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Familienbewusste Schichtarbeit - Beruf & Familie gGmbH

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Unterstützt werden diese arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

durch die Chronobiologie, die die zeitliche Organisation in Physiologie<br />

und Verhalten von Lebewesen untersucht. Im Mittelpunkt<br />

stehen die biologischen Rhythmen, deren Zustandekommen und<br />

wie sich soziale Bedingungen („Zeitgeber“) auf die Zeitrhythmen<br />

auswirken.<br />

In einem Interview mit dem Münchener Chronobiologen Prof. Dr.<br />

Till Roenneberg werden die gesundheitlichen Belastungen durch<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> deutlich (in Spiegel Online vom 14. 04. 2011):<br />

Roenneberg: Die innere Uhr ist ein fundamentales biologisches<br />

System, das wir geerbt haben. Also mit den Uhren-<br />

Genen, von denen die Wissenschaft bisher mehr als 15 entdeckt<br />

hat. Unter zeitlicher Isolation, beispielsweise in einem Schlafbunker,<br />

weicht unsere innere Uhr vom 24-Stunden-Tag ab, bei<br />

den meisten Menschen ist der Innentag etwas länger als 24<br />

Stunden. Das Licht, der Wechsel von Tag und Nacht, synchronisiert<br />

sie täglich mit der Sonnenzeit.<br />

KarriereSPIEGEL: Wie wirken die Jahreszeiten auf unseren<br />

inneren Schlaf-Wach-Rhythmus?<br />

Roenneberg: Unsere innere Uhr folgt dem Sonnenaufgang.<br />

Deshalb verwirrt die schlagartige Umstellung auf Sommer- und<br />

Winterzeit die innere Uhr des Menschen. Es dauert mehr als<br />

vier Wochen, bis sie sich an diese künstliche Zeitverschiebung<br />

angepasst hat.<br />

KarriereSPIEGEL: Aber offensichtlich tickt die innere Uhr nicht<br />

bei jedem Menschen gleich. Warum gibt es sogenannte Lerchen<br />

und Eulen?<br />

Roenneberg: Wie sich die individuelle innere Uhr in den Licht-<br />

Dunkel-Wechsel einbettet, liegt an den genetisch bedingten<br />

Unterschieden. So entstehen unterschiedliche Chronotypen,<br />

deren natürlicher Schlafrhythmus im Extremfall zwölf Stunden<br />

auseinander liegt. Wenn wir von dem normalen achtstündigen<br />

Schlafbedürfnis ausgehen, ruhen knallharte Frühtypen von 20<br />

bis 4 Uhr. Extreme Spättypen gehen nachts um 3 oder gar 4<br />

ins Bett und wachen gegen 11 oder 12 Uhr von allein wieder<br />

auf. Wenn man sie lässt. Also im Urlaub, ohne Arbeits- oder<br />

<strong>Familie</strong>n zwänge, ohne Wecker oder störende Kleinkinder.<br />

Aber das sind Extreme. Die meisten Menschen zählen zu den<br />

gemäßigten Eulen und Lerchen. Unser Chronotyp-Fragebogen<br />

zeigt, dass etwa 60 Prozent der Bundesbürger zwischen 23.30<br />

und 1.30 Uhr ins Bett gehen und zwischen 7.30 und 9.30 Uhr<br />

wieder aufstehen.<br />

KarriereSPIEGEL: Nun hat nicht jeder die Chance, einen<br />

chronotypisch passenden <strong>Beruf</strong> zu wählen. Auch Spätaufsteher<br />

werden Lehrer und müssen morgens um acht topfi t vor der<br />

Klasse stehen. Kann man sich nicht einfach dran gewöhnen?<br />

Roenneberg: Nie. Auch äußere Zwänge – der Wecker, Arbeitszwang,<br />

putzmuntere Kleinkinder – vermögen einen Chronotypen<br />

nie zu ändern. Für etwa 60 Prozent der Deutschen liegen unsere<br />

Arbeitszeiten zu früh. Wenn der Wecker klingelt, ist ihre biologische<br />

Schlafenszeit noch nicht beendet. Dennoch müssen sie<br />

mit und in dieser Außenzeit leben. Das führt zum sozialen Jetlag.<br />

So nennt die Wissenschaft die zeitliche Diskrepanz zwischen<br />

Innen- und Außenzeit, weil sie sehr an Reisen über Zeitzonen<br />

hinweg erinnert, im Gegensatz zu diesen aber chronisch ist.<br />

KarriereSPIEGEL: Wechselschichten führen demnach zu einem<br />

dauernden sozialen Jetlag?<br />

Roenneberg: Ja, sie sind eine der stärksten Angriffe auf die<br />

innere Uhr. Bei Tagschichten bekommen Spättypen eher weniger<br />

Schlaf, weil sie später einschlafen und dennoch morgens um<br />

sechs raus müssen. Spättypen fällt es tendenziell leichter,<br />

Spätschichten zu fahren. Für Nachtschichten sind – wenn<br />

überhaupt – nur die wenigen extremen Spättypen geeignet.<br />

Das sind Killerstunden. Im rotierenden Schichtdienst muss man<br />

arbeiten, wenn die innere Uhr auf Schlaf programmiert ist. Und<br />

soll schlafen, wenn die innere Uhr den Körper eigentlich auf<br />

Aktivität gestellt hat und die Welt draußen laut und hell ist.<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>er leben permanent gegen ihre innere Uhr. Und<br />

leiden unter chronischem Schlafmangel. Das führt unweigerlich<br />

zu Gesundheitsproblemen.<br />

www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,756286,00.html<br />

(gekürzt)<br />

Gestaltungskriterien aus medizinischer Sicht<br />

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass keine Nacht- und<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> besser ist als eine gut gestaltete <strong>Schichtarbeit</strong>. Das<br />

Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. 02. 1992<br />

aufgrund arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse eindeutig fest gestellt,<br />

dass Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich ist<br />

und den Gesetzgeber verpfl ichtet, Arbeitnehmer/innen vor schädlicher<br />

Nachtarbeit zu schützen. Bevor Nachtarbeit eingeführt oder<br />

ausgedehnt werden soll, müssen gute Argumente vorliegen. Die<br />

Vermeidung von Schicht- und Nachtarbeit hat deshalb Vorrang. Ist<br />

Nachtarbeit aus sozialen oder produktionstechnischen Gründen<br />

unumgänglich, können gut gestaltete Schichtsysteme die gesundheitlichen<br />

Auswirkungen nur begrenzen, aber nicht verhindern.<br />

Für Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> ist demnach ein besonders hoher<br />

Arbeitsschutzstandard notwendig. Grenzwerte für gesundheitsgefährdende<br />

Arbeitsstoffe oder zeitliche Empfehlungen für stark<br />

belastende Arbeiten sollten für Schichtbeschäftigte heruntergesetzt<br />

werden.<br />

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