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Familienbewusste Schichtarbeit - Beruf & Familie gGmbH

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Zum anderen ist gerade die Fähigkeit nachts zu arbeiten auf eine<br />

Personengruppe beschränkt, die besondere körperliche Eigenschaften<br />

besitzt und mit den Umstellungen der Wechselschichten<br />

relativ gut klar kommt. Andere Menschen sind viel weniger in der<br />

Lage in Nachtschicht zu arbeiten und müssen schnell feststellen,<br />

dass für sie diese Zeitlage überhaupt nicht in Frage kommt. Nachtarbeiter/innen,<br />

die längere Zeit damit umgehen können, sind also<br />

bereits eine Positivauswahl. Auch hier stellen sich mögliche gesundheitliche<br />

Auswirkungen erst nach Jahren oder Jahrzehnten ein,<br />

wenn sich das gesamte Leben um die Schicht organisiert hat. Als<br />

zeitliche Grenze hat sich eine fünfjährige <strong>Schichtarbeit</strong> (mit Nachtarbeit)<br />

herauskristallisiert. Hier werden die gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />

von einigen bereits als so groß wahrgenommen, dass<br />

ein Ausstieg aus der Nachtarbeit erfolgen muss. Wer 20 Jahre und<br />

länger Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> macht, spürt in der Regel mehr<br />

oder weniger die gesundheitlichen Auswirkungen (vgl. Illmarinen,<br />

Tempel 2002). Der Anteil an den gesundheitlichen Belastungen<br />

liegt nach Untersuchungen zu 55 % am Schichtmodell, 20 % an<br />

individuellen Faktoren und 10 % am demografi schen Faktor.<br />

Insgesamt ergibt sich die Schwierigkeit, die Bedeutung einzelner<br />

Aspekte der Arbeitsfähigkeit einzuordnen und zu bewerten. Die<br />

Herausforderung für die Schichtplangestaltung besteht darin, individuelle<br />

Ressourcen zu berücksichtigen, damit die Gesundheit bis zur<br />

Rente erhalten bleibt, die Arbeitsbedingungen und Belastungen<br />

entsprechend anzupassen und darüber hinaus die Bedingungen für<br />

die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> zu verbessern. Positiv lässt<br />

sich feststellen, dass es viele Stellschrauben gibt, mit denen die<br />

Bedingungen von <strong>Schichtarbeit</strong> beeinfl usst werden können.<br />

Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse<br />

Für das medizinische Verständnis und die gesundheitlichen<br />

Auswirkungen der <strong>Schichtarbeit</strong> ist der Circadianrhythmus 2 des<br />

Menschen grundlegend. Als tagaktives Lebewesen ist der menschliche<br />

Rhythmus zum einen vom Tag-Nacht-Rhythmus abhängig,<br />

den die Natur vorgibt und zum anderen durch den gesellschaftlichen<br />

Rhythmus, bestehend aus Phasen von sozialen Aktivitäten<br />

(Erwerbsarbeit, Aktivitäten in <strong>Familie</strong> und Freizeit, usw.). Aus<br />

diesem Grund kann man sich zwar relativ schnell an andere<br />

Zeitzonen gewöhnen, nicht aber an eine Nachtschicht.<br />

Der Circadianrhythmus ist so etwas wie der tägliche Taktgeber des<br />

Menschen, der die verschiedenen biologischen Vorgänge dirigiert<br />

(Körpertemperatur, Ernährung, Stoffwechsel, Hormonausschüttung,<br />

Regeneration, usw.) und die Abfolge von Leistungshochs und -tiefs<br />

bestimmt. Der Circadianrhythmus ist also nicht umkehrbar und<br />

es gibt auch keine nachweisbaren Möglichkeiten, sich an Nachtarbeit<br />

zu gewöhnen. Während längerer Nachtarbeit verkehren sich<br />

also die biologischen Rhythmen nicht, sondern die verschiedenen<br />

Kurvenverläufe verfl achen (Prozess der Desynchronisation). Dies<br />

wird als Anpassung erlebt, hat aber gesundheitlich negative Folgen.<br />

2 lat. circa = ungefähr, dia = Tag, also der ungefähre Tagesverlauf<br />

%<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

–10<br />

–20<br />

–30<br />

–40<br />

Der Circadianrhythmus<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

–50<br />

6 9 12 15 18 21 24 3 6<br />

Erläuterung: y-Achse Leistungsfähigkeit in Prozent, x-Achse Tageszeiten<br />

Quelle: Laurig, 1992<br />

Auch wenn es Unterschiede gibt, z. B. zwischen den Frühaufstehern<br />

und den Nachtmenschen, sind die individuellen Abweichungen vom<br />

Circadianrhythmus gering.<br />

Wenn man um diese biologischen Grundlagen weiß, kann man sich<br />

leicht vorstellen, was passiert, wenn man dann arbeitet, wenn der<br />

Körper eigentlich auf Erholung eingestellt ist bzw. wenn man sich<br />

dann erholen will, wenn der Körper auf Aktivität programmiert ist.<br />

Überanstrengungen im Leistungstief und mangelnde Erholung im<br />

Aktivitätshoch führen zu permanenten körperlichen Belastungen.<br />

Um die normale Arbeitsleistung – gegenüber den Tagarbeitenden –<br />

zu erbringen, müssen also besondere Anstrengungen unternommen<br />

werden, die oftmals die Körperreserven strapazieren<br />

(vgl. Illmarinen, Tempel 2002). Körperliche Auswirkungen sind aber<br />

nicht nur auf die Nachtschicht beschränkt. Studien haben gezeigt,<br />

dass bereits bei Beschäftigten in Zweischichtsystemen gesundheitliche<br />

Beeinträchtigungen festzustellen sind<br />

(vgl. Ehrenstein u. a. 1989).<br />

Neben diesen zusätzlichen Leistungsanforderungen sind insbesondere<br />

alle körperlichen Vorgänge betroffen, die auf einen stabilen<br />

Rhythmus angewiesen sind; also vor allem ausreichender Schlaf,<br />

die Verdauung und der Kreislauf 3 . Nach jahrelanger <strong>Schichtarbeit</strong><br />

mit Nachtschichten ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, in einem<br />

dieser Bereiche gesundheitliche Probleme zu bekommen. Darüber<br />

gibt es seit langem gesicherte arbeitswissenschaftliche Kenntnisse<br />

(vgl. Beermann 2008). Dies muss allerdings nicht automatisch<br />

erfolgen, denn die gesundheitlichen Risiken von <strong>Schichtarbeit</strong><br />

3 Epidemiologische Untersuchungen sehen Zusammenhänge zwischen <strong>Schichtarbeit</strong><br />

und der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychischen<br />

Erkrankungen (vgl. Harth u. a. 2009).<br />

7

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