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Philippe Quesne & Vivarium Studio - Berliner Festspiele

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IGN<br />

IRS<br />

uNI–<br />

ulI 2013<br />

FORE<br />

AFFA<br />

27. J<br />

14. J<br />

www.berlinerfestspiele.de 030 254 89 100<br />

Schaperstraße 24 U3 / U9 Spichernstraße


Swamp Club<br />

Theater<br />

Deutsche Erstaufführung<br />

Mo 01. Juli, 21:00<br />

Di 02. Juli, 21:00<br />

PhilIPPE <strong>Quesne</strong><br />

<strong>Philippe</strong> <strong>Quesne</strong>, geboren 1970, studierte Bildende Kunst, visuelle Gestaltung und Bühnenbild in Paris. In den letzten zehn Jahren<br />

hat er Bühnenbilder und Designs für Opern, Konzerte, Theaterperformances und Kunstausstellungen entworfen. 2003 rief er in Paris<br />

das <strong>Vivarium</strong> <strong>Studio</strong> ins Leben, ein Labor für theatralische Innovation, in dem Maler, Schauspieler, Tänzer, Musiker und ein Hund<br />

zusammenarbeiten. <strong>Philippe</strong> <strong>Quesne</strong> konzipiert und inszeniert Performances, deren Dramaturgie auf einer starken Verbindung<br />

zwischen Raum, Bühnenbild und Körper basiert. Die Bühnenbilder werden oft zu Arbeitsstudios oder „Vivarien”, die den menschlichen<br />

Mikrokosmos darstellen. Zu seinen Arbeiten gehören „La Démangeaison des Ailes” (2003), „L’Effet de Serge“ (2007), „La Mélancolie<br />

des Dragons“ (2008), „Big Bang“ (2010) und „Pièce pour la Technique du Schauspiel de Hanovre“ (2011).<br />

2012 nahm <strong>Quesne</strong> mit einer ortsspezifischen Arbeit im <strong>Berliner</strong> Institut für Mikrobiologie und Hygiene an der Kollektivproduktion<br />

„Infinite Jest“ (nach dem Roman von David Foster Wallace) des HAU Hebbel am Ufer teil. Seine multidisziplinären Performances<br />

präsentierte er u. a. in Belgien, den USA, Brasilien, Korea, Portugal, den Niederlanden, Argentinien, Deutschland und der Schweiz.<br />

Haus der <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong>, Große Bühne<br />

In mehreren Sprachen<br />

Artist Talk am 02. Juli<br />

im Anschluss an die Vorstellung<br />

IGN<br />

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li 2013<br />

Idee / Regie / Ausstattung: <strong>Philippe</strong> <strong>Quesne</strong><br />

Mit:<br />

Isabelle Angotti, Snæbjörn Brynjarsson, Yvan Clédat, Cyril Gomez-Mahtieu,<br />

Ola Maciejewska, Émilien Tessier, Gaëtan Vourc’h und dem Paladi Quartett<br />

Künstlerische und technische Mitarbeit: Yvan Clédat, Cyril Gomez-Mathieu<br />

Ausgewählte Kostüme: Corine Petitpierre<br />

Fotografie: Martin Argyroglo<br />

Technische Leitung: Marc Chevillon<br />

Assistenz der technischen Leitung: Thomas Laigle<br />

Regieassistenz: Marie Urban<br />

Eine Produktion des <strong>Vivarium</strong> <strong>Studio</strong> in Koproduktion mit<br />

Wiener Festwochen,<br />

Théâtre de Gennevilliers – Centre Dramatique National de création contemporaine (Paris),<br />

Festival d’Automne à Paris,<br />

<strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> / Foreign Affairs, Festival d’Avignon,<br />

Le Forum / Scène conventionnée de Blanc-Mesnil,<br />

La Ménagerie de Verre (Paris),<br />

Kaaitheater (Brüssel),<br />

La Filature Scène nationale de Mulhouse,<br />

Kampnagel Hamburg,<br />

Festival Theaterformen (Braunschweig / Hannover),<br />

Festival La Bâtie – Festival de Genève.<br />

Mit Unterstützung von<br />

Centre chorégraphique national de Montpellier Languedoc Roussillon und<br />

EMPAC – Rensselaer Polytechnic Institute / the Jaffe Fund for<br />

Experimental Media and the Performing Arts (Troy, USA).<br />

Die Company wird unterstützt von DRAC Île de France<br />

(Französisches Ministerium für Kultur und Kommunikation)<br />

und Conseil Régional Île-de-France.<br />

Mit freundlicher Unterstützung des Institut français und des<br />

Französischen Ministeriums für Kultur und Kommunikation/DGCA.<br />

Foto <strong>Philippe</strong> <strong>Quesne</strong>: © Victor Tonelli<br />

FORE<br />

AFFA<br />

27. Ju<br />

14. Ju<br />

PhilIPPE <strong>Quesne</strong> im Gespräch<br />

M. <strong>Quesne</strong>, Ihre Theatergruppe <strong>Vivarium</strong><br />

<strong>Studio</strong> besteht nun seit zehn Jahren.<br />

Vielleicht können Sie anhand Ihrer Jubiläumsproduktion<br />

„Swamp Club“ beschreiben,<br />

wie Sie ein Stück entwickeln?<br />

Dass wir „Swamp Club“ unser „Zehnjahresstück“<br />

nennen, ist eher humoristisch gemeint.<br />

Sehr häufig sind unsere Stücke aus einem Titel<br />

entstanden, von dem aus sich die Gruppe an<br />

die Arbeit gemacht hat. Die Stücke werden<br />

also während der Proben entwickelt – man<br />

könnte es „Stückentwicklung auf der Bühne“<br />

nennen. Ich übernehme dabei viele Elemente<br />

aus dem gestischen und verbalen Vokabular<br />

der Schauspieler. Die Darsteller bringen einen<br />

sehr hohen Eigenanteil in das Stück ein,<br />

schreiben es regelrecht mit. Es kommt sehr<br />

selten vor, dass die Dialoge bereits vor den<br />

Proben geschrieben werden. Genauso ist es<br />

bei„Swamp Club“, wo sich viele Sprachen<br />

vermischen, was vor allem daran liegt, dass<br />

wir einen neuen Schauspieler aus Island und<br />

eine neue Darstellerin aus Polen haben. Es<br />

handelt sich also auch um ein Spiel mit unterschiedlichen<br />

Sprachen, Sprachformen und<br />

dem Theater. Zehn Jahre lang haben wir darüber<br />

geforscht bzw. geschrieben und „Partituren“<br />

entwickelt – um ein bestimmtes Thema<br />

oder einen Titel herum, die als Ausgangs punkt<br />

dienen und die Phantasie anregen.<br />

Gibt es so etwas wie einen roten Faden,<br />

ein Thema, das sich durch alle Ihre Arbeiten<br />

zieht?<br />

Wenn ich mir das Repertoire anschaue, das<br />

wir aufgebaut haben, denke ich, dass eine<br />

Thematik darin wesentlich ist, und zwar die<br />

der Freiheit der Kunst, etwas Neues zu<br />

schaf fen und über die Welt mit einer gewis ­<br />

sen Poesie zu erzählen. Das heißt, Figuren zu<br />

inszenieren, die versuchen, sich auf eine Art<br />

der Welt zu bemächtigen und von ihr zu sprechen,<br />

die vielleicht komisch wirken mag, die<br />

ich aber eher als poetisch bezeichnen würde.<br />

Wie die Inszenierung der kleinen Gruppe von<br />

Dichtern im Schnee in „La Mélancolie des<br />

Dra gons“, die sich einen Vergnügungspark<br />

ausdenken; oder „L’Effet de Serge“, wo ein<br />

einzelner Künstler in seiner Wohnung einminütige<br />

Vorstellungen für seine Freunde gibt; und<br />

jetzt „Swamp Club“, ein unabhängiges, autonomes<br />

Kulturzentrum, in dem alles gut läuft.<br />

Was für ein Bild vom Künstler in der Welt<br />

vermitteln Sie?<br />

Die zentrale Frage, mit der wir uns in diesen<br />

zehn Jahre beschäftigt haben, ist folgende:<br />

Wie kann man sich widersetzen und es wagen,<br />

Künstler zu sein, und das vor Publikum, und<br />

zugleich mit einem Naturbewusstsein im<br />

weitesten Sinne – sich also auch mit „neoromantischen“<br />

Themen beschäftigen, wie<br />

man in Deutschland sagt, mit dem Menschen<br />

und der Natur. Dabei haben wir von Anfang an<br />

viel Unterstützung von deutschen Theatern zu<br />

erfahren. Und tatsächlich wurde häufig ein<br />

Bezug zwischen unserer Arbeit und deutschen<br />

Malern wie Caspar David Friedrich hergestellt.<br />

Diese Beziehungen sind sehr wichtig, da wir<br />

heute in einer stark gefährdeten Welt leben,<br />

auf wirtschaftlicher sowie auf ökologischer<br />

Ebene, und uns ständig Katastrophen drohen.<br />

Die hat es zwar immer schon gegeben, doch<br />

heute werden sie uns angekündigt, da es in<br />

unserer Gesellschaft sehr wichtig zu sein<br />

scheint, Druck auf die Menschheit auszuüben,<br />

ihr zu sagen, was alles passieren kann. Man<br />

ist fast mehr damit beschäftigt, die Zukunft<br />

vorherzusehen als sich um die Gegenwart zu<br />

kümmern. Das war auch das Thema mehrerer<br />

Stücke: diese ständige Bedrohung und das<br />

Bewusstsein dafür, dass man scheitern oder<br />

fallen kann, dass Katastrophen passieren<br />

können. Doch zugleich muss man auch leben –<br />

die Kunst bietet daher eine Alternative für<br />

sehr viele Dinge.<br />

Wenn Sie eine Grundhaltung beschreiben<br />

wollten, die Ihre Kunst prägt: Ist es Wut, ist<br />

es Kritik, ist es Gesellschaftskritik, Nostalgie<br />

oder Melancholie, Angst, Sehnsucht?<br />

Ich denke, das ist nicht auf einen Nenner zu<br />

bringen. Vor zehn Jahren bekam ich Lust, zu<br />

inszenieren, nachdem ich lange als Bühnenbildner<br />

gearbeitet hatte. Ich wollte eine<br />

„Mikrowelt“ aus der großen Welt ausschneiden<br />

und auf die Bühne zu bringen. Es geht in<br />

meinen Stücken um Menschen, denen es<br />

gelingt, sich miteinander zu verständigen,<br />

gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.<br />

Wenn man von Engagement sprechen will,<br />

wäre also als Leitlinie unserer Arbeit vielleicht<br />

Folgendes zu nennen: Wie kann man zusammen<br />

entscheiden, an dieselbe Sache zu glauben<br />

– selbst wenn das nur bedeutet, an ein<br />

schönes Theaterbühnenbild zu glauben und<br />

darin Welten zu kreieren. In „Swamp Club“<br />

ist das mehr denn je der Fall, denn das Stück<br />

zeigt Menschen, die glücklich darüber sind,<br />

sich um ein Kulturzentrum zu kümmern,<br />

obwohl es sich an einem so unwirtlichen Ort<br />

wie einem Sumpfgebiet befindet, und einer<br />

Idee von Autonomie und ihrem Schaffensdrang<br />

und Vorstellungsvermögen treu bleiben.<br />

<strong>Vivarium</strong>, der Name Ihrer Company,<br />

klingt fast wie Aquarium ...<br />

Anfangs war es ein Wortspiel – Terrarium, <strong>Vivarium</strong><br />

– eine Analogie zur genauen Beobachtung<br />

von Tieren und Insekten. Das hat insofern<br />

Ähnlichkeit mit der Situation im Theater,<br />

als dass man dort ebenfalls Menschen,<br />

Materialien und Objekte vor Augen hat und<br />

eine Darstellung im „Bühnenkäfig“ beobachtet<br />

wird. Daher habe ich das Publikum mit<br />

Insektenforschern verglichen, mir gefällt<br />

diese Vorstellung. Ich hatte selbst mehrfach<br />

Gelegenheit, Insekten zu beobachten, vor<br />

allem eine Art, die sich Phasmiden nennt und<br />

eine pflanzenähnliche Form hat. Wenn sie in<br />

Gefahr sind, erstarren diese Insekten und<br />

imitieren Blätter oder Zweige. Das Interessante<br />

ist, dass sie ein Bild sind für Reaktion<br />

auf Gefahr. In der Medizin nennt man das<br />

Katalepsie.<br />

Ist das auch Ihr Bild von Theater, dass da ein<br />

Publikum ein seltsames Terrarium betrachtet,<br />

wo sich Tiere und Menschen eigenartig<br />

verhalten und man beobachtet es quasi<br />

wissenschaftlich?<br />

Es steckte die Lust dahinter, mit einem<br />

Arbeitscode bzw. einer Ästethik zu arbeiten,<br />

in der die Schauspieler den Zuschauer praktisch<br />

nie anschauen. Ich mag viele verschiedene<br />

Formen von Theater, auch frontalere,<br />

aber das Nicht-Frontale ist charakteristisch<br />

für das Stückerepertoire von <strong>Vivarium</strong> <strong>Studio</strong>.<br />

Es spielt damit, dass es reale Personen inszeniert.<br />

Das Publikum wird also zum Voyeur,<br />

zum Beobachter, und das ist typisch für<br />

<strong>Vivarium</strong>. Die Zuschauer sind eingeladen,<br />

sich schöne Theaterbilder anzuschauen und<br />

zugleich aber auch zu sehen, wie sie erzeugt<br />

wurden. Das soll kein Geheimnis sein. Es sind<br />

Stücke, die etwas Fantastisches, sehr Bildhaftes<br />

oder gar Kindliches auf die Bühne<br />

bringen, zugleich aber immer auch zeigen,<br />

wie dieses Bild produziert wurde. Man soll<br />

sehen, wie ein Stück geschaffen wird, wie es<br />

hinter den Kulissen aussieht und dass es eine<br />

sehr fragile und zerbrechliche Seite hat.<br />

Es ist naheliegend, dass dieses Interesse an<br />

der Kreation von Bildern aus Ihrer Arbeit als<br />

Bühnenbildner kommt, aber es hat ja auch<br />

einen Märchenaspekt, es sind fantastische<br />

Bildwelten, die da geschaffen werden…<br />

Ja, aber es steckt auch die Idee dahinter,<br />

mit den Erwartungen des Zuschauers an das<br />

Theater zu spielen. Die Ansprüche an das,<br />

was auf der Bühne gezeigt wird, sind hoch;<br />

ein Zuschauer kommt mit unglaublich vielen<br />

Referenzen ins Theater, die aus dem Theater<br />

selbst, aber auch aus anderen Kunstformen<br />

stammen. Ich glaube, dass das Bühnenbild<br />

sehr wichtig ist, da es Metaphern transportiert.<br />

Wie der Schnee in „La Mélancolie des<br />

Dragons“, wo Menschen buchstäblich in einer<br />

Landschaft feststecken. In einem Theaterbild<br />

festzustecken, das ist interessant als Stimulus,<br />

so wie bei „Swamp Club“: ein freies Kulturzentrum,<br />

das jedoch auf einem Sumpf gebaut<br />

ist, wo man eigentlich nicht bauen sollte. Ich<br />

glaube, dass das Publikum dieses Zeichen<br />

wahrnimmt. Das realistische Bühnenbild positioniert<br />

die Figuren bereits am Abgrund des<br />

Scheiterns. Wenn man Menschen beobachtet,<br />

die in einem Sumpf leben, dann hat man<br />

eine sehr fragile Situation vor Augen.<br />

Man leidet als Theaterzuschauer mit.<br />

Das Besondere am Theater ist dieses Spiel mit<br />

Illusion und Desillusion. Man bekommt eine<br />

Illusion präsentiert, weiß aber gleichzeitig,<br />

es ist nur Theater. Im Film ist es anders, da<br />

wird tatsächlich Realität fingiert.<br />

Illusion und Desillusion, darum geht es. Man<br />

will das Publikum etwas glauben machen,<br />

aber es sind zugleich realistische Figuren auf<br />

der Bühne, die sich der Illusion bewusst sind<br />

und die dem Zuschauer keine Botschaft verkünden,<br />

sondern die Illusion und Desillusion<br />

thematisieren. Das trifft es genau.<br />

Wenn wir nochmal zur Gruppe der Darsteller<br />

zurückkehren, die ist ja bunt gemischt. Es<br />

gibt Tänzer, Künstler, Schauspieler, Musiker,<br />

es kommen ganz verschiedene Gewerke<br />

zusammen. Über die 10 Jahre sind es oft<br />

dieselben. Gibt es noch die Trennung<br />

zwischen Tänzern, Schauspielern etc. oder<br />

ist man auf dem gleichen Level der Arbeit?<br />

Ich hatte Lust, eine bunt zusammengewürfelte<br />

Gruppe, eine Art kleine Familie zusammenzustellen.<br />

Eigentlich scheue ich mich<br />

ein wenig vor Gruppen oder Kollektiven. Ich<br />

wollte von Anfang an eher eine Art „Collage“<br />

aus unterschiedlichen Personen. Emilien<br />

Tessier zum Beispiel feiert nächstes Jahr seinen<br />

70. Geburtstag mit diesem Stück und es<br />

freut mich sehr, dass er Teil der Company ist.<br />

Aber es sind auch jüngere Leute dabei – die<br />

übrigens nicht alle ausgebildete Schauspieler<br />

sind. Zu proben bedeutet ja immer auch, viel<br />

Zeit mit anderen Personen zu verbringen,<br />

alleine im stillen Kämmerlein zu<br />

proben ist sinnlos. Wir sitzen also alle in<br />

einem Boot und daher baue ich gerne eine<br />

kleine Arche Noah aus verschiedenen Leuten.<br />

Ich finde es spannend, unterschiedliche<br />

Menschen zu mischen; man kann viel voneinander<br />

lernen. Und diesmal ganz besonders,<br />

da noch neue Leute hinzugekommen sind.<br />

In diesem Jahr sind Snoebjörn Brynjarsson<br />

aus Island, den ich auf einer Tournee kennengelernt<br />

habe, und Ola Maciejewska aus Polen<br />

zu uns gestoßen. Durch ihren unterschiedlichen<br />

kulturellen Hintergrund bringen sie<br />

neue Sichtweisen und Sprachen, ihre eigene<br />

Welt in die Company ein. Da es in „Swamp<br />

Club“ außerdem Saunas geben wird, ist es<br />

ideal, Leute aus Osteuropa bzw. Island da beizuhaben,<br />

das macht es sehr realistisch.<br />

Genauso wie das Stück, das ich mit den Technikern<br />

vom Schauspiel Hannover insze niert<br />

habe, die Gelegenheit bot, von einer Art In ­<br />

sek tenwelt zu sprechen, die mit der Technik<br />

des Stadttheaters vergleichbar ist.<br />

Wird die Gruppe so zusammenbleiben?<br />

Ist das ein Modell, das für Sie ideal ist?<br />

Es gab noch nie eine Kunstform, in der es<br />

nicht auch eine Rolle spielte, wie sie produziert,<br />

gezeigt, gemacht wird – sei es im Kino,<br />

in der Literatur oder in den Bildenden<br />

Künsten. Wir versuchen daher, unsere Art der<br />

Produktion beizubehalten, auch wenn das<br />

heute schwieriger geworden ist und wir in<br />

einer Welt leben, die von der Kunst Profit und<br />

Rentabilität erwartet. Überall erwartet man<br />

Resultate, in der Wirtschaft, in der Politik.<br />

Und auch in der Kunst geht es inzwischen<br />

darum, schwarze Zahlen zu schreiben, die<br />

Theatersäle zu füllen.<br />

Hat das etwas mit zunehmender internationaler<br />

Aufmerksamkeit zu tun, dass man<br />

mehr Tourneen machen muss, mehr Festivals<br />

in ganz Europa bedienen und sich dadurch<br />

die Arbeit verändert?<br />

Bei uns geht es nicht unbedingt darum,<br />

immer „größere“ Stücke zu produzieren, wir<br />

bleiben unserem System treu. Aber es gibt<br />

tatsächlich eine Erwartungshaltung, mit der<br />

ich nicht gerechnet hätte, als wir unsere ersten<br />

Stücke in einer Pariser Wohnung entwickelt<br />

haben. Das war nicht, weil wir kein Geld<br />

gehabt hätten, sondern weil ich ungestört<br />

arbeiten wollte, und das ging am Besten,<br />

indem wir uns für einige Zeit zurückzogen<br />

und in aller Ruhe ein Stück kreierten. Inzwischen<br />

hat man eine gewisse Ästhetik darin<br />

erkannt und wir haben tatsächlich das Glück,<br />

unsere Arbeit überall zeigen zu können.<br />

Außerdem ist man uns in Deutschland immer<br />

besonders treu verbunden gewesen, so dass<br />

wir dort die Gelegenheit hatten, auch als<br />

unabhängige Company ein Repertoire<br />

aufzubauen, was normalerweise den Stadttheatern<br />

vorbehalten ist. Es war also eine<br />

interessante Erfahrung, mit den Stücken<br />

reisen zu können; ich hätte nicht gedacht,<br />

dass unsere Themen, das Thema des Künstlers,<br />

des Komischen und manchmal Absurden,<br />

so universell verstanden würden. In ärmeren<br />

Ländern, zum Beispiel in Südamerika, war<br />

das besonders spannend.<br />

Haben Sie noch eine Beziehung zum<br />

klassischen Theater, was ja in Frankreich<br />

noch viel klassischer ist, als man es sich<br />

hier vorstellen kann?<br />

Nun ja, das Publikum besteht aus Leuten mit<br />

den unterschiedlichsten Backgrounds, daher<br />

glaube ich nicht, dass wir einer bestimmten<br />

Kategorie oder Form verschrieben sind. Ich<br />

freue mich, dass das Publikum so vielfältig<br />

ist, dass es keine vorgefasste Meinung zu<br />

dem hat, was wir machen und nicht nur eine<br />

bestimmte Art von Theater erwartet, das<br />

entweder neuartig oder historisch geprägt<br />

ist. Ich glaube, dass alles koexistieren kann.<br />

Wir hatten Gelegenheit, unsere Arbeit an<br />

sehr unterschiedlichen Orten zu zeigen und<br />

von sehr unterschiedlichen Leuten gesehen<br />

zu werden, die sich in unserer Arbeit<br />

wiedererkennen. Als Romeo Castellucci<br />

und Christoph Marthaler zu uns ins Theater<br />

gekommen sind und es ihnen gefallen hat,<br />

hat mich das sehr gefreut.<br />

Eine Frage noch zur Musik. Bei „Swamp Club“<br />

ist ein Streichquartett live dabei, wie kam es<br />

dazu?<br />

Das war eine Idee, die auch aus einer Art<br />

Scherz zum Jubiläum der Company hervorgegangen<br />

ist. Wir haben uns gesagt, lasst uns<br />

eine Form kreieren, die ein bisschen mehr in<br />

Richtung Musiktheater („pièce musicale“)<br />

oder Oper geht. Dann kann eine komische<br />

Suche von einer ernsthaften Musik untermalt<br />

sein und unserem Sujet des bedrohten Kulturzentrums<br />

eine gewisse Tiefgründigkeit verleihen.<br />

Das hat etwas sehr Filmisches, da ich<br />

immer sehr viel Musik im Stück benutze. Oft<br />

ist es die Live-Musik, die das Gefühl erzeugt,<br />

und nicht die Schauspieler. Wir müssen allerdings<br />

noch ausprobieren, wie es ist, Live-<br />

Musiker bzw. ein Quartett einzuladen, das<br />

außerdem noch in jeder Stadt ein anderes<br />

sein wird. Das ist ein Risiko, das wir eingehen,<br />

um das Stück musikalischer zu gestalten und<br />

die Geschichte, die man wie eine Oper in<br />

fünfzehn Zeilen zusammenfassen kann, mehr<br />

zu einer Saga zu machen: ein Kulturzentrum,<br />

das von einem alten Mann geleitet wird,<br />

erfährt, dass es wegen eines städtischen<br />

Bauvorhabens schließen muss. Das würde<br />

ein gutes Opern-Programmheft abgeben.<br />

Es wird hauptsächlich Schubert-Musik<br />

gespielt, also wieder deutsche Romantik?<br />

Vielleicht werden die Musiker je nach Stadt<br />

auch ein unterschiedliches Repertoire spielen,<br />

um ein unbeständiges Element im Stück zu<br />

behalten. In Paris proben wir mit Beethoven-<br />

Spezialisten, in Wien werden wir mit einem<br />

Quartett zusammenarbeiten, das unter<br />

anderem auch die „Star-Wars“-Musik von<br />

John Williams im Programm hat. Diese Diskrepanz<br />

kann interessant sein, warum nicht?<br />

Wir haben uns immer schon von trivialeren<br />

Referenzen genährt, von der Popkultur, dem<br />

Kino, Superman, Hardrock. Ich verbinde<br />

gerne vielfältige Referenzen mit einander.<br />

„Star Wars“ zum Beispiel ist ein großes<br />

Shakespeare-Stück. All das exisitiert nebeneinander<br />

und es gibt keinen Grund, etwas<br />

auszuschließen, denn auch der Zuschauer hat<br />

all diese Referenzen im Kopf, wenn er Kunst<br />

betrachtet. Man ist also als Zuschauer mit<br />

vielen Welten befrachtet und sitzt im Theater<br />

anderen Menschen gegenüber. Das ist eine<br />

sehr konfrontative und spannende Situation.<br />

Und der Hund?<br />

Der Hund ist alt geworden, sehr alt mit seinen<br />

zehn Jahren – er ist wie ein großer Schauspieler<br />

im Ruhestand, ein Minetti an der Leine.<br />

Er kann nicht mehr reisen. Aber es wird viele<br />

andere Tiere im Stück geben. Das ist immer<br />

eine interessante Sache, da es die naturalistische<br />

Seite des Theaters zeigt und gleichzeitig<br />

ein Moment der Unwägbarkeit in den<br />

Abend bringt. Mit einem Tier kann jederzeit<br />

etwas Unvorhergesehenes passieren.<br />

Das Gespräch führte Christina Tilmann.<br />

Aus dem Französischen von Valerie Schneider<br />

Veranstalter: <strong>Berliner</strong> <strong>Festspiele</strong> · Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes GmbH · Gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien · Intendant: Dr. Thomas Oberender · Kaufmännische<br />

Geschäftsführerin: Charlotte Sieben · Foreign Affairs · Künstlerische Leitung: Matthias von Hartz · Künstlerische Mitarbeit: Cornelius Puschke · Dramaturgie: Carolin Hochleichter · Musikkurator: Martin Hossbach · Produktionsleitung:<br />

Caroline Farke · Technische Leitung: Matthias Schäfer · Produktion: Ann-Christin Görtz · Mitarbeit Technische Leitung: Lotte Grenz · Student Affairs: Katja Herlemann · Architektur: realities:united · Ausstattung Festival und Focus:Wette:<br />

Frieda Schneider · Mitarbeit Ausstattung: Agnes Fabich, Jasmin Wiesli · Praktikum: Milena Kowalski, Alexandra Keiner, Johanna Colmsee · Künstlerbetreuung: Loredana Cimino, Nuria Gimeno · Redaktion: Anne Phillips-Krug,<br />

Christina Tilmann · Übersetzung: Karen Witthuhn / Transfiction, Stefanie Gerhold, Nico Laubisch, Valerie Schneider · Graphik: Ta-Trung, Berlin · Technische Leitung: Andreas Weidmann · Leiter Beleuchtung: Carsten Meyer · Leiter Tontechnik:<br />

Manfred Tiesler, Axel Kriegel · Bühneninspektor: Thomas Pix · Bühnenmeister: Benjamin Brandt, Claudia Stauß · Beleuchtungmeister: Jürgen Koß, Hans Fründt · Tonmeister: Martin Trümper · Bühne: Birte Dördelmann, Stephan<br />

Fischer, Sybille Casper, Pierre Joel Becker, Manuel Solms, Mirco Neugart, Karin Hornemann, Maria Deiana, Thomas Pix, Fred Langkau · Licht: Lydia Schönfeld, Robert Wolf, Arndt Rhiemeier, Bastian Heide, Ruprecht, Lademann, Mathilda<br />

Kruschel, Frank Szardenings · Ton: Axel Kriegel, Stefan Höhne, Tilo Lips, Klaus Tabert, Falco Ewald, Sebastian Pieper, Simon Franzkowiak, Felix Podzwadkowski, Hardy Hartenberger · Azubis: Malte Gottschalk, Otis Weihrauch

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