Liebe Gemeinde, in seinem letzten Lebensjahr verfasste Paul ...

Liebe Gemeinde, in seinem letzten Lebensjahr verfasste Paul ... Liebe Gemeinde, in seinem letzten Lebensjahr verfasste Paul ...

29.12.2013 Aufrufe

schichtliche Bögen geschlagen und in die Gegenwart hinein Aussagen von allgemeingültiger Qualität getroffen. Unser Lied „Befiehl du deine Wege“ mit seiner evangelischen Barocklyrik ist hierfür ein hervorragendes Beispiel. Auch aus der evangelischen Variante der Barockmystik von Johann Arndt Gebetsanleitung „Vom Wahren Christentum“ hat Gerhardt entscheidende Anregungen für seine Gedichte entnommen: In „Befiehl du deine Wege“ lehnt er sich mit der ersten Strophe an Arndts „Paradiesgärtleins“ an (Buch II Kap. 29) und dichtet sie in typisch barocker Manier selbstständig weiter: „Siehe an die Luft und Winde, wie schön und klar machen sie den Himmel, vertreiben die Wolken und treiben die Wolken zusammen, … gießen es hernach aus auf die Erde.“ 2. Jede der Strophen für sich ist auch der Versuch einer Entfaltung ihres Anfangsbegriffes aus Ps. 37: 5 in der Vertikale. Im wahrsten Sinn des Wortes wird der Anfangsbegriff nach Rechts in den Satz und seine Struktur hinein aus-gelegt. Wiederholend, verdeutlichend, steigernd werden mittels Symbolen und Bildern innere Erfahrungen dargstellt, die das Glaubensleben des Menschen betreffen und im Kontrast mit Gottes Ratschluss bzw. Vorsehung vermittelt. Der „Himmel“ bezieht sich auf die planmäßig festgelegte Ordnung der Gestirne, während „Wolken, Luft und Winde“ zufällige, unberechenbare Elemente sind. In unserem Lied soll genau das zur Sprache kommen und als vertrauender Glauben in die Herzen der Betenden vermittelt werden: Beide: Für uns durchschaubare Ordnung und vermeintlicher Zufall unterstehen Gottes Macht. So wird der Schluss vom größeren zum Kleineren gezogen: GOTT wird Wege finden, da mein Fuß gehen kann. Vom Himmel wandert der Blick über die Wolken bis zu unseren Füßen; vom Großartig-Erhabenen bis zum Staub des Weges. Den „Wolken, Luft und Winden“ entsprechen „Wege, Lauf und Bahn“; nicht zufällig haben die ersten beiden Wortpaare dieselben Anfangsbuchstaben. Fast unmerklich werden aus deinen - Gottes Wege. 3. Die dritte bzw. vierte „Dimension“ neben der Senkrechte und der Waagrechten kommt durch die 12-Strophigkeit zum Ausdruck: Im Rahmen der Zwölf als Zahl biblisch bezeugter heiliger Ordnungen und als Summe irdischer Vollkommenheit in Gottes Schöpfungswerk (12 Monate des Jahres/ zwölf Stunden des Tages und der Nacht), sollen sich sowohl der Einzelne als auch die Gemeinschaft der Gläubigen wiederfinden. Besieht man die erste und die letzte Strophe, fällt auf, dass der mit dem Beginn des Liedes als mühsam, aber hoffnungsvoll beschriebene Anfang des Laufens am Liedschluss ins Ziel mündet: der Beter hat seine Glaubensgewissheit wieder gefunden und schaut mit seinem geistlichen Auge über den Horizont irdischen Daseins für einen Augenblick hinein in die himmlische Welt, die sich ihm nach dem Tod voll eröffnen wird. Der Kreisbogen schließt sich und der Betende findet sich nach der Überwindung seiner Krise an anderem Ort wieder. 6

V) 12 Strophen/ Etappen, vier Trauerphasen und die Genesung der Seele auf dem Weg Abschied nehmen bedeutet häufig Trauern. Trauern ist immer auch Abschied nehmen … und Abschied „ist immer ein bisschen wie Sterben“. Die diesbezüglichen „Trauerphasen“ 4 sind in ihrer Bedeutsamkeit, was die Tiefenstruktur der menschlichen Seele und ihre Dynamik betrifft, gut erforscht. Mir fällt auf, dass sie sich alle vier in unserem Lied wieder finden – ein Zeugnis dafür, welche ein ausgezeichneter Seelenkenner P. Gerhardt war. Abschließend möchte ich noch einmal das Lied in vier Abschnitten mit Ihnen durchgehen entlang der Phasen, die sich widerspiegeln. Ich nenne nur einige beispielhafte Begriffe. 5 Nr. 1. Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens = Strophe 1-4 „Ich“ in meiner Sprachlosigkeit, Lähmung muss nicht aus eigenem Vermögen handeln, sondern in Orientierung an Gottes Werk (1)/ Gebet (2)/ Gott wird mit seinen Zusagen in die Pflicht genommen (3)/ Er soll handeln, wo ich in meiner Krise am Ende, gelähmt bin (4). Nr.2. Die Phase der aufbrechenden Emotionen = Strophe 5-6 Der Kampf Gott – Höllenmacht ist im Gange, ich mit meinem Problem hineinverwickelt (5)/ Am Tiefpunkt, in Dunkelheit und Depression die Hoffnung auf die Sonne, Gottessymbol (6). Nr. 3. Die Phase des Suchens und sich Trennens = Str. 7-10 Immer wieder wird neu argumentiert und Stück für Stück beschrieben, wie ich mit meinem Leid umgehen soll, um davon befreit zu werden: „Auf, lass fahren“: Trennen (7)/ „Ihn lass walten“: Finden (8)/ Zwischenzustand, vielleicht psychisch schwierigster Moment, Schwebezustand zwischen Heil und Unheil erneute Du-Anrede (9)/ Übergang zu Phase Nr.4: Befeiung, inmitten der aufgewühlten Emotionen und der Orientierungsversuche unerwartet (10). Nr.4. Die Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs = Str. 11-12 „Du hast und trägst davon“: Selbstbezug wieder hergestellt (11). Gott- bzw. Weltbezug sind ebenso wieder angebahnt mit Blick auf das Lebensende und die Möglichkeit eines letztendlich wahrhaft gelingenden Lebens, in dem allein durch Gottes Handeln jeder, wirklich jeder Situation ihr, wenn auch hier und jetzt häufig verschlossener Sinn zukommt. Wir wissen, welche Schwierigkeiten es bedeutet, wenn man in einer dieser Phasen verbleibt oder glaubt, sie überspringen zu können. Aber wir dürfen glauben, dass sie jeweils mit Gottes Hilfe zu durchleben sind. So können wir immer wieder neu weitergehen. So werden unsere Wege zu den seinen und umgekehrt sein Weg zu unserem. In dieser Identifikation der Wege kommt es zur heilvollen Begegnung Mensch und Gott, der mit uns leidet und Leid wendet, bereits hier gilt: Alle Wege führen letztlich in die Fülle seiner Gegenwart hinein. AMEN 4 Elisabeth Kübler-Ross/ Verena Kast u.a. 5 Ich gehe im schriftlichen Text der Predigt die Strophen nicht im Einzelnen durch, in der mündlichen Predigtversion bin ich ausführlicher gewesen. 7

schichtliche Bögen geschlagen und <strong>in</strong> die Gegenwart h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> Aussagen von allgeme<strong>in</strong>gültiger<br />

Qualität getroffen. Unser Lied „Befiehl du de<strong>in</strong>e Wege“ mit se<strong>in</strong>er evangelischen Barocklyrik<br />

ist hierfür e<strong>in</strong> hervorragendes Beispiel.<br />

Auch aus der evangelischen Variante der Barockmystik von Johann Arndt Gebetsanleitung<br />

„Vom Wahren Christentum“ hat Gerhardt entscheidende Anregungen für se<strong>in</strong>e Gedichte entnommen:<br />

In „Befiehl du de<strong>in</strong>e Wege“ lehnt er sich mit der ersten Strophe an Arndts „Paradiesgärtle<strong>in</strong>s“<br />

an (Buch II Kap. 29) und dichtet sie <strong>in</strong> typisch barocker Manier selbstständig<br />

weiter: „Siehe an die Luft und W<strong>in</strong>de, wie schön und klar machen sie den Himmel, vertreiben<br />

die Wolken und treiben die Wolken zusammen, … gießen es hernach aus auf die Erde.“<br />

2. Jede der Strophen für sich ist auch der Versuch e<strong>in</strong>er Entfaltung ihres Anfangsbegriffes aus<br />

Ps. 37: 5 <strong>in</strong> der Vertikale. Im wahrsten S<strong>in</strong>n des Wortes wird der Anfangsbegriff nach Rechts<br />

<strong>in</strong> den Satz und se<strong>in</strong>e Struktur h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> aus-gelegt. Wiederholend, verdeutlichend, steigernd<br />

werden mittels Symbolen und Bildern <strong>in</strong>nere Erfahrungen dargstellt, die das Glaubensleben<br />

des Menschen betreffen und im Kontrast mit Gottes Ratschluss bzw. Vorsehung vermittelt.<br />

Der „Himmel“ bezieht sich auf die planmäßig festgelegte Ordnung der Gestirne, während<br />

„Wolken, Luft und W<strong>in</strong>de“ zufällige, unberechenbare Elemente s<strong>in</strong>d. In unserem Lied soll<br />

genau das zur Sprache kommen und als vertrauender Glauben <strong>in</strong> die Herzen der Betenden<br />

vermittelt werden: Beide: Für uns durchschaubare Ordnung und verme<strong>in</strong>tlicher Zufall unterstehen<br />

Gottes Macht. So wird der Schluss vom größeren zum Kle<strong>in</strong>eren gezogen: GOTT wird<br />

Wege f<strong>in</strong>den, da me<strong>in</strong> Fuß gehen kann. Vom Himmel wandert der Blick über die Wolken bis<br />

zu unseren Füßen; vom Großartig-Erhabenen bis zum Staub des Weges. Den „Wolken, Luft<br />

und W<strong>in</strong>den“ entsprechen „Wege, Lauf und Bahn“; nicht zufällig haben die ersten beiden<br />

Wortpaare dieselben Anfangsbuchstaben. Fast unmerklich werden aus de<strong>in</strong>en - Gottes Wege.<br />

3. Die dritte bzw. vierte „Dimension“ neben der Senkrechte und der Waagrechten kommt<br />

durch die 12-Strophigkeit zum Ausdruck: Im Rahmen der Zwölf als Zahl biblisch bezeugter<br />

heiliger Ordnungen und als Summe irdischer Vollkommenheit <strong>in</strong> Gottes Schöpfungswerk (12<br />

Monate des Jahres/ zwölf Stunden des Tages und der Nacht), sollen sich sowohl der E<strong>in</strong>zelne<br />

als auch die Geme<strong>in</strong>schaft der Gläubigen wiederf<strong>in</strong>den. Besieht man die erste und die letzte<br />

Strophe, fällt auf, dass der mit dem Beg<strong>in</strong>n des Liedes als mühsam, aber hoffnungsvoll beschriebene<br />

Anfang des Laufens am Liedschluss <strong>in</strong>s Ziel mündet: der Beter hat se<strong>in</strong>e Glaubensgewissheit<br />

wieder gefunden und schaut mit se<strong>in</strong>em geistlichen Auge über den Horizont<br />

irdischen Dase<strong>in</strong>s für e<strong>in</strong>en Augenblick h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die himmlische Welt, die sich ihm nach dem<br />

Tod voll eröffnen wird. Der Kreisbogen schließt sich und der Betende f<strong>in</strong>det sich nach der<br />

Überw<strong>in</strong>dung se<strong>in</strong>er Krise an anderem Ort wieder.<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!