Welche Angebote und Hilfen stehen dem Jugendamt bei ... - Bkjpp
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Fall A:<br />
Forum der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie 3 – 2006 47<br />
Der 19jährige Schüler A muss aufgr<strong>und</strong> eines gefälschten ärztlichen Attestes,<br />
welches er als Entschuldigung <strong>bei</strong> der Schule eingereicht hat, <strong>und</strong> wegen seiner<br />
schlechten Noten das Gymnasium verlassen. Davon berichtet er aber weder<br />
seiner Familie noch seinen Fre<strong>und</strong>en. Vielmehr teilt er ihnen im Verlauf<br />
insgesamt vier verschiedene Versionen über angebliche Besuche anderer<br />
Schulen mit. Er täuscht seinem sozialen Umfeld vor, weiterhin zur Schule zu<br />
gehen <strong>und</strong> verlässt <strong>bei</strong>spielsweise morgens das Elternhaus <strong>und</strong> kommt erst<br />
nachmittags zurück. Gleichzeitig zeigt er reges Interesse für „Amokläufe“ an<br />
Schulen <strong>und</strong> führt hierzu Internetrecherchen durch. Er konsumiert gern Computerspiele<br />
mit aggressiven Inhalten <strong>und</strong> schaut mit Vorliebe Gewaltfilme. A.<br />
schreibt mit einem Bekannten ein „blutiges“ Drehbuch über einen Filmhelden,<br />
der mehrere Menschen erschießt <strong>und</strong> sich anschließend selbst tötet. Die entsprechende<br />
Verfilmung wird allerdings weit weniger „blutrünstig“. A. tritt in<br />
einen Schießverein ein, bekommt einen Waffenschein, <strong>und</strong> kauft sich eine Pistole<br />
sowie eine Pump-Gun mit Pistolengriff. Schulfre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Lehrern gegenüber<br />
äußert er, Lehrer eines Tages umbringen zu wollen <strong>und</strong> bedroht sogar<br />
eine Lehrkraft. Er wird von seiner Gleichaltrigen-Gruppe nicht ernst genommen<br />
<strong>und</strong> erhält einen Schulverweis. Weihnachten zeigt A. seiner Familie ein<br />
gefälschtes Zeugnis der 11. Klasse <strong>und</strong> gibt an, die Abiturprüfungen be<strong>stehen</strong><br />
zu können. Zu diesem Zeitpunkt besucht er aber bereits seit über einem halben<br />
Jahr keine Schule mehr. Am 26.4.2002 frühstückt A. mit seinen Eltern, spielt<br />
von 10.00 bis 11.00Uhr ein gewalttätiges Computerspiel <strong>und</strong> verabschiedet<br />
sich von seinen Eltern. Sie fahren zum Einkaufen <strong>und</strong> er kehrt zum Elternhaus<br />
zurück, nimmt eine Sporttasche sowie einen Rucksack, in denen sich seine Pistole,<br />
die Pump-Gun, eine Machete, ein Messer <strong>und</strong> über 200 Schuss Munition<br />
befinden. A. begibt sich zu seiner Schule, zieht sich auf <strong>dem</strong> WC eine schwarze<br />
Jacke <strong>und</strong> eine Maske über <strong>und</strong> schnallt sich seine Pump-Gun auf den Rücken.<br />
Anschließend erschießt er mit seiner Pistole (ca. 70 Schüsse) 14 Lehrer,<br />
zwei Schüler, einen Polizisten <strong>und</strong> sich selbst.<br />
Interessanterweise bringen die Ermittlungen eine Zeugenaussage eines Fre<strong>und</strong>es<br />
zutage, der beschreibt, mit A. mind. dreimal einen Gewaltfilm gesehen zu<br />
haben, <strong>bei</strong> <strong>dem</strong> der Hauptakteur eine Pump-Gun auf <strong>dem</strong> Rücken trägt. Diese<br />
Waffe hat er <strong>bei</strong> der Tatbegehung nicht einmal benutzt (vgl. Grasser et al.,<br />
2004).<br />
4. Fall<strong>bei</strong>spiele aus der forensischen Praxis<br />
In der ersten Kasuistik (Fall A; Grasser et al., 2004) handelt es sich unverkennbar<br />
um den „Amokläufer“ von Erfurt. Bei ihm findet man – wie der<br />
Text verdeutlicht – eine Konfliktsituation (Schulverweis), die in gewisser<br />
Weise zu einem „Doppelleben“ führte. So hat A. über einen längeren Zeitraum<br />
(mind. sechs Monate) sowohl seiner Familie als auch seinem sozialen