29.12.2013 Aufrufe

Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

128<br />

B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

129<br />

E I N G RO S S E R S C H R I T T<br />

Wir benötigen Brücken, die für Kin<strong>der</strong> und Eltern begehbar sind,<br />

um gerade Familien mit Migrationshintergrund näher an die Institutionen<br />

Schule und Kita heranzuführen.<br />

von zentraler Bedeutung, dass vorhandene Kompetenzen<br />

Berücksichtigung finden.<br />

THOMAS SCHWARZER: Konkret wird im Integrationsplan<br />

davon gesprochen, dass flächendeckend muttersprachlicher<br />

Unterricht ermöglicht werden soll. Davon sind wir<br />

in Bremen weit entfernt, o<strong>der</strong>?<br />

EVA QUANTE-BRANDT: Das ist ja ein umstrittenes<br />

Thema und es freut mich, dass das Bildungsressort<br />

diesen Schritt mitgegangen ist. Zunächst vertreten<br />

wissenschaftliche Disziplinen unterschiedliche<br />

Auffassungen: Die Sprachwissenschaft sagt im<br />

Großen und Ganzen, dass diejenigen, die in ihrer<br />

Muttersprache gebildet sind, den Spracherwerb <strong>der</strong><br />

deutschen Sprache leichter meistern. <strong>Aus</strong> einer<br />

bildungswissenschaftlichen Perspektive wird dies<br />

nicht angenommen. Hier wird eher davon ausgegangen,<br />

dass es keine Belege dafür gebe, dass<br />

jemand, <strong>der</strong> muttersprachlich ausgebildet ist, im<br />

Erwerb <strong>der</strong> deutschen Sprache bessere Startmöglichkeiten<br />

vorfindet. Lehrerinnen und Lehrer fokussieren<br />

eher auf den zweiten Ansatz.<br />

Also: Wenn eine Person mit einem Migrationshintergrund<br />

aufgewachsen ist, dann sollte sie vorrangig<br />

die deutsche Sprache lernen, um sich besser<br />

zurechtzufinden. Nach dem Erwerb kann sich<br />

ohne Weiteres die Herkunftssprache dazugesellen.<br />

Dieses eher normativ ausgerichtete Verständnis<br />

dominiert in unserer Gesellschaft und in unseren<br />

Schulen. Insofern finde ich es aber gut, dass wir<br />

den Punkt ›muttersprachlicher Unterricht‹ im Entwicklungsplan<br />

aufgenommen haben. Mir ist aber<br />

auch bewusst, dass wir vermutlich erst mal mit<br />

Modellprojekten ar<strong>bei</strong>ten müssen, um zu zeigen,<br />

dass muttersprachlicher Unterricht nicht nur den<br />

Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern etwas<br />

bringt, son<strong>der</strong>n auch für den interkulturellen Dialog<br />

und für die Anerkennung von Unterschiedlichkeit.<br />

Es ist auch ein Gewinn für deutschsprachige<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, weitere Sprachen kennenzulernen.<br />

THOMAS SCHWARZER: Schule ist eins, die Kitas sind das<br />

an<strong>der</strong>e. Wo muss Ihrer Ansicht nach <strong>der</strong> Schwerpunkt in<br />

<strong>der</strong> frühkindlichen Erziehung und in den Kitas liegen aus<br />

integrationspolitischer Sicht?<br />

EVA QUANTE-BRANDT: Zunächst mal müssen wir<br />

die Elternar<strong>bei</strong>t insgesamt stärken: Wir benötigen<br />

Brücken, die für Kin<strong>der</strong> und Eltern begehbar sind,<br />

um gerade Familien mit Migrationshintergrund<br />

näher an die Institutionen Schule und Kita heran-<br />

zuführen. Wenn wir eine vielfältige Gesellschaft<br />

als Normalität stärken wollen, müssen wir die<br />

interkulturelle Kompetenz von Pädagoginnen und<br />

Pädagogen för<strong>der</strong>n. Da<strong>bei</strong> hat die Weiterbildung<br />

einen hohen Stellenwert. Natürlich bleibt ebenso<br />

auch die Sprachför<strong>der</strong>ung zentral. Aber es geht<br />

mir hier nicht ausschließlich um die deutsche<br />

Sprache, son<strong>der</strong>n auch um die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Muttersprache.<br />

Meine Vorstellung geht ja insgesamt<br />

in die Richtung, dass wir gerade die <strong>Stärken</strong> <strong>der</strong><br />

Menschen in den Vor<strong>der</strong>grund rücken – und das<br />

ist zum Beispiel die Mehrsprachigkeit.<br />

THOMAS SCHWARZER: Noch mal etwas grundsätzlicher.<br />

Es ist in <strong>der</strong> Bundesrepublik mittlerweile unumstritten,<br />

dass das Thema Integration, Partizipation insbeson<strong>der</strong>e<br />

für die Großstädte wichtiger wird. Auch in Bremen gibt es<br />

eine Aufwertung, <strong>der</strong> Bürgermeister hat den Integrationsplan<br />

mit vorgestellt, das Thema wird in <strong>der</strong> Senatskanzlei<br />

angesiedelt – gleichzeitig findet man im Bericht auch eine<br />

sehr funktionale Sichtweise: Wegen <strong>der</strong> Überalterung <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, aber auch aufgrund des Fachkräftemangels<br />

müssen wir uns jetzt verstärkt um die Migranten kümmern?<br />

Wie sehen Sie das? Warum kommt es zu dieser Aufwertung?<br />

EVA QUANTE-BRANDT: Ich halte die ›funktionale‹<br />

Sicht für fragwürdig, nach dem Motto: Jetzt brauchen<br />

wir Euch, jetzt kümmern wir uns mal! Ich<br />

frage mich auch: Haben wir überhaupt ein so<br />

großes Problem mit dem Fachkräftemangel? Ist er<br />

so frappierend? Denn es wird auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

Personal abgebaut und das betrifft viele Menschen,<br />

denen Kompetenzen fehlen und jene, die diskriminiert<br />

werden.<br />

Aber die öffentliche Diskussion ist von diesem<br />

Gedanken geprägt, mein Interesse und auch mein<br />

Wunsch ist es, eine umfassende, gesellschaftliche<br />

und humanistische Perspektive zu wählen. Wir<br />

sollten die Chancen des Zusammenlebens endlich<br />

mehr sehen und ich bedaure, dass <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Multikulturalität so negativ besetzt ist. Denn sie<br />

bedeutet <strong>Vielfalt</strong>, die wir in unserem Einwan<strong>der</strong>ungsland<br />

bereits erreicht haben. Die Gestaltung<br />

von <strong>Vielfalt</strong> ist <strong>der</strong> sinnvolle <strong>Aus</strong>gangspunkt für<br />

Konzepte <strong>der</strong> Partizipation und sozialen Teilhabe.<br />

THOMAS SCHWARZER: In <strong>der</strong> Tat gehört es ja in weiten<br />

Teilen <strong>der</strong> Gesellschaft inzwischen zum ›guten Ton‹, sich<br />

für ein gutes Miteinan<strong>der</strong>, für mehr ›Normalität‹ im<br />

Zusammenleben mit Migranten auszusprechen. Gleichzeitig<br />

gibt es zum Beispiel die alarmierende Studie von

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!