<br />
Heiligtümer als Domänen. Dieses vor allem für die Spätantike geläufige, historisch<br />
bedeutsame und folgenreiche archäologische Überlieferungsproblem wurde noch nicht<br />
übergreifend behandelt. Daher sollen in der ‚kleinen Tagung’ mit etwa 10-12<br />
Referenten typische Verläufe der Überführung und Verwertung des traditionellen<br />
antiken Erbes für die Zeit zwischen dem 4. Jh. v. Chr und 7. Jh. n. Chr. exemplarisch<br />
behandelt und diskutiert werden.<br />
Ort:<br />
Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik<br />
Amalienstraße 73b<br />
80799 München<br />
Ansprechpartner und Anmeldung:<br />
PD Dr. Stefan Lehmann<br />
PD Dr. Rudolf Haensch<br />
2009<br />
Mitte Januar 2009<br />
Kolloquium aller Forschungsfelder des Themenclusters in Kairo.<br />
Stand: 10/2007 137
Forschungscluster 5<br />
GESCHICHTE DES DEUTSCHEN ARCHÄOLOGISCHEN<br />
INSTITUTS IM 20. JAHRHUNDERT<br />
Sprecher: O. Dally, C. Jansen, M. Linder<br />
Stand 3/2008<br />
1. Einleitung und Ziele<br />
2. Wichtige Literatur zur Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert<br />
3. Einzelne Projekte<br />
3. 1. Uta Dirschedl (DAI-Archiv)/Monika Linder (DAI-Bibliothek): Erfassung und<br />
Erschließung der Bestände des DAI-Archivs<br />
3. 2. Christian Jansen: Archäologie und Politik. Das Deutsche Archäologische<br />
<strong>Institut</strong> zwischen Wissenschaft, Zeitgeist und auswärtiger Kulturpolitik<br />
1900–1980<br />
3. 3. Frederick Jagust: Die Zentrale des DAI in Berlin – Entscheidungsprozesse und<br />
Finanzstrukturen von der Zwischen- zur Nachkriegszeit (1929–1979)<br />
3. 4. Marie Vigener: Archäologie und Öffentlichkeit – Das Deutsche Archäologische<br />
<strong>Institut</strong> in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1929–1979)<br />
3. 5. Susanne Voss: Geschichte des DAI-Kairo von 1907–1979<br />
4. Weitere, mit Cluster 5 verbundene Projekte<br />
Cluster 5 unterscheidet sich in mancher Hinsicht von den übrigen Forschungsclustern: Er<br />
ist vom finanziellen Einsatz und von der Zahl der beteiligten ForscherInnen der kleinste<br />
Cluster. Ein weiteres Spezifikum ist die Zusammenarbeit von Archäologen und<br />
Zeithistorikern. Schließlich hat er eine gestaffelte Struktur: im Zentrum steht ein kleiner,<br />
wissenschaftsgeschichtlicher Forschungsverbund in Berlin, der eng mit den<br />
Erschließungsarbeiten im Archiv zusammenarbeitet und mit den diversen Cluster 5-<br />
Projekten in den Abteilungen locker kooperiert.<br />
1. Einleitung und Ziele<br />
Fragen nach der NS-Vergangenheit heute hoch angesehener <strong>Institut</strong>ionen werden in der<br />
Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit und nicht nachlassendem Interesse verfolgt.<br />
Das <strong>Institut</strong> ist sich der Tatsache bewusst, dass seine Geschichte während der NS-Zeit<br />
trotz einiger Studien (z. B. von Klaus Junker) noch nicht in befriedigendem Maße<br />
aufgearbeitet ist, was verschiedene Gründe hat. Das für die Zeit bedeutsame<br />
Archivmaterial ist noch keinesfalls vollständig ausgewertet, ja nicht einmal erfasst.<br />
Wichtige, bislang nicht gesichtete Akten sind im Archiv des Auswärtigen Amts, im<br />
Bundesarchiv Berlin, im Landesarchiv Berlin und anderen Archiven zu erwarten. Auch die<br />
Bestände des DAI-Archivs sind noch keineswegs systematisch erfasst, geschweige denn<br />
ausgewertet. Außerdem gibt es Hinweise auf heute in Russland befindliche Dokumente<br />
aus dem Bestand des DAI, die offenbar nach Ende des Krieges dorthin verbracht wurden.<br />
Während die Geschichte des DAI bisher, meist im Zusammenhang mit <strong>Institut</strong>sjubiläen,<br />
von wissenschaftsgeschichtlich engagierten Archäologen geschrieben wurde, wurde die<br />
Federführung bei der Untersuchung der Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert im<br />
Rahmen von Cluster 5 mit Prof. Dr. Christian Jansen einem wissenschafts- und<br />
138
universitätsgeschichtlich ausgewiesenen Neuhistoriker übertragen und auch weitere<br />
Forschungsaufträge in erster Linie an Zeit- und Wissenschaftshistoriker vergeben. Dies<br />
geschah aus zweierlei Gründen: Erstens verfügen nur Fachhistoriker über die nötigen<br />
Spezialkenntnisse, die für den kompetenten Umgang mit der schwierigen Akten- und<br />
Quellensituation unerlässlich sind. Zweitens muss eine Gesamtdarstellung der<br />
<strong>Institut</strong>sgeschichte im Kontext der Politik-, Wissenschafts-, <strong>Institut</strong>ionen-, Rechts-,<br />
Ideen-, Mentalitäts- und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben werden.<br />
Auch wenn das Ausgangsinteresse für die Beschäftigung mit der Geschichte des DAI die<br />
NS-Zeit betreffen mag, empfiehlt es sich aus verschiedenen Gründen, den Fokus der<br />
Erforschung zu weiten. Dabei scheint der Zeitraum vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis<br />
etwa 1980 sinnvoll. Die Studie sollte also in der ausgehenden Kaiserzeit beginnen und<br />
mit der 150-Jahr-Feier und der damit verbundenen Gründung der Kommission für<br />
Allgemeine und Vergleichende Archäologie in Bonn (heute Kommission für Archäologie<br />
Außereuropäischer Kulturen) im Jahre 1979 enden, die für die Arbeit des <strong>Institut</strong>s den<br />
letzten Schritt hin zu einer globalen, weltumspannenden archäologischen Forschung<br />
bedeutete. Diese Ausweitung des Betrachtungszeitraums ist notwendig, weil die aktuelle<br />
Zeitgeschichts- und insbesondere NS-Forschung keine Stunde Null mehr kennt. Sie<br />
ordnet vielmehr – mit hohem wissenschaftlichem Ertrag – das Dritte Reich in die<br />
Kontinuität der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein und kann gerade dadurch<br />
sowohl die unbestreitbaren Brüche als auch Kontinuitäten präziser herausarbeiten.<br />
Insofern sollte auch in Bezug auf das DAI die NS-Zeit nicht isoliert betrachtet werden.<br />
Vielmehr gilt es, die Arbeit des DAI in die längerfristigen politischen Entwicklungen und<br />
Trends der Forschung einzuordnen und vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen und<br />
politischen Kontextes zu analysieren.<br />
Angestrebt wird eine von einem Zeithistoriker verfasste integrierte Gesamtdarstellung<br />
der <strong>Institut</strong>sgeschichte von 1900–1979, die etwa 2010 abgeschlossen sein soll, und von<br />
zwei Dissertationen zu speziellen Aspekten sowie von diversen Projekten zur Geschichte<br />
der Auslandsabteilungen flankiert werden wird (s. u. „Einzelne Projekte“). Weitere<br />
Aspekte lassen sich in begleitenden Workshops und Kolloquien vertiefen, die<br />
anschließend ebenfalls veröffentlicht werden könnten.<br />
Ein Vorbild für die Untersuchung der Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert kann die im<br />
Auftrag der Max Planck-Gesellschaft durchgeführte und abgeschlossene Untersuchung zur<br />
Geschichte der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft im Dritten Reich sein (vgl.<br />
http://www.mpiwg-berlin.mpg.de/KWG/publications.htm). Auch die DFG lässt seit<br />
einigen Jahren ihre Geschichte zwischen 1920 und 1970 von unabhängigen<br />
Wissenschaftshistorikern erarbeiten, die ihre Forschungspolitik während der NS-Zeit in<br />
die längerfristigen Trends von allgemeiner Politik und Forschung einordnen soll (vgl.<br />
http://www.histsem.uni-freiburg.de/DFG-Geschichte/). Ähnlich angelegte Vorhaben<br />
wurden in jüngster Zeit begonnen. So ist auf Beschluss des Akademischen Senats der<br />
Humboldt-Universität 2002 eine Arbeitsgruppe beauftragt worden, sich mit der Rolle der<br />
Berliner Universität in der NS-Zeit zu befassen (vgl. http://ns-zeit.geschichte.huberlin.de/).<br />
Und nicht zuletzt sei hier erwähnt, dass das Auswärtige Amt, zu dessen<br />
Geschäftsbereich das DAI gehört, eine Historikerkommission eingesetzt hat, um seine<br />
Geschichte während des Dritten Reichs entsprechend zu untersuchen (vgl.<br />
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/AAmt/Geschichte/Historikerkommission.html).<br />
Eine entsprechende Studie über das DAI wäre also nicht nur um der Sache selbst willen<br />
wünschenswert und könnte auf starkes Interesse stoßen, sondern die Entwicklungen<br />
innerhalb des Archäologischen <strong>Institut</strong>s lassen sich mit Hilfe der vielfältigen neueren<br />
Forschung besonders präzise historisch einordnen. Allerdings hat das Cluster 5-Projekt<br />
finanziell und personell einen weit bescheideneren Zuschnitt als die anderen genannten<br />
Forschungsvorhaben.<br />
Alle Cluster 5-Projekte sollen in enger Abstimmung mit einem Beirat aus Zeithistorikern<br />
und forschungsgeschichtlich arbeitenden Archäologen durchgeführt werden. Diesem<br />
139
wissenschaftlichen Beirat zum Projekt „Geschichte des DAI im 20. Jahrhundert“ gehören<br />
folgende Archäologen und Zeithistoriker an:<br />
A. Borbein, G. Brands, R. vom Bruch, O. Dally, N. Frei, S. Hansen, H. Hassmann, C.<br />
Jansen, K. Junker, M. Maischberger, H. Parzinger (Vorsitz) und S. von Schnurbein.<br />
2. Literatur<br />
- Altekamp, Stefan: Klassische Archäologie und Nationalsozialismus, in: Elvert,<br />
Jürgen (Hg.): Kulturwissenschaften und Archäologie, Stuttgart: Erscheinen nicht<br />
absehbar; Volltext unter: http://edoc.huberlin.de/oa/bookchapters/reD5IMz1lbPVM/PDF/291OSMHgfjGYo.pdf<br />
- Bittel, Kurt u. a. (Hg.): Beiträge zur Geschichte des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s 1929 bis 1979, Teil 1. Mainz 1979. Dieser Band behandelt die<br />
Auslandsabteilungen des DAI; ein geplanter zweiter Band über die Zentrale ist nie<br />
erschienen.<br />
- Dally, Ortwin: Geschichte und Entwicklung des Deutschen Archäologischen<br />
<strong>Institut</strong>s, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologen-Verbandes 36 (2005), S.<br />
39–51.<br />
- Jansen, Christian: The German Archaeological <strong>Institut</strong>e (DAI) between<br />
Transnational Scholarship and Foreign Cultural Policy, in: Fragmenta 2 (2008).<br />
- Junker, Klaus: Das Archäologische <strong>Institut</strong> des Deutschen Reiches zwischen<br />
Forschung und Politik. Die Jahre 1929 bis 1945. Mainz 1997.<br />
- Meyer, Hans: Der Rechtsstatus des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s.<br />
Rechtsgutachten, in: Archäologischer Anzeiger 2004/2, S. 155–220.<br />
- Parzinger, Hermann: Die Staatlichen Museen zu Berlin und das Deutsche<br />
Archäologische <strong>Institut</strong>. Rückblick und Ausblick, in: Andrea Bärnreuther/Peter-<br />
Klaus Schuster (Hg.): Freistätte für Kunst und Wissenschaft. Die Staatlichen<br />
Museen zu Berlin als Forschungseinrichtung. Berlin 2007, S. 36–43.<br />
- Rieche, Anita (Hg.): Die Satzungen des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s<br />
1828-1972. Mainz 1979.<br />
3. Einzelne Projekte<br />
3. 1. Uta Dirschedl (DAI-Archiv)/Monika Linder (DAI-Bibliothek)<br />
Erfassung und Erschließung der Bestände des DAI-Archivs<br />
Grundlage für die geplante neue Aufarbeitung der Geschichte des DAI im 20. Jh. im<br />
Rahmen des Clusters 5 sind die außerordentlich umfangreichen und vielfältigen<br />
Materialien in den Archiven der Zentrale sowie den Abteilungen und Kommissionen des<br />
DAI.<br />
Das zum 100. <strong>Institut</strong>sjubiläum im Jahre 1929 als „Archiv zur Geschichte der<br />
Archäologie“ gegründete, besonders bedeutende Archiv der Zentrale beinhaltet ca. 250<br />
Nachlässe von Altertumsforschern (Klassischen und Vorderasiatischen Archäologen,<br />
Prähistorikern, Bauforschern und Ägyptologen) im Umfang von ca. 850 Archivkästen/150<br />
lfm. mit mehr als 25 000 Gelehrtenbriefen, Tagebüchern, Manuskripten, Zeichnungen,<br />
Photos etc. (vgl. Zentrale Berlin – Archiv: ‚Beständeübersicht’), spezifische Materialien<br />
zur <strong>Institut</strong>sgeschichte, ihren Statuten, Jubiläen und Kongressen, die umfangreiche<br />
Altregistratur (Akten) des <strong>Institut</strong>s im Umfang von ca. 100 lfm. (wegen Kriegsverlusten<br />
erst seit den 40er Jahren vollständig) sowie eine Biographica-Sammlung zu Mitgliedern<br />
und Reisestipendiaten des <strong>Institut</strong>s.<br />
Die wissenschaftlichen Nachlässe mit dem Schwerpunkt Autographen standen wegen<br />
ihrer kaum zu überschätzenden Bedeutung für die Wissenschafts-, Grabungs- und<br />
Personengeschichte der Altertumswissenschaften seit fast achtzig Jahren im Mittelpunkt<br />
des Interesses und sind in großen Teilen vergleichsweise gut erschlossen, d. h. zu älteren<br />
140
Nachlässen liegen maschinenschriftliche Verzeichnisse verschiedener Erschließungstiefe<br />
vor, zu in jüngerer Zeit hinzugekommenen Nachlässen gibt es elektronisch verwaltete<br />
Verzeichnisse/Findbücher. Ein großer Teil der Gelehrtenbriefe ist durch ein von Hertha<br />
Simon verfasstes, 1973 erschienenes gedrucktes Briefverzeichnis erfasst und Tausende<br />
der Briefe sind in sog. Regesten sogar inhaltlich grob erschlossen.<br />
Gänzlich unerschlossen waren dagegen bislang die so umfang- wie aufschlussreichen<br />
Akten der Altregistratur, die für die Erforschung der Geschichte des <strong>Institut</strong>s im Rahmen<br />
von Cluster 5 eine außerordentlich wichtige Rolle spielen und eingehender Sichtungs- und<br />
Erschließungsarbeiten bedürfen, um einen Überblick über die Fülle der Akten zu<br />
bekommen, einen gezielten Zugriff auf die für die Forschungsarbeiten relevanten Akten<br />
zu ermöglichen und eine möglichst vollständige Auswertung gewährleisten zu können.<br />
Das Hauptaugenmerk der laufenden Arbeiten im Archiv bei der Bearbeitung der bislang<br />
noch gänzlich unerschlossenen Bestände der ‚Altregistratur’ liegt auf den ca. 15 lfm.<br />
umfassenden, kriegsbedingt z. T. stark beschädigten (Granatsplitterdurchschüsse) und<br />
aufgrund von schlechter Papierqualität und Alter gefährdeten (versäuerten und<br />
verbräunten) Akten der NS-Zeit. Zumal bei der Beschäftigung mit der <strong>Institut</strong>sgeschichte<br />
des 20. Jhs. diese Zeitspanne von besonderem Interesse ist, auf der auch in den beiden<br />
Dissertationen von F. Jagust und M. Vigener sowie in dem biographisch angelegten<br />
Publikationsprojekt von M. Maischberger und G. Brands ein Schwerpunkt liegt. Im<br />
Mittelpunkt stehen hierbei Materialien des Präsidialbüros, Korrespondenzen mit den<br />
Abteilungen und Kommissionen, Protokolle der ZD und Sitzungsberichte, die vor allem in<br />
die Zeit der Präsidentschaft von Theodor Wiegand (1932–1936) und Martin Schede<br />
(1937–1945) fallen.<br />
Betreut und beraten werden bei ihren Recherchen im Archiv der Zentrale sowohl die<br />
Historiker und die Mitarbeiter des Clusters 5 in den Auslandsabteilungen (z. B. Rom,<br />
Kairo, Madrid) als auch die Autoren des Projekts „Lebensbilder“ durch die Referentin des<br />
Archivs, U. Dirschedl. Diese koordiniert auch die beiden dem Historikerteam mit<br />
Ordnungs-, Sichtungs-, Kopier- und Scann-Arbeiten zuarbeitenden studentischen<br />
Hilfskräfte, S. Oaie und P. Wodtke.<br />
Neben der listenmäßigen Erfassung der relevanten Akten, der Zusammenstellung von<br />
Personenverzeichnissen mit bei der Recherche ständig benötigten biographischen Daten<br />
sowie dem elektronischen Erfassen der bislang nur maschinenschriftlich vorliegenden<br />
Regesten zu den Gelehrtenbriefen in den Nachlässen (z. B. Wiegand) sowie diverser<br />
Verzeichnisse wird derzeit ein in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten erarbeitetes<br />
Konzept zur möglichst raschen und unkomplizierten elektronischen Kurzerfassung der<br />
Aktenbestände erprobt und umgesetzt. Die dafür unerlässliche Definition von<br />
‚Kernfeldern’ für diese Datenerfassung wurde im größeren Rahmen diskutiert.<br />
Die Tätigkeiten im Archiv der Zentrale für Cluster 5 reihen sich in die Arbeiten bezüglich<br />
der Bestandaufnahme, Aufarbeitung und Erfassung sämtlicher Archive des DAI ein, die<br />
vom Referat Bibliotheken und Archive (M. Linder) koordiniert werden. Für die<br />
Bestandsaufnahme wurden Aufstellungen der Archivmaterialien der einzelnen<br />
Abteilungen erarbeitet, die sich grob in drei Segmente aufteilen lassen: Nachlässe und<br />
Autographen, Altregistraturen und Grabungsarchive. Vor allem die beiden ersten<br />
Segmente enthalten nach einer ersten Durchsicht interessante Materialien für Cluster 5,<br />
die z. T. von den einzelnen Abteilungen bearbeitet werden und für die Erschließungsdaten<br />
partiell vorliegen, meist in hand- oder maschinenschriftlicher Form. Ziel ist für das<br />
gesamte DAI die einheitliche, den spezifischen alltäglichen Erfordernissen der DAI-<br />
Archive entsprechende, nachhaltige elektronische Erschließung der Archivdaten sowie,<br />
soweit sinnvoll und möglich, die Verknüpfung mit anderen Daten des <strong>Institut</strong>s. Hierfür<br />
laufen derzeit Tests und Evaluierungen. Darüber hinaus wird ein Konzept für die dringend<br />
notwendige Bestandserhaltung erarbeitet.<br />
Durch die intensivierte Arbeit mit den Archivmaterialien kommt die Fülle der darin<br />
enthaltenen Informationen mehr denn je zur Geltung. Dies wird verstärkt durch den<br />
141
kontinuierlichen Austausch an Informationen unter den Wissenschaftlern, die in Cluster 5<br />
oder den angrenzenden Projekten mitarbeiten, so dass der Wissenstransfer auf diesem<br />
Gebiet ständig wächst.<br />
3. 2. Christian Jansen<br />
Archäologie und Politik. Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> zwischen<br />
Wissenschaft, Zeitgeist und auswärtiger Kulturpolitik 1900–1980<br />
Im Mittelpunkt der Darstellung sollen zwei Aspekte stehen: (1) die Entwicklung des DAI<br />
als transnationale und transdisziplinäre <strong>Institut</strong>ion und (2) die Politik des <strong>Institut</strong>s unter<br />
den wechselnden politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Dabei<br />
soll zwar ein besonderes Gewicht auf die NS-Zeit gelegt, diese jedoch nicht isoliert<br />
werden. Die institutionelle Entwicklung des DAI und die Politik seiner Führungsgremien<br />
sollen vielmehr im Laufe des ganzen 20. Jahrhunderts (bis 1979) kontinuierlich und vor<br />
dem Hintergrund ihres wissenschaftlichen und politischen Kontextes untersucht werden.<br />
ad (1): Angesichts der allgemeinen Ausdifferenzierung der Wissenschaften im 20.<br />
Jahrhundert ist es ein bemerkenswertes Spezifikum der institutionellen Entwicklung des<br />
DAI, dass es sich trotz der Ausdifferenzierung, die auch in den archäologischen<br />
Wissenschaften zu beobachten ist, als außerordentlich integrativ erwiesen hat. Um dies<br />
zu erforschen, sollen die Erweiterung der Zuständigkeit des DAI von der klassischen<br />
Archäologie bis heute zu weltweiter archäologischer Forschung sowie die immer größere<br />
räumliche und inhaltliche Spannweite der Auslandsabteilungen und Außenstellen einen<br />
Erzählstrang in dem geplanten Buch bilden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die<br />
Gründungsgeschichte der verschiedenen Abteilungen gerichtet.<br />
Das von seiner Gründung in Rom (1829) über die Gründung der ersten Auslandsabteilung<br />
in Athen (1874) ganz auf klassische Archäologie ausgerichtete <strong>Institut</strong> besetzte zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts mit der Gründung der „Römisch-Germanischen Kommission“ in<br />
Frankfurt/M. auch das Feld der „vaterländischen Archäologie“, das bis dahin die Domäne<br />
von Amateuren gewesen war und auf dem die RGK nun wissenschaftliche Standards<br />
durchsetzen sollte. Zwar wurde mit der provinzialrömischen Archäologie zunächst nur das<br />
der klassischen am nächsten stehende Feld der „vaterländischen Archäologie“ in den<br />
Forschungsbereich des DAI integriert, und es entbrannte ein heftiger Streit zwischen den<br />
„wahren“, meist völkisch ausgerichteten Germanenforschern und den „Römlingen“, wie<br />
die Mitarbeiter der RGK in Anlehnung an zeitgenössische, antikatholische Ressentiments<br />
genannt wurden. Dennoch wurde mit der RGK-Gründung 1902 der erste Schritt in eine<br />
Richtung gemacht, die dann in der Weimarer Republik mit einem ersten großen<br />
Erweiterungsschub fortgesetzt wurde: 1925 weitete die RGK ihr Tätigkeitsfeld auf ganz<br />
Deutschland aus und kam damit dem großen öffentlichen Interesse entgegen, das die<br />
Germanenforschung erregt hatte (bzw. trat der politisierten Germanenforschung<br />
entgegen – das wäre im Einzelnen zu untersuchen). 1929 – zum 100.<br />
Gründungsjubiläum – wurde mit der Aufwertung der 1907 unabhängig vom DAI<br />
entstandenen Kairener Abteilung zur dritten und der türkischen Grabungskommission zur<br />
vierten Auslandsabteilung ein Schritt zur Erweiterung der Auslandsaktivitäten<br />
vorgenommen, der parallel zur Aufwertung der „deutschen Vorgeschichte“ eine<br />
institutionelle Stärkung der orientalischen Archäologie bedeutete. Mit diesem ersten<br />
Erweiterungsschub erweist sich die Zeit der Weimarer Republik als ungemein dynamische<br />
Phase in der Geschichte des DAI. Am Ende der Zwanziger Jahre integrierte das DAI die<br />
drei damals wichtigsten Zweige der archäologischen Forschung in Deutschland: die Urund<br />
Frühgeschichte, die orientalische und die klassische Archäologie, die weiter den<br />
Schwerpunkt der <strong>Institut</strong>sarbeit bildete.<br />
Im Dritten Reich kam es zu heftigen Konflikten mit der nun institutionell stark<br />
aufgewerteten und von Teilen der NSDAP geförderten, völkisch ausgerichteten<br />
Vorgeschichtsforschung. Wie das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> durch diese schwierige<br />
Zeit weitgehend unbeschädigt hindurch kam, ist ein Schwerpunkt des zweiten<br />
Untersuchungsstranges, der der Politik des <strong>Institut</strong>s gewidmet sein soll. Mit Blick auf die<br />
Transnationalität des <strong>Institut</strong>s ist vor allem die Gründungsgeschichte der Abteilung<br />
142
Madrid im Jahre 1943 interessant, die in einem sehr offensichtlichen Zusammenhang mit<br />
der Unterstützung des Reichs für Franco im Spanischen Bürgerkrieg und sein Regime<br />
nach dessen Sieg, insb. mit den Bemühungen zur Bildung einer kulturellen faschistischen<br />
Internationale, zu stehen scheint. Mit Blick auf die Transdisziplinarität des DAI ist<br />
insbesondere zu untersuchen, wie weit die Ausweitung der <strong>Institut</strong>sarbeit im Bereich der<br />
Germanenforschung, etwa im Zuständigkeitsbereich der Abteilung Rom, gegangen ist.<br />
Allerdings ist diese wohl nicht nur als Anpassung an den Zeitgeist zu interpretieren,<br />
sondern auch als eine erneute Erweiterung der Forschungsfelder unter dem immer<br />
breiteren Dach des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s.<br />
In der Nachkriegszeit setzte sich nach einer Krisen- und Konsolidierungsphase seit den<br />
Wirtschaftswunderjahren der Expansionskurs fort: 1955 wurde die Auslandsabteilung in<br />
Bagdad gegründet, 1961 eine weitere in Teheran. Damit wurde nicht nur der<br />
orientalische Zweig in Richtung auf eine Gesamtschau der eurasischen Prähistorie<br />
ausgebaut, sondern es wurden erneut auch Marksteine in der deutschen auswärtigen<br />
Kulturpolitik gesetzt, die nicht allein archäologisch, sondern auch politisch-strategisch zu<br />
verstehen sind. Denn nach dem totalen Ansehensverlust Deutschlands in der<br />
internationalen Gemeinschaft schienen der kulturelle und wissenschaftliche Bereich am<br />
besten geeignet, allmählich das Ansehen Deutschlands in der Welt wieder zu verbessern.<br />
Dabei war die auswärtige Kulturpolitik als Teil der Außenpolitik der Bundesrepublik von<br />
Anfang an in die strategischen Planungen des westlichen Bündnisses integriert, zu deren<br />
Kernzielen die Eindämmung des kommunistischen Einflussbereichs (containment policy)<br />
gehörte. Hierbei galten Irak und Iran als wichtige Regionalmächte, die im<br />
antikommunistischen Sinne stabilisiert werden sollten. Hinzu kam von deutscher Seite die<br />
Hallsteindoktrin, die die internationale Anerkennung des zweiten deutschen Staates<br />
möglichst verhindern sollte. 1967 wurde die 1951 gegründete Kommission für Alte<br />
Geschichte und Epigraphik (München) in das <strong>Institut</strong> integriert. 1978 wurde eine<br />
„Station“ des DAI in Sanaa (Jemen) gegründet. Den Endpunkt der in dem geplanten Buch<br />
zu untersuchenden Entwicklung des <strong>Institut</strong>s markiert die Bildung der Kommission für<br />
außereuropäische vergleichende Archäologie (KAVA; heute KAAK = Kommission für<br />
Archäologie Außereuropäischer Kulturen) im Jahre 1979, die die weltweite Zuständigkeit<br />
des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s für Grabungen deklariert. Auch die<br />
datenschutzrechtlichen Restriktionen und Sperrfristen der Archive sprechen für ein Ende<br />
des Untersuchungszeitraums in den späten 1970er Jahren.<br />
Die Transnationalität und Transdisziplinarität des <strong>Institut</strong>s sowie die Gewichtung der<br />
verschiedenen Bereiche und Abteilungen lassen sich nicht zuletzt auch auf der Ebene der<br />
jeweiligen Etats, der finanziellen und personellen Ausstattung gewichten.<br />
ad (2): Um die Politik des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s zu untersuchen, erscheint<br />
es sinnvoll, sich nicht allein auf die Aktivitäten der hauptamtlichen <strong>Institut</strong>sbeamten zu<br />
beschränken, sondern auch die Zentraldirektion (ZD) als kollegiales Leitungsgremium<br />
und Kontrollorgan in den Blick zu nehmen, das schon im Namen einen Führungsanspruch<br />
trägt und in dem die universitäre Archäologie ihren Einfluss auf das DAI ausübte. Dabei<br />
soll einerseits in einem prosopographischen Zugriff die personelle Zusammensetzung<br />
hinsichtlich der wissenschaftlichen und politischen Ausrichtung der ZD-Mitglieder sowie<br />
des Führungspersonals im Längsschnitt untersucht werden. Andererseits wird es um die<br />
Macht- und Einflussverteilung zwischen den verschiedenen Instanzen im Laufe des 20.<br />
Jahrhunderts gehen: Welche Auswirkungen hatte etwa die Einführung des<br />
nationalsozialistischen „Führerprinzips“? Kam es nach 1945 zu einer Demokratisierung<br />
der Führungsstrukturen?<br />
Einen weiteren Untersuchungsschwerpunkt bildet die eigentliche Politik des <strong>Institut</strong>s, also<br />
sein Verhältnis zu den jeweiligen Regierungen und das Ausmaß der Politisierung von<br />
Forschungsvorhaben und Außendarstellung. Hier sind besonders die Reaktionen auf die<br />
im 20. Jahrhundert in Deutschland zahlreichen Umbrüche des politischen Systems<br />
interessant, also Anpassung und Resistenz gegenüber dem jeweiligen politischen<br />
Zeitgeist. Dies gilt vor allem für die Zeit des Dritten Reichs und Fragen, wie die<br />
Ausschaltung „nicht-arischer“ <strong>Institut</strong>sangehöriger oder ZD-Mitglieder, die Kollaboration<br />
bzw. die Konflikte mit dem SS-Ahnenerbe, dem Amt Rosenberg und dem Kampfbund für<br />
Deutsche Kultur, die Bereitschaft der <strong>Institut</strong>ion bzw. ihrer Exponenten, „dem Führer<br />
143
zuzuarbeiten“ (Kershaw) oder die unterschiedliche antiliberale und autoritäre Ausrichtung<br />
von DVP-Mitgliedern über Deutsch-Nationale und Sympathisanten des Faschismus bis hin<br />
zu Völkischen oder Nationalsozialisten. Mit Blick auf die Auslandsabteilungen ist die<br />
Zusammenarbeit mit der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) besonders interessant –<br />
mindestens in Rom und Athen waren die stellvertretenden Direktoren zugleich AO-<br />
Funktionäre.<br />
Für das Kaiserreich, die Weimarer Republik und die Bundesrepublik sollen die<br />
Beziehungen zwischen der DAI-Führung und der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt<br />
genau untersucht werden. Einflussnahme bzw. Anpassung haben in diesen „normalen“<br />
Zeiten wohl nicht so spektakuläre Formen angenommen wie im Nationalsozialismus, aber<br />
das DAI wird sich dennoch häufig an strategischen Interessen seines Hauptgeldgebers<br />
orientiert und diese auch in manchen Aspekten mitgeprägt haben. In der Weimarer<br />
Republik, nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs und dem als „Schmach“<br />
empfundenen Versailler Vertrag, scheint das DAI in einer sich selbst ausgrenzenden<br />
deutschen Universitätslandschaft als transnationales <strong>Institut</strong> sich maßgeblich um die<br />
Aufrechterhaltung internationaler wissenschaftlicher Kontakte bemüht zu haben – nicht<br />
ohne dies dem Auswärtigen Amt gegenüber im Kontext einer Revision des Versailler<br />
Vertrags schmackhaft zu machen (z.B. „Stärkung der Stellung Deutschlands im Ausland<br />
gegen die französische Dominanz in der Archäologie“).<br />
Besonders stark dürften die Indienstnahme für politische Ziele des Reichs wie auch die<br />
Anpassungsbereitschaft seitens der führenden DAI-Archäologen während der beiden<br />
Weltkriege gewesen sein. Im Zeichen des „Burgfriedens“ und der Kulturpropaganda<br />
gegen die „Feinde“ hat sich auch das DAI mit populärwissenschaftlichen Schriften und<br />
anderen politischen Aktivitäten funktionalisieren lassen.<br />
Als Indikatoren für den jeweiligen Zeitgeist und für das Ausmaß der Politisierung des DAI<br />
unter verschiedenen Regierungsformen können, frei nach der allgemein gültigen<br />
Erkenntnis, dass die Begründung wissenschaftlicher Vorhaben sich immer sehr stark an<br />
den (vermuteten) Interessen der Geldgeber ausrichtet, die unterschiedlichsten<br />
Dokumente der <strong>Institut</strong>sarbeit herangezogen werden: etwa Forschungsanträge des<br />
<strong>Institut</strong>s, seine Verlautbarungen über spektakuläre Funde oder abgeschlossene Projekte,<br />
die Öffentlichkeitsarbeit zu langfristigen Kampagnen, aber auch die von den Empfängern<br />
der Reisestipendien nach ihrer Rückkehr verfassten, ausführlichen Berichte. Alle diese<br />
Textsorten dürften Anhaltspunkte für das wechselhafte Verhältnis zwischen politischgesellschaftlichem<br />
Zeitgeist und der Begründung archäologischer Projekte und der<br />
Präsentation der Ergebnisse liefern.<br />
3. 3. Frederick Jagust<br />
Die Zentrale des DAI in Berlin – Entscheidungsprozesse und Finanzstrukturen<br />
von der Zwischen- zur Nachkriegszeit (1929–1979)<br />
Einleitung<br />
Die Geschichte wissenschaftlicher <strong>Institut</strong>ionen zu erarbeiten ist in den letzten Jahren zu<br />
einem bedeutenden Arbeitsgebiet der historischen Forschung geworden. Sei es die<br />
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft als Vorläuferin der Max-Planck-<strong>Institut</strong>e oder die Deutsche<br />
Forschungsgesellschaft. Einrichtungen der Forschung und Forschungsförderung haben<br />
verstärkt begonnen, sich mit der kritischen Aufarbeitung ihrer eigenen Vergangenheit zu<br />
beschäftigen.<br />
Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> steht hier nicht abseits und hat eine Reihe von<br />
Projekten auf den Weg gebracht, deren Ziel es ist, die Geschichte dieser altehrwürdigen<br />
Einrichtung der deutschen Wissenschaft näher zu beleuchten.<br />
Dies fällt zusammen mit Bestrebungen im Bereich der Archäologie, sich intensiv mit der<br />
Entwicklung dieser akademischen Disziplin und ihrer Rolle innerhalb der wechselnden<br />
politisch-gesellschaftlichen Systeme in Deutschland und Europa zu beschäftigen.<br />
Fragestellung<br />
Mit dem Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> verfügte und verfügt Deutschland über einen<br />
in dieser Form wohl einzigartigen kommunikativen und administrativen<br />
144
wissenschaftlichen Nexus, welcher die Geschicke der Archäologie maßgeblich beeinflusst<br />
und geprägt hat. Diese kommunikative Funktion schlägt sich hierbei in mehreren Ebenen<br />
nieder, und zwar:<br />
als Kommunikation innerhalb der Archäologenschaft,<br />
als Kommunikation zwischen Wissenschaft und Staat,<br />
als Kommunikation zwischen Archäologie und Öffentlichkeit<br />
sowie als Kommunikation mit der internationalen Forschung.<br />
Das Dissertationsprojekt widmet sich der Erforschung der beiden erstgenannten Ebenen,<br />
d. h. es untersucht die Rolle des DAI als Vermittler sowohl zwischen den Fachgenossen<br />
als auch zwischen der archäologischen Wissenschaft und den politischen<br />
Entscheidungsträgern im Wechsel der deutschen Gesellschaftssysteme im 20.<br />
Jahrhundert.<br />
Als roter Faden dient hierbei das Aufspüren und Nachverfolgen der Finanzströme, ohne<br />
welche die Arbeit des <strong>Institut</strong>s nicht möglich gewesen wäre. Im Hintergrund steht hier die<br />
Frage, ob und, wenn ja, wie der staatliche Geldgeber versucht hat, durch gezielte<br />
Vergabe von Finanzmitteln Einfluss auf die archäologische Forschung zu nehmen,<br />
inwieweit sich das DAI diesem Druck gebeugt, ihn aufgefangen oder möglicherweise<br />
weitergegeben hat.<br />
In diesem Zusammenhang soll auch eine „kleine Sozialgeschichte der Archäologie“<br />
erstellt werden.<br />
Eng damit zusammen hängt die Frage, wie innerhalb des <strong>Institut</strong>s Entscheidungen<br />
getroffen und umgesetzt wurden, etwa über Vergabe und Einsatz von finanziellen und<br />
personellen Ressourcen, aber auch über die Verwendung von „weichem“ politischen<br />
Kapital.<br />
Schwerpunkte und Zeitspanne der Untersuchung<br />
Der Zeitraum der Untersuchung soll sich von der späten Weimarer Republik bis in die<br />
1970er Jahre spannen. Die Analyse nicht früher einsetzen zu lassen ist der<br />
Überlieferungssituation geschuldet; der angepeilte Endpunkt im 150. Jubiläumsjahr,<br />
1979, mit seinen organisatorischen Neuerungen bietet sich nicht zuletzt an, um die<br />
Quantität des zu sichtenden Quellenmaterials nicht „explodieren“ zu lassen.<br />
Der Schwerpunkt der Arbeit soll und wird hierbei auf den 30er, 40er und 50er Jahren<br />
liegen, so dass die Kontinuitäten und Brüche über die vermeintlichen Zäsuren von 1933<br />
und 1945 hinweg in ihrem Kontext beleuchtet werden können.<br />
Quellengrundlage<br />
Grundlage der Analyse bilden die im Bezug auf die Geschichte des DAI noch weitgehend<br />
unaufgearbeiteten Bestände diverser Archive. Vor allem zu nennen sind hier das<br />
Bundesarchiv mit seinen Abteilungen in Berlin und Koblenz sowie das Politische Archiv<br />
des Auswärtigen Amtes.<br />
Besondere Bedeutung kommt allerdings den Archiven des DAI selber zu, und zwar<br />
sowohl den Quellenbeständen in den einzelnen Auslandsabteilungen des <strong>Institut</strong>s als<br />
auch ganz besonders dem Zentralarchiv in Berlin mit seinen umfangreichen<br />
Aktenbeständen und Briefnachlässen.<br />
3. 4. Marie Vigener<br />
Archäologie und Öffentlichkeit – Das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> in der<br />
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1929–1979)<br />
Einleitung<br />
Wissenschaft goes public: Unter dieser Formel wird in den letzten Jahren verstärkt<br />
öffentlichkeitswirksam auf wissenschaftliche Forschung aufmerksam gemacht.<br />
Veranstaltungen wie die Lange Nacht der Wissenschaften oder der Wissenschaftssommer<br />
ziehen ein großes Publikum an. Auch das Deutsche Archäologische <strong>Institut</strong> ist bei solchen<br />
Gelegenheiten vertreten und stellt sich und seine Arbeit vor. Public ist Archäologie aber<br />
nicht erst in den letzten Jahren geworden: Bernd Sösemann hat gezeigt, dass öffentliche<br />
Darstellung der <strong>Institut</strong>sarbeit schon bei der ersten Olympia-Grabung ein bedeutender<br />
145
Aspekt war. Zudem stand das <strong>Institut</strong> als wichtiger Teil der deutschen Kulturpolitik und<br />
als eine der ältesten wissenschaftlichen <strong>Institut</strong>ionen des Reiches gerade zu Beginn des<br />
20. Jahrhunderts im Rampenlicht.<br />
Fragestellung<br />
Die Vermittlung von Wissenschaft als Forschungsthema hat im angelsächsischen Raum<br />
schon eine längere Tradition. In Deutschland haben das Andreas Daum und Angela<br />
Schwarz aufgegriffen. Die Vermittlung von Wissensbeständen und Wissenschaft kann<br />
man als soziale Praxis verstehen, bei der um Deutungshoheit gerungen wird (Ulrike Felt)<br />
– ein Prozess, an dem verschiedene Gruppen beteiligt sind. Ich möchte daher anhand der<br />
öffentlichen Darstellung des <strong>Institut</strong>s und seiner Arbeit den vielfältigen Verbindungen<br />
zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit nachgehen, wie sie unter verschiedenen<br />
politischen Systemen bestanden. Besonders spannend sind dabei entstehende<br />
Kontinuitäten und Brüche im politischen und gesellschaftlichen Wandel.<br />
Das Untersuchungsgebiet umfasst die Selbstdarstellung des <strong>Institut</strong>s und die Vermittlung<br />
seiner Grabungen und Forschungsergebnisse anhand ausgewählter Beispiele. Welche<br />
Interessen und Konstellationen standen hinter der Suche nach öffentlicher<br />
Wahrnehmung, welche Deutungsangebote machte das <strong>Institut</strong>? Wichtig sind in diesem<br />
Zusammenhang auch politische Hintergründe und die Reaktion der Öffentlichkeit.<br />
Die Außendarstellung des <strong>Institut</strong>s und die öffentliche Wahrnehmung von Archäologie am<br />
Beispiel des <strong>Institut</strong>s zu untersuchen, ist ein wissenschaftsgeschichtliches<br />
Forschungsdesiderat. Erstens gibt es bislang keine Studien zum Verhältnis zwischen<br />
Wissenschaft und Öffentlichkeit im Dritten Reich und der Bundesrepublik. Zweitens<br />
schließt die Frage nach der öffentlichen Rolle wissenschaftlicher <strong>Institut</strong>ionen im Dritten<br />
Reich die wichtige „geistige Mobilmachung“ und die Selbstindienstnahme im Sinne des<br />
Regimes ein.<br />
Schwerpunkte und Zeitspanne der Untersuchung<br />
Das <strong>Institut</strong> hatte und hat verschiedene Möglichkeiten, sich und seine Arbeit bekannt zu<br />
machen. Dazu gehörten Vorträge, Exkursionen, Zeitungsartikel, populär gehaltene<br />
Publikationen und Ausstellungen. Aufgrund dieser Fülle des Materials und des langen<br />
Untersuchungszeitraumes ist es wichtig, inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Das sind<br />
zum einen wichtige Ereignisse, bei denen das <strong>Institut</strong> repräsentativ auftrat und die ein<br />
breites Echo fanden. Solche Ereignisse sind etwa die 100-Jahr-Feier 1929, der<br />
Internationale Archäologen-Kongress 1939 und die 150-Jahr-Feier 1979.<br />
Auf der anderen Seite lässt sich die Vermittlung von Wissen und die Annahme von<br />
Deutungsangeboten am besten anhand konkreter Grabungen verfolgen. Besonders<br />
interessant ist dabei die Olympia-Grabung, die über einen langen Zeitraum fortgeführt<br />
wurde und ein enormes Echo fand.<br />
Aufgrund der Fragestellung und der Archivbestände werde ich den Zeitraum zwischen<br />
1929 und 1979 näher untersuchen, dessen Eckpunkte die 100- bzw. 150-Jahr-Feiern des<br />
<strong>Institut</strong>s bilden.<br />
Quellengrundlage<br />
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Vielzahl bisher wenig berücksichtigter<br />
Quellenmaterialen. Wichtige Bestände zur Geschichte der Archäologie finden sich<br />
natürlich vor allem im Archiv der Zentrale des Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s und in<br />
den Archiven der Zweigstellen. Von den Zweigstellenarchiven sind vor allem Frankfurt,<br />
Rom, Athen, Madrid und Istanbul interessant, da die übrigen Zweigstellen erst später<br />
gegründet wurden bzw. die Bestände nicht zugänglich sind (Kairo).<br />
Außerhalb der Bestände des DAI befinden sich viele Unterlagen der Zeit vor 1934 im<br />
Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes. Daneben sind vor allem Materialien im<br />
Bundesarchiv von Interesse. Zum einen ist das die Abteilung R (<strong>Deutsches</strong> Reich) in<br />
Berlin-Lichterfelde. Hier lagern Akten des Reichserziehungsministeriums, des<br />
Innenministeriums und teilweise Akten des Auswärtigen Amtes. Zu allen drei Behörden<br />
gehörte das <strong>Institut</strong>. Aus der Zeit nach 1945 sind größere Bestände im Bundesarchiv<br />
146
Koblenz zu erwarten. Einzelne Bestände zur Nachkriegszeit dürften noch im Landesarchiv<br />
Berlin zu finden sein.<br />
3. 5. Susanne Voss<br />
Geschichte des DAI-Kairo von 1907–1979<br />
Die Gründung der Abteilung Kairo des DAI ist mit dem Namen des Amarna-Ausgräbers<br />
und Nofretete-Entdeckers Ludwig Borchardt (1863–1938) verbunden. 1907 wurde er zum<br />
Direktor des aus staatlichen Mitteln geförderten „Kaiserlich Deutschen <strong>Institut</strong>s für<br />
ägyptische Alterthumskunde“ berufen, das er in seiner Privatvilla auf der Kairener Nilinsel<br />
Zamalek einrichtete. Offiziell unterstand die <strong>Institut</strong>ion dem Auswärtigen Amt, war jedoch<br />
auf private Zuwendungen durch Mäzene und den Kaiser selbst angewiesen, der als<br />
Vorsitzender der Deutschen Orientgesellschaft beträchtliche Mittel aus dem kaiserlichen<br />
Dispositionsfonds beisteuerte. Ein wissenschaftlicher Beirat, der sich aus Mitgliedern der<br />
Akademie der Wissenschaften und der Berliner Wörterbuchkommission zusammensetzte,<br />
bildete den fachlichen Vorsitz, dem Borchardt als <strong>Institut</strong>sdirektor berichtspflichtig war.<br />
Anhand von Borchardts in Kairo erhaltenem, unveröffentlichten Nachlass sowie<br />
zahlreicher Akten in bundesdeutschen und ägyptischen Staatsarchiven lässt sich ein<br />
bemerkenswertes Bild von der gesellschaftlichen und politischen Relevanz der deutschen<br />
Altertumswissenschaft im Ausland während der späten Kaiserzeit und der Weimarer<br />
Republik nachzeichnen. An ihnen zeigt sich, dass die Archäologie dieser Zeit als eine Art<br />
außenpolitischer Einsatz zur Gewinnung von Vorteilen für die eigene Nation verstanden<br />
wurde. Regelrechte Wettkämpfe zwischen den jeweiligen archäologisch tätigen<br />
Landesvertretern waren die Folge, die unter dem Einfluss des 1. Weltkrieges sogar in<br />
Spionage-Affären gipfelten.<br />
Nach der Pensionierung Borchardts, 1929, wurde das ehemalige Kaiserliche <strong>Institut</strong> dem<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong> (DAI) angegliedert, wodurch die<br />
Forschungseinrichtung aus ihrer bisherigen Rolle, als einer vom Kaiser persönlich<br />
geförderten Einrichtung, zu einer regulär budgetierten Unterabteilung des Auswärtigen<br />
Amtes promovierte. Wie das einstige Kaiserliche <strong>Institut</strong>, das von der Persönlichkeit ihres<br />
national gesinnten Direktors Borchardt geprägt war, entwickelte sich das Haus nach dem<br />
Wechsel gemäß dem Stil seines Nachfolgers Hermann Junker (1877–1962). Junker, der<br />
als angesehener Philologe auch auf eine 20jährige archäologische Erfahrung als<br />
Ausgräber des Mastaba-Feldes von Giza zurückblicken konnte, versammelte als<br />
ehemaliger Priester zahlreiche Theologen und Vertreter verwandter Wissenschaften im<br />
Kairener <strong>Institut</strong>. Gleichzeitig zeichnete sich unter seiner Führung nach der<br />
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, 1933, eine zunehmende Politisierung der<br />
Forschungseinrichtung im Sinne des in Deutschland herrschenden Regimes ab. Die<br />
zahlreichen Dokumente, die die Ära Junker in Kairo dokumentieren, sind jedoch noch<br />
nicht gesichtet und aufgearbeitet worden, und bilden somit den Kern der Untersuchung.<br />
Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges, 1939, geriet das <strong>Institut</strong> unter den Einfluss der<br />
politischen Verhältnisse der Nachkriegszeit, die erst 1957, mit der Neueinrichtung des<br />
durch den Krieg verlorenen Hauses unter der Leitung von Hanns Stock (1908–1966),<br />
zukunftsweisend ausgeglichen werden konnten.<br />
Ziel des Forschungsvorhabens ist es somit, eine Dokumentation der Geschichte der<br />
Abteilung Kairo vorzulegen, die ausgehend von der NS-Zeit die Etappen vor und nach<br />
diesem Zeitraum von 1907 bis 1979 beleuchtet und der Öffentlichkeit zugänglich macht.<br />
Systematisch empfiehlt es sich dabei, eine leitungsorientierte Untersuchung<br />
vorzunehmen, da die <strong>Institut</strong>sgeschicke maßgeblich von den Persönlichkeiten der<br />
jeweiligen Direktoren Borchardt, Junker und dem liberalen Gelehrten Stock<br />
gekennzeichnet waren.<br />
147
4. Weitere, mit Cluster 5 verbundene Projekte<br />
Im Zusammenhang mit der Erforschung der <strong>Institut</strong>sgeschichte sollen nach Möglichkeit<br />
weitere, nach Kriegsende an andere Orte verbrachte Unterlagen aus den Beständen des<br />
Deutschen Archäologischen <strong>Institut</strong>s (z. B. in der Eremitage St. Petersburg) ermittelt und<br />
ausgewertet werden.<br />
Darüber hinaus soll ein Netzwerk von WissenschaftlerInnen (Archäologen und<br />
Zeithistorikern) im In- und Ausland aufgebaut werden, die auf dem Gebiet der Geschichte<br />
der Archäologie und der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts tätig sind.<br />
Diesem Zweck dienten u. a. zwei Workshops:<br />
- „Bedeutende Archäologen im Umfeld des DAI während des Dritten Reichs (1920–<br />
1960) – Biographische Annäherungen“ am 27./28. Oktober 2006 unter Leitung<br />
von G. Brands (Halle) und M. Maischberger (Berlin). Die Tagung diente auch der<br />
Vorbereitung eines Buches „Lebensbilder – Klassische ArchäologInnen in Zeiten<br />
von Nationalsozialismus und Faschismus“ mit Biographien von ausgewählten<br />
deutschen Archäologen des 20. Jahrhunderts.<br />
- „Politische Ziele und Deutungen archäologischer Grabungen im späten 19. und<br />
frühen 20. Jahrhundert im europäischen Vergleich“ am 1./2. Dezember 2006<br />
unter Leitung von C. Jansen (Berlin).<br />
Ferner sind Untersuchungen der Abteilung Rom (T. Fröhlich, S. Diebner) zur<br />
Rezeptionsgeschichte archäologischer Funde während des Faschismus in Italien mit<br />
Cluster 5 verbunden.<br />
Auch die Abteilung Madrid widmet sich, angestoßen durch die Einrichtung von Cluster 5,<br />
der <strong>Institut</strong>sgeschichte. Eine erste Tagung fand am 28. Juni 2007 statt unter dem Titel<br />
„La recepción de la escuela arqueológica alemana y la fundación del <strong>Institut</strong>o“, eine<br />
weitere am 24. Januar 2008 zum Thema „Sus investigaciones y la recepción de la<br />
arqueología y la prehistoria alemana (1954-2004)“. Die Ergebnisse sollen demnächst<br />
veröffentlicht werden.<br />
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