Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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E I N G RO S S E R S C H R I T T<br />
Wir benötigen Brücken, die für Kin<strong>der</strong> und Eltern begehbar sind,<br />
um gerade Familien mit Migrationshintergrund näher an die Institutionen<br />
Schule und Kita heranzuführen.<br />
von zentraler Bedeutung, dass vorhandene Kompetenzen<br />
Berücksichtigung finden.<br />
THOMAS SCHWARZER: Konkret wird im Integrationsplan<br />
davon gesprochen, dass flächendeckend muttersprachlicher<br />
Unterricht ermöglicht werden soll. Davon sind wir<br />
in Bremen weit entfernt, o<strong>der</strong>?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Das ist ja ein umstrittenes<br />
Thema und es freut mich, dass das Bildungsressort<br />
diesen Schritt mitgegangen ist. Zunächst vertreten<br />
wissenschaftliche Disziplinen unterschiedliche<br />
Auffassungen: Die Sprachwissenschaft sagt im<br />
Großen und Ganzen, dass diejenigen, die in ihrer<br />
Muttersprache gebildet sind, den Spracherwerb <strong>der</strong><br />
deutschen Sprache leichter meistern. <strong>Aus</strong> einer<br />
bildungswissenschaftlichen Perspektive wird dies<br />
nicht angenommen. Hier wird eher davon ausgegangen,<br />
dass es keine Belege dafür gebe, dass<br />
jemand, <strong>der</strong> muttersprachlich ausgebildet ist, im<br />
Erwerb <strong>der</strong> deutschen Sprache bessere Startmöglichkeiten<br />
vorfindet. Lehrerinnen und Lehrer fokussieren<br />
eher auf den zweiten Ansatz.<br />
Also: Wenn eine Person mit einem Migrationshintergrund<br />
aufgewachsen ist, dann sollte sie vorrangig<br />
die deutsche Sprache lernen, um sich besser<br />
zurechtzufinden. Nach dem Erwerb kann sich<br />
ohne Weiteres die Herkunftssprache dazugesellen.<br />
Dieses eher normativ ausgerichtete Verständnis<br />
dominiert in unserer Gesellschaft und in unseren<br />
Schulen. Insofern finde ich es aber gut, dass wir<br />
den Punkt ›muttersprachlicher Unterricht‹ im Entwicklungsplan<br />
aufgenommen haben. Mir ist aber<br />
auch bewusst, dass wir vermutlich erst mal mit<br />
Modellprojekten ar<strong>bei</strong>ten müssen, um zu zeigen,<br />
dass muttersprachlicher Unterricht nicht nur den<br />
Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern etwas<br />
bringt, son<strong>der</strong>n auch für den interkulturellen Dialog<br />
und für die Anerkennung von Unterschiedlichkeit.<br />
Es ist auch ein Gewinn für deutschsprachige<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, weitere Sprachen kennenzulernen.<br />
THOMAS SCHWARZER: Schule ist eins, die Kitas sind das<br />
an<strong>der</strong>e. Wo muss Ihrer Ansicht nach <strong>der</strong> Schwerpunkt in<br />
<strong>der</strong> frühkindlichen Erziehung und in den Kitas liegen aus<br />
integrationspolitischer Sicht?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Zunächst mal müssen wir<br />
die Elternar<strong>bei</strong>t insgesamt stärken: Wir benötigen<br />
Brücken, die für Kin<strong>der</strong> und Eltern begehbar sind,<br />
um gerade Familien mit Migrationshintergrund<br />
näher an die Institutionen Schule und Kita heran-<br />
zuführen. Wenn wir eine vielfältige Gesellschaft<br />
als Normalität stärken wollen, müssen wir die<br />
interkulturelle Kompetenz von Pädagoginnen und<br />
Pädagogen för<strong>der</strong>n. Da<strong>bei</strong> hat die Weiterbildung<br />
einen hohen Stellenwert. Natürlich bleibt ebenso<br />
auch die Sprachför<strong>der</strong>ung zentral. Aber es geht<br />
mir hier nicht ausschließlich um die deutsche<br />
Sprache, son<strong>der</strong>n auch um die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Muttersprache.<br />
Meine Vorstellung geht ja insgesamt<br />
in die Richtung, dass wir gerade die <strong>Stärken</strong> <strong>der</strong><br />
Menschen in den Vor<strong>der</strong>grund rücken – und das<br />
ist zum Beispiel die Mehrsprachigkeit.<br />
THOMAS SCHWARZER: Noch mal etwas grundsätzlicher.<br />
Es ist in <strong>der</strong> Bundesrepublik mittlerweile unumstritten,<br />
dass das Thema Integration, Partizipation insbeson<strong>der</strong>e<br />
für die Großstädte wichtiger wird. Auch in Bremen gibt es<br />
eine Aufwertung, <strong>der</strong> Bürgermeister hat den Integrationsplan<br />
mit vorgestellt, das Thema wird in <strong>der</strong> Senatskanzlei<br />
angesiedelt – gleichzeitig findet man im Bericht auch eine<br />
sehr funktionale Sichtweise: Wegen <strong>der</strong> Überalterung <strong>der</strong><br />
Gesellschaft, aber auch aufgrund des Fachkräftemangels<br />
müssen wir uns jetzt verstärkt um die Migranten kümmern?<br />
Wie sehen Sie das? Warum kommt es zu dieser Aufwertung?<br />
EVA QUANTE-BRANDT: Ich halte die ›funktionale‹<br />
Sicht für fragwürdig, nach dem Motto: Jetzt brauchen<br />
wir Euch, jetzt kümmern wir uns mal! Ich<br />
frage mich auch: Haben wir überhaupt ein so<br />
großes Problem mit dem Fachkräftemangel? Ist er<br />
so frappierend? Denn es wird auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
Personal abgebaut und das betrifft viele Menschen,<br />
denen Kompetenzen fehlen und jene, die diskriminiert<br />
werden.<br />
Aber die öffentliche Diskussion ist von diesem<br />
Gedanken geprägt, mein Interesse und auch mein<br />
Wunsch ist es, eine umfassende, gesellschaftliche<br />
und humanistische Perspektive zu wählen. Wir<br />
sollten die Chancen des Zusammenlebens endlich<br />
mehr sehen und ich bedaure, dass <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />
Multikulturalität so negativ besetzt ist. Denn sie<br />
bedeutet <strong>Vielfalt</strong>, die wir in unserem Einwan<strong>der</strong>ungsland<br />
bereits erreicht haben. Die Gestaltung<br />
von <strong>Vielfalt</strong> ist <strong>der</strong> sinnvolle <strong>Aus</strong>gangspunkt für<br />
Konzepte <strong>der</strong> Partizipation und sozialen Teilhabe.<br />
THOMAS SCHWARZER: In <strong>der</strong> Tat gehört es ja in weiten<br />
Teilen <strong>der</strong> Gesellschaft inzwischen zum ›guten Ton‹, sich<br />
für ein gutes Miteinan<strong>der</strong>, für mehr ›Normalität‹ im<br />
Zusammenleben mit Migranten auszusprechen. Gleichzeitig<br />
gibt es zum Beispiel die alarmierende Studie von