Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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A R B E I T S M I G R A N T E N , F L Ü C H T L I NGE U N D AU S S I E D L E R AU F D E M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />
*Name von <strong>der</strong><br />
Redaktion geän<strong>der</strong>t<br />
ÖGÜT: Wenn man meinen Lebenslauf liest, hat<br />
man das Gefühl, zack, zack, zack, genau darauf<br />
war es ausgerichtet. Es gab aber keinen Masterplan,<br />
es hat sich immer aus dem entwickelt, was mich<br />
gerade interessiert hat.<br />
LORENZEN: Mussten Sie auf diesem Weg Hürden<br />
überspringen?<br />
ÖGÜT: Bewusst nicht.<br />
LORENZEN: Spielt das Thema Migration in ihrer beruflichen<br />
Praxis eine Rolle? Haben Sie überproportional viele<br />
Klienten mit Migrationshintergrund?<br />
ÖGÜT: Das nicht. Aber ich habe ab und zu Mandanten,<br />
die sehr glücklich sind, wenn sie ihr Anliegen<br />
in <strong>der</strong> türkischen Sprache vorbringen können.<br />
Aber wir haben keine Regelung, dass alle, die Türkisch<br />
sprechen, <strong>bei</strong> mir landen. Manchmal finde<br />
ich es ganz süß, eine gewisse an<strong>der</strong>e Mentalität<br />
mitzubekommen. Es ist nun mal etwas an<strong>der</strong>es, ob<br />
eine ältere Dame mit türkischer Herkunft hier sitzt<br />
und mich als Töchterchen bezeichnet.<br />
LORENZEN: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Anliegen<br />
<strong>der</strong> Mandanten mit Migrationshintergrund von denen<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en unterscheiden?<br />
ÖGÜT: Meistens nicht. Doch es ist schon so, dass<br />
bestimmte Berufsfel<strong>der</strong> überproportional oft an<br />
Menschen mit ausländischer Herkunft vergeben<br />
werden, Reinigungsar<strong>bei</strong>ten zum Beispiel. O<strong>der</strong><br />
Leihar<strong>bei</strong>tsfirmen, die ihre Leute als ungelernte<br />
Kräfte in alle möglichen Tätigkeiten reinstecken.<br />
Da tauchen überdurchschnittlich viele ausländische<br />
Mandanten auf. Ich glaube nicht, dass sie<br />
mehr Probleme haben als Deutsche. Denn häufig<br />
sind bestimmte Ar<strong>bei</strong>tgeber hier bekannt, die ihre<br />
Ar<strong>bei</strong>tnehmer nicht so behandeln, wie es sein sollte.<br />
Oft führt dann das Sprachproblem dazu, dass<br />
die Ar<strong>bei</strong>tnehmer sich dem Ar<strong>bei</strong>tgeber gegenüber<br />
hilflos fühlen und lange warten, bis sie herkommen.<br />
Ich will aber nicht den Eindruck vermitteln,<br />
dass hier alle Menschen mit ausländischem Hintergrund<br />
Sprachprobleme haben. Das ist nicht so.<br />
LORENZEN: Haben Sie oft mit dem Antidiskriminierungsgesetz<br />
zu tun?<br />
ÖGÜT: Mehr über Betriebsratstätigkeiten als über<br />
individuelle Mandate. Für Betriebsräte, die ich berate,<br />
ist das schon ein Thema, wie man gemeinsam<br />
mit den Ar<strong>bei</strong>tgebern Spielregeln aufstellen und<br />
Betriebsvereinbarungen treffen kann, die Diskriminierungen<br />
vermeiden helfen.<br />
LORENZEN: Gibt es weiterhin Diskriminierungen auf<br />
dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt? Zum Beispiel, wenn es um Aufstiegsmöglichkeiten<br />
geht?<br />
ÖGÜT: Das denke ich schon. Es ist natürlich immer<br />
schwer zu beweisen, woran es liegt. Aber es ist<br />
genauso auffällig, wie die nach wie vor geringe<br />
Anzahl von Frauen in Führungspositionen.<br />
LORENZEN: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?<br />
ÖGÜT: Es wäre zum Beispiel gut, wenn es eine Verpflichtung<br />
für Ar<strong>bei</strong>tgeber gäbe, bestimmte Sprachkurse<br />
anzubieten. Wenn meine Schwester und ich<br />
die Sprache nicht so schnell beherrscht hätten,<br />
wäre vieles an<strong>der</strong>s verlaufen. Es gibt im Betriebsverfassungsgesetz<br />
das hehre Ziel, Menschen mit an<strong>der</strong>er<br />
Herkunft zu för<strong>der</strong>n. Es wäre gut, wenn <strong>der</strong><br />
Gesetzgeber verbindliche Formen finden könnte,<br />
die es den Betriebsräten ermöglichen, konkrete<br />
Maßnahmen auch verbindlich durchzusetzen.<br />
LORENZEN: Haben Sie noch weitere berufliche<br />
Ziele?<br />
ÖGÜT: Ich finde super, was ich mache.<br />
Josip T.* – warten auf den nächsten Job<br />
Im Ar<strong>bei</strong>tslosenzentrum in Osterholz-Tenever ist<br />
es heute relativ ruhig <strong>bei</strong>m wöchentlichen Frühstückstreff.<br />
›Die Ferienzeit hat schon angefangen‹,<br />
sagt eine Mitar<strong>bei</strong>terin. Und jemand, <strong>der</strong> auf das<br />
Suchraster ›ar<strong>bei</strong>tslos mit Migrationshintergrund‹<br />
zutrifft, lässt sich unter den Anwesenden auch<br />
nicht auf den ersten Blick identifizieren. Auf die<br />
kurze Vorstellung des Anliegens meldet sich auch<br />
niemand. Immerhin erfolgt <strong>der</strong> Hinweis, dass Josip<br />
da ist. Der sei nur gerade drinnen in <strong>der</strong> Beratung.<br />
Eine halbe Stunde später kommt jemand aus <strong>der</strong><br />
Tür, <strong>der</strong> Josip sein muss.<br />
LORENZEN: Sind Sie öfter hier?<br />
JOSIP T.: Ja, jeden Donnerstag.<br />
Er kommt ursprünglich aus Belgrad, in Deutschland<br />
lebt er, seit er neun Jahre alt ist. In seiner<br />
Heimat ist er wegen einer Krankheit kaum zur<br />
Schule gegangen. Auch im Emsland, wo die<br />
Familie mit vier Kin<strong>der</strong>n zunächst landet, wird<br />
er nach kurzer Zeit wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Schule<br />
genommen.<br />
JOSIP T.: Dann bin ich bis 17 zu Hause <strong>bei</strong> Mama<br />
geblieben. Deutschkurse habe ich allerdings<br />
gemacht. Bis 15 hatte ich den Anschluss sprachlich<br />
geschafft. Mit 17 bin ich dann zur Kin<strong>der</strong>hilfe<br />
gekommen und habe da in <strong>der</strong> Schlosserei gear<strong>bei</strong>tet<br />
und neben<strong>bei</strong> die <strong>Aus</strong>bildung zum Schweißer<br />
gemacht.<br />
Zehn Jahre ist er dort geblieben, bevor er<br />
nach Bremen kommt und hier über verschiedene<br />
Leihfirmen als Schlosser und Messebauer<br />
ar<strong>bei</strong>tet.<br />
JOSIP T.: Wir kämpfen, um uns unser Leben aufzubauen.<br />
Hier besuche ich alles, was ich kriegen<br />
kann. Habe gerade die Prüfung für den Staplerschein<br />
gemacht. Ich gehe auch in einen Kurs für<br />
meine Muttersprache.<br />
Seine Wohnung in Tenever hat Josip T. mithilfe<br />
<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter des Ar<strong>bei</strong>tslosenzentrums gefunden.<br />
Dort lebt er mit seiner Frau, die vier Kin<strong>der</strong><br />
mit in die Ehe gebracht hat. Seit eineinhalb<br />
Jahren ist Josip T. ar<strong>bei</strong>tslos. Zuletzt hat er in<br />
einem Hotel gear<strong>bei</strong>tet.<br />
JOSIP T.: Hier in Bremen geben die Leute einem<br />
meist nur einen Vertrag für ein Jahr o<strong>der</strong> eine 400-<br />
Euro-Stelle. Dann gucken sie sich an, ist <strong>der</strong> gut, ist<br />
<strong>der</strong> nicht gut? Ich war bisher immer gut und habe<br />
hun<strong>der</strong>t Prozent gegeben. Im Hotel wollten sie<br />
mir schon einen Vertrag geben, aber da kam einer<br />
zurück, <strong>der</strong> dort schon mal gear<strong>bei</strong>tet hat.<br />
Zwanzig Bewerbungen hat Josip T. mittlerweile<br />
geschrieben.<br />
JOSIP T.: Am liebsten würde ich wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Gastronomie ar<strong>bei</strong>ten. O<strong>der</strong> im Messebau. Aber<br />
etwas Festes, nicht wie<strong>der</strong> eine Leihfirma. Ich hatte<br />
einen Anruf, dass die mich als Spüler haben wollten.<br />
In Lingen war ich schon Oberspüler, da hatte<br />
ich fünf Spüler unter mir, für die ich die Dienstpläne<br />
gemacht habe. In einem großen Restaurant<br />
mit 160 bis 250 Essen täglich. Ich musste aufpassen,<br />
dass immer genug Tassen und Teller da sind<br />
und hatte den Überblick über das Lager. Ich habe<br />
die Leute auch eingear<strong>bei</strong>tet. Ich suche eine Ar<strong>bei</strong>t,<br />
wo ich möglichst selbstständig ar<strong>bei</strong>ten kann,<br />
wo ich das anwenden kann, was ich gelernt habe.<br />
Jetzt wird wohl bald was kommen.<br />
LORENZEN: Sind Sie irgendwann mal benachteiligt<br />
worden, weil sie kein Deutscher sind?<br />
JOSIP T.: Nein, das war vor meiner Zeit vielleicht<br />
mal so. Das, was man machen will, muss man<br />
selber entscheiden.<br />
LORENZEN: Würden Sie gern noch mal eine <strong>Aus</strong>bildung<br />
machen?<br />
JOSIP T.: Normalerweise ja, aber dafür bin ich<br />
schon zu alt.<br />
LORENZEN: Hat Ihnen die Ar<strong>bei</strong>tsagentur schon mal eine<br />
Qualifizierung angeboten?<br />
JOSIP T.: Nein, das muss man selbst machen.<br />
LORENZEN: Hätten Sie sich an irgendeiner Stelle mehr<br />
Unterstützung gewünscht?<br />
JOSIP T.: Ja, vom Jobcenter und vom Ar<strong>bei</strong>tsamt.<br />
Die bieten wenig Unterstützung an für Leute, die<br />
ar<strong>bei</strong>ten wollen und Hilfe brauchen. Die machen<br />
ihren Job, ihren Papierkram, aber sonst nichts.<br />
Deswegen komme ich hierher, hier kann ich mir<br />
<strong>bei</strong> meinen Bewerbungen und an<strong>der</strong>em helfen<br />
lassen.<br />
LORENZEN: Haben Sie Zukunftsängste?<br />
JOSIP T.: Nein, wenn man die hat, hat man in<br />
Bremen schon verloren. Ich baue mir meinen Mut<br />
selber auf. Wenn ich aufgeben würde, könnte ich<br />
einpacken. Ich habe damals gelernt, stark zu sein.<br />
Flüchtlinge<br />
Flüchtlinge haben auf dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt noch einmal<br />
wesentlich schlechtere Karten als Ar<strong>bei</strong>tsmigranten<br />
und <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>. Im ersten Jahr dürfen<br />
sie überhaupt nicht ar<strong>bei</strong>ten. Und auch danach<br />
bekommen sie nur unter größten Schwierigkeiten<br />
eine Ar<strong>bei</strong>tserlaubnis – wenn überhaupt. Sie haben<br />
keinen Anspruch auf Sprachför<strong>der</strong>ung und müssen<br />
mit weniger Geld auskommen als Hartz-IV-<br />
Bezieher (was das Bundesverfassungsgericht vor<br />
Kurzem als verfassungswidrig erklärt hat). Dazu<br />
kommt die ständige Unsicherheit, in vielen Fällen<br />
die Angst vor Abschiebung. Und selbst wenn<br />
irgendwann Anerkennung und Ar<strong>bei</strong>tserlaubnis<br />
da sind, hängen die schlechten Startbedingungen<br />
noch Jahre später bleischwer in den Klei<strong>der</strong>n.<br />
Die einzige Perspektive heißt dann oft Leihar<strong>bei</strong>t.<br />
So wie <strong>bei</strong> Ganesh N.<br />
›Wenn man<br />
Angst hat, hat<br />
man in Bremen<br />
schon verloren.‹