Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ... Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

arbeitnehmerkammer.de
von arbeitnehmerkammer.de Mehr von diesem Publisher
29.12.2013 Aufrufe

68 B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012 69 D R E H K R E U Z AU S B I L D U NG keit sind zwei der Risiken, denen sie sich viel häufiger ausgesetzt sehen, als ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger ohne Migrationshintergrund. Insbesondere der Übergang von der Schule in eine Ausbildung erweist sich, als eine erste, nur schwer oder auf komplizierten Wegen zu überwindende Schwelle auf dem beruflichen Lebensweg. Die bestehenden Anzeichen für eine Entspannung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt signalisieren hier noch keine Entwarnung. Auf den schwierigen Übergang nehmen eine Reihe von Faktoren Einfluss, die sich teils gegenseitig bedingen und ineinandergreifen. Wohnlage und -umgebung sind dabei genauso beteiligt wie der familiäre und kulturelle Hintergrund oder der erreichte Schulabschluss oder die Geschlechtszugehörigkeit. Deutliche Unterschiede hinsichtlich des Erfolgs bei der Einmündung in eine Ausbildungsstellensuche gibt es dabei auch innerhalb der Gesamtgruppe der Jugendlichen, wie der Berufsbildungsbericht betont. So haben insbesondere Jugendliche türkischer oder arabischer Herkunft schlechtere Chancen auf eine Ausbildung. Dennoch bleibt ein bestehender oder auch nur zugeschriebener Migrationshintergrund die wesentlichste Ursache, die über den Erfolg im Wettbewerb um einen Ausbildungsplatz entscheidet. Die Angebote von Schule und Arbeitsagentur oder Jobcenter im Übergangssystem erweisen sich dabei nicht immer als zielführend. Oft verzögern sie die Ausbildungsaufnahme unnötig oder lenken die Jugendlichen in eine falsche Richtung. Dabei ist das Interesse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an einer dualen Ausbildung zunächst hoch, wie die Befragungen von Schülerinnen und Schülern in Bremen-Nord, aber auch die Ergebnisse der Forschungen des Bundesinstituts für Berufsbildung zeigen. Dennoch finden sich Viele am Ende des Vermittlungsjahres im Übergangssystem wieder oder gehen einer nicht qualifizierenden Arbeit nach. Für nicht wenige von ihnen erweist sich dies als Sackgasse. Denn je länger der Übergang in eine Ausbildung dauert, desto seltener gelingt noch der Wechsel in ein Ausbildungsverhältnis. Als sogenannte Altbewerberinnen und Altbewerber bleiben ihnen dann nur noch wenige Möglichkeiten, vor allem wenn sie über 25 Jahre sind und die Förderinstrumente der Jobcenter und Arbeitsagenturen für Jugendliche nicht mehr greifen. Junge Menschen mit Migrationshintergrund stoßen auch nach der Ausbildung bei der Übernahme in ein Arbeitsverhältnis auf mehr Probleme als ihre Altersgenossen ohne Migrationshintergrund. Hier sind die Unterschiede zwischen den Gruppen jedoch deutlich weniger ausgeprägt. Nicht überraschend sollte es sein, dass auch im weiteren beruflichen Verlauf bei der Teilnahme an beruflicher Weiterbildung deutliche Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen bestehen und sich Integrationsdefizite offenbaren. Mit dem ersten Monitoringbericht der Autorengruppe Bildungsberichterstattung aus diesem Jahr liegt nun für die Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ein umfassender Überblick vor, der zeigt, wie sich die geringeren Teilhabechancen im Schulsystem zum Ausbildungssystem tradieren. Aus Sicht der Arbeitnehmerkammer wäre zu wünschen, dass in einer Neufassung oder Fortführung des Monitoringberichts das gesamte Aus- und Weiterbildungsgeschehen für Bremens Bevölkerung mit einem Migrationshintergrund unter die Lupe genommen wird. Dabei sollten auch ihre Bewerbungsprozesse und Ausbildungserfolge sowie der Übergang an der sogenannten zweiten Schwelle in die Analysen einbezogen werden, um vielfach vermutete Stigmatisierungseffekte gegebenenfalls ausschließen zu können. Eine Verbesserung der Beteiligung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund braucht Ansätze auf mehreren Ebenen. Dies betont auch der ›Entwicklungsplan Partizipation und Integration‹ vom März 2012 mit seinen 14 Handlungsfeldern und einer Vielzahl von Eingriffsmöglichkeiten. Frühzeitige Berufsinformation und -orientierung in der Schule, Elternarbeit, Einbezug der Nachbarschaftsnetzwerke, adressatengerechte und kultursensible Beratung, Berufseinstiegsbegleitung bis in die Ausbildung hinein und auch Begleitung in der Ausbildung sollten dabei – nicht nur, aber vor allem auch – für Jugendliche mit Migrationshintergrund wichtige Handlungsansätze für alle sein, die sich professionell oder ehrenamtlich engagieren. Dabei sollten die Interessen der Jugendlichen und ihre Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Besonderes Augenmerk gehört dabei meines Erachtens auch den professionell und ehrenamtlich engagierten Kräften. Eine Verbesserung ihrer Ausbildungs-, Verdienst- und Fortbildungsmöglichkeiten sollte eine gemeinsame Aufgabe der Tarifpartner, der zustän- digen Stellen und Arbeitsmarktakteure wie der Landesverwaltung werden. Neben guten Ideen sind hier vor allem auch praktische Hilfen gefordert. Lebenslanges berufliches Lernen ist eine zentrale Aufgabe für alle Erwerbstätigen. Daher ist auch eine Verbesserung der Teilhabemöglichkeiten von Beschäftigten, Arbeitslosen und Arbeitsuchenden an Nachqualifizierungen oder Weiterbildungen gezielt in Angriff zu nehmen. Einerseits gilt es dabei, die eingeschlagenen Wege, etwa in Sachen unabhängige Weiterbildungsberatung und Weiterbildungsscheck, Nachqualifizierung und die Beratung zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse kontinuierlich fortzuführen. Andererseits wäre es erforderlich, die Förderung von Anpassungsqualifizierungen und Nachqualifizierungen zwischen den Akteuren im Land abzustimmen und sie in eine umfassende Initiative einzubetten, die auch die Unternehmen und ihre Beschäftigen mit Migrationshintergrund erneut verstärkt einbindet. Ein ›Parken‹ von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in sogenannten Alternativen, die Nichtnutzung aller Aus-, Nachqualifizierungs- und Weiterbildungsressourcen können sich die bremische Wirtschaft, Verwaltung und Politik nicht mehr leisten, wenn es darum geht, den Fachkräftebedarf der Zukunft zu sichern und Bremen für die kommenden Generationen zu einem attraktiven, lebenswerten und chancengerechten Stadtstaat weiterzuentwickeln. Literatur ❚ Arbeitnehmerkammer Bremen (2012) (Hrsg.): Bericht zur Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen, Bremen 2012. ❚ Autorenteam Bildungsberichterstattung Bremen und Bremerhaven (2012): Bildung – Migration – soziale Lage. Voneinander und miteinander lernen. Bildungsberichterstattung für das Land Bremen. Hrsg. von der Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit, Bremen 2012. ❚ Bundesagentur für Arbeit (2011): Bewerber und Berufsausbildungsstellen, Deutschland, September 2011. Statistik: Arbeitsmarkt in Zahlen, Ausbildungsstellenmarkt. ❚ BIBB (2012): Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2012. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. ❚ Christe, Gerhard (2011): Notwendig, aber reformbedürftig! Die vorberufliche Bildung für Jugendliche mit Migrationshintergrund. In: WISO Diskurs, Mai 2011. Expertise im Auftrag des Gesprächskreis Migration und Integration der Friedrich- Ebert-Stiftung. ❚ Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit (2012) (Hrsg.): Vorlage Nr. L 41/18 für die Sitzung der Deputation für Bildung am 10.05.2012. Vom Pilotprojekt zum Übergangscontrolling: Die Weiterentwicklung derAusbildungskonferenzen‹. [Internet:http://www.bildung.bremen.de/sixcms/media.php/13/L41_18_ 00_%DCbergangscontrolling_Ausbildungskonferenzen_Vorlage_mit_ Anlagen.pdf] ❚ Kock, Klaus (2008): Auf Umwegen in den Beruf. Destandardisierte und prekäre Beschäftigung von Jugendlichen an der zweiten Schwelle – eine Auswertung empirischer Befunde. TU Dortmund, März 2008. ❚ Mitteilung des Senats an die Bremische Bürgerschaft (Landtag) vom 29.3.2011: Konzeption zur Integration von Zuwanderern und Zuwanderinnen im Lande Bremen 2007–2011. [Internet: http://www.soziales. bremen.de/sixcms/media.php/13/2011- 03-29%20Konzeption%20zur%20Integration%20von%20Zuwanderern%20u nd%20Zuwanderinnen%20im%20 Lande%20Bremen%202007%20% 202011.pdf] ❚ Seebaß, Katharina/Siegert, Manuel (2011): Migranten am Arbeitsmarkt in Deutschland. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Working Paper 36 der Forschungsgruppe des Bundesamtes aus der Reihe ›Integrationsreport‹, Teil 9, erschienen 2011. ❚ Statistisches Landesamt Bremen: Bremen Infosystem. Tabelle 255-48: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte am Wohnort nach Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Beschäftigungsumfang und Art der Ausbildung. ❚ Stürzer, Monika/Täubig, Vicki/Uchronski, Mirjam/Bruhns, Kirsten (2012): Schulische und außerschulische Bildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Jugend-Migrationsreport. Ein Daten- und Forschungsüberblick. Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.). ❚ Weser-Kurier vom 28.06.2011: Tausende Lehrstellen in Bremen frei. Unternehmen suchen händeringend nach Bewerbern. http://www.weserkurier.de/Artikel/Bremen/Wirtschaft/402373/Tausende-Lehrstellenin-Bremen-frei.html

70 B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012 71 D I E M I G R ATIONSBEVÖ L K E R U NG A M B R E M E R A R B E I T S M A R K T 3 durch Teilhabe und Partizipation Erwerbsarbeit in Bremen Die Migrationsbevölkerung am Bremer Arbeitsmarkt THOMAS SCHWARZER Arbeitnehmerkammer Bremen Wie auch in der früheren Bundesrepublik, erfolgt Einwanderung nach Deutschland und in das Bundesland Bremen nach genau festgelegten, gesetzlichen Regeln. Diese Regelungen waren in der Vergangenheit phasenweise stärker marktorientiert, zeitweise aber auch an staatlichen (politischen) Interessen ausgerichtet. Das relativ offene System der Europäischen Union beruht zum Beispiel weitgehend auf ›Marktprinzipien‹. Die EU-Bürgerinnen und -Bürger können, im Rahmen der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit, dort arbeiten und leben, wo sie Arbeit finden oder wo sie sich zumindest Chancen auf Arbeit ausrechnen. Bis heute ist das Zuwanderungsland Deutschland und insbesondere eine Großstadtregion wie Bremen, zutiefst arbeitsgesellschaftlich geprägt. Die regionalen Arbeitsmärkte gelten als Schlüsselinstanzen gesellschaftlicher Teilhabe, auch für die Migrationsbevölkerung. Diese Grundüberzeugung prägt weite Teile der öffentlichen Meinung, die Politik und auch die großstädtischen Integrationskonzepte. Ob die Integration der Migrationsbevölkerung gelingt, entscheidet sich vor allem auf den regionalen Arbeitsmärkten. Die erste Phase der Einwanderung zwischen 1955 und 1973 In der ersten Phase der ›alten‹ Bundesrepublik, zwischen 1955 und 1973, wurde die Einwanderung ausschließlich nach (markt-)wirtschaftlichen Erfordernissen organisiert. Deutsche Unternehmen formulierten sehr genau, wie viele und was für Arbeitskräfte sie benötigten. Weil Deutschland keine ehemaligen Kolonien wie Belgien, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien hatte, wurden sogenannte ›Anwerbeabkommen‹ geschlossen: 1955 mit Italien, 1960 mit Griechenland und Spanien, 1961 mit der Türkei, 1963 mit Marokko, 1964 mit Portugal, 1965 mit Tunesien und 1968 mit Jugoslawien. Organisiert durch die Bundesanstalt für Arbeit wurden in diesen Ländern Gastarbeiter ausgesucht, die vorübergehend in den deutschen Unternehmen arbeiten sollten. Neben der ›Integration in Arbeit‹ war durch ihren Gaststatus an eine umfassende Integration nicht gedacht. Vor dieser Anwerbephase lebten und arbeiteten im Jahr 1954 im gesamten Bundesgebiet (noch ohne Saarland) lediglich 73.000 beschäftigte ausländische Arbeitnehmer (0,4 Prozent). 1 Im Bundesland Bremen erfolgten die ersten Anwerbungen von ›Gastarbeitern‹ durch die großen Werften (AG Weser, Bremer Vulkan, Rickmers-Werft) und die Fischindustrie in Bremerhaven. In einer Zeit der Hochkonjunktur mit Arbeitskräftemangel forderte 1960 der Präsident des bremischen Arbeitsamtes neben der vermehrten Einstellung von Frauen, als zweite Lösung, die Anwerbung italienischer Migranten. 2 Ihre Arbeitsverträge sollten in der Regel für die Dauer von neun Monaten abgeschlossen werden, so sah es die Zielvorgabe der Bundesregierung 3 vor. Da sich aber die Unternehmen gegen das permanente Anlernen neuer und zumeist ungelernter Arbeiter sträubten, wurden aus vielen kurzeitig geplanten Aufenthalten langfristige. Bis Anfang der 1960er-Jahre war die Zuwanderung aus den südeuropäischen Anwerbeländern ins Bundesland Bremen jedoch noch relativ gering 4 , insbesondere im Vergleich mit der viel höheren Zuwanderung aus der damaligen DDR und der noch stärkeren Zuwanderung aus anderen Regionen des Bundesgebietes. Das Landesarbeitsamt Bremen verzeichnete 1960 lediglich 2.312 beschäftigte nichtdeutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land Bremen. 5 Das waren bei insgesamt 297.655 Beschäftigten lediglich 0,8 Prozent. Im Verlauf der 1960er-Jahre stieg dann die Gesamtzahl der ›Gastarbeiter‹ kontinuierlich an, auch weil nach der Errichtung der innerdeutschen Grenze 1961 keine Arbeitskräfte aus der DDR mehr zur Verfügung standen. Bis zum Jahr 1970 hatte sich die Gesamtzahl der ausländischen Arbeitskräfte im Bundesgebiet bis auf 1,84 Millionen erhöht (8,5 Prozent). Ganz ähnlich verlief die Entwicklung im Land Bremen, das bis Anfang der 1970er-Jahre rund 11.000 bis 12.000 Zuzüge von ›Ausländern‹ pro Jahr verzeichnete. Tatsächlich aber blieben nicht alle von ihnen dauerhaft, sondern etwa 4.000 ›Ausländer‹ pro Jahr verließen Bremen auch wieder. 6 Die Arbeit der ›Gastarbeiter‹ erfolgte überwiegend auf der Grundlage von Tarifverträgen und ab 1 Vgl. Bundesagentur für Arbeit (1971). 2 Vgl. Hergesell, Burkhard (2005), S. 14. 3 Vgl. Nordseezeitung vom 21.12.1955. 4 1965 waren 638 ›Gastarbeiter‹ in Bremerhaven beschäftigt: darunter 164 Spanier, 137 Italiener, 71 Türken, 39 Griechen, 35 Portugiesen und 26 Jugoslaven. Vgl. Statistisches Landesamt Bremen (1982.), S. 28. 5 Vgl. Landesarbeitsamt Bremen (1962). 6 Vgl. Statistisches Landesamt Bremen (2011).

70<br />

B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

71<br />

D I E M I G R ATIONSBEVÖ L K E R U NG A M B R E M E R A R B E I T S M A R K T<br />

3 durch<br />

Teilhabe und Partizipation<br />

Erwerbsar<strong>bei</strong>t in Bremen<br />

Die Migrationsbevölkerung<br />

am Bremer Ar<strong>bei</strong>tsmarkt<br />

THOMAS SCHWARZER<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmerkammer Bremen<br />

Wie auch in <strong>der</strong> früheren Bundesrepublik, erfolgt<br />

Einwan<strong>der</strong>ung nach Deutschland und in das Bundesland<br />

Bremen nach genau festgelegten, gesetzlichen<br />

Regeln. Diese Regelungen waren in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

phasenweise stärker marktorientiert,<br />

zeitweise aber auch an staatlichen (politischen)<br />

Interessen ausgerichtet. Das relativ offene System<br />

<strong>der</strong> Europäischen Union beruht zum Beispiel weitgehend<br />

auf ›Marktprinzipien‹. Die EU-Bürgerinnen<br />

und -Bürger können, im Rahmen <strong>der</strong> sogenannten<br />

Ar<strong>bei</strong>tnehmerfreizügigkeit, dort ar<strong>bei</strong>ten und<br />

leben, wo sie Ar<strong>bei</strong>t finden o<strong>der</strong> wo sie sich zumindest<br />

Chancen auf Ar<strong>bei</strong>t ausrechnen.<br />

Bis heute ist das Zuwan<strong>der</strong>ungsland Deutschland<br />

und insbeson<strong>der</strong>e eine Großstadtregion wie<br />

Bremen, zutiefst ar<strong>bei</strong>tsgesellschaftlich geprägt.<br />

Die regionalen Ar<strong>bei</strong>tsmärkte gelten als Schlüsselinstanzen<br />

gesellschaftlicher Teilhabe, auch für die<br />

Migrationsbevölkerung. Diese Grundüberzeugung<br />

prägt weite Teile <strong>der</strong> öffentlichen Meinung, die<br />

Politik und auch die großstädtischen Integrationskonzepte.<br />

Ob die Integration <strong>der</strong> Migrationsbevölkerung<br />

gelingt, entscheidet sich vor allem auf<br />

den regionalen Ar<strong>bei</strong>tsmärkten.<br />

Die erste Phase <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ung<br />

zwischen 1955 und 1973<br />

In <strong>der</strong> ersten Phase <strong>der</strong> ›alten‹ Bundesrepublik,<br />

zwischen 1955 und 1973, wurde die Einwan<strong>der</strong>ung<br />

ausschließlich nach (markt-)wirtschaftlichen Erfor<strong>der</strong>nissen<br />

organisiert. Deutsche Unternehmen<br />

formulierten sehr genau, wie viele und was für<br />

Ar<strong>bei</strong>tskräfte sie benötigten. Weil Deutschland<br />

keine ehemaligen Kolonien wie Belgien, Frankreich,<br />

die Nie<strong>der</strong>lande und Großbritannien hatte, wurden<br />

sogenannte ›Anwerbeabkommen‹ geschlossen:<br />

1955 mit Italien, 1960 mit Griechenland und Spanien,<br />

1961 mit <strong>der</strong> Türkei, 1963 mit Marokko, 1964<br />

mit Portugal, 1965 mit Tunesien und 1968 mit<br />

Jugoslawien. Organisiert durch die Bundesanstalt<br />

für Ar<strong>bei</strong>t wurden in diesen Län<strong>der</strong>n Gastar<strong>bei</strong>ter<br />

ausgesucht, die vorübergehend in den deutschen<br />

Unternehmen ar<strong>bei</strong>ten sollten. Neben <strong>der</strong> ›Integration<br />

in Ar<strong>bei</strong>t‹ war durch ihren Gaststatus an eine<br />

umfassende Integration nicht gedacht. Vor dieser<br />

Anwerbephase lebten und ar<strong>bei</strong>teten im Jahr 1954<br />

im gesamten Bundesgebiet (noch ohne Saarland)<br />

lediglich 73.000 beschäftigte ausländische Ar<strong>bei</strong>tnehmer<br />

(0,4 Prozent). 1<br />

Im Bundesland Bremen erfolgten die ersten<br />

Anwerbungen von ›Gastar<strong>bei</strong>tern‹ durch die<br />

großen Werften (AG Weser, Bremer Vulkan, Rickmers-Werft)<br />

und die Fischindustrie in Bremerhaven.<br />

In einer Zeit <strong>der</strong> Hochkonjunktur mit Ar<strong>bei</strong>tskräftemangel<br />

for<strong>der</strong>te 1960 <strong>der</strong> Präsident des bremischen<br />

Ar<strong>bei</strong>tsamtes neben <strong>der</strong> vermehrten Einstellung<br />

von Frauen, als zweite Lösung, die Anwerbung<br />

italienischer Migranten. 2 Ihre Ar<strong>bei</strong>tsverträge sollten<br />

in <strong>der</strong> Regel für die Dauer von neun Monaten<br />

abgeschlossen werden, so sah es die Zielvorgabe<br />

<strong>der</strong> Bundesregierung 3 vor. Da sich aber die Unternehmen<br />

gegen das permanente Anlernen neuer<br />

und zumeist ungelernter Ar<strong>bei</strong>ter sträubten, wurden<br />

aus vielen kurzeitig geplanten Aufenthalten<br />

langfristige.<br />

Bis Anfang <strong>der</strong> 1960er-Jahre war die Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

aus den südeuropäischen Anwerbelän<strong>der</strong>n<br />

ins Bundesland Bremen jedoch noch relativ gering 4 ,<br />

insbeson<strong>der</strong>e im Vergleich mit <strong>der</strong> viel höheren<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung aus <strong>der</strong> damaligen DDR und <strong>der</strong><br />

noch stärkeren Zuwan<strong>der</strong>ung aus an<strong>der</strong>en Regionen<br />

des Bundesgebietes. Das Landesar<strong>bei</strong>tsamt<br />

Bremen verzeichnete 1960 lediglich 2.312 beschäftigte<br />

nichtdeutsche Ar<strong>bei</strong>tnehmerinnen und Ar<strong>bei</strong>tnehmer<br />

im Land Bremen. 5 Das waren <strong>bei</strong> insgesamt<br />

297.655 Beschäftigten lediglich 0,8 Prozent.<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> 1960er-Jahre stieg dann die<br />

Gesamtzahl <strong>der</strong> ›Gastar<strong>bei</strong>ter‹ kontinuierlich an,<br />

auch weil nach <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> innerdeutschen<br />

Grenze 1961 keine Ar<strong>bei</strong>tskräfte aus <strong>der</strong> DDR mehr<br />

zur Verfügung standen. Bis zum Jahr 1970 hatte<br />

sich die Gesamtzahl <strong>der</strong> ausländischen Ar<strong>bei</strong>tskräfte<br />

im Bundesgebiet bis auf 1,84 Millionen erhöht<br />

(8,5 Prozent). Ganz ähnlich verlief die Entwicklung<br />

im Land Bremen, das bis Anfang <strong>der</strong> 1970er-Jahre<br />

rund 11.000 bis 12.000 Zuzüge von ›<strong>Aus</strong>län<strong>der</strong>n‹<br />

pro Jahr verzeichnete. Tatsächlich aber blieben<br />

nicht alle von ihnen dauerhaft, son<strong>der</strong>n etwa 4.000<br />

›<strong>Aus</strong>län<strong>der</strong>‹ pro Jahr verließen Bremen auch wie<strong>der</strong>.<br />

6 Die Ar<strong>bei</strong>t <strong>der</strong> ›Gastar<strong>bei</strong>ter‹ erfolgte überwiegend<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage von Tarifverträgen und ab<br />

1 Vgl. Bundesagentur für<br />

Ar<strong>bei</strong>t (1971).<br />

2 Vgl. Hergesell, Burkhard<br />

(2005), S. 14.<br />

3 Vgl. Nordseezeitung vom<br />

21.12.1955.<br />

4 1965 waren 638 ›Gastar<strong>bei</strong>ter‹<br />

in Bremerhaven<br />

beschäftigt: darunter 164<br />

Spanier, 137 Italiener,<br />

71 Türken, 39 Griechen,<br />

35 Portugiesen und 26<br />

Jugoslaven. Vgl. Statistisches<br />

Landesamt Bremen<br />

(1982.), S. 28.<br />

5 Vgl. Landesar<strong>bei</strong>tsamt<br />

Bremen (1962).<br />

6 Vgl. Statistisches Landesamt<br />

Bremen (2011).

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!