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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

115<br />

A R B E I T S M I G R A N T E N , F L Ü C H T L I NGE U N D AU S S I E D L E R AU F D E M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />

›Ich bin eher <strong>der</strong><br />

Zahlenmensch‹<br />

<strong>Aus</strong>siedler<br />

Neben den Ar<strong>bei</strong>tsmigranten und den Asylbewerbern<br />

sind die <strong>Aus</strong>siedler die dritte große Gruppe<br />

<strong>der</strong>jenigen, die in den letzten fünfzig Jahren zugezogen<br />

sind. Im Gegensatz zu den Flüchtlingen sind<br />

sie hier gewünscht – jedenfalls offiziell. Auf dem<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmarkt müssen <strong>Aus</strong>siedler aus Osteuropa<br />

und <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> mit Benachteiligungen rechnen.<br />

An dieser Stelle kommt <strong>der</strong> Sohn einer <strong>Aus</strong>siedlerfamilie<br />

zu Wort, <strong>der</strong> seine Ziele hier weitgehend<br />

umsetzen konnte. Und an seinem jetzigen Ar<strong>bei</strong>tsplatz<br />

im Personalmanagement <strong>bei</strong> Daimler einen<br />

guten Einblick in die Situation an<strong>der</strong>er Ar<strong>bei</strong>tnehmer<br />

hat.<br />

Gregor Kruppa – über die<br />

Produktion ins Büro<br />

Lange war die Suche nach einem Personalmanager<br />

mit einem Migrationshintergrund vergeblich.<br />

Der entscheidende Tipp kam dann vom Daimler-<br />

Betriebsrat. Irgendwann klingelte das Telefon und<br />

Gregor Kruppa war dran. Er hatte zwar gerade viel<br />

zu tun, weil er unter an<strong>der</strong>em für den Einsatz<br />

<strong>der</strong> Ferienkräfte zuständig ist, nahm sich aber gern<br />

die Zeit für ein Gespräch.<br />

Gregor Kruppa wurde 1966 in Polen geboren.<br />

Die Großeltern waren Deutsche und die Eltern hatten<br />

ziemlich lange vergeblich die <strong>Aus</strong>reise nach<br />

Deutschland beantragt. Im oberschlesischen Kohlerevier<br />

sind Ar<strong>bei</strong>tskräfte knapp. Bis zur siebten<br />

Klasse wächst Gregor Kruppa in Polen auf, die<br />

Eltern verstehen zwar noch Deutsch, gesprochen<br />

wird aber nur Polnisch beziehungsweise Oberschlesisch.<br />

Gregor Kruppa ist ein guter Schüler, dem<br />

das Lernen leichtfällt.<br />

1980 bleiben die Eltern während eines Urlaubs<br />

in Deutschland. Die Kin<strong>der</strong> kommen nach acht<br />

Monaten nach.<br />

KRUPPA: Ich war davon nicht so begeistert, weil ich<br />

meine ganzen Freunde in Polen hatte, aber ich<br />

wurde nicht gefragt. Am Anfang bin ich von den<br />

Eindrücken erschlagen worden, allein schon von<br />

den Einkaufsmöglichkeiten. Bei meiner Ankunft<br />

hat mein Vater gleich ein Kilo Bananen gekauft.<br />

Das war hier eine an<strong>der</strong>e Welt als in Oberschlesien.<br />

Aber nicht nur die äußeren Eindrücke machen<br />

dem Neuankömmling zu schaffen.<br />

KRUPPA: Ich hatte mich nicht getraut, nach<br />

draußen zu gehen und Kontakt mit an<strong>der</strong>en<br />

Kin<strong>der</strong>n zu knüpfen, weil ich Probleme mit <strong>der</strong><br />

deutschen Sprache hatte.<br />

Er ist mit einem guten Zeugnis nach Deutschland<br />

gekommen und muss nun Ende <strong>der</strong> siebten<br />

Klasse in <strong>der</strong> Hauptschule einsteigen. Er<br />

bekommt För<strong>der</strong>unterricht in Deutsch, versteht<br />

aber anfangs nur im Matheunterricht etwas, wo<br />

er vom Stoff her wesentlich weiter ist als seine<br />

Mitschüler.<br />

KRUPPA: Nach den Ferien bin ich dann in die Realschule<br />

gewechselt und habe weiter neben<strong>bei</strong> För<strong>der</strong>unterricht<br />

gehabt. Ich hatte weiter wenig Kontakt,<br />

aber nach etwa einem halben Jahr Aufenthalt<br />

in Deutschland bin ich einmal rausgegangen. Und<br />

ab dem Zeitpunkt bin ich ständig mit den neuen<br />

Freunden draußen gewesen.<br />

Der Vater ar<strong>bei</strong>tet als Schlosser im Montagebereich,<br />

die Mutter war in Polen kaufmännische<br />

Angestellte und ar<strong>bei</strong>tet in Deutschland als<br />

Raumpflegerin im Krankenhaus. Als Gregor<br />

Kruppa 18 Jahre alt ist, ziehen die Eltern aus<br />

beruflichen Gründen weg. Er bleibt in Bremen,<br />

unter an<strong>der</strong>em, weil er schon eine Beziehung<br />

zu seiner späteren Frau hat.<br />

LORENZEN: Was war Ihr erster Berufswunsch?<br />

KRUPPA: Zahntechniker. Aber meine Lehrer haben<br />

meine Eltern immer bekräftigt, mich aufs Gymnasium<br />

zu schicken, deshalb habe ich mich nicht<br />

um eine Lehrstelle beworben. Die Schule habe ich<br />

dann jedoch abgebrochen. Die meisten meiner<br />

Freunde hatten schon Geld, da sie eine <strong>Aus</strong>bildung<br />

angefangen hatten. Ich war hier mit 18 Jahren auf<br />

mich allein gestellt, habe es auf dem Gymnasium<br />

etwas schleifen lassen und mich um eine <strong>Aus</strong>bildungsstelle<br />

bemüht.<br />

Nach einer <strong>Aus</strong>bildung zum Kaufmann und<br />

zweijähriger Berufstätigkeit bewirbt er sich<br />

wegen <strong>der</strong> fehlenden Perspektive in seiner Firma<br />

<strong>bei</strong> Daimler.<br />

KRUPPA: Aber <strong>bei</strong> Daimler hieß es, dass sie für den<br />

kaufmännischen Bereich keine Externen einstellen.<br />

Es gab nur die Möglichkeit, erst einmal in <strong>der</strong><br />

Produktion anzufangen und dann zu versuchen,<br />

sich intern zu bewerben. Davon hat mir die damalige<br />

Personalberaterin aufgrund meiner <strong>Aus</strong>bildung<br />

abgeraten. Ich hatte einen Tag Bedenkzeit und<br />

habe mich nach Rücksprache mit meiner Freundin<br />

doch dafür entschieden. Im Nachhinein eine gute<br />

Entscheidung. Ich hatte das Glück, dass ich nicht<br />

direkt in <strong>der</strong> Produktion am Band anfangen<br />

musste, son<strong>der</strong>n im Logistikbereich, im Wareneingang.<br />

Da hatte ich auch etwas mit ›Papierkram‹<br />

zu tun. Die Umstellung aus einem Einzelbüro war<br />

trotzdem schwer. Die ersten drei Wochen waren<br />

ziemlich schlimm. Nachdem man sich aber etwas<br />

eingear<strong>bei</strong>tet hatte und Kontakt zu an<strong>der</strong>en Kollegen<br />

geknüpft hatte, waren die Probleme vergessen.<br />

Neben<strong>bei</strong> habe ich noch eine <strong>Aus</strong>bildung zum<br />

praktischen Betriebswirt gemacht. Das wurde erst<br />

etwas belächelt. Es hieß, es hätten schon ganz<br />

an<strong>der</strong>e versucht, in den kaufmännischen Bereich<br />

zu kommen, sogar mit akademischen Abschlüssen.<br />

Zu <strong>der</strong> Zeit versuchen einige qualifizierte Ar<strong>bei</strong>tnehmer,<br />

die eventuell auch aus finanziellen<br />

Gründen in die Produktion gegangen sind, wie<strong>der</strong><br />

in eine Bürotätigkeit zu gelangen. Gregor<br />

Kruppa schafft das mit <strong>der</strong> ersten Bewerbung<br />

und landet in <strong>der</strong> Zeitabrechnung. Dort wird er<br />

nach vier Jahren stellvertreten<strong>der</strong> Teamleiter.<br />

Als <strong>der</strong> Teamleiter 2004 in Vorruhestand geht,<br />

wird er bis 2007 Fachvorgesetzter. Dann spricht<br />

ihn ein Teamleiter aus <strong>der</strong> Personalabteilung<br />

an, wo er seitdem in wechselnden Funktionen<br />

ar<strong>bei</strong>tet.<br />

KRUPPA: Ich bin eher <strong>der</strong> Zahlenmensch. Jetzt bin<br />

ich hauptsächlich für das Thema Ar<strong>bei</strong>tnehmerüberlassung<br />

zuständig, für die ganze Prozesskette<br />

vom Recruiting bis zur Abrechnung.<br />

LORENZEN: Gibt es <strong>bei</strong> Ihnen Programme o<strong>der</strong> Instrumente<br />

für Mitar<strong>bei</strong>ter mit Migrationshintergrund?<br />

KRUPPA: Unter dem Stichwort ›Diversity‹, also<br />

<strong>Vielfalt</strong>, haben wir ein Programm, das sich mit den<br />

Themen Migration, Frauengleichstellung, Fair Play<br />

und an<strong>der</strong>em beschäftigt.<br />

LORENZEN: Wie sehen Sie die augenblickliche Situation<br />

von Ar<strong>bei</strong>tnehmern mit Migrationshintergrund hier im<br />

Unternehmen?<br />

KRUPPA: Die Migranten sind <strong>bei</strong> uns voll integriert,<br />

gerade die türkischen Mitar<strong>bei</strong>ter sind ja bereits<br />

seit den Anfängen von Daimler in Bremen da<strong>bei</strong>.<br />

LORENZEN: Kann es eventuell zu Benachteiligungen <strong>bei</strong><br />

Beför<strong>der</strong>ungen kommen?<br />

KRUPPA: Das kann ich mir nicht vorstellen. Bei den<br />

Versetzungsprozessen guckt man auf die Qualifikationen<br />

und nicht auf die Staatsangehörigkeit.<br />

LORENZEN: Haben Sie selbst noch weitergehende Ziele?<br />

KRUPPA: Ich fühle mich im Moment sehr wohl und<br />

habe keine Ambitionen, den Bereich zu wechseln.<br />

Vom Fach<br />

Zum Schluss dieses Streifzuges durch Bremer<br />

Betriebe, Verwaltungen und Beratungsstellen soll<br />

ein Mann vorgestellt werden, <strong>der</strong> aus seiner <strong>eigene</strong>n<br />

Geschichte weiß, dass es manchmal gerade die<br />

Umwege sind, die zum Ziel führen. Der Biografien<br />

daraufhin abklopft, wo jemand eine Fähigkeit<br />

anbietet und nicht daraufhin, wo ein Defizit verborgen<br />

sein könnte. Genau wie Nermin Sali am<br />

Anfang dieses Berichtes, betont er die Notwendigkeit,<br />

die Gleichung: ›Migrationshintergrund=<br />

Defizit‹ endlich auszuradieren und stattdessen<br />

nach Potenzialen zu suchen (was <strong>bei</strong> jedem an<strong>der</strong>en<br />

Ar<strong>bei</strong>tsuchenden mittlerweile selbstverständlich<br />

ist). Und das Beste: Milton Reimann befindet<br />

sich auf einer Stelle, wo er diese Erkenntnis auch<br />

umsetzen und vorantreiben kann: mitten in <strong>der</strong><br />

Ar<strong>bei</strong>tsagentur.<br />

Milton Reimann – <strong>der</strong> Vermittler<br />

Die Gänge in <strong>der</strong> Bremer Ar<strong>bei</strong>tsagentur am Doventorsteinweg<br />

sind noch genauso lang und verschlungen<br />

wie zu <strong>der</strong> Zeit, als <strong>der</strong> Interviewer nach dem<br />

Studium die Vermittlungsstelle für Akademiker<br />

aufsuchte. Dort sitzt heute Milton Reimann und<br />

zeigt den Weg durchs Labyrinth.<br />

Milton Reimann ist in Kolumbien als Sohn einer<br />

Kolumbianerin und eines Deutschen geboren.<br />

Der Vater ar<strong>bei</strong>tete <strong>bei</strong> VW in Brasilien und Kolumbien<br />

und kehrte mit <strong>der</strong> Familie nach Deutschland<br />

zurück, als Milton Reimann vier Jahre alt war.<br />

Seine Schul- und Studienzeit verläuft relativ reibungslos.<br />

Die Integration gelingt ihm unter an<strong>der</strong>em<br />

mithilfe seines großen Fußball-Talents sehr<br />

gut. Mit <strong>der</strong> B-Jugend von Wer<strong>der</strong> Bremen wird<br />

er sogar Deutscher Vize-Meister, als Erwachsener<br />

spielte er unter an<strong>der</strong>em für den FC Bremerhaven<br />

in <strong>der</strong> Regionalliga.<br />

LORENZEN: Hatten Sie mal den Traum, Profifußballer zu<br />

werden?<br />

REIMANN: Nicht wirklich. Ich gehörte eher zu den<br />

Ökos. Also von daher hatte ich eher eine gesunde<br />

Einstellung dazu und ich wollte sogar nach dem<br />

zweiten Jahr B-Jugend eigentlich lieber aufhören.<br />

LORENZEN: Bereuen Sie das manchmal, dass Sie da nicht<br />

mit mehr Ehrgeiz rangegangen sind?<br />

REIMANN: Nein, eine meiner beson<strong>der</strong>en Eigenschaften<br />

ist, mich gut einschätzen zu können.<br />

›Man sollte auf<br />

das achten, was<br />

vorhanden ist,<br />

nicht auf das,<br />

was fehlt.‹

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