Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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I M U M G A NG M I T V I E L FA LT E I G E N E S TÄRKEN E N T W I C K E L N<br />
¢Der Deutsche Schulpreis<br />
THOMAS SCHWARZER: Als Vorsitzende im deutschen<br />
Grundschulverband kriegen Sie viel mit, auch wie sich die<br />
Grundschulen in an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n <strong>entwickeln</strong>.<br />
Wie schätzen Sie die Situation in Bremen ein?<br />
MARESI LASSEK: Eine <strong>Aus</strong>sage dazu ist ganz schwer,<br />
denn im Grunde ist kein Bundesland mit dem<br />
an<strong>der</strong>en zu vergleichen. In jedem Bundesland<br />
herrschen an<strong>der</strong>e Rahmenbedingungen und jedes<br />
›strickt‹ sich seine <strong>eigene</strong> Schulstruktur. Bei <strong>der</strong><br />
Schulpreisverleihung in Berlin habe ich mit einem<br />
Schulexperten aus Baden-Württemberg gesprochen,<br />
<strong>der</strong> in Bremen am Schulinspektionsprojekt beteiligt<br />
war. Er hat gesagt, ihm sei durch seine mehrjährige<br />
Ar<strong>bei</strong>t in Bremen klar geworden, dass das<br />
Problem von Bremen die Armut ist und nicht das<br />
Versagen von Schulen. Es gibt hier gute strukturelle<br />
Ansätze, auch viele gute Schulen. Aber das Problem<br />
<strong>der</strong> Armut, sowohl die von Teilen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
als auch die Überschuldung unseres Bundeslandes,<br />
führt zu beson<strong>der</strong>en Schwierigkeiten.<br />
Schwierig in Bremen ist auch, dass es in <strong>der</strong><br />
Vergangenheit häufiger Verän<strong>der</strong>ungen im Schulsystem<br />
als in an<strong>der</strong>en Bundeslän<strong>der</strong>n gab. Es mangelte<br />
an Ruhe und Kontinuität. Jetzt, durch den<br />
Schulkonsens zwischen den Parteien könnte<br />
zumindest eine Linie für zehn Jahre entstehen und<br />
wir können uns dran abar<strong>bei</strong>ten. Es wird zwar<br />
immer wie<strong>der</strong> versucht, diesen Konsens an vielen<br />
Stellen zu umgehen, aber er gibt zumindest ein<br />
Stückchen Sicherheit.<br />
Allerdings hat sich Bremen mit <strong>der</strong> Inklusion<br />
vielleicht zu viel vorgenommen und muss sehen,<br />
was von dem Anspruch zu realisieren ist. Da<strong>bei</strong><br />
zeigen die finanziellen Möglichkeiten deutliche<br />
Grenzen auf. Trotzdem kann man festhalten, dass<br />
Bremen gerade in den Grundschulen im inklusiven<br />
Ansatz sehr weit ist. Die Bremer Grundschulen<br />
waren in den vergangenen Jahren die Einzigen in<br />
<strong>der</strong> Republik, die konsequent integrativ gear<strong>bei</strong>tet<br />
haben, kein an<strong>der</strong>es Bundesland hat das gemacht.<br />
THOMAS SCHWARZER: Tja, die Erfolge ... Viele Politikerinnen<br />
und Politiker wollen heutzutage ja lediglich dann<br />
zusätzliches Geld für Programme vorsehen, wenn es absehbare,<br />
positive Wirkungen gibt. Lernen die Schülerinnen<br />
und Schüler hier, in dieser ›ausgezeichneten‹ Schule nachweislich<br />
erfolgreicher?<br />
MARESI LASSEK: Diese Frage lässt sich verständlicherweise<br />
schwer durch Fakten belegen, es gibt<br />
Beobachtungen und Rückmeldungen <strong>der</strong> aufnehmenden<br />
Schulstufe. Eine davon ist, dass wir mehr<br />
Kin<strong>der</strong> mit gutem Lernstandard an die weiterführende<br />
Schule (Koblenzer Straße) abgeben, als es<br />
das Wohnumfeld erwarten lässt. Die Lehrerinnen<br />
und Lehrer aus dieser Schule berichten immer<br />
wie<strong>der</strong> von Kin<strong>der</strong>n, die dann ab <strong>der</strong> siebten Klasse<br />
durchstarten. Ursächlich dafür scheint zu sein,<br />
dass die Zweisprachigkeit in den ersten Schuljahren<br />
den Kin<strong>der</strong>n eine sehr hohe Anstrengung<br />
abverlangt. Wenn sie sich sprachlich gefestigt<br />
haben, werden Ressourcen für das Lernen und<br />
Lerninhalte frei. Zu den Rückmeldungen gehört<br />
auch, dass die Schülerinnen und Schüler durch<br />
ein konstruktives Sozial- und Ar<strong>bei</strong>tsverhalten<br />
auffallen.<br />
Erfreulich ist weiterhin, dass viele Romafamilien,<br />
<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> unsere Schule besuchen, die Schulbildung<br />
ihrer Kin<strong>der</strong> sehr ernst nehmen. Einzelne<br />
Romakin<strong>der</strong> gehören zu denjenigen, die einen<br />
gymnasialen Bildungsweg schaffen.<br />
Wir und an<strong>der</strong>e Schulen in ähnlicher Lage müssen<br />
noch viel mehr nach außen tragen, dass die<br />
Kin<strong>der</strong>, mit denen wir ar<strong>bei</strong>ten, einfach viel Kraft<br />
und mehr Zeit brauchen, um sich in <strong>der</strong> deutschen<br />
Sprache und in <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft sicher<br />
zu fühlen. Die Grundbildung ist nicht mit <strong>der</strong><br />
Grundschule abgeschlossen. Wir dürfen nicht<br />
schon nach <strong>der</strong> vierten Klasse prognostizieren, dass<br />
bestimmte Ziele wohl nicht erreicht werden können.<br />
Wir müssen diesen Kin<strong>der</strong>n Zeit und Zuversicht<br />
geben, um ihre Möglichkeiten zu <strong>entwickeln</strong>.<br />
<strong>Aus</strong> dieser Perspektive ist die Verkürzung <strong>der</strong><br />
Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre für unsere<br />
Kin<strong>der</strong> völlig wi<strong>der</strong>sinnig.<br />
THOMAS SCHWARZER: Aber um das stärker nach<br />
›außen‹ zu tragen, kann <strong>der</strong> Deutsche Schulpreis auch<br />
dazu <strong>bei</strong>tragen.<br />
MARESI LASSEK: Eine Reihe von Gratulationen<br />
<strong>bei</strong>nhaltet genau dies, nämlich, wie wichtig die<br />
Anerkennung für unseren Stadtteil ist.<br />
Mit dem Deutschen Schulpreis werden jährlich sechs Schulen ausgezeichnet. Die beste<br />
Schule des Jahres erhält einen Schulpreis in Höhe von 100.000 Euro, vier weitere<br />
Schulen erhalten Preise in Höhe von jeweils 25.000 Euro. Zusätzlich wird <strong>der</strong> ›Preis <strong>der</strong><br />
Jury‹ verliehen, <strong>der</strong> ebenfalls mit 25.000 Euro dotiert ist. Es gibt sechs Leistungskategorien,<br />
die abgefor<strong>der</strong>t werden und in denen sich die Schule im ersten Schritt schriftlich<br />
präsentieren muss. Schulen, die mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet werden,<br />
müssen in allen Bereichen gut und mindestens in einem Bereich weit überdurchschnittlich<br />
abschneiden.<br />
Maresi Lassek: ›Was die Schule ausmacht, wird ziemlich umfassend abgebildet. In<br />
allen sechs Kategorien muss die Schule etwas bieten, um überhaupt <strong>bei</strong> <strong>der</strong> Bewerbung<br />
wahrgenommen zu werden. Im zweiten Schritt besucht ein Expertenteam zwei Tage<br />
lang die Schule – <strong>bei</strong> uns waren es fünf pädagogische Experten und Vertreter <strong>der</strong> Stiftung.<br />
Das Besucherteam überprüft, ob die beschriebene ›Papierlage‹ auch tatsächlich in<br />
<strong>der</strong> Schule umgesetzt wird. Sie spricht mit allen Beteiligten, den Kin<strong>der</strong>n, den Eltern,<br />
den Lehrkräften, mit <strong>der</strong> Schulleitung. Vor allem <strong>der</strong> Unterricht spielt eine wesentliche<br />
Rolle, die Unterrichtsqualität und die Leistungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />
Was uns in den Augen <strong>der</strong> Jury ausgezeichnet hat, ist einmal <strong>der</strong> Punkt ›Umgang mit<br />
<strong>Vielfalt</strong>‹ und da<strong>bei</strong> <strong>eigene</strong> <strong>Stärken</strong> <strong>entwickeln</strong>. Aber auch die Schulentwicklung über<br />
viele Jahre im Sinne von Schule als lernende Institution hat große Beachtung gefunden.<br />
Die Jurymitglie<strong>der</strong> haben wahrgenommen, dass in den letzten sechs Jahren – damals<br />
haben wir uns auch am Wettbewerb um den Deutschen Schulpreis beteiligt – noch mal<br />
richtig viel passiert ist.‹<br />
Die Jury-Bewertung zum Preis <strong>der</strong> Grundschule am Pfälzer Weg in Tenever: ›Mit<br />
großer Energie und Leidenschaft suchen die Lehrerinnen und Lehrer nach Wegen, die<br />
sozialen Teilhabechancen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und ihrer Eltern zu verbessern … Herausragend<br />
ist das in langjähriger Zusammenar<strong>bei</strong>t mit <strong>der</strong> benachbarten Kin<strong>der</strong>tageseinrichtung<br />
und <strong>der</strong> Sekundarschule entwickelte Übergangsmanagement.‹