Welche Angebote und Hilfen stehen dem Jugendamt bei ... - Bkjpp
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Forum der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie 3 – 2006 48<br />
Umfeld vorgetäuscht, weiterhin die Schule zu besuchen. Gleichzeitig findet<br />
<strong>bei</strong> ihm eine kognitive Ausformung von wiederholten Gewaltfantasien<br />
(„Rehearsal-Fantasien“) unter intensivem Medienkonsum statt. A. beschäftigt<br />
sich ausgiebig mit <strong>dem</strong> Phänomen von „Amokläufen“ an Schulen, tritt<br />
in einen Schießverein ein <strong>und</strong> besorgt sich mehrere Waffen. Mit einem<br />
Kollegen dreht er einen Film über einen „Selbstmordattentäter“ <strong>und</strong> äußert<br />
Mitschülern gegenüber, er wolle Lehrer erschießen. Zusätzlich bedroht er<br />
einen Lehrer. Bei der Tatbegehung orientiert sich A. am Geschehen von<br />
Littleton an der Columbine High-School <strong>und</strong> kleidet sich wie ein von ihm<br />
favorisierter Filmheld – eine konkrete Inszenierung. Im Verlauf hat hier<br />
anscheinend ergänzend zur Schwierigkeit des Gymnasiasten, sein Doppelleben<br />
aufrecht zu erhalten, eine zunehmende narzisstische Identifizierung<br />
mit einem „Amokläufer“ <strong>und</strong> Filmhelden in der Fantasie stattgef<strong>und</strong>en, der<br />
sich wie seine Vorbilder (Filmheld <strong>und</strong> Littleton) rächt <strong>und</strong> Berühmtheit<br />
erlangt – sozusagen die innere Seite. In Abgrenzung zu diesen beziehen<br />
sich seine Tötungshandlungen jedoch primär auf Lehrer, so erschießt er<br />
quasi nur als „Unfall“ zwei Schüler durch eine verschlossene Tür hindurch.<br />
Es ist offenk<strong>und</strong>ig, dass hier das äußere Geschehen zu einem Aktualisierungsdruck<br />
führt, in wie weit das subjektive Erleben wirklich den Charakter<br />
einer sog. Nebenrealität angenommen hat („falsche Identität“?), lässt<br />
sich ohne entsprechende subjektive Angaben schwer rekonstruieren. Zumindest<br />
wird der Verlauf mit einem zunehmenden Erleben von Feindseligkeit<br />
nach Kränkung, einer Ich-Zentrierung unter sozialem Rückzug sowie<br />
der narzisstisch-kompensatorischen Verdichtung deutlich. Eine deutlich<br />
psychopathologische Akzentuierung ist zumindest aus der retrospektiven<br />
Betrachtung des Falles nicht zu erkennen (Grasser et al., 2004).<br />
Fall B:<br />
Der zu den Tatzeitpunkten 18jährige, aus Osteuropa stammende B. lebte gemeinsam<br />
mit seiner 16jährigen Fre<strong>und</strong>in in einem Zimmer innerhalb der elterlichen<br />
Wohnung. Da er ihr nicht vertraute <strong>und</strong> zunehmend mehr Zweifel an ihrer<br />
Treue hegte, kontrollierte er sie immer stärker. So durfte sie keine eigenen<br />
Fre<strong>und</strong>e mehr haben oder zumindest nur solche, die B. gut bekannt waren -<br />
„selbstverständlich“ weiblichen Geschlechts. Seiner Meinung nach müsse man<br />
sich in Beziehungen 100%ig auf den Partner einlassen, was faktisch für ihn<br />
bedeutete, r<strong>und</strong> um die Uhr zusammen zu sein. Im Verlauf der Beziehung<br />
durfte sie nicht alleine, d.h. ohne ihn in Diskotheken gehen oder kurz Zigaretten<br />
holen. B. brachte seine Fre<strong>und</strong>in morgens zur Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> holte sie abends<br />
wieder ab. Er beauftragte Fre<strong>und</strong>e oder Verwandte zu überprüfen, mit wem sie<br />
sich <strong>bei</strong> der Ar<strong>bei</strong>t unterhalte oder was sie so mache. Tagsüber ar<strong>bei</strong>tete B. als<br />
Gebäudereiniger <strong>und</strong> ließ sich des Öfteren krankschreiben oder machte blau.