Dossier: Funktionales Übersetzen - Carsten Sinner
Dossier: Funktionales Übersetzen - Carsten Sinner
Dossier: Funktionales Übersetzen - Carsten Sinner
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Beispiel (Nord 2009:36):<br />
Ein Augenzeugenbericht vom Fall der Berliner Mauer im November 1989 wurde auf Band<br />
aufgenommen und dann transkribiert. Eine amerikanische Journalistin möchte das Transkript als<br />
Quelle für die politischen Veränderungen in Osteuropa verwenden und lässt es sich ins Englische<br />
übersetzen. Für die Übersetzung sind daher alle explizit oder implizit gegebenen Informationen<br />
relevant und die Merkmale des spontanen Sprechens (Gliederungssignale, Interjektionen) sowie<br />
rhetorische Formeln, mit denen der Augenzeuge sich vor dem Reporter wichtig machen will, von<br />
untergeordneter Bedeutung. Wenn dasselbe Transkript jedoch für die Publikation als<br />
„Augenzeugenbericht“ in einer amerikanischen Zeitung übersetzt werden soll, sind gerade die<br />
Merkmale spontaner und emotionaler Ausdrucksweise als Identifikatoren der Textsorte<br />
„Augenzeugenbericht“.<br />
Treue vs. Äquvalenz vs. Loyalität:<br />
Wie das oben aufgeführte Beispiel zeigt, ist „Treue“ also nicht gleichzusetzen mit „Äquivalenz“<br />
(Nord 2009:24). Der deswegen von Nord eingeführte Begriff der „Loyalität“ beschreibt nach ihrem<br />
Verständnis demnach auch nicht die Beziehung zwischen Ausgangs- und Zieltext, sondern die<br />
Verantwortung des Übersetzers gegenüber Autor des AT und dem Leser des ZT, keinen der<br />
Beteiligten bewusst zu täuschen (Nord 2004:236). Die „Loyalität“ erweitert somit das rein<br />
theoretische Skoposmodell um eine ethische Komponente, die – da sie Teil der praktischen Arbeit<br />
von Übersetzern ist – nach Nords Ansicht nicht fehlen darf (ebd.).<br />
2