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Forum der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 3 – 2006 46 von Schachter und Singer (1962) zur Fehlattribution von körperlichen Erregungszuständen, Studien zur Verbindung von Persönlichkeit und spezifischen Fantasieinhalten (Raskin & Navacek, 1993) oder auch die nichtstoffgebundene Abhängigkeitstheorie von Hollin und Gresswell (1997) Anregungen geben, weshalb bestimmte Formen der Fantasie entstehen, an Gewaltinhalte gekoppelt und letztendlich in einigen Fällen in deviantem Verhalten ausgedrückt werden. Bei wem allerdings Gewaltfantasien einen eher protektiven Faktor darstellen (bzgl. späterer Gewalthandlungen) und bei wem sie andererseits mit ursächlich für zum Teil massive aggressive Taten sind, entzieht sich bislang unserer Kenntnis. Dazu fehlen Basisraten zu den Phänomenen aus der allgemeinen Bevölkerung, was für eine Identifizierung differentieller Entwicklungswege notwendig wäre. Aus diesem Grund beschäftigt sich der vorliegende Beitrag in einer ersten Annäherung mit der Beschreibung des Phänomens, seiner diagnostischen Abklärung und forensischen Einordnung bis hin zur therapeutischen Anwendung. Abb. 1: Fantasien, Nebenrealität, Realitätsbezug und Identitätserleben bei jungen Tötungsdelinquenten
Fall A: Forum der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 3 – 2006 47 Der 19jährige Schüler A muss aufgrund eines gefälschten ärztlichen Attestes, welches er als Entschuldigung bei der Schule eingereicht hat, und wegen seiner schlechten Noten das Gymnasium verlassen. Davon berichtet er aber weder seiner Familie noch seinen Freunden. Vielmehr teilt er ihnen im Verlauf insgesamt vier verschiedene Versionen über angebliche Besuche anderer Schulen mit. Er täuscht seinem sozialen Umfeld vor, weiterhin zur Schule zu gehen und verlässt beispielsweise morgens das Elternhaus und kommt erst nachmittags zurück. Gleichzeitig zeigt er reges Interesse für „Amokläufe“ an Schulen und führt hierzu Internetrecherchen durch. Er konsumiert gern Computerspiele mit aggressiven Inhalten und schaut mit Vorliebe Gewaltfilme. A. schreibt mit einem Bekannten ein „blutiges“ Drehbuch über einen Filmhelden, der mehrere Menschen erschießt und sich anschließend selbst tötet. Die entsprechende Verfilmung wird allerdings weit weniger „blutrünstig“. A. tritt in einen Schießverein ein, bekommt einen Waffenschein, und kauft sich eine Pistole sowie eine Pump-Gun mit Pistolengriff. Schulfreunden und Lehrern gegenüber äußert er, Lehrer eines Tages umbringen zu wollen und bedroht sogar eine Lehrkraft. Er wird von seiner Gleichaltrigen-Gruppe nicht ernst genommen und erhält einen Schulverweis. Weihnachten zeigt A. seiner Familie ein gefälschtes Zeugnis der 11. Klasse und gibt an, die Abiturprüfungen bestehen zu können. Zu diesem Zeitpunkt besucht er aber bereits seit über einem halben Jahr keine Schule mehr. Am 26.4.2002 frühstückt A. mit seinen Eltern, spielt von 10.00 bis 11.00Uhr ein gewalttätiges Computerspiel und verabschiedet sich von seinen Eltern. Sie fahren zum Einkaufen und er kehrt zum Elternhaus zurück, nimmt eine Sporttasche sowie einen Rucksack, in denen sich seine Pistole, die Pump-Gun, eine Machete, ein Messer und über 200 Schuss Munition befinden. A. begibt sich zu seiner Schule, zieht sich auf dem WC eine schwarze Jacke und eine Maske über und schnallt sich seine Pump-Gun auf den Rücken. Anschließend erschießt er mit seiner Pistole (ca. 70 Schüsse) 14 Lehrer, zwei Schüler, einen Polizisten und sich selbst. Interessanterweise bringen die Ermittlungen eine Zeugenaussage eines Freundes zutage, der beschreibt, mit A. mind. dreimal einen Gewaltfilm gesehen zu haben, bei dem der Hauptakteur eine Pump-Gun auf dem Rücken trägt. Diese Waffe hat er bei der Tatbegehung nicht einmal benutzt (vgl. Grasser et al., 2004). 4. Fallbeispiele aus der forensischen Praxis In der ersten Kasuistik (Fall A; Grasser et al., 2004) handelt es sich unverkennbar um den „Amokläufer“ von Erfurt. Bei ihm findet man – wie der Text verdeutlicht – eine Konfliktsituation (Schulverweis), die in gewisser Weise zu einem „Doppelleben“ führte. So hat A. über einen längeren Zeitraum (mind. sechs Monate) sowohl seiner Familie als auch seinem sozialen
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