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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

109<br />

A R B E I T S M I G R A N T E N , F L Ü C H T L I NGE U N D AU S S I E D L E R AU F D E M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />

*Name von <strong>der</strong><br />

Redaktion geän<strong>der</strong>t<br />

ÖGÜT: Wenn man meinen Lebenslauf liest, hat<br />

man das Gefühl, zack, zack, zack, genau darauf<br />

war es ausgerichtet. Es gab aber keinen Masterplan,<br />

es hat sich immer aus dem entwickelt, was mich<br />

gerade interessiert hat.<br />

LORENZEN: Mussten Sie auf diesem Weg Hürden<br />

überspringen?<br />

ÖGÜT: Bewusst nicht.<br />

LORENZEN: Spielt das Thema Migration in ihrer beruflichen<br />

Praxis eine Rolle? Haben Sie überproportional viele<br />

Klienten mit Migrationshintergrund?<br />

ÖGÜT: Das nicht. Aber ich habe ab und zu Mandanten,<br />

die sehr glücklich sind, wenn sie ihr Anliegen<br />

in <strong>der</strong> türkischen Sprache vorbringen können.<br />

Aber wir haben keine Regelung, dass alle, die Türkisch<br />

sprechen, <strong>bei</strong> mir landen. Manchmal finde<br />

ich es ganz süß, eine gewisse an<strong>der</strong>e Mentalität<br />

mitzubekommen. Es ist nun mal etwas an<strong>der</strong>es, ob<br />

eine ältere Dame mit türkischer Herkunft hier sitzt<br />

und mich als Töchterchen bezeichnet.<br />

LORENZEN: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Anliegen<br />

<strong>der</strong> Mandanten mit Migrationshintergrund von denen<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en unterscheiden?<br />

ÖGÜT: Meistens nicht. Doch es ist schon so, dass<br />

bestimmte Berufsfel<strong>der</strong> überproportional oft an<br />

Menschen mit ausländischer Herkunft vergeben<br />

werden, Reinigungsar<strong>bei</strong>ten zum Beispiel. O<strong>der</strong><br />

Leihar<strong>bei</strong>tsfirmen, die ihre Leute als ungelernte<br />

Kräfte in alle möglichen Tätigkeiten reinstecken.<br />

Da tauchen überdurchschnittlich viele ausländische<br />

Mandanten auf. Ich glaube nicht, dass sie<br />

mehr Probleme haben als Deutsche. Denn häufig<br />

sind bestimmte Ar<strong>bei</strong>tgeber hier bekannt, die ihre<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmer nicht so behandeln, wie es sein sollte.<br />

Oft führt dann das Sprachproblem dazu, dass<br />

die Ar<strong>bei</strong>tnehmer sich dem Ar<strong>bei</strong>tgeber gegenüber<br />

hilflos fühlen und lange warten, bis sie herkommen.<br />

Ich will aber nicht den Eindruck vermitteln,<br />

dass hier alle Menschen mit ausländischem Hintergrund<br />

Sprachprobleme haben. Das ist nicht so.<br />

LORENZEN: Haben Sie oft mit dem Antidiskriminierungsgesetz<br />

zu tun?<br />

ÖGÜT: Mehr über Betriebsratstätigkeiten als über<br />

individuelle Mandate. Für Betriebsräte, die ich berate,<br />

ist das schon ein Thema, wie man gemeinsam<br />

mit den Ar<strong>bei</strong>tgebern Spielregeln aufstellen und<br />

Betriebsvereinbarungen treffen kann, die Diskriminierungen<br />

vermeiden helfen.<br />

LORENZEN: Gibt es weiterhin Diskriminierungen auf<br />

dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt? Zum Beispiel, wenn es um Aufstiegsmöglichkeiten<br />

geht?<br />

ÖGÜT: Das denke ich schon. Es ist natürlich immer<br />

schwer zu beweisen, woran es liegt. Aber es ist<br />

genauso auffällig, wie die nach wie vor geringe<br />

Anzahl von Frauen in Führungspositionen.<br />

LORENZEN: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren?<br />

ÖGÜT: Es wäre zum Beispiel gut, wenn es eine Verpflichtung<br />

für Ar<strong>bei</strong>tgeber gäbe, bestimmte Sprachkurse<br />

anzubieten. Wenn meine Schwester und ich<br />

die Sprache nicht so schnell beherrscht hätten,<br />

wäre vieles an<strong>der</strong>s verlaufen. Es gibt im Betriebsverfassungsgesetz<br />

das hehre Ziel, Menschen mit an<strong>der</strong>er<br />

Herkunft zu för<strong>der</strong>n. Es wäre gut, wenn <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber verbindliche Formen finden könnte,<br />

die es den Betriebsräten ermöglichen, konkrete<br />

Maßnahmen auch verbindlich durchzusetzen.<br />

LORENZEN: Haben Sie noch weitere berufliche<br />

Ziele?<br />

ÖGÜT: Ich finde super, was ich mache.<br />

Josip T.* – warten auf den nächsten Job<br />

Im Ar<strong>bei</strong>tslosenzentrum in Osterholz-Tenever ist<br />

es heute relativ ruhig <strong>bei</strong>m wöchentlichen Frühstückstreff.<br />

›Die Ferienzeit hat schon angefangen‹,<br />

sagt eine Mitar<strong>bei</strong>terin. Und jemand, <strong>der</strong> auf das<br />

Suchraster ›ar<strong>bei</strong>tslos mit Migrationshintergrund‹<br />

zutrifft, lässt sich unter den Anwesenden auch<br />

nicht auf den ersten Blick identifizieren. Auf die<br />

kurze Vorstellung des Anliegens meldet sich auch<br />

niemand. Immerhin erfolgt <strong>der</strong> Hinweis, dass Josip<br />

da ist. Der sei nur gerade drinnen in <strong>der</strong> Beratung.<br />

Eine halbe Stunde später kommt jemand aus <strong>der</strong><br />

Tür, <strong>der</strong> Josip sein muss.<br />

LORENZEN: Sind Sie öfter hier?<br />

JOSIP T.: Ja, jeden Donnerstag.<br />

Er kommt ursprünglich aus Belgrad, in Deutschland<br />

lebt er, seit er neun Jahre alt ist. In seiner<br />

Heimat ist er wegen einer Krankheit kaum zur<br />

Schule gegangen. Auch im Emsland, wo die<br />

Familie mit vier Kin<strong>der</strong>n zunächst landet, wird<br />

er nach kurzer Zeit wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Schule<br />

genommen.<br />

JOSIP T.: Dann bin ich bis 17 zu Hause <strong>bei</strong> Mama<br />

geblieben. Deutschkurse habe ich allerdings<br />

gemacht. Bis 15 hatte ich den Anschluss sprachlich<br />

geschafft. Mit 17 bin ich dann zur Kin<strong>der</strong>hilfe<br />

gekommen und habe da in <strong>der</strong> Schlosserei gear<strong>bei</strong>tet<br />

und neben<strong>bei</strong> die <strong>Aus</strong>bildung zum Schweißer<br />

gemacht.<br />

Zehn Jahre ist er dort geblieben, bevor er<br />

nach Bremen kommt und hier über verschiedene<br />

Leihfirmen als Schlosser und Messebauer<br />

ar<strong>bei</strong>tet.<br />

JOSIP T.: Wir kämpfen, um uns unser Leben aufzubauen.<br />

Hier besuche ich alles, was ich kriegen<br />

kann. Habe gerade die Prüfung für den Staplerschein<br />

gemacht. Ich gehe auch in einen Kurs für<br />

meine Muttersprache.<br />

Seine Wohnung in Tenever hat Josip T. mithilfe<br />

<strong>der</strong> Mitar<strong>bei</strong>ter des Ar<strong>bei</strong>tslosenzentrums gefunden.<br />

Dort lebt er mit seiner Frau, die vier Kin<strong>der</strong><br />

mit in die Ehe gebracht hat. Seit eineinhalb<br />

Jahren ist Josip T. ar<strong>bei</strong>tslos. Zuletzt hat er in<br />

einem Hotel gear<strong>bei</strong>tet.<br />

JOSIP T.: Hier in Bremen geben die Leute einem<br />

meist nur einen Vertrag für ein Jahr o<strong>der</strong> eine 400-<br />

Euro-Stelle. Dann gucken sie sich an, ist <strong>der</strong> gut, ist<br />

<strong>der</strong> nicht gut? Ich war bisher immer gut und habe<br />

hun<strong>der</strong>t Prozent gegeben. Im Hotel wollten sie<br />

mir schon einen Vertrag geben, aber da kam einer<br />

zurück, <strong>der</strong> dort schon mal gear<strong>bei</strong>tet hat.<br />

Zwanzig Bewerbungen hat Josip T. mittlerweile<br />

geschrieben.<br />

JOSIP T.: Am liebsten würde ich wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Gastronomie ar<strong>bei</strong>ten. O<strong>der</strong> im Messebau. Aber<br />

etwas Festes, nicht wie<strong>der</strong> eine Leihfirma. Ich hatte<br />

einen Anruf, dass die mich als Spüler haben wollten.<br />

In Lingen war ich schon Oberspüler, da hatte<br />

ich fünf Spüler unter mir, für die ich die Dienstpläne<br />

gemacht habe. In einem großen Restaurant<br />

mit 160 bis 250 Essen täglich. Ich musste aufpassen,<br />

dass immer genug Tassen und Teller da sind<br />

und hatte den Überblick über das Lager. Ich habe<br />

die Leute auch eingear<strong>bei</strong>tet. Ich suche eine Ar<strong>bei</strong>t,<br />

wo ich möglichst selbstständig ar<strong>bei</strong>ten kann,<br />

wo ich das anwenden kann, was ich gelernt habe.<br />

Jetzt wird wohl bald was kommen.<br />

LORENZEN: Sind Sie irgendwann mal benachteiligt<br />

worden, weil sie kein Deutscher sind?<br />

JOSIP T.: Nein, das war vor meiner Zeit vielleicht<br />

mal so. Das, was man machen will, muss man<br />

selber entscheiden.<br />

LORENZEN: Würden Sie gern noch mal eine <strong>Aus</strong>bildung<br />

machen?<br />

JOSIP T.: Normalerweise ja, aber dafür bin ich<br />

schon zu alt.<br />

LORENZEN: Hat Ihnen die Ar<strong>bei</strong>tsagentur schon mal eine<br />

Qualifizierung angeboten?<br />

JOSIP T.: Nein, das muss man selbst machen.<br />

LORENZEN: Hätten Sie sich an irgendeiner Stelle mehr<br />

Unterstützung gewünscht?<br />

JOSIP T.: Ja, vom Jobcenter und vom Ar<strong>bei</strong>tsamt.<br />

Die bieten wenig Unterstützung an für Leute, die<br />

ar<strong>bei</strong>ten wollen und Hilfe brauchen. Die machen<br />

ihren Job, ihren Papierkram, aber sonst nichts.<br />

Deswegen komme ich hierher, hier kann ich mir<br />

<strong>bei</strong> meinen Bewerbungen und an<strong>der</strong>em helfen<br />

lassen.<br />

LORENZEN: Haben Sie Zukunftsängste?<br />

JOSIP T.: Nein, wenn man die hat, hat man in<br />

Bremen schon verloren. Ich baue mir meinen Mut<br />

selber auf. Wenn ich aufgeben würde, könnte ich<br />

einpacken. Ich habe damals gelernt, stark zu sein.<br />

Flüchtlinge<br />

Flüchtlinge haben auf dem Ar<strong>bei</strong>tsmarkt noch einmal<br />

wesentlich schlechtere Karten als Ar<strong>bei</strong>tsmigranten<br />

und <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>. Im ersten Jahr dürfen<br />

sie überhaupt nicht ar<strong>bei</strong>ten. Und auch danach<br />

bekommen sie nur unter größten Schwierigkeiten<br />

eine Ar<strong>bei</strong>tserlaubnis – wenn überhaupt. Sie haben<br />

keinen Anspruch auf Sprachför<strong>der</strong>ung und müssen<br />

mit weniger Geld auskommen als Hartz-IV-<br />

Bezieher (was das Bundesverfassungsgericht vor<br />

Kurzem als verfassungswidrig erklärt hat). Dazu<br />

kommt die ständige Unsicherheit, in vielen Fällen<br />

die Angst vor Abschiebung. Und selbst wenn<br />

irgendwann Anerkennung und Ar<strong>bei</strong>tserlaubnis<br />

da sind, hängen die schlechten Startbedingungen<br />

noch Jahre später bleischwer in den Klei<strong>der</strong>n.<br />

Die einzige Perspektive heißt dann oft Leihar<strong>bei</strong>t.<br />

So wie <strong>bei</strong> Ganesh N.<br />

›Wenn man<br />

Angst hat, hat<br />

man in Bremen<br />

schon verloren.‹

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