Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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E I N G RO S S E R S C H R I T T<br />
Wir werden uns an die Handels- und Handwerkskammer wenden,<br />
aber auch an die Betriebe und die Interessenvertretungen direkt herantreten.<br />
Wir werden dafür werben, dass Migrantinnen und Migranten<br />
gezielt und auch für hoch qualifizierte Bereiche eingestellt werden.<br />
Wilhelm Heitmeyer, auf die Sie im Integrationsplan auch<br />
Bezug nehmen, die sagt, dass sich die Ablehnung von<br />
Migrantinnen und Migranten in <strong>der</strong> Gesellschaft verschärft<br />
hat. Vor diesem Hintergrund ist <strong>der</strong> Integrationsplan<br />
ja sehr ambitioniert. Sie sprechen zum Beispiel auch<br />
davon, dass in Bremen strukturelle Diskriminierung<br />
beseitigt werden soll. Wo gibt es die denn?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Wir haben ja vorhin zum<br />
Beispiel über den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt gesprochen. Es ist<br />
einfach nicht nur eine Frage <strong>der</strong> Kompetenzen, ob<br />
jemand einen Ar<strong>bei</strong>tsplatz o<strong>der</strong> einen <strong>Aus</strong>bildungsplatz<br />
erhält, es ist lei<strong>der</strong> unter an<strong>der</strong>em auch eine<br />
Frage <strong>der</strong> Herkunft sowie des Geschlechts beziehungsweise<br />
an<strong>der</strong>er diskriminieren<strong>der</strong> Merkmale.<br />
Das müssen wir thematisieren! Wir sollten alles<br />
unternehmen, dass mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund<br />
einen <strong>Aus</strong>bildungsplatz erhalten<br />
und das auch mit einer positiven antidiskriminierenden<br />
Botschaft verbinden. Dieses Brett, das<br />
wir da zu bohren haben, ist außerordentlich dick.<br />
THOMAS SCHWARZER: Die Anfänge <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft<br />
waren ja vom Mangel an Ar<strong>bei</strong>tskräften geprägt.<br />
Die Betriebe haben Zuwan<strong>der</strong>ung gebraucht. Über 40 Jahre<br />
später kann man heute auch sehen, dass die Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />
mit migrantischen Kollegen zum Beispiel in großen<br />
Industriebetrieben heute kaum noch Probleme aufwirft.<br />
Da hat Integration durch Ar<strong>bei</strong>t funktioniert. Aber dieser<br />
Integrationsmechanismus Ar<strong>bei</strong>t, so will ich es mal sagen,<br />
versagt heute in vielen Fällen. Einfach, weil nicht genug<br />
Ar<strong>bei</strong>t da ist. Dadurch entstehen doch sicherlich neue Notwendigkeiten<br />
für Integration und Partizipation – o<strong>der</strong> ist<br />
Ar<strong>bei</strong>t immer noch das zentrale Feld?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Bildung und Ar<strong>bei</strong>t sind für<br />
die Menschen von hoher Bedeutung und bleiben<br />
zentral für die gesellschaftliche Teilhabe. Über den<br />
Ar<strong>bei</strong>tsprozess kommen Menschen ins Gespräch.<br />
Sie handeln gemeinsam und lernen sich da<strong>bei</strong><br />
kennen. Sie haben eine gemeinsame, eine dritte,<br />
Sache, die Ar<strong>bei</strong>t. In diesem Prozess <strong>der</strong> Vergesellschaftung<br />
und des gemeinsamen Handels können<br />
Vorurteile abgebaut werden und ein tieferes Verständnis<br />
füreinan<strong>der</strong> entwickelt werden.<br />
Im Rückblick muss man aber sagen: Das Anwerbeabkommen<br />
für ausländische Ar<strong>bei</strong>ter und<br />
Ar<strong>bei</strong>terinnen sowie das Verhalten <strong>der</strong> deutschen<br />
Gesellschaft und Politik war fast ausschließlich<br />
instrumentell. Heute, in <strong>der</strong> Gegenwart hat sich<br />
das ›Leben‹ durchgesetzt. Viele Menschen sind<br />
geblieben, haben Kin<strong>der</strong> und Enkel und leben<br />
gerne in Deutschland.<br />
Wo<strong>bei</strong> wir auch wissen: Sie hätten schon vor langer<br />
Zeit För<strong>der</strong>ung und Unterstützung erfahren müssen,<br />
um ihre Kompetenzen weiterzu<strong>entwickeln</strong>.<br />
Das haben wir aber auch nicht zur Kenntnis<br />
genommen!<br />
Wir sind mit unserer Integrations- und Partizipationspolitik<br />
ja im Grunde 20, 30 Jahre zu spät.<br />
Jetzt stehen wir auch vor Anfor<strong>der</strong>ungen, die<br />
durch Versäumnisse alter Zeiten entstanden sind.<br />
Die Situation am Ar<strong>bei</strong>tsmarkt hat sich durch<br />
den Wegfall <strong>der</strong> Einfachar<strong>bei</strong>tsplätze verschärft,<br />
denn es bestehen nicht genügend Ar<strong>bei</strong>tsmöglichkeiten<br />
für Menschen mit geringen Qualifikationen.<br />
Dies betrifft auch insbeson<strong>der</strong>e die älteren Migrantinnen<br />
und Migranten. Damit sind sie von gesellschaftlicher<br />
Teilhabe durch Ar<strong>bei</strong>t ausgeschlossen.<br />
Das erfor<strong>der</strong>t, dass wir auch für sie, die nicht direkt<br />
einen Ar<strong>bei</strong>tsplatz finden können, ein Beschäftigungsangebot<br />
vorhalten: Eines, das weiterqualifiziert,<br />
den Lebensunterhalt sichert und Wertschätzung<br />
ausdrückt.<br />
THOMAS SCHWARZER: Wenn Sie sagen, Ar<strong>bei</strong>t ist<br />
nach wie vor das Zentrale, welche Rolle kommt denn dem<br />
öffentlichen Dienst als einem <strong>der</strong> großen Ar<strong>bei</strong>tgeber zu?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Der öffentliche Dienst kann<br />
nicht alle Lücken auf dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt beziehungsweise<br />
mangelnde Angebote kompensieren.<br />
Auch wenn wir ambitionierte Ziele für die <strong>Aus</strong>bildungsplatzzahlen<br />
im öffentlichen Dienst haben:<br />
Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund<br />
wird sich erst auf sehr lange Sicht erhöhen.<br />
Wir haben einen Einstellungsstopp, das wissen Sie,<br />
das heißt, wir können nur über die Zielzahlen <strong>bei</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Aus</strong>bildung steuern. Insofern sind wir darauf<br />
angewiesen, dass die Unternehmen auf dem sogenannten<br />
freien Markt ihre Strategien weiter<strong>entwickeln</strong>,<br />
um mehr Migrantinnen und Migranten in<br />
unsere Ar<strong>bei</strong>tsgesellschaft zu integrieren.<br />
THOMAS SCHWARZER: Wie?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Es bedarf <strong>der</strong> offensiven<br />
Werbung für die Einstellung von Menschen mit<br />
Migrationshintergrund einerseits und verän<strong>der</strong>ter<br />
anonymisierter <strong>Aus</strong>wahlverfahren an<strong>der</strong>erseits.<br />
Wir können natürlich nicht in die Einstellungsverfahren<br />
<strong>der</strong> Unternehmen eingreifen, wir können<br />
nur überzeugen. Wir werden uns an die Handels-<br />
und Handwerkskammer wenden, aber auch<br />
an die Betriebe und die Interessenvertretungen<br />
direkt herantreten. Wir werden dafür werben,<br />
dass Migrantinnen und Migranten gezielt und<br />
auch für hoch qualifizierte Bereiche eingestellt<br />
werden.<br />
THOMAS SCHWARZER: Stichwort hoch qualifiziert: Die<br />
migrantische Bevölkerung Bremens ist ja hochgradig ausdifferenziert.<br />
Es gibt viele sehr gut gebildete und ausgebildete<br />
Migrantinnen und Migranten, die ganz selbstverständlich<br />
hier wohnen, ar<strong>bei</strong>ten, leben. Die Kin<strong>der</strong> machen<br />
normale Bildungswege et cetera, diese Gruppe könnte aber<br />
auch Vorbildfunktionen übernehmen. Sind sie auch Zielgruppe<br />
Ihres Integrations- und Partizipationsplans?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Ziel des Plans ist es, Teilhabechancen<br />
von Menschen mit Migrationshintergrund<br />
zu erweitern o<strong>der</strong> überhaupt zu ermöglichen.<br />
Da<strong>bei</strong> wenden wir uns an diejenigen, die Qualifikationslücken<br />
haben, die Unterstützung brauchen.<br />
Meine These ist aber, dass uns das nur gelingt,<br />
wenn wir auch diejenigen erreichen, die ihren<br />
Weg bereits gegangen sind. Deshalb auch <strong>der</strong> Blick<br />
auf Partizipation. Wir müssen uns vergegenwärtigen,<br />
wie bunt unsere Gesellschaft schon ist. Stützangebote<br />
brauchen wir nicht an Menschen zu richten,<br />
die schon mittendrin sind. Aber an sie ergeht<br />
die Bitte: Zeigt euch, beteiligt euch am gesellschaftlichen<br />
Leben in Vereinen, Betrieben, Parteien,<br />
Projekten und in politischen Gremien. Wir haben<br />
viele, viele Kin<strong>der</strong> und Jugendliche in den Sportvereinen,<br />
aber viel zu wenige Übungsleiterinnen und<br />
-leiter mit einem Migrationshintergrund. Auch in<br />
den Beiräten in den Stadtteilen finden sich zu<br />
wenig Menschen mit Migrationshintergrund in<br />
den Strukturen wie<strong>der</strong>. Das fällt schon auf. Unser<br />
Ar<strong>bei</strong>tsschwerpunkt sollte gezielt darauf gelegt<br />
werden und <strong>der</strong> Frage nachgehen: Wie sollten<br />
Strukturen weiterentwickelt werden, in denen<br />
Menschen mit und ohne Migrationshintergrund<br />
gerne miteinan<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Weiterentwicklung unserer<br />
Gesellschaft mitwirken?<br />
THOMAS SCHWARZER: Zuerst mal müssten Sie dann ja<br />
herausfinden, wo ist die Beteiligung von Migranten gut,<br />
wo nicht, wo gibt es Nachholbedarfe? Das heißt, und das<br />
sagt <strong>der</strong> Bericht auch, Sie brauchen ein umfassendes Monitoring<br />
für alle möglichen Bereiche. Diesen Anspruch formuliert<br />
<strong>der</strong> Plan auch sehr klar und durchgängig. Und Sie<br />
wollen auch evaluieren, also nach einer Zeit nachsehen,<br />
haben unsere Bemühungen zu etwas geführt. Haben wir<br />
jetzt mehr Migranten im Polizeidienst? Haben mehr<br />
Beiratsmitglie<strong>der</strong> einen Migrationshintergrund? Können<br />
mehr Kin<strong>der</strong> dem Unterricht folgen?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Das haben wir in <strong>der</strong> Tat<br />
sehr anspruchsvoll im Entwicklungsplan formu-<br />
liert. Es ist jedenfalls so, dass ich festgestellt habe,<br />
dass wir an vielen Stellen nicht wissen, über welche<br />
konkrete Situation wir reden. Wo benötigen<br />
wir soziale Pfade <strong>der</strong> Integration, wo haben wir sie,<br />
wo erreichen unsere Angebote die Menschen und<br />
an welchen Stellen gehen sie am Ziel <strong>der</strong> Partizipation<br />
vor<strong>bei</strong>? Ist es Partizipation, wenn ich in einzelnen<br />
Bereichen Projekte anbiete, die sich nur an<br />
Migrantinnen und Migranten wenden? Darüber<br />
muss man einmal nachdenken.<br />
THOMAS SCHWARZER: Dann denken Sie auch über den<br />
Migrantenanteil im Theater am Goetheplatz nach?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Ja, natürlich! Also, wir<br />
benötigen ein möglichst einheitliches Evaluationskonzept<br />
und anschließend richten wir den Fokus<br />
auf bestimmte Bereiche, um sie auszuleuchten.<br />
Dieses Evaluationskonzept wird mit den Ressorts<br />
entwickelt.<br />
THOMAS SCHWARZER: Haben Sie denn die Macht, zu<br />
sagen, an das und das Feld gehen wir jetzt mal intensiv<br />
ran o<strong>der</strong> müssen Sie immer alle überzeugen? Können<br />
Sie zum Beispiel Zielvorgaben machen, an die die an<strong>der</strong>en<br />
Ressorts sich halten müssen? Wie steuern sie das?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Meine ›Macht‹ liegt in <strong>der</strong><br />
Verpflichtung, alle Themen miteinan<strong>der</strong> zu kommunizieren.<br />
Ich kann den Ressorts nichts vorschreiben.<br />
Aber es bietet sich für die Ressorts an, mit uns,<br />
dem Referat für Integrationspolitik, zusammenzuar<strong>bei</strong>ten,<br />
denn wir haben Zugänge, Kontakte und<br />
sind sehr gut vernetzt. Das nützt den Ressorts in<br />
<strong>der</strong> Umsetzung ihrer inhaltlichen Vorhaben und<br />
dem Integrationsreferat verbleiben Handlungsspielräume.<br />
Es besteht <strong>der</strong> gemeinsame politische Wille,<br />
dass dieser Entwicklungsplan gemeinsam umgesetzt<br />
wird. Ich bin da ganz hoffnungsfroh.<br />
THOMAS SCHWARZER: Sie schreiben im Entwicklungsplan<br />
auch, dass Sie die Zahlen eingebürgerter Migrantinnen<br />
und Migranten erhöhen wollen. Es gab dazu bereits<br />
früher Kampagnen. Was gibt es Neues?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Wir wollen die Kampagne<br />
zur Einbürgerung mit dem Innensenator gemeinsam<br />
neu auf- und vor allem auch mit Beratungsangeboten<br />
hinterlegen. Manchmal scheitern Einbürgerungen<br />
an einfachen Hürden, die leicht übersprungen<br />
werden könnten. Manchmal sind es<br />
Kosten, die entstehen, wenn jemand aus seinem<br />
Herkunftsland ausbürgern möchte et cetera. Wir<br />
müssen über diese und an<strong>der</strong>e Fragen besser informieren.<br />
Das stimmen wir mit dem Senator für<br />
Inneres ab.