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Maquilas – Ausbeutung oder Emanzipation?

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THEMA<br />

FRAUEN UND ÖKONOMIE<br />

<strong>Maquilas</strong> <strong>–</strong> <strong>Ausbeutung</strong> <strong>oder</strong><br />

Frauen sind weltweit als mobile, flexible Arbeitskräfte gefragt, zumeist an ungesicherter und prekärer<br />

Stelle. Doch die mit dem Beschäftigungsgewinn einhergehende Enttraditionalisierung und<br />

<strong>Emanzipation</strong> vieler Frauen aus überlieferten Familienstrukturen vollzieht sich oft auf Kosten<br />

ihrer Kinder und unter zusätzlicher Doppelbelastung der Frauen selbst. Wie wirken sie also, die<br />

<strong>Maquilas</strong> in Mittelamerika?<br />

TEXT: SABINE BROSCHEIT (MARIA ELENA CUADRA/MEC)<br />

Die Weltbank zählt die<br />

Frauen weltweit zu<br />

den Gewinnerinnen<br />

der wirtschaftlichen Globalisierung<br />

und Liberalisierung.<br />

Begründet wird diese Sicht mit<br />

einem deutlichen Anstieg der<br />

Frauenerwerbsquote.<br />

Beschäftigungsgewinn und<br />

Enttraditionalisierung, das heißt<br />

die Auflösung überlieferter<br />

Familienstrukturen und Rollenmuster,<br />

gelten als Indizien<br />

dafür, dass Frauen von der<br />

„Entgrenzung der Märkte und<br />

Kulturen“ profitieren.<br />

Aus der Perspektive wird<br />

Frauen, die ein eigenes Erwerbseinkommen<br />

beziehen,<br />

eine Verhandlungsmacht innerhalb<br />

der Familie und der<br />

Gesellschaft zugesprochen.<br />

Es wird angenommen, dass<br />

sich ihnen mehr Individualisierungsoptionen<br />

eröffnen und<br />

dass durch Bildung und außerhäusliche<br />

Beschäftigung von<br />

Frauen patriarchalische Einstellungen<br />

und Verhaltensweisen<br />

der Männer untergraben<br />

werden könnten.<br />

Machtgewinn für<br />

die Frauen?<br />

In Nicaragua war der Anteil<br />

von Frauen an entlohnten<br />

Arbeitsverhältnissen aufgrund<br />

seiner Agrarstruktur und der<br />

Dominanz der männlichen<br />

Bevölkerung im primären<br />

Sektor verglichen mit anderen<br />

Ländern der Region lange Zeit<br />

relativ niedrig. 1950 zählten<br />

zehn Prozent aller Frauen<br />

über 15 Jahren zur ökonomisch<br />

aktiven Bevölkerung; die von<br />

Frauen geleistete unentgeltliche<br />

Haus- und Landarbeit wurde<br />

dabei nicht berücksichtigt. Im<br />

Jahre 2003 waren es 50 Prozent.<br />

Während Männer in Nicaragua<br />

nach wie vor mehrheitlich auf<br />

dem Land erwerbstätig sind,<br />

fi n den Frauen vor allem in den<br />

Städten eine Beschäftigung:<br />

45,7 Prozent aller ökonomisch<br />

aktiven Frauen arbeiten im<br />

Dienstleistungssektor (dazu<br />

zählen Beschäftigungen als<br />

private Hausangestellte genauso<br />

wie als Lehrerin <strong>oder</strong> Bankangestellte),<br />

15,2 Prozent sind<br />

heute in Manufakturen, vor<br />

allem in den Weltmarktfabriken<br />

für Bekleidung, beschäftigt und<br />

13,1 Prozent im Handel.<br />

4 PRESENTE MÄRZ 2006


<strong>Emanzipation</strong>?<br />

Frauen sind als billige und flexible<br />

Arbeitskräfte beliebt, doch zunehmend<br />

organisieren sie sich und<br />

nehmen neue Freiheiten in<br />

Anspruch.<br />

Die Mehrzahl der Frauen,<br />

die eine außerhäusliche<br />

Erwerbstätigkeit aufnimmt,<br />

sieht sich vor allem aufgrund<br />

sinkender Realeinkommen zu<br />

diesem Schritt gezwungen. Als<br />

Folge der Strukturanpassungsprogramme<br />

der 90er Jahre<br />

stiegen die Preise im Bereich<br />

der Grundversorgung (Gesundheits-,<br />

Erziehungs- und Ernährungsbereich).<br />

Vormals nicht<br />

erwerbstätige Frauen suchten<br />

nun verstärkt nach einem bezahlten<br />

Arbeitsplatz, um den<br />

familiären Einkommensverlust<br />

auszugleichen.<br />

Die zu beobachtende wachsende<br />

Integration von Frauen<br />

in den Arbeitsmarkt bei gleichzeitigem<br />

Anstieg der Arbeitslosigkeit<br />

von Männern lässt<br />

sich darauf zurückführen, dass<br />

Frauen im informellen Sektor<br />

<strong>oder</strong> in den neu entstehenden<br />

Exportindustrien leichter einen<br />

Arbeitsplatz finden. So kann<br />

vor allem mit dem „Maquilaboom“<br />

der letzten zehn Jahre<br />

in Nicaragua durchaus von<br />

einer „Feminisierung der for-<br />

mellen Beschäftigung” gesprochen<br />

werden.<br />

Billige Arbeiterin<br />

Bei der Mehrzahl der neuen<br />

Frauen-Arbeitsplätze handelt<br />

es sich vor allem um Tätigkeiten<br />

in der exportorientierten,<br />

arbeitsintensiven und schlecht<br />

bezahlten Branche der Bekleidungsindustrie,<br />

in der die<br />

Missachtung internationaler<br />

wie nationaler arbeitsrechtlicher<br />

Normen gang und gäbe<br />

ist. Weltweit gelten junge Frauen<br />

als flinke, flexible und billige<br />

Arbeitskräfte, die in den<br />

Weltmarktfabriken und freien<br />

Produktionszonen bevorzugt<br />

eingestellt werden <strong>–</strong> auch weil<br />

sie sich scheuen, sich gewerkschaftlich<br />

zu organisieren.<br />

In Nicaragua sind über 70<br />

Prozent der Arbeitsplätze in<br />

der Maquilaindustrie von Frauen<br />

besetzt. Dieser quantitative<br />

Vormarsch für Frauen auf dem<br />

Erwerbsarbeitsmarkt ist jedoch<br />

ambivalent. Die meisten bezahlen<br />

für den neu gewonnenen<br />

Aktionsradius einen hohen<br />

Preis: miserable Arbeitsbedingungen<br />

und minimale Löhne.<br />

Der Mindestlohn einer Näherin<br />

in einer Maquila in Nicaragua<br />

liegt mit 76 US-Dollar im<br />

Monat unter dem in anderen<br />

Sektoren <strong>–</strong> wenn auch über<br />

dem Gehalt in anderen Bereichen<br />

der Frauenerwerbsarbeit:<br />

Private Hausangestellte verdienen<br />

beispielsweise nur 65<br />

US-Dollar monatlich. Zudem<br />

können die Näherinnen durch<br />

Überstunden und Akkordarbeit<br />

fi n anzielle Zuschläge erhalten.<br />

Vernachlässigung der Kinder<br />

ist häufig eine Folge, falls diese<br />

nicht von den Großeltern <strong>oder</strong><br />

dem Partner betreut werden<br />

können. Der Akkordmarathon<br />

wirkt sich zudem negativ auf<br />

die Gesundheit der Frauen<br />

aus.<br />

Jüngste Untersuchungen<br />

des soziologischen Forschungsteams<br />

NITLAPAN an der Zentralamerikanischen<br />

Universität<br />

Managua (UCA) belegen jedoch,<br />

dass das Verfügen über<br />

ein eigenes Einkommen ein<br />

Schritt zu mehr Freiheit ist.<br />

PRESENTE MÄRZ 2006 5


THEMA<br />

FRAUEN UND ÖKONOMIE<br />

Allein erziehenden, im elterlichen<br />

Haushalt lebenden<br />

Frauen ermöglicht es eine Loslösung<br />

aus den einengenden<br />

Familienstrukturen, zumal,<br />

wenn sie sich zum Arbeiten<br />

vom Land in die Stadt begeben.<br />

Anderen Frauen verleiht es Verhandlungsmacht<br />

innerhalb der<br />

Familie, vor allem gegenüber<br />

dem Partner, und es ist häufig<br />

die einzige Möglichkeit, sich<br />

vom Ehemann zu trennen.<br />

Gegen Patriarchat<br />

Es gibt mittlerweile viele Familien,<br />

in denen die Mütter<br />

und Töchter erwerbstätig und<br />

die Väter und Söhne arbeitslos<br />

sind. Eine derartige Unterspülung<br />

des patriarchalischen Geschlechterverhältnisses<br />

führt<br />

bisweilen zu mehr Empowerment<br />

(mehr Selbstermächtigung)<br />

für Frauen. Sie ruft aber<br />

auch gegenläufige Tendenzen<br />

hervor: Zum einen ist eine<br />

Zunahme von Gewalt gegen<br />

Frauen unter den männlichen<br />

Globalisierungsverlierern zu<br />

beobachten. Zum anderen lastet<br />

die Verantwortung für den<br />

Reproduktionsbereich, für Kinder<br />

und Haushalt, ungebrochen<br />

auf den Schultern auch<br />

der berufstätigen Frauen.<br />

Ungeachtet dieser Doppelbelastung<br />

nehmen viele Maquila-Arbeiterinnen<br />

aber auch<br />

Veranstaltungen von Frauenorganisationen<br />

wie dem MEC<br />

wahr. So nehmen sie z.B. an<br />

Schulungen über ihre Rechte<br />

teil <strong>oder</strong> nutzen eine Rechtsberatung<br />

im Falle von Arbeitskonfl<br />

i kten. Abschließend lässt sich<br />

sagen, dass es durch die Erwerbsarbeit<br />

in den <strong>Maquilas</strong> einen<br />

sichtbaren <strong>Emanzipation</strong>sgewinn<br />

für die Frauen <strong>–</strong> zumal<br />

für organisierte Arbeiterinnen<br />

<strong>–</strong> gibt, für den sie allerdings<br />

oft einen hohen Preis zahlen<br />

müssen. Angesichts fehlender<br />

Alternativen auf dem Arbeitsmarkt<br />

ist die Maquila aber eine<br />

unverzichtbare Option für viele<br />

Frauen. Veränderungen sind<br />

nötig und Verbesserungen<br />

möglich.<br />

FOTOS: SABINE BROSCHEIT, HELEN RUPP, CAROLIN MEYER<br />

Frauen nehmen<br />

die Zügel in die<br />

Hand<br />

Der Eintritt von Frauen in<br />

den produktiven Sektor<br />

und der damit verbundene<br />

Austritt aus der Vereinzelung<br />

im Privaten eröffnet<br />

neue Organisationsmöglichkeiten<br />

für Frauen. Beispiele<br />

dafür sind die Gründungen<br />

von unabhängigen<br />

Frauenorganisationen in<br />

Guatemala, Nicaragua,<br />

Honduras <strong>oder</strong> El Salvador<br />

seit den 90er Jahren im Gegensatz<br />

zu den Gewerkschaften<br />

in denselben Ländern<br />

ist der Zuwachs dieser<br />

Frauenorganisationen<br />

enorm. Sie kämpfen gegen<br />

Gewalt und <strong>Ausbeutung</strong> am<br />

Arbeitsplatz wie im Privaten,<br />

für die Einhaltung von<br />

national wie international<br />

garantierten Arbeitsrechten,<br />

für bessere Löhne und<br />

für die Beteiligung von<br />

Frauen an allen sie betreffenden<br />

wirtschafts- und<br />

sozialpolitischen Entscheidungen.<br />

Und vor allem nehmen<br />

die organisierten Frauen<br />

an Schulungen teil: Schulungen<br />

zu Gender und<br />

Selbstbewusstsein, zu Frauen-<br />

und Arbeitsrechten, zu<br />

Verhandlungstechniken und<br />

Konfl iktmediation. Seit<br />

Jahren unterstützt die CIR<br />

Organisationen wie das<br />

MEC in Nicaragua und das<br />

MAM in El Salvador bei<br />

dieser Arbeit.<br />

STICHWORT »Maquila-Solifonds«<br />

Um die Frauenorganisationen weiterhin unterstützen<br />

zu können, bitten wir um Ihre Spende.<br />

6 PRESENTE MÄRZ 2006

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