Liebe Gemeinde, in seinem letzten Lebensjahr verfasste Paul ...

Liebe Gemeinde, in seinem letzten Lebensjahr verfasste Paul ... Liebe Gemeinde, in seinem letzten Lebensjahr verfasste Paul ...

29.12.2013 Aufrufe

Paul Gerhardt: Ich singe dir mit Herz und Mund (EG 324) Lebens Mangel aus / mit dem, was ewig steht, / und führst uns in des Himmels Haus, / wenn uns die Erd entgeht.“ Hier und in den beiden letzten Strophen wird die „fröhliche Abfahrt“ thematisiert, um getröstet schwere Tage tragen zu können und sich jetzt schon auf den Himmel zu freuen. Wir sehen – der Dank für die erfahrene Nähe des Schöpfers und für seine „Vorsehung“ / providentia (um es mit einem alten theologischen Begriff zu sagen) prägen das Lied ebenso wie der Trost im persönlichen Leiden und der Ausblick auf ein gutes Ende. Was aber ist das Besondere des Liedes „Ich singe dir mit Herz und Mund“? Dankbarkeit für Gottes Regiment selbst in großer Anfechtung, Herzenstrost und Himmelssehnsucht finden sich schließlich in fast allen Liedern des Dichters. Ich will nur einige Themen anreißen, die gerade dieses Lied besonders wichtig machen. 1) Da ist erstens die geistliche Bedeutung des Singens zu nennen, die in diesem Lied so plastisch zur Sprache kommt: „Ich singe dir mit Herz und Mund, / Herr meines Herzens Lust; / ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewußt.“ In der 13. Strophe steht die Selbstaufforderung: „Wohlauf mein Herze sing und spring und habe guten Mut“. In bildhaften Wendungen wird beschrieben, was das Singen bewirkt: Es schenkt Lebenslust und neuen Mut. Gesang umfasst den ganzen Menschen, mit „Herz“ und „Mund“. Das Innerste kommt nach außen, unsere Körper ist in allen Fasern davon umgriffen, wenn wir uns hineinnehmen lassen in den Gesang: Der Kopf, das Herz, die Stimme, die Körperhaltung, die Emotionen. Gerade im Theologiestudium, wo wir viel mit Texten und Theorien zu tun haben, ist es nicht selbstverständlich, dass das viele Wissen vom Kopf auch ins Herz rutscht. Es ist wichtig, dass neben dem Reden über Gott auch das Gespräch mit Gott gepflegt wird. Jemand hat mal gesagt: Es sind die längsten 40 Zentimeter der Welt, vom Kopf zum Herz, bis uns eine Erkenntnis so bestimmt, dass wir sie mit Leben füllen können. Das geistliche Singen ist eine einfache und elementare Möglichkeit, dem Glauben ganzheitlich Ausdruck zu geben. „Wer singt, betet doppelt“ – so wusste man schon in der alten Kirche. Geistliche Lieder können mir helfen, beten zu lernen. Das Gespräch mit Gott erhält eine neue Qualität, wenn es nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Leib geschieht. Ich kenne einige Menschen, denen das persönliche Beten schwer fällt, obwohl sie gern singen – zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten und besonders, wenn sie für sich allein sind (in der Badewanne, im Auto oder bei einem Waldspaziergang). Ein geistliches Lied „von Herzen“ zu singen ist eine vollwertige Möglichkeit, mit Gott zu reden, die Freude machen kann und nicht einmal anstrengend ist. Vielleicht verstehen wir jetzt, warum die Lieder Paul Gerhardts so lang sind. 18 Strophen sind bei ihm kein Seltenheit, er fordert lächelnd einen langen Atem – für ein tiefgehendes © Dr. Albrecht Schödl, 21. 01. 2007, St. Laurentius Neuendettelsau 2

Paul Gerhardt: Ich singe dir mit Herz und Mund (EG 324) und anhaltendes Gespräch mit dem Schöpfer. Seine Lieder hat der Dichterpfarrer ja zuerst für die persönliche Andacht, für das Gebet in häuslicher Gemeinschaft und für das Singen bei der Arbeit geschrieben. Dafür sollten wir sie heute auch noch gebrauchen. Erst später sind seine Choräle dann im Gottesdienst gesungen worden, und wir werden sie anders singen, wenn wir uns bewusst in das Zwiegespräch mit Gott hinein nehmen lassen. Über viele Strophen hinweg betrachten Paul Gerhardts Lieder den Weg des Einzelnen vor Gott und zeichnen seine Schritte in die Wunderwerke der Schöpfung ein, die wir manchmal schon gar nicht mehr wahrnehmen. Er erinnert uns mit seinen Fragen unaufdringlich an die vielen Dinge, die uns mit jedem neuen Morgen geschenkt werden. Die Zeile zum Beispiel: „Wer schützt uns vor dem Wind?“ bekommt eine überraschende Wendung, wenn wir an den Orkan der letzten Tage denken. Haben wir Gott eigentlich schon dafür gedankt, dass wir heute heil und unbeschadet hier sein können? Wem das Beten schwer wird, der kann sich von Paul Gerhardt in diese staunenden Betrachtungen unter dem schönen Himmelszelt hineinnehmen lassen und einstimmen: „Wohlauf, mein Herze, sing und spring / und habe guten Mut!“ 2) Ein zweiter Punkt, Gottes Umgang mit Sünde und Schuld, macht gerade dieses Lied bedeutsam. Genau in der Mitte des Liedes, in der 9. Strophe, wird Gott lobend auf sein heilvolles Handeln angesprochen. „Du strafst uns Sünder mit Geduld / und schlägst nicht allzusehr, / ja endlich nimmst du unsere Schuld / und wirfst sie in das Meer“. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige bei diesen befremdlichen Formulierungen Bauchschmerzen haben. Weckt dies nicht völlig falsche Vorstellungen von Gott, dem man auch noch für seine „Strafen“ und „Schläge“ dankbar sein muss? Für den Liederdichter ist Gott auch als Richter seinen Geschöpfen nahe. Er sieht den gütigen und den zornigen Gott in dieser Welt am Regiment. Der Schöpfer des Universums ist nicht der harmlos liebe Kuschelgott, der mit mir auf dem Sofa sitzt und um den ich meinen Arm legen kann. Manche betonen ja nur diese eine Seite Gottes und singen dann entsprechend: „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer“. Das stimmt alles, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Wer die Bibel aufmerksam liest, auch in den unbequemen Passagen, der merkt: Der Zorn ist nur die andere Seite von Gottes Liebe. ER ist doch kein emotionsloser Klotz, sondern ein lebendiges Gegenüber! Aber Gott sei Dank ist seine Barmherzigkeit viel größer, als es jeder von uns verdient hätte. Wie hieß es in der Lesung aus Jesaja 12 [Verse 1-6]? „Ich danke dir, HERR, daß du bist zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest. Siehe, Gott, ist mein Heil“. Daran schließt sich die Aufforderung an: „Lobsinget dem HERRN!“ Gott zeigt seine Liebe darin, dass sein Zorn nicht das letzte Wort hat. Am Ende stehen Trost und Dank. In dieser zutiefst biblischen Traditionsspur bewegt sich Paul Gerhardt. Alles an Gottes Handeln in der Welt, selbst sein Gericht, ist ihm Anlass zum Lobpreis: „Du strafst uns Sünder mit Geduld und schlägst nicht allzusehr“. Hier spricht sich zwar eine Pädagogik aus, die nicht © Dr. Albrecht Schödl, 21. 01. 2007, St. Laurentius Neuendettelsau 3

<strong>Paul</strong> Gerhardt: Ich s<strong>in</strong>ge dir mit Herz und Mund (EG 324)<br />

Lebens Mangel aus / mit dem, was ewig steht, / und führst uns <strong>in</strong> des Himmels Haus, / wenn<br />

uns die Erd entgeht.“ Hier und <strong>in</strong> den beiden <strong>letzten</strong> Strophen wird die „fröhliche Abfahrt“<br />

thematisiert, um getröstet schwere Tage tragen zu können und sich jetzt schon auf den<br />

Himmel zu freuen.<br />

Wir sehen – der Dank für die erfahrene Nähe des Schöpfers und für se<strong>in</strong>e „Vorsehung“ /<br />

providentia (um es mit e<strong>in</strong>em alten theologischen Begriff zu sagen) prägen das Lied ebenso<br />

wie der Trost im persönlichen Leiden und der Ausblick auf e<strong>in</strong> gutes Ende. Was aber ist das<br />

Besondere des Liedes „Ich s<strong>in</strong>ge dir mit Herz und Mund“? Dankbarkeit für Gottes Regiment<br />

selbst <strong>in</strong> großer Anfechtung, Herzenstrost und Himmelssehnsucht f<strong>in</strong>den sich schließlich <strong>in</strong><br />

fast allen Liedern des Dichters.<br />

Ich will nur e<strong>in</strong>ige Themen anreißen, die gerade dieses Lied besonders wichtig machen.<br />

1) Da ist erstens die geistliche Bedeutung des S<strong>in</strong>gens zu nennen, die <strong>in</strong> diesem Lied so<br />

plastisch zur Sprache kommt: „Ich s<strong>in</strong>ge dir mit Herz und Mund, / Herr me<strong>in</strong>es Herzens Lust;<br />

/ ich s<strong>in</strong>g und mach auf Erden kund, was mir von dir bewußt.“ In der 13. Strophe steht die<br />

Selbstaufforderung: „Wohlauf me<strong>in</strong> Herze s<strong>in</strong>g und spr<strong>in</strong>g und habe guten Mut“.<br />

In bildhaften Wendungen wird beschrieben, was das S<strong>in</strong>gen bewirkt: Es schenkt Lebenslust<br />

und neuen Mut. Gesang umfasst den ganzen Menschen, mit „Herz“ und „Mund“. Das Innerste<br />

kommt nach außen, unsere Körper ist <strong>in</strong> allen Fasern davon umgriffen, wenn wir uns h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>nehmen<br />

lassen <strong>in</strong> den Gesang: Der Kopf, das Herz, die Stimme, die Körperhaltung, die<br />

Emotionen. Gerade im Theologiestudium, wo wir viel mit Texten und Theorien zu tun haben,<br />

ist es nicht selbstverständlich, dass das viele Wissen vom Kopf auch <strong>in</strong>s Herz rutscht. Es ist<br />

wichtig, dass neben dem Reden über Gott auch das Gespräch mit Gott gepflegt wird. Jemand<br />

hat mal gesagt: Es s<strong>in</strong>d die längsten 40 Zentimeter der Welt, vom Kopf zum Herz, bis<br />

uns e<strong>in</strong>e Erkenntnis so bestimmt, dass wir sie mit Leben füllen können.<br />

Das geistliche S<strong>in</strong>gen ist e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache und elementare Möglichkeit, dem Glauben ganzheitlich<br />

Ausdruck zu geben. „Wer s<strong>in</strong>gt, betet doppelt“ – so wusste man schon <strong>in</strong> der alten Kirche.<br />

Geistliche Lieder können mir helfen, beten zu lernen. Das Gespräch mit Gott erhält e<strong>in</strong>e<br />

neue Qualität, wenn es nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Leib geschieht.<br />

Ich kenne e<strong>in</strong>ige Menschen, denen das persönliche Beten schwer fällt, obwohl sie gern s<strong>in</strong>gen<br />

– zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten und besonders, wenn sie für sich alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d<br />

(<strong>in</strong> der Badewanne, im Auto oder bei e<strong>in</strong>em Waldspaziergang). E<strong>in</strong> geistliches Lied „von<br />

Herzen“ zu s<strong>in</strong>gen ist e<strong>in</strong>e vollwertige Möglichkeit, mit Gott zu reden, die Freude machen<br />

kann und nicht e<strong>in</strong>mal anstrengend ist.<br />

Vielleicht verstehen wir jetzt, warum die Lieder <strong>Paul</strong> Gerhardts so lang s<strong>in</strong>d. 18 Strophen<br />

s<strong>in</strong>d bei ihm ke<strong>in</strong> Seltenheit, er fordert lächelnd e<strong>in</strong>en langen Atem – für e<strong>in</strong> tiefgehendes<br />

© Dr. Albrecht Schödl, 21. 01. 2007, St. Laurentius Neuendettelsau 2

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!