Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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A R B E I T S M I G R A N T E N , F L Ü C H T L I NGE U N D AU S S I E D L E R AU F D E M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />
LORENZEN: Ich hab jetzt von Anwälten bis zu Ar<strong>bei</strong>tslosen<br />
und Reinigungskräften viele unterschiedliche Migranten<br />
interviewt. Man trifft auf sehr viele Kämpferbiografien.<br />
Da gibt es mehrfach gebrochene Biografien, Leute, die<br />
vielleicht erst später noch mal so einen Schub bekommen<br />
und sich Zusatzqualifikationen aneignen. Wenn die über<br />
30 sind, müssen die sich das alles selbst zusammenorganisieren.<br />
Dort fehlt es oft an Unterstützung.<br />
REIMANN: Das ist ja auch das, was ich meine. Da ist<br />
zum Beispiel ein Lagerar<strong>bei</strong>ter. Da guckt man dann<br />
nicht, was er denn vorher gemacht hat. Was hat er<br />
vorher für Abschlüsse gemacht? Hat er vielleicht<br />
einen Abschluss im <strong>Aus</strong>land gemacht? Hat er hier<br />
vielleicht noch Praktika gemacht? Vielleicht im<br />
Pflegebereich? Vielleicht gibt es da noch an<strong>der</strong>e<br />
Möglichkeiten. Wenn da eine Lücke ist, muss man<br />
gucken, was da passiert ist. Das gehört auch zum<br />
Job.<br />
LORENZEN: Gibt es etwas, was Sie sich organisatorischstrukturell<br />
wünschen, das Ihnen die Ar<strong>bei</strong>t erleichtern<br />
würde?<br />
REIMANN: Bei Kunden mit schwierigerem Hintergrund<br />
würde ich mir mehr Zeit wünschen. Das ist<br />
aber auch ein Thema, das erkannt wurde, in diese<br />
Richtung geht es. Es wird irgendwann so kommen,<br />
dass wir dann auch innerhalb des Teams jemanden<br />
haben, <strong>der</strong> keine 250 Kunden mehr hat. Und dafür<br />
mehr Zeit für den Einzelnen im Gespräch, mehr<br />
Zeit, die Bewerbungsunterlagen intensiver anzugucken<br />
o<strong>der</strong> zu einem Bewerbungsgespräch mitzugehen.<br />
LORENZEN: Haben Sie für sich das Gefühl, dass Sie<br />
hier an dem richtigen Platz gelandet sind? Dass Sie hier<br />
Ihre Erfahrungen, Fähigkeiten gut einsetzen können?<br />
REIMANN: Ja, ich denke das Thema Beratung ist<br />
eines meiner Kernkompetenzen. Was das Thema<br />
Ideen einzubringen und umzusetzen anbelangt, ist<br />
es in einer Behörde schwierig. Wir haben ganz<br />
bestimmte Vorgaben, aber innerhalb dieser Vorgaben<br />
kann man das auch.<br />
Milton Reimann kann sich vorstellen, irgendwann<br />
einmal Migrationsbeauftragter o<strong>der</strong><br />
Berufsberater im akademischen Bereich <strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsagentur zu werden.<br />
Das Gespräch hat den Eindruck hinterlassen,<br />
dass auf fachlicher Ebene ein Umdenken eingesetzt<br />
hat und um neue Lösungsmöglichkeiten<br />
gerungen wird.<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Aus</strong> den in den Interviews aufgezeigten Lösungsansätzen<br />
sollen zum Schluss noch einmal drei<br />
herausgefiltert und geson<strong>der</strong>t erörtert werden.<br />
Gesetzgebung<br />
›Es gibt im Betriebsverfassungsgesetz das hehre Ziel,<br />
Menschen mit an<strong>der</strong>er Herkunft zu för<strong>der</strong>n. Es<br />
wäre gut, wenn <strong>der</strong> Gesetzgeber verbindliche Formen<br />
finden könnte, die es den Betriebsräten<br />
ermöglichen, das auch durchzusetzen‹, sagt Pelin<br />
Ögüt. Über 1.200 Unternehmen und Organisationen<br />
in Deutschland haben die Charta <strong>der</strong> <strong>Vielfalt</strong><br />
unterschrieben und sich <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> <strong>Vielfalt</strong><br />
verpflichtet. Dazu gehört auch die För<strong>der</strong>ung<br />
von Mitar<strong>bei</strong>tern mit Migrationshintergrund. Doch<br />
Diversity-Programme bleiben zahnlose Tiger, wenn<br />
die Betriebsräte sie nicht in verbindliche Betriebsvereinbarungen<br />
gießen können. Zu den För<strong>der</strong>instrumenten,<br />
die gesetzlich verpflichtend sein sollten,<br />
gehören auch Sprachkurse für die Mitar<strong>bei</strong>ter.<br />
Ohne den Staat aus <strong>der</strong> Verantwortung für die<br />
Bereitstellung <strong>der</strong> nötigen För<strong>der</strong>instrumente zu<br />
entlassen. Aber mit Eintritt ins Ar<strong>bei</strong>tsleben kann<br />
Sprachför<strong>der</strong>ung wesentlich besser auf betrieblicher<br />
Ebene organisiert werden. Nachzudenken ist<br />
über eine verbesserte Zusammenar<strong>bei</strong>t betrieblicher<br />
und öffentlicher Angebote im Sinne einer biografiebegleitenden<br />
Sprachför<strong>der</strong>ung, die auch auf<br />
die Brüche in den Lebensgeschichten reagieren<br />
kann.<br />
Manchmal würde schon eine humanere <strong>Aus</strong>legung<br />
von Gesetzen reichen, um jemanden eine<br />
qualifizierte Ar<strong>bei</strong>t zu ermöglichen, wie die Geschichte<br />
von Ramin Popalzai zeigt.<br />
Öffentlicher Dienst als Vorreiter<br />
›Als ich mich beworben habe, stand <strong>bei</strong> vielen<br />
Anzeigen: Migrationshintergrund gewünscht.‹ Die<br />
Geschichte von Güler Binici zeigt, wie wichtig es<br />
ist, gezielt Menschen mit Migrationshintergrund<br />
für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. In München,<br />
das als ein Vorreiter auf diesem Weg gilt,<br />
liegt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>zubildenden mit Migrationshintergrund<br />
im öffentlichen Dienst durch<br />
gezielte För<strong>der</strong>maßnahmen schon <strong>bei</strong> 20 Prozent<br />
(Bremen: 17 Prozent).<br />
Bildet Netzwerke<br />
›Daraus haben sich Netzwerktreffen ergeben, wo<br />
sich alle Beratungsstellen für Migranten und<br />
Behörden regelmäßig treffen‹, sagt Milton Reimann.<br />
Um den nötigen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel<br />
weg vom Defizitdenken zu bewerkstelligen,<br />
ist es wichtig, dass die Akteure in den unterschiedlichen<br />
Bereichen zusammenar<strong>bei</strong>ten. Die in<br />
den Beratungsstellen, die Lehrer mit und ohne<br />
Zuwan<strong>der</strong>ungsgeschichte, die Betriebsräte und Vertrauensleute<br />
und und und. Und noch besser wäre<br />
es, wenn diese Vernetzung auch bereichsübergreifend<br />
stattfindet. O<strong>der</strong> wie Nermin Sali sagt: ›Ein<br />
bisschen Vitamin B tut <strong>der</strong> Gesellschaft ganz gut.‹