Welche Angebote und Hilfen stehen dem Jugendamt bei ... - Bkjpp
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Forum der Kinder- <strong>und</strong> Jugendpsychiatrie <strong>und</strong> Psychotherapie 3 – 2006 39<br />
oder gutachterlichen Interaktion aber weniger durch „Abnormalität“ auf.<br />
Vielmehr geben sie in ihren Schilderungen wiederholt Anlass zu Überlegungen<br />
hinsichtlich des Realitätsbezugs zum Tatzeitpunkt. Beispielsweise<br />
fällt auf, dass einige Täter einen wenig realistischen Lebensentwurf von<br />
materiellem Wohlstand, ewigem „Party feiern“ <strong>und</strong> gesellschaftlicher Anerkennung<br />
(„berühmt Werden“) entwickelt haben. Andere scheinen in einer<br />
medial beeinflussten Welt irgendwo zwischen „Super-Star“ <strong>und</strong> „coolem“<br />
Gangster zu leben. Der Lebensstil <strong>und</strong> einige Verhaltensweisen während<br />
der Tatbegehung wirken dann oft wie eine Reinszenierung von Medieninhalten<br />
(z.B. DVDs, Computerspiele).<br />
Die aktuelle Forschung fokussiert weniger auf kognitive Besonderheiten in<br />
der Realitätsverankerung oder der Fantasiewelt <strong>bei</strong> delinquenten Jugendlichen,<br />
sondern betrachtet primär neurophysiologische <strong>und</strong> psychologische<br />
Korrelate von Delinquenz. So fand Schmeck (2004) <strong>bei</strong>spielsweise in einer<br />
Übersichtsar<strong>bei</strong>t folgende empirisch abgesicherten Einflussfaktoren für aggressives<br />
Verhalten: neuropsychologische Defizite (beeinträchtigte exekutive<br />
Faktoren, niedrige verbale Intelligenz), Attributionsfehler <strong>und</strong> ein<br />
niedriges Selbstwertgefühl (vgl. auch Köhler, 2004). Weiter weist Moeller<br />
(2001) in seinem Buch über Jugendaggression <strong>und</strong> -gewalt daraufhin, dass<br />
<strong>bei</strong> Tötungsdelinquenten weitgehend dieselben Risiko- <strong>und</strong> Einflussfaktoren<br />
wie <strong>bei</strong> aggressivem Verhalten allgemein eine bedeutsame ätiologische<br />
Rolle spielen (vgl. auch Heide, 1999). Diese biologischen, intrapersonellen,<br />
familiären <strong>und</strong> sozialen Risikovariablen sind in Deutschland ausführlich<br />
von Lösel <strong>und</strong> Bliesener (2003) im Rahmen biopsychosozialer Entwicklungsmodelle<br />
von Aggressivität untersucht worden. Moeller (2001)<br />
thematisiert in seinem sehr differenzierten Beitrag über Tötungsdelikte aber<br />
auch Fantasieinhalte einiger junger Täter, wie z.B. Rachegedanken<br />
bzgl. des späteren Opfers. Hinsichtlich derartiger kognitiver Aspekte können<br />
einige ältere wissenschaftliche Beiträge zur Erklärung herangezogen<br />
werden. Beispielsweise sind die seit 1957 bekannten Neutralisationstechniken<br />
von Sykes <strong>und</strong> Matza (z.B. Schuldzuweisung an das Opfer <strong>und</strong> seine<br />
Abwertung) zu nennen, die im Sinne einer kognitiven „Dissonanzreduktion“<br />
für die Tatausführung wirksam werden können (vgl. zur Übersicht<br />
Herkner, 1991). Schorsch <strong>und</strong> Becker legten bereits 1977 eine Ar<strong>bei</strong>t vor,<br />
die sich insbesondere mit der Rolle der Fantasietätigkeit <strong>und</strong> Psychodynamik<br />
<strong>bei</strong> sexuellen Tötungen beschäftigte. Ihre Überlegungen beziehen sich<br />
aber primär auf erwachsene Täter mit vielfältigen psychopathologischen<br />
Auffälligkeiten. Zu<strong>dem</strong> finden sich <strong>bei</strong> kontaktgestörten, biographisch belasteten<br />
<strong>und</strong> häufig selbst traumatisierten erwachsenen Tätern oft lange<br />
be<strong>stehen</strong>de sadistische Fantasien (vgl. u. a. Giannangelo, 1996). Einen ers-