Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
6<br />
B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
7<br />
M I G R ATION, I N T E G R ATION, PA RTIZIPATION<br />
War die Generation <strong>der</strong> sogenannten ›Gastar<strong>bei</strong>ter‹ bis in die<br />
1980er-Jahre noch relativ gut in den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt integriert, hat sich<br />
die Lage seit Anfang <strong>der</strong> 1990er-Jahre erheblich verschlechtert.<br />
Bei den 184.000 Menschen mit einem Migrationshintergrund<br />
(ca. 28 Prozent) in Bremen handelt<br />
es sich jedoch um einen Durchschnittswert. Denn<br />
die Menschen mit Migrationshintergrund, einschließlich<br />
<strong>der</strong> <strong>Aus</strong>län<strong>der</strong>, leben zum Beispiel in<br />
<strong>der</strong> Stadt Bremen sehr ungleich verteilt über die<br />
verschiedenen Ortsteile. Dementsprechend unterschiedlich<br />
ist auch die persönliche Wahrnehmung,<br />
ob einem im Alltag ›viele‹ o<strong>der</strong> eher ›wenige‹<br />
<strong>Aus</strong>län<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Migranten begegnen. In <strong>der</strong> ganz<br />
überwiegenden Anzahl <strong>der</strong> Ortsteile in Bremen<br />
sind es tatsächlich zwischen 20 und 30 Prozent,<br />
das heißt, im Bereich des Bremer Durchschnitts.<br />
Aber es gibt auch fünf Ortsteile, in denen <strong>der</strong><br />
Anteil <strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner mit<br />
Migrationshintergrund lediglich zwischen 10 und<br />
16 Prozent liegt: Grolland, Habenhausen, St.<br />
Magnus, Schwachhausen und Gete. Gleichzeitig<br />
haben in acht Ortsteilen nahezu die Hälfte aller<br />
Bewohner (45 bis 62 Prozent) einen Migrationshintergrund:<br />
Kattenturm, Neue Vahr Nord, Südwest<br />
und Südost, Tenever, Blockdiek, Lindenhof, Gröpelingen,<br />
Ohlenhof. Trotz dieser starken Konzentration<br />
von Migranten und den damit verbundenen<br />
beson<strong>der</strong>en Herausfor<strong>der</strong>ungen, leben 70 Prozent<br />
aller Menschen mit Migrationshintergrund in <strong>der</strong><br />
Stadt Bremen außerhalb dieser acht Ortsteile.<br />
Ganz unterschiedlich ist die Wahrnehmung von<br />
Migranten o<strong>der</strong> <strong>Aus</strong>län<strong>der</strong>n auch aus <strong>der</strong> Perspektive<br />
<strong>der</strong> Generationen. Wer als Erwachsener in<br />
einem <strong>der</strong> fünf Ortsteile mit einem sehr geringen<br />
Anteil von Migranten wohnt und auch in seinem<br />
Ar<strong>bei</strong>tsleben kaum Kontakt zu ihnen hat, erlebt<br />
die Situation an<strong>der</strong>s als Kin<strong>der</strong> und Jugendliche.<br />
Denn mittlerweile haben mehr als die Hälfte aller<br />
Kin<strong>der</strong>gartenkin<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Stadt Bremen (3 bis 6<br />
Jahre) einen Migrationshintergrund (54 Prozent)<br />
und fast die Hälfte aller Kin<strong>der</strong> (44 Prozent) und<br />
Jugendlichen im Schulalter (6 bis 19 Jahre). Schon<br />
seit vielen Jahren wird deshalb beson<strong>der</strong>s im Bildungsbereich<br />
nach wirksameren Konzepten <strong>der</strong><br />
Lern- und Sprachför<strong>der</strong>ung gesucht. Da aber<br />
immer noch eine zu große Gruppe von Kin<strong>der</strong>n –<br />
mit und ohne Migrationshintergrund – ohne<br />
Erfolg versprechende Kompetenzen und Abschlüsse<br />
die Schule verlassen, gibt es aktuell neue Ansätze<br />
im Bremer Bildungssystem (vgl. Teil 2).<br />
Zuwan<strong>der</strong>ung gegen Fachkräftemangel<br />
und das Schrumpfen <strong>der</strong> Städte<br />
Viele Unternehmen, die gerade in Deutschland<br />
stark auf den Export innerhalb Europas und weltweit<br />
ausgerichtet sind, stellen inzwischen gezielt<br />
Mitar<strong>bei</strong>terinnen und Mitar<strong>bei</strong>ter ein, die möglichst<br />
die Sprache, aber auch die Ar<strong>bei</strong>ts- und Alltagskultur<br />
<strong>der</strong> ›Ziellän<strong>der</strong>‹ beherrschen (in Bremen<br />
z. B. EADS, Mercedes Benz usw.). Durch die Ar<strong>bei</strong>tnehmerfreizügigkeit<br />
innerhalb Europas werden<br />
diese Entwicklungen weiter verstärkt. Dadurch<br />
betrachten viele Unternehmen Zuwan<strong>der</strong>ung aus<br />
an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n als eine Lösung für ihren Bedarf<br />
an qualifizierten Fachkräften. Es sind vor allem<br />
wirtschaftliche und technische Führungskräfte,<br />
wie Informatikexperten, Gesundheitsspezialisten,<br />
Wissenschaftler, Unternehmer, Pädagogen, die in<br />
<strong>der</strong> Lage sind, sich international zu orientieren.<br />
Für die Mehrzahl <strong>der</strong> Beschäftigten in den meisten<br />
Regionen bleiben hingegen die nationalen Ar<strong>bei</strong>tsmärkte<br />
ausschlaggebend. Ihre Möglichkeiten, in<br />
an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n nach Ar<strong>bei</strong>t zu suchen, sind<br />
jedoch durch vielerlei nationale Regularien eingeschränkt.<br />
Das gilt auch für die vielen Erwerbstätigen<br />
mit einem Migrationshintergrund auf dem<br />
Bremer Ar<strong>bei</strong>tsmarkt. Für sie ist die Integration<br />
über Ar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> wichtigste Faktor. War die Generation<br />
<strong>der</strong> sogenannten ›Gastar<strong>bei</strong>ter‹ bis in die 1980er-<br />
Jahre noch relativ gut in den Ar<strong>bei</strong>tsmarkt integriert,<br />
hat sich die Lage seit Anfang <strong>der</strong> 1990er-<br />
Jahre erheblich verschlechtert. Auch <strong>bei</strong> den<br />
Beschäftigten mit Migrationshintergrund zeigt<br />
sich für Bremen eine Spaltung des Ar<strong>bei</strong>tsmarktes,<br />
wo<strong>bei</strong> gerade viele <strong>Aus</strong>siedler und später nach<br />
Deutschland zugewan<strong>der</strong>te Migrantinnen und<br />
Migranten lediglich befristete, geringfügige und<br />
relativ schlecht bezahlte Jobs finden (vgl. Teil 3).<br />
Es sind jedoch nicht allein internationale Unternehmen<br />
und große Konzerne, die schon seit vielen<br />
Jahren verstärkt auf Zuwan<strong>der</strong>ung setzen. Auch<br />
die Politik, beson<strong>der</strong>s in den deutschen Großstädten,<br />
begrüßt Zuwan<strong>der</strong>ung als ein Mittel gegen die<br />
alterungsbedingte Schrumpfung <strong>der</strong> deutschen<br />
(Stadt-)Bevölkerung. Im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t beruhte<br />
das Wachstum <strong>der</strong> Städte vor allem auf <strong>der</strong> Land-<br />
Stadt-Wan<strong>der</strong>ung. Schon seit längerer Zeit und vor<br />
allem zukünftig, ist Bevölkerungswachstum o<strong>der</strong><br />
zumindest die Stabilisierung <strong>der</strong> aktuellen Einwohnerzahlen<br />
ohne Zuwan<strong>der</strong>ung aus an<strong>der</strong>en<br />
Län<strong>der</strong>n nicht mehr möglich. Das liegt speziell für<br />
die deutschen Großstädte in erster Linie an <strong>der</strong><br />
sogenannten ›demografischen‹ Alterung <strong>der</strong> deutschen<br />
Bevölkerung. Die Integration neuer Zuwan<strong>der</strong>er<br />
war und wird auch weiterhin eine Hauptaufgabe<br />
speziell in den Großstädten sein. Für sie sind<br />
interkulturelle Milieus und eine internationale<br />
Atmosphäre <strong>der</strong> Offenheit und Toleranz wichtige<br />
Faktoren für die Attraktivität <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Konkurrenz<br />
um Unternehmen und Ar<strong>bei</strong>tskräfte. Im Unterschied<br />
zum Interesse <strong>der</strong> Unternehmen an Zuwan<strong>der</strong>ung<br />
als Lösung für ihren Fachkräftebedarf,<br />
kann sich die großstädtische Politik nicht allein<br />
auf Ar<strong>bei</strong>tsmarkt- und Beschäftigungsaspekte<br />
beschränken. Für sie gilt <strong>der</strong> immer wie<strong>der</strong> zitierte<br />
Satz, dass nicht Ar<strong>bei</strong>tskräfte kommen, son<strong>der</strong>n<br />
Menschen – einschließlich ihrer Familien. Ihnen<br />
Brücken zu bauen, mit denen sie auch außerhalb<br />
des Ar<strong>bei</strong>tsmarktes Wege zur Integration in eine<br />
neue Gesellschaft finden können, wird zu einem<br />
immer wichtigeren Politikfeld, auch in Bremen.<br />
Gerade aktuell hat die Bremer Stadtpolitik das Thema<br />
›Partizipation und Integration‹ politisch aufgewertet<br />
und sich mit einem ambitionierten<br />
Entwicklungsplan, mit dem gleichen Titel, neue<br />
Ziele gesetzt (vgl. Teil 4).<br />
Um attraktiv für Unternehmen, Ar<strong>bei</strong>tskräfte<br />
und Menschen aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n zu sein, sind<br />
auch gute und durch Toleranz geprägte Einrichtungen<br />
<strong>der</strong> Betreuung, <strong>der</strong> Bildung und Qualifizierung,<br />
<strong>der</strong> Gesundheit und <strong>der</strong> Kultur erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Sie müssen sich gegenüber den sprachlichen und<br />
kulturellen Erfor<strong>der</strong>nissen einer vielfältigen und<br />
internationalen Bewohnerschaft öffnen, damit das<br />
Zusammenleben gelingt. Auf den großstädtischen<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmärkten, vor allem aber in den Wohnquartieren<br />
treffen die neuen Gruppen von Zuwan<strong>der</strong>ern<br />
aber gerade nicht auf eine irgendwie einheitliche<br />
Bevölkerung deutscher Staatsbürger, son<strong>der</strong>n<br />
auf ganz unterschiedliche soziale Milieus mit und<br />
ohne Migrationshintergrund. Gerade am Beginn<br />
von Integrationsprozessen sind neue Zuwan<strong>der</strong>ergruppen<br />
in einer Großstadt wie Bremen auf Ortsteile<br />
mit freien und preiswerten Wohnmöglichkeiten<br />
verwiesen, wie in Gröpelingen, Tenever, Kattenturm<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Neuen Vahr. In diesen Quartieren<br />
leben jedoch Menschen aus bis zu 100 verschiedenen<br />
Län<strong>der</strong>n zusammen, von denen die Hälfte eine<br />
Migrationsgeschichte hat.<br />
Die Neuzuwan<strong>der</strong>er treffen dort auf eine ausgesprochen<br />
internationale und vielfältige Bewohner-<br />
schaft. Ihr Alltag ist jedoch zu einem erheblichen<br />
Teil durch niedrige Einkommen, Sprachbarrieren<br />
und fehlende anerkannte Berufsqualifikationen<br />
gekennzeichnet. Das stellt in diesen Quartieren<br />
beson<strong>der</strong>s hohe Anfor<strong>der</strong>ungen an das Zusammenleben.<br />
<strong>Aus</strong> den ökonomischen und sozialen Benachteiligungen<br />
dürfen keine ›Sackgassen‹ werden.<br />
Die klassische Einglie<strong>der</strong>ung über die Ar<strong>bei</strong>tswelt<br />
kann in diesen Quartieren <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung nur<br />
dann hinreichend gelingen, wenn die ›vorgelagerten‹<br />
Sozial- und Bildungsinfrastrukturen beson<strong>der</strong>s<br />
leistungsfähig sind. Hier ›vor Ort‹ müssen soziale<br />
Anschlüsse und Aufstiege als möglich erfahren<br />
werden. Das können die jeweiligen Ortsteile nicht<br />
allein, aus <strong>eigene</strong>r Kraft bewerkstelligen. Sie<br />
benötigen die Einbindung in die gesamtstädtischen<br />
Aktivitäten <strong>der</strong> Stadtpolitik und eine Zusammenführung<br />
<strong>der</strong> Kompetenzen <strong>der</strong> Wirtschafts-,<br />
Jugend-, Bildungs-, Ar<strong>bei</strong>tsmarkt-, Kultur- und Sozialpolitik<br />
direkt in den Quartieren.<br />
Diese Herausfor<strong>der</strong>ungen haben in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
und in Teilen <strong>der</strong> Politik zu einem Prozess<br />
des Umdenkens geführt. Es wird nicht mehr in<br />
erster Linie über ›Integrationsprobleme‹ debattiert,<br />
son<strong>der</strong>n auch über die Chancen und wie Menschen<br />
mit unterschiedlicher kultureller Herkunft<br />
besser eingebunden werden können. Mit diesem<br />
›Umdenken‹ verän<strong>der</strong>t sich auch das Verständnis<br />
von ›Integration‹. Im Vor<strong>der</strong>grund steht nicht<br />
mehr die allgemeine und abstrakte Frage, ob die<br />
Integration <strong>der</strong> Migranten in die deutsche Gesellschaft<br />
gelingt o<strong>der</strong> nicht. Es muss vielmehr genauer<br />
darauf geachtet werden, ob von <strong>der</strong> ersten Generation,<br />
<strong>der</strong> zweiten Generation o<strong>der</strong> von neuen<br />
Zuwan<strong>der</strong>ergruppen gesprochen wird. Der Prozess<br />
ihrer Integration kann auch nur dann halbwegs<br />
gesichert beurteilt werden, wenn ihre Teilhabe in<br />
den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen<br />
Lebens separat betrachtet wird: <strong>bei</strong> den Betreuungs-,<br />
Bildungs- und <strong>Aus</strong>bildungsangeboten, im<br />
Erwerbsleben, insbeson<strong>der</strong>e am Ar<strong>bei</strong>tsmarkt und<br />
<strong>bei</strong> <strong>der</strong> politischen Partizipation. Dazu muss das<br />
vielfältige und auch unübersichtliche Thema <strong>der</strong><br />
Integration in diese einzelnen Bereiche ›zerlegt‹<br />
werden.