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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

59<br />

I M U M G A NG M I T V I E L FA LT E I G E N E S TÄRKEN E N T W I C K E L N<br />

THOMAS SCHWARZER: In einigen Schulen ar<strong>bei</strong>ten heute<br />

ja nicht allein ›Lehrerinnen und Lehrer‹, son<strong>der</strong>n es gibt<br />

einen sogenannten Personal-Mix, auch mit Sozialar<strong>bei</strong>terinnen/-ar<strong>bei</strong>tern,<br />

Kita-Betreuerinnen/-betreuern o<strong>der</strong> Schulpsychologinnen/-psychologen.<br />

Wie ist das <strong>bei</strong> Ihnen, haben<br />

Sie solche speziell ausgebildeten Kräfte?<br />

MARESI LASSEK: Wir haben bis dato immer eine<br />

Sozialpädagogin im Anerkennungsjahr gehabt und<br />

das war wun<strong>der</strong>bar, sowohl für <strong>der</strong>en <strong>Aus</strong>bildung<br />

als auch für uns. Lei<strong>der</strong> wurde diese Regelung<br />

durch das Amt für <strong>Aus</strong>- und Fortbildung (<strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />

Sozialsenatorin) gecancelt. Grundschulen bekommen<br />

keine Anerkennungspraktikanten mehr.<br />

Wir hier haben jetzt über das Bildungspaket <strong>der</strong><br />

Bundesregierung, das die Bremer Bildungssenatorin<br />

für das Projekt Schulsozialar<strong>bei</strong>t einsetzt, einen<br />

guten Ansatz. Doch lei<strong>der</strong> müssen wir uns eine<br />

Sozialar<strong>bei</strong>terin mit <strong>der</strong> Oberschule Koblenzer<br />

Straße teilen. Die Sozialar<strong>bei</strong>terin ist lediglich an<br />

zwei Tagen in <strong>der</strong> Woche an unserem Standort und<br />

das ist viel zu wenig. Wir brauchen eine <strong>eigene</strong><br />

Sozialar<strong>bei</strong>terin und die Schule Koblenzer Straße<br />

ebenfalls, denn gerade <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einem sehr<br />

schwierigen familiären Hintergrund merken wir,<br />

wie entlastend die Unterstützung für die Lehrkräfte<br />

ist. Die Sozialar<strong>bei</strong>terin baut Kontakt zu Kin<strong>der</strong>n<br />

auf, macht zum Beispiel Elterngespräche o<strong>der</strong><br />

schaltet eine Beratungsstelle ein. Der Anteil solcher<br />

Aufgaben ist <strong>bei</strong> uns hoch, das können sich Lehrkräfte<br />

an an<strong>der</strong>en Schulen nicht unbedingt vorstellen.<br />

Für den <strong>Aus</strong>tausch mit Horterzieherinnen,<br />

mit Familienhelferinnen und Eltern gehen viele<br />

Stunden weg. Die Sozialar<strong>bei</strong>terinnen/-ar<strong>bei</strong>ter sind<br />

dafür ja auch ausgebildet und die meisten Lehrerinnen<br />

und Lehrer eher nicht.<br />

Elternar<strong>bei</strong>t<br />

THOMAS SCHWARZER: In vielen Bremer Schulen und<br />

auch <strong>bei</strong> ›Lernen vor Ort‹ wird <strong>der</strong>zeit das Thema ›Elternar<strong>bei</strong>t‹<br />

diskutiert. Wie sind Ihre Erfahrungen? Was heißt<br />

hier in dieser Schule Elternar<strong>bei</strong>t und was machen Sie<br />

konkret?<br />

MARESI LASSEK: Wir haben irgendwann für uns<br />

zur Kenntnis genommen, dass wir uns auf die Kin<strong>der</strong><br />

konzentrieren müssen. Wir müssen die Kin<strong>der</strong><br />

starkmachen im Sinne von Resilienz <strong>entwickeln</strong>.<br />

In <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> sie in <strong>der</strong> Schule sind, müssen<br />

wir ihnen an vielen Stellen eine Alternative zu<br />

ihrem Elternhaus bieten und ihnen zeigen, wie die<br />

Welt auch sein kann. Wir haben nicht auf alles<br />

Einfluss. Aber wir haben die Möglichkeit, die Kin<strong>der</strong><br />

hier vor Ort zu stärken, ihnen Alternativen<br />

zu zeigen und sie diese auch erleben zu lassen. Das<br />

wirkt nachhaltig. Darauf konzentrieren wir uns.<br />

Aber nichtsdestotrotz haben die Eltern einen<br />

wichtigen Stellenwert hier in <strong>der</strong> Schule und wir<br />

versuchen gezielt, Elternar<strong>bei</strong>t zu intensivieren.<br />

Mit einem speziellen Projekt gehen wir einen neuen<br />

Weg, weil wir die Erfahrung gemacht haben,<br />

mit Gremienar<strong>bei</strong>t erreichen wir zu wenige Eltern.<br />

Zwar kommt ein Teil zu Elternabenden, aber diese<br />

werden als <strong>Aus</strong>tauschgremium zu wenig wahrgenommen.<br />

Gut hingegen wirken Elterngespräche.<br />

BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Wir haben uns sehr<br />

dahintergeklemmt, dass zweimal im Jahr Elterngespräche<br />

stattfinden, zu denen die Eltern auch kommen.<br />

Anfangs, wenn sie nicht kamen, gab es noch<br />

eine Einladung und notfalls sind wir zu den Eltern<br />

nach Hause gegangen und die Eltern wissen mit<br />

<strong>der</strong> Zeit, dass es so läuft und das spricht sich rum.<br />

THOMAS SCHWARZER: Dass es einfach dazugehört?<br />

BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Ja, dass die Schule das<br />

einfor<strong>der</strong>t und dass es auch gut funktioniert.<br />

MARESI LASSEK: Außerdem haben wir ein spezielles<br />

Projekt, das wir aber lei<strong>der</strong> nur für einige Kin<strong>der</strong><br />

und ihre Eltern – also reduziert – anbieten können.<br />

Wir schaffen es, das Angebot parallel für zwei Lerngruppen<br />

finanziell zu unterstützen. Es gibt da<strong>bei</strong><br />

achtmal im Jahr ein Treffen für einen Nachmittag<br />

mit den Eltern, <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n, mit Geschwistern,<br />

den Lehrerinnen und einem Mitar<strong>bei</strong>ter von unserem<br />

Hort. Die Organisation ist so, dass die Eltern<br />

gemeinsam etwas tun, die Kin<strong>der</strong> ebenso und am<br />

Ende treffen sich Eltern und Kin<strong>der</strong> und machen<br />

in <strong>der</strong> großen Gruppe etwas gemeinsam. In <strong>der</strong><br />

Regel bereiten die Kin<strong>der</strong> diese Treffen mit den<br />

Eltern ein bisschen vor. Sie studieren ein Spiel, ein<br />

Lied o<strong>der</strong> einen kleinen Sketch ein o<strong>der</strong> machen<br />

Obstsalat und essen dann mit den Eltern.<br />

Durch dieses Projekt durchlaufen die Eltern,<br />

gestaltet durch eine Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen<br />

aus dem Hort und die Lehrkraft einen<br />

gemeinsamen Prozess. In <strong>der</strong> ersten Phase lernen<br />

sie sich kennen, auch die verschiedenen Kulturen.<br />

Es wird geschaut, woher kommen die einzelnen<br />

Eltern (auf einer Weltkarte, aus welchem Land, wo<br />

ist das und es wird darüber gesprochen)? Was ist<br />

dort zum Beispiel das Lieblingsessen, welche Spiele<br />

spielen die Kin<strong>der</strong>, wie wohnt man dort, welche<br />

Erziehungsregeln gibt es, wie sieht Schule dort<br />

aus? Die deutsche Lehrkraft trägt Informationen<br />

zur Schule in Deutschland <strong>bei</strong>, auf die gleiche<br />

Art und auf gleicher Augenhöhe. In <strong>der</strong> nächsten<br />

Phase nimmt sich die Elterngruppe selbstgewählte<br />

Themen vor unter den Fragestellungen: Was ist<br />

uns wichtig? Worüber wollen wir mehr wissen?<br />

Worüber wollen wir uns austauschen? Es werden<br />

verschiedene Themen gewünscht: wie Ernährung,<br />

Erste Hilfe, wie viel Fernsehen guckt mein Kind?<br />

Wie kann ich ein Kind auch mal strafen, ohne es<br />

gleich zu schlagen? O<strong>der</strong> wie sind Grenzen zu<br />

setzen? Als weiterer Teil gehört dazu, mehr von<br />

Bremen zu erfahren. Welche interessanten Orte<br />

gibt es hier in Bremen, wo kann man mit <strong>der</strong> Familie<br />

hingehen/hinfahren, ohne dass es viel Geld<br />

kostet, zum Beispiel in den Bürgerpark? Die Gruppe<br />

fährt dann auch wirklich dorthin und macht<br />

gemeinsam ein Picknick o<strong>der</strong> einen Spielenachmittag.<br />

O<strong>der</strong> es gibt eine Fahrt mit <strong>der</strong> Bahn nach<br />

Vegesack beziehungsweise nach Bremerhaven<br />

o<strong>der</strong> auch mit <strong>der</strong> Sielwall-Fähre in Verbindung<br />

mit einem Besuch in <strong>der</strong> ›Wildnis‹ (Abenteuerspielplatz)<br />

zum Spielen mit den Kin<strong>der</strong>n. Wir zeigen<br />

einfach diese Orte, auch den Uni-See, das Schlittschuhstadion<br />

und so weiter. Unsere Kin<strong>der</strong> und<br />

ihre Eltern kommen nicht so oft aus Tenever raus,<br />

denn alles kostet zusätzlich Fahrgeld.<br />

THOMAS SCHWARZER: Und das war ja vorher noch<br />

schwieriger, als noch gar nicht die Straßenbahn bis hierher<br />

ging, das ist ja ein weiter und umständlicher Weg<br />

bis in die Stadt rein.<br />

MARESI LASSEK: Ja, die Anbindung ist jetzt sehr<br />

viel besser. In dem Projekt geht es uns darum, den<br />

Eltern zu zeigen, ihr könnt dahin, ihr könnt euch<br />

das auch mal leisten und ihr werdet da auch nicht<br />

schief angesehen. Man kann in das Übersee-Museum<br />

gehen, zeigt die blaue Karte und muss keinen<br />

Eintritt bezahlen. Das muss man direkt erleben,<br />

es ist keine Schande, man blamiert sich nicht.<br />

Diese Erfahrungen mit den Eltern gemeinsam zu<br />

machen, ist ausgesprochen wichtig. Die Eltern, die<br />

an diesem Prozess teilnehmen, beteiligen sich in<br />

<strong>der</strong> Regel dann häufiger an den Elternabenden<br />

und kümmern sich mehr um die Belange <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />

Zum Beispiel sorgen sie <strong>bei</strong>m Fahrradführerschein<br />

dafür, dass die Kin<strong>der</strong> auch einen Helm<br />

haben und tragen, dass das Fahrrad funktionstüchtig<br />

ist. Das Kind wird auch besser angehalten, auf<br />

seine Schulmaterialien zu achten.<br />

Öffnung zum Stadtteil<br />

THOMAS SCHWARZER: Viele Schulen öffnen sich in solchen<br />

Verän<strong>der</strong>ungsprozessen auch stärker ›zum Stadtteil‹,<br />

also zu Sportvereinen o<strong>der</strong> Musikschulen. Ist das für Sie<br />

viel zusätzlicher Aufwand für solche Kooperationen o<strong>der</strong><br />

ist das eher eine Entlastung?<br />

MARESI LASSEK: Beides. Also, ›<strong>der</strong> Stadtteil‹ ist<br />

da sehr konsequent. Wer Joachim Baloschky und<br />

seinen Nachfolger Jörg Hermening kennt, weiß,<br />

niemand kommt hier ungeschoren durch. Jede<br />

Einrichtung muss sich im Stadtteil zeigen, sonst<br />

gibt es zum Beispiel auch keine Mittel aus dem<br />

WiN-För<strong>der</strong>programm. Der regelmäßige Besuch<br />

<strong>der</strong> Stadtteilgruppensitzungen ist sozusagen<br />

Pflicht. Dieses Netzwerk ist sehr hilfreich, weil<br />

schon <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>tausch von Nutzen ist. Hier kann<br />

keine Institution isoliert existieren. Wir ar<strong>bei</strong>ten<br />

auch mit dem Sportverein zusammen, auch wenn<br />

nicht viele Kin<strong>der</strong> von uns Mitglied sind. Das ist<br />

schlicht eine Kosten- und Wegefrage. Einzelne<br />

Angebote des Sportvereins finden daher in unserer<br />

Sporthalle statt.<br />

BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Wir haben hier außerdem<br />

an vier Tagen die Woche den Kurs ›Mama<br />

lernt Deutsch‹, was ja praktisch ein Angebot für<br />

den Stadtteil ist, und die Kurse sind voll. Das ist<br />

auch für die Kin<strong>der</strong> wichtig, weil sie stolz sagen,<br />

meine Mama geht jetzt auch in die Schule. O<strong>der</strong><br />

die Mütter, die das Frühstück zubereiten. Da heißt<br />

es, meine Mama hat Ar<strong>bei</strong>t und die ar<strong>bei</strong>tet in<br />

<strong>der</strong> Schule, das ist richtig eine Pestigefrage. Von<br />

solchen Stellen könnten wir noch viel mehr<br />

gebrauchen.

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