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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

111<br />

A R B E I T S M I G R A N T E N , F L Ü C H T L I NGE U N D AU S S I E D L E R AU F D E M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />

›Man muss<br />

jemanden<br />

kennen, um<br />

vorwärtszukommen.‹<br />

*Name von <strong>der</strong><br />

Redaktion geän<strong>der</strong>t<br />

Ganesh N.* – ohne den richtigen<br />

Draht nach oben<br />

GANESH N.: Als ich klein war, bin ich schon mit<br />

Kabeln rumgelaufen, ich wollte immer Elektriker<br />

werden.<br />

Das erzählt Ganesh N. in einem McDonald’s-<br />

Restaurant im Bremer Süden. Den Treffpunkt<br />

hat er gewählt, weil er in <strong>der</strong> Nähe mit seiner<br />

Frau und seinen <strong>bei</strong>den Kin<strong>der</strong>n lebt. Und wohl<br />

auch, weil er während seiner Odyssee durch<br />

Bremer Leihar<strong>bei</strong>tsfirmen auch hier mal Station<br />

gemacht hat.<br />

Ganesh N. kommt mit 19 Jahren als Flüchtling<br />

aus Sri Lanka, wo er zur unterdrückten tamilischen<br />

Min<strong>der</strong>heit gehört, nach Deutschland,<br />

wo seine Mutter schon lebt. <strong>Aus</strong> seiner Heimat<br />

bringt er einen Realschulabschluss und eine<br />

<strong>Aus</strong>bildung als Elektriker mit.<br />

GANESH N.: Meine Schulzeit war beschissen, da gab<br />

es noch Prügelstrafe. Hier wäre ich gern zur Schule<br />

gegangen. Aber als Flüchtlinge durften wir das<br />

nicht, ar<strong>bei</strong>ten zunächst auch nicht.<br />

Erst nach acht Jahren wird er als Asylbewerber<br />

anerkannt.<br />

Dafür lauten die ersten Stationen: Eine-Mark-<br />

Ar<strong>bei</strong>t, drei Monate Deutschkurs, sechs Monate<br />

Ar<strong>bei</strong>tsvorbereitungskurs, Hauptschulabschluss,<br />

<strong>Aus</strong>bildung zum Elektriker in einer <strong>Aus</strong>bildungskooperative.<br />

GANESH N.: Da musste ich sechs Monate länger<br />

machen, weil ich die Theorie das erste Mal nicht<br />

geschafft habe.<br />

Dann eine Stelle <strong>bei</strong> einem Elektrobetrieb im<br />

Laborbereich; immer wie<strong>der</strong> muss er die Stellen<br />

wechseln, weil keine Aufträge mehr da sind.<br />

Irgendwann kommen die Jobs nur noch über<br />

Leihar<strong>bei</strong>tsfirmen. Seit zweieinhalb Jahren ist er<br />

jetzt <strong>bei</strong> <strong>der</strong> gleichen Ar<strong>bei</strong>tsstelle als Elektriker<br />

eingesetzt.<br />

GANESH N.: Das Problem ist: Die nehmen viele<br />

Leute an, aber mich übersehen die irgendwie. Ich<br />

habe mich zweimal beworben, aber die haben<br />

mich abgelehnt. Als Festangestellter verdient man<br />

mit Zuschlägen fast doppelt so viel. Letzte Woche<br />

haben sie wie<strong>der</strong> drei Monteure von außen eingestellt,<br />

mich haben sie abgelehnt.<br />

Vor eineinhalb Jahren hatte Ganesh N. einen<br />

Herzinfarkt, ist inzwischen aber wie<strong>der</strong> voll<br />

belastbar.<br />

GANESH N.: Aber ich habe diese Angst, dass sie morgen<br />

sagen: Wir haben keine Ar<strong>bei</strong>t mehr, melden<br />

Sie sich ab. Dann muss ich wie<strong>der</strong> neu anfangen.<br />

Ich bin eingear<strong>bei</strong>tet, ich kenne die Leute, das<br />

nervt mich. Wenn ich nicht ar<strong>bei</strong>te, bekomme ich<br />

400 Euro weniger. Dann ist ein großes Loch da,<br />

deshalb spare ich immer schon Stunden an. Wenn<br />

man nach Jobs guckt, laufen 90 Prozent <strong>der</strong> Angebote<br />

über Zeitar<strong>bei</strong>tsfirmen. Ich weiß nicht,<br />

was morgen passiert, ich brauche unbedingt eine<br />

größere Wohnung.<br />

LORENZEN: Haben Sie während Ihres Berufslebens<br />

Diskriminierungen erlebt?<br />

GANESH N.: Vor acht Jahren musste ich ein Netzwerk<br />

installieren. Ich hatte zwei Wochen Zeit und<br />

war in einer Woche fertig. Und dann haben sie<br />

mich abgemeldet, obwohl sie noch Ar<strong>bei</strong>t hatten.<br />

Der Vorar<strong>bei</strong>ter hat direkt zu mir gesagt, dass<br />

irgendeiner nicht mit meiner Hautfarbe einverstanden<br />

ist. Der Chef <strong>der</strong> Zeitar<strong>bei</strong>tsfirma hat zu mir<br />

gesagt, ich muss ein dickes Fell bekommen, um das<br />

zu ignorieren. Blöde Witze höre ich auch immer<br />

wie<strong>der</strong>. Aber ich weiß, dass sie Spaß machen und<br />

nehme das nicht so ernst. Neulich sollte ich früher<br />

anfangen, weil wir so viel Ar<strong>bei</strong>t hatten. Da kommt<br />

einer zu mir und sagt: Wieso ar<strong>bei</strong>test du eine<br />

Stunde früher, du Scheiß-Leihar<strong>bei</strong>ter, du nimmst<br />

uns unsere Ar<strong>bei</strong>t weg. So hat er mich beschimpft.<br />

Solche Unfälle gibt es. Aber rassistisch ist es in<br />

Bremen nicht.<br />

LORENZEN: Haben Sie das Gefühl, Stellen nicht zu<br />

bekommen, weil Sie kein Deutscher sind?<br />

GANESH N.: Ja. Ich spreche vielleicht nicht so<br />

gut Deutsch wie die an<strong>der</strong>en. Die haben einen<br />

an<strong>der</strong>en Leihar<strong>bei</strong>ter übernommen, <strong>der</strong> meine Vertretung<br />

war. Der ist älter als ich und hat weniger<br />

Erfahrung. Den haben sie übernommen. Man<br />

muss hier jemanden kennen, um vorwärtszukommen.<br />

Einen Verwandten o<strong>der</strong> so, das habe ich<br />

begriffen.<br />

LORENZEN: Und so jemanden kennen Sie dort nicht?<br />

GANESH N.: So gut nicht. Sie sagen über mich:<br />

Er ist gut und macht alles. Ich habe vielen geholfen,<br />

wenn sie einen Fernseher gekauft und angeschlossen<br />

haben. Es gibt einige, die sagen: Ich will nicht,<br />

dass du gehst. Aber die können das nicht entscheiden.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Jahre hat sich nach Ganesh N.’s<br />

Wahrnehmung die Kultur <strong>der</strong> Leihar<strong>bei</strong>tsfirmen<br />

verän<strong>der</strong>t.<br />

GANESH N.: Mittlerweile gibt es ja an je<strong>der</strong> Ecke<br />

eine Zeitar<strong>bei</strong>tsfirma. Die sind unpersönlicher<br />

geworden. Früher waren die mindestens einmal<br />

pro Woche auf <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsstelle. O<strong>der</strong> <strong>bei</strong> den<br />

Geburtstagen! Ich habe meiner Firma persönlich<br />

gesagt: ‹Warum könnt ihr nicht eine Karte zu meinem<br />

Geburtstag schreiben? Ihr habt doch meine<br />

Daten!‹ Früher kamen die mit einem kleinen<br />

Geschenk. Das ist wichtiger als Geld. Meine Videothek<br />

weiß, wann ich Geburtstag habe. Ich will kein<br />

riesiges Geschenk. ›Alles Gute‹, das reicht. Von<br />

meiner Ar<strong>bei</strong>tsstelle haben viele im Krankenhaus<br />

angerufen und mir gratuliert. Die haben meinen<br />

Geburtstag im Kalen<strong>der</strong> markiert.<br />

LORENZEN: Haben Sie noch Hoffnung, dass Sie dort<br />

übernommen werden?<br />

GANESH N.: Die Hoffnung ist das Letzte, das bleibt.<br />

Aber wenn ich sehe, dass immer neue Leute anfangen<br />

und ich werde übersehen. Das tut richtig weh.<br />

LORENZEN: Was wäre Ihr Traumjob?<br />

GANESH N.: Den ich gerade mache.<br />

LORENZEN: Werden Sie sich noch mal bewerben?<br />

GANESH N.: Weiß ich nicht, die Enttäuschung sitzt<br />

noch. Ich habe da eine Macke, ich will keine<br />

schlechte Nachricht mehr hören. Die wissen doch,<br />

dass ich da bin. Warum muss ich mich denn noch<br />

mal bewerben? Ich bin <strong>der</strong> Einzige in <strong>der</strong> Abteilung,<br />

<strong>der</strong> alles machen kann. Das habe ich mir<br />

alles abgeguckt. Aber das weiß <strong>der</strong> da oben, <strong>der</strong><br />

den Scheck unterschreibt, nicht.<br />

LORENZEN: Haben Sie schon mal versucht, mit dem Chef<br />

selbst zu sprechen?<br />

GANESH N.: Bis jetzt noch nicht. Das hat mir ein<br />

Kollege auch geraten, Termin machen, hingehen<br />

und fragen. Vielleicht mache ich das noch.<br />

LORENZEN: Wenn Sie an die Zukunft denken, was für<br />

ein Gefühl haben Sie dann?<br />

GANESH N.: Ein unsicheres Gefühl. Ich kann nicht<br />

sparen, keine vernünftige Wohnung suchen.<br />

Ich stehe auf <strong>der</strong> Kippe. Ich sage zu meiner Frau,<br />

in Deutschland ist keiner arm, mache dir keine<br />

Sorgen. Wir sind glücklich.<br />

Und dann kommt er über Umwege wie<strong>der</strong> auf<br />

seinen großen Traum zurück, <strong>der</strong> doch ein<br />

kleiner ist und mit zwei Kabeln zu tun hat.<br />

GANESH N.: Wir versuchen meinem Großen, etwas<br />

<strong>bei</strong>zubringen. Meine Frau kann besser Deutsch<br />

als ich. In Mathe ist er ganz gut. Er will mal Pilot<br />

werden, das ist ein Kin<strong>der</strong>traum. Aber vielleicht<br />

macht er es. Als ich klein war, wollte ich Elektriker<br />

werden. Wir hatten ein Radio, da habe ich zwei<br />

Drähte genommen und zwei Zimmer weiter einen<br />

Lautsprecher angeschlossen. Dann konnte man da<br />

auch Radio hören. Da war ich neun. Da wusste<br />

ich, dass ich es schaffen werde.<br />

Auf dem Rückweg zur Wohnung steht Frau N.<br />

schon am Fenster und winkt freundlich<br />

lächelnd herunter. Von dieser Freundlichkeit<br />

haben die N.’s sehr viel mit nach Deutschland<br />

gebracht. Vielleicht zu viel, um sich auf diesem<br />

Ar<strong>bei</strong>tsmarkt zu behaupten.<br />

Ramin Popalzai – <strong>bei</strong> Unternehmen begehrt,<br />

<strong>bei</strong>m Amt keine Chance<br />

Im Gegensatz zu Ganesh N. ist Ramin Popalzai<br />

erst seit zwei Jahren in Bremen und noch nicht als<br />

Asylant anerkannt. Dafür bringt er alle an<strong>der</strong>en<br />

Voraussetzungen mit, sofort in eine qualifizierte<br />

Beschäftigung einsteigen zu können. Sogar jede<br />

Menge Ar<strong>bei</strong>tgeber, die ihn mit Kusshand einstellen<br />

würden.<br />

Das Gespräch vermittelt Udo Casper vom Bremer<br />

und Bremerhavener IntegrationsNetz, das<br />

ar<strong>bei</strong>tsmarktliche Unterstützung für Bleibeberechtigte<br />

und Flüchtlinge koordiniert. In dessen kleinem<br />

Büro in Walle ist zum von Ramin Popalzai vorgeschlagenen<br />

Gesprächstermin lei<strong>der</strong> kein Raum<br />

frei. Das benachbarte Eiscafé fällt als Interviewort<br />

auch aus, da gerade <strong>der</strong> Ramadan begonnen hat.<br />

Was bleibt, ist das Auto des Interviewers. Das<br />

unwirtliche Ambiente dieses Ortes passt allerdings<br />

ganz gut zu dem, was Ramin Popalzai, <strong>der</strong> zu dem<br />

Gespräch seinen Bru<strong>der</strong> Rashid mitbringt, zu<br />

erzählen hat.<br />

Ramin Popalzai ist 2010 mit seinen drei<br />

Geschwistern und <strong>der</strong> Mutter aus Kabul in<br />

Afghanistan nach Deutschland geflohen.<br />

RAMIN POPALZAI: Ich dachte, es wird einfacher<br />

sein, Deutsch zu lernen, aber es ist schwer.<br />

LORENZEN: Ich verstehe Sie gut. Was für eine <strong>Aus</strong>bildung<br />

haben Sie in Kabul gemacht?<br />

RAMIN POPALZAI: Ich habe Wirtschaftswissenschaft<br />

studiert und das Diplom gemacht. Und<br />

dann habe ich fünf Jahre in einer amerikanischen<br />

Firma in <strong>der</strong> Finanzabteilung gear<strong>bei</strong>tet.<br />

LORENZEN: Sind Sie aus Kabul gleich nach Bremen<br />

gekommen?

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