29.12.2013 Aufrufe

Familienbewusste Schichtarbeit - Beruf & Familie gGmbH

Familienbewusste Schichtarbeit - Beruf & Familie gGmbH

Familienbewusste Schichtarbeit - Beruf & Familie gGmbH

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong><br />

<strong>Schichtarbeit</strong>


Inhalt<br />

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

1. Einleitung: Was ist familienbewusste <strong>Schichtarbeit</strong>? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

2. Gesundheitliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

3. Soziale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

4. Demografi sche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

5. Kriterien der Schichtplangestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19<br />

6. Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

7. Teilzeit ist möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

8. Zeitkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

9. Individuelle Zeitoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

10. Umsetzung familienbewusster Schichtmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

11. Umsetzung im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

12. Prozess der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

13. Widerstände bei der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

14. Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />

15. Dienst- und Betriebsvereinbarungen zu familienbewusster <strong>Schichtarbeit</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />

16. Beispiele guter Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />

17. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63


Vorwort<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> stellt in jeder Hinsicht eine Herausforderung für<br />

das persönliche und betriebliche Zeitmanagement dar. Die 17 %<br />

Schicht beschäftigten in Deutschland haben es besonders schwer,<br />

ihr Arbeits- und Privatleben in Einklang zu bringen, da Arbeit<br />

am Wochenende, abends oder nachts mit großen Nachteilen<br />

verbunden ist. Deshalb ist es in Schichtbetrieben besonders wichtig,<br />

die Ansprüche der Beschäftigten auf eine gute Work-Life-Balance<br />

zu verwirklichen.<br />

Besonders wenn <strong>Schichtarbeit</strong> mit Nachtarbeit und Wechselschichten<br />

verbunden ist, ist jede vermiedene <strong>Schichtarbeit</strong> besser<br />

als eine gut gestaltete. Doch dort wo sie unerlässlich ist, sind<br />

Bedingungen zu schaffen, die Gesundheit, Wohlbefi nden und das<br />

Aufrechterhalten sozialer und familiärer Netze ermöglichen.<br />

Zu einer modernen Schichtplanung, die arbeitswissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen gerecht wird, gehören deshalb die Berücksichtigung<br />

sozialer Belange und insbesondere der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />

und <strong>Beruf</strong>. Die vorliegende Broschüre zeigt anhand konkreter<br />

Praxisbeispiele, dass – entgegen dem gängigen Argument, in<br />

Schichtsystemen seien die arbeitsorganisatorischen Freiräume zu<br />

gering – durchaus Möglichkeiten familienbewusster Schichtplangestaltung<br />

vorhanden sind.<br />

Vor dem Hintergrund des demografi schen Wandels und des<br />

prognostizierten Fachkräftemangels ist das Thema <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit<br />

zu einem immer wichtiger werdenden Bestandteil<br />

zukunftsorientierter Personalpolitik geworden. Immer mehr Schichtbetriebe<br />

nehmen auch die Herausforderung an und machen sich<br />

auf den Weg, zusammen mit der Interessenvertretung und den<br />

Beschäftigten, Lösungen für die Praxis zu fi nden.<br />

Hier setzt das Projekt „Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten“ mit der Broschüre „<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> <strong>Schichtarbeit</strong>“<br />

an. Mit Empfehlungen für die Schicht- oder Dienstplangestaltung,<br />

Umsetzungsstrategien und Beispielen guter Praxis ist ein Leitfaden<br />

entstanden, der Betriebs- und Personalräte unterstützt, eine sozialverträgliche<br />

und familienbewusste Gestaltung der Arbeitszeiten für<br />

Schichtbeschäftigte zu erreichen.<br />

Die Beispiele in dieser Broschüre zeigen, dass familienbewusste<br />

Schichtgestaltung so vielfältig sein kann wie die Betriebe und<br />

ihre Beschäftigten es sind. Es handelt sich dabei weder um ein<br />

„Luxusproblem“ noch um ein Orchideenthema. <strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong><br />

Arbeitszeitgestaltung ist wesentlicher Bestandteil einer zukunftsund<br />

lebensphasenorientierten Personalpolitik, die die individuellen<br />

Bedürfnisse der Beschäftigten besser berücksichtigt.<br />

In diesem Sinne wünsche ich allen Beteiligten viel Erfolg bei der<br />

konkreten Umsetzung einer familienbewussten Schichtplanung.<br />

Ingrid Sehrbrock


1. Einleitung: Was ist familienbewusste <strong>Schichtarbeit</strong>?<br />

Seit einigen Jahren gewinnt das Thema der Vereinbarkeit von<br />

<strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> immer größere Bedeutung. In Diskussionen um<br />

die demografi sche Entwicklung in Deutschland, den Fachkräftemangel<br />

und die stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen wird eine<br />

gerechtere Aufgabenteilung zwischen den Bereichen Arbeit und<br />

Privatleben und zwischen den Geschlechtern immer notwendiger.<br />

<strong>Familie</strong>nfreundliche Maßnahmen waren anfangs weitgehend auf<br />

hochqualifi zierte Beschäftigtengruppen in boomenden Branchen<br />

beschränkt. Mittlerweile ist das Thema auch in schwierigen<br />

Branchen, in kleinen und mittleren Unternehmen als auch in<br />

männerdominierten Betrieben angekommen. Viele Einzelfälle<br />

zeigen, dass auch unter schlechten wirtschaftlichen und strukturellen<br />

Bedingungen familienbewusste Arbeitszeiten realisiert<br />

werden können und nicht auf große „Vorzeigeunternehmen“<br />

beschränkt sein müssen.<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> an sich stellt große Anforderungen an eine sozialverträgliche<br />

Gestaltung der Arbeitszeiten, insbesondere wenn<br />

Nachtarbeit und Wochenendarbeit Bestandteil des Schicht modells<br />

sind. Seit Jahrzehnten existiert eine breite wissenschaftliche<br />

Forschung zu den sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen<br />

von <strong>Schichtarbeit</strong> und ebenso lange versuchen Gewerkschaften,<br />

Interessen vertretungen und betriebliche Experten gute Lösungen<br />

für die Praxis zu fi nden.<br />

Diese Broschüre verbindet bestehende Empfehlungen für<br />

die Schichtgestaltung und zeigt anhand von Beispielen und<br />

Umsetzungs strategien, wie <strong>Schichtarbeit</strong> familienbewusster<br />

gestaltet werden kann.<br />

Als Querschnittsthema verbindet die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und<br />

<strong>Beruf</strong> verschiedenste Aspekte von Arbeit und Leben miteinander:<br />

Arbeitszeit, betriebliche Gesundheitsförderung, demografi efeste<br />

Personalplanung, Arbeitsorganisation usw. Wenn also Kriterien der<br />

Gesundheit, des Sozialen, des Arbeitsschutzes, der ergonomischen<br />

und alter(n)sgerechten Arbeitsgestaltung ausreichend berücksichtigt<br />

werden und zugleich Kriterien der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />

und <strong>Beruf</strong> in die Schichtgestaltung integriert sind, sprechen wir von<br />

familienbewusster <strong>Schichtarbeit</strong>.<br />

Verbreitung von ungewöhnlichen Arbeitszeitformen<br />

Seit den 90er Jahren ist nach einer längeren Phase des Stillstandes<br />

der Anteil der Beschäftigten mit wechselnden Schichten<br />

deutlich gewachsen. Nach aktuellen EU-Daten arbeiteten 2008<br />

16,9 Prozent der Beschäftigten in Deutschland in Schichtsystemen<br />

<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong><br />

<strong>Schichtarbeit</strong><br />

Gesundheit<br />

Arbeitswissenschaft<br />

Eigene Darstellung, 2011<br />

familienbewusste<br />

Schichtgestaltung<br />

Soziales<br />

Demografi e<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

(19 % der Männer und 14,6 % der Frauen) was in etwa dem<br />

Durchschnitt in der EU entspricht. 1991 waren es nur 13 Prozent.<br />

Allerdings ist Deutschland eines der wenigen Länder, in dem<br />

seit 2002 eine deutliche Zunahme von <strong>Schichtarbeit</strong> (+ 2,1 %)<br />

statt gefunden hat, während im EU-Durchschnitt <strong>Schichtarbeit</strong><br />

rückläufi g war (–1,8 %) (vgl. Lehndorff u. a. 2010). In Ländern mit<br />

hoher Verbreitung von <strong>Schichtarbeit</strong> wird sie auch von Müttern<br />

und Vätern häufi g ausgeübt. In Deutschland sind ein Viertel der<br />

schichtarbeitenden Frauen und Männer im Alter zwischen 25<br />

und 49 Jahren Eltern. Von den 2,5 Mio. Beschäftigten die nachts<br />

arbeiten sind 600.000 Frauen, was den starken Anstieg seit<br />

Aufhebung des Nachtarbeitsverbots für Frauen (1992) dokumentiert.<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> ist das bedeutendste Instrument zur Ausweitung<br />

von Betriebszeiten. Aber auch bei weiteren Flexibilisierungsformen<br />

spielt <strong>Schichtarbeit</strong> eine große Rolle, wie die folgende Tabelle<br />

verdeutlicht (vgl. Lehndorff u. a. 2010, WSI 2008, Harth u. a. 2009).<br />

2


Anteil ungewöhnlicher Arbeitszeitformen an allen Beschäftigten<br />

gewöhnlich manchmal insgesamt<br />

Nachtarbeit* 9,5 % 5,7 % 15,2 %<br />

Abendarbeit** 25,8 % 18 % 43,8 %<br />

Samstagsarbeit 24,2 % 20,6 % 44,8 %<br />

Sonntagsarbeit 12,8 % 13 % 25,8 %<br />

* Nachtarbeit: zwischen 23 und 6 Uhr<br />

** Abendarbeit: nach 18 Uhr Quelle: Lehndorff u. a., 2010<br />

Die Branchen, in denen dauerhafte oder gelegentliche <strong>Schichtarbeit</strong><br />

am häufi gsten vertreten ist, sind (vgl. Beermann 2008):<br />

• das produzierende Gewerbe (ohne Bau) (33 %) 1 ,<br />

• der Handel, Gaststätten und Verkehr (34,8 %) und<br />

• öffentliche und private Dienstleistungen (23,8 %)<br />

Eine gesetzliche Defi nition von <strong>Schichtarbeit</strong> existiert nicht. Laut<br />

eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts kann von <strong>Schichtarbeit</strong><br />

gesprochen werden, wenn eine Arbeitsaufgabe über einen längeren<br />

Zeitraum nur von mehreren Beschäftigten in einer geregelten<br />

Reihenfolge – auch außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit –<br />

geleistet werden kann (BAG-Urteil 20. 06. 1990 4 AZR 5/90).<br />

Folgende Schichtsysteme sind dabei zu unterscheiden:<br />

Vollkontinuierliches Schichtsystem („Vollkonti“): 7 Tage in<br />

der Woche, rund um die Uhr ohne Unterbrechungen. Gängig sind<br />

Drei- oder Mehrschichtsysteme, bei denen der Schichtrhythmus<br />

nach einem bestimmten Muster abläuft. Auch Sonderformen wie<br />

12-Stunden- und 24-Stunden-Schichten (Werkschutz) sind möglich.<br />

Für die Gestaltung der Schichtsysteme sind insbesondere das<br />

Arbeitszeitgesetz und das Arbeitsschutzgesetz grundlegend, das die<br />

Berücksichtigung der neuesten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

vorschreibt.<br />

Diskontinuierliches Schichtsystem: Meist mit zwei oder drei<br />

Schichten ohne Wochenendarbeit. Zwei-Schichtsysteme bestehen in<br />

der Regel aus Früh- und Spätschicht, Drei-Schichtsysteme aus Früh-,<br />

Spät- und Nachtschicht (vgl. Grzech-Sukalo; Hänecke 2010).<br />

Versetzte Arbeitszeiten: Bezeichnet ein System von Mehrfachbesetzungen,<br />

das vorwiegend im Dienstleistungsbereich<br />

Anwendung fi ndet. Einzelne Beschäftigte oder Gruppen arbeiten<br />

z. B. von 8:00 bis 16:00 Uhr, 9:30 bis 17:30 Uhr und 14:00<br />

bis 21:00 Uhr. Von 2001 bis 2007 stieg der Anteil der Beschäftigten<br />

in versetzten Arbeitszeiten in Deutschland von 15 % auf 24,3 %.<br />

Damit sind mehr Beschäftigte in diesen Zeitformen tätig als in<br />

Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> (vgl. Groß 2010). Die folgende Tabelle<br />

vergleicht die gängigen Schichtsysteme.<br />

1 Die starke Ausbreitung von <strong>Schichtarbeit</strong> im produzierenden Gewerbe zeigt die<br />

weiterhin bestehende Bedeutung des Industriestandorts Deutschland.<br />

3


Gängige Schichtsysteme<br />

Permanente<br />

Schichtsysteme<br />

I Dauerfrühschicht<br />

II Dauerspätschicht<br />

III Dauernachtschicht<br />

IV Geteilte Schichten zu konstanten<br />

Zeiten (z. B. Schiffswachen)<br />

(in den USA und Japan bevorzugt)<br />

1. Zweischichtsystem<br />

ohne Wochenendarbeit<br />

I System ohne Nachtarbeit<br />

2. Zweischichtsystem mit<br />

Wochenendarbeit (z.B. mit Springern<br />

oder verdünnten Schichten)<br />

Wechselschichtsysteme<br />

(in Europa<br />

bevorzugt)<br />

II System mit Nachtarbeit ohne<br />

Wochenendarbeit<br />

(„diskontinuierliche“ Arbeitsweise)<br />

1. Regelmäßige Systeme<br />

2. Unregelmäßige Systeme (z.B. mit<br />

Variation der Anzahl von Schichtbelegschaften,<br />

der Schichtdauer,<br />

der Schichtwechselzeiten, des<br />

Schichtwechselzyklus)<br />

a) Zweischichtsystem (z. B. 12-Stunden-<br />

Tag-, 12-Stunden-Nachtschicht;<br />

3 Schichtbelegschaften)<br />

b) Dreischichtsysem (z. B. 3 x 8 Stunden;<br />

3 Schichtbelegschaft)<br />

a) Schicht-Belegschaften<br />

(z.B. Schiffswachen)<br />

III System mit Nachtarbeit und<br />

Wochenendarbeit<br />

(„kontinuierliche“ Arbeitsweise)<br />

1. Regelmäßige Systeme<br />

2. Unregelmäßige Systeme (z.B. Variation<br />

der Anzahl von Schichtbelegschaften,<br />

der Schichtdauer, der Schicht wechselzeiten,<br />

des Schichtwechselzyklus)<br />

b) 4 Schicht-Belegschaften (z. B. 8- oder<br />

12-Stunden-Schichten; kombiniert als<br />

sog. Schwedenschicht)<br />

c) 5- oder 6-Schicht-Belegschaften<br />

Quelle:Kollig 2006 nach Beermann<br />

Gute Arbeit<br />

Mit <strong>Schichtarbeit</strong> sind vielfach soziale und gesundheitliche Risiken<br />

verbunden. „Nachtarbeit und Wechselschichtarbeit gefährden die<br />

Gesundheit. Schlafstörungen, Magen- und Verdauungs beschwerden<br />

oder Herzschmerzen treten häufi ger auf als bei Beschäftigten<br />

mit Normalarbeitszeit, die durchschnittliche Krankheitsdauer ist<br />

länger“, fasst Seifert die Befunde von Arbeitsmedizinern/innen<br />

zusammen (WSI 2008).<br />

Die unsozialen Arbeitszeitlagen von <strong>Schichtarbeit</strong> führen häufi g<br />

dazu, dass die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> schlechter<br />

gelingt als bei „normalen“ Arbeitszeiten und damit negativ<br />

auf die Arbeitsqualität wirkt. Der DGB-Index Gute Arbeit hat in<br />

seiner repräsentativen Untersuchung von 2009 festgestellt, dass<br />

Arbeitszeiten von Schichtbeschäftigten am Wochenende, abends<br />

und nachts weit verbreitet sind und darüber hinaus auch der<br />

Einfl uss der Beschäftigten auf die Arbeitszeitgestaltung gering ist.<br />

42 Prozent der Beschäftigten beklagen, dass ihre Arbeitszeiten oft<br />

oder sehr häufi g von betrieblichen Interessen bestimmt werden.<br />

„Alles in allem sehen 40 Prozent der Befragten ihre Bedürfnisse<br />

bei der Zeitplanung überhaupt nicht oder nur in geringem Maße<br />

berücksichtigt. Ein noch höherer Anteil, nahezu 60 Prozent der<br />

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben an, gar keinen oder<br />

nur geringen Einfl uss auf ihre Arbeitszeitgestaltung nehmen zu<br />

können“ (DGB-Index Gute Arbeit 2009).<br />

4


Lage der Arbeitszeiten<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Kommt es vor, dass Sie zu folgenden Zeiten arbeiten…?<br />

Am Wochenende:<br />

samstags und/oder sonntags<br />

Abends:<br />

zwischen 18 und 22 Uhr<br />

Nachts:<br />

zwischen 22 und 5 Uhr<br />

Meine Arbeitszeit richtet<br />

sich nach dem<br />

betrieblichen Bedarf<br />

17 % 18 % 35 % 30 %<br />

16 % 18 % 31 % 35 %<br />

7 % 6 % 15 % 72 %<br />

17 % 25 % 35 % 23 %<br />

Sehr häufi g Oft Selten Nie<br />

Quelle: DGB-Index Gute Arbeit, 2009<br />

Vor allem in Branchen mit hohem Anteil von Schicht-, Nacht- und<br />

Wochenendarbeit herrschen besonders schlechte Bedingungen für<br />

eine gelungene Work-Life-Balance. Zu diesem Ergebnis kam die<br />

Sonderuntersuchung des DGB-Index Gute Arbeit zur Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> im Jahr 2007. In Betrieben mit einem wenig<br />

familienbewussten Betriebsklima werden von den Beschäftigten<br />

die Arbeitsbedingungen schlechter eingeschätzt als in Betrieben<br />

mit besseren Vereinbarkeitsbedingungen. Gerade diese Beschäftigtengruppen,<br />

deren Arbeit kaum Abwechslung, Erfüllung und<br />

Entwicklungsmöglichkeiten bietet, geraten bei den Diskussionen<br />

um <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit oft aus dem Blickwinkel, obwohl sie<br />

den gleichen Anspruch auf eine gute Work-Life-Balance haben<br />

wie etwa hochqualifi zierte Fachkräfte. Laut DGB-Index gehören zu<br />

den Branchen mit wenig familienbewussten Bedingungen u. a. das<br />

Gastgewerbe und die Verkehrsberufe, also klassische Branchen mit<br />

hohem Anteil an <strong>Schichtarbeit</strong> (siehe folgende Tabelle).<br />

Ist das Verhältnis zwischen „<strong>Beruf</strong>“ und „privatem Leben“<br />

bei Ihnen ausgewogen?<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Chemie, Kunststoff, Glas<br />

Metallerzeugung, -verarbeitung<br />

Maschinen-, Fahrzeug-, Schiffbau<br />

Baugewerbe<br />

Groß- und Einzelhandel<br />

Gastgewerbe, Verkehr<br />

Kredit/Versicherung, Unternehmens-DL.<br />

Öffentliche Verwaltung<br />

Erziehung, Unterricht<br />

Gesundheits-, Veterinär-, Sozialwesen<br />

In (sehr) hohem Maß<br />

In geringem Maß / Nein<br />

52 % 48 %<br />

60 % 40 %<br />

60 % 40 %<br />

52 % 48 %<br />

54 % 46 %<br />

42 % 58 %<br />

62 % 38 %<br />

66 % 34 %<br />

64 % 36 %<br />

58 % 42 %<br />

Quelle: DGB-Index Gute Arbeit, INIFES (Tatjana Fuchs), 2007<br />

5


2. Gesundheitliche Aspekte<br />

Für die Auswirkungen von Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> auf die<br />

Gesundheit ist das Modell der Arbeitsfähigkeit sehr hilfreich, um die<br />

verschiedenen Einfl ussfaktoren zu identifi zieren und ihr Zusammenspiel<br />

transparenter zu machen. Grundlegend wirken Aspekte der<br />

Gesundheit, der Qualifi kation, der Motivation und der Arbeitsorganisation<br />

auf die Ressourcen der einzelnen Beschäftigten und<br />

bestimmen ihre/seine Arbeitsfähigkeit. Schwierige Arbeitsbedingungen<br />

können z. B. durch größere Autonomie in der Arbeit, durch<br />

ein gutes Betriebsklima oder durch eine gute körperliche Konstitution<br />

ausgeglichen werden und mögliche gesundheitliche Risiken<br />

verringern oder ganz vermeiden. Umgekehrt ist offensichtlich, dass<br />

eine mangelhafte Ausbildung unmittelbar zu Überforderung, Stress<br />

und Unzufriedenheit führt, die auch die Arbeitsfähigkeit massiv<br />

beeinträchtigt.<br />

Bei der Beurteilung der körperlichen Kapazitäten kommen zwei<br />

positive Faktoren „erschwerend“ hinzu. Zum einen sind die<br />

menschlichen Fähigkeiten, auch mit widrigen Bedingungen klar<br />

zu kommen, generell stark ausgeprägt. Negative gesundheitliche<br />

Folgen machen sich deshalb häufi g erst nach Jahren der Praxis<br />

bemerkbar. In der Wissenschaft spricht man vom „Healthy-Worker-<br />

Effect“, das heißt Menschen sind über einen langen Zeitraum in<br />

der Lage durch ihre Willensanstrengung und Ressourcen nachts<br />

zu arbeiten ohne sichtbare Schäden davonzutragen. <strong>Schichtarbeit</strong><br />

erscheint für jüngere Beschäftigte als unproblematisch und<br />

die gesundheitlichen Risiken werden häufi g nicht zur Kenntnis<br />

genommen oder verdrängt.<br />

Bedingungen der Arbeitsfähigkeit<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Gesundheit<br />

Ausbildung<br />

und<br />

Kompetenz<br />

Motivation<br />

Arbeit<br />

Physische<br />

Kapazität<br />

Arbeitszufriedenheit<br />

Mentale<br />

Anforderungen<br />

Fertigkeiten<br />

Arbeitsgemeinschaft<br />

Psychische<br />

Kapazität<br />

Menschliche<br />

Ressourcen<br />

Arbeitsfähigkeit<br />

Kenntnisse<br />

Arbeitsumgebung<br />

Soziale<br />

Kapazität<br />

Werte<br />

Einstellungen<br />

Physische<br />

Anforderungen<br />

Quelle: Illmarinen, 1999<br />

6


Zum anderen ist gerade die Fähigkeit nachts zu arbeiten auf eine<br />

Personengruppe beschränkt, die besondere körperliche Eigenschaften<br />

besitzt und mit den Umstellungen der Wechselschichten<br />

relativ gut klar kommt. Andere Menschen sind viel weniger in der<br />

Lage in Nachtschicht zu arbeiten und müssen schnell feststellen,<br />

dass für sie diese Zeitlage überhaupt nicht in Frage kommt. Nachtarbeiter/innen,<br />

die längere Zeit damit umgehen können, sind also<br />

bereits eine Positivauswahl. Auch hier stellen sich mögliche gesundheitliche<br />

Auswirkungen erst nach Jahren oder Jahrzehnten ein,<br />

wenn sich das gesamte Leben um die Schicht organisiert hat. Als<br />

zeitliche Grenze hat sich eine fünfjährige <strong>Schichtarbeit</strong> (mit Nachtarbeit)<br />

herauskristallisiert. Hier werden die gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />

von einigen bereits als so groß wahrgenommen, dass<br />

ein Ausstieg aus der Nachtarbeit erfolgen muss. Wer 20 Jahre und<br />

länger Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> macht, spürt in der Regel mehr<br />

oder weniger die gesundheitlichen Auswirkungen (vgl. Illmarinen,<br />

Tempel 2002). Der Anteil an den gesundheitlichen Belastungen<br />

liegt nach Untersuchungen zu 55 % am Schichtmodell, 20 % an<br />

individuellen Faktoren und 10 % am demografi schen Faktor.<br />

Insgesamt ergibt sich die Schwierigkeit, die Bedeutung einzelner<br />

Aspekte der Arbeitsfähigkeit einzuordnen und zu bewerten. Die<br />

Herausforderung für die Schichtplangestaltung besteht darin, individuelle<br />

Ressourcen zu berücksichtigen, damit die Gesundheit bis zur<br />

Rente erhalten bleibt, die Arbeitsbedingungen und Belastungen<br />

entsprechend anzupassen und darüber hinaus die Bedingungen für<br />

die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> zu verbessern. Positiv lässt<br />

sich feststellen, dass es viele Stellschrauben gibt, mit denen die<br />

Bedingungen von <strong>Schichtarbeit</strong> beeinfl usst werden können.<br />

Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse<br />

Für das medizinische Verständnis und die gesundheitlichen<br />

Auswirkungen der <strong>Schichtarbeit</strong> ist der Circadianrhythmus 2 des<br />

Menschen grundlegend. Als tagaktives Lebewesen ist der menschliche<br />

Rhythmus zum einen vom Tag-Nacht-Rhythmus abhängig,<br />

den die Natur vorgibt und zum anderen durch den gesellschaftlichen<br />

Rhythmus, bestehend aus Phasen von sozialen Aktivitäten<br />

(Erwerbsarbeit, Aktivitäten in <strong>Familie</strong> und Freizeit, usw.). Aus<br />

diesem Grund kann man sich zwar relativ schnell an andere<br />

Zeitzonen gewöhnen, nicht aber an eine Nachtschicht.<br />

Der Circadianrhythmus ist so etwas wie der tägliche Taktgeber des<br />

Menschen, der die verschiedenen biologischen Vorgänge dirigiert<br />

(Körpertemperatur, Ernährung, Stoffwechsel, Hormonausschüttung,<br />

Regeneration, usw.) und die Abfolge von Leistungshochs und -tiefs<br />

bestimmt. Der Circadianrhythmus ist also nicht umkehrbar und<br />

es gibt auch keine nachweisbaren Möglichkeiten, sich an Nachtarbeit<br />

zu gewöhnen. Während längerer Nachtarbeit verkehren sich<br />

also die biologischen Rhythmen nicht, sondern die verschiedenen<br />

Kurvenverläufe verfl achen (Prozess der Desynchronisation). Dies<br />

wird als Anpassung erlebt, hat aber gesundheitlich negative Folgen.<br />

2 lat. circa = ungefähr, dia = Tag, also der ungefähre Tagesverlauf<br />

%<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

–10<br />

–20<br />

–30<br />

–40<br />

Der Circadianrhythmus<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

–50<br />

6 9 12 15 18 21 24 3 6<br />

Erläuterung: y-Achse Leistungsfähigkeit in Prozent, x-Achse Tageszeiten<br />

Quelle: Laurig, 1992<br />

Auch wenn es Unterschiede gibt, z. B. zwischen den Frühaufstehern<br />

und den Nachtmenschen, sind die individuellen Abweichungen vom<br />

Circadianrhythmus gering.<br />

Wenn man um diese biologischen Grundlagen weiß, kann man sich<br />

leicht vorstellen, was passiert, wenn man dann arbeitet, wenn der<br />

Körper eigentlich auf Erholung eingestellt ist bzw. wenn man sich<br />

dann erholen will, wenn der Körper auf Aktivität programmiert ist.<br />

Überanstrengungen im Leistungstief und mangelnde Erholung im<br />

Aktivitätshoch führen zu permanenten körperlichen Belastungen.<br />

Um die normale Arbeitsleistung – gegenüber den Tagarbeitenden –<br />

zu erbringen, müssen also besondere Anstrengungen unternommen<br />

werden, die oftmals die Körperreserven strapazieren<br />

(vgl. Illmarinen, Tempel 2002). Körperliche Auswirkungen sind aber<br />

nicht nur auf die Nachtschicht beschränkt. Studien haben gezeigt,<br />

dass bereits bei Beschäftigten in Zweischichtsystemen gesundheitliche<br />

Beeinträchtigungen festzustellen sind<br />

(vgl. Ehrenstein u. a. 1989).<br />

Neben diesen zusätzlichen Leistungsanforderungen sind insbesondere<br />

alle körperlichen Vorgänge betroffen, die auf einen stabilen<br />

Rhythmus angewiesen sind; also vor allem ausreichender Schlaf,<br />

die Verdauung und der Kreislauf 3 . Nach jahrelanger <strong>Schichtarbeit</strong><br />

mit Nachtschichten ist die Wahrscheinlichkeit relativ groß, in einem<br />

dieser Bereiche gesundheitliche Probleme zu bekommen. Darüber<br />

gibt es seit langem gesicherte arbeitswissenschaftliche Kenntnisse<br />

(vgl. Beermann 2008). Dies muss allerdings nicht automatisch<br />

erfolgen, denn die gesundheitlichen Risiken von <strong>Schichtarbeit</strong><br />

3 Epidemiologische Untersuchungen sehen Zusammenhänge zwischen <strong>Schichtarbeit</strong><br />

und der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychischen<br />

Erkrankungen (vgl. Harth u. a. 2009).<br />

7


können durch eine Reihe von Maßnahmen in folgenden Bereichen<br />

abgemildert werden:<br />

• Verbesserungen in der Arbeitsorganisation,<br />

• Reduktion von Arbeitsbelastungen und Stress,<br />

• Handlungsspielräume in der Arbeit,<br />

• ein gutes Betriebsklima und ein guter Zusammenhalt im Team/<br />

in der Schichtgruppe,<br />

• gesundheitsförderliche Maßnahmen,<br />

• ein positives betriebliches Umfeld, das auch die Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> unterstützt,<br />

• und natürlich Schichtpläne, die medizinische und soziale Risiken<br />

minimieren.<br />

Leistungsfähigkeit<br />

Grundsätzlich ist zwischen Belastungen und langfristigen Auswirkungen<br />

von <strong>Schichtarbeit</strong> zu unterscheiden, die oft erst nach<br />

Jahren oder Jahrzehnten sichtbar werden. Die unterschiedliche<br />

Leistungsfähigkeit kann daran abgelesen werden, dass gleiche<br />

Arbeiten von den Beschäftigten zu unterschiedlichen Tageszeiten<br />

als unterschiedlich beanspruchend empfunden werden. Auch<br />

die Häufi gkeit von Fehlern und das Unfallrisiko sind nachts stark<br />

erhöht. Untersuchungen zeigen, dass bereits in der Spätschicht<br />

ein um 17,8 % höheres Unfallrisiko gegenüber der Frühschicht<br />

besteht. In der Nachtschicht ist das Risiko um 30,6 % höher als<br />

am Tag (vgl. Beermann 2008). In amerikanischen Studien wurde<br />

fest gestellt, dass das höchste Unfallrisiko bei kontinuierlicher<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> und besonders an Sonntagen vorlag (vgl. Monk<br />

1989).<br />

Schlafprobleme<br />

Als Folge der gegenläufi gen Rhythmen ist die Schlafzeit der Nachtschichtarbeiter/innen<br />

oft verkürzt. Störungen durch den Lärm am<br />

Tag tragen dazu bei, dass der Schlaf öfter unterbrochen wird,<br />

weniger tief ist und die Regeneration deshalb unzureichend ist.<br />

Resultat sind Ermüdungen, die das Wachsamkeitsniveau senken<br />

und die Koordination von Bewegungen und Denkabläufen beeinträchtigen<br />

können. Studien haben festgestellt, dass im Durchschnitt<br />

die Schlafzeiten vor den verschiedenen Schichten erheblich voneinander<br />

abweichen. Vor der Frühschicht beträgt die Schlafdauer<br />

durchschnittlich 7,5 Stunden, nach der Spätschicht 9 Stunden und<br />

nach der Nachtschicht nur 6 Stunden. Am stärksten sind Dauernachtschichtarbeiter/innen<br />

von Schlafdefi ziten betroffen: Je nach<br />

Untersuchung beklagen 35 – 55% der Dauernachtschichtarbeiter/<br />

innen massive Schlafstörungen; bei ehemaligen <strong>Schichtarbeit</strong>enden<br />

rückblickend sogar 70 – 90% während ihrer damaligen Nachtschicht.<br />

Beim Wechsel zu einer Dauertagschicht gingen die Schlafstörungen<br />

auf unter 20 % zurück. Bei den Beschäftigten zwischen<br />

dem 40. und 50. Lebensjahr gaben zwischen 22 % und 36 %<br />

Schlaf störungen an; bei denjenigen, die keine Nachtschicht haben<br />

lag der Anteil von Beschäftigten mit Schlafstörungen zwischen<br />

6,2 % und 13,3 % (vgl. Minors; Waterhouse 1990, Kollig 2006,<br />

Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

2000, Ilmarinen; Tempel 2002, Janßen, Nachreiner<br />

2004, WDR 2009).<br />

Probleme mit der Verdauung<br />

In der Nachtschicht ist die Nahrungsaufnahme nach ein Uhr<br />

nachts dadurch erschwert, dass der Magen schlecht auf die<br />

Verdauung eingestellt ist. Hinzu kommt, dass Kantinen selten auf<br />

die Bedürfnisse der Nachtschicht ausgerichtet sind. Es fehlt z. B.<br />

die Möglichkeit warmes Essen zuzubereiten. Appetitstörungen<br />

sind die ersten Signale, dass etwas nicht stimmt. Magen-Darm-<br />

Beschwerden haben bis zu 55% der <strong>Schichtarbeit</strong>er/innen<br />

mit Nachtschicht und diese können sich zu Erkrankungen der<br />

Verdauungs organe entwickeln. Magen-Darm-Störungen bleiben<br />

auch dann noch für längere Zeit bestehen, wenn die Nachtarbeit<br />

aufgegeben und in Normalschicht gearbeitet wird (vgl. Knauth;<br />

Hornberger 1997).<br />

Psychische Probleme<br />

Verschiedene europäische Studien haben bestätigt, dass Beschäftigte<br />

in <strong>Schichtarbeit</strong> – insbesondere, wenn nachts gearbeitet wird<br />

– häufi ger von chronischer Müdigkeit, Nervosität, Angstzuständen,<br />

sexuellen Problemen und Depressionen betroffen sind. Die Störungen<br />

führen häufi g in einen Teufelskreislauf, der weitere Schlafl osigkeit zur<br />

Folge haben kann und familiäre und soziale Probleme nach sich zieht<br />

(vgl. Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen<br />

2000, Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und<br />

Umweltmedizin 2006, Wirtz 2010).<br />

Weitere Belastungen<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> ist oft verbunden mit weiteren Arbeitsbelastungen 4<br />

und rigiden Arbeitsbedingungen, wie körperlich anstrengende<br />

Arbeit, nervliche Belastungen sowie Arbeitsumgebungsbelastungen<br />

wie Klima, Lärm und Gefahrstoffe. In einer repräsentativen Untersuchung<br />

der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin<br />

(BAuA) und des Bundesinstituts für <strong>Beruf</strong>l iche Bildung (BIBB)<br />

konnte gezeigt werden, dass Nachtarbeit weiterhin mit hohen<br />

zusätzlichen Belastungsfaktoren verbunden ist (vgl. Beermann<br />

2008). Neben den klassischen Belastungen wie Arbeit im Stehen,<br />

Tragen schwerer Lasten, Lärm, Klima, gesundheitsgefährdende<br />

Arbeitsstoffe, ist auch eine Zunahme von psychischen Belastungen<br />

in <strong>Schichtarbeit</strong> festzustellen. Diese Belastungshäufungen sind<br />

besonders kritisch zu sehen und sollten bei der Gestaltung der<br />

Schichten in jedem Fall berücksichtigt werden. So machen zum<br />

Beispiel 12-Stunden-Schichten unter Bedingungen von schwerer<br />

körperlicher Arbeit wenig Sinn.<br />

4 Kontovers wird in der Wissenschaft aktuell die Wirkung von <strong>Schichtarbeit</strong> auf<br />

die Entstehung von Krebs diskutiert. 2007 hatte die Internationale Agentur für<br />

Krebsforschung (IARC) einen geringen Anstieg von Brustkrebs bei weiblichen<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>erinnen festgestellt, der von neueren Studien nicht bestätigt wurde<br />

(vgl. Straif u. a. 2007, Harth u. a. 2009).<br />

8


Physische Arbeitsbedingungen in und ohne <strong>Schichtarbeit</strong><br />

Arbeitsbedingungen „häufig“<br />

<strong>Schichtarbeit</strong><br />

(in Prozent)<br />

keine <strong>Schichtarbeit</strong><br />

(in Prozent)<br />

Arbeit im Stehen 77,8 49,1<br />

Arbeit im Sitzen 32,6 60,4<br />

Heben / Tragen schwerer Lasten (M: > 20 kg; F: >10 kg) 34,4 18,8<br />

Rauch, Staub, Gase, Dämpfe 22,3 11,0<br />

Kälte, Hitze, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft 29,1 18,5<br />

Öl, Fett, Schmutz, Dreck 27,3 14,3<br />

Zwangshaltung (gebückt, hockend, knieend, liegend) 19,4 12,5<br />

Erschütterungen, Stöße, Schwingungen 7,3 3,7<br />

grelles Licht, schlechte Beleuchtung 15,9 7,0<br />

gefährliche Stoffe, Strahlung 10,9 5,4<br />

Schutzkleidung, -ausrüstung 35,8 16,0<br />

Lärm 37,2 19,4<br />

Mikroorganismen<br />

(Krankheitserreger, Bakterien, Schimmelpilze, Viren)<br />

13,7 5,3<br />

Psychische Arbeitsbedingungen in und ohne <strong>Schichtarbeit</strong><br />

Arbeitsanforderungen „häufig“<br />

<strong>Schichtarbeit</strong><br />

(in Prozent)<br />

keine <strong>Schichtarbeit</strong><br />

(in Prozent)<br />

Termin- und Leistungsdruck 54,7 53,1<br />

Arbeitsdurchführung in Einzelheiten vorgeschrieben 37,3 18,0<br />

Arbeitsgang wiederholt sich bis in alle Einzelheiten 64,9 46,8<br />

neue Aufgaben 31,8 41,6<br />

Verfahren verbessern; Neues ausprobieren 23,1 29,4<br />

bei der Arbeit gestört; unterbrochen<br />

(Kollegen, schlechtes Material, Maschinenstörung, Telefon)<br />

45,4 46,3<br />

Stückzahl, Mindestleistung, Zeit vorgeschrieben 41,2 27,7<br />

nicht Gelerntes / nicht Beherrschtes wird verlangt 9,2 8,7<br />

verschiedene Arbeiten / Vorgänge gleichzeitig im Auge behalten 60,5 58,0<br />

kleiner Fehler – großer fi nanzieller Verlust 19,2 14,1<br />

an Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen 20,4 15,8<br />

sehr schnell arbeiten 54,0 40,7<br />

Arbeit belastet gefühlsmäßig 14,9 11,1<br />

Quelle: Beermann, 2008<br />

9


Unterstützt werden diese arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

durch die Chronobiologie, die die zeitliche Organisation in Physiologie<br />

und Verhalten von Lebewesen untersucht. Im Mittelpunkt<br />

stehen die biologischen Rhythmen, deren Zustandekommen und<br />

wie sich soziale Bedingungen („Zeitgeber“) auf die Zeitrhythmen<br />

auswirken.<br />

In einem Interview mit dem Münchener Chronobiologen Prof. Dr.<br />

Till Roenneberg werden die gesundheitlichen Belastungen durch<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> deutlich (in Spiegel Online vom 14. 04. 2011):<br />

Roenneberg: Die innere Uhr ist ein fundamentales biologisches<br />

System, das wir geerbt haben. Also mit den Uhren-<br />

Genen, von denen die Wissenschaft bisher mehr als 15 entdeckt<br />

hat. Unter zeitlicher Isolation, beispielsweise in einem Schlafbunker,<br />

weicht unsere innere Uhr vom 24-Stunden-Tag ab, bei<br />

den meisten Menschen ist der Innentag etwas länger als 24<br />

Stunden. Das Licht, der Wechsel von Tag und Nacht, synchronisiert<br />

sie täglich mit der Sonnenzeit.<br />

KarriereSPIEGEL: Wie wirken die Jahreszeiten auf unseren<br />

inneren Schlaf-Wach-Rhythmus?<br />

Roenneberg: Unsere innere Uhr folgt dem Sonnenaufgang.<br />

Deshalb verwirrt die schlagartige Umstellung auf Sommer- und<br />

Winterzeit die innere Uhr des Menschen. Es dauert mehr als<br />

vier Wochen, bis sie sich an diese künstliche Zeitverschiebung<br />

angepasst hat.<br />

KarriereSPIEGEL: Aber offensichtlich tickt die innere Uhr nicht<br />

bei jedem Menschen gleich. Warum gibt es sogenannte Lerchen<br />

und Eulen?<br />

Roenneberg: Wie sich die individuelle innere Uhr in den Licht-<br />

Dunkel-Wechsel einbettet, liegt an den genetisch bedingten<br />

Unterschieden. So entstehen unterschiedliche Chronotypen,<br />

deren natürlicher Schlafrhythmus im Extremfall zwölf Stunden<br />

auseinander liegt. Wenn wir von dem normalen achtstündigen<br />

Schlafbedürfnis ausgehen, ruhen knallharte Frühtypen von 20<br />

bis 4 Uhr. Extreme Spättypen gehen nachts um 3 oder gar 4<br />

ins Bett und wachen gegen 11 oder 12 Uhr von allein wieder<br />

auf. Wenn man sie lässt. Also im Urlaub, ohne Arbeits- oder<br />

<strong>Familie</strong>n zwänge, ohne Wecker oder störende Kleinkinder.<br />

Aber das sind Extreme. Die meisten Menschen zählen zu den<br />

gemäßigten Eulen und Lerchen. Unser Chronotyp-Fragebogen<br />

zeigt, dass etwa 60 Prozent der Bundesbürger zwischen 23.30<br />

und 1.30 Uhr ins Bett gehen und zwischen 7.30 und 9.30 Uhr<br />

wieder aufstehen.<br />

KarriereSPIEGEL: Nun hat nicht jeder die Chance, einen<br />

chronotypisch passenden <strong>Beruf</strong> zu wählen. Auch Spätaufsteher<br />

werden Lehrer und müssen morgens um acht topfi t vor der<br />

Klasse stehen. Kann man sich nicht einfach dran gewöhnen?<br />

Roenneberg: Nie. Auch äußere Zwänge – der Wecker, Arbeitszwang,<br />

putzmuntere Kleinkinder – vermögen einen Chronotypen<br />

nie zu ändern. Für etwa 60 Prozent der Deutschen liegen unsere<br />

Arbeitszeiten zu früh. Wenn der Wecker klingelt, ist ihre biologische<br />

Schlafenszeit noch nicht beendet. Dennoch müssen sie<br />

mit und in dieser Außenzeit leben. Das führt zum sozialen Jetlag.<br />

So nennt die Wissenschaft die zeitliche Diskrepanz zwischen<br />

Innen- und Außenzeit, weil sie sehr an Reisen über Zeitzonen<br />

hinweg erinnert, im Gegensatz zu diesen aber chronisch ist.<br />

KarriereSPIEGEL: Wechselschichten führen demnach zu einem<br />

dauernden sozialen Jetlag?<br />

Roenneberg: Ja, sie sind eine der stärksten Angriffe auf die<br />

innere Uhr. Bei Tagschichten bekommen Spättypen eher weniger<br />

Schlaf, weil sie später einschlafen und dennoch morgens um<br />

sechs raus müssen. Spättypen fällt es tendenziell leichter,<br />

Spätschichten zu fahren. Für Nachtschichten sind – wenn<br />

überhaupt – nur die wenigen extremen Spättypen geeignet.<br />

Das sind Killerstunden. Im rotierenden Schichtdienst muss man<br />

arbeiten, wenn die innere Uhr auf Schlaf programmiert ist. Und<br />

soll schlafen, wenn die innere Uhr den Körper eigentlich auf<br />

Aktivität gestellt hat und die Welt draußen laut und hell ist.<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>er leben permanent gegen ihre innere Uhr. Und<br />

leiden unter chronischem Schlafmangel. Das führt unweigerlich<br />

zu Gesundheitsproblemen.<br />

www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,756286,00.html<br />

(gekürzt)<br />

Gestaltungskriterien aus medizinischer Sicht<br />

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass keine Nacht- und<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> besser ist als eine gut gestaltete <strong>Schichtarbeit</strong>. Das<br />

Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. 02. 1992<br />

aufgrund arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse eindeutig fest gestellt,<br />

dass Nachtarbeit grundsätzlich für jeden Menschen schädlich ist<br />

und den Gesetzgeber verpfl ichtet, Arbeitnehmer/innen vor schädlicher<br />

Nachtarbeit zu schützen. Bevor Nachtarbeit eingeführt oder<br />

ausgedehnt werden soll, müssen gute Argumente vorliegen. Die<br />

Vermeidung von Schicht- und Nachtarbeit hat deshalb Vorrang. Ist<br />

Nachtarbeit aus sozialen oder produktionstechnischen Gründen<br />

unumgänglich, können gut gestaltete Schichtsysteme die gesundheitlichen<br />

Auswirkungen nur begrenzen, aber nicht verhindern.<br />

Für Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> ist demnach ein besonders hoher<br />

Arbeitsschutzstandard notwendig. Grenzwerte für gesundheitsgefährdende<br />

Arbeitsstoffe oder zeitliche Empfehlungen für stark<br />

belastende Arbeiten sollten für Schichtbeschäftigte heruntergesetzt<br />

werden.<br />

10


Einfl ussfaktoren von <strong>Schichtarbeit</strong><br />

(nach Folkard, 1996; Monk et al., 1996; Wüthrich, 2003)<br />

Individuelle und situationsbezogene Unterschiede<br />

Gestörte<br />

biologische<br />

Rhythmen<br />

Charakteristika der Schichtsysteme<br />

Schlafstörungen<br />

Gestörte familiäre<br />

und soziale<br />

Beziehungen<br />

Akute Wirkungen auf Stimmung und Leistungsvermögen<br />

– Bewältigungsstrategien –<br />

Chronische Beeinflussung der Gesundheit<br />

Sicherheit und Effektivität<br />

Quelle: Arbeitsmedizinische Leitlinien, 2006<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Aufgrund der individuellen Arbeitsfähigkeiten und der besonderen<br />

betrieblichen Bedingungen lassen sich nur wenige allgemeinverbindliche<br />

Kriterien für gesundheitsverträgliche Schichtsysteme<br />

formulieren. In jedem Fall gelten folgende Empfehlungen:<br />

• In der Arbeitswissenschaft ist die Schädlichkeit von Dauernachtschicht<br />

unstrittig. Diese sollte als Vollzeittätigkeit unbedingt<br />

vermieden werden.<br />

• Durch kurze Nachtschichtblöcke oder eingestreute (vereinzelte)<br />

Nachtschichten lassen sich die Folgen der Verschiebung von<br />

Tag- und Nachtrhythmus am Besten reduzieren.<br />

• Auch das vorwärts roulierende System (von Früh- auf<br />

Spätschicht) ist kein Zwang, Beschäftigte mit rückwärtigem<br />

Wechsel haben auch positive Erfahrungen damit gemacht.<br />

Dennoch kommt der Vorwärtswechsel dem biologischen<br />

Rhythmus besser entgegen und sollte bei Neueinführung<br />

beachtet werden.<br />

• Die gesundheitswissenschaftliche Empfehlung für kurze Schichtwechsel<br />

mündet in Modelle, in denen täglich gewechselt wird<br />

(Früh-, Spät-, Nachtschicht, 2 Tage frei). Auch hier sind die<br />

Einschätzungen der Betroffenen sehr kontrovers: Die zunächst<br />

bizarr erscheinenden Modelle haben für viele Beschäftigte<br />

eine starke gesundheitliche Besserung bewirkt. Durch die sehr<br />

kurzen Wechsel hat der Körper keine Möglichkeit sich auf die<br />

Nachtschicht einzustellen. Mit der Folge, dass die Schlafzeiten<br />

sich insgesamt verbesserten. Der Nachteil des Systems ist die<br />

Unübersichtlichkeit durch die schnellen Wechsel. Eine andere<br />

Beschäftigtengruppe lehnte dieses Modell aufgrund seiner<br />

schlechten Vereinbarkeit mit den <strong>Familie</strong>nzeiten ab.<br />

• Daraus lässt sich folgern, dass ein Angebot von verschiedenen<br />

Auswahlmodellen am ehesten den individuellen Gesundheitsinteressen<br />

der Beschäftigten gerecht wird.<br />

11


3. Soziale Aspekte<br />

Auch wenn durch die zeitlichen Abweichungen der Wechselschicht<br />

das soziale Leben beeinträchtigt ist, gibt es durchaus auch positive<br />

soziale Aspekte der <strong>Schichtarbeit</strong>.<br />

• Durch Schichtzulagen und Nachtarbeitszuschläge sind im<br />

Vergleich zu Beschäftigten mit normalen Arbeitszeiten auch<br />

bei verhältnismäßig geringen Qualifi kationen relativ hohe<br />

Verdienstmöglichkeiten möglich.<br />

• In festen Schichtgruppen sind die Kollegen/innen oft jahrelang<br />

zusammen und entwickeln darüber hinaus private<br />

Freundschaften. In einem guten Betriebsklima und durch<br />

die Anerkennung der Arbeitskollegen/innen fällt die Arbeit<br />

wesentlich leichter.<br />

• Während der Nachtschicht sind die Meister oder Vorgesetzten<br />

in der Regel abwesend; die fehlende betriebliche Kontrolle<br />

eröffnet mehr Spielräume für eigene Verantwortung und Selbstkontrolle<br />

als in der Tagschicht.<br />

• Die Abweichungen von der Normalarbeitszeit ermöglichen<br />

Schichtbeschäftigten eine hohe Flexibilität. Auch bei festen<br />

Schichtplänen stehen außerhalb der Arbeitzeit prinzipiell alle<br />

Tages- und Nachtzeiten zur eigenen Verfügung.<br />

• Einkäufe oder Behördengänge können außerhalb der<br />

Rush-Hour – wenn wenig los ist – erledigt werden. Damit kann<br />

ein Stück zeitlicher Lebensqualität gewonnen werden.<br />

• In bestimmten Schichtsystemen werden größere Freizeitblöcke<br />

und feste planbare Arbeitszeiten ermöglicht, die größere<br />

Aktivitäten für <strong>Familie</strong> oder Hobby erlauben als in normaler<br />

Arbeitszeit.<br />

Dennoch lässt sich nicht schönreden, dass auch im sozialen Bereich<br />

für Schichtbeschäftigte massive Nachteile bestehen:<br />

• Gerade während der Spätschicht geht die sozial wertvolle<br />

Zeit am späten Nachmittag bzw. Abend verloren. Hier sind<br />

normalerweise die Zeiten für die <strong>Familie</strong>, für kulturelle Veranstaltungen<br />

oder Zeiten der Geselligkeit mit anderen Menschen.<br />

Dieser Verlust kann auch durch das Wochenende nicht wieder<br />

ausgeglichen werden. Schichtbeschäftigte müssen arbeiten,<br />

wenn andere frei haben.<br />

• Umfangreiche Zeitbudgetuntersuchungen in Deutschland haben<br />

gezeigt, dass <strong>Schichtarbeit</strong> zu realen Freizeitverlusten führt (vgl.<br />

Garhammer 1994, Hinnenberg u. a. 2006). Bei normalen Arbeitszeiten<br />

stehen im Durchschnitt fünf Stunden und 36 Minuten<br />

pro Tag zur Verfügung (inklusive Wochenende). Bei Nacht- und<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>er/innen sind es mit vier Stunden und 54 Minuten<br />

somit 42 Minuten weniger. Wer am Wochenende arbeitet, hat<br />

rund vier Stunden weniger Freizeit, die auch in der Woche nicht<br />

mehr aufgeholt werden kann. Wer jeden Sonntag arbeiten muss,<br />

verliert rund fünf Stunden Freizeit pro Woche. Die größte Freizeitmenge<br />

an Arbeitstagen ist nach einer Frühschicht vorhanden, die<br />

geringste Menge nach der Nachtschicht (vgl. Knauth 2010).<br />

• Schichtbeschäftigte sind in ihren Aktivitäten außerhalb der<br />

Erwerbsarbeit insgesamt weniger „außenorientiert“ (Kultur,<br />

Sport, Besuch bei Freunden usw.) als Beschäftigte mit<br />

normalen Arbeitszeiten. Die Freizeit wird eher passiv verbracht<br />

(Erholung, Fernsehen, Lesen usw.). Das hängt einerseits mit<br />

den geringeren Möglichkeiten zusammen und andererseits mit<br />

dem größeren Erholungsbedürfnis durch die Erwerbsarbeit.<br />

• Die Anzahl von Personen, mit denen Schichtbeschäftigte regelmäßig<br />

Kontakt haben (Freunde, Bekannte), ist im Durchschnitt<br />

niedriger. Dies zeigt, wie wichtig die Routinen und Regelmäßigkeiten<br />

für das soziale Miteinander sind. Wenn die Erwerbs- und<br />

Freizeiten gegen die normalen gesellschaftlichen Muster laufen,<br />

wird es schwieriger, soziale Kontakte aktiv zu gestalten und<br />

aufrecht zu erhalten.<br />

• Dieser „Rückzug“ von sozialen Aktivitäten ist selten selbst<br />

gewählt, denn Schichtbeschäftigte haben laut verschiedener<br />

Studien einen ausgeprägten Wunsch nach mehr Zeit für soziale<br />

Kontakte (<strong>Familie</strong>, Kontakte außer Haus, Besuch öffentlicher<br />

Veranstaltungen). Darin drückt sich vielfach eine große Unzufriedenheit<br />

mit den Bedingungen von <strong>Schichtarbeit</strong> aus. Fast die<br />

Hälfte der Schichtbeschäftigten stellt eine negative Veränderung<br />

der eigenen Lebensweise durch die <strong>Schichtarbeit</strong> fest.<br />

(vgl. Beermann 2005, Janßen; Nachreiner 2004, BKK 2006, Knauth;<br />

Hornberger 1997; Martin 1994, Europäische Stiftung zur Verbesserung<br />

der Lebens- und Arbeitsbedingungen 2000)<br />

12


Insbesondere das <strong>Familie</strong>nleben ist durch die <strong>Schichtarbeit</strong> oft nicht<br />

einfach zu gestalten:<br />

• Verschiedene Studien zeigen: Beschäftigte, die immer<br />

oder häufi g am Wochenende arbeiten, schätzen ihre<br />

Vereinbarkeits situation besonders schlecht ein<br />

(vgl. Klenner; Schmidt 2007).<br />

• Die ständigen Schichtwechsel und die Umstellung der Schlafgewohnheiten<br />

belasten die <strong>Familie</strong>n. Wegen der eingeschränkten<br />

sozialen Kontakte außerhalb der Erwerbsarbeit<br />

ziehen sich <strong>Schichtarbeit</strong>er oft in den familiären Bereich zurück.<br />

Die <strong>Familie</strong> muss als Ausgleich für fehlende Außenkontakte<br />

dienen. Dies kann zu Spannungen führen und die <strong>Familie</strong><br />

überfrachten.<br />

• Außerdem muss die <strong>Familie</strong> ständig Rücksicht nehmen auf die<br />

besonderen Bedürfnisse der Schichtbeschäftigten. Vor allem<br />

die unterschiedlichen Schlafbedürfnisse können eine Herausforderung<br />

sein, wenn die Mutter oder der Vater am Tag schlafen<br />

will, die Kinder aber im Haus herumtoben. Schichtbeschäftigte<br />

sind zu wichtigen <strong>Familie</strong>nanlässen (wie z. B. Geburtstage,<br />

Feiertage) oft nicht da. Ebenso fehlen sie häufi g im alltäglichen<br />

<strong>Familie</strong>nleben (gemeinsame Mahlzeiten, Zubettgehen<br />

der Kinder). Die Verantwortung für die Kinderbetreuung kann<br />

schwierig werden, wenn die Arbeitsrhythmen nicht zu denen<br />

der Kinder passen.<br />

• Andererseits kann <strong>Schichtarbeit</strong> auch die Lösung sein, um<br />

die Vereinbarkeit von <strong>Beruf</strong> und Kinderbetreuung zu bewerkstelligen.<br />

Vielfach arbeiten alleinerziehende Mütter in Dauernachtschicht,<br />

um tagsüber Zeit für die Kinder zu haben und<br />

nachts das Geld zu verdienen. Dies ist besonders fatal, da<br />

enorme soziale und gesundheitliche Risiken in Kauf genommen<br />

werden. Auch für Eigenzeiten bleibt nur selten Platz.<br />

• So überrascht es nicht, dass die Scheidungsquoten in <strong>Schichtarbeit</strong>erfamilien<br />

überdurchschnittlich hoch sind. Die Akzeptanz<br />

der <strong>Schichtarbeit</strong> durch die <strong>Familie</strong> ist dagegen ein wesentlicher<br />

positiver Faktor, der die gesundheitlichen Risiken vermindern<br />

kann. Arbeiten beide Partner in Schichtsystemen, dann wird die<br />

freie Zeit, in der der Partner arbeitet, nicht als Freizeit erlebt. Die<br />

Nutzung ist also von gemeinsam verbrachter Zeit abhängig.<br />

Neben den Auswirkungen auf das soziale Leben müssen Schichtbeschäftigte<br />

ihr alltägliches Leben aktiver gestalten und mehr Zeit<br />

darauf verwenden, die verschiedenen Zeiten der <strong>Familie</strong>nmitglieder<br />

und Freunde miteinander zu verzahnen:<br />

• Der Wechsel der Freizeitschwerpunkte in festen Schichten<br />

zwischen vormittags, nachmittags und spät abends verlangt<br />

größere Anpassungsfähigkeit und Planung. Noch komplizierter<br />

wird es in fl exiblen Schichten oder Dienstplänen, in denen<br />

kaum zeitliche Planbarkeit besteht. In jedem Fall verlangt<br />

die zeitliche Abstimmung mit den <strong>Familie</strong>naktivitäten oder<br />

anderen Lebensbereichen großes Organisationstalent. Bei der<br />

Gestaltung ihrer <strong>Familie</strong>nzeit sind Schichtbeschäftigte oft am<br />

Limit ihrer Leistungsfähigkeit.<br />

• Schichtbeschäftigte passen ihre Freizeitaktivitäten der jeweiligen<br />

Schicht an. Es fi ndet eine bewusste Auswahl der Aktivitäten<br />

statt, um die speziellen Belastungen der Schichtart auszugleichen.<br />

Allerdings müssen auch viele Hobbies aufgegeben<br />

werden, weil sie an der wechselnden Arbeitszeitlage scheitern.<br />

• Die gesamte alltägliche Lebensgestaltung orientiert sich am<br />

Schichtsystem, so dass bei allen Aktivitäten zuerst der Blick in<br />

den Kalender erfolgt.<br />

• Die versetzten Lebens- und Arbeitsrhythmen gegenüber <strong>Familie</strong>,<br />

Freunden und Gesellschaft können zu eingeschränkter beruflicher<br />

Mobilität, Qualifi kation und Karriereentwicklung führen<br />

und weitere soziale Benachteiligungen nach sich ziehen.<br />

• Ein fester, verlässlicher Schichtplan vermittelt aber auch<br />

Planungssicherheit – besonders für die Gruppe der Schichtbeschäftigten,<br />

die ansonsten ständig entgegen den sozialen<br />

Zeiten lebt und mehr Aufwand betreiben muss, ihr alltägliches<br />

Zeitarrangement zu managen. Eine Umstellung des Schichtsystems<br />

bedeutet vielfach auch eine gravierende Umstellung<br />

des bisherigen <strong>Familie</strong>nlebens und der mühsam erarbeiteten<br />

Routinen. Dies ist auch ein entscheidender Grund für den<br />

Widerstand der Beschäftigten bei der Einführung neuer Schichtsysteme.<br />

Gestaltungsempfehlungen aus sozialer Sicht<br />

Nach diesen Überlegungen lassen sich aus sozialer Sicht vier allgemeine<br />

Gestaltungsempfehlungen für die <strong>Schichtarbeit</strong> formulieren:<br />

1. Überschaubarkeit des Schichtplanes<br />

Die Schichtfolge in festen Systemen sollte einfach sein und die<br />

Abfolge sollte leicht zu behalten sein. Auch die Dauer eines<br />

Schichtturnus sollte nicht zu lang sein (z. B. vier Wochen).<br />

2. Zusammenhängende Freizeitblöcke<br />

Freizeitblöcke dienen der Erholung und der Teilnahme am<br />

sozialen Leben. Hier können sich Schichtbeschäftigte am<br />

normalen Tagesrhythmus orientieren. Ebenso besteht die<br />

Möglichkeit, größere Vorhaben oder Aktivitäten in längeren<br />

Freizeiten zu verwirklichen.<br />

3. Wochenendbetonung<br />

Das Wochenende spielt für soziale Aktivitäten eine besondere<br />

Rolle. Hier haben <strong>Familie</strong>nmitglieder, Freunde und Bekannte am<br />

ehesten Zeit sich zu treffen. Deshalb sollten längere Freizeitblöcke<br />

mindestens den Samstag und Sonntag umfassen.<br />

4. Freie Abende<br />

Auch die späten Nachmittage und Abende haben eine höhere<br />

soziale Qualität, da in dieser Zeit die besten Möglichkeiten<br />

bestehen, soziale Kontakte zu pfl egen. Freie Nachmittage/<br />

Abende sollten möglichst häufi g und in nicht zu großen<br />

Abständen stattfi nden. In jeder Arbeitswoche sollten immer<br />

mehrere freie Abende sein.<br />

13


4. Demografische Aspekte<br />

Je nachdem in welcher Lebensphase sich Beschäftigte befi nden,<br />

verändern sich bestimmte Wertigkeiten und Bedürfnisse in der<br />

Lebensplanung. In allen Lebensphasen sollten die unterschiedlichen<br />

Lebensbereiche einen angemessenen Platz fi nden. Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> in der Mitte des Lebens stellt andere Anforderungen<br />

als beim <strong>Beruf</strong>seinstieg oder am Ende des Erwerbslebens.<br />

Ein Single hat andere Zeitgewohnheiten als eine Mutter oder ein<br />

Mensch, der ein <strong>Familie</strong>nmitglied pfl egt. Diese unterschiedlichen<br />

Zeitbedürfnisse machen sich auch in der Schichtbelegschaft<br />

bemerkbar und erfordern unter Umständen unterschiedliche<br />

Schichtmodelle, um <strong>Familie</strong> und <strong>Schichtarbeit</strong> besser zu vereinbaren.<br />

Diese Orientierung am Lebenslauf wird durch den demografi -<br />

schen Wandel immer wichtiger, der die Gesellschaft grundlegend<br />

verändert. Immer weniger junge Menschen stehen zunehmend<br />

älteren Beschäftigten und Rentnern gegenüber. Vier Faktoren<br />

bestimmen die demografi sche Entwicklung in Deutschland ebenso<br />

wie in vielen Ländern Europas und darüber hinaus:<br />

(1.) eine steigende Lebenserwartung;<br />

(2.) die deutliche Zunahme der Altersgruppe der über 65-Jährigen<br />

bis zum Jahr 2030 (dann erreichen die Jahrgänge der „Baby-<br />

Boom-Generation“ das Rentenalter);<br />

(3.) eine seit Jahrzehnten auf niedrigem Niveau stagnierende<br />

Geburtenrate und<br />

(4.) die geringe Zuwanderung sowie hohe Auswanderungsquote.<br />

• In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird es einen dramatischen<br />

Rückgang der jungen Bevölkerung und einen gleichzeitig<br />

steigenden Bedarf an hoch qualifi zierten Fachkräften<br />

geben, insbesondere im Dienstleistungsbereich. Bereits heute<br />

prognostizieren zwei Drittel der Unternehmen mit mehr als<br />

500 Beschäftigten in den nächsten Jahren Schwierigkeiten,<br />

geeignetes Personal zu fi nden (IfD-Allensbach 2009). Eine<br />

Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und eine<br />

Verlängerung der Lebensarbeitszeit könnte das Erwerbspersonenangebot<br />

zwar verbessern, dies dürfte aber nicht<br />

ausreichen (Enquête Kommission Demographischer Wandel<br />

2002). Mit dem Konzept der Bundesregierung zur Fachkräftesicherung<br />

(„Fachkräfte gewinnen – Wohlstand sichern“;<br />

Bundesarbeitsministerium 2011) sollen zum einen durch eine<br />

bessere Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> mehr Frauen in<br />

Beschäftigung gebracht werden. Zum anderen sollen mehr<br />

Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden. Die folgende<br />

Grafi k veranschaulicht den erwarteten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials<br />

und damit den Handlungsbedarf.<br />

45<br />

43<br />

41<br />

39<br />

37<br />

35<br />

Entwicklung des<br />

Erwerbspersonenpotenzials<br />

(in Mio.)<br />

44,6<br />

2010<br />

43,1<br />

41,0<br />

38,1<br />

2015 2020 2025<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

–6,5 Mio<br />

Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011<br />

Das höchste Potenzial für die kurz- wie längerfristige Mobilisierung<br />

von Fachkräften sieht die Bundesregierung in der Ausweitung der<br />

Arbeitszeiten von erwerbstätigen Frauen und in der Integration von<br />

nicht berufstätigen Müttern in den Arbeitsmarkt (siehe Abbildung).<br />

14


Potenziale für die Mobilisierung von Fachkräften<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Gesamtpotenzial: hoch +++ mittel ++ gering +<br />

Hohes Potenzial<br />

Geringes Potenzial<br />

Ausländische<br />

Abschlüsse<br />

anerkennen<br />

+<br />

Arbeitszeit von<br />

erwebstätigen<br />

Frauen ausweiten<br />

+++<br />

Ältere länger in<br />

Arbeit halten<br />

++<br />

Fachkräfte<br />

international<br />

rekrutieren<br />

+ (Langzeit-)<br />

Arbeitslose<br />

aktivieren<br />

+<br />

Wirksamkeit kurz- bis mittelfristig<br />

Nicht erwerbstätige<br />

Mütter<br />

integrieren<br />

+++<br />

<strong>Beruf</strong>l iche<br />

Mobilität<br />

erhöhen<br />

++ Mehr Jugendliche<br />

in <strong>Beruf</strong>sausbildung<br />

integrieren<br />

+<br />

Frauen für<br />

MINT-<strong>Beruf</strong>e<br />

interessieren<br />

+<br />

Wirksamkeit mittel- bis langfristig<br />

Betreuung und<br />

Bildung für<br />

Kinder ausbauen<br />

++<br />

Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011<br />

• Aktuell fi nden sich in 22 % aller Unternehmen und 43 %<br />

der Großunternehmen Beschäftigte, die Pfl egeaufgaben<br />

übernommen haben. Es gibt derzeit ca. 1,4 Millionen Pfl egebedürftige<br />

die in Privathaushalten gepfl egt werden. Diese<br />

Zahl wird in absehbarer Zeit massiv zunehmen: 2030 ist mit<br />

3,4 Millionen Pfl egebedürftigen zu rechnen. Hier zeigt sich die<br />

Dringlichkeit mit der Regelungen zur Vereinbarkeit von <strong>Beruf</strong><br />

und Pfl egeaufgaben eingeführt werden müssen.<br />

• Heute geben von den Hauptpfl egepersonen 10 % gleich zu<br />

Beginn einer neu aufkommenden Pfl egesituation ihre Erwerbstätigkeit<br />

auf (Schneekloth; Wahl 2005). Auch hier kann mit<br />

familienfreundlichen Maßnahmen gegengesteuert werden,<br />

damit sich Pfl ege und <strong>Beruf</strong> nicht ausschließen. Mit Blick auf<br />

die langfristig sinkende Zahl des Erwerbspersonenpotenzials ist<br />

hier eine Trendwende unumgänglich.<br />

Die notwendigen Umgestaltungen der Arbeits- und Lebenswelt<br />

berühren unmittelbar Fragen der Arbeitszeitgestaltung wie auch<br />

der Vereinbarkeit von Privat- und <strong>Beruf</strong>sleben. Die in Deutschland<br />

lange gängige Praxis, auf junge Belegschaften zu setzen und ältere<br />

Beschäftigte zu entlassen, ist erfreulicherweise der Erkenntnis<br />

gewichen, dass auch ältere Menschen einen wesentlichen Beitrag<br />

in der Erwerbsarbeit leisten. 2010 waren über ein Viertel der sozialversicherungspfl<br />

ichtig Beschäftigten (26,2 %) über 50 Jahre alt. Mit<br />

7,2 Mio. Beschäftigten über 50 Jahren sind dies über eine Million<br />

mehr als 2006 (5,9 Mio., 22,7 Prozent) und zwei Millionen mehr als<br />

vor 10 Jahren (5,2 Mio.,17,9 %) (vgl. Brussig 2011). Nach Angaben<br />

des Statistischen Bundesamtes lag 2009 die Beschäftigtenquote der<br />

55- bis 64-Jährigen bei 56,2 % auf einem Höchststand und damit<br />

mehr als 10 % über dem europäischen Durchschnitt (2000: 37,6 %).<br />

Dadurch entstehen folgende Herausforderungen des demografi schen<br />

Wandels für die betriebliche Personalpolitik:<br />

• Bei Personaleinstellungen steht die Sicherung des Fachkräftebedarfs<br />

im Mittelpunkt. Durch neue Rekrutierungsstrategien<br />

können die Zielgruppen ausgeweitet werden.<br />

• Unternehmen können im Wettbewerb um qualifi zierte Mitarbeiter/innen<br />

durch familienfreundliche Maßnahmen Wettbewerbsvorteile<br />

erzielen (siehe Abbildung). Dies geschieht insbesondere<br />

durch eine zukunftsweisende Personalpolitik.<br />

<strong>Familie</strong>nfreundlichkeit ist bei der<br />

Arbeitgeberwahl ebenso wichtig<br />

oder wichtiger als das Gehalt …<br />

… für junge Beschäftigte<br />

zwischen 25 und 30 Jahre<br />

mit Kindern<br />

… für junge Beschäftigte<br />

zwischen 25 und 30 Jahre<br />

ohne Kinder<br />

70 %<br />

90 %<br />

Dieselbe Studie ergab, dass 77% der Eltern zwischen 25 und 39 Jahren<br />

für mehr <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit die Arbeitsstelle wechseln würden.<br />

Quelle: Personalmarketingstudie, Hrsg. BMFSFJ, 2010<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

15


Altersaufbau der Bevölkerung<br />

Deutschland (2009)<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Altersaufbau 2060<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Alter in Jahren<br />

Männer<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Frauen<br />

800 600 400 200 0 0 200 400 600 800<br />

Tausend je Altersjahr<br />

Quelle: Statistisches Jahrbuch, 2010<br />

Männer<br />

Alter in Jahren<br />

100<br />

30<br />

• Untergrenze der<br />

mittleren Bevölkerung<br />

• Obergrenze der<br />

mittleren Bevölkerung<br />

20<br />

10<br />

0<br />

800 600 400 200 0 0 200 400 600 800<br />

Tausend je Altersjahr<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt, 2009<br />

Frauen<br />

• Beschäftigung: Betriebliche Strategien, die auf die Vielfalt der<br />

Beschäftigten zielen wie z. B. Diversity Management, gewinnen<br />

an Bedeutung. Zum Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit<br />

müssen die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten<br />

der Beschäftigten als Bereicherung anerkannt werden. Unterschiede<br />

in Alter, <strong>Familie</strong>nstand, Bildung oder Lebenserfahrung<br />

fi nden Berücksichtigung in verschiedenen Instrumenten der<br />

Arbeits(zeit)gestaltung und in Weiterbildungsangeboten<br />

(lebenslanges Lernen). Eine dadurch gewonnene Kultur der<br />

gegenseitigen Wertschätzung trägt wesentlich zu einem<br />

besseren, verständigungsorientierten Betriebsklima bei.<br />

• <strong>Beruf</strong>saustritt: Durch neue Ausstiegsmodelle wie den gleitenden<br />

Übergang in den Ruhestand entstehen neue Optionen für die<br />

Phase des <strong>Beruf</strong>saustritts. Insbesondere lässt sich der Knowhow-Transfer<br />

von den älteren zu den jüngeren Beschäftigten so<br />

gestalten, dass Betriebswissen besser erhalten bleibt.<br />

Kernpunkte einer demografi efesten Personalpolitik sind eine<br />

familien bewusste und alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung, betriebliche<br />

Gesundheitsförderung und das lebenslange Lernen. Denn die<br />

klassische Dreiteilung des Lebenslaufs in Ausbildung – Erwerbsleben<br />

– Ruhestand löst sich zunehmend auf und Phasen der Erwerbstätigkeit<br />

wechseln sich ab mit Phasen der <strong>Familie</strong>norientierung<br />

und der Weiterbildung oder Umorientierung. Betriebe/Dienststellen<br />

müssen sich insgesamt stärker auf altersgemischte Beschäftigtengruppen<br />

einstellen. Der demografi sche Wandel führt dazu, dass<br />

die Themen alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung, familienbewusste<br />

Arbeitszeiten, Gesundheitsförderung und Qualifi zierung stärker in<br />

den betrieblichen Fokus geraten und miteinander verzahnt werden.<br />

Immer stärker setzt sich die Erkenntnis durch, dass ältere Arbeitnehmer/innen<br />

nicht weniger leistungsfähig sind als jüngere. Durch<br />

entsprechende Arbeitsgestaltung, Bildungsanreize und Gesundheitsorientierung<br />

können körperliche und geistige Fitness bis ins hohe<br />

Alter erhalten bleiben. Trotz sinkender physischer Kräfte können<br />

die Nachteile durch andere Kompetenzen wettgemacht werden<br />

(Erfahrungswissen, Verantwortungsbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit,<br />

soziale Kompetenz, Qualitätsbewusstsein, Loyalität).<br />

Wissenschaftlich nachgewiesen sind allerdings auch die negativen<br />

Folgen bestimmter extremer Einfl ussfaktoren auf ältere Beschäftigte,<br />

wie starke Hitze oder Kälte, schwere körperliche Tätigkeiten,<br />

Aufgaben die hohe Ansprüche an Seh- und Hörvermögen stellen,<br />

stark eingeschränkte Spielräume sowie Stress und Leistungsdruck<br />

ohne ausreichende Pausen. In diesen Fällen lassen sich mit ergonomischen<br />

Maßnahmen relativ leicht Verbesserungen erzielen. Durch<br />

Belastungswechsel und Lernanreize können die Bedingungen für<br />

eine gute Arbeitsfähigkeit verbessert werden. Wichtig ist darüber<br />

hinaus ein präventives Vorgehen d. h. eine Ausrichtung auf<br />

lang fristige Maßnahmen und Erfolge (vgl. Matthäi; Morschhäuser<br />

2009).<br />

16


Ältere Beschäftigte: „Kompetenzmodell“<br />

statt „Defizitmodell“<br />

Die Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter wurde lange Zeit<br />

meist im Sinne eines Defi zitmodells betrachtet, also unter<br />

der Perspektive, dass Ältere im Laufe der Zeit immer weniger<br />

leistungsfähig werden und ihnen jüngere Beschäftigte deshalb<br />

prinzipiell vorzuziehen sind.<br />

Die Leistungs- und Lernfähigkeit, die Arbeitsproduktivität und<br />

die Motivation älterer Arbeitnehmer/innen sind jedoch individuell<br />

sehr unterschiedlich. Wissenschaftliche Studien konnten<br />

zeigen, dass die Leistungsunterschiede innerhalb einer Altersgruppe<br />

weitaus größer sind als zwischen den verschiedenen<br />

Altersgruppen. Zwar treten chronische Erkrankungen (vor allem<br />

Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates sowie<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen) bei älteren Arbeitnehmer/innen<br />

gehäuft auf. Viele Defi zite lassen sich aber durch geeignete<br />

Hilfsmittel kompensieren.<br />

Darüber hinaus gibt es genügend Hinweise darauf, dass ältere<br />

Beschäftigte über Vorteile gegenüber Jüngeren verfügen, z. B.<br />

sind sie ihnen überlegen an Erfahrungswissen und Arbeitsdisziplin,<br />

in der Einstellung zur Qualität, an Zuverlässigkeit,<br />

Loyalität und Führungsfähigkeit.<br />

Damit Unternehmen besser mit dem Alterungsprozess ihrer<br />

Belegschaften umgehen lernen, ist deshalb ein Wechsel vom<br />

Defi zit- zu einem Kompetenzmodell, vom Risiko- zum Chancenmodell,<br />

notwendig. Auf diese Weise kann die Leistungsfähigkeit<br />

von Älteren differenzierter beachtet werden und ihre speziellen<br />

Fähigkeiten werden stärker anerkannt. Im Kompetenzmodell<br />

steht nicht mehr die Frage im Mittelpunkt, was Beschäftigte<br />

nicht (mehr) können, sondern wird gefragt, was sie können.<br />

Quelle: Huber u. a., 2006<br />

und Interessenvertretungen verstärkt damit auseinandersetzen wie<br />

Arbeitsplätze ausgestaltet werden, damit auch Über-50jährige dort<br />

ohne Schwierigkeiten arbeiten können.<br />

Handlungsansätze alternsgerechter<br />

Personalpolitik<br />

Formale<br />

Weiterbildung<br />

Persönliche<br />

Entwicklungsplanung<br />

Quelle: Huber u. a., 2006<br />

Wertschätzende<br />

Unternehmenskultur<br />

Förderung der<br />

Arbeits- und<br />

Leistungsfähigkeit<br />

Am Erwerbsverlauf<br />

orientierte<br />

Arbeitszeitgestaltung<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Alternsgerechte<br />

Personaleinsatzplanung<br />

Horizontale<br />

Laufbahngestaltung<br />

Allerdings wird die alternsgerechte Arbeitsgestaltung in<br />

bestimmten Branchen und an einigen Arbeitsplätzen an Grenzen<br />

stoßen und kaum zu einer Beschäftigungsfähigkeit bis zur Rente<br />

reichen 5 . Gerade hier müssen besondere Anstrengungen unternommen<br />

werden, Karriereplanung und berufl iche Laufbahnen zu<br />

überdenken und z. B. <strong>Schichtarbeit</strong>, wie in einigen Bundesländern<br />

bereits eingeführt, zu faktorisieren, um einen früheren Ausstieg aus<br />

der Erwerbsarbeit zu ermöglichen.<br />

In Zukunft müssen alle Überlegungen zur Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong><br />

vor dem Hintergrund des Wandels der Arbeitsbevölkerung getroffen<br />

werden. Die Ausgrenzung bestimmter Beschäftigtengruppen macht<br />

keinen Sinn, da der Arbeitskräftebedarf nicht aus einer Altersgruppe<br />

allein gedeckt werden kann. In Zukunft müssen sich Arbeitgeber<br />

5 „2004 erreichten etwa 97 Prozent der Ärzteschaft, 92 Prozent des Hochschullehrpersonals,<br />

93 Prozent der Rechtsberater und -beraterinnen und 91 Prozent<br />

der Ingenieurinnen und Ingenieure das gesetzliche Rentenalter im <strong>Beruf</strong>. Dagegen<br />

gingen 86 Prozent der Bergleute, 37 Prozent der Maurer, 32 Prozent der Schweißer<br />

und 36 Prozent der Rohrinstallateure gesundheitsbedingt vorzeitig in Rente.“<br />

(Initiative Neue Qualität der Arbeit 2010)<br />

17


Ein Beispiel dafür ist „Das Demographie-Netzwerk“ (ddn) 6 – eine<br />

Plattform von Unternehmen, auf der gemeinsam mit Politik und<br />

Wissenschaft über betriebliche Erfahrungen diskutiert wird, um<br />

Instrumente und Strategien einer demografi efesten Personalpolitik<br />

zu verbessern. Die Mitglieder dieses Netzwerkes haben gemeinsam<br />

die folgenden zehn Regeln entwickelt:<br />

Das Demographie Netzwerk (ddn):<br />

Die zehn goldenen Regeln<br />

1) Wir betrachten die Unternehmenskultur als Chefsache und<br />

ermöglichen durch eine wertschätzende Führung, dass<br />

unterschiedliche Beschäftigtengruppen und Generationen<br />

produktiv und respektvoll zusammenarbeiten.<br />

2) Wir treten für eine nicht diskriminierende, alters-, geschlechtsund<br />

herkunftsneutrale Personalauswahl, Personal gewinnung<br />

und Personalentwicklung ein.<br />

3) Wir betreiben eine vorausschauende, demographiegerechte<br />

Personalplanung und bemühen uns um eine vielfältige, ausgewogene<br />

Altersstruktur in unserer Belegschaft.<br />

4) Wir streben in unseren Unternehmen eine angemessene<br />

Repräsentanz auch der Generation 50plus an.<br />

5) Wir sorgen durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen<br />

dafür, dass alle Mitarbeiter/innen im Unternehmen gesund<br />

altern und ihre Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig,<br />

mindestens bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze<br />

erhalten können.<br />

6) Wir unterstützen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch<br />

ein konsequentes betriebliches Gesundheitsmanagement bei<br />

Aufbau und Pfl ege persönlicher Ressourcen und fördern die<br />

Selbstverantwortung des Einzelnen, gesund zu leben und zu<br />

arbeiten.<br />

7) Wir entwickeln Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle, die<br />

geeignet sind, die Beschäftigung unterschiedlicher Generationen<br />

und Mitarbeitergruppen zu fördern.<br />

8) Wir richten altersgemischte Teams ein, um den Wissenstransfer<br />

zwischen den Generationen zu fördern. Wir wollen in<br />

unseren Unternehmen sowohl das Erfahrungswissen als auch<br />

das aktuelle Fachwissen, innovative Ideen und soziale Kompetenzen<br />

in vollem Umfang nutzen.<br />

9) Wir sind überzeugt, dass ein arbeitsbegleitendes, lebenslanges<br />

Lernen wesentlich zum Erhalt der Beschäftigungs- und<br />

Leistungsfähigkeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

beiträgt. Deshalb bieten wir Lern- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten<br />

in unseren Unternehmen für alle Beschäftigten<br />

an. Wir setzen auf die Selbstverantwortung des Einzelnen,<br />

Lernmöglichkeiten wahrzunehmen und sich berufl ich weiterzuentwickeln,<br />

und entwickeln miteinander die dafür nötige<br />

Methodenkompetenz.<br />

10) Wir zeigen Wege auf, wie eine berufl iche Karriere alternsgerecht<br />

über viele Jahre hinweg verlaufen kann. Dadurch wollen<br />

wir auch älteren Beschäftigten neue berufl iche Perspektiven<br />

eröffnen. Wir streben in unseren Unternehmen fl exible<br />

Übergänge zwischen Arbeit und Ruhestand an und entwickeln<br />

tragfähige Alternativen zu Frühverrentung und Vorruhestand.<br />

6 Das ddn wird gefördert durch die Initiative Neue Qualität der Arbeit (inqa).<br />

18


5. Kriterien der Schichtplangestaltung<br />

In der Arbeitswissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass<br />

Erwerbsarbeit ein ganzes Arbeitsleben möglich sein sollte ohne<br />

gesundheitliche oder soziale Beeinträchtigungen zu verursachen<br />

(vgl. Nachreiner 2002). Wie dies mit zunehmendem Arbeitsstress,<br />

Personal abbau und einer längeren Erwerbsbiografi e bis 67 Jahre<br />

funktionieren soll, darüber gibt es bisher keine umfassenden<br />

Konzepte. Grundsätzlich gilt in der Wissenschaft eine Arbeit nur<br />

dann als menschengerecht, wenn folgende Merkmale zutreffen 7 :<br />

• Schädigungslosigkeit und Erträglichkeit der Arbeit,<br />

• Ausführbarkeit der Arbeit,<br />

• Zumutbarkeit der Arbeit,<br />

• Zufriedenheit bei der Arbeit,<br />

• Förderlichkeit der Arbeit für die Persönlichkeit,<br />

• Sozialverträglichkeit der Arbeit.<br />

Das Ziel der menschgerechten Arbeitsgestaltung ist demnach weit<br />

mehr als die Vermeidung von Gesundheitsgefahren oder Arbeitsunfällen.<br />

Sie umfasst die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit des<br />

Menschen durch die Erwerbsarbeit (siehe auch folgende Übersicht).<br />

7 siehe folgende Übersicht: Menschengerechte Arbeitsgestaltung<br />

19


Menschengerechte Arbeitsgestaltung (Übersicht)<br />

Menschengerechte Arbeitsgestaltung<br />

(1) Zielsetzung<br />

• Anpassung der Arbeit an den Menschen<br />

• Vermeidung und Abbau von arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren<br />

• Erhalt der Arbeitsfähigkeit<br />

• Förderung der Gesundheit<br />

• Schädigungslosigkeit<br />

(2) Kriterien<br />

• Ausführbarkeit<br />

• Zumutbarkeit<br />

• Persönlichkeitsförderlichkeit<br />

(3) Vorgehensweise<br />

• Präventiv<br />

(Vermeidung von Belastungen und Senkung der<br />

Erkrankungswahrscheinlichkeit)<br />

• Korrektiv<br />

(Abbau von Belastungen, Fehlbeanspruchungen und Mängeln)<br />

• Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsstätten/Arbeitsumgebung<br />

• Gestaltung des Arbeitsplatzes<br />

• Gestaltung der Arbeitsmittel<br />

(4) Bereiche<br />

• Gestaltung der Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufe und<br />

Arbeitszeiten und deren Zusammenwirken<br />

• Gestaltung der Pausen<br />

• Förderung bzw. Verbesserung der Sozialbeziehungen<br />

Quelle: Huber u. a., 2006<br />

Bezogen auf eine alter(n)sgerechte Schichtplangestaltung sind vier<br />

Zielsetzungen relevant, die präventiv und durch organisatorische<br />

Anpassungen bzw. Qualifi kationsmaßnahmen durchgesetzt werden<br />

können:<br />

• der Arbeit ein gesundes Maß geben,<br />

• Erhalt und Förderung der Arbeitsfähigkeit,<br />

• Vorsorge für alle Alters- und Beschäftigtengruppen schaffen,<br />

• Zukunftsperspektiven für Ältere schaffen.<br />

Kriterien für die Beurteilung einer alternsgerechten Arbeitsgestaltung<br />

sind der Erhalt der funktionellen Kapazität, Förderung<br />

der individuellen Ressourcen sowie das Wohlbefi nden und die<br />

Lebensqualität der Beschäftigten. Schließlich sollen alle Schichtbeschäftigten<br />

ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen das<br />

Rentenalter erreichen. Konkrete Handlungsbereiche sind Veränderungen<br />

in der Arbeitsorganisation und Ergonomie (z. B. barrierefreies<br />

Arbeiten) und Maßnahmen der Personalpolitik (z. B. Altersstrukturanalyse),<br />

die alternsgerechte <strong>Beruf</strong>sverläufe und Karrieren<br />

ermöglichen sollen. Darüber hinaus lassen sich die Handlungsinstrumente<br />

der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> sowie der<br />

Gesundheitsförderung sinnvoll mit der alternsgerechten Schichtplangestaltung<br />

verbinden.<br />

20


Felder menschengerechter Arbeitsgestaltung (Übersicht)<br />

Arbeitsorganisation<br />

Arbeitsstruktur<br />

Arbeitszeit<br />

Arbeitsinhalte<br />

Beispiele<br />

Gruppenarbeit,<br />

Projektarbeit<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>,<br />

Zeitkonten<br />

Technologie<br />

Fertigungsverfahren<br />

Kollegen/innen<br />

betriebliches Umfeld<br />

Vorgesetzte<br />

Betriebsklima<br />

Arbeitsumgebung<br />

Klima<br />

Gefahrstoffe<br />

Beleuchtung<br />

Hitze, Kälte,<br />

Gase, Staub<br />

Schall/Schwingungen<br />

Arbeitsraum<br />

Großraumbüro<br />

Arbeitsplatz<br />

Bewegungsablauf<br />

Ergonomie<br />

Arbeitsmittel<br />

Technik und Ausstattung<br />

Lasten<br />

Bedienung<br />

Arbeitskleidung<br />

Büro, Maschinen,<br />

Anzeigen, Stellteile<br />

persönliche<br />

Schutzkleidung<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />

und <strong>Beruf</strong><br />

<strong>Familie</strong>nverpflichtungen<br />

Work-Life-Balance<br />

soziale Kontakte<br />

Freizeit<br />

Quelle: Huber u. a. 2006<br />

21


Arbeitswissenschaftliche Empfehlungen zur<br />

Schichtplangestaltung<br />

Wird in drei Schichten oder vollkontinuierlich über die ganze<br />

Woche gearbeitet, lassen sich gesundheitliche und/oder soziale<br />

Beeinträchtigungen (Nachtarbeit, Wochenendarbeit, Spätschichten)<br />

reduzieren, indem arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse bei der<br />

Schichtplangestaltung beachtet werden. Das ideale Schichtmodell<br />

gibt es allerdings nicht, doch je nach Arbeitsbedingungen und<br />

Beschäftigteninteressen lassen sich gesundheitlich und/oder sozial<br />

„verträglichere“ Modelle verwirklichen.<br />

Durch kurze Schichtblöcke (maximal drei hintereinanderliegende<br />

Schichten) werden die Umstellungsschwierigkeiten auf den<br />

Wechsel von Früh-, Spät- und Nachtschicht vermindert. Der Körper<br />

hat nicht die Möglichkeit sich an die Nachtschicht anzupassen<br />

und vermeidet dadurch, permanent gegen den inneren biologischen<br />

Rhythmus zu arbeiten. Gleiches gilt für den Wechsel der<br />

Schichten (Rota tionsrichtung): Früh-, Spät-, Nachtschicht kommt<br />

dem Biorhythmus stärker entgegen, als der Wechsel Nacht-, Spät-,<br />

Frühschicht.<br />

Häufi g wird durch den Schichtplan bestimmt wann <strong>Familie</strong>n- oder<br />

Freizeitaktivitäten stattfi nden können. Bei Änderungen der Arbeitszeiten<br />

ist es für Schichtbeschäftigte deshalb besonders wichtig,<br />

dass die Arbeitszeiten relativ vorhersehbar sind. Für den Fall<br />

von kurz fristigen Änderungen der Arbeitszeit sollten Spielregeln<br />

vereinbart werden oder diese sollten am besten nur in Absprache<br />

mit den Betroffenen erfolgen.<br />

1. Aufeinanderfolge der Schichten<br />

Kriterien<br />

maximale Anzahl<br />

hintereinanderliegender<br />

gleicher Schichten<br />

Rotationsrichtung der Schichten<br />

(z. B. früh, spät, nachts)<br />

Spezielle Schichtfolgen<br />

Früh-, Spät-, Nacht-<br />

Schichten<br />

Dauernachtschicht<br />

Frühschicht – frei – Spätschicht<br />

Empfehlungen<br />

möglichst wenig hintereinanderliegende<br />

Schichten (max. 3), um Schlafdefizite zu<br />

vermeiden, Umstellungsprobleme auf den<br />

Tagesrhythmus zu umgehen und soziale<br />

Kontakte zu pflegen<br />

Dauernachtschicht vermeiden, um mögliche<br />

langfristige Gesundheitsschäden zu vermeiden<br />

Vorwärtswechsel, da weniger<br />

Umstellungsprobleme auf die biologische<br />

Tagesrhythmik<br />

einzelne freie Tage in Schichtfolge vermeiden oder<br />

einzelne Arbeitstage zwischen freien Tagen<br />

2. Dauer und Verteilung der Arbeitszeit<br />

Kriterien<br />

maximale Anzahl<br />

hintereinanderliegender<br />

Arbeitstage<br />

Schichtdauer<br />

Ruhezeit zwischen<br />

zwei Schichten<br />

Empfehlungen<br />

maximal fünf bis sieben Arbeitstage, um Ermüdungen und langfristige gesundheitliche<br />

Beeinträchtigungen zu vermeiden<br />

Grundsätzlich begrenzt das Arbeitszeitgesetz (§ 3) die tägliche Dauer der Arbeitszeit auf<br />

8 Stunden. Ausnahmen sollten nur unter folgenden Voraussetzungen erfolgen:<br />

• die Arbeitsinhalte und die Arbeitsbedingungen sind so gestaltet, dass längere Arbeitszeiten<br />

ohne negative gesundheitliche Folgen zulässig sind<br />

• ausreichend vorhandene Pausen<br />

• ein Schichtsystem, das eine zusätzliche Ermüdungsanhäufung vermeidet<br />

• kein Anfallen zusätzlicher Überstunden<br />

• dass eine vollständige Erholung nach der Arbeitszeit möglich ist.<br />

Die Dauer der Ruhezeit beträgt mindestens 11 Stunden.<br />

22


3. Lage der Arbeitszeit<br />

Kriterien<br />

Frühschicht<br />

Spätschicht<br />

Nachtschicht<br />

Wochenendarbeit<br />

Empfehlungen<br />

sollte nicht zu früh sein, um ein Schlafdefizit zu vermeiden (6.30 Uhr ist besser als 6.00 Uhr)<br />

sollte nicht zu spät enden, damit ausreichend geschlafen werden kann und soziale Kontakte<br />

abends möglich sind<br />

sollte so früh wie möglich enden, um ausreichend schlafen zu können<br />

Wochenendarbeit minimieren, um mehr Zeit für soziale Kontakte zu haben,<br />

Vereinbarkeit <strong>Beruf</strong>/Freizeit/Erholung<br />

4. Kurzfristige Abweichungen vom Soll-Plan<br />

Empfehlungen<br />

Kurzfristige Abweichungen vom Schichtplan durch den Arbeitgeber sollten vermieden werden, um Freizeit planen zu können.<br />

Stattdessen können "Spielregeln" in Bezug auf Vorankündigungsfrist und Freizeitausgleich festgelegt werden.<br />

Beschäftigte sollten möglichst souverän über ihre Zeit verfügen können.<br />

Quelle: Knauth 1996<br />

Pausenregelungen<br />

Pausen 8 sind ein wichtiger Faktor bei der Arbeitszeitorganisation.<br />

Sie dienen der Erholung von Arbeitsbelastungen. Arbeitszeiten<br />

wirken vor allem auf zwei Ebenen auf die Gesundheit ein:<br />

Erstens bestimmt die Dauer des Arbeitstages den Rhythmus von<br />

Anspannung und Ruhephasen und damit die Regeneration der<br />

Menschen. Zweitens verschärft die Intensität der Arbeitszeit alle<br />

übrigen Arbeitsbelastungen (z. B. Lärm, Monotonie), die auf die<br />

Beschäftigten einwirken.<br />

Noch immer gibt es eine große Anzahl von Arbeitstätigkeiten, bei<br />

denen die Handlungsspielräume für die Beschäftigten sehr klein sind<br />

und z. T. monotone Arbeiten verrichtet werden müssen. Gerade hier<br />

wirken Pausen präventiv und entlastend. Bei freier Arbeits gestaltung<br />

werden Kurzpausen in der Regel selbstständig genommen. Hier<br />

besteht tendenziell die Gefahr, dass Pausen „vergessen“ werden<br />

oder aufgrund von Arbeitsverdichtung gänzlich auf sie verzichtet<br />

wird. Ein „Arbeiten ohne Ende“ kann aber auch auf eine fehlende<br />

betriebliche Pausenkultur zurückgeführt werden.<br />

In Betrieben/Verwaltungen mit <strong>Schichtarbeit</strong> gibt es deshalb viele<br />

gute Gründe für die Einführung von Erholpausen:<br />

• Arbeitsbelastungen und Zeitstress steigen weiterhin an, obwohl<br />

das Arbeitsschutzgesetz den Arbeitgebern seit 1996 vorschreibt,<br />

die Arbeitsbelastungen so gering wie möglich zu halten.<br />

• Die Anforderungen Erwerbsarbeit, <strong>Familie</strong> und Freizeit in<br />

Einklang zu bringen werden größer.<br />

8 Pausen sind unbezahlte Arbeitsunterbrechungen von mindestens 15 Minuten, die<br />

in Schicht-/Dienstplänen vorher festgelegt werden müssen. Arbeitsunterbrechungen<br />

oder Betriebspausen aus technischen Gründen sind keine Erholungspausen.<br />

• Immer mehr Beschäftigten fällt es schwer von der Arbeit<br />

abzuschalten.<br />

• Schwierige Arbeitsbedingungen wie fl exible Arbeitszeiten,<br />

Personalabbau, Überstunden, einseitige körperliche<br />

Belastungen, Monotonie, Überforderung/Unterforderung<br />

oder schädliche Umwelteinfl üsse wirken sich negativ auf die<br />

Gesundheit der Beschäftigten aus, mit Folgen, die oft erst nach<br />

Jahren körperlich in Erscheinung treten.<br />

• In vielen <strong>Beruf</strong>en mit schweren körperlichen Arbeiten scheiden<br />

bis zur Hälfte der Beschäftigten aus gesundheitlichen Gründen<br />

als Erwerbsunfähige vor dem gesetzlichen Rentenalter aus und<br />

werden frühverrentet (vgl. IG Metall 2006).<br />

Erholzeiten wirken sich auf verschiedene Bereiche aus:<br />

– sie entzerren die täglichen Arbeitszeiten und reduzieren dadurch<br />

den Stress,<br />

– sie kompensieren Belastungen,<br />

– sie wirken präventiv zur Bewältigung bevorstehender Arbeitsanforderungen,<br />

– sie minimieren die Unfälle in Betrieben/Verwaltungen,<br />

– sie tragen zum Erhalt der Leistungsfähigkeit bei und wirken<br />

gesundheitsfördernd,<br />

– sie unterstützen die betriebliche Kommunikation und die sozialen<br />

Kontakte und verbessern dadurch das Betriebsklima.<br />

Kurzfristige Zeitverluste der Pause werden durch Erholungswirkungen<br />

mehr als wettgemacht. Deshalb sollten bezahlte<br />

Kurzpausen von fünf Minuten pro Stunde tagsüber und zehn<br />

Minuten in der Nacht eingeführt werden.<br />

23


Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit der<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>szeit<br />

Beschäftigte benötigen vor allem Planungssicherheit, um die<br />

verschiedenen familiären und privaten Zeitanforderungen und<br />

Zeitwünsche vereinbaren zu können (vgl. z. B. Klenner; Pfahl 2008).<br />

Erfahrungsgemäß spielt die Zeitsouveränität der Beschäftigten im<br />

<strong>Beruf</strong> eine untergeordnete Rolle, Anpassungen an den Arbeitsanfall<br />

und fl exible Personaleinsatzplanung sind dagegen der Normalfall.<br />

Bei fehlender Planung werden Beschäftigte häufi g sehr kurzfristig<br />

zur Arbeit bestellt oder nach Hause geschickt. Gerade Teilzeitbeschäftigte<br />

werden häufi g für kurzfristige Arbeitsschwankungen<br />

eingesetzt. Im Extremfall wird die Arbeit auf Abruf organisiert und<br />

Beschäftigte wissen erst am Vortag oder sogar am Einsatztag,<br />

wann ihr Dienst beginnt.<br />

Zur Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit der Schichtzeiten<br />

gelten deshalb folgende Empfehlungen:<br />

• Verbindlich sollte die Einhaltung der Mindestankündigungszeit<br />

von vier Tagen (§ 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz; TzBfG)<br />

sein. Noch besser ist die Festlegung langfristiger Planungszeiträume.<br />

• Besonders berücksichtigt werden sollten geblockte oder<br />

zusammen hängende freie Tage am Wochenende (z. B. Freitag<br />

und Samstag), um die sozial wertvolle Zeit am Wochenende<br />

nutzen zu können.<br />

• Feste Planungszeiträume schaffen sowohl für die Beschäftigten<br />

als auch für den Betrieb Sicherheit und Kontinuität. Kurzfristige<br />

Abweichungen vom Plan, die der Arbeitgeber wünscht, sollten<br />

begrenzt werden und z. B. durch Freizeitausgleich honoriert<br />

werden.<br />

• Autonome Dienstplangestaltung in der Gruppe oder im Team<br />

hat sich auch bei der Vorhersehbarkeit der Arbeitszeiten<br />

bewährt.<br />

Bereitschaftszeit und Rufbereitschaft<br />

In Bezug auf die Planungssicherheit und Vorhersehbarkeit der<br />

Arbeitszeiten, stellen Bereitschaftszeiten und Rufbereitschaften<br />

eine besondere Herausforderung für die Arbeitszeitgestaltung dar.<br />

Oft sind auch die Arbeitsbelastungen kaum geringer als in der<br />

normalen Arbeitszeit.<br />

Bereitschaftsdienst 9 ist sehr unterschiedlich gestaltet. Da wo der<br />

Arbeitsanteil annähernd die Hälfte der Bereitschaftszeit erreicht,<br />

sind die Belastungen oft genauso groß wie in der normalen<br />

Arbeitszeit. Aber auch Bereitschaftsdienste mit jeweils kurzen<br />

Einsätzen bergen Risiken. Eine inqa-Studie hat verschiedene<br />

Rettungseinsätze miteinander verglichen und festgestellt, dass<br />

sporadische Einsätze auf dem Rettungswagen im ländlichen Raum<br />

ein ähnlich hohes Gesundheitsrisiko bergen wie häufi gere Einsätze<br />

in Ballungszentren.<br />

Durch tarifl iche Öffnungsklauseln, kann der Arbeitgeber die<br />

Arbeitszeit über zehn Stunden hinaus verlängern, wenn regelmäßig<br />

und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst anfällt. Auch der<br />

Ausgleichszeitraum kann auf ein Jahr ausgedehnt werden. Hier<br />

können die gesundheitlichen Risiken stark ansteigen.<br />

Empfehlungen für die Bereitschaftszeit:<br />

• Die zusätzlichen Bereitschaftszeiten, mindestens die erbrachte<br />

tatsächliche zusätzliche Arbeitsleistung, sollte zeitnah in Freizeit<br />

ausgeglichen werden.<br />

• Außerdem sollten die Dienstpläne langfristig erstellt werden,<br />

um Planungssicherheit zu garantieren.<br />

Rufbereitschaft 10 wird gegenüber der Bereitschaftszeit nicht als<br />

Arbeitszeit defi niert und gilt als Ruhezeit. Durch die permanente<br />

Anspannung ist der Erholungswert der Rufbereitschaftszeit allerdings<br />

eingeschränkt. Ein erholsamer Schlaf in der Nacht ist kaum<br />

möglich. Meist werden die Beschäftigten darüber hinaus am<br />

nächsten Tag in den normalen Tagdienst eingeteilt, so dass sich<br />

Erholungsdefi zite anhäufen, da ein Ausgleich nicht unmittelbar<br />

erfolgen muss. Im Gesundheits- oder Rettungsdienst sind die<br />

Arbeitsphasen oft mit komplexen Aufgaben verbunden, die die<br />

Anspannung weiter erhöhen.<br />

Empfehlungen für die Rufbereitschaft:<br />

• Auch wenn keine Arbeit geleistet wird, sollte die Rufbereitschaft<br />

zu einem Mindestanteil zur Arbeitszeit gerechnet und entlohnt<br />

werden.<br />

• Nach Einsätzen in der Rufbereitschaft sollten bis zur regulären<br />

Arbeitszeit ausreichend Ruhezeiten zur Verfügung stehen.<br />

• Die Anzahl der Rufbereitschaften sollte begrenzt werden.<br />

12-Stunden-Schichten<br />

Sehr umstritten sind verlängerte tägliche Arbeitszeiten bis zu<br />

12-Stunden-Schichten, die in einzelnen Tarifverträgen möglich<br />

sind. Der große Reiz von langen Schichten oder „komprimierter<br />

Arbeitszeit“ sind die Reduktion der Arbeitstage, mehr Freischichten<br />

und damit eine Reduzierung der Wegezeiten. Automatisch verkürzt<br />

sich die Anzahl der Nacht- und Abendarbeiten und ermöglicht<br />

längere Ruhezeiten sowie mehr Zeit für Fürsorgetätigkeiten und die<br />

<strong>Familie</strong>.<br />

In der chemischen Industrie sind in vollkontinuierlich arbeitenden<br />

Betrieben Sonntagsschichten von 12 Stunden zulässig. Generell<br />

ist dort in Schichtbetrieben bei Arbeitsbereitschaft eine tägliche<br />

Arbeitszeit bis zu 12 Stunden möglich.<br />

Aus medizinischer Sicht sind 12-Stunden-Schichten sehr<br />

fragwürdig, da jede Ausdehnung der Arbeitszeit über die tägliche<br />

8-Stunden-Grenze hinaus eine Steigerung des Beeinträchtigungsrisikos<br />

nach sich zieht. Dies gilt umso mehr wenn diese Grenze der<br />

täglichen Arbeitszeit um vier Stunden überschritten wird (vgl. Wirtz<br />

9 Bereitschaftszeit ist Arbeitszeit (EuGH 2000), in der Beschäftigte sich am<br />

Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten müssen.<br />

Die überwiegend aufgewendete Zeit (also mindestens 51 %) muss frei von jeder<br />

Tätigkeit und Verantwortung sein.<br />

10 Beschäftigte sind während der Rufbereitschaft verpfl ichtet, sich an einem dem<br />

Arbeitgeber anzuzeigenden Ort aufzuhalten, um jederzeit die Arbeit aufnehmen<br />

zu können.<br />

24


2010, Nachreiner u. a. 2005). Allerdings konnten Untersuchungen<br />

zeigen, dass 12-Stunden-Schichten unter bestimmten Voraussetzungen<br />

(Arbeitsbedingungen, ausreichende Regeneration)<br />

weniger belastend sind als normale 8-Stunden-Schichten, an die<br />

kurzfristige Überstunden angehängt werden (vgl. Wirtz 2010).<br />

„Infi neon (Dresden) führte die 12-Stunden-Schicht ein. Vorher<br />

arbeitete Manuela Schäfer (42 Jahre, Zeitarbeiterin) an sechs<br />

Tagen in Folge jeweils acht Stunden. Jetzt dauern die Schichten<br />

zwölf Stunden, an vier aufeinanderfolgenden Tagen. Wobei die<br />

ersten beiden Tagesschichten sind. Am dritten und vierten Tag<br />

arbeitet die gelernte Elektromontiererin nachts. Körperlich, sagt<br />

sie, verkrafte sie den Rhythmuswechsel erstaunlich gut. ‚Aber ich<br />

habe praktisch kein <strong>Familie</strong>nleben mehr.’ Der Mann, den sie jetzt<br />

verlässt, arbeitet selbst auf Montage. Nur am Wochenende ist er<br />

zu Hause. Bedingt durch ihre Schichten, sagt Manuela Schäfer,<br />

hätten sie sich manchmal vier Wochen lang nicht gesehen. ‚Und<br />

wenn doch, dann war ich nicht ansprechbar.’ Sie zögert, so als<br />

überlege sie, ob sie aussprechen soll, was sie denkt: ‚Man ist<br />

nach vier solchen Schichttagen kein Mensch mehr’.“<br />

aus: IG Metall Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen (2007):<br />

Sozialreport Zeitarbeit, S. 37<br />

Nach Auffassung verschiedener Autoren sollten verlängerte<br />

Arbeitstage nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen gewährt<br />

werden (vgl. Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebensund<br />

Arbeitsbedingungen 1997):<br />

• Arbeitstätigkeiten, -bedingungen und -belastungen müssen für<br />

eine verlängerte Arbeitszeit geeignet sein;<br />

• vor allem körperlich leichte Arbeit (z. B. Arbeit in Kontrollräumen,<br />

leichte Maschinenbedienung mit längeren Pausen,<br />

regelmäßige Kontrollgänge) sind geeignet;<br />

• das Schichtsystem muss ausreichend Erholung garantieren;<br />

• ein hoher Anteil an Bereitschaftsdiensten mit entsprechend<br />

wenigen Anteilen Arbeitszeit;<br />

• es dürfen keine zusätzlichen Überstunden anfallen;<br />

• die Arbeitszeiten müssen <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> vereinbar machen<br />

sowie<br />

• eine ständige ärztliche Überwachung muss gewährleistet sein.<br />

Schichtmodellen geschaffen, die unterschiedliche Kriterien berücksichtigen.<br />

Im Einzelhandel werden für Vollzeitbeschäftigte häufi g<br />

zwei Modelle zur Auswahl gestellt: Eine 4-Tage-Woche mit langen<br />

Arbeitszeiten und langem Freizeitblock wird häufi g von Beschäftigten<br />

ohne Fürsorgeverpfl ichtungen bevorzugt. Eine 5-Tage-Woche<br />

mit normalen täglichen Arbeitszeiten favorisieren Beschäftigte mit<br />

<strong>Familie</strong>ninteressen.<br />

Für eine sozialverträgliche Schichtplangestaltung sollte in jedem<br />

Fall mindestens ein freier Abend pro Woche an Werktagen zur<br />

Verfügung stehen. Ein weiteres familienbewusstes Kriterium ist die<br />

Planbarkeit bzw. Vorhersehbarkeit der individuellen Arbeitszeiten.<br />

Vielfach scheitern Schichtmodelle an einer unzureichenden betrieblichen<br />

Umsetzung. Sozialverträgliche und familienbewusste Anforderungen<br />

lassen sich nicht verwirklichen, wenn die Planung bereits<br />

auf wackligen Füßen steht. So sollten die vorgesehenen Arbeitszeiten<br />

der Beschäftigten im Schichtsystem auch realisierbar sein.<br />

Das schönste Schichtmodell nützt nicht viel, wenn z. B. alle zwei<br />

Wochen zusätzliche Schichten (Bringschichten) in die Freiblöcke<br />

integriert werden müssen und damit die Freischichten zusammenschmelzen<br />

und/oder die Abfolge der Schichten durcheinander<br />

gebracht werden (wenn z. B. vor einer Frühschicht eine Spätschicht<br />

zusätzlich erbracht werden muss).<br />

Einen noch größeren Knackpunkt stellt die ausreichende Personalbemessung<br />

inklusive der eingeplanten Personalreserven dar. Hier<br />

gilt insbesondere, dass chronische Unterbesetzung oder falsche<br />

Planungen (wenn z. B. die normalen Krankheitszeiten nicht mit<br />

eingerechnet werden) die Vorteile eines ausgetüftelten Schichtmodells<br />

zunichte machen. Zusätzliche Schichten, Überstunden oder<br />

ungeregelte Springerdienste führen fast automatisch zu weniger<br />

Regenerationszeiten und erschweren die Abstimmung mit den<br />

<strong>Familie</strong>nzeiten. In vielen Betrieben hat sich eine Praxis etabliert,<br />

in der Überstunden zur Normalität gehören und die Personalbemessung<br />

niedrig gehalten wird. Beschäftigte müssen dann<br />

permanent an ihrer Leistungsgrenze arbeiten. Gegensteuern lässt<br />

sich nur mit zusätzlichem Personal, von dessen Notwendigkeit das<br />

Management überzeugt werden muss (siehe Kapitel 10 Umsetzung<br />

familienbewusster Schichtmodelle). Über die Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

zur Arbeitszeit kann hier Einfl uss auf die Personalplanung<br />

genommen werden.<br />

Das Dilemma der Schichtplangestaltung<br />

Die unterschiedlichen Empfehlungen zur Schichtplangestaltung<br />

aus medizinischer, sozialer und demografi scher Sicht machen<br />

bereits deutlich, wie groß die Planungsanforderungen sind. In der<br />

Praxis ist es deshalb nicht immer möglich allen Kriterien gerecht<br />

zu werden. Die Schichtplangestaltung befi ndet sich daher oft in<br />

dem Dilemma zwischen gesundheitlichen und sozialen Anforderungen<br />

abwägen zu müssen und Entscheidungen für eine Seite<br />

zu treffen. Hier kann eine Bedarfsanalyse helfen, die Wünsche<br />

und Bedürfnisse der Schichtbeschäftigten besser abzubilden.<br />

Im Idealfall werden Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen<br />

25


6. Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

Die Vereinbarkeit von <strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong> betrifft keinesfalls nur<br />

<strong>Familie</strong>n mit kleinen Kindern. Alle Beschäftigten haben einen<br />

Anspruch auf eine gute Balance von Erwerbsarbeit und Privatleben;<br />

unabhängig vom Geschlecht, <strong>Familie</strong>nstand, Qualifi kation und<br />

Arbeitsverhältnis bzw. -form. Außerdem müssen die unterschiedlichen<br />

Lebensbereiche in allen Lebensphasen einen angemessenen<br />

Platz fi nden. Vereinbarkeit in der Mitte des Lebens muss anderen<br />

Anforderungen genügen als beim <strong>Beruf</strong>seinstieg oder kurz vor der<br />

Rente. <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit lässt sich als Kriterium der Schichtplangestaltung<br />

(soziale Kriterien) und über die Rahmenbedingungen<br />

in Betrieben und Verwaltungen realisieren. Mit Verbesserungen<br />

in der Arbeitsorganisation, Angeboten zur Kinderbetreuung<br />

und der Unterstützung von Eltern sowie pfl egenden Beschäftigten<br />

lassen sich oft mit wenig Aufwand gute Resultate erzielen. Eine<br />

höhere Wertschätzung der Beschäftigten durch familienbewusste<br />

Maßnahmen und ein familienfreundliches Betriebsklima steigern<br />

zudem die Motivation der Beschäftigten. Dazu ist es erforderlich<br />

die besonderen Lebenslagen der Beschäftigten zu kennen, um ihre<br />

<strong>Familie</strong>nbedürfnisse in der Arbeitszeitgestaltung zu berücksichtigen.<br />

Arbeitsorganisation<br />

Einen wichtigen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und<br />

<strong>Beruf</strong> kann die Gestaltung familienfreundlicher Arbeitsplätze auch<br />

in Schichtbetrieben leisten. Durch Teamarbeit und mehr Selbstorganisation<br />

kann fl exibel auf den Fürsorgebedarf reagiert werden.<br />

Die Arbeitsorganisation bietet eine Reihe von Möglichkeiten, ohne<br />

großen personellen und fi nanziellen Aufwand familienfreundliche<br />

Lösungen einzurichten. Die Firma Merz Pharma in Frankfurt z. B.<br />

hat für alle Beschäftigten in der Produktion eine private Telefon-,<br />

Internet-und Email-Nutzung bereitgestellt, um Beschäftigten mit<br />

Fürsorgeaufgaben die Kommunikation mit Zuhause und Ämtern/<br />

Einrichtungen zu erleichtern. Eltern-Kind-Zimmer, in denen Beschäftigte<br />

arbeiten und gleichzeitig ihre Kinder beaufsichtigen bieten<br />

eine Notlösung, wenn die Kinderbetreuung mal nicht funktioniert.<br />

So genannte Kontakthalteprogramme sind Maßnahmen,<br />

um während einer Elternzeit/Freistellung die Verbindung zum<br />

Betrieb oder zur Dienststelle nicht abreißen zu lassen. Das können<br />

begrenzte Teilzeittätigkeiten oder Urlaubsvertretungen sein oder<br />

auch der Intranetzugang von zu Hause. In jedem Fall geht es<br />

darum, die freigestellten Beschäftigten über aktuelle Entwicklungen<br />

im Betrieb zu informieren und mögliche Qualifi zierungsbedarfe zu<br />

realisieren. Ein wesentlicher Effekt ist zum einen die Wertschätzung,<br />

die Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber erfahren, auch wenn sie<br />

nicht im Betrieb sind. Zum anderen bleibt das Wissen der Beschäftigten<br />

dem Betrieb erhalten und muss nicht wieder neu aufgebaut<br />

werden.<br />

Kinderbetreuung<br />

Die Organisation der Kinderbetreuung stellt für junge <strong>Familie</strong>n<br />

ein zentrales Problem dar, das durch betriebliche Unterstützung<br />

abgebaut werden kann. Neben der großen Lösung „Betriebskita“<br />

gibt es eine Reihe niederschwelliger Angebote. Denkbar sind<br />

Kooperationen mit wohn- oder dienstortnahen Kindertagesstätten<br />

durch die Sicherung von Belegrechten, um die Betreuungssituation<br />

während der Arbeitszeit zu verbessern. Auch die Unterstützung<br />

von Elterninitiativen oder die Zusammenarbeit mit Tagesmüttern<br />

sind sinnvolle Lösungen. Durch die Zusammenarbeit mit den<br />

unterschiedlichen Betrieben und Behörden vor Ort kann auch<br />

die gemeinsame Einrichtung einer überbetrieblichen Kita geprüft<br />

werden. Dadurch ist es möglich, die Betreuung der Kinder aller zu<br />

sichern. Beispielsweise wurde in München eine kooperative Behördenkita<br />

eingerichtet für Kinder von Beschäftigten der Landeshauptstadt<br />

München und des Freistaats Bayern. Insgesamt stehen fast<br />

70 Plätze zur Verfügung, auf denen Kinder von der 9. Lebenswoche<br />

bis zum Übertritt in die Schule betreut werden.<br />

Die Abbildung auf der nächsten Seite stellt eine Übersicht der<br />

betrieblichen Unterstützungsmöglichkeiten für Eltern dar und zeigt,<br />

wie wenig verbreitet diese Leistungen bisher sind.<br />

Beispiele für „schichtfreundliche“ Kinderbetreuung sind eine Kita<br />

der Charité in Berlin, die auch die problematischen Randzeiten<br />

abdeckt, in denen die Schichtwechsel stattfi nden oder eine Kooperation<br />

von Arcelor Mittal Eisenhüttenstadt mit einem städtischen<br />

24-Stunden-Kinderhotel.<br />

Kinderbetreuung beschränkt sich aber nicht auf die ersten<br />

Lebens jahre, sondern zieht sich durch alle Entwicklungsphasen<br />

eines Kindes. Wünschenswert wären deshalb Programme für alle<br />

Lebensphasen. Angebote zur Ferienbetreuung und Entwicklung<br />

von Kindernotfallbetreuung (auch für Schulkinder) oder Eltern-Kind-<br />

Zimmer sind weitere denkbare Handlungsoptionen. So wurde z. B.<br />

beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) in Kooperation mit dem<br />

Betriebsrat eine Ferienbetreuung aufgestellt, die von ehemaligen<br />

Beschäftigten des Senders organisiert und betreut wird. Der große<br />

Enthusiasmus der Ruheständler/innen kommt bei den Kindern und<br />

26


Betriebliche Sozialleistungen<br />

für Erziehende<br />

Sonderurlaub bei<br />

Krankheit des Kindes<br />

Möglichkeiten der<br />

Notfallbetreuung<br />

„gibt es bei<br />

uns“ 1)<br />

21%<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

„auch für mich<br />

wichtig“ 2)<br />

53% 91%<br />

83%<br />

Jugendlichen so gut an, dass die Ferienbetreuung immer ausgebucht<br />

ist. Außerdem ist der Austausch von Eltern und Ehemaligen<br />

für beide Seiten bereichernd.<br />

Elternzeit und Elterngeld<br />

Elternzeit kann der Arbeitgeber weder ablehnen noch vertraglich<br />

ausschließen. In der Elternzeit gelten Teilzeitanspruch und Kündigungsschutz<br />

und es darf keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt<br />

werden. Zulässig ist aber eine Teilzeitbeschäftigung bis zu<br />

30 Stunden wöchentlich. Grundsätzlich haben Beschäftigte nach<br />

Beendigung der Elternzeit einen Anspruch auf eine dem Arbeitsvertrag<br />

entsprechende, gleichwertige Tätigkeit. Eine grundsätzliche<br />

Garantie, auf den alten Arbeitsplatz zurückzukehren, gibt es aber<br />

nicht. Im Wesentlichen müssen Entgelt, Arbeitszeit und Arbeitsort<br />

der Tätigkeit entsprechen, die vor Beginn der Elternzeit ausgeübt<br />

wurde. Alle davon abweichenden Wünsche seitens des Arbeitgebers<br />

oder seitens der Beschäftigten können nur im gegenseitigen Einvernehmen<br />

geregelt werden.<br />

Geldleistungen wie<br />

Kinder zulage, Einmalzahlungen<br />

zur Geburt<br />

Vermittlung von Betreuungsplätzen<br />

oder Hilfe<br />

bei der Organisation<br />

Freizeitangebote<br />

für Kinder der<br />

Beschäftigten<br />

Hilfe bei der Vermittlung<br />

hauswirtschaftlicher<br />

Dienstleistungen<br />

Stillraum<br />

7%<br />

8%<br />

5%<br />

33%<br />

79%<br />

65%<br />

49%<br />

49%<br />

37%<br />

Elterngeld wird für 14 Monate gewährt und kann unter den<br />

Partnern frei aufgeteilt werden, wobei ein Partner die Leistung<br />

nicht länger als 12 Monate beziehen kann. Anspruch auf Elternzeit<br />

haben Mütter und Väter, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, also<br />

auch bei befristeten Arbeitsverträgen und bei Teilzeitarbeitsverträgen.<br />

Alleinerziehende haben Anspruch auf die vollen 14 Monate<br />

Elterngeld.<br />

Mit dem Elterngeld ist das betreuende Elternteil sozial besser<br />

abgesichert und weniger von Transferleistungen oder Partnereinkommen<br />

abhängig. Gerade auch Väter sollen ermutigt werden,<br />

Elterngeld zu beanspruchen. Ziel dieser Regelung ist es, für eine<br />

partnerschaftliche Aufteilung der <strong>Familie</strong>narbeit zu sorgen.<br />

Und die Zahlen zeigen den Erfolg. So steigt die Anzahl der Väter<br />

in Deutschland, die Elternzeit nehmen und Elterngeld beziehen<br />

seit der Einführung des Elterngeldes 2007 ununterbrochen an.<br />

Knapp ein Viertel der Väter der im ersten Quartal 2010 geborenen<br />

Kinder bezogen Elterngeld. Doch bei der betrieblichen Umsetzung<br />

kommen auf die Betriebs- und Personalräte neue Beratungs- und<br />

Informationsaufgaben zu.<br />

Kinderspielzimmer im<br />

Betrieb<br />

Quelle: WSI-Befragung, 2005<br />

5%<br />

6%<br />

36%<br />

1) Prozent der Beschäftigten mit diesen betrieblichen<br />

Leistungen,<br />

2) Beschäftigte, in deren Betrieb es diese Angebote nicht gibt<br />

Wiedereinstieg in den <strong>Beruf</strong><br />

Um den Kontakt zum Betrieb/zur Dienststelle auch während der<br />

Elternzeit oder einer Freistellung aufgrund von Pfl egetätigkeiten<br />

nicht abreißen zu lassen, bieten sich verschiedene Instrumente an,<br />

die mit relativ wenig Aufwand eingeführt werden können. Schon<br />

vor der Elternzeitzeit sollte ein Personalgespräch mit den Beschäftigten<br />

stattfi nden, in dem die berufl ichen Perspektiven abgeklärt<br />

werden. Eine gute Möglichkeit, in der Elternzeit die Verbindung<br />

zum Betrieb/zur Dienststelle aufrecht zu halten, ist die regelmäßige<br />

Information über Aktuelles aus dem Betrieb. Einladungen<br />

zu Betriebsveranstaltungen, Festen oder Betriebsversammlungen<br />

tragen dazu bei, die Eltern auf dem Laufenden zu halten. Möglich<br />

ist auch die Benennung einer Elternzeitpatin/eines Paten, die oder<br />

der für einzelne Elternzeitler/innen verantwortlich ist und sie mit<br />

den neuesten Informationen versorgt.<br />

27


Überblick über Kontakthalteprogramme und Maßnahmen zum Wiedereinstieg nach Elternzeit/Freistellung.<br />

Verlängerung der<br />

Elternzeit<br />

Verbindung zum<br />

Betrieb halten<br />

Aktivitäten<br />

während der<br />

Elternzeit<br />

Vorbereitung<br />

Wiedereinstieg<br />

Betriebliche<br />

Elternpause*<br />

Kontakt während<br />

der Elternzeit<br />

Weiterbildung<br />

Rückkehrgespräche<br />

Elternzeit-<br />

Patenschaften<br />

Tätigkeiten während<br />

der Elternzeit<br />

Trainee-Programm**<br />

* bei der betrieblichen Elternpause kann die bezahlte Freistellung über die gesetzliche Elternzeit verlängert werden;<br />

** das Trainee-Programm ist eine interne Qualifi kation nach dem Wiedereinstieg und informiert v. a. über Veränderungen in der Dienststelle<br />

Schließlich kann der Wiedereinstieg in den Betrieb unterschiedlich<br />

gestaltet werden. Schon während der Elternzeit ist ein schonender<br />

Einstieg über Teilzeitbeschäftigung oder die Übernahme einer<br />

Urlaubsvertretung möglich. Es hat sich gezeigt, dass durch die<br />

Inanspruchnahme von Teilzeit während der Elternzeit, die Dauer des<br />

Ausstiegs insgesamt verringert und der frühere Einstieg in den <strong>Beruf</strong><br />

erleichtert wird. Auch nach der Elternzeit möchten die Mütter und<br />

Väter unter Umständen ihre Arbeitszeit reduzieren, um die Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> zu erleichtern.<br />

Neben der Aufrechterhaltung der Kommunikation in der Elternzeit ist<br />

der Erhalt der Qualifi kation ein wichtiges Thema. Oft ist der Wiedereinstieg<br />

bereits nach wenigen Monaten mit Reibungen und Verlusten<br />

verbunden. Je länger die Pause ist, desto schwieriger gestaltet<br />

sich die Rückkehr. Fortbildungen, die an die Bedürfnisse der Eltern<br />

angepasst sind (z. B. mit Kinderbetreuung, Seminare mit kürzeren<br />

Einheiten) verhindern den Qualifi kationsverlust in der Elternzeit.<br />

Besonders hilfreich sind interne Fortbildungen: Sie bieten den Vorteil<br />

der kurzen Anreise und verbinden den Besuch der Veranstaltung mit<br />

einem Wiedersehen im Betrieb/in der Dienststelle. Auch die Organisation<br />

der Kinderbetreuung ist hier wenig aufwendig.<br />

Vereinbarkeit von Pflege und <strong>Beruf</strong><br />

Die Vereinbarkeit von Pfl ege und <strong>Beruf</strong> ist ein besonders heikles<br />

Thema. Gegenüber dem Thema Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit<br />

und Kindererziehung wird dieses gesellschaftlich wie individuell<br />

nicht weniger wichtige Thema bisher vernachlässigt. Auch auf<br />

betrieblicher Ebene ist das Thema Pfl egeverantwortung für ältere<br />

und/oder kranke Menschen vielfach noch tabuisiert. Der Umgang<br />

mit Pfl egebedürftigen bringt weitaus weniger erfreuliche Erlebnisse<br />

mit sich als mit Kindern. Pfl egende Angehörige müssen oft<br />

mit einem fundamentalen Rollenwechsel in der <strong>Familie</strong> umgehen<br />

(z. B. die Eltern, die von den Kindern gewaschen und gewickelt<br />

werden). Sie müssen im Alltag und in der Freizeitgestaltung starke<br />

Einschränkungen in Kauf nehmen und es droht der Verlust sozialer<br />

Kontakte und der Lebensqualität. Die Tabuisierung des Themas und<br />

das fehlende Verständnis der Kolleginnen und Kollegen verstärken<br />

den Stress und die psychischen Belastungen für die Pfl egenden.<br />

Der Umgang mit Krankheit, Alter, Tod und dem Sterben eines<br />

nahestehenden Menschen sind besonders schwierig und belastend.<br />

Die Auseinandersetzung mit dem Tod kann Angst erzeugen. Und<br />

wer nicht die Möglichkeit hat, sich darüber auszutauschen, bei<br />

dem/der können früher oder später körperliche und seelische<br />

Folgen entstehen. Wenn pfl egende Beschäftigte dann zusätzlich<br />

berufl ichem Druck ausgeliefert sind, weil die Personaldecke zu<br />

dünn ist oder Kürzungen drohen, könnten sie die ersten Opfer von<br />

Personaleinsparungen sein. Schon jetzt scheiden 10 % aller Hauptpfl<br />

egepersonen aus der Erwerbsarbeit aus und 11 % reduzieren<br />

ihre Arbeitszeit, wenn sie den Hauptteil der häuslichen Pfl ege<br />

übernehmen (Schneekloth; Wahl 2005).<br />

28<br />

Um die Tabuisierung dieses Themas aufzubrechen und Beschäftigte<br />

aus ihrer Sprachlosigkeit zu holen, sind einerseits Maßnahmen der<br />

Sensibilisierung wichtig und andererseits konkrete Angebote für<br />

Beschäftigte mit Pfl egeaufgaben, wie zum Beispiel individuelle<br />

Arbeitszeitregelungen, ein/e Ansprechpartner/in im Betrieb sowie<br />

eine Infobox („Notfallkoffer“) mit Informationen zu staatlichen<br />

Leistungen, externen Dienstleistungen und Institutionen, an die sich<br />

Betroffene wenden können. Auch die Reform des Pfl egegesetzes<br />

(2008) mit der Möglichkeit einer unbezahlten Freistellung oder


das <strong>Familie</strong>npfl egezeitgesetz bieten sich an, um das Thema auf die<br />

Agenda zu bringen und betrieblich zu gestalten.<br />

Weil die Pfl egesituationen sehr individuell sind und Pfl egeverläufe<br />

häufi g nicht vorhersehbar sind, helfen insbesondere kurzfristige<br />

Freistellungen und individuelle Arbeitszeitoptionen. In vielen<br />

Betrieben und Verwaltungen können pfl egende Beschäftigte in<br />

Absprache mit dem Team und den Vorgesetzten auch kurzfristig<br />

ihre Arbeitszeiten ändern oder zwischendurch kurzfristig nach<br />

Hause fahren. Bei den Landesforsten Rheinland-Pfalz zum Beispiel<br />

besteht für alle Beschäftigten, die neu in eine Pfl egesituation<br />

kommen, die Möglichkeit ein monatliches Freizeitkontingent zu<br />

nutzen, über das die Beschäftigten frei verfügen können (stunden-,<br />

tage, wochenweise oder am Stück).<br />

<strong>Familie</strong>nfreundlichkeit als betriebswirtschaftlicher<br />

Erfolgsfaktor<br />

All diese Maßnahmen sollten durch die Betriebs- bzw. Dienstkultur<br />

mitgetragen werden. Hier sind vor allem die Arbeitgeber und<br />

Führungskräfte, Meister und Schichtgruppenleiter gefordert, für<br />

eine bessere Vereinbarkeit von <strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong> zu sorgen.<br />

Eine beschäftigten- und familienorientierte Betriebskultur bringt<br />

auch für den Arbeitgeber viele Vorteile. Ein gutes Personalmanagement<br />

nimmt die Beschäftigten in ihrer Vielfalt, Verschiedenartigkeit<br />

und Ganzheit in den Blick und damit ihre unterschiedlichen<br />

Belange, Bedürfnisse und Besonderheiten. Es ist offensichtlich,<br />

dass Beschäftigte mit Fürsorgeverpfl ichtungen andere<br />

Interessen an Erwerbsarbeit haben als Beschäftigte ohne diese<br />

sozialen Aufgaben. Aber auch im Lebensverlauf ändern sich die<br />

Anforderungen an die Arbeit: <strong>Beruf</strong>seinstieg, <strong>Familie</strong>ngründung,<br />

Karriere, <strong>Beruf</strong>setablierung, Pfl ege und Ausstieg aus dem Erwerbsleben<br />

bezeichnen verschiedene Phasen, die eine ganz spezifi sche<br />

Perspektive auf das Verhältnis von <strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong> bzw. Privatleben<br />

bedingen.<br />

Neueste Untersuchungen der Universität Münster belegen den<br />

positiven Einfl uss einer familienbewussten Personalpolitik. Bei<br />

allen wesentlichen Zielen der Personalpolitik zeigen sich positive<br />

Ergebnisse: Bei Mitarbeitergewinnung und -bindung, Arbeitszufriedenheit,<br />

Motivation der Beschäftigten, Fehlzeiten, Qualifi -<br />

kation, Kundenbindung, Kostensenkung und Produktivität gibt<br />

es einen positiven Zusammenhang zur <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit.<br />

Zusätzlich erreichen Betriebe mit hohem <strong>Familie</strong>nbewusstsein ihre<br />

betriebswirtschaftlichen Ziele deutlich besser als solche, die ihre<br />

Personalpolitik nicht danach ausrichten. Somit ist familienbewusste<br />

Personalpolitik ein wichtiger Parameter für wirtschaftlichen Erfolg<br />

(Schneider u. a. 2008).<br />

Die aktive Beteiligung der Leitung und die Unterstützung durch die<br />

Führungsebene ist ein entscheidender Faktor bei der Umsetzung<br />

einer familienbewussten Kultur. Sensibilisierung und Seminare<br />

für Führungskräfte sind ein erster Schritt in diese Richtung. Noch<br />

besser gelingt diese Aufgabe, wenn <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit als<br />

strategische Aufgabe der Unternehmensführung ernst genommen<br />

wird. Das heißt, wenn familienbewusste Personalpolitik als<br />

Querschnittsthema betrachtet wird, das alle wichtigen Unternehmensbereiche<br />

berührt – als selbstverständliche Führungsaufgabe,<br />

die auch Bestandteil in Zielvereinbarungen und Mitarbeiter/innengesprächen<br />

ist und aktiv kommuniziert wird (Betriebszeitung,<br />

Intranet usw.). Auf Dienst-/Betriebsversammlungen oder<br />

Workshops kann für das Thema geworben werden. Wo wird immer<br />

noch in Stereotypen gedacht? Was könnten neben strukturellen vor<br />

allem symbolische Hindernisse sein? Wie können wir den Abbau<br />

dieser Hindernisse vorantreiben, damit familiäre Verantwortung<br />

stärker anerkannt und unterstützt wird?<br />

29


7. Teilzeit ist möglich<br />

Teilzeit und Schicht sind längst kein Widerspruch mehr. Das zeigt<br />

die mittlerweile große Vielfalt von Teilzeitmodellen auch in Schichtund<br />

Dienstplänen. Hieß es früher, dass in Schichtmodellen alles<br />

kollektiv geregelt ist und deshalb kaum Spielraum für individuelle<br />

Lösungen vorhanden sei, zeigt sich heute eine erstaunliche Kreativität<br />

für maßgeschneiderte Lösungen.<br />

Auch für den Betrieb ergeben sich durch Teilzeit Vorteile. Neben<br />

der hohen Leistungsbereitschaft von Teilzeitbeschäftigten lohnt<br />

sich Teilzeit trotz der Herausforderung für die Tätigkeitsbeschreibungen<br />

oder für die Schicht- und Dienstplanung. Damit besteht<br />

für das Management auch die Chance neue Wege zu gehen<br />

und neuen Schwung in die Zeitorganisation zu bringen. Der<br />

scheinbare Mehraufwand der Organisation am Anfang wird durch<br />

die Vorteile der Flexibilität schnell mehr als wettgemacht. Die<br />

Widerstände gegen Neueinführungen entpuppen sich häufi g als<br />

Traditionsfallen („das haben wir schon immer so gemacht“) oder<br />

als Bequemlichkeit der Planer (siehe Kapitel 13 Widerstände in der<br />

Umsetzung).<br />

Die größte Herausforderung stellen einheitliche Schichtsysteme<br />

dar, mit Schichtgruppengrößen, die sich nur wenig variieren lassen<br />

(z. B. Vollkontischicht mit 5 Schichtgruppen und gleichmäßiger<br />

Personalbesetzung). Doch auch hierfür lassen sich Teilzeitlösungen<br />

fi nden.<br />

a) Zusätzliche Freischichten<br />

Am leichtesten lassen sich Teilzeitmodelle einführen, wenn die<br />

individuellen Arbeitszeiten über die Anzahl der Schichten bzw.<br />

Dienste reduziert werden. Die bestehenden Schichtmodelle<br />

müssen nicht verändert werden, sondern werden lediglich über die<br />

Personal besetzung angepasst. Damit können Teilzeitmöglichkeiten<br />

zwischen 8 Stunden (eine Schicht pro Woche) bis zu einer vollzeitnahen<br />

Teilzeit erreicht werden. In vielen Betrieben liegen die Untergrenzen<br />

der wöchentlichen Arbeitszeit allerdings deutlich höher.<br />

Bei der BASF in Ludwigshafen z. B. werden solche verschiedenen<br />

Teilzeitgrößen über die Ausweitung der Freischichten realisiert.<br />

Eine kluge Teilzeitvariante ist das sogenannte „Vollzeit Select“ der<br />

BMW AG. Pro Jahr können Beschäftigte im Schichtbetrieb bis zu<br />

20 zusätzliche freie Tage beantragen, ohne dass der Vollzeitstatus<br />

verändert wird und die Ansprüche auf die betriebliche Altersversorgung<br />

verändert werden. Bei entsprechend niedrigerem<br />

Entgelt und angepassten Zusatzleistungen (Erfolgsbeteiligung und<br />

Weihnachtsgeld) wird der Wunsch nach Arbeitszeitreduzierung<br />

einen Monat im Voraus gewährt. Die zusätzlichen freien Tage<br />

werden in Absprache mit dem Vorgesetzten festgelegt.<br />

Bei Trumpf in Ditzingen, einem der weltweit größten Anbieter von<br />

Werkzeugmaschinen sollen in einem neuen Arbeitszeitmodell<br />

alle Beschäftigten jeweils für zwei Jahre ihre Arbeitszeit zwischen<br />

15 und 40 Stunden frei wählen können. Zusätzlich können über<br />

verschiedene Möglichkeiten (Ansparen, Umwandlung von Geld in<br />

Zeit) Zeiten für ein Sabbatical angespart werden. Bis vor Kurzem<br />

waren Teilzeitplätze nur gegen den Widerstand der Personalabteilung<br />

zu realisieren. Mit der Kehrtwende in der betrieblichen<br />

Arbeitszeitpolitik versucht der Betrieb die Fachkräfte im<br />

wirtschaftlich starken Südwesten durch familienbewusste Arbeitszeiten<br />

zu binden.<br />

b) Geteilte Schichten (Job-Sharing)<br />

Die ursprüngliche Teilzeit-Variante in festen Schichtsystemen sind<br />

geteilte Schichten. Hier teilen sich zwei Beschäftigte einen Arbeitsplatz<br />

(Job-Sharing) und arbeiten jeweils an verschiedenen Tagen<br />

im jeweiligen Schichtrhythmus. Die unterschiedlichen Wochentage<br />

variieren dabei, gleichen sich aber im Durchschnitt wieder aus. In<br />

diesem Modell sind viele Variationsmöglichkeiten denkbar. Z. B.<br />

könnte ein/e Beschäftigte/r nur die Frühschicht belegen, die/der<br />

andere nur in Spätschicht arbeiten (bzw. ein bestimmtes Verhältnis<br />

von Früh-, Spät- und Nachtschichten vereinbart werden).<br />

Der Nachteil dieses Modells ist die extreme Reduzierung der<br />

Arbeitszeit um die Hälfte. Die Wahl besteht nur zwischen der<br />

normalen Vollzeit oder der halben Arbeitszeit, was mit erheblichen<br />

Einkommenseinbußen verbunden ist und bei entsprechend<br />

geringem Vollzeitentgelt von vielen Beschäftigten kaum zu<br />

verkraften ist.<br />

Die Firma Braun B. Melsungen bewilligt deshalb in ihrer „<strong>Familie</strong>n-<br />

Teilzeit“ eine fi nanzielle Zulage für Beschäftigte mit Kindern<br />

zwischen 15% – 25% (je nach Anzahl der zu betreuenden Kinder).<br />

Die geteilten Schichten können sehr fl exibel eingeteilt werden;<br />

außerdem kann das Modell auch für Beschäftigte mit Pfl egeverantwortung<br />

genutzt werden.<br />

Im LKW-Werk Daimler in Wörth wurde versucht, das Job-Sharing im<br />

Schichtsystem mit Qualifi kationsmaßnahmen zu verbinden. Da sich<br />

die Suche nach geeigneten Teilzeitpartner/innen schwierig gestaltet<br />

hatte, wurden betriebliche Weiterbildungen angeboten, um sich<br />

für beide Arbeitsplätze fi t zu machen. Auf diese Weise konnten<br />

30


familienbewusste Maßnahmen sinnvoll durch kreative Lösungen<br />

(Aufgaben vielfalt, Weiterbildung) ergänzt werden.<br />

c) Sonderschichten<br />

Eine andere Variante der Teilzeitbeschäftigung in relativ festen<br />

Schichten sind Sonderschichten, die entweder zusätzlich zum<br />

herkömmlichen Schichtmodell angeboten werden oder sich auf<br />

eine Schicht (oder ein spezielles Modell) beschränken. Im ersten<br />

Fall werden quer zu den normalen Schichten verkürzte Tagesoder<br />

Sonderschichten für bestimmte Beschäftigtengruppen (mit<br />

Kinderbetreuung oder Pfl ege) angeboten. Dann kann beispielsweise<br />

täglich von 8 bis 14 Uhr gearbeitet werden. So wurde im<br />

Krankenhaus Delmenhorst ein Mitteldienst speziell für Eltern<br />

eingeführt, der die vormals starren Arbeitszeiten stärker fl exibilisiert<br />

hat. Der Frühdienstbeginn um 5:48 Uhr wurde zunächst in einer<br />

Abteilung auf 8:00 Uhr verschoben und ermöglichte es Eltern<br />

ihre Kinder noch vor Arbeitsbeginn in einer Kinderbetreuungseinrichtung<br />

unterzubringen. Mittlerweile wird die Mittelschicht<br />

auch in weiteren Abteilungen praktiziert.<br />

Im zweiten Fall arbeiten Beschäftigte nur in einer bestimmten<br />

Schicht, die entweder verkürzt ist (z. B. Nachtschichten von<br />

sechs Stunden) oder die über zusätzliche Freischichten in Teilzeit<br />

angeboten wird (z. B. Tagschicht von Montag bis Donnerstag).<br />

Problematisch sind besonders die Dauernachtschichten, die von<br />

vielen alleinerziehenden Müttern praktiziert werden, um Kinderbetreuung<br />

und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen. Es liegt<br />

auf der Hand, dass diese Vereinbarkeitslösung mit starken gesundheitlichen<br />

Belastungen erkauft wird.<br />

Schließlich lassen sich über spezielle Schichtfolgen, mit einem<br />

bestimmten Schichtverhältnis (z. B. zwei Drittel Frühschichten, ein<br />

Drittel Spätschichten) Flexibilisierungs- und Teilzeitmöglichkeiten<br />

vergrößern.<br />

d) Verzicht auf Einbringschichten<br />

In vielen Schichtsystemen sind die Arbeitszeiten so organisiert,<br />

dass die Schichtrhythmen nicht mit den vertraglichen oder tariflichen<br />

Arbeitszeiten übereinstimmen. Sind die Schichtzeiten länger<br />

als die vertraglichen Arbeitszeiten, dann müssen Freischichten<br />

genommen werden, die meist über ein Überstundenkonto gebucht<br />

werden. Im umgekehrten Fall müssen sogenannte Einbringschichten<br />

in den bestehenden Plan eingebracht werden, um auf<br />

das erforderliche Vollzeitvolumen zu kommen. Hier wird quasi<br />

auf dem Präsentierteller eine Teilzeitoption angeboten. Wird auf<br />

die Einbringschichten verzichtet, kann die Arbeitszeit zu einem<br />

kleinen Teil reduziert werden und gleichzeitig bleiben die Vorteile<br />

des jeweiligen Schichtmodells (mit den entsprechenden Freizeitblöcken)<br />

erhalten.<br />

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma Rasselstein, die später<br />

ausführlicher vorgestellt wird. Über 90 Prozent der Beschäftigten<br />

arbeitet hier Teilzeit in einem festen Schichtmodell mit 32 Wochenstunden.<br />

Teilzeitbeschäftigte haben den Vorteil, dass die 4-tägigen<br />

Freizeitblöcke nicht durch Bringschichten unterbrochen werden.<br />

Außerdem wurden durch geschickte Planung die Schichten so<br />

gelegt, dass die Schichtzulagen optimal ausgeschöpft wurden und<br />

die fi nanziellen Nachteile der Teilzeit begrenzt werden konnten.<br />

e) Ausgedünnte Schichten<br />

Eine weitere Möglichkeit Teilzeitarbeit in ein festes System zu<br />

integrieren sind ausgedünnte Schichten. Wenn es Produktion oder<br />

Kundenaufkommen zulassen, können unter Umständen bestimmte<br />

Schichten (Nachtschicht oder Spätschicht) mit reduziertem Personal<br />

gefahren werden. So bietet das Schichtsystem die Möglichkeit auch<br />

Teilzeitangebote zu integrieren, wenn sich aus den ausgedünnten<br />

Schichten für einen Teil der Beschäftigten Freischichten ergeben.<br />

In Verbindung mit ausgedünnten Schichten kann auch ein ganz<br />

spezielles Verhältnis der Schichtfolgen vereinbart werden, das<br />

insgesamt die negativen Folgen von Spätschicht oder Nachtschichten<br />

vermeidet.<br />

f) Versetzte Arbeitszeiten<br />

Unproblematisch ist die Schaffung von Teilzeitstellen in Schichtmodellen,<br />

in denen versetzte Arbeitszeiten realisiert werden können.<br />

Bei der Polizei oder in Krankenhäusern, Verkehrseinrichtungen<br />

(Flughafen, Häfen) oder öffentlichen Verwaltungen lassen sich<br />

beliebige Teilzeitmodelle und Varianten kreieren.<br />

Auch die Variationen über ausgedünnte Schichten, Sonderschichten,<br />

überlappende Schichten usw. sind hier wesentlich größer<br />

als in festen Schichtsystemen.<br />

Bei der Flughafen München Gesellschaft (FMG) werden unterschiedlichste<br />

Zeitoptionen über den Tag verteilt angeboten, die<br />

zum einen die Schwankungen im Fluggastaufkommen auffangen,<br />

zum anderen auch den Arbeitszeitwünschen der Beschäftigten<br />

entgegen kommen. Am Vormittag werden teilweise halbstündig<br />

gestaffelte Anfangszeiten organisiert.<br />

Diskussion um Teilzeit<br />

In verschiedenen Betrieben sind wir bei der Recherche zu dieser<br />

Broschüre auf ähnliche Diskussionen zur Teilzeit in Schichtsystemen<br />

gestoßen. Die Einführung von Teilzeit war in vielen Fällen ein<br />

wesentlicher Türöffner für die Bereitschaft zu größerer Flexibilität<br />

und individuellen Zeitoptionen. Darüber hinaus hat die Etablierung<br />

von Teilzeit dazu beigetragen, die Betriebs- oder Dienststellenkultur<br />

zu verändern und auch von der Norm abweichende<br />

Zeit vorstellungen zuzulassen. Oft werden diese Veränderungsprozesse<br />

mit Betriebsthemen verbunden. Im Krankenhaus Delmenhorst<br />

ging es auch um die Stärkung der Beschäftigteninteressen<br />

( ver.di Kampagne „Mein Frei gehört mir“). In einem Chemiebetrieb<br />

wurden mittels eingeschränkter Leiharbeit, die Bedenken<br />

ausgeräumt, dass mit der Teilzeit Qualifi kationen nicht mehr<br />

zur Verfügung stehen. Hier einige wichtige Argumente in der<br />

Diskussion um die Einführung von Teilzeit:<br />

31


• Management und Zeitkultur<br />

Die Unternehmensleitung musste in vielen Fällen davon<br />

überzeugt werden, dass Teilzeit in Schicht Vorteile für den<br />

Betrieb bringt. Ausgangspunkt sind fast immer einzelne Teilzeitanfragen<br />

von gesundheitlich oder familiär belasteten Kollegen/<br />

innen. Vielfach herrscht immer noch das Denken vor, dass Teilzeit<br />

auf gesundheitlich belastete oder ältere Beschäftigte beschränkt<br />

ist. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Teilzeit<br />

ein gutes Argument ist, um junge qualifi zierte <strong>Schichtarbeit</strong>er/<br />

innen anzuwerben, Eltern zu unterstützen und Beschäftigte mit<br />

<strong>Familie</strong>n pfl ichten zu halten bzw. zu gewinnen.<br />

• Teilzeit und Qualifi zierung<br />

In der Teilzeitdiskussion spielt die Frage der Qualifi zierung<br />

eine wichtige Rolle. Mit jedem Teilzeitplatz muss entsprechendes<br />

Know-how ersetzt werden. Wenn eine Umverteilung<br />

der Arbeit innerhalb der Gruppe/des Teams nicht möglich ist,<br />

müssen entsprechende Maßnahmen getroffen werden (Qualifi<br />

zierung, Personalersatz), die die Personalabteilung realisieren<br />

muss.<br />

• Teilzeit und Entgelt<br />

Für Beschäftigte sind vor allem Gehaltseinbußen ein wesentliches<br />

Hindernis für die Teilzeitbeschäftigung. In einem Betrieb<br />

der chemischen Industrie (Glasindustrie) macht sich jeder Tag<br />

Arbeitszeitreduktion mit ca. 100 Euro netto für Beschäftigte im<br />

gewerblichen Bereich bemerkbar und ist bei einem Nettolohn<br />

von 2.400 Euro für viele ein schmerzlicher Verlust. Auch hier<br />

lassen sich durch geschicktes Ausnutzen der Schichtzuschläge die<br />

Ausfälle minimieren (siehe Betriebsbeispiel Rasselstein).<br />

• Teilzeit und Gesundheit<br />

Auch für belastete <strong>Schichtarbeit</strong>ende und Beschäftigte mit langer<br />

Schichtpraxis ist die Teilzeit eine gute Möglichkeit weiterhin<br />

motiviert zu arbeiten und gleichzeitig Anerkennung zu erhalten,<br />

anstatt sich über Krankschreibungen den Belastungsausgleich zu<br />

„organisieren“. Für die Beschäftigten ist es ein besseres Gefühl,<br />

wenn ein größerer Freizeitblock zur Verfügung steht und das<br />

Leben selbstbestimmt organisiert werden kann.<br />

Teilzeit ist aber auch eine Alternative für Schichtbeschäftigte,<br />

die aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht mehr nachts<br />

arbeiten können. Auch wenn eine Umstellung auf die Tagschicht<br />

aus organisatorischen Gründen abgelehnt wird, hilft die<br />

Reduzierung der Arbeitszeit insgesamt.<br />

32


8. Zeitkonten<br />

In <strong>Schichtarbeit</strong> sind Zeitkonten nichts Ungewöhnliches: Durch<br />

Überstunden, Ausgleichszeiten, durch Gleitzeit usw. können<br />

Zeit guthaben aufgebaut und entweder tage-, wochen- oder stundenweise<br />

wieder abgebaut werden. Ein Grunddilemma der Zeitkonten<br />

wird allerdings auch hier übernommen. Durch die Logik der<br />

Kontoführung wird in aller Regel zunächst Zeit „angehäuft“, um dann<br />

die angefüllten Konten wieder abzubauen. Nur selten bauen Beschäftigte<br />

Minusstunden auf, weil vermeintliche Nachteile befürchtet werden<br />

oder das psychologisch ungute Gefühl entsteht, dem Arbeitgeber etwas<br />

zu schulden. Diese Mentalität fördert aber in der Regel Mehrarbeit und<br />

kommt einer betrieblichen Überstundenkultur zugute. Deshalb bleibt<br />

der Einsatz von Zeitkonten auch unter dem Aspekt der Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> ambivalent.<br />

Regelungsfelder bei Arbeitszeitkonten<br />

1. Höchstarbeitszeiten (Tag, Woche, Quartal) festlegen.<br />

Hier werden die Rahmenbedingungen der Arbeitszeit festgelegt.<br />

Gerade in <strong>Schichtarbeit</strong> sind die besonderen Belastungen zu<br />

berücksichtigen und die gesetzlichen Arbeitszeitstandards zu<br />

erfüllen.<br />

2. Kontobewirtschaftung: Grenzen, Aufbau, Abbau, Ausgleichszeiten<br />

von Konten müssen konkret festgelegt und geregelt sein.<br />

Die Kontogrenzen sollten festgelegt werden, da ansonsten ein<br />

ausufernder Berg von Überstunden droht. Auch der Zeitraum für<br />

den Abbau kann geregelt werden und die Möglichkeiten Zeiten<br />

zwischen verschiedenen Konten (Gleitzeitkonto, Langzeitkonto)<br />

hin und her zu schieben eingeschränkt bzw. verhindert werden.<br />

3. Regelungsmodus bei Überschreiten der Höchstgrenzen<br />

bestimmen.<br />

Wenn die Konten überzulaufen drohen, müssen Sanktionsmaßnahmen<br />

greifen, damit ein Missbrauch der Konten verhindert wird.<br />

In der Praxis haben sich sogenannte Ampelregelungen bewährt. Hier<br />

werden grüne, gelbe und rote Zeitzonen definiert und Maßnahmen<br />

beschrieben, die umgesetzt werden, wenn diese Zonen erreicht<br />

werden. Zum Beispiel könnte bei Erreichen der gelben Ampelphase<br />

ein Gespräch mit der/dem Vorgesetzten vorgeschrieben werden.<br />

4. Mindestankündigungsfristen festlegen und regeln.<br />

Um die Planbarkeit der Arbeitszeit zu gewährleisten und die<br />

betriebliche Verfügbarkeit einzuschränken sollten Mindestankündigungsfristen<br />

defi niert werden. Hat der Arbeitgeber ein<br />

Interesse an kurzfristiger Flexibilität kann dies über Boni vergütet<br />

werden (z. B. durch Zeitaufschläge bei kurzfristigen Einsätzen).<br />

5. Zugriffsrechte der Beschäftigten auf ihre Zeitguthaben sichern.<br />

Wenn Beschäftigte in Vorleistung gehen und dem Arbeitgeber<br />

ihre Zeit zur Verfügung stellen, müsste es selbstverständlich<br />

sein, dass die Beschäftigten größtmögliche Autonomie über ihre<br />

Zeitguthaben erhalten.<br />

6. Regelungen zur Personalaufstockung beschließen.<br />

Wenn über längere Zeit mit knappen Personaldecken gearbeitet<br />

wird, sollten Regelungen greifen, um Neueinstellungen vorzunehmen.<br />

Sind die Personalreserven zu knapp kalkuliert, werden<br />

die Vorteile familiensensibler Schichtsysteme zunichte gemacht.<br />

7. Mehrarbeit defi nieren.<br />

Bei kurzfristig angeordneten Schichten, Sonderschichten oder<br />

wenn vereinbarte Kontogrenzen überschritten werden, können<br />

diese wie Mehrarbeit behandelt werden. Mit einer entsprechenden<br />

Regelung fallen diese dann unter die Mitbestimmungspfl<br />

icht, sind nach dem Prinzip der Freiwilligkeit möglich und<br />

müssen – wie bei Überstunden üblich – zusätzlich vergütet<br />

werden.<br />

8. Flexibilitätsbonus als Zeitzuschlag einführen.<br />

Auch andere Formen der Vergütung für arbeitnehmerseitiges<br />

Entgegenkommen sind möglich.<br />

9. Verzinsung von Zeitguthaben vereinbaren.<br />

Werden über einen längeren Zeitraum Zeitkontingente zur<br />

Verfügung gestellt, sollten diese auch zusätzlich honoriert<br />

werden.<br />

10. Konfl iktregelungsmodus festlegen.<br />

In vielen Fällen haben sich Regelungen für Konfl ikte bewährt.<br />

Das kann die Aufteilung von Verfügungsschichten betreffen<br />

(z. B. kann eine bestimmte Anzahl von Schichten vom Arbeitgeber<br />

festgelegt werden und über eine bestimmte Anzahl<br />

autonom verfügt werden) oder es wird ein Ausschuss gebildet,<br />

der in Arbeitszeitkonfl ikten zwischen Beschäftigten und<br />

Vor gesetzten eingesetzt wird (vgl. Klenner; Seifert 1998).<br />

33


9. Individuelle Zeitoptionen<br />

Unabhängig von den einzelnen Schichtmodellen lassen sich überall<br />

individuelle Zeitoptionen und Regelungen in bestehende Systeme<br />

integrieren. Inwieweit diese Möglichkeiten über Verträge wie<br />

Betriebsvereinbarungen oder Betriebsabsprachen festgeschrieben<br />

werden sollen, muss in der Praxis entschieden werden. In funktionierenden<br />

Teams sind informelle Absprachen in der Regel völlig<br />

ausreichend. Kommt es allerdings zu Ungleichbehandlungen in<br />

den verschiedenen Teams/Abteilungen und/oder entscheiden<br />

Vorgesetzte nach unterschiedlichen Kriterien, dann haben sich<br />

festgelegte Vereinbarungen bewährt, auf die sich die Beschäftigten<br />

berufen können. Auch um normale Personalschwankungen<br />

aufgrund von Urlaub und Erkrankung abzudecken, sind individuelle<br />

Zeitlösungen nichts Unbekanntes und dürften den Personalplanern<br />

keine großen Schwierigkeiten bereiten.<br />

Flexibilität in der Arbeitsorganisation<br />

Eine Möglichkeit, die individuelle Flexibilität zu erhöhen sind<br />

teamübergreifende Vertretungen und/oder die Option das Schichtmodell<br />

zu wechseln. In Absprache mit den Kollegen/innen und<br />

Vorgesetzen sind solche Wechsel fast immer ohne Schwierigkeiten<br />

zu realisieren. Bereichs- oder abteilungsübergreifend können solche<br />

Vertretungen allerdings an den unterschiedlichen Anforderungen<br />

scheitern. Einige Betriebe versuchen daher über zusätzliche Qualifi<br />

zierungsmaßnahmen die personelle Flexibilität zu erhöhen. Im<br />

Daimler-LKW-Werk in Wörth können sich zwei Beschäftigte einen<br />

Platz in der Schicht teilen, um ihre Arbeitszeit zu halbieren. In der<br />

Vergangenheit war die Suche nach der/dem geeigneten Teilzeit-<br />

Partner/in kompliziert, weil nicht genügend gleich ausgebildete<br />

Beschäftigte zur Verfügung standen. Jetzt können zwei Teilzeitkandidaten/innen<br />

über eine Qualifi zierungsmaßnahme die Fähigkeiten<br />

der/des jeweils anderen erwerben und sich den Arbeitsplatz<br />

teilen (Job-Sharing). Auch bei Boehringer in Ingelheim und Biberach<br />

wurde ein Qualifi zierungsprojekt für alle Beschäftigten gestartet,<br />

um abteilungsübergreifende Einsätze zu ermöglichen und die<br />

personelle Flexibilität zu erhöhen.<br />

Klassisch werden in Schichtsystemen Springer eingesetzt, um die<br />

Flexibilität aufrecht zu erhalten. Bei Audi z. B. ist der Einsatz von<br />

Springern so geregelt, dass die Springer selbst in einem festen,<br />

vorhersehbaren Schichtplan arbeiten und fl exibel auf die Abteilungen<br />

verteilt werden. Das setzt allerdings ein relativ großes<br />

Spektrum an Fähigkeiten voraus.<br />

Viele Maßnahmen, die für die Teilzeit beschrieben wurden wie<br />

zusätzliche Freischichten, Sonderschichten, ausgedünnte Schichten<br />

oder versetzte Arbeitszeiten (siehe Kapitel 7 Teilzeit ist möglich)<br />

lassen sich natürlich auch ohne Arbeitszeitreduzierungen realisieren<br />

und vergrößern die Optionen in der Arbeitsorganisation.<br />

Darüber hinaus sind gerade für Beschäftigte mit Fürsorgeaufgaben<br />

spezielle Schichtlagen besonders interessant. Zum Beispiel nur<br />

Früh- oder nur Spätschichten. Pfl egende Beschäftigte bevorzugen<br />

vor allem die klassischen Normalarbeitszeiten, da viele Pfl egedienste,<br />

Arzt- oder Behördentermine daran ausgerichtet sind.<br />

Bei der Fraport AG, der Gesellschaft des Flughafens Frankfurt, die<br />

mit 8.000 Schichtbeschäftigten den größten Flughafen Deutschlands<br />

betreibt, wird mit verschiedenen Maßnahmen versucht, einen<br />

individuellen Schichtdienst zu organisieren. Neben vielen Teilzeitvarianten<br />

und Einzeldienstplänen ist eine Tauschbörse für Schichten<br />

eingerichtet, die zukünftig auch elektronisch vom PC aus bedient<br />

werden kann. Darüber hinaus stellt der Arbeitgeber zwei „Joker-<br />

Tage“ pro Jahr zur Verfügung, an denen kurzfristige Freistellungen<br />

möglich sind. In bestimmten Abteilungen gibt es die Möglichkeit<br />

zur sogenannten „Wunschdienstplanung“: Beschäftigte planen<br />

in kleinen Gruppen gemeinsam ihre Wunschdienste für einen<br />

Zeitraum von sechs Wochen. Die Planer korrigieren gegebenenfalls<br />

in Absprache mit den Gruppenmitgliedern, wobei eine 85 – 90 %<br />

Wunscherfüllung erreicht wird. Allerdings stoßen die Wunschdienste<br />

noch schnell an technische Grenzen, so dass die „Wunschdienstplanung“<br />

auf wenige Abteilungen beschränkt bleibt. Auch<br />

im regulären Schichtdienst werden verschiedene Wunsch-Arbeitszeitlagen<br />

berücksichtigt und zwischen Dauer wünschen (bestimmte<br />

Dienstplanmuster) und kurzfristigen Arbeitszeitwünschen unterschieden.<br />

In anderen Abteilungen kommen ebenfalls autonome<br />

Gestaltungskriterien zum Zuge. So werden u. a. unattraktive<br />

Schichten in Eigenregie verteilt. Um die Nachteile gleichmäßig zu<br />

verteilen und gleichzeitig individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen,<br />

werden verschiedene Kriterien zugrunde gelegt.<br />

Eine autonome Schichtgestaltung kann auch betriebsweit<br />

eingeführt werden. Während im Frankfurter Flughafen einzelne<br />

Abteilungen ihre Schichten im Team festlegen, werden z. B. bei<br />

der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) alle Schichten in<br />

kollegialer Absprache festgelegt. Die Schichtgruppensprecher/innen<br />

sind hier für die Festlegung verantwortlich. Sie organisieren den<br />

34


Abstimmungsprozess im Team und sorgen dafür, dass es zu keinen<br />

Ungerechtigkeiten bei der Arbeitszeitfestlegung kommt.<br />

Je größer der betriebliche Flexibilitätsspielraum, desto individueller<br />

können auch die Zeitarrangements vereinbart werden. So kann z. B.<br />

festgelegt werden, nur an bestimmten Tagen zu arbeiten oder in<br />

speziell festgelegten Zeiträumen (von 10:30 bis 18:45), in speziellen<br />

Wechselverhältnissen (z. B. eine Woche vier Tage, eine Woche<br />

sechs Tage usw.) oder mit speziellen Schichtlängen (z. B. könnte<br />

die Nachtschicht kürzer als die Frühschicht sein). Ebenso können<br />

bestimmte feste Auszeiten (z. B. mittags zwischen 12:00 und 14:00)<br />

vereinbart werden, um z. B. Pfl egeaufgaben oder Kinderbetreuung<br />

zu organisieren.<br />

Weiter kann es sehr hilfreich sein, den Wechsel zwischen verschiedenen<br />

Schichtmodellen mit unterschiedlichen Schichtrhythmen<br />

anzubieten. Selbst die Auswahl zwischen nur zwei Schichtmodellen<br />

kann eine große Erleichterung bedeuten und helfen, die Zeitinteressen<br />

von verschiedenen Beschäftigtengruppen zu realisieren. Im<br />

Einzelhandel werden für Vollzeitbeschäftigte häufi g zwei Grundmodelle<br />

angeboten – eine 5-Tage-Woche mit normalen täglichen<br />

Arbeitszeiten und eine 4-Tage-Woche mit langen täglichen Arbeitszeiten<br />

und längeren Freizeitblöcken. Für beide Modelle lassen sich<br />

Vor- und Nachteile aufführen, so dass die Entscheidung von den<br />

Beschäftigten entsprechend ihren eigenen Bedürfnissen getroffen<br />

werden soll.<br />

Kurzfristige Flexibilität<br />

Neben der Flexibilität im normalen Schichtplan kommt es aufgrund<br />

von <strong>Familie</strong>narbeiten immer wieder vor, dass auch kurzfristig und<br />

spontan auf die familiären Anforderungen reagiert werden muss.<br />

Sei es durch Erkrankung des Kindes oder eine plötzliche Verschlimmerung<br />

des Pfl egefalls. In vielen Fällen können solche Notfälle<br />

individuell über Team- oder Abteilungsabsprachen abgefangen<br />

werden. So werden z. B. bei BASF in Ludwigshafen solche Probleme<br />

im Team geregelt. In diesen besonderen Fällen sind die Springer<br />

besonders hilfreich bzw. die team- oder abteilungsübergreifende<br />

Vertretung.<br />

Auch im öffentlichen Dienst sind solche Notfalllösungen mittlerweile<br />

kaum noch ein Thema. Bei der Polizei in Bremen werden<br />

für bestimmte Großeinsätze (Kirchentag, Castor-Transporter)<br />

besondere Kinderbetreuungsmöglichkeiten angeboten, wenn die<br />

Kollegen/innen mehrere Tage im Sondereinsatz sind.<br />

<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> Rahmenbedingungen wie das Vorhandensein<br />

einer Betriebskita mit Randöffnungszeiten, eines Elternkind-<br />

Zimmers oder die Möglichkeit im Notfall auf externe Dienstleister<br />

zurückzugreifen, erleichtern die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

ungemein (siehe Kapitel 6 Rahmenbedingungen der Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong>).<br />

In einigen Betrieben und Verwaltungen werden kurzfristige Einsätze<br />

mit einem Bonus vergütet (z. B. wird die Arbeitszeit mit dem Faktor<br />

1.2 abgerechnet). Damit wird ein Anreiz für betriebsbedingte<br />

Flexibilität gegeben und kurzfristige Flexibilität kann in beide<br />

Richtungen wirken.<br />

Flexible Schichtübergaben für eine bessere Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

Sehr hilfreich ist in festen Schichtsystemen die Einführung von<br />

fl exiblen Schichtübergängen. Unter Berücksichtigung von Produktionsabläufen<br />

bzw. Service- oder Besetzungszeiten sind Gleitzeiten<br />

und fl exible Schichtübergaben in vielen Schichtsystemen gangbar.<br />

Meist werden im Team die Arbeitszeitkorridore abgesprochen, in<br />

denen die Schichtübergaben erfolgen oder wie Anfang und Ende<br />

der Schichten an die familiären Anforderungen angepasst werden<br />

können (wie z. B. bei der Reha-Klinik in Lübben). Bei der Fraport AG<br />

(Frankfurter Flughafen) werden Dienstübergaben mit einer Gleitzeitspanne<br />

zwischen 15 und 60 Minuten praktiziert, die auch in<br />

einigen operativen Bereichen des Flughafens genutzt wird.<br />

Das Beispiel der Heidelberger Druckmaschinen zeigt, dass auch<br />

kleine Zeitspannen bei der Schichtübergabe von Plus/Minus<br />

30 Minuten für alle Seiten sinnvoll sein können. Die Produktionsabläufe<br />

können fl exibler gestaltet werden (Stillstände zum Ende<br />

der Schicht werden reduziert) und die Beschäftigten können in<br />

Absprache mit den Vorgesetzten ihre Spielräume erweitern und<br />

über das Zeitkonto zusätzliche Freischichten herausarbeiten. Vor<br />

der Einführung der Gleitzeit waren die Bedenken und Widerstände<br />

groß und nur wenige konnten sich eine Gleitzeit in der Produktion<br />

vorstellen. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet und es gibt<br />

kaum noch Kritiker der Gleitzeit. Sowohl die Interessen der<br />

Beschäftigten hinsichtlich mehr Flexibilität und zusätzlichen ganzen<br />

Gleitzeittagen als auch die Reduktion von unproduktiven Zeiten<br />

konnten verwirklicht werden. Bei den Heidelberger Druckmaschinen<br />

hat eine Pilotphase geholfen, die Gegenargumente zu entkräften.<br />

Die Vorgesetzten wurden insbesondere durch die wirtschaftlichen<br />

Argumente überzeugt. Damit wurde die Einführung der Gleitzeit<br />

quasi durch die Hintertür ermöglicht.<br />

Die Einführung von Gleitzeit bietet sich deshalb besonders gut<br />

an, um fl exible und individuelle Elemente in die Schichtsysteme<br />

zu integrieren. Die Veränderungen sind in der Regel nicht so<br />

gravierend, so dass die Planer wenig Aufwand haben und auf die<br />

vertraute Praxis aufgebaut werden kann. Die Resultate sind jedoch<br />

meist so überzeugend, dass Widerstände gegen weitere Flexibilisierungsschritte<br />

für die Beschäftigten reduziert werden. Genauso<br />

wichtig ist die Erkenntnis, dass viele Verbesserungen möglich sind,<br />

die vorher als nicht praktikabel oder als Unsinn abgetan wurden<br />

(siehe Kapitel 13 Widerstände bei der Umsetzung).<br />

Mehr Zeitautonomie in der Schichtgestaltung<br />

In kleinen und mittleren Betrieben sind die Modellvarianten der<br />

Schichten aufgrund der geringen Beschäftigtenzahl natürlich<br />

geringer. Dafür bestehen aber größere Chancen, die individuellen<br />

Bedürfnisse gegenüber dem Team und den Vorgesetzten durchzusetzen.<br />

In einem Dentallabor mit 28 Beschäftigten wird z. B.<br />

versucht, betriebliche Interessen (v. a. kurzfristige Aufträge) und die<br />

Flexibilisierungsinteressen der Beschäftigten unter einen Hut zu<br />

35


ingen. Durch Teilzeitangebote, fl exible Arbeitszeiten und Unterstützung<br />

bei der Kinderbetreuung werden z. B. Beschäftigte nach<br />

der Elternzeit im Betrieb gehalten. Die im Team selbst organisierten<br />

Schichtpläne helfen dabei, Lösungen zu fi nden, wenn ein Kind<br />

krank ist.<br />

In größeren Betrieben oder Verwaltungen lassen sich Entscheidungsspielräume<br />

für die Beschäftigten insbesondere in teilautonomen<br />

und autonomen Gruppen- oder Teamstrukturen verwirklichen.<br />

Das Beispiel der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA)<br />

zeigt, dass für die eigenverantwortliche Schichteinteilung der<br />

Beschäftigten bestimmte Voraussetzungen sowohl im Team als<br />

auch bei den Vorgesetzten geschaffen werden müssen. Im Team<br />

müssen die sozialen Kompetenzen so weit gestärkt werden, dass<br />

Ungerechtigkeiten vermieden werden, jede/r in die Lage versetzt<br />

wird die eigenen Interessen zu artikulieren und schließlich die<br />

Gruppe für die Einzelinteressen sensibilisiert wird. Weiter sind<br />

Leitungskompetenzen als Gruppensprecher/in für Entscheidungsprozesse<br />

oder die Moderation von Konfl ikten notwendig, um<br />

die Eigenständigkeit der Teams zu gewährleisten. Auf Seiten der<br />

Vorgesetzten verursacht der Kontrollverlust zunächst Misstrauen<br />

gegenüber den größeren Handlungsspielräumen der Beschäftigten,<br />

das abgebaut werden muss. Oft verändern sich auf den unteren<br />

Vorgesetztenebenen (Meister, Abteilungsleiter) die Tätigkeiten oder<br />

werden sogar ganz überfl üssig. Auch aufwendige Zeiterfassungssysteme<br />

und Formen der Arbeitsorganisation können zur Disposition<br />

gestellt werden, die sich auch auf die Betriebskulturen<br />

auswirken.<br />

Das Beispiel des „Bedarfsorientierten Schichtdienstmanagements“<br />

(BSM) in der Polizei zeigt die Schwierigkeiten, ein starres Schichtdienstsystem<br />

fl ächendeckend umzustellen und individuelle und<br />

autonome Elemente dabei zu integrieren. Hintergrund der Veränderung<br />

waren einerseits die betriebswirtschaftlichen Über legungen,<br />

den Personaleinsatz bedarfs- und belastungsorientierter zu<br />

gestalten, um damit vor allem systematische Mehrarbeit einzusparen.<br />

Andererseits sollten die Arbeitszeitwünsche der Polizisten/<br />

innen mehr Berücksichtigung fi nden und eine bessere Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> ermöglicht werden. Die größere Autonomie<br />

in der Zeitgestaltung konnte dazu genutzt werden, Schichten freier<br />

einzuteilen und Freizeiten und <strong>Familie</strong>nzeiten besser zu planen.<br />

Auch sollten Teilzeitbeschäftigte besser in den Dienstplan integriert<br />

werden. Mit der Vermeidung von Mehrarbeit sollten auch die<br />

Belastungen im Schichtdienst reduziert werden.<br />

In der Praxis wurden nur noch die Rahmenbedingungen der<br />

Dienstplanung festgelegt und die konkrete Ausgestaltung individuell<br />

entschieden. Grundlage der bedarfsorientierten Schichten<br />

sind Jahresarbeitszeitkonten, auf die die geleisteten Dienste<br />

gutgeschrieben werden. Entscheidend für die Umsetzung sind die<br />

Aufl ösung der bestehenden festen Dienstgruppen und die Bildung<br />

von Beschäftigtenpools. Ein Personalverantwortlicher („Koordinator/in“)<br />

hat die Aufgabe zwischen persönlichen Wünschen und<br />

übergeordneten Kriterien (z. B. gerechte Urlaubseinteilung) zu<br />

vermitteln.<br />

Die Beurteilung des BSM durch die Polizisten/innen hat eine heiße<br />

Diskussion um das Pro und Contra des neuen Schichtsystems<br />

ausgelöst. Dabei scheint das BSM die Beschäftigten in Befürworter<br />

und Gegner zu polarisieren. Während in Dienststellen mit geringer<br />

Fluktuation und hoher Verlässlichkeit unter den Kollegen/innen das<br />

Modell breite Zustimmung fi ndet, sieht die Beurteilung in Dienststellen<br />

mit häufi gem Personalwechsel völlig anders aus. In ersteren<br />

führen die langfristigen Absprachen zu einer gerechteren Verteilung<br />

von ungeliebten Schichten und individuelle Freiräume lassen sich auf<br />

Grundlage von kollegialer Kooperation und Rücksichtnahme verwirklichen.<br />

Anders in Dienststellen mit häufi gen Personalwechseln: Die<br />

Aufl ösung von festen Teams, Vorgesetztenanweisungen und wenig<br />

Kollegialität führen zu hoher Unzufriedenheit, kaum Planungssicherheit<br />

und gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die auf Kosten<br />

der Work-Life-Balance gehen (vgl. Mensching u. a. 2004). Hier<br />

wünschen sich die Kollegen/innen mehrheitlich die alten starren<br />

Arbeitszeiten zurück. Insgesamt wird deutlich, wie entscheidend die<br />

Rahmenbedingungen für die Wahl des Arbeitszeitmodells sind.<br />

36


10. Umsetzung familienbewusster Schichtmodelle<br />

Bei der Umsetzung eines familienbewussten Schichtmodells oder<br />

Dienstplans stellen die betrieblichen Besonderheiten eine große<br />

Herausforderung dar. Grundsätzlich kann zwischen Schichtplänen<br />

und Einsatzplänen unterschieden werden. Während der Schichtplan<br />

meist sehr übersichtlich die festen Schichten und Schichtzyklen<br />

fi xiert und die kollektive Schichtgruppe organisiert, bildet der<br />

Einsatzplan den entgegengesetzten Planungspol. Vorteil der<br />

Schichtplanung sind die festen Vorgaben für viele Beschäftigtengruppen,<br />

die eine sehr große Planbarkeit gewährleisten. Nachteil<br />

sind vor allem die fehlende Berücksichtigung individueller Arbeitszeitinteressen<br />

und die geringe Flexibilität z. B. bei familiären<br />

Verpfl ichtungen oder Notfällen.<br />

Bei der Einsatzplanung werden teilweise sehr komplexe,<br />

wechselnde Einsatzzeiten mit exakten Zeitvorgaben für einzelne<br />

Beschäftigte auf Minuten genau festgelegt. Größtmögliche Flexibilität<br />

steht hier einer fehlenden Vorhersehbarkeit der Arbeitszeiten<br />

gegenüber. Darüber hinaus besteht in solchen Systemen die Gefahr,<br />

dass ausschließlich nach ökonomischen Kriterien geplant wird und<br />

sich einzelne Beschäftigte individuell mit ihren Vorgesetzten auseinandersetzen<br />

müssen. Eine Zwischenform bilden Dienstpläne, die<br />

Merkmale beider Organisationsprinzipien verbinden, also kollektive<br />

Zyklen vorgeben, in denen sich passgenaue individuelle Arbeitszeiten<br />

wiederfi nden.<br />

Das Dilemma zwischen kollektiver oder individueller Gestaltung der<br />

Schicht stellt sich in den verschiedenen Systemen also sehr unterschiedlich<br />

dar. Neben den beschriebenen Flexibilisierungsformen<br />

in festen Schichtsystemen bietet vor allem die Auswahl zwischen<br />

ganz unterschiedlichen Schichtmodellen eine Alternative, um den<br />

Arbeitszeitwünschen der verschiedenen Beschäftigtengruppen<br />

besser gerecht zu werden. Je breiter die Palette an Angeboten und<br />

Schichtmodellen ist, desto mehr fi nden sich die Arbeitszeitwünsche<br />

der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen darin wieder. Sofern<br />

diese Möglichkeit umgesetzt werden kann, ist es immer ratsamer<br />

auch für wenige Beschäftigte eine Alternative anzubieten, als die<br />

Belegschaft vor die Entscheidung für ein einziges Modell zu stellen.<br />

Ein einzelnes Modell erreicht vielleicht eine Mehrheit der Beschäftigten,<br />

spaltet aber möglicherweise die Belegschaft oder fi ndet sehr<br />

wenig Akzeptanz bei den Gegnern.<br />

Umgekehrt lassen sich auch in individuellen Einsatzplänen mehr<br />

Planbarkeit und vor allem eigene Zeitinteressen verwirklichen,<br />

wenn bestimmte Grobpläne für einen längeren Zeitraum ausgearbeitet<br />

werden. Meist wird die Planung in Grob- und Feinplanung<br />

unterschieden, wobei der Grobplan bis zu mehreren Monaten im<br />

Voraus die Einsatztage und/oder bestimmte Zeitfenster festlegt.<br />

Die eigentliche Einsatzplanung erfolgt dann wesentlich zeitnaher,<br />

Wochen oder Tage vor dem Dienst oder Einsatz.<br />

Ein komplett neues Schichtsystem für den ganzen Betrieb oder die<br />

Dienststelle einzuführen ist meist ein sehr aufwendiger Prozess,<br />

weil viele Dinge zu berücksichtigen sind und die Umstellungen mit<br />

tiefen Einschnitten im <strong>Familie</strong>nleben der Beschäftigten verbunden<br />

sein können. Erfahrungen zur Umstellung von traditionellen auf<br />

familienbewusste und gesundheitsförderliche Schichtsysteme<br />

zeigen fast immer ein großes Widerstandspotenzial, das erst<br />

im Laufe der Zeit durch positive Erfahrungen in Zustimmung<br />

verwandelt werden kann. Deshalb dauert ein solcher Umstellungsprozess<br />

sehr lange – meist ein Jahr – und bedarf einer guten<br />

Vorbereitung und schrittweisen, transparenten Durchführung, in die<br />

möglichst viele betriebliche Akteure mit eingebunden werden. Wie<br />

ein solcher Umsetzungsprozess organisiert werden kann und was<br />

dabei zu bedenken ist, wird im Weiteren (Kapitel 12 Prozess der<br />

Umsetzung) beschrieben.<br />

Die andere Möglichkeit Veränderungen zu gestalten, besteht<br />

darin, Stück für Stück kleinere Neuerungen einzuführen und<br />

funktionierende Modelle weiterzuentwickeln. Nach dem Prinzip<br />

„auf Bekanntes aufbauen und dieses fortführen und entwickeln“<br />

können immer mehr individuelle Elemente hinzugefügt werden.<br />

Die Einführung von Teilzeit in Schichten lässt sich beispielsweise<br />

durch individuelle Freischichten relativ einfach vornehmen ohne das<br />

ganze Schichtmodell umzukrempeln. Für welche Strategie man sich<br />

entscheidet, hängt von der Dringlichkeit der Probleme, den betrieblichen<br />

Bedingungen und den erwarteten Erfolgsaussichten ab.<br />

In beiden Fällen empfi ehlt es sich, neue Systeme oder Veränderungen<br />

an bestehenden Modellen vorher in kleinen Abteilungen<br />

testen zu lassen. Die Bereitschaft zu Neuerungen wächst, wenn<br />

Pilotprojekte zugelassen werden und die Erfahrungen der Betroffenen<br />

dazu kommuniziert werden. Diese Pilotprojekte sind einerseits<br />

Türöffner für Veränderungen und andererseits können sie<br />

bestimmte Fehlentwicklungen verhindern, die bei einer fl ächendeckenden<br />

Einführung wesentlich negativere Folgen hätten und<br />

womöglich das ganze neue System gefährden würden.<br />

37


Ein weiteres Kriterium der Schichtplangestaltung betrifft die Frage,<br />

wie viel fest geregelt und verbindlich vorher bestimmt werden<br />

muss oder offen gelassen werden kann und in der Praxis zwischen<br />

Beschäftigten und Vorgesetzen bzw. zwischen den Kollegen/innen<br />

informell geklärt werden kann. Festlegungen bedeuten unter<br />

Umständen größere Klarheit, wenig Ungerechtigkeiten und geringeren<br />

Planungsaufwand; aber auch größere Schwierigkeiten, wenn<br />

unvorhergesehene Umstände eintreffen. Informelle Regelungen<br />

haben dagegen den großen Vorteil, dass sie sehr individuelle<br />

und spontane Lösungen auch für kurzfristige Probleme bieten<br />

können. Größter Nachteil hierbei sind die Abhängigkeiten von den<br />

beteiligten Personen: Wenn Vorgesetzte oder Kollegen/innen nicht<br />

mitspielen oder Antipathien sehr groß sind, dann wird es unter<br />

Umständen schwierig die eigenen Zeitinteressen durchzusetzen.<br />

Die Anforderungen an die sozialen Kompetenzen von Vorgesetzten<br />

und Teammitgliedern sind hier höher. Insgesamt lassen sich<br />

keine eindeutigen, allgemeinverbindlichen Antworten geben. Als<br />

generelle Empfehlung gilt:<br />

a) Je mehr der ökonomische Druck im Betrieb auf die Beschäftigten<br />

verlagert wird, desto besser fährt man mit verbindlichen<br />

Regelungen.<br />

b) Bei den Planungen zur Schichtgestaltung sollte man diese<br />

Überlegungen im Hinterkopf haben und sich bei den verschiedenen<br />

Regelungsfeldern überlegen, wann feste Vereinbarungen<br />

sinnvoll sind und wann informelle Absprachen genügen. Bei<br />

Bedarf kann später noch nachgesteuert werden.<br />

Nicht zu vergessen ist die zentrale Frage der Personalbemessung.<br />

Über allen Erwägungen zu einem familienbewussten Schichtmodell<br />

stehen die personellen Kapazitäten. Denn das schönste<br />

Schichtmodell nützt wenig, wenn ständig für Kollegen/innen eingesprungen<br />

werden muss, Freischichten nicht genommen werden<br />

oder die Zeitkonten nicht abgebaut werden können. Seriöse<br />

Schichtplanung kalkuliert immer einen bestimmten Prozentsatz an<br />

personellen Reserven ein und vermeidet eine Situation bei der die<br />

Personaldecke bis zum Zerreißen angespannt ist. Daimler Wörth<br />

z. B. mit 7.000 Schichtbeschäftigten rechnet mit einer Personalreserve<br />

zwischen 22 % und 30 % und Rasselstein (Weißblechproduktion)<br />

mit ca. 1.500 Schichtbeschäftigten hat einen Personalpuffer<br />

zwischen 18 % und 20 %.<br />

In festen Schichtmodellen bedeutet eine größere Anzahl von<br />

Schichtgruppen in aller Regel auch mehr Personal und eine größere<br />

Variationsbreite von Modellen. Je nachdem welche Kriterien bei<br />

der Gestaltung besonders im Vordergrund stehen (gesundheitliche,<br />

soziale oder demografi sche) kann die Neugestaltung der Schicht<br />

auch ein Hebel sein, um Neueinstellungen zu forcieren.<br />

38


11. Umsetzung im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> <strong>Schichtarbeit</strong> kann ebenso gut im Rahmen des<br />

betrieblichen Gesundheitsmanagements oder der betrieblichen<br />

Gesundheitsförderung eingeführt und umgesetzt werden. Eine gute<br />

Unterstützung der Beschäftigten bei der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />

und <strong>Beruf</strong> reduziert nachweislich das Risiko für stressbedingte<br />

gesundheitliche Beeinträchtigungen. Denn Zeit- und Rollenkonfl ikte<br />

sind eine der Hauptkomponenten für dauerhaften Stress.<br />

Einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für berufsbedingte<br />

Risiken zufolge gaben im Jahr 2005 20 % der befragten<br />

Beschäftigten aus den 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen<br />

Union an, dass sie ihre Gesundheit durch arbeitsbedingten Stress<br />

gefährdet sehen. Nach Angaben der Studie waren 2005 bis zu<br />

60 % der versäumten Arbeitstage auf stressbedingte Krankheiten<br />

zurückzuführen. Die volkswirtschaftlichen Kosten von arbeitsbedingtem<br />

Stress wurden 2002 in den EU-25-Staaten auf 20<br />

Milliarden Euro pro Jahr geschätzt (vgl. European Agency for<br />

Safety and Health at Work 2008). Zum „Welttag für Sicherheit<br />

am Arbeitsplatz“ am 28. April 2011 erklärte Annelie Buntenbach,<br />

DGB-Vorstandsmitglied, „Die psychischen Belastungen in der<br />

Arbeitswelt haben alarmierende Ausmaße angenommen und<br />

dürfen von Arbeitgebern und Politik nicht länger tabuisiert<br />

werden.“<br />

In Deutschland lässt sich schon seit mehreren Jahren eine dramatische<br />

Zunahme von psychischen Störungen beobachten. Der<br />

Anteil an Krankheitstagen durch psychische Störungen hat sich<br />

seit Beginn der 1990er Jahre mehr als verdoppelt. Der Gesundheitsreport<br />

des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen 2010<br />

zeigt, dass mittlerweile jeder 12. Ausfalltag mit einer psychischen<br />

Diagnose verbunden ist (BKK 2010). Der DGB stellt 2011 fest,<br />

dass allein die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen<br />

im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent gestiegen sind. Von<br />

1999 bis 2011 beträgt der Anstieg 80 Prozent. Neben den Leiden<br />

der Betroffenen und deren <strong>Familie</strong>n verursachen psychische<br />

Erkrankungen auch hohe Kosten für die Sozialversicherungen<br />

und Betriebe. So wird allein die Gesetzliche Krankenversicherung<br />

mit direkten Kosten in Höhe von rund 17 Milliarden Euro durch<br />

arbeitsbedingte Erkrankungen belastet. EU-weit werden die Kosten<br />

psychosozialer Risiken auf 265 Milliarden Euro jährlich geschätzt<br />

(DGB 2011).<br />

Die Unvereinbarkeit von <strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong> hat neben den psychischen<br />

aber auch physische Beeinträchtigungen zur Folge: Erhöhte<br />

Serumcholesterolwerte, kardiovaskuläre und gastrointestinale<br />

Erkrankungen, Allergien und Migräne bei Frauen und Männern<br />

werden mit Vereinbarkeitsproblemen in Verbindung gebracht. Das<br />

Risiko, keine gute Work-Life-Balance zu fi nden, erhöht sich bei<br />

Arbeit zu unsozialen Zeiten. Laut Angaben des DGB-Index Gute<br />

Arbeit wird die Vereinbarkeitssituation von denjenigen Beschäftigten<br />

am schlechtesten beurteilt, die einen hohen Anteil von<br />

Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit leisten (vgl. DGB 2007).<br />

Was zeichnet eine familiensensible Gesundheitsförderung aus?<br />

Sie berücksichtigt differenzierte Daten und Ergebnisse nach<br />

Beschäftigtengruppen (Geschlecht, Alter, <strong>Familie</strong>n-/Haushaltkonstellation,<br />

Kinder, Pfl ege usw.), um die vielfältigen Einfl ussfaktoren<br />

von Gesundheit zu erfassen. Bei der Festlegung von<br />

Zielen, Methoden und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

werden diese verschiedenen Beschäftigtengruppen<br />

berücksichtigt und entsprechend unterschiedlich angesprochen.<br />

Eine familiensensible Gesundheitsförderung stärkt die individuellen<br />

bzw. gruppenspezifi schen Ressourcen der Beschäftigten und fördert<br />

ihre Gesundheitskompetenzen. Sie ist dann besonders erfolgreich,<br />

wenn Themen der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> ein integraler<br />

Bestandteil von betrieblicher Gesundheitsförderung sind. Um einem<br />

ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz gerecht zu werden,<br />

gilt es, auf allen Ebenen der Gesundheitsförderung (Analyse,<br />

Planung, Durchführung, Kooperation, Evaluation) Vereinbarkeitsfragen<br />

mitzudenken und als Querschnittsthema zu verankern.<br />

Akteure der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

In der betrieblichen Gesundheitsförderung geht es um die<br />

menschengerechte Gestaltung von Arbeit. Die Beschäftigten als<br />

Zielgruppe sollten als Experten ihrer eigenen Arbeitsbedingungen<br />

im Prozess eine aktive Rolle spielen. Der Arbeitgeber trägt die<br />

Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz und er hat<br />

Sorge dafür zu tragen, dass eine kontinuierliche Verbesserung des<br />

Arbeits- und Gesundheitsschutzes gewährleistet wird. Darüber<br />

hinaus sind diejenigen Personen beteiligt, die aufgrund ihrer<br />

Funktion und Fachkenntnis intern zuständig sind.<br />

39


Akteure in der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

– Arbeitgeber bzw. vom Arbeitgeber beauftragte Person<br />

– Betriebsrat/Personalrat<br />

– Schwerbehindertenvertretung nach § 95.4 SGB IX<br />

– Betriebsarzt/-ärztin<br />

– Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

– Sicherheitsbeauftragte/r nach § 22 SGB VII<br />

– Beschäftigte<br />

– andere betriebsinterne Beauftragte<br />

– Suchtbeauftragte/r<br />

– Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte<br />

– Männerbeauftragter<br />

– Mobbing- oder Konfl iktbeauftragte/r<br />

– staatliche Arbeitsschutzbehörden<br />

– Krankenkassen<br />

– <strong>Beruf</strong>sgenossenschaften<br />

– Unfallversicherungsträger<br />

– Gewerkschaften<br />

– weitere externe Berater/innen<br />

⎫<br />

⎬<br />

⎭<br />

⎫<br />

⎬<br />

⎭<br />

Mitglieder im Arbeitsschutzausschuss<br />

(§ 11 ASiG)<br />

Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe<br />

bzw. in einem Gesundheitszirkel<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Quelle: DGB, 2008<br />

Handlungsfelder<br />

Ein ganzheitliches Verständnis von Gesundheit zielt sowohl auf die<br />

arbeitende Person wie auf das betriebliche Umfeld. Schon bevor<br />

Krankheiten entstehen und ausbrechen können, ist es notwendig,<br />

Gesundheitsrisiken zu erkennen und möglichst zu beseitigen.<br />

Damit Gesundheit erhalten werden kann, müssen Fähigkeiten und<br />

Bedingungen, die das Wohlbefi nden unterstützen, erkannt und<br />

gefördert werden. Prävention und Gesundheitsförderung im Betrieb<br />

haben einen gemeinsamen Leitgedanken: Eine Gesundheitsbeeinträchtigung,<br />

die nicht eintritt, vermindert nicht nur menschliches<br />

Leid, sondern ist auch einzel- und gesamtwirtschaftlich von<br />

Nutzen (vgl. Huber u. a. 2006a).<br />

Bei der Umsetzung der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

wird meist unterschieden zwischen Maßnahmen der Verhaltensprävention<br />

und Maßnahmen der Verhältnisprävention. Das Ziel<br />

betrieblicher Gesundheitsförderung sollte darin bestehen, durch<br />

einen ganzheitlichen Ansatz die Gesundheitspotenziale der<br />

Beschäftigten zu fördern. Dies kann zum einen durch Verhältnisprävention<br />

erreicht werden, also durch die Gestaltung gesundheitsförderlicher<br />

Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Ziel<br />

der Herstellung „gesunder Verhältnisse“ ist es, Gesundheitsrisiken<br />

in den Umwelt- und Lebensbedingungen von vornherein zu<br />

vermeiden bzw. zu kontrollieren, zu reduzieren oder zu beseitigen.<br />

Parallel und verknüpft mit dem Bemühen, Gesundheit als Organisationsprinzip<br />

im Betrieb zu fördern, sollte betriebliche Gesundheitsförderung<br />

zum anderen auf eine Verhaltensprävention zielen. Diese<br />

setzt am persönlichen Verhalten des Menschen an, konzentriert sich<br />

auf die Stärkung der persönlichen Handlungsfähigkeit der Beschäftigten<br />

und will zu gesundheitsgerechtem Verhalten motivieren und<br />

befähigen. Durch die Kombination dieser beiden Ansätze können<br />

sowohl Rahmenbedingungen für die Förderung der Gesundheit<br />

gestaltet werden, als auch Beschäftigte in die Lage versetzt<br />

werden, sich gesundheitsförderlich zu verhalten.<br />

40


Beispiele für Verhaltenspräventionsmaßnahmen zu Vereinbarkeitsfragen in der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

Fitnessprogramme als Ausgleich zu Stress und Belastung<br />

Angebote zu Massage und Bewegung<br />

Gesundheit<br />

Anti-Stress-Training wie Yoga oder autogenes Training<br />

Ernährungskurse<br />

Gesundheitschecks<br />

Selbstmanagement<br />

Qualifi kation<br />

Zeitmanagement als Schutz vor Selbstüberforderung<br />

Einhalten/Erlernen von Kurzpausen und Verschnaufpausen<br />

Ausbildung zum/zur Gesundheitsauditor/in<br />

Pfl egekurse zur Betreuung von Angehörigen<br />

Einbeziehung der <strong>Familie</strong>nangehörigen (z. B. bei Schulungen), um Nachhaltigkeit von Maßnahmen<br />

zu stärken und zur Sensibilisierung für Vereinbarkeitsthemen<br />

Sensibilisierung<br />

Führungsseminare<br />

Gender-Mainstreaming<br />

Väterseminare, die traditionelle Rollenbilder in Frage stellen<br />

Aufgrund der besonderen Belastungen von Beschäftigten in<br />

Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> sind spezifi sche Maßnahmen der<br />

Verhaltens prävention empfehlenswert. Hervorzuheben sind<br />

Angebote zur Stressvermeidung (z. B. Yoga, autogenes Training,<br />

Stress management), um mögliche Schlafdefi zite auszugleichen.<br />

Ernährungsberatung sowie spezielle Essensangebote der Kantinen<br />

für Schichtbeschäftigte wie z. B. warmes Essen und leichte Kost<br />

sind gerade in der Nachtschicht eine wichtige Maßnahme, um<br />

Magen-Darm-Probleme zu verringern. Es wird empfohlen, bei<br />

Wechselschicht den individuellen Rhythmus des Essens (Frühstück,<br />

Mittagessen, Abendessen) im gleichen Zeitfenster über die<br />

Schichten beizubehalten. Weiter helfen Bewegungsangebote den<br />

individuellen Gesundheitszustand zu verbessern.<br />

Ein gutes Beispiel für die Verknüpfung von Verhältnis prävention<br />

und Verhaltensprävention bietet die Firma Rasselstein in<br />

Andernach. Neben der Einführung eines neuen Schichtmodells,<br />

das nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen erstellt wurde,<br />

einer Kooperation mit der städtischen Kita und weiteren Serviceangeboten<br />

werden die familienfreundlichen Maßnahmen mit der<br />

betrieblichen Gesundheitsförderung verknüpft. Ziel ist es, das<br />

Wohlbefi nden der Beschäftigten zu verbessern, Belastungen am<br />

Arbeitsplatz zu reduzieren sowie individuelle, soziale und organisatorische<br />

Ressourcen aufzubauen. Dazu wurden die Führungskräfte<br />

qualifi ziert und die Betriebsräte zu Gesundheitsauditoren<br />

ausgebildet. Seit 2008 gibt es für die Beschäftigten ein eigenes<br />

Trainingscenter, in dem sie kostenlos unter fachlicher Betreuung<br />

trainieren können. Neben dem Fitnesstraining können auch akute<br />

und chronische Muskel- und Skeletterkrankungen mit Krankengymnastik<br />

und gerätegestützter Therapie behandelt werden.<br />

Eine effektive betriebliche Gesundheitsförderung sieht in jedem<br />

Betrieb anders aus, da sinnvolle Maßnahmen immer davon<br />

abhängen, in welcher Ausgangslage sich ein Unternehmen<br />

befi ndet, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht und<br />

welche Resultate für die Beschäftigten erreicht werden sollen.<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> und betriebliche Gesundheitsförderung<br />

sind Querschnittsthemen, die auf unterschiedlichsten<br />

Ebenen im Betrieb wirken und sehr komplex werden können, wenn<br />

sie gemeinsam angegangen werden. Deshalb sind eine fundierte<br />

Bestandsaufnahme sowie eine gute Planung und Steuerung<br />

unerlässlich. Soll das Thema betriebliche Gesundheitsförderung<br />

erstmals angeschoben werden, ist es unter Umständen sinnvoll, mit<br />

einem kleinen überschaubaren Thema zu starten oder ein Projekt<br />

zu initiieren, um den Prozess von kompetenten externen Experten<br />

begleiten zu lassen.<br />

41


Beispiele für Verhältnispräventionsmaßnahmen zu Vereinbarkeitsfragen in der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

familienfreundliche Arbeitszeiten<br />

Möglichkeiten zu Teilzeit und Freistellungen<br />

Wechsel von Vollzeit nach Teilzeit und umgekehrt<br />

Arbeitszeit<br />

familienfreundliche Schicht- und Dienstplangestaltung<br />

Arbeitszeitkonten, die <strong>Familie</strong>nbedürfnisse berücksichtigen<br />

Vermeidung von Wochenendarbeit<br />

Planbarkeit der Arbeitszeiten und keine Arbeit auf Abruf<br />

Lebenslauforientierte Arbeitszeiten<br />

Telearbeit<br />

Arbeitsorganisation<br />

Kontakthalteprogramme während der Elternzeit oder bei Freistellungen<br />

Eltern-Kind-Zimmer<br />

Kinderbetreuung<br />

Betriebskindergarten, Kooperationen verschiedener Betriebe, Unterstützung von Elterninitiativen,<br />

Belegplätze in Einrichtungen, usw.<br />

Ferienprogramm für Kinder<br />

Notfallkoffer für Kinderbetreuung<br />

Organisation von Unterstützung<br />

Service<br />

Notfallkoffer zur Pfl ege von Angehörigen<br />

Informationen zu Tagesbetreuung, Begleitung von Behördengängen, Einkaufsservice, Kurzzeit- und<br />

Verhinderungspfl ege, usw.<br />

Hausaufgabenhilfe<br />

Geld<br />

fi nanzielle Zuschüsse für Eltern und pfl egende Beschäftigte<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> als Unternehmensziel<br />

Betriebsklima<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> als strategische Managementaufgabe<br />

Führungsseminare<br />

Sensibilisierung in Veranstaltungen, Seminaren, Betriebsversammlungen, Betriebsöffentlichkeit<br />

42


12. Prozess der Umsetzung<br />

Im Folgenden soll ein gemeinsam verabredeter Umstellungsprozess<br />

zwischen Interessenvertretung und Arbeitgeber beschrieben<br />

werden. Selbstverständlich lassen sich Interessen auch gegen den<br />

Widerstand des Arbeitgebers durchsetzen oder kann es Phasen im<br />

Verständigungsprozess geben, die konfl iktträchtig sind und den<br />

Einsatz von Rechtsmitteln erforderlich machen. Dennoch sind die<br />

Erfolgsaussichten für die Einführung eines neuen Schichtmodells<br />

größer, wenn gemeinsame Ziele, Methoden und Schritte vereinbart<br />

werden können.<br />

Einführung eines neuen Schichtsystems<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

1. Bestandsaufnahme<br />

6. Evaluation und<br />

Entscheidung<br />

6 Phasen der<br />

Einführung eines<br />

neuen<br />

Schichtsystems<br />

2. Planung des<br />

Vorgehens<br />

5. Testphase<br />

4. Modellentwicklung<br />

3. Informationsbeschaffung<br />

Quelle: eigenes Modell, 2011<br />

43


1. Phase Bestandsaufnahme<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> – eine kritische Bestandsaufnahme<br />

Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

gestalten<br />

Samstag, Sonntag, Feiertag<br />

Soziale Dimension<br />

Vereinbarkeit von<br />

<strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong><br />

Zeitsouveränität<br />

Verfügung<br />

über die Zeit<br />

Planbarkeit<br />

„Feierabend“<br />

Arbeitszeitdauer<br />

Gesund in Rente<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> –<br />

eine kritische<br />

Bestandsaufnahme<br />

individuell<br />

gesellschaftlich<br />

Beschäftigungspolitische<br />

Dimension<br />

Nachtarbeit<br />

Gesundheit<br />

Erreichung des<br />

Rentenalters<br />

Finanzielle<br />

Dimension<br />

einzelbetrieblich<br />

Ausgestaltung<br />

der <strong>Schichtarbeit</strong><br />

Zuschläge durch Tarifverträge<br />

Steuerbefreiung nach EStG<br />

Quelle: Fergen u. a., 2006<br />

Zu Beginn der Überprüfung oder der Einführung eines neuen<br />

Schichtmodells sollte eine kritische Bestandsaufnahme der<br />

aktuellen Arbeitszeiten stehen. Die obere Abbildung aus der IG<br />

Metall-Broschüre zur <strong>Schichtarbeit</strong> zeigt die verschiedenen Dimensionen,<br />

die sich auf die <strong>Schichtarbeit</strong> auswirken. In einem Dialog<br />

mit den betrieblichen Akteuren (Arbeitgeber, Interessenvertretung,<br />

betroffene Beschäftigte, Betriebsärzte, Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

usw.) sollen die unterschiedlichen Interessen, Sichtweisen<br />

und Prioritäten von Beschäftigtengruppen und Management<br />

erörtert werden. Eventuell können auch in diesem frühen Stadium<br />

externe Berater/innen zur Unterstützung hinzugezogen werden.<br />

Hier geht es darum, sich Klarheit darüber zu verschaffen, welche<br />

Beweggründe für eine Veränderung ausschlaggebend sind und<br />

welche Auswirkungen eine mögliche Arbeitszeitumstellung nach<br />

sich ziehen würde. Am Ende der ersten Phase stehen einerseits<br />

die grundsätzliche Entscheidung, ob das Ziel durch eine<br />

Arbeitszeit umstellung erreicht werden kann (oder Änderungen<br />

am bestehenden System ausreichend sind) und andererseits eine<br />

gemeinsame Verständigung über die weiteren Schritte (Zeitplanung,<br />

Methoden, Zuständigkeiten).<br />

2. Phase Planung des beteiligungsorientierten<br />

Umsetzungsprozesses<br />

In Phase zwei steht die konkrete Umsetzung und Organisation der<br />

Umstellung im Vordergrund. In dieser Phase oder einer späteren ist es<br />

ratsam, den Prozess über eine Arbeits- oder Projektgruppe zu steuern,<br />

an der die wichtigsten betrieblichen Experten/innen und Entscheidungsträger<br />

beteiligt sind. Auch die Mitwirkung von betroffenen<br />

Beschäftigten aus verschiedenen Schichtmodellen in diesen Arbeitsgruppen<br />

hat sich bewährt, um möglichst alle Interessen zu berücksichtigen<br />

und die Perspektiven zu erweitern. Darüber hinaus sollten<br />

Arbeitsweise und Zuständigkeiten dieser Steuerungs- oder Planungsgruppe<br />

geklärt werden. Wer gehört weiter zur Steuerungsgruppe?<br />

Wie oft trifft sie sich? In welcher Form greift sie in den Prozess ein?<br />

Weiter sollten die inhaltlichen Planungen konkretisiert werden:<br />

Auf welche Beschäftigtengruppen sollen die Maßnahmen zielen?<br />

Welche Prioritäten werden festgelegt? Was soll auf jeden Fall<br />

verändert werden, was könnte zusätzlich verändert werden? In<br />

welchen Bereichen oder Abteilungen sollen Veränderungen zuerst<br />

eingeführt werden? Diese Planungen können über eine Zielvereinbarung<br />

und einen Zeitrahmen (Test-, Umsetzungs-, Evaluationsphase)<br />

festgeschrieben werden.<br />

Spätestens an dieser Stelle sollten auch die Beschäftigten über<br />

die verschiedenen Betriebsmedien informiert werden bzw. im<br />

44


Betriebsrats- oder Personalratsgremium entschieden werden, in<br />

welcher Form die Belegschaft am Prozess beteiligt werden kann.<br />

3. Phase Informationsbeschaffung<br />

Nach dieser Klärung grundsätzlicher Ziele und Vorgehensweisen<br />

beginnt die Feinarbeit. Erstens soll ein möglichst umfassendes<br />

Informationspaket zusammengestellt werden, über das, was<br />

überhaupt möglich ist und realistisch erscheint. Zweitens verhilft<br />

der Blick über den Tellerrand hinaus mit Beispielen guter Praxis<br />

zu neuen Ideen und Anregungen. Und drittens sind umfassende<br />

Informationen über die eigene Belegschaft und die verschiedenen<br />

Beschäftigtengruppen notwendig, um die Arbeitszeitmodelle an<br />

deren Bedürfnisse und Interessen anzupassen.<br />

Wichtige Punkte sind unter anderem:<br />

• Gesetzliche Rahmenbedingungen (Arbeitszeitgesetz, Tarifverträge)<br />

(siehe rechtlicher Überblick in Kapitel 14);<br />

• aktuelle arbeitswissenschaftliche Empfehlungen in Bezug auf<br />

gesundheitliche und sozialverträgliche Schichtgestaltung;<br />

• Praxisbeispiele guter Arbeit;<br />

• Austausch und Information über Literatur, Seminare, Gewerkschaften,<br />

Verbände, Institutionen und andere Beratung.<br />

Ein detaillierter Soll-Ist-Vergleich hat die Aufgabe, die Anforderungen<br />

von Seiten des Betriebes und von Beschäftigtenseite<br />

genauer zu erfassen.<br />

Anforderungsbereiche des Betriebes/der Verwaltung können<br />

folgende sein:<br />

• Tätigkeiten, Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen;<br />

• Personalstrukturen (Alter und Qualifi kation);<br />

• externe Rahmenbedingungen und Infrastruktur;<br />

• besondere Anforderungen an das Unternehmen/die Verwaltung<br />

(z. B. saisonale Schwankungen, Bereitschaftsdienste);<br />

• zukünftige Planungen (Produkterweiterungen, Standortausdehnung).<br />

Betriebliche Orientierungs- und Analyseinstrumente<br />

Um „gute Arbeit“ im Betrieb/in der Dienststelle zu realisieren,<br />

benötigt man Informationen von den Beschäftigten. Dazu gehören<br />

einerseits die Leistungs- und Qualifi kationsprofi le der Beschäftigten,<br />

als auch die verschiedenen Tätigkeitsanforderungen der<br />

jeweiligen Stelle. Auf dieser Grundlage lassen sich Maßnahmen<br />

zur Arbeitsgestaltung bzw. zur Qualifi kation auch für spezielle<br />

Beschäftigtengruppen (Eltern, pfl egende Beschäftigte, ältere oder<br />

behinderte Beschäftigte) ableiten. Hier eine Übersicht über Orientierungs-<br />

und Analyseinstrumente:<br />

a) Altersstrukturanalyse<br />

Sie enthält eine:<br />

• Darstellung der betrieblichen Altersstruktur nach Abteilung,<br />

Geschlecht, Qualifi kation und weiteren Merkmalen;<br />

• Durchführung einer alternskritischen Gefährdungsbeurteilung<br />

(Aufl istung der altersgerechten Arbeitsplätze und der Arbeitsplätze,<br />

die kurz- und mittelfristig in altersgerechte umgewandelt<br />

werden können);<br />

• Zukunftsszenario (Altersstruktur in fünf und/oder zehn Jahren)<br />

sowie Berücksichtigung der Altersstruktur in der Personalplanung.<br />

b) Belegschaftsbefragungen<br />

Im Rahmen von betrieblicher Gesundheitsförderung sind anonym<br />

durchgeführte Belegschaftsbefragungen ein gutes Instrument um:<br />

• zu erfahren, wie die Beschäftigten ihre Arbeitsbedingungen<br />

wahrnehmen;<br />

• gesundheitliche „Brennpunkte“ festzustellen;<br />

• individuelle und durch den Betrieb/die Dienststelle bedingte<br />

Gesundheitsrisiken festzustellen;<br />

• für das Thema Gesundheit und Vereinbarkeit zu sensibilisieren<br />

und ins Gespräch zu kommen.<br />

c) Gefährdungsbeurteilungen<br />

Durch das Arbeitsschutzgesetz sind Betriebe und Dienststellen<br />

verpfl ichtet, ihren Arbeits- und Gesundheitsschutz permanent zu<br />

verbessern. Dabei gilt es, arbeitsbedingte Erkrankungen präventiv,<br />

also vorausschauend zu verhindern. Gefährdungsbeurteilungen<br />

bilden hierbei ein wichtiges und umfangreiches Analyse instrument,<br />

um ganzheitliche und demografi esensible Maßnahmen zu<br />

entwickeln. In Betrieben und Verwaltungen mit mehr als zehn<br />

Beschäftigten ist die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilungen<br />

gesetzlich vorgeschrieben. Darüber hinaus können weitere Informationsquellen<br />

für die Bestandsaufnahme von Gesundheitsrisiken<br />

genutzt werden:<br />

• Gesundheitsbericht,<br />

• Arbeitsplatzbeschreibungen,<br />

• Belastungsanalysen,<br />

• Arbeitsstättenbegehungen,<br />

• arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen und Informationen<br />

der Betriebsärzte,<br />

• Fehlzeiten- und Krankenstandsanalysen,<br />

• Betrieblicher Gesundheitsbericht der Krankenkassen,<br />

• Unfall- und <strong>Beruf</strong>skrankenanzeigen,<br />

• Sicherheitstechnische Informationen der Sicherheitsfachkräfte,<br />

• Vorsorgeuntersuchungen,<br />

• Jährliche Berichte der Krankenkassen über Krankenstandsentwicklung,<br />

• Daten der Fachkraft für Arbeitssicherheit über Arbeitsunfälle<br />

und arbeitsplatzbezogene Gefährdungen,<br />

• anonymisierte Ergebnisse arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen,<br />

• Arbeits- und Arbeitsplatzanalysen, Arbeitssituationsanalysen.<br />

d) Arbeitsbewältigungsindex (ABI, Work-Ability-Index)<br />

Der Arbeitsbewältigungsindex (ABI) ist ein Messinstrument, das<br />

mittels eines Fragebogens die individuelle Arbeitsfähigkeit/-<br />

belastung der Beschäftigten ermittelt. Erfragt werden Krankheiten<br />

und das individuelle gesundheitliche Wohlbefi nden. Anschließend<br />

wird ein individueller ABI-Wert ermittelt, der Aufschluss über<br />

mögliche Veränderungen der Arbeitsfähigkeit geben soll. Der ABI<br />

45


sollte in Verbindung mit Gefährdungsbeurteilungen und Mitarbeiterbefragungen<br />

eingesetzt werden. Auch in hoch belasteten<br />

Arbeits- und Tätigkeitsbereichen kann es sinnvoll sein, den ABI<br />

anzuwenden, um den individuellen Handlungsbedarf zu ermitteln.<br />

Wegen der sensiblen und zu schützenden Daten sollte dieses<br />

Messinstrument nur vom Betriebsarzt oder den Gesundheitsexperten/innen<br />

der Krankenkassen angewendet werden.<br />

4. Phase Modellentwicklung<br />

Erst nach dieser Klärungsphase sollten die neuen Arbeitszeitmodelle<br />

entwickelt werden, die vor allem das Ziel haben, eine<br />

begrenzte Zahl von Modellen für eine Testphase zu entwerfen.<br />

Die Projekt- oder Steuerungsgruppe kann gemeinsam oder<br />

getrennt mehrere mögliche Modellalternativen zur Diskussion<br />

stellen. Dabei sollte nochmals überprüft werden, ob die bisher<br />

vereinbarten Kriterien eingehalten werden. Auch mögliche Konfl ikte<br />

durch Arbeitsabläufe zwischen den Abteilungen sowie Konfl ikte, die<br />

durch betriebsinterne Anforderungen oder Belegschaftsinteressen<br />

ausgelöst werden könnten, sollten mitbedacht werden. In dieser<br />

Phase ist ebenfalls eine breite Unterstützung durch die betrieblichen<br />

Akteure und auch durch Externe empfehlenswert.<br />

Die Beschränkung auf wenige Testmodelle hat den Vorteil, dass<br />

die Vor- und Nachteile des jeweiligen Modells sich stärker herauskristallisieren<br />

und das Stimmungsbild für oder gegen ein Modell<br />

deutlicher hervortreten lassen. Dies erleichtert die Entscheidung in<br />

der Belegschaft für das endgültige Modell. Wobei dann wiederum<br />

verschiedene oder leicht differenzierte Modelle angeboten werden<br />

können.<br />

Ist der Prozess der Modellfi ndung abgeschlossen, sollten die<br />

Modelle und die anschließende Testphase in der Belegschaft<br />

vorgestellt und diskutiert werden. Eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung<br />

könnte den weiteren Weg schriftlich festhalten. Wichtiger<br />

ist allerdings eine gute Partizipation der Beschäftigten, auch durch<br />

die Kommunikation des Umstellungsprozesses, die die spätere<br />

Akzeptanz des Modells wesentlich beeinfl ussen wird. Je stärker<br />

die Betriebsöffentlichkeit die Umstellung mitverfolgt und darüber<br />

diskutiert, desto nachhaltiger können die positiven Effekte des<br />

neuen Modells genutzt werden.<br />

5. Phase Test<br />

Die Testphase dient vor allem der Überprüfung der Alltagstauglichkeit.<br />

Dabei müssen sich die Modelle einerseits in den Arbeitsprozessen<br />

bewähren und andererseits den Anforderungen der<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> genügen. Da die Umstellungen<br />

im sozialen Leben erst allmählich gelingen und gesundheitliche<br />

Auswirkungen meist nach mehreren Monaten feststellbar sind, ist<br />

ein langfristiger Zeitraum für die Testphase einzuplanen. Um eine<br />

realistische Beurteilung der neuen Schichtsysteme zu erhalten ist<br />

eine Mindestdauer von einem halben Jahr unbedingt erforderlich,<br />

noch besser sind einjährige Testphasen.<br />

Während der Testphase sind verschiedene prozessbegleitende<br />

Aktivitäten möglich. Gespräche in der Projekt- oder Steuerungsgruppe,<br />

Erfahrungsaustausch der Betroffenen sowie Rück meldungsund<br />

Problemanalysen können hier erfolgen. Weiter können bereits<br />

mögliche Auswirkungen auf Arbeitsabläufe und die Organisationsstrukturen<br />

in Betrieb/Verwaltung beobachtet und festgehalten<br />

werden. Fragen nach Anpassungen in der Organisation und<br />

möglichem Qualifi kationsbedarf der Beschäftigten oder Vorgesetzten<br />

können jetzt bereits aufbereitet werden.<br />

Auch die Erarbeitung weiterer Modellvarianten kann vorbereitet<br />

werden. Wichtig ist aber, dass im Testlauf keine Veränderungen am<br />

Modell vorgenommen werden. Umstellungen würden zum einen<br />

die Ergebnisse verfälschen und die Bewertung schwieriger machen<br />

und zum anderen möglicherweise zu großen Unsicherheiten in der<br />

Belegschaft führen. Deshalb sollte die Testphase vor allem dafür<br />

genutzt werden, Ergebnisse und Einschätzungen zu sammeln und<br />

anschließend auszuwerten.<br />

6. Phase Evaluation und Entscheidung<br />

Die letzte Umsetzungsphase sollte zu einer ausführlichen<br />

Bewertung der Testergebnisse genutzt werden. Hier fl ießen die<br />

Rückmeldungen zu den Auswirkungen, Problemen und Erfahrungen<br />

an die Arbeitsgruppe ein. Die Einbeziehung der Belegschaft<br />

kann über verschiedene Medien erfolgen: Workshops, Veranstaltungen<br />

und eine Fragebogenaktion kann die normalen Aktivitäten<br />

(Betriebs-/Dienstversammlungen, Abteilungsversammlungen,<br />

Intranet usw.) ergänzen. Bewährt hat sich auch eine Vorher- und<br />

Nachher-Befragung der Beschäftigten in der Pilotgruppe. Ziel ist es,<br />

die Entscheidung über das zukünftige Arbeitszeitmodell endgültig<br />

zu klären: Haben sich die Erwartungen im Testpilot erfüllt? Sollen<br />

Veränderungen am getesteten Modell vorgenommen werden (mit<br />

erneutem Testlauf)? Oder soll das alte Modell beibehalten werden?<br />

Danach erfolgen die Information der Betriebsöffentlichkeit sowie<br />

die endgültige Umsetzung des neuen Schichtmodells.<br />

46


13. Widerstände bei der Umsetzung<br />

Vorbehalte und Widerstände gegen die Einführung neuer Schichtpläne<br />

kommen einerseits von den Beschäftigten selbst, andererseits<br />

aus Teilen des Managements z. B. von Schichtführern/innen<br />

oder Meistern/innen. Die Bedenken der Belegschaft gründen sich<br />

im Wesentlichen darauf, dass die komplizierten Anpassungen<br />

an die aktuellen Schichtrhythmen in der Vergangenheit große<br />

Anstrengungen gekostet haben und im Verlauf der Jahre ein<br />

Zeitarrange ment zustande gekommen ist, mit dem die Schichtbeschäftigten<br />

einigermaßen gut leben können (siehe Kapitel 3<br />

Soziale Aspekte). Dieses Arrangement wieder in Frage zu stellen,<br />

bedeutet auch, den schwierigen Prozess der Neugestaltung<br />

wiederum zu beginnen. Um die Beschäftigten von den Verbesserungen<br />

eines neuen Schichtmodells zu überzeugen, sind deshalb<br />

umfangreiche und intensive Gespräche und Informationsveranstaltungen<br />

notwendig. Durch gute Beispiele und Argumentationen<br />

lässt sich Überzeugungsarbeit leisten. Dennoch wird man nicht<br />

alle Bedenken zerstreuen können, da entweder unterschiedliche<br />

Interessen bestehen bleiben oder die eigenen positiven Praxiserfahrungen<br />

erst noch gemacht werden müssen.<br />

Von Seiten der Interessenvertretung wird häufi g argumentiert, dass<br />

ein neues Arbeitszeitmodell eine neue Betriebsvereinbarung erforderlich<br />

macht, die aber aufgrund von veränderten Machtkonstellationen<br />

in der aktuellen Situation nur mit größeren Abstrichen zu<br />

realisieren sei. Dies spräche eher für eine Strategie der behutsamen<br />

Veränderung bestehender Arbeitsmodelle.<br />

Die Gegenargumente der Vorgesetzten beziehen sich zum einen auf<br />

organisatorische und betriebswirtschaftliche Bedenken und zum<br />

anderen auf das fehlende Vertrauen in die Belegschaften.<br />

Um den organisatorischen Befürchtungen zu begegnen, können<br />

auch hier positive Beispiele sinnvoll sein. Gleichwohl ist die<br />

Angst vor Veränderungen nicht völlig aus der Luft gegriffen.<br />

Neue Schichtmodelle sind oft mit neuen Anforderungen an die<br />

Organisation verbunden, die sich aber auch positiv auswirken<br />

können. Veränderungen in der Arbeitsorganisation bringen die<br />

Schichtplaner in Schwung und wecken ein neues Flexibilitätspotenzial.<br />

Die Schichtbesetzung wird dynamisiert wenn z. B. Teilzeit<br />

in Schichten eingeführt wird oder eine laufende Steuerung der<br />

Personaleinsatzplanung erforderlich wird. Neue Wirtschaftlichkeitsreserven<br />

können über neue Steuerungsformen (z. B. Abwesenheitssteuerung)<br />

erschlossen werden, die in anderen Bereichen schon<br />

länger etabliert sind. Gleichzeitig kann die höhere Flexibilität auch<br />

den Unternehmensinteressen zugute kommen. Das Beispiel der<br />

Heidelberger Druckmaschinen zeigt, wie beide Seiten von fl exiblen<br />

Arbeitszeiten profi tieren können (siehe Kapitel 9 Individuelle<br />

Zeitoptionen).<br />

Was das Vertrauen des Managements in die Belegschaft betrifft,<br />

ist vor allem ein Wandel der Unternehmenskultur anzustreben. Die<br />

aktive Unterstützung der Unternehmensführung in Sachen familienbewusster<br />

Arbeitszeiten ist ein wichtiger Garant dafür, dass die<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> in <strong>Schichtarbeit</strong> gelingen kann.<br />

Oftmals ist dies erst möglich, wenn die Unternehmensführung<br />

einen Kulturwandel einleitet und strategisch unterstützt (z. B. in<br />

Ziel vereinbarungen und Bewertungen der Führungskräfte). Studien<br />

zum Arbeitsfähigkeitsindex (ABI) zeigen, dass ein solcher Kulturwandel<br />

in Schichtbetrieben vor allem über den Dreiklang von betrieblicher<br />

Gesundheitsförderung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />

und guter Führung zu erreichen ist (vgl. Weiß 2011). Erfahrungen<br />

in verschiedenen Betrieben und Verwaltungen belegen immer<br />

wieder, wie entscheidend der Wille zur Umsetzung ist. Dafür sind<br />

verschiedene Machtpromotoren aus dem Management, der Interessenvertretung,<br />

den Akteuren der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

und den Beschäftigten selbst wichtig.<br />

Oft muss auch das Betriebsrats-/Personalratsgremium selbst<br />

überzeugt werden, dass Vereinbarkeitsthemen wichtig sind. Die<br />

Bedeutsamkeit, Gestaltbarkeit und Politikfähigkeit dieses strategischen<br />

und querschnittsorientierten Themas wird von vielen<br />

Interessenvertretern selten erkannt. Dabei handelt es sich um ein<br />

Themenfeld, das große Schnittmengen mit dem Arbeitgeber bietet<br />

und deshalb weniger konfl iktträchtig ist als andere Themen. Es<br />

zeigt sich, dass <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit ein Zukunftsthema ist, das<br />

mit vielen anderen Handlungsfeldern verbunden ist: Arbeitszeit,<br />

Gesundheitsförderung, Personalentwicklung, Arbeitsgestaltung,<br />

Entgeltpolitik und Geschlechtergerechtigkeit. Diese Verbindungen<br />

lassen sich für die Beschäftigten nutzen. Betriebs- und Personal räte<br />

können hier punkten und ihre vielfältigen Kompetenzen<br />

verknüpfen, um auf eine familienfreundliche Betriebskultur hinzuwirken.<br />

Bei der Sensibilisierung zum Thema Vereinbarkeit innerhalb<br />

der Betriebe und Verwaltungen können sie als Impulsgeber und<br />

Motor wichtige Veränderungen auf den Weg bringen und sich als<br />

aktiver Gestalter profi lieren.<br />

47


14. Recht<br />

Dem Betriebs- oder Personalrat steht eine Reihe von Gesetzen zur<br />

Verfügung, um den Betrieb/ die Dienststelle familienfreundlicher<br />

zu gestalten. Diese Gesetze legen verpfl ichtende Ziele fest, die die<br />

Geschäftsleitung berücksichtigen muss und über deren Einhaltung<br />

der Betriebs-/Personalrat wacht.<br />

Die folgende Übersicht gibt einen guten Überblick über die bestehenden<br />

Rechtsgrundlagen, die Anknüpfungspunkte für familienfreundliche<br />

Maßnahmen bieten.<br />

Themen Rechtsgrundlage Bemerkungen<br />

Vereinbarkeit<br />

von<br />

<strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

Grundgesetz (GG)<br />

Betriebsverfassungsgesetz<br />

(BetrVG)<br />

Bundesgleichstellungsgesetz<br />

(BGleiG)<br />

Allgemeines<br />

Gleichbehandlungsgesetz<br />

(AGG)<br />

Tarifverträge zur<br />

<strong>Familie</strong>nfreundlichkeit<br />

„Ehe und <strong>Familie</strong> stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“<br />

(Art. 6 Abs. 1)<br />

„Der Betriebsrat hat folgende allgemeine Aufgaben […] die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />

und Erwerbstätigkeit zu fördern […].“ (§ 80 Abs. 1 Nr. 2b)<br />

für Beschäftigte im öffentlichen Dienst<br />

• Ziel des Gesetzes: u. a. „die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und Erwerbstätigkeit für<br />

Frauen und Männer zu verbessern.“ (§ 1 Abs. 1)<br />

Besonders Abschnitt 3 Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und Erwerbstätigkeit für Frauen und<br />

Männer<br />

• <strong>Familie</strong>ngerechte Arbeitszeiten und Rahmenbedingungen (§ 12)<br />

• Förderung von Teilzeit, Telearbeit und familienbedingter Beurlaubung (§ 13 und 15)<br />

Wechsel von Teilzeit nach Vollzeit, berufl icher Wiedereinstieg (§ 14)<br />

Ziel: Benachteiligung aufgrund von ethnischer Herkunft, Religion, Behinderung, Alter<br />

oder Geschlecht zu verhindern.<br />

• dazu gehört die Benachteiligung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft<br />

• Freistellung von der Arbeit wegen Betreuung von Kindern und Angehörigen<br />

• Arbeitszeitfl exibilisierung<br />

• Teilzeit<br />

• Telearbeit<br />

• Elternförderung<br />

• Ausgestaltung der Elternzeit<br />

• Weiterbildungsangebote während der Elternzeit<br />

• Vertretungseinsätze/Projektbeteiligungen während der Elternzeit<br />

• Kinderbetreuung<br />

• Sozialzulagen/<strong>Familie</strong>nzulagen<br />

(vgl. Flüter-Hoffmann 2005 und Bispinck 2005)<br />

48


Themen Rechtsgrundlage Bemerkungen<br />

Arbeitszeit<br />

Arbeitszeitgesetz (ArbZG)<br />

Betriebsverfassungsgesetz<br />

(BetrVG)<br />

Bundespersonalvertretungsgesetz<br />

(BPersVG)<br />

Teilzeit- und<br />

Befristungsgesetz (TzBfG)<br />

Altersteilzeitgesetz (AltTZG)<br />

Arbeitsschutzgesetz<br />

(ArbSchG)<br />

Bürgerliches Gesetzbuch<br />

(BGB)<br />

fi xiert den rechtlichen Rahmen von Arbeitszeitfl exibilisierung:<br />

• Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer/innen<br />

• Verbesserung der Rahmenbedingungen für fl exible Arbeitszeiten<br />

• Schutz von Sonn- und Feiertagen<br />

• Beschränkung von Mehr-, Schicht- und Nachtarbeit<br />

• Defi nitionen von Arbeitszeit, Nachtarbeit, Arbeitsbereitschaft usw.<br />

• Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse<br />

• Öffnungsklauseln bei Arbeitsbereitschaft und Rufbereitschaft<br />

Initiativrecht<br />

„Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifl iche Regelung nicht besteht, in<br />

folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen: […]<br />

2. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie<br />

Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage;<br />

3. vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit<br />

[…].“ (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3)<br />

• Betriebsvereinbarung (§ 77 BetrVG) und Möglichkeit einer Einigungsstelle (§ 76<br />

BetrVG)<br />

„Der Personalrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifl iche Regelung nicht besteht,<br />

gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen mitzubestimmen über<br />

1. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie die Verteilung der<br />

Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage […]<br />

3. Aufstellung des Urlaubsplanes, Festsetzung der zeitlichen Lage des Erholungsurlaubs<br />

für einzelne Beschäftigte, wenn zwischen Dienststellenleiter und den beteiligten<br />

Beschäftigten kein Einvernehmen erzielt wird […].“ (§ 75 Abs. 3)<br />

• Ablehnung von Teilzeitanträgen (§ 76 Abs. Abs. 1 Nr. 8)<br />

• Personalvereinbarung (§§ 73, 74) und die Möglichkeit einer Einigungsstelle (§ 71)<br />

Anspruch auf Verkürzung der Wochen-, Monats-, Saison- und/oder Jahresarbeitszeit<br />

(§ 8), soweit keine betrieblichen Gründe entgegenstehen<br />

• auch befristete Teilzeit oder Teilzeit auf Probe sind möglich (allerdings ohne<br />

Rechtsanspruch)<br />

• Mindestankündigungsfrist 4 Tage (§ 12)<br />

möglich für alle Beschäftigten, die vor dem 1.1.2010 das 55. Lebensjahr vollendet haben<br />

• Bedingung: Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder schriftliche Vereinbarung<br />

zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />

Arbeitsorganisation und Arbeitszeitgestaltung als Bestandteil eines dynamischen,<br />

ganzheitlichen und präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes.<br />

Ziele des Gesetzes:<br />

• menschengerechte Gestaltung der Arbeit<br />

• kontinuierliche Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes<br />

• Beseitigung von arbeitsbedingten Erkrankungen<br />

• Grundsatz der präventiven Gefahrenbekämpfung an der Quelle<br />

• Pfl icht zur Gefährdungsbeurteilung<br />

• Anspruch auf Anpassung der Arbeitszeit: (§ 611)<br />

• Anspruch auf Arbeitszeitänderung: (§ 315)<br />

Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) • Insolvenzschutz für Zeitkonten (§ 7d)<br />

Flexigesetz I und II<br />

Tarifvereinbarungen<br />

Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung fl exibler Arbeitszeitregelungen sowie<br />

Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung fl exibler<br />

Arbeitszeitregelungen:<br />

• Sicherung und Übertragbarkeit von (Zeit-)Wertguthaben<br />

• v. a. Anpassungen in SGB III-VI sowie X-XI<br />

zu <strong>Schichtarbeit</strong>:<br />

• Zeitbegrenzungen, Zeitkorridore, Ausgleichszeiträume<br />

• Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft<br />

• Zuschläge für Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong><br />

• Sonderleistungen<br />

• Ausnahmeregelungen für Beschäftigtengruppen (z. B. Eltern, ältere Beschäftigte)<br />

49


Themen Rechtsgrundlage Bemerkungen<br />

Elternzeit, -geld<br />

Mutterschutz<br />

Kinderbetreuung<br />

Pfl ege<br />

Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)<br />

Bundeselterngeld- und<br />

Elternzeitgesetz (BEEG)<br />

Mutterschutzgesetz<br />

(MuSchG)<br />

Sozialgesetzbuch V (SGB V)<br />

Sozialgesetzbuch VIII (SGB<br />

VIII)<br />

(KJHG)<br />

Ländergesetze zur<br />

Kinderbetreuung: z.B.<br />

Kindertagesstättengesetz<br />

(KiTaG)<br />

Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)<br />

Pfl egezeitgesetz (Pfl egeZG)<br />

<strong>Familie</strong>npfl egezeitgesetz<br />

Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen:<br />

• menschen- und behindertengerechte Arbeitsgestaltung (§ 81 Abs.4)<br />

• Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen (§ 81 Abs. 5)<br />

• Anspruch auf Einhaltung einer 5-Tage-Woche<br />

• Befreiung von Nachtarbeit (§ 81 Abs. 4 Ziffer 4)<br />

• Freistellung von Mehrarbeit (§ 124)<br />

12 Monate, bzw. 14 Monate (beide Eltern) 65% des Nettoeinkommens<br />

(max. 1.800 Euro)<br />

• freie Entscheidung, welcher Elternteil Elternzeit nimmt<br />

• bis zum 3. Geburtstag des Kindes (8. Geburtstag mit Zustimmung des Arbeitgebers)<br />

• Teilzeit bis zu 30 Stunden wöchentlich möglich<br />

• Geschwisterbonus für schnelle Geburtenfolge<br />

• Mindestelterngeld: 300 Euro<br />

• Verbot von Mehrarbeit, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 8 Abs. 1)<br />

• Beschäftigungsverbot für einzelne Tätigkeiten, wenn Gesundheitsgefahren für<br />

Mutter und/oder Kind drohen (§ 3)<br />

• Schutzfristen: 6 Wochen vor der Entbindung; 8 Wochen nach der Geburt<br />

(12 Wochen bei Früh- und Mehrlingsgeburten) (§ 6)<br />

• Stillzeiten während der Arbeitszeit<br />

• besonderer Kündigungsschutz<br />

• Freistellung zur Betreuung kranker Kinder und Krankengeld (§ 45)<br />

• Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder<br />

Kinder- und Jugendhilfe (KJHG)<br />

• Insbesondere dritter Abschnitt: Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und<br />

in Kindertagespfl ege<br />

• (Tagesbetreuungsausbaugesetz TAG)<br />

• steuerliche Begünstigungen von Kinderbetreuungskosten<br />

Rechtsansprüche auf öffentliche Kinderbetreuung oder auf Betreuungsmöglichkeiten<br />

für unter Dreijährige sind auf Länderebene geregelt.<br />

Soziale Pfl egeversicherung<br />

Möglichkeiten zur Freistellung aus Pfl egegründen:<br />

• 10 Tage (Kurzzeit)<br />

• 6 Monate<br />

• Pfl egestützpunkte und wohnortnahe Beratung<br />

• Erhöhung des Pfl egegeldes<br />

über einen Zeitraum von zwei Jahren kann die Arbeitszeit bis zu 50 % reduzieren<br />

werden (mit bis 75 % des Gehalts); anschließend Vollzeitarbeit mit entsprechend<br />

reduziertem Gehalt als Ausgleich<br />

50


Weitere gesetzliche Grundlagen<br />

Da der öffentliche Dienst jeweils auf länderspezifi schen Regelungen<br />

beruht, gibt es für die Beschäftigten jedes Bundeslandes und des<br />

Bundes gesonderte Regelungen (Bundesgleichstellungsgesetz,<br />

Landesgleichstellungsgesetze; Bundes- und Landespersonalvertretungsgesetze;<br />

Bundesbeamtengesetz). Die Inhalte der jeweiligen<br />

Landesregelungen unterscheiden sich teilweise in ihrer Reichweite.<br />

Einen guten Überblick dieser gesetzlichen Grundlagen und ihrer<br />

Anknüpfungspunkte für familienbewusste Maßnahmen in der<br />

Dienststelle bietet die Broschüre „Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und<br />

<strong>Beruf</strong> für Personalräte“; S.27 – 38 (http://familie.dgb.de/service/<br />

bildungsarbeit/dgb-broschuren/++co++025d1a26-4e3f-11e0-<br />

568a-00188b4dc422). Die umfangreichste Literatur zum Thema<br />

Recht und Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> fi nden sie im Juris<br />

Praxiskommentar (Düwell u. a. 2009).<br />

Probleme bei der Gewährung von Teilzeit<br />

Das Teilzeit- und Befristungsgesetz gilt in ganz Deutschland für<br />

(fast) alle Beschäftigungsverhältnisse. Gegen die Einführung von<br />

Teilzeit werden verschiedene Begründungen ins Feld geführt.<br />

Rechtlich sind diese Gründe relevant, wenn sie einer nachweisbaren<br />

und nachvollziehbaren Entscheidung der Arbeitsorganisation<br />

entspringen. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 8 Abs. 4, TzBfG)<br />

nennt vier Ablehnungsgründe: 1. Unverhältnismäßige Kosten<br />

(Kosten, die eine besondere Teilzeitbeschäftigung verursacht); 2.<br />

wesentliche Beeinträchtigung im Betrieb; 3. wesentliche Beeinträchtigung<br />

der Organisation oder des Arbeitsablaufs (z. B. Teilzeit<br />

läuft den Anforderungen und/oder der Betriebsvereinbarung des<br />

Schichtsystems zuwider oder verursacht lange Über gabe gespräche);<br />

4. keine Ersatzkraft. Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-<br />

Holstein (Az.: 3 SaGa 14/10 vom 15. 12. 2010) stärkt eher die<br />

Rechte der Arbeitnehmer/innen auf Teilzeit. In einer Änderungsschneiderei<br />

mit 2-Schichtbetrieb wollte eine Schneiderin nach der<br />

Elternzeit in Teilzeit gehen und nur noch vormittags arbeiten. Der<br />

Teilzeitwunsch wurde vom Arbeitgeber mit der Argumentation<br />

verweigert, dass aus „organisatorischen Gründen“ alle Beschäftigten<br />

wechseln müssen. Dagegen verwies das Gericht darauf, dass<br />

das Wechseln im Schichtbetrieb allein kein Ablehnungsgrund ist.<br />

Vielmehr muss der Arbeitgeber begründen, weshalb der Arbeitszeitwunsch<br />

nicht durch Änderungen im Betriebsablauf oder durch<br />

Ersatzkräfte realisiert werden kann.<br />

Faktorisierung der Arbeitszeiten<br />

Um die negativen Folgen von jahrelanger <strong>Schichtarbeit</strong> zu<br />

reduzieren, ist es empfehlenswert, eine Faktorisierung der<br />

Arbeitszeiten in <strong>Schichtarbeit</strong> vorzunehmen. Ein Beispiel, wie<br />

verschiedene Modelle aussehen, gibt die Gewerkschaft der<br />

Polizei. Je nach Modell werden entweder die in Schicht geleisteten<br />

Jahre gezählt oder stundenweise auf ein Lebensarbeitszeitkonto<br />

verbucht. Im ersten Modell könnte z. B. nach 30 Schichtjahren<br />

ein Faktor zwischen 1,05 und 1,45 angerechnet werden, so dass<br />

1,5 bis 15 Jahre Zeitgewinn resultieren und die Beschäftigten<br />

ent sprechend früher verrentet werden könnten. Im zweiten Modell,<br />

in dem die einzelnen Schichten faktorisiert und z. B. auf ein Lebensarbeitskonto<br />

gutgeschrieben werden, würde ein 8-Stunden-Dienst<br />

mit dem Faktor 1,5 dann eine Gutschrift von 12 Stunden bedeuten<br />

(http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/Posa/$fi le/PosSchichtEndstand.<br />

pdf).<br />

Auf Länderebene gelten solche Regelungen bereits für Beamte<br />

und Beamtinnen. In Rheinland-Pfalz ist geplant das Rentenalter für<br />

Polizisten/innen im gehobenen Dienst auf 62 Jahre und im höheren<br />

Dienst auf 64 Jahre zu reduzieren. Dabei sollen auch die geleisteten<br />

Schichtdienstzeiten faktorisiert werden (vgl. Gewerkschaft der<br />

Polizei 2011).<br />

51


15. Dienst- und Betriebsvereinbarungen<br />

zu familienbewusster <strong>Schichtarbeit</strong><br />

Betriebs- und Dienstvereinbarungen sind geeignet, Grundsätze<br />

einer besseren Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> im Betrieb zu<br />

verankern und den verbindlichen Handlungsrahmen zu schaffen. Bei<br />

der <strong>Familie</strong>n freundlichkeit in der Arbeitswelt hat sich in den letzten<br />

Jahren einiges bewegt. Aber nach wie vor bestehen in nur 10 Prozent<br />

der Unternehmen Betriebsvereinbarungen und in 20 % der öffentlichen<br />

Einrichtungen Dienstvereinbarungen dazu; d. h. das Regelungspotenzial<br />

ist nach wie vor groß. Gerade in Schichtbetrieben fehlt<br />

dieser Ansatz in Betriebs-/Dienstvereinbarungen oft noch komplett.<br />

Die Abteilung Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung sammelt<br />

und analysiert kontinuierlich Betriebs- und Dienstvereinbarungen<br />

zu bestimmten Themenfeldern. Das folgende Kapitel bezieht sich in<br />

erster Linie auf die Ergebnisse der Auswertung zum Thema „Flexible<br />

Schichtsysteme“ von Hiltraud Grzech-Sukalo und Kerstin Hänecker. 11<br />

Hier drei Beispiele für die recht allgemeinen Formulierungen zur<br />

<strong>Familie</strong>nfreundlichkeit bzw. zum Ausgleich der zeitlichen Interessen<br />

von Beschäftigten und Arbeitgeber aus Schichtbetrieben dieser<br />

Auswertung.<br />

„Die Bereitstellung von Arbeitsplätzen mit familienfreundlichen<br />

Arbeitszeitformen, wie z. B. Teilzeitarbeitsplätze ist eine wesentliche<br />

Voraussetzung für die Erreichung der Ziele dieser Vereinbarung. Die<br />

Arbeitszeit soll sowohl den Belangen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

als auch den betrieblichen Interessen entgegenkommen.“<br />

(Gummi- und Kunststoffherstellung)<br />

Dem hohen Stellenwert entsprechend wird das Thema Arbeitszeit<br />

meist in einem eigenen Absatz/Paragraphen behandelt, der mit<br />

einer allgemeinen Absichtserklärung eröffnet wird.<br />

„Es sind fl exible Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, so dass den<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Wünschen nach besonderen<br />

Arbeitszeitregelungen im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten<br />

ein entsprechender Arbeitsplatz angeboten werden kann.“ (Papiergewerbe)<br />

11 Für die Thematik familienbewusste <strong>Schichtarbeit</strong>sgestaltung sind vorrangig die<br />

folgenden veröffentlichten Auswertungen relevant „Chancengleich und familienfreundlich“<br />

(Maschke; Zurholt; 2006), „Flexible Schichtsysteme“ (Grzech-Sukalo;<br />

Hänecker; 2010) und „Diskontinuierliche Schichtsysteme“ (Grzech-Sukalo;<br />

Hänecker 2011).<br />

Anschließend werden in den Vereinbarungen oft Teilzeitmöglichkeiten<br />

geregelt, die für die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

wichtig sind:<br />

„… möchte die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter Teilzeit arbeiten,<br />

soll diesem Wunsch entsprochen werden.“(Fahrzeughersteller<br />

Kraftwagen)<br />

„Teilzeit ist grundsätzlich auf allen Stellen/Funktionen des Betriebes<br />

möglich. Teilzeitarbeit wird nur auf freiwilliger Basis geleistet; der<br />

Umfang und die Festlegung der Arbeitszeiten einer Teilzeitkraft<br />

sollen einvernehmlich geregelt werden. Mit der Reduzierung der<br />

Arbeitszeit dürfen keine Arbeitsintensivierung, keine Verschlechterung<br />

der Arbeitsbedingungen sowie des Arbeitsplatzes verbunden<br />

sein.“ (Gastgewerbe)<br />

Eine weitere Auswertung der Abteilung Mitbestimmung der<br />

Hans-Böckler-Stiftung zum Thema „Diskontinuierliche Schichtsysteme“<br />

(Grzech-Sukalo; Hänecker 2011) hat 105 Betriebsvereinbarungen<br />

analysiert. Die Einführung diskontinuierlicher Schichtsysteme<br />

zielt meist auf eine Verlängerung der Maschinenlaufzeiten<br />

und damit auf eine Ausdehnung der Betriebszeiten – oft verbunden<br />

mit einer Verlängerung der individuellen Arbeitszeiten ab. Die<br />

Auswertung zeigt, dass die Variationen bei diskontinuierlichen<br />

Schichtsystemen vielfältig sind. Nicht selten wird angestrebt, bestehende<br />

Arbeitsplätze zu sichern oder neue zu schaffen, wenn es z. B.<br />

gehäuft Mehrarbeit und Überstunden gibt. Häufi g wird allgemein<br />

als Ziel der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Rücksichtnahme<br />

auf soziale Belange der Beschäftigten des Betriebes genannt. Im<br />

Folgenden zeigen wir einige Beispiele für Regelungsfelder bezüglich<br />

einer besseren Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> in diskontinuierlichen<br />

Schichtsystemen:<br />

Einige Betriebsvereinbarungen regeln Ausgleichstage, die Beschäftigte<br />

entlasten sollen. Diese werden entweder im Voraus im<br />

Schichtplan eingetragen oder können weitgehend von den Beschäftigten<br />

bestimmt werden. Eine solche Regelung gewährt den Betroffenen<br />

mehr Zeitautonomie, während die Festlegung im Voraus eine<br />

große Planungssicherheit bedeutet. Überwiegend wird ein Freizeitausgleich<br />

für Arbeit an ungünstigen Tagen oder zu ungünstigen<br />

Zeiten gegenüber einem fi nanziellen Ausgleich bevorzugt.<br />

52


In der Regel werden in (diskontinuierlichen) Schichtsystemen<br />

Vollzeitkräfte eingesetzt. Teilzeitkräfte müssen jedoch nicht von<br />

vornherein ausgeschlossen sein. Für sie wird die Arbeitszeit im<br />

Schichtsystem anteilig geregelt, andernfalls ist eine extra Betriebsvereinbarung<br />

vorgesehen. Dies erfordert einigen planerischen und<br />

organisatorischen Mehraufwand.<br />

Besondere Personengruppen werden oft gänzlich aus dem Schichtbetrieb<br />

herausgenommen. Frauen im Mutterschutz werden zum<br />

Beispiel nicht selten vorrangig in den Frühschichten beschäftigt.<br />

Bewährte Instrumente, um Schichtsysteme zu fl exibilisieren, sind<br />

Gleitzeit, die vorübergehende Ausdehnung oder Verkürzung<br />

einzelner Schichten oder der Wechsel von Schichtsystemen. Dieser<br />

wird in den Betriebsvereinbarungen detailliert geregelt.<br />

Die Auswertung „Flexible Schichtsysteme“ zeigt, welche<br />

Regelungs trends zur fl exiblen Gestaltung von <strong>Schichtarbeit</strong>ssystemen<br />

bestehen und wie die betrieblichen Akteure das Thema<br />

aufgreifen. Sie bildet die betriebliche Regelungspraxis ab und gibt<br />

Anregungen für die Gestaltung eigener Vereinbarungen. Vorgestellt<br />

werden im Folgenden die Regelungsfelder, in denen Bezug auf<br />

die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> genommen wird, jeweils<br />

veranschaulicht durch entsprechende Passagen aus anonymisierten<br />

Betriebsvereinbarungen:<br />

a) Ziele von Vereinbarungen zu flexiblen Schichtsystemen<br />

Die meisten Präambeln berücksichtigen neben der Anpassung<br />

an den betrieblichen Bedarf die Bedürfnisse der Beschäftigten<br />

bei der Zielsetzung. Die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten individuell<br />

zu gestalten soll die Zeitsouveränität der Beschäftigten<br />

erhöhen und sie motivieren; z. B. durch bessere Planbarkeit<br />

ihrer <strong>Schichtarbeit</strong>szeiten, geringere Belastung und erhöhte<br />

Eigenverantwortlichkeit. Hier ein Formulierungsbeispiel aus einer<br />

Präambel:<br />

„Ziel dieser Vereinbarung ist die Schaffung eines Schichtsystems,<br />

das auf die Anforderungen von Mitarbeitern und Unternehmen<br />

eingeht. […] Flexible Gestaltungsmerkmale sollen Unternehmen<br />

wie Mitarbeiter gleichermaßen profi tieren lassen.“ (Mineralölverarbeitung)<br />

In anderen Fällen werden auch allgemeine Ziele des Gesundheitsschutzes<br />

für die Beschäftigten vereinbart.<br />

„Ziel dieser Betriebsvereinbarung ist die Steuerung des Mitarbeitereinsatzes<br />

im Schichtbetrieb, um die Ressourcen besser zu planen<br />

und auf der anderen Seite die Belastung der Mitarbeiter durch<br />

<strong>Schichtarbeit</strong> so gering wie möglich zu halten.“ (Papiergewerbe)<br />

b) Regelungen zur Flexibilisierung von Schichtsystemen<br />

Viele Vereinbarungen berücksichtigen bei der Personaleinsatzplanung<br />

neben den betrieblichen Belangen ausdrücklich auch<br />

Beschäftigtenwünsche. Formulierungen dazu bleiben oft zunächst<br />

allgemein und geben kaum Umsetzungshinweise. Im nachfolgenden<br />

Auszug wird zumindest auf die Ebene verwiesen, auf der<br />

dies geregelt werden sollte.<br />

„Die Personaleinsatzplanung erfolgt auf Gruppenebene unter<br />

weitestgehender Berücksichtigung der Mitarbeiterwünsche.“<br />

(Maschinenbau)<br />

Für die Organisation der Schichtbelegschaft kann auch die<br />

Abteilung oder das Team zuständig sein.<br />

„Jedes Team hat die Aufgabe, die Arbeits- und Freizeiten<br />

(z. B. Urlaub) der einzelnen Mitarbeiter so zu organisieren, dass<br />

jeweils die defi nierte Schichtstärke erreicht wird. Die übrigen Mitarbeiter<br />

belegen jeder ein so genanntes Zeitfenster.“ (Chemische<br />

Industrie)<br />

Eine solche Vereinbarung stärkt die Eigenverantwortung und damit<br />

oft die Arbeitszufriedenheit und erhöht gleichzeitig die Planungsgenauigkeit<br />

im Sinne der Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong>. Ein<br />

solches Vorgehen setzt allerdings eine funktionierende demokratische<br />

Teamarbeit voraus.<br />

c) Arbeitszeitkonten<br />

Flexibilisierung durch Arbeitszeitkonten wird zunehmend auch für<br />

Schichtdienstleistende genutzt. Sie werden oft als Freizeit- oder<br />

Freischichtkonten bezeichnet. Ziel ist es, die Arbeitszeit kontrolliert<br />

zu verwalten, sowohl durch den Betrieb als auch durch die Beschäftigten<br />

selbst.<br />

„Für alle Mitarbeiter wird ein Arbeitszeitkonto eingerichtet. Auf<br />

diesem werden die Abweichungen zwischen tarifl ich wöchentlicher<br />

und der sich daraus ergebenden täglichen Arbeitszeit einerseits<br />

und der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit andererseits registriert.“<br />

(Metallerzeugung und -bearbeitung)<br />

Häufi ger wird der Abbau der Plusstunden durch Freizeit und/oder<br />

Freischichten geregelt. Auch wenn betriebliche Belange Vorrang<br />

haben, können Beschäftigte in der Regel nach Absprache mit dem<br />

Vorgesetzten Freischichten „entnehmen“, die z. B. der Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> dienen. Betriebliche Gründe dagegen<br />

beziehen sich meist auf die Mindestbesetzung der Schichten, die<br />

gewährleistet sein muss.<br />

„Der Zeitausgleich kann in Absprache mit dem Vorgesetzten<br />

stunden-, tage- oder wochenweise erfolgen. Dem Antrag des<br />

Arbeitnehmers muss stattgegeben werden, es sei denn, nachvollziehbare<br />

dienstliche oder betriebliche Gründe sprechen dagegen.“<br />

(Gesundheit und Soziales)<br />

53


d) Langfristige Planung<br />

Idealerweise ist die fl exible Arbeitsgestaltung für die Beschäftigten<br />

planbar. Dafür sollte eine Grundplanung über einen längeren<br />

Zeitraum erstellt werden. Später können sowohl betriebliche<br />

Schwankungen als auch Beschäftigtenwünsche integriert werden.<br />

Durch diese Grundplanung wird die <strong>Schichtarbeit</strong> für die Beschäftigten<br />

vorhersehbarer und damit zuverlässiger; <strong>Familie</strong>nleben und<br />

Freizeitaktivitäten können eher darauf abgestimmt werden.<br />

„Aufgrund der jährlichen Absatzplanung wird im Dezember für<br />

die Produktionsabteilungen eine individuelle Produktionsplanung<br />

erstellt. Darin wird die voraussichtliche monatliche Arbeitszeit pro<br />

Abteilung oder Maschine für das nächste Jahr im Voraus geplant.<br />

Die Planungen werden jährlich per Aushang bekannt gegeben<br />

und im laufenden Jahr monatlich mit dem Betriebsrat abgestimmt.<br />

Treten grundlegende Änderungen auf, wird der Jahresplan im<br />

laufenden Jahr geändert.“ (Papiergewerbe)<br />

Auch Freischichten sollten für die Beschäftigten planbar sein, damit<br />

sie ihr Arbeits- und Privatleben gut aufeinander abstimmen können.<br />

„Die Verteilung von Freischichten wird im Voraus festgelegt und<br />

dem Mitarbeiter monatlich mitgeteilt.“<br />

Die Beschäftigten können über die Lage von Arbeits- oder<br />

Freischichten mitentscheiden. Nachfolgend ist dies für die Planung<br />

zusätzlicher Schichten im Jahr geregelt.<br />

„Die Vertragsparteien vereinbaren, dass unabhängig von der<br />

tatsächlich verplanten Arbeitszeit pro Mitarbeiter 22 zusätzliche<br />

Schichten geleistet werden müssen. Von den Ausgleichsschichten<br />

werden 11 Schichten vom Mitarbeiter in Absprache mit dem<br />

Schichtmeister festgelegt (Mitarbeiterschichten).“ (Mineralölverarbeitung)<br />

In langfristig geplanten Schichtsystemen werden Anzahl und Lage<br />

fl exibler Schichten festgelegt. In diesem Fall können vorhersehbare<br />

Schwankungen im betrieblichen Bedarf genutzt werden, um<br />

Freischichten zu gewähren.<br />

„In den Schichtrahmenmodellen sind bedarfsorientierte fl exible<br />

Schichten enthalten, bei denen ausschließlich die Arbeitstage und<br />

freien Tage defi niert sind. Die Schichten und die Schichttage sind<br />

nicht defi niert.“ (Telekommunikationsdienstleister)<br />

Ein begrenzter Umfang möglicher fl exibler Schichten für den<br />

einzelnen Beschäftigten garantiert, dass in den Schichten ausreichend<br />

Personal vorhanden ist. Zudem bleiben Minus- oder<br />

Plusstunden im vereinbarten Rahmen bzw. ist ein zeitnaher<br />

Ausgleich möglich. Im Folgenden ist festgelegt, dass nur ein<br />

bestimmter Prozentsatz von Schichten fl exibel sein darf. Auch das<br />

trägt zu mehr Planbarkeit von Arbeits- und Freizeit bei.<br />

„Für jeden Mitarbeiter gilt, dass maximal 10 % seiner Schichten<br />

fl exible Schichten sein dürfen.“ (Telekommunikationsdienstleister)<br />

e) Kurzfristige Absprachen<br />

In Absprache mit Vorgesetzten und Kollegen kann ein/e<br />

Beschäftigte/r von sich aus eine kurzfristige Reduzierung der<br />

Arbeitszeit beantragen (aus Vereinbarkeitsgründen wichtig, z. B.<br />

beim Eintreten von Pfl egefällen): Dies kann sich auf den Ausfall<br />

ganzer Schichten beziehen oder die Verkürzung einer Einzelschicht,<br />

wie der folgende Auszug zeigt.<br />

„Ein Mitarbeiter kann kurzfristig auf seinen Wunsch die Verkürzung<br />

der Schicht beantragen. Der Vorgesetzte soll diesem Wunsch<br />

nachkommen, soweit keine betrieblichen Gründe entgegenstehen,<br />

insbesondere die Mindestbesetzung gewährleistet ist und der<br />

Freizeitausgleich der Steuerung der Zeitsalden dient.“ (Gesundheit<br />

und Soziales)<br />

f) Gleitzeit, Arbeitszeitkorridore<br />

Gleitzeitregelungen bei Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> regeln vor<br />

allem Spielräume beim Schichtwechsel. Für eine funktionierende<br />

Schichtübergabe müssen Zeitgrenzen für die Gleitzeitspanne<br />

festgelegt sein, innerhalb derer die Beschäftigten ihre Arbeitszeiten<br />

(weitgehend) selbst einteilen können. Diese Gleitzeitspanne<br />

entspannt die Zeitsituation für pfl egende Beschäftigte und Eltern<br />

und ist damit oft eine sehr hilfreiche Maßnahme zur besseren<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong>. Hier ein Beispiel für eine<br />

entsprechende Formulierung.<br />

„Bei einer Planung mit Schichtrahmenmodellen gilt ein Gleitzeitfenster<br />

von 30 Minuten fl exibler Gleitzeit (-15 bis +15 Minuten um<br />

den hinterlegten Start-/Endzeitpunkt, je zu Beginn und Ende der<br />

Schicht).“ (Telekommunikationsdienstleister)<br />

Die Akzeptanz von Schichtsystemen und die Arbeitszufriedenheit<br />

wachsen, wenn die Beschäftigten an der Schichtplangestaltung<br />

beteiligt werden. Das gilt auch für kurzzeitige Wechsel von<br />

Schichtsystemen in Form zusätzlicher Schichten. Laut folgender<br />

Vereinbarung werden die Wünsche der Beschäftigten so berücksichtigt.<br />

„Der Bedarf zur Nutzung der zusätzlichen Schichten ergibt sich<br />

aus der Belegung der Gruppen und wird anhand der Belegungsdaten<br />

in der Gruppe festgestellt. Die Personaleinsatzplanung erfolgt<br />

auf Gruppenebene unter weitestgehender Berücksichtigung der<br />

Mitarbeiterwünsche.“ (Unternehmensbezogene Dienst leistungen)<br />

Wie dies in einem konkreten Schichtsystem umsetzbar ist, sollte<br />

im Voraus festgelegt werden. Angemessene Ankündigungsfristen<br />

gewähren hierbei Planungssicherheit. Für die Beschäftigten gehört<br />

dazu auch ein vorhersehbarer Schichtplanrhythmus, in dem nicht<br />

nur die Arbeitszeiten festgelegt sind, sondern auch die sich aus der<br />

Schichtfolge ergebenden Ruhe- und Freizeiten. Aus der Vereinbarkeitsperspektive<br />

und nach arbeitswissenschaftlichen Empfehlungen<br />

54


sollte ein Schichtplan übersichtlich und vorhersehbar sein, was<br />

folgende Formulierung klar vorgibt.<br />

„Der Schichtplanrhythmus der einzelnen Mitarbeiter soll nicht<br />

verändert werden.“ (Verlags- und Druckgewerbe)<br />

g) Beteiligung von Beschäftigten<br />

Bei der Gestaltung von Schichtsystemen sollten von Beginn an<br />

neben Arbeitgeber und Interessenvertretung auch Beschäftigte der<br />

betroffenen Abteilungen einbezogen werden. Die Beteiligung sollte<br />

zumindest eine innerbetrieblich transparente Information über die<br />

Ziele und den Entwicklungs- und Umsetzungsprozess sowie eine<br />

Wahlmöglichkeit aus verschiedenen Vorschlägen zuvor entwickelter<br />

Schichtmodelle umfassen. Vor allem die Lage der Freischichten<br />

ist für das Sozialleben, die <strong>Familie</strong> und die Freizeitplanung der<br />

Beschäftigten von Bedeutung. In Absprache mit den Vorgesetzten<br />

können sowohl der Personalbedarf als auch (familienbedingte)<br />

Beschäftigtenwünsche berücksichtigt werden, wie die folgende<br />

Vereinbarung vorsieht.<br />

„Bei der Erstellung der monatlichen Arbeitszeitpläne sind – soweit<br />

nicht betriebliche Interessen dem entgegenstehen – die persönlichen<br />

Wünsche der Mitarbeiter zu berücksichtigen (z. B. ungeplante<br />

Urlaubstage oder Freizeitausgleich).“ (Metall erzeugung und<br />

-bearbeitung)<br />

Eine Flexibilisierung von Schichtsystemen wird z. B. durch Gleitzeit,<br />

evtl. mit Kernarbeitszeiten geregelt. Dabei können die Beschäftigten<br />

oft Arbeitsbeginn und Arbeitsende selbst bestimmen, solange<br />

die Grenzen für Gleit- und Kernzeit eingehalten werden.<br />

„Die Mitarbeiter […] können den Beginn und das Ende der<br />

täglichen Arbeitszeit innerhalb des jeweiligen Gleitzeitrahmens […]<br />

selbst gestalten.“( Maschinenbau)<br />

In der <strong>Schichtarbeit</strong> muss dieser zeitliche Spielraum meist mit<br />

Kollegen und Vorgesetzten abgestimmt werden.<br />

55<br />

h) Ankündigungsfristen beim Wechsel von Schichtsystemen<br />

Bei fl exiblen Schichtsystemen mit bedarfsgesteuerten Wechseln ist<br />

die Vorhersehbarkeit und Planbarkeit der Arbeitszeiten besonders<br />

heikel. Angemessene Ankündigungsfristen im Sinne der arbeitswissenschaftlichen<br />

Empfehlungen zu Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong> (§ 6<br />

ArbZG) sind zu berücksichtigen. Dies gilt besonders in Bezug auf<br />

die Vereinbarkeit von <strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong>, damit hier gute Arrangements<br />

und Lösungen gefunden werden können.<br />

„Die Mitteilungsfrist bei erstmaliger Einführung von <strong>Schichtarbeit</strong><br />

oder einem Wechsel in ein anderes Schichtmodell gegenüber den<br />

Mitarbeitern beträgt zwei Wochen.“ (Informationstechnikhersteller)<br />

Insgesamt lässt sich feststellen, dass in Schichtsystemen die<br />

betrieblichen Arbeitszeitschwankungen reduziert werden können,<br />

Planbarkeit und Vorhersehbarkeit steigen und größere Spielräume<br />

für die Beschäftigten eingefügt werden können. In vielen Betriebs-/<br />

Dienstvereinbarungen werden diese Ziele und Begriffl ichkeiten<br />

jedoch nicht präzise geregelt. Diese können in nachfolgenden<br />

Regelungen/Ergänzungen genauer aufgeschlüsselt und auch in<br />

Bezug auf die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> konkretisiert<br />

werden.


16. Beispiele guter Praxis<br />

A) Klinikum Delmenhorst<br />

Im Klinikum Delmenhorst arbeiten 718 Beschäftigte, 81 % Frauen<br />

und ca. 400 Beschäftigte im Schichtdienst (ohne den Bereitschaftsdienst).<br />

Die Teilzeitquote beträgt 43 % und wird fast ausschließlich<br />

von Frauen in Anspruch genommen. In Elternzeit befi nden sich<br />

zurzeit ca. 30 Beschäftigte.<br />

Besonderheiten<br />

Sowohl bei den Ärzten als auch beim Krankenhausfachpersonal<br />

leidet die Region bereits unter Fachkräftemangel. Das<br />

Mittelzentrum Delmenhorst ist bemüht, in Konkurrenz zu den<br />

Nach barstädten Bremen und Oldenburg, die eigene Attraktivität<br />

zu erhöhen. Immer stärker setzt sich auch im ärztlichen Bereich die<br />

Möglichkeit zur Teilzeitausbildung durch, die die Vereinbarkeit von<br />

<strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> sehr erleichtert.<br />

Das zunehmende Durchschnittsalter der Beschäftigten und die<br />

ungleiche Altersverteilung werden als problematisch gesehen. Die<br />

meisten Beschäftigten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt, jüngere<br />

oder ältere Beschäftigtengruppen sind kaum vertreten, so dass<br />

eine große homogene Gruppe älter wird. Allmählich zeichnet<br />

sich in dieser Gruppe ab, dass mit beginnenden gesundheitlichen<br />

Problemen die Zeit bis zur Rente nicht so leicht zu bewältigen ist.<br />

Verschärfend kommt der Wegfall der Altersteilzeit hinzu, die bei<br />

vielen Beschäftigten nach jahrelangem Schichtdienst sehr beliebt<br />

war. Auch der Charakter der Beschäftigung hat sich vor allem für<br />

Frauen im Pfl egebereich gewandelt; Beschäftigte sind dort längst<br />

nicht mehr die klassischen Zuverdienerinnen, sondern oft in einer<br />

Hauptverdienerposition.<br />

<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> Rahmenbedingungen<br />

Während der Elternzeit werden die Mütter und Väter zu den<br />

Abteilungsbesprechungen eingeladen, wo sie über betriebliche<br />

Veränderungen auf dem Laufenden gehalten werden. Außerdem<br />

besteht die Möglichkeit sich bei innerbetrieblichen Weiterbildungen<br />

zu qualifi zieren. Auch über die regelmäßig erscheinende Mitarbeiterzeitung<br />

bleibt der Kontakt zum Krankenhaus erhalten. Im<br />

Auditierungsverfahren „<strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong>“ wird nun versucht, die<br />

verschiedenen Aktivitäten zu systematisieren und diejenigen Abteilungen<br />

zu ermuntern, aktiver zu werden, die sich bisher zurückgehalten<br />

haben. Denn oft hängt das familienbewusste Engagement<br />

stark von den jeweiligen Chefärzten oder Leitungen ab.<br />

Beim Thema Kinderbetreuung besteht eine enge Kooperation<br />

zwischen Krankenhaus und der Stadt, die auf dem Krankenhausgelände<br />

eine neue Kita errichtet. Das Krankenhaus beteiligt sich<br />

an den Betriebskosten und erhält im Gegenzug ein Kontingent<br />

an Belegplätzen, was für viele Eltern eine enorme Erleichterung<br />

bringen wird. Außerdem hat es den positiven Nebeneffekt, dass<br />

die Attraktivität des Krankenhauses als örtlicher Arbeitgeber erhöht<br />

wird.<br />

Für Beschäftigte mit Pfl egeaufgaben bestehen Möglichkeiten zur<br />

Arbeitszeitreduzierung, um Pfl ege und <strong>Beruf</strong> zu vereinbaren. Weiter<br />

wurde im Rahmen des Audits <strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong> das Beratungsangebot<br />

des Sozialdienstes um unterstützende Dienstleistungen<br />

für pfl egende Beschäftigte erweitert. Darüber hinaus bestehen<br />

Kontakte zu städtischen Einrichtungen, die beim Thema Pfl ege<br />

beraten und helfen können.<br />

Auch in der betrieblichen Gesundheitsförderung werden<br />

verschiedene Aktivitäten durchgeführt, die der Vereinbarkeit von<br />

<strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> zugute kommen, wie der Gesundheitstag oder<br />

Angebote zu Rückenschulung, Aqua-Fitness oder Walking. Teilweise<br />

können die Beschäftigten auch von den Therapeuten im Haus<br />

profi tieren, z. B. durch die Inanspruchnahme der physikalischen<br />

Therapie.<br />

Arbeitszeiten<br />

Im Krankenhaus mit durchgängigem Betrieb muss die Arbeitszeit<br />

rund um die Uhr organisiert werden, um die Patientenversorgung<br />

zu gewährleisten, was besonders in der Urlaubszeit schwierig ist.<br />

Charakteristisch für die Arbeitszeitgestaltung ist ein Schichtsystem,<br />

das zum einen Stück für Stück humaner und familienfreundlicher<br />

gestaltet wird und zum anderen sowohl für Teilzeit- als auch für<br />

Vollzeitbeschäftigte sehr verschiedene, individuelle Arbeitszeitvarianten<br />

anbietet. Auch in den Abteilungen herrscht eine große<br />

Vielfalt an unterschiedlichen Zeitpraxen. Allerdings hängen die<br />

Realisierungschancen davon ab, ob es gelingt, sich gegen die<br />

betrieblichen Anforderungen durchzusetzen und welche Arbeitszeitoptionen<br />

durch das Team ermöglicht werden können.<br />

In der Regel werden die Arbeitszeiten für Vollzeitbeschäftigte in<br />

einem klassischen Dreischichtbetrieb mit Früh-, Spät- und Nachtschicht<br />

organisiert, wobei die typische Frühschicht im Pfl egebereich<br />

um 5:48 Uhr beginnt und um 14:00 Uhr endet (Spätdienst:<br />

12:30–20:42 Uhr, Nachtdienst: 20:15–6:15 Uhr). In der Nacht<br />

56


wird mit ausgedünnten Schichten gearbeitet, so dass ca. drei<br />

Nachtschichten pro Monat anfallen. Meist wird fünf Tage in Frühund<br />

fünf Tage in Spätschicht bearbeitet. Daneben gibt es eine<br />

Reihe von individuellen Ausnahmen. Verschiedene Abteilungen<br />

haben noch eine 5,5-Tage Woche, in den meisten Abteilungen<br />

ist die 5-Tage-Woche etabliert. In einer Abteilung wurde ein<br />

Zwischendienst entwickelt der erst um 7:00 Uhr morgens beginnt<br />

(bis 15:12 Uhr) und von dem gerade Menschen mit <strong>Familie</strong>naufgaben<br />

profi tieren, da die Unterbringung der Kinder im Kindergarten<br />

um 7 Uhr wesentlich einfacher gelingt. Auch das Ende des<br />

Mitteldienstes ist variabel. Diese Einzelfallregelungen waren so<br />

populär, dass sie in anderen Abteilungen übernommen wurden.<br />

Teilzeitbeschäftigte machen in der Regel volle Schichten und<br />

reduzieren ihre Arbeitszeiten durch mehr Freischichten. Aber auch<br />

hier gibt es viele Variationsmöglichkeiten: Verkürzte Mittelschichten,<br />

Beschäftigte im OP, die nur vormittags (8 bis 12 Uhr) eingesetzt<br />

werden, Wochenarbeitszeiten bis zu 8 Stunden (vier Nachtschichten<br />

im Monat) oder eine Dauernachtwache, die ein bis zwei Mal pro<br />

Monat drei Nächte hintereinander arbeitet. Früher waren sieben<br />

Schichten hintereinander möglich; jetzt sind diese gesundheitlich<br />

bedenklichen Schichten, die gerade bei Beschäftigten mit <strong>Familie</strong>naufgaben<br />

sehr beliebt sind, auf drei Nachtschichten hintereinander<br />

begrenzt. Auch durch die Überzeugungsarbeit des Betriebsrates<br />

setzt sich die Erkenntnis der gesundheitlichen Bedenklichkeit von<br />

Nachtschichten durch.<br />

Die Teilzeitlösungen sind in der Regel auf einen Zeitraum befristet,<br />

um die Rückkehr zur Vollzeit zu erleichtern.<br />

Weiter gibt es im Verwaltungsbereich eine Gleitzeitregelung und<br />

Bereitschaftsdienste, die einen Teil der Ärzte und den medizinischtechnischen<br />

Bereich (Labor, Röntgenabteilung, OP, Anästhesie)<br />

betreffen. Für Beschäftigte mit Betreuungsaufgaben gibt es die<br />

Möglichkeit sich von den Bereitschaftsdiensten befreien zu lassen.<br />

Allerdings muss dies wiederum im Team verhandelt werden.<br />

Für Mehrarbeit wurden Zeitkonten eingeführt, die innerhalb eines<br />

Monats ausgeglichen werden sollen. Hier besteht nach Ansicht des<br />

Betriebsratsvorsitzenden noch Handlungsbedarf, da nicht geregelt<br />

ist, wie die Überstunden abgebaut werden. Für Teilzeitbeschäftigte<br />

ist die Auszahlung wegen der ungünstigen Steuerklasse meist nicht<br />

attraktiv.<br />

Flexibilität<br />

Die individuellen Zeitoptionen werden vor allem durch das<br />

Spannungsverhältnis zwischen Teamerfordernissen und betriebswirtschaftlichen<br />

Anforderungen begrenzt.<br />

Grundsätzlich sind Wechsel in andere Teams möglich. Diese<br />

werden aber selten genutzt, da die Teams meist schon seit Jahren<br />

bestehen und zum guten Betriebsklima beitragen. Das Team ist<br />

die zentrale Institution, in der individuelle Regelungen getroffen<br />

werden können. Je höher die sozialen Kompetenzen im Team, desto<br />

besser funktionieren Ausnahmeregelungen. Oft sind die Durchsetzungsmöglichkeiten<br />

deshalb von der Zusammensetzung des<br />

Teams abhängig. Das gegenseitige Verständnis ist normalerweise<br />

größer, wenn sich das Team schon lange kennt, als wenn ein neues<br />

Mitglied mit Betreuungsaufgaben Rücksichtnahme einfordert.<br />

Hieraus können sich unter Umständen Konfl ikte ergeben, die die<br />

Position im Team schwächen.<br />

Wer also am längsten im Team ist, hat oft die meisten Rechte und<br />

in der Regel gilt, dass jüngere Beschäftigte weniger Spielräume<br />

haben, ihre Vereinbarkeitssituation zu verbessern. In der Praxis<br />

ergeben sich daraus sehr unterschiedliche Bedingungen in den<br />

Abteilungen. Es gibt Teams in denen fast alles möglich ist – von<br />

früher gehen bis zu Wunschdienstplänen – und es gibt Teams, in<br />

denen wenig Spielräume zur Verfügung stehen.<br />

Voraussetzung für die Realisierung der Arbeitszeitwünsche ist,<br />

dass sie in die betrieblichen Abläufe passen. Für die Krankenhausleitung<br />

steht im Vordergrund, dass bei Arbeitszeitfragen die<br />

Patientenversorgung vorgeht. Hinzu kommt, dass im Krankenhaus<br />

die klassischen hierarchischen Strukturen vorherrschen (Schichtleitung,<br />

Stationsleitung, Bereichsleitung, Pfl egedirektion). So kann<br />

es in bestimmten Abteilungen vorkommen, dass sich die Dienstpläne<br />

stark an den ökonomischen Interessen orientieren. Setzen<br />

sich diese Leitungen zu oft durch, besteht die Gefahr, dass das<br />

Team auseinandergesprengt wird, woran die Leitung kein Interesse<br />

haben kann. Hat sich das Verhältnis zwischen Team und Leitung<br />

eingespielt, kann die Hierarchie auch ein Vorteil sein, da die Teams<br />

relativ autonom handeln können, solange es gut läuft und keine<br />

Anweisungen von oben kommen.<br />

In der Praxis stellt sich ein abteilungsspezifi sches Geben und<br />

Nehmen ein, bei dem das Team einige Entscheidungsspielräume<br />

hat und individuelle Flexibilität ermöglicht, wenn im Gegenzug<br />

bei personellen Engpässen die Beschäftigten einspringen. In<br />

diesem Spannungsverhältnis kann es immer wieder zu Ungerechtigkeiten<br />

kommen, wenn von der Leitung Erwartungshaltungen<br />

an die Beschäftigten bestehen, die kaum zu erfüllen sind oder<br />

die Hilfsbereitschaft der Beschäftigten ausgenutzt wird. Dann ist<br />

der Betriebsrat gefragt, der Leitung Grenzen zu setzen und die<br />

Interessen der Beschäftigten zu stärken. Aber auch in Phasen<br />

des Pfl egenotstandes war es wichtig, den Arbeitgeber damit zu<br />

konfrontieren, dass durch die Arbeitszeitbedingungen Pfl egebeschäftigte<br />

zur Konkurrenz der ambulanten Pfl ege abgewandert<br />

sind.<br />

Umsetzungsprozess<br />

Die Veränderungen der Arbeitszeiten haben sich in einem längeren<br />

Umbruchprozess entwickelt. Dabei sind in den letzten Jahren auch<br />

die betrieblichen Strukturen mit gewachsen. Ausgangspunkt waren<br />

Arbeitszeiten mit einer 6-Tage-Woche und Arbeitsblöcken von zwölf<br />

Tagen Arbeit hintereinander und anschließenden zwei freien Tagen.<br />

Das Aufbrechen dieser Strukturen und die Etablierung einer 5-Tage-<br />

Woche hat relativ viel Zeit in Anspruch genommen. Dieser Prozess<br />

ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Eine Strategie, um das Ziel<br />

einer menschengerechten Schichtplangestaltung zu erreichen, war<br />

es, den Anteil der Teilzeitbeschäftigten zu erhöhen. Damit wurde<br />

ein Kulturwandel eingeleitet, der einerseits die alten Zeitmuster<br />

ablöste und andererseits das Selbstbewusstsein der Beschäftigten<br />

57


stärken sollte, ihre Zeitbedürfnisse in die Praxis umzusetzen.<br />

Der Betriebsrat musste zunächst viel Arbeit investieren, um die<br />

tarifl ichen Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung aus familiären<br />

Gründen zu verbreiten. Dabei wurden auch härtere Konfl ikte und<br />

die Anrufung der Einigungsstelle nicht gescheut, um die Teilzeitwünsche<br />

der Kollegen/innen umzusetzen. Mittlerweile gehört es zur<br />

Normalität Teilzeit anzubieten.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt der Betriebsratsarbeit lag auf der<br />

Sensibilisierung für Vereinbarkeitsthemen. Beschäftigten, die<br />

sich oft mit ihrer „helfenden Grundhaltung“ vor den Karren der<br />

Krankenhausleitung spannen ließen, sollte Mut gemacht werden,<br />

die eigenen Bedürfnisse anzumelden und eigene Zeitinteressen zu<br />

verwirklichen. Initiativen des Betriebsrates wie Gesundheitstage<br />

oder Informationsveranstaltungen mit Experten/innen (z. B. um<br />

Auswirkungen von <strong>Schichtarbeit</strong> zu verdeutlichen) halfen ebenso<br />

wie die ver.di-Kampagne „mein Frei gehört mir“, den Einfl uss des<br />

Arbeitgebers zurückzudrängen und eine positive Stimmung für<br />

die Neugestaltung von Schichten mit kürzeren Blöcken und eingestreuten<br />

Nachtschichten zu erzeugen. Dies hat wesentlich dazu<br />

beigetragen, eine „Kultur des Wünscheäußerns“ zu etablieren und<br />

gleichzeitig die Solidarität für Kollegen/innen mit <strong>Familie</strong>naufgaben<br />

zu fördern.<br />

Das aktuell eingeleitete Auditverfahren „<strong>Beruf</strong> und <strong>Familie</strong>“<br />

verfolgt das Ziel, die guten Arbeitszeitpraktiken zu systematisieren.<br />

Hier soll ein Kompromiss gefunden werden zwischen kollektiven<br />

Standards, die für alle Beschäftigten gelten und kreativen<br />

Lösungen, die aus den Teams kommen. Um mehr Gerechtigkeit<br />

herzustellen, sollen nun verstärkt auch die Abteilungen im<br />

Krankenhaus profi tieren, deren Bedingungen ungünstiger waren.<br />

Aktuell wird an einer gerechteren Urlaubsfestlegung gefeilt, die<br />

allgemeine Kriterien festlegt. Wer dann z. B. im Sommerurlaub zu<br />

kurz gekommen ist, wird in den nächsten Ferien bevorzugt berücksichtigt.<br />

Ob die Vereinheitlichungen am Ende in eine Betriebsvereinbarung<br />

fl ießen werden, ist noch nicht sicher. Denn zu viele Regelungen<br />

bergen nach Einschätzung des Betriebsratsvorsitzenden Arthur<br />

Harms auch die Gefahr, dass die Flexibilität in den Teams wieder<br />

eingeengt wird und neue Entwicklungen unterbunden werden.<br />

Wie produktiv diese Freiräume sein können, hat die Einführung<br />

des Zwischendienstes gezeigt, der zuerst als individuelle Lösung<br />

in einer Abteilung eingeführt wurde. Hier hatten die Kollegen/<br />

innen diskutiert, ob es nicht andere Lösungen für den frühen<br />

Arbeitsbeginn geben kann und untereinander Zwischenlösungen<br />

abgesprochen, die dann im Team ausgedehnt wurden. Schließlich<br />

sprach sich das Beispiel in den anderen Stationen herum und<br />

wurde auch dort übernommen. Daran zeigt sich wie ein neues<br />

Zeitelement behutsam in bestehende Schichtmodelle integriert<br />

werden kann.<br />

Aufgabe des Betriebsrates<br />

Der Betriebsrat hat diesen Prozess insoweit unterstützt, dass die<br />

Freiheiten in den Teams geschützt wurden und die Verbreitung<br />

neuer Ideen und Lösungen in anderen Abteilungen begleitet wurde<br />

und wird. Ansonsten besteht die Hauptaufgabe der Interessenvertretung<br />

darin, zum einen die überbordenden Ansprüche des<br />

Arbeitgebers zurückzuweisen und zum anderen, den Beschäftigten<br />

den Rücken zu stärken. Durch die Stärkung der individuellen Durchsetzungsmöglichkeiten<br />

soll der kulturelle Wandel forciert werden.<br />

Vielfalt und neue Initiativen sollen zugelassen werden ohne die<br />

kollektiven Interessen aus dem Blick zu verlieren.<br />

Auch beim nächsten anstehenden Thema, dem demografi schen<br />

Wandel, sollen auf diese Weise Konzepte gefunden werden, wie<br />

Arbeitsabläufe und Arbeitszeitgestaltung angepasst werden<br />

können.<br />

Last but not least verweist Arthur Harms auf die schwierigen<br />

gesellschaftspolitischen Bedingungen der Krankenhäuser. Die<br />

Konditionen müssen hier dringend verbessert werden, um eine gute<br />

Pfl ege zu gewährleisten und gleichzeitig die Arbeitsverdichtung der<br />

Beschäftigten zu verhindern, damit deren Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong><br />

und <strong>Beruf</strong> gelingen kann.<br />

B) Hotel Excelsior Berlin<br />

Nicht selten stehen kleine und mittlere Unternehmen vor der<br />

Herausforderung, Flexibilität für ihre Beschäftigten zu ermöglichen.<br />

Kommen schwierige Rahmenbedingungen der Branche hinzu,<br />

kann die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> leicht zu einem<br />

Exotenthema degradiert werden. Im Allgemeinen ist die Beschäftigung<br />

im Hotel- und Gaststättenbereich durch geringe Bezahlung<br />

und wenig familienbewusste Arbeitszeiten gekennzeichnet.<br />

Wechselnde Arbeitszeiten mit geringer Verlässlichkeit, <strong>Schichtarbeit</strong>,<br />

Arbeit zu ungewöhnlichen Zeiten, Wochenendarbeit oder Saisonarbeit<br />

sind nicht unüblich. Die Europäische Agentur für Sicherheit<br />

und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz stellte schon 2008 für die<br />

Beschäftigten von Hotels, Restaurants und Cateringunternehmen<br />

steigende Risiken im psychosozialen und körperlichen Bereich<br />

(z. B. Arbeiten im Stehen und Gehen, ungünstige klimatische Bedingungen)<br />

fest. Hinzu kommen unsichere Arbeitsverhältnisse mit<br />

Zeitverträgen und Arbeit unter Zeitdruck, unregelmäßiger Arbeitsanfall<br />

sowie ständiger Kontakt mit den Kunden. Dies hat zur Folge,<br />

dass die Fluktuation groß ist. Auch sind Interessenvertretungen<br />

besonders in privat geführten Hotels kaum zu fi nden. Weitere<br />

negative Bedingungen wie fehlende Tarifbindung, die Konkurrenz<br />

zu gelben Gewerkschaften und die Behinderung von Betriebsratsarbeit<br />

tragen nicht gerade dazu bei, die Arbeitsbedingungen sowie<br />

das Image der Branche zu verbessern.<br />

Umso wichtiger sind Ausnahmebeispiele in schwierigen Branchen.<br />

Das Vier-Sterne-Hotel Excelsior in Berlin beschäftigt 74 Menschen.<br />

Die Hälfte der Beschäftigten ist weiblich, vier Frauen arbeiten<br />

Teilzeit und drei befi nden sich in Elternzeit. In Schicht arbeiten<br />

sieben Beschäftigte.<br />

Eine Besonderheit im Hotel- und Gaststättengewerbe ist die hohe<br />

zeitliche Flexibilität, da die Belegungszahlen immer kurzfristig<br />

schwanken können. Auch wenn Berlin als Touristenmagnet<br />

ganzjährig wirkt und kaum jahreszeitliche Schwankungen<br />

58


auftreten, können sich die betrieblichen Abläufe kurzfristig<br />

verändern. Das Excelsior Hotel Berlin wird von den Grand City<br />

Hotels & Resorts verwaltet, aber auf der Ebene der Arbeitsorganisation<br />

eigenständig gestaltet.<br />

<strong>Familie</strong>nfreundliche Maßnahmen<br />

<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> Regelungen im Hotel sind einerseits die verlässlichen<br />

und geregelten Arbeitszeiten mit nur wenigen Überstunden<br />

und andererseits individuelle Möglichkeiten, die eigene Work-Life-<br />

Balance herzustellen.<br />

In einer Betriebsvereinbarung ist festgeschrieben, dass bei der<br />

Dienstplangestaltung der Arbeitgeber auf die <strong>Familie</strong>npfl ichten der<br />

Beschäftigten Rücksicht zu nehmen hat. Wenn z. B. die Kinder am<br />

Wochenende nicht betreut werden können, wird in Absprache mit<br />

dem Vorgesetzten nach alternativen Lösungen gesucht. Aufgrund<br />

des relativ hohen Durchschnittsalters der Beschäftigten im Hotel<br />

hat auch das Thema Vereinbarkeit von Pfl ege und <strong>Beruf</strong> an<br />

Bedeutung gewonnen. Viele ältere Beschäftigte haben Pfl egeaufgaben<br />

übernommen, die sich schlecht mit den betrieblichen<br />

Zeit anforderungen vereinbaren lassen. Hier besteht die Möglichkeit<br />

zur kurzfristigen unbezahlten Freistellung.<br />

Auch das Thema Gesundheit steht seit einiger Zeit auf der betrieblichen<br />

Agenda. Alle vier Wochen ist der Betriebsarzt vor Ort,<br />

kontrolliert und berät die Beschäftigten vor allem in Bezug auf die<br />

Arbeitssicherheit und gesundheitliche Belastungen.<br />

Schichtsystem<br />

Früher war es üblich die Beschäftigten unabhängig von der Qualifi<br />

zierung in Vertretungsfällen relativ willkürlich überall im Haus<br />

einzusetzen. In den Arbeitsverträgen ist jetzt sichergestellt, dass<br />

die Dienstpläne nur noch qualifi kationsgerecht besetzt werden.<br />

Dennoch existieren keine festen Arbeitsgruppen, die Beschäftigten<br />

werden variabel eingesetzt. Bestimmte Aufgabenbereiche<br />

sind auf bestimmte Zeiten festgelegt. Das Housekeeping-Team<br />

arbeitet größtenteils in der Frühschicht; lediglich zwei Beschäftigte<br />

werden hier im Spätdienst eingesetzt. Beschäftigte im<br />

Service- und Küchenbereich arbeiten dagegen je nach Geschäft<br />

im Früh- und Spätdienst. Über Qualifi zierungsmaßnahmen besteht<br />

die Möglichkeit, auch in anderen Bereichen zu arbeiten. Aber eine<br />

Frühstücksserviererin wird nach dem für sie geltenden Arbeitsvertrag<br />

nur in der Frühschicht eingesetzt. Spezielle Schichten wie<br />

etwa Arbeit nur am Wochenende werden nicht mehr angeboten.<br />

Damit soll ein zeitlicher Wildwuchs verhindert und möglichst<br />

gerechte Zeitverteilungen für alle Beschäftigten ermöglicht werden,<br />

ohne auf individuelle Freiräume zu verzichten.<br />

Die Planung erfolgt in zwei Schichten von Montag bis Sonntag mit<br />

Früh- und Spätdienst mit roulierenden Schichten an fünf Tagen in<br />

der Woche und anschließenden zwei Tagen frei, wobei die freien<br />

Tage über die Woche rollen. In der Regel wird der Dienst wochenweise<br />

gewechselt. Darüber hinaus gibt es noch eine spezielle<br />

Mittelschicht. Die Dienstpläne sind so gestaltet, dass mindestens<br />

zwei freie Wochenenden pro Monat zur Verfügung stehen.<br />

Besonders viel Wert legt der Betriebsratsvorsitzende Ingolf Noske<br />

auf festgelegte, verlässliche Arbeitszeiten. In einer Betriebsvereinbarung<br />

„Dienstplan“ ist beschlossen, dass die Dienstpläne 14 Tage<br />

vor dem ausgeschriebenen Dienst aushängen müssen. Hiervon wird<br />

nur in Ausnahmefällen abgewichen, wenn unvorhergesehene Dinge<br />

passieren. Es wird versucht, <strong>Familie</strong>ninteressen in den Dienstplan<br />

zu integrieren: So wird z. B. darauf geachtet, dass alleinerziehende<br />

Mütter und Väter keine Spätdienste übernehmen.<br />

Die Dienstpläne werden von den Vorgesetzten erarbeitet und vom<br />

Betriebsrat drei Wochen im Voraus kontrolliert und genehmigt.<br />

Entsprechen die Dienstpläne nicht den vereinbarten Regelungen,<br />

werden sie unter Angabe der sachlichen Gründe abgelehnt.<br />

Gleiches gilt für kurzfristige Änderungen der Dienstpläne. Diese<br />

strikte Kontrolle der Arbeitszeiten garantiert in hohem Maße die<br />

Planbarkeit für die Beschäftigten.<br />

Gleitzeiten oder Übergabezeiten existieren im Hotel nicht. Aber<br />

auf einem Zeitkonto, das im Haustarifvertrag festgelegt ist, können<br />

zehn Plusstunden bzw. fünf Minusstunden angesammelt werden.<br />

Überstunden werden mit 33,5 % vergütet und müssen innerhalb<br />

eines halben Jahres ausgeglichen werden. Das kann wahlweise<br />

in Freizeit- oder Geldausgleich erfolgen. Dadurch hat auch der<br />

Arbeitgeber ein großes Interesse an der Einhaltung der normalen<br />

Arbeitszeiten. Die geringen Kontogrenzen haben dazu geführt,<br />

dass Überstunden erfolgreich eingedämmt wurden. Darüber hinaus<br />

werden die wöchentliche Obergrenze von 48 Stunden und tägliche<br />

10-Stunden-Grenze nicht überschritten.<br />

Auch wenn es nach Einschätzung des Betriebsrates an vielen<br />

Stellen Verbesserungsbedarf gibt, ist er mit der betrieblichen<br />

Zeitgestaltung zufrieden. Die gute Planbarkeit durch feste Dienstpläne<br />

in Kombination mit der Realisierung individueller Variationsmöglichkeiten<br />

hilft die Vereinbarkeitssituation der Beschäftigten zu<br />

verbessern. Auch die Vermeidung von Überstunden ist ein wesentlicher<br />

Faktor, um die betrieblichen Anforderungen zurückzudrängen.<br />

Einführungsprozess<br />

Das ursprüngliche Arbeitszeitmodell war dadurch gekennzeichnet,<br />

dass die hohe Flexibilität in erster Linie den betrieblichen Erfordernissen<br />

diente. Arbeitszeiten waren kaum verlässlich und Mehrarbeit,<br />

wie in der Hotelbranche allgemein üblich, gang und gäbe.<br />

Auch den Rechten der Auszubildenden wurde wenig Beachtung<br />

geschenkt. Nach dem Motto „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“<br />

wurden dem Nachwuchs viele Belastungen zugemutet, ohne einen<br />

entsprechenden Ausgleich dafür anzubieten.<br />

Die erfolgreichen familienfreundlichen Maßnahmen sind vor allem<br />

das Ergebnis eines längeren Prozesses, in dem zunächst einmal<br />

die Rechte der Interessenvertretung durchgesetzt werden mussten<br />

und der Arbeitgeber den Betriebsrat als gleichwertigen Verhandlungspartner<br />

anerkannt hat. In einem 6-jährigen Prozess mit vielen<br />

harten Auseinandersetzungen wie Einigungsstellen und Arbeitsgerichtsverfahren<br />

konnte der Betriebsrat einen Status erkämpfen,<br />

bei dem die Interessenvertretung vom Arbeitgeber ernst genommen<br />

wird und die Interessen der Beschäftigten auch durchgesetzt<br />

werden. Die klare und kompromisslose Linie des Gremiums und das<br />

59


ständige Insistieren auf Arbeitnehmerrechte hat dazu beigetragen,<br />

sich Respekt gegenüber der Geschäftsführung zu verschaffen.<br />

Heute dürfen Auszubildende grundsätzlich keine Überstunden<br />

machen. Und die verlässlichen und familienfreundlichen Arbeitszeiten<br />

sind dem Druck des Betriebsrates zu verdanken.<br />

Eine Botschaft des Betriebsrates für Betriebe in einer schwierigen<br />

Branche mit traditionell starken Arbeitgebern lautet: Um die Vereinbarkeit<br />

von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> zu verbessern, muss zunächst einmal<br />

die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenvertretung gestärkt<br />

werden.<br />

C) Rasselstein, Andernach<br />

Die Rasselstein GmbH ist ein Unternehmen der Metallbranche und<br />

ein führender Hersteller von Weißblechen in Europa. Am Standort<br />

Andernach in Rheinland-Pfalz sind 2.400 Menschen beschäftigt,<br />

wovon ca. 1.500 (63 %) in Schicht arbeiten. Waren vor einigen<br />

Jahren Frauen in der Produktion eine absolute Ausnahme, werden<br />

mittlerweile auch dort zunehmend mehr beschäftigt. Heute<br />

arbeiten 40 Frauen im gewerblichen Bereich.<br />

Die hohe Attraktivität von Rasselstein – auch aufgrund von<br />

<strong>Familie</strong>nfreundlichkeit, Gesundheitsprojekten und einem guten<br />

Schichtmodell – ist mittlerweile so groß, dass es kaum Fluktuation<br />

gibt. Mit 10 Jahren Betriebszugehörigkeit gehört man eher zu den<br />

„jüngeren“ Beschäftigten. Auf eine freie Stelle kommen 30 Bewerbungen<br />

und 2011 wurden 60 Auszubildende – bei 900 Bewerbungen<br />

– eingestellt.<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

Rasselstein wurde im Jahr 2006 durch die Hertie-Stiftung als<br />

„familienfreundlicher Betrieb“ zertifi ziert. Doch <strong>Familie</strong>nfreundlichkeit<br />

bei Rasselstein begann bereits im Jahr 2000, als eine<br />

Ingenieurin Nachwuchs bekam. Da es der Personalabteilung nicht<br />

gelang, die Stelle adäquat zu besetzen, musste ein anderer Weg<br />

gefunden werden. Die Beschäftigte war bereit, nach einem Jahr<br />

wieder in ihren <strong>Beruf</strong> zurückzukehren. Um diesen frühen Wiedereinstieg<br />

zu ermöglichen, baute das Unternehmen eine Kooperation<br />

mit einer Kindertagesstätte in Andernach auf. Der Betrieb sponserte<br />

den Belegplatz, die Kollegin erhielt einen Zuschuss von monatlich<br />

153,– Euro für die Kinderbetreuungskosten. Der Betriebsrat setzte<br />

sich dafür ein, dass alle Eltern von diesem Unterstützungsangebot<br />

profi tieren. So entstand die betrieblich geförderte Kinderbetreuung<br />

bei Rasselstein. Heute kooperiert das Unternehmen mit<br />

zwei Kindertagesstätten, die Krippen- und Kindergärtenplätze zur<br />

Verfügung stellen sowie spontane Notfallbetreuung anbieten.<br />

Diese familienfreundliche Maßnahme trägt dazu bei, dass 80%<br />

der Elternzeitler/innen nach ca. einem Jahr wieder in den Betrieb<br />

zurückkehren.<br />

Seitdem hat sich eine Menge getan: Heute bietet das Unternehmen<br />

Dienstleistungen an wie z. B. einen Wasch- und Bügelservice oder<br />

eine Informations- und Beratungsstelle für Beschäftigte, die in<br />

Elternzeit gehen oder pfl egebedürftige Angehörige betreuen. Für<br />

die Beschäftigten besteht die Möglichkeit, Essen aus der Kantine<br />

mit nach Hause zu nehmen.<br />

Parallel hierzu wurden im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung<br />

verschiedene Maßnahmen eingeführt, die Gesundheit<br />

und Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> miteinander verbanden.<br />

Im Jahr 2003 wurde das Projekt „Der gesunderhaltende Betrieb“<br />

gestartet, mit dem Ziel, das Wohlbefi nden der Beschäftigten zu<br />

verbessern, Belastungen am Arbeitsplatz zu reduzieren und individuelle,<br />

soziale und organisatorische Ressourcen aufzubauen. Neben<br />

der Qualifi zierung von Führungskräften und Beschäftigten im<br />

Bereich der Gesundheitsförderung und des Arbeitsschutzes wurden<br />

die Betriebsräte zu Gesundheitsauditoren/innen ausgebildet. Sie<br />

führen seitdem im Betrieb regelmäßige Arbeitsplatzanalysen durch,<br />

um gemeinsam mit den Kollegen/innen vor Ort den jeweiligen<br />

Arbeitsplatz unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes und der<br />

Gesundheitsförderung zu kontrollieren und ggf. zu optimieren.<br />

Des Weiteren bietet der Betrieb im Rahmen der Prävention allen<br />

Kollegen/innen regelmäßige Gesundheits-Checks an. Seit 2008<br />

gibt es für die Beschäftigten ein eigenes Trainingscenter, in dem<br />

sie kostenlos unter fachlicher Betreuung trainieren können. Das<br />

Trainingszentrum ist mehr als nur ein Fitnesscenter. Dort können<br />

auch akute und chronische Muskel- und Skeletterkrankungen<br />

mit Krankengymnastik und gerätegestützter Therapie behandelt<br />

werden.<br />

Auch die <strong>Familie</strong>nangehörigen der Beschäftigten werden in das<br />

Projekt einbezogen. Sie können z. B. an internen Weiterbildungsangeboten<br />

im Bereich der Gesundheitsförderung teilnehmen.<br />

Der Betriebsrat möchte zudem erreichen, dass <strong>Familie</strong>nmitglieder<br />

langfristig das eingerichtete Sportstudio nutzen und mittags in der<br />

Kantine essen gehen können.<br />

Besonderheiten im Schichtsystem<br />

Belastungen in der <strong>Schichtarbeit</strong> fallen z. B. durch körperlich<br />

schwere Tätigkeiten vor allem im Verpackungsbereich an und durch<br />

monotone Überwachungstätigkeiten in der Produktion. Zusätzlich<br />

machen Lärm, Hitze und Schmutz den Beschäftigten in verschiedenen<br />

Produktionsbereichen zu schaffen.<br />

60


Schichtplan Rasselstein<br />

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag Sonntag<br />

1. Woche F F S S N N<br />

2. Woche F F S S<br />

3. Woche N N F<br />

4. Woche F S S N N<br />

5. Woche F F S S N<br />

6. Woche N F F<br />

7. Woche S S N N<br />

8. Woche F F S S N N<br />

9. Woche F F S<br />

10. Woche S N N<br />

(Erläuterung: F = Frühschicht, S = Spätschicht, N = Nachtschicht)<br />

In der Produktion wird in fünf Schichten gearbeitet: Zwei Tage früh,<br />

zwei Tage spät, zwei Tage nachts und schließlich vier Tage frei.<br />

Dieses Muster verteilt sich gleichmäßig über das Jahr, was eine<br />

große Verlässlichkeit und Planungssicherheit garantiert. Mit den<br />

fünf Schichten kann eine gleiche Schichtzusammensetzung mit<br />

eingespielten Teams gewährleistet werden. Am Anfang der Schichtumstellung<br />

wurde das System mit 4,5 Schichten und fl exibler<br />

Zusammensetzung gefahren, was sich nicht bewährt hat. Die<br />

kurzen Blöcke entsprechen jetzt den modernen arbeitswissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen. Sie verhindern mit dem schnellen Wechsel<br />

eine Gewöhnung an die Nachtschicht und vermindern dadurch die<br />

gesundheitlichen Risiken. Gleichzeitig sind die sozialen Nachteile<br />

geringer als im alten System, wo jeweils wochenlange Zeiten<br />

für die Erwerbsarbeit geblockt waren und regelmäßige Termine<br />

außerhalb der Arbeit kaum wahrgenommen werden konnten. Auch<br />

der zusammenhängende längere Freizeitblock ist ausreichend, um<br />

sich zu erholen und Zeit mit der <strong>Familie</strong> zu verbringen. Zumindest<br />

alle drei Wochen sind die Wochenenden frei.<br />

Die Besonderheit des Schichtmodells ist, dass es auf etwas mehr<br />

als 32 Stunden pro Monat ausgelegt ist. Der überwiegende Teil<br />

der Beschäftigten (96 %) arbeitet freiwillig Teilzeit und muss nur<br />

wenige Ausgleichsschichten zusätzlich erbringen, um auf die<br />

vereinbarte Arbeitszeit zu kommen. Vollzeitbeschäftigte haben<br />

dagegen den Nachteil, dass die Freizeitblöcke immer wieder durch<br />

Zusatzschichten verkürzt werden und damit der Erholungswert<br />

des Schichtmodells sinkt. Bei einer 32-Stunden-Woche müssen<br />

drei Mal im Jahr zusätzliche Bringschichten geleistet werden (bei<br />

einer 33-Stunden-Woche: 6 Bringschichten; bei einer 34-Stunden-<br />

Woche: 11 Bringschichten). Um die Teilzeitbeschäftigung möglichst<br />

attraktiv zu machen wurden die steuerfreien Schichtzuschläge<br />

optimiert. Durch geschickte Schichtplanung in den Zeiten, in denen<br />

mehr Zuschläge bezahlt werden, konnten die Gehaltsnettoverluste<br />

begrenzt werden.<br />

Darüber hinaus werden die Arbeitszeiten auf einem Zeitkonto<br />

verbucht. Plus- oder Minusstunden können durch Zusatzschichten<br />

entstehen, wenn Kollegen/innen ausfallen oder umgekehrt, wenn<br />

Bringschichten durch freie Tage nicht realisiert werden können oder<br />

sich Produktionsausfälle ereignen. Die Höchstgrenzen betragen<br />

plus/minus 100 Stunden. Innerhalb eines Zeitraums von zwei<br />

Jahren müssen die Konten wieder ausgeglichen werden, was in<br />

einer Ergänzungstarifvereinbarung geregelt ist. Werden bestimmte<br />

Zeitgrenzen überschritten, greifen Mechanismen nach dem Ampelprinzip:<br />

Bei plus/minus 40 Stunden befi ndet man sich im grünen<br />

Bereich; bei plus/minus 60 Stunden ist man im gelben Bereich,<br />

wird gewarnt und muss sich Gedanken machen, wie die Stunden<br />

abgebaut/aufgebaut werden können; bei plus/minus 80 Stunden<br />

trifft die Teamleitung verbindliche Vereinbarungen mit der/dem<br />

Beschäftigten, in welcher Weise die Stunden ab- bzw. aufgebaut<br />

werden. Der Ausgleich der Zeitkonten erfolgt in der Regel durch<br />

ganze Tage. Auch stundenweise Zeitentnahmen sind möglich,<br />

da bei den regelmäßigen Teambesprechungen auch einzelne<br />

Plusstunden anfallen können. Eine Folge der Einführung von<br />

Konten ist der Wegfall von Mehrarbeit.<br />

Innerhalb der normalen Schichten sind Möglichkeiten der individuellen<br />

Flexibilität vorgesehen: So ist ein Schichttausch zwischen<br />

61


Kollegen/innen üblich, wenn z. B. die Freischichten aus familiären<br />

Gründen anders gelegt werden sollen. Verkürzungen der Schichtlängen<br />

sind im Allgemeinen nicht möglich. Aber für einen<br />

bestimmten Zeitraum können Beschäftigte, z. B. wenn sie einen<br />

Angehörigen pfl egen, nur in einer bestimmten Schicht arbeiten.<br />

Eine Dauernachtschicht ist dagegen aus gesundheitlichen Gründen<br />

grundsätzlich für alle Beschäftigten ausgeschlossen.<br />

Zur Optimierung der Schichtübergaben überlappen sich die<br />

Schichten um 15 Minuten. Für das Übergabegespräch sind fünf<br />

Minuten eingeplant. Da die/der übergebende Kollege/in früher<br />

gehen könnte, wird als Ausgleich eine zusätzliche Freischicht pro<br />

Jahr für alle Schichtbeschäftigten gewährt.<br />

Auch die betriebliche Flexibilität kann in wirtschaftlichen Krisenzeiten<br />

erweitert werden. Durch kurzfristige Reaktion auf betriebliche<br />

Schwankungen kommt der Betriebsrat dem Unternehmen<br />

entgegen. Im Gegenzug wird verhindert, dass Beschäftigte in<br />

Kurzarbeit gehen müssen.<br />

Insgesamt bewertet Betriebsrat Robert Verbücheln das Arbeitszeitmodell<br />

sehr positiv. Beleg für den Erfolg des Schichtmodells ist die<br />

große Zufriedenheit der Beschäftigten: Insbesondere hat sich das<br />

soziale Leben enorm verbessert, da das <strong>Familie</strong>nleben nicht mehr<br />

wochenweise stattfi ndet. Früher konnte es öfter passieren, dass<br />

man Aktivitäten mit den Kindern um zwei Wochen verschieben<br />

musste, weil sich z. B. das Wetter zum gemeinsamen Schwimmbadbesuch<br />

verschlechtert hatte. Jetzt bietet der kurze Rhythmus eine<br />

gute Planbarkeit und bessere Möglichkeiten mit Freunden/<strong>Familie</strong><br />

oder in Vereinen aktiv zu sein. Auch bei kurzfristigem Zeitbedarf<br />

des Arbeitgebers wird auf die Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong><br />

Rücksicht genommen. Mittlerweile können sich die Beschäftigten<br />

kein anderes Arbeitszeitmodell mehr für die Schicht vorstellen.<br />

Auch der Betriebsrat sieht hier kaum noch Verbesserungsbedarf.<br />

Die große Aufmerksamkeit anderer Betriebe für das Rasselsteiner<br />

Schichtmodell zeigt die hohe Attraktivität. Viele andere Unternehmen<br />

möchten das Schichtsystem übernehmen und kommen zu<br />

Rasselstein um sich vor Ort vom Schichtmodell zu überzeugen.<br />

Im Laufe der Jahre wurden immer wieder kleinere Verbesserungen<br />

in das Schichtsystem eingeführt. Im Rahmen eines wissenschaftlichen<br />

Projektes (Kronos-Projekt) sollten demografi efeste Elemente<br />

in das Schichtmodell integriert werden. Dabei wurde insbesondere<br />

überlegt, wie durch veränderte Schichtzeiten (z. B. Verlegung des<br />

Beginns der Frühschicht von 5:00 auf 6:00 Uhr) das Schlafverhalten<br />

positiv beeinfl usst werden könnte. Auch wenn in der Pilotphase<br />

durchaus positive Effekte auf den Schlaf festzustellen waren, wurde<br />

die Schicht nicht eingeführt, da andere negative Folgen das Schlafverhalten<br />

konterkarierten. Auch die Einführung von Kurzpausen<br />

scheiterte daran, dass der Aufwand für die Pausenvorbereitung<br />

(Händewaschen, Absprachen mit Kollegen/innen) nicht angemessen<br />

erschien. Hier zeigt sich, wie wichtig eine Pilotphase ist. Trotz guter<br />

Ideen und Vorsätze konnten sich die möglichen Verbesserungen<br />

nicht in der Praxis bewähren.<br />

Einführungsprozess<br />

Vor der Einführung des aktuellen Schichtsystems wurde klassisch<br />

in langen Schichtblöcken gearbeitet mit sieben Tagen Früh-, Spätund<br />

Nachtschicht und anschließender Freiwoche. Der Auslöser<br />

für die Umstellung war Mitte der 90er Jahre ein vom Arbeitgeber<br />

geplanter Personalabbau, der 40 Kollegen/innen treffen sollte. In<br />

einer solidarischen Aktion konnte der Betriebsrat einen Teil der<br />

Belegschaft dazu bewegen, ihre Arbeitszeiten zu verkürzen und<br />

damit die Entlassung abwenden. Damit wurde der Einstieg in<br />

die Teilzeit eingeleitet. Auch in der letzten Finanzkrise wurde das<br />

Instrument zur Beschäftigungssicherung genutzt, indem weitere<br />

Beschäftigte überzeugt werden konnten von Vollzeit in Teilzeit zu<br />

wechseln.<br />

Gleichzeitig wurde der Umsetzungsprozess von der Universität<br />

Karlsruhe wissenschaftlich durch Prof. Knauth begleitet. Dazu<br />

zählten eine umfangreiche Informations- und Diskussionsphase<br />

mit anschließender Einführung einer Pilotgruppe, in der das<br />

spätere Schichtmodell getestet wurde. Anfangs war die Skepsis<br />

der Beschäftigten gegenüber dem neuen Modell sehr groß. Eine<br />

typische Reaktion auf die neuen Arbeitszeiten war: „Welches Hirn<br />

denkt sich denn so einen Unsinn aus? Da kann man sich doch nicht<br />

dran gewöhnen!“ Dann verbreiteten sich erste positive Berichte<br />

aus der Pilotgruppe und konnten allmählich die Widerstände gegen<br />

den neuen Schichtrhythmus verringern. Hilfreich war sicher auch<br />

die Bereitschaft der Kollegen/innen in Teilzeit zu wechseln, um<br />

damit die Beschäftigungssicherung möglich zu machen.<br />

Auch der Arbeitgeber leistete einen Beitrag indem auf eine der drei<br />

zusätzlichen Bringschichten (bei der 32-Stunden-Woche) verzichtet<br />

wurde. Der größere Arbeitsaufwand durch die Kontoführung<br />

und die Optimierung der Schichten für die Teilzeitbeschäftigten,<br />

wurde relativ schnell dadurch ausgeglichen, dass keine Menschen<br />

entlassen wurden, das Betriebswissen dem Unternehmen nicht<br />

verloren ging und in wirtschaftlich guten Zeiten Kosten für Einarbeitung/Rekrutierung<br />

neuer Beschäftigter eingespart wurden.<br />

Die letzten Zweifel der Kollegen/innen wurden aber erst in der<br />

eigenen Praxis mit dem neuen Schichtmodell beseitigt. Damals<br />

bestand nach der alten Altersteilzeitregelung in der aktiven Teilzeitphase<br />

die Möglichkeit wieder auf die 35-Stunden-Woche zu gehen,<br />

was aber kaum eine/r der Kollegen/innen in Anspruch nahm.<br />

Vielmehr fi el die Entscheidung zugunsten von mehr Freizeit und<br />

weniger Geld aus.<br />

62


17. Literatur<br />

• Beermann, Beate (2008): Nacht und <strong>Schichtarbeit</strong> – ein Problem der<br />

Vergangenheit, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin,<br />

Dortmund, www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/artikel10.<br />

html<br />

• BKK Bundesverband (2010): BKK Gesundheitsreport 2010,<br />

Gesundheit in einer älter werdenden Gesellschaft, Berlin<br />

• Bispinck, Reinhard (Hg.) (2005): WSI-Tarifhandbuch 2005,<br />

Schwerpunkt Tarifregelungen zu Frauen, <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong>,<br />

Frankfurt am Main<br />

• Brussig, Martin (2011): Altersübergangsreport 2011, Duisburg<br />

www.iaq.uni-due.de/auem-report/2011/2011-02/auem2011-02.pdf<br />

• Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011):<br />

Fachkräftesicherung. Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung,<br />

Berlin www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/<br />

fachkraeftesicherung-ziele-massnahmen.pdf;jsessionid=3E3109E95<br />

C7D609E71F656A966E313B8?__blob=publicationFile)<br />

• Deutscher Bundestag (2002): Demographischer Wandel –<br />

Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an den<br />

Einzelnen und die Politik, Schlussbericht der Enquête-Kommission,<br />

Drucksache 14/8800, 28. 03. 2002, Berlin<br />

• Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin<br />

(2006): Arbeitsmedizinische Leitlinie Nacht- und <strong>Schichtarbeit</strong>,<br />

www.dgaum.de/images/stories/Leitlinien/LL%20Nacht-Schicht-PDF.<br />

pdf<br />

• Deutscher Gewerkschaftsbund (2011): Psychische Erkrankungen<br />

nicht länger tabuisieren, Pressemitteilung des DGB vom 27. 04. 2011<br />

www.dgb.de/search?tab=Artikel&display_page=1&search_<br />

text=Welttag%20f%C3%BCr%20Sicherheit%20am%20<br />

Arbeitsplatz<br />

• Deutscher Gewerkschaftsbund Bundesvorstand (Hg.) (2008):<br />

Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> als Handlungsfeld<br />

der betrieblichen Gesundheitsförderung – Ein modulares<br />

Schulungskonzept für gewerkschaftliche Bildungsanbieter, Berlin<br />

• DGB-Index Gute Arbeit (2009): Der Report 2009. Wie die<br />

Beschäftigten die Arbeitswelt in Deutschland beurteilen, Berlin<br />

www.dgb-index-gute-arbeit.de/downloads/publikationen/data/<br />

diga_report_09.pdf<br />

• DGB-Index Gute Arbeit (2007): Work-Life-Balance 2007 – Der<br />

Report. Wie die Beschäftigten die Vereinbarkeit von <strong>Beruf</strong>s-,<br />

<strong>Familie</strong>n- und Privatleben beurteilen, Berlin<br />

www.dgb-index-gute-arbeit.de/downloads/publikationen/data/<br />

Work-Life-Balance%202007%20-%20Der%20Report.pdf<br />

• Düwell, Franz-Josef; Göhle-Sander, Kristina; Kohte, Wolfhard<br />

(2009): Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong>, Juris Praxiskommentar,<br />

Saarbrücken<br />

• European Agency for Safety and Health at Work (2008):<br />

Internetdokument, http://osha.europa.eu/en/press/press-releases/<br />

news_article.2008-01-30_Stress<br />

• Ehrenstein, Wolfgang; Ambs-Schulz, Margot; Nagel, Ulrike;<br />

Brunnhofer, Bernd (1989): Chronobiologische, soziale und<br />

gesundheitliche Auswirkungen industrieller Zweischichtarbeit, in:<br />

Betschart, Hanspeter (Hg.), Zweischichtarbeit, S. 11–82, Bern<br />

• European Agency for Safety and Health at Work (2008):<br />

http://osha.europa.eu/en/press/press-releases/news_<br />

article.2008-01-30_Stress,<br />

• Europäische Stiftung zur Verbesserung der Arbeits- und<br />

Lebensbedingungen 2000: <strong>Schichtarbeit</strong> und Gesundheit,<br />

Europäische Zeitstudien, best 1/2000, (www.eurofound.ie) Dublin<br />

• Fergen, Andrea; Schweflinghaus, Wolfgang; Tiedemann, Andreas<br />

(2006): Gute Arbeit im Schichtbetrieb? So werden Schichtpläne<br />

besser, herausgegeben vom IG Metall Vorstand, Projekt Gute<br />

Arbeit, Frankfurt am Main<br />

• Flüter-Hoffmann, Christiane (2005): <strong>Familie</strong>nfreundliche<br />

Regelungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Beispiele<br />

guter Praxis. Herausgegeben vom Bundesministerium für <strong>Familie</strong>,<br />

Senioren, Frauen und Jugend und vom Institut der deutschen<br />

Wirtschaft Köln, Berlin<br />

• Garhammer, Manfred (1994): Balanceakt Zeit. Auswirkungen<br />

flexibler Arbeitszeiten auf Alltag, Freizeit und <strong>Familie</strong>, Berlin<br />

• Gewerkschaft der Polizei (2011): Deutsche Polizei, Zeitschrift der<br />

Gewerkschaft der Polizei, Nr. 7, Juli 2011<br />

• Groß, Hermann (2010): Vergleichende Analyse der Arbeitsund<br />

Betriebszeitentwicklung im Zeitraum von 1987 bis 2007,<br />

Sozialforschungsstelle Dortmund, Beiträge aus der Forschung,<br />

Band 176, Dortmund<br />

• Grzech-Sukalo, Hiltraud; Hänecke, Kerstin (2010): Flexible<br />

Schichtsysteme, Reihe Betriebs- und Dienstvereinbarungen,<br />

Frankfurt am Main<br />

• Grzech-Sukalo, Hiltrud; Hänecke, Kerstin (2011): Diskontinuierliche<br />

Schichtsysteme, Reihe Betriebs- und Dienstvereinbarungen,<br />

Frankfurt am Main<br />

• Harth, Volker; Pallapies, Dirk; Pesch, Beate; Johnen, Georg;<br />

Rabstein, Sylvia; Raulf-Heimsoth, Monika; Welge, Peter; Brüning,<br />

Thomas (2009): Gesundheitliche Risiken durch <strong>Schichtarbeit</strong>?<br />

Eine Übersicht der aktuellen Literatur, in IPA-Journal, Nr. 3/2009,<br />

S. 12–15<br />

• Hinnenberg, Stephanie; Nachreiner, Friedhelm; Janßen, Daniela<br />

(2006): Nutzbarkeit von Zeit im Wandel. Vergleichende Analyse von<br />

Ergebnissen aus den Jahren 1982 und 1994 mit Ergebnissen einer<br />

eigenen Erhebung aus dem Jahre 2005, Oldenburg<br />

• Huber, Achim; Stegmann, Ralf; Meissner, Frank; Berger, Jens-<br />

Jean (2006): SBV Plus, Alter, Behinderung und Arbeitsgestaltung,<br />

herausgegeben von ver.di Bundesverwaltung, IG Metall Vorstand<br />

und Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso), Frankfurt<br />

am Main<br />

• Huber, Achim; Stegmann, Ralf; Berger, Jens-Jean (2006a):<br />

SBV 3, Gesundheitsprävention durch betriebliches<br />

Eingliederungsmanagement, Arbeitsfähigkeit erhalten und sichern,<br />

herausgegeben von ver.di Bundesverwaltung, IG Metall Vorstand<br />

und Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso), Frankfurt<br />

am Main<br />

• Initiative Neue Qualität der Arbeit (inqa) (2010): Mit Prävention<br />

die Zukunft gewinnen. Strategien für eine demographiefeste<br />

Arbeitswelt, Zweites Memorandum, herausgegeben von der<br />

63


Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin<br />

www.inqa.de/Inqa/Redaktion/Zentralredaktion/PDF/Publikationen/<br />

demographie-memorandum,property=pdf,bereich=inqa,sprache=d<br />

e,rwb=true.pdf<br />

• Illmarinen, Juhani (1999): Ageing Workers in the European<br />

Union. Status and promotion of work ability, employability and<br />

employment, Finnish Institute of Occupational Health, Ministry of<br />

Social Affairs and Health, Helsinki<br />

• Illmarinen, Juhani; Tempel, Jürgen (2002): Arbeitsfähigkeit 2010.<br />

Was können wir tun, damit wir gesund bleiben? Hamburg<br />

• Klenner, Christina; Schmidt,Tanja (2007): <strong>Beruf</strong> und<br />

<strong>Familie</strong> vereinbar? Auf familienfreundliche Arbeitszeiten<br />

und ein gutes Betriebsklima kommt es an. Eine empirische<br />

Analyse. WSI-Diskussionspapier Nr. 155, Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung,<br />

Düsseldorf<br />

• Klenner, Christina; Seifert, Hartmut (1998): Zeitkonten à la carte? –<br />

Neue Modelle der Arbeitszeitgestaltung, Hamburg<br />

• Knauth, Peter (2010): Stellungnahme zu der Frage, welche<br />

Auswirkungen Sonn- und Feiertagsarbeit aus arbeits- und<br />

sozialwissenschaftlicher Sicht auf Beschäftigte und deren<br />

Angehörige hat, Karlsruhe http://ksoe.at/freiersonntag/Sonn-<br />

Feiertagsarbeit-Gutachten_Knauth.pdf<br />

• Knauth, Peter, Hornberger, Sonia (1997): <strong>Schichtarbeit</strong> und<br />

Nachtarbeit, Probleme, Formen, Empfehlungen, herausgegeben<br />

vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung,<br />

<strong>Familie</strong>, Frauen und Gesundheit, 4. Auflage, München<br />

• Knauth, Peter (1996): Arbeitswissenschaftliche Kriterien der<br />

Schichtplangestaltung, in: Kutscher u. a. (Hg.), Das flexible<br />

Unternehmen, Arbeitszeit, Gruppenarbeit, Entgeltsysteme,<br />

Wiesbaden<br />

• Kollig, Martina (2006): Gesundheitsgerechte Gestaltung von<br />

<strong>Schichtarbeit</strong>, in: Bundesarbeitsblatt, Nr. 1/2006, S. 13 – 22<br />

• Laurig, Wolfgang (1992): Grundzüge der Ergonomie. Erkenntnisse<br />

und Prinzipien, 4. Auflage, Berlin<br />

• Lehndorff, Steffen (2010): Normalität jenseits von Normen,<br />

Deutsche Sonderwege in der Arbeitszeitentwicklung, in: Groß,<br />

Hermann; Seifert, Hartmut (Hg.), Zeitkonflikte. Renaissance der<br />

Arbeitszeitpolitik, S. 69 – 98, Berlin<br />

• Lehndorff, Steffen; Wagner, Alexandra; Franz, Christine (2010):<br />

Arbeitszeitentwicklung in Europa, Führt www.iaq.uni-due.de/<br />

aktuell/veroeff/2010/lehndorff01.pdf<br />

• Maschke, Manuela; Gerburg Zurholt (2006): Chancengleich und<br />

familienfreundlich; Reihe Betriebs- und Dienstvereinbarungen,<br />

Frankfurt am Main<br />

• Matthäi, Ingrid; Morschhäuser, Martina (2009): Länger arbeiten<br />

in gesunden Organisationen. Praxishilfe zur alternsgerechten<br />

Arbeitsgestaltung in Industrie, Handel und Öffentlichem Dienst,<br />

herausgeben vom Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft<br />

e.V. (iso), Saarbrücken<br />

• Mensching, Anja; Kleuker, Mirja; Linke, Yvonne; Nack,<br />

Michaela (2004): Polizei im Wandel, Binnenverhältnisse in<br />

der niedersächsischen Polizei am Beispiel des Einsatz- und<br />

Streifendienstes und der für ihn vorgesetzten Ebenen,<br />

Abschlussbericht, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen<br />

e. V., KFN Forschungsberichte Nr. 92, Hannover<br />

• Minors, David S.; Waterhouse, James M. (1990): Circadian rhythms<br />

in general. In: Scott, Allene Jane (Hg.) Occupational Medicine State<br />

of the art reviews 5:2 – Shiftwork. Philadelphia, S. 165 –182<br />

• Monk, Timothy H. (1989): Social Factors Can Outweigh Biological<br />

Ones in Determining Night Shift Safety, Human Factors 31(6),<br />

S. 721–724<br />

• Janßen, Daniela; Nachreiner, Friedhelm (2004): Flexible<br />

Arbeitszeiten. Bremerhaven<br />

• Nachreicher, Friedhelm (2002). Flexible Arbeitszeiten<br />

ergonomisch bewerten und gestalten. In: BMBF (Hg.), Innovative<br />

Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit – für eine menschengerechte<br />

Arbeitswelt (1. Tagung des Bundesministeriums für Bildung und<br />

Forschung, 18. – 19. 04. 2002, Berlin) (Rubrik , 1–3), Berlin<br />

• Nachreiner, Friedhelm; Janßen, Daniela; Rädiker, Britta; Schomann,<br />

Carsten (2005): Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen<br />

der Dauer der Arbeitszeit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen.<br />

Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie. Gesellschaft für Arbeits-,<br />

Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung e.V. (Hg.),<br />

Oldenburg<br />

• Schneekloth, Ulrich; Wahl, Hans Werner (Hg.) (2005): Möglichkeiten<br />

und Grenzen selbständiger Lebensführung in privaten Haushalten<br />

(MuG III). Repräsentativbefunde und Vertiefungsstudien zu<br />

häuslichen Pflegearrangements, Demenz und professionellen<br />

Versorgungsangeboten, Abschlussbericht im Auftrag des<br />

Bundesministeriums FSFJ, München, www.bmfsfj.de/Kategorien/<br />

Forschungsnetz/forschungsberichte,did=29220.html<br />

• Schneider, Helmut; Gerlach, Irene; Juncke, David; Krieger,<br />

John (2008): Betriebswirtschaftliche Ziele und Effekte einer<br />

familienbewussten Personalpolitik, Arbeitspapier Nr. 5/2008,<br />

Forschungszentrum <strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> Personalpolitik der<br />

Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Steinbeis-<br />

Hochschule Berlin, Münster www.ffp-muenster.de/arbeitspapiere/<br />

Arbeitspapier_FFP_2008_5.pdf<br />

• Seifert, Hartmut (2008): Alternsgerechte Arbeitszeiten. In: Aus Politik<br />

und Zeitgeschichte, 18-19/2008, S. 23–30<br />

• Straif, K.; Baan R.; Grosse Y.; Secretan, B.; El Ghissassi, F.;<br />

Bouvard, V.; Altiere, A.; Benbrahim-Tallaa, L.; Coqliano, V. (2007):<br />

Carcinogenicity of shift-work, painting, and fire-fighting, in: Lancet<br />

Oncol Nr. 8/2007, S. 1065–1066<br />

• Weiß, Martin (2011): Arbeitszeitgestaltung, „Mir wurde<br />

die Lebensarbeitszeit verlängert – und wer verlängert mir<br />

die Gesundheit?“ Vortrag des IG BCE Tarifexperten auf der<br />

Fachkonferenz „Arbeitszeitgestaltung – flexibel, alternsgerecht,<br />

zukunftsorientiert“ in Halle am 11. 05. 2011<br />

http://qfc.de/qfc.de/uploads/media/Tagung_Gute_Arbeit_Vortrag_<br />

Martin_Weiss_11. 5. 11.pdf<br />

• Westdeutscher Rundfunk (2009): Risiko Schlafmangel, Skript zur<br />

WDR-Sendereihe Quarks & Co. www.wdr.de/tv/quarks/global/<br />

pdf/Q_Schlafmangel.pdf<br />

• Wirtz, Anna (2010): Gesundheitliche und soziale Auswirkungen<br />

langer Arbeitszeiten. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und<br />

Arbeitsmedizin, Dortmund, Berlin, Dresden<br />

64


Herausgeber:<br />

DGB Bundesvorstand<br />

Projekt „Vereinbarkeit von <strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> gestalten!“<br />

Henriette-Herz-Platz 2<br />

10178 Berlin<br />

Verfasser/in:<br />

Frank Meissner<br />

Dr. Christina Stockfi sch<br />

Redaktion:<br />

Frank Meissner<br />

Dr. Christina Stockfi sch<br />

Titelfoto:<br />

Sandor Weisz / fl ickr – Creative Commons-Lizenz<br />

Fotos:<br />

fl ickr und pixelio mit Creative Commons-Lizenz (Pierre Bédat, Jackal of all trades, Fouquier<br />

Gwenaël Piaser, Rebecca Anne, Denube, ab plan alp, Markus Berlin, Will Spaetzel)<br />

Layout und Druck:<br />

PrintNetwork pn GmbH<br />

Stand:<br />

Oktober 2011<br />

Bestellung von Broschüren und Materialien des DGB bitte über das DGB-Online-Bestellsystem:<br />

Link: https://www.dgb-bestellservice.de<br />

Schriftliche Bestellungen NUR für<br />

Bestellerinnen/Besteller ohne Zugang zum Internet:<br />

PrintNetwork pn GmbH, Stralauer Platz 33–34, 10243 Berlin<br />

Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für <strong>Familie</strong>, Senioren, Frauen und Jugend sowie<br />

aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.<br />

EUROPÄISCHE UNION<br />

Europäischer Sozialfonds


<strong><strong>Familie</strong>nbewusste</strong> <strong>Schichtarbeit</strong><br />

Vereinbarkeit von<br />

<strong>Familie</strong> und <strong>Beruf</strong> gestalten!<br />

Projekt des DGB-Bundesvorstandes<br />

Henriette-Herz-Platz 2<br />

10178 Berlin

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!