Magazin Theatertreffen der Jugend 2013 - Berliner Festspiele
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Die Jury zur Auswahl – von Maike Plath<br />
„Ich kenn' böse und gute Menschen.<br />
Ich kenn' Ghettos und<br />
Nobelviertel. Ich kenn Liebe<br />
und Hass.” (Needy)<br />
Wie ist es im Stadtteil Hellersdorf?<br />
– „Vielleicht nicht <strong>der</strong><br />
schlimmste Bezirk, aber schon<br />
Ghetto - dezent asozial halt.”<br />
(Jass, 15 Jahre)<br />
Kulturelle Bildung ist ein Muss.<br />
„In Deutschland wachsen fast<br />
vier Millionen Kin<strong>der</strong> unter 18<br />
Jahren, also mehr als ein Viertel<br />
dieser Altersgruppe, in mindestens<br />
einer sozialen, finanziellen<br />
o<strong>der</strong> kulturellen Risikolage<br />
auf, die ihre Bildungschancen<br />
schmälert.” (Annette Schavan, frühere<br />
Bundesbildungsministerin).<br />
Der Regisseur René Pollesch hat<br />
in seinem letzten Stück Brecht<br />
zitiert: Dass man am Ort <strong>der</strong><br />
Nie<strong>der</strong>lage bleiben soll, weil<br />
man da was lernen kann. Und<br />
dass man sich hüten soll vor<br />
dem Ruhm. Denn <strong>der</strong> sei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>gang,<br />
<strong>der</strong> Anfang vom Ende.<br />
Es gibt nicht viele unter uns, die<br />
den Mut haben, am Ort <strong>der</strong><br />
Nie<strong>der</strong>lage zu bleiben. Dort, wo<br />
man am meisten lernen kann.<br />
Cindy Ehrlichmann, Dagmar<br />
Domrös und neun <strong>Jugend</strong>liche<br />
aus Hellersdorf haben diesen<br />
Mut. Und harren aus – bis aus<br />
Wi<strong>der</strong>stand, Zweifel und unermüdlicher<br />
Suche dann plötzlich<br />
ein künstlerisches Statement<br />
wird.<br />
„hell erzählen” ist ein kleines<br />
Wun<strong>der</strong>. O<strong>der</strong> ein großes. Weil<br />
neun <strong>Jugend</strong>liche aus Hellersdorf<br />
sich auf eine Welt einlassen,<br />
die ihnen vollkommen<br />
fremd ist, weil sie ihre Skepsis<br />
und ihre Ängste überwinden<br />
und Vertrauen fassen in eine<br />
kleine Gruppe von Künstler/-innen,<br />
die ihnen einen Weg durch<br />
das Gestrüpp <strong>der</strong> alltäglichen<br />
Katastrophen weisen – und<br />
zwar ausschließlich über die<br />
Mittel <strong>der</strong> Kunst.<br />
Hier soll niemandem „geholfen”,<br />
niemand therapiert werden. Das<br />
Ziel <strong>der</strong> gemeinsamen Arbeit ist<br />
ein künstlerisches Produkt −<br />
nicht mehr und nicht weniger.<br />
Was passiert, wenn sich beide<br />
Seiten auf einen künstlerischen<br />
Prozess einlassen? Die erste<br />
Voraussetzung dafür ist wohl<br />
<strong>der</strong> wahre Mut zum Risiko des<br />
Scheiterns.<br />
„Heute ist <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage.<br />
Laut sein müssen. Brüllen.<br />
Den Gesichtern entgegenhalten,<br />
dass man gleich keine Lust<br />
mehr auf die Probe hat. „Reiß<br />
dich zusammen!”, „Konzentrier<br />
dich!”, „Lass das!” Wann habe<br />
ich diesen Feldwebelkurs gemacht?<br />
Jetzt bekommen die<br />
<strong>Jugend</strong>lichen, was sie kennen:<br />
Eine überfor<strong>der</strong>te Erwachsene,<br />
die sie anbrüllt und ihnen im<br />
Minutentakt rückmeldet, was<br />
sie alles nicht können. Das galt<br />
es doch zu vermeiden. Das war<br />
doch meine Mission.”<br />
Das schreibt Cindy Ehrlichmann<br />
in aller Offenheit über<br />
die Momente des Zweifelns im<br />
Prozess. Umgekehrt wird es die<br />
<strong>Jugend</strong>lichen aus Hellersdorf<br />
irritiert haben, dass „Theater”<br />
nicht immer das war, was sie<br />
sich unter „Theater” vorgestellt<br />
hatten. Vielleicht auch, dass<br />
diese Arbeit ihnen mehr abverlangte,<br />
als sie zunächst bereit<br />
waren zu geben. Disziplin, Zuverlässigkeit,<br />
Konzentration<br />
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