Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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I M U M G A NG M I T V I E L FA LT E I G E N E S TÄRKEN E N T W I C K E L N<br />
THOMAS SCHWARZER: In einigen Schulen ar<strong>bei</strong>ten heute<br />
ja nicht allein ›Lehrerinnen und Lehrer‹, son<strong>der</strong>n es gibt<br />
einen sogenannten Personal-Mix, auch mit Sozialar<strong>bei</strong>terinnen/-ar<strong>bei</strong>tern,<br />
Kita-Betreuerinnen/-betreuern o<strong>der</strong> Schulpsychologinnen/-psychologen.<br />
Wie ist das <strong>bei</strong> Ihnen, haben<br />
Sie solche speziell ausgebildeten Kräfte?<br />
MARESI LASSEK: Wir haben bis dato immer eine<br />
Sozialpädagogin im Anerkennungsjahr gehabt und<br />
das war wun<strong>der</strong>bar, sowohl für <strong>der</strong>en <strong>Aus</strong>bildung<br />
als auch für uns. Lei<strong>der</strong> wurde diese Regelung<br />
durch das Amt für <strong>Aus</strong>- und Fortbildung (<strong>bei</strong> <strong>der</strong><br />
Sozialsenatorin) gecancelt. Grundschulen bekommen<br />
keine Anerkennungspraktikanten mehr.<br />
Wir hier haben jetzt über das Bildungspaket <strong>der</strong><br />
Bundesregierung, das die Bremer Bildungssenatorin<br />
für das Projekt Schulsozialar<strong>bei</strong>t einsetzt, einen<br />
guten Ansatz. Doch lei<strong>der</strong> müssen wir uns eine<br />
Sozialar<strong>bei</strong>terin mit <strong>der</strong> Oberschule Koblenzer<br />
Straße teilen. Die Sozialar<strong>bei</strong>terin ist lediglich an<br />
zwei Tagen in <strong>der</strong> Woche an unserem Standort und<br />
das ist viel zu wenig. Wir brauchen eine <strong>eigene</strong><br />
Sozialar<strong>bei</strong>terin und die Schule Koblenzer Straße<br />
ebenfalls, denn gerade <strong>bei</strong> Kin<strong>der</strong>n mit einem sehr<br />
schwierigen familiären Hintergrund merken wir,<br />
wie entlastend die Unterstützung für die Lehrkräfte<br />
ist. Die Sozialar<strong>bei</strong>terin baut Kontakt zu Kin<strong>der</strong>n<br />
auf, macht zum Beispiel Elterngespräche o<strong>der</strong><br />
schaltet eine Beratungsstelle ein. Der Anteil solcher<br />
Aufgaben ist <strong>bei</strong> uns hoch, das können sich Lehrkräfte<br />
an an<strong>der</strong>en Schulen nicht unbedingt vorstellen.<br />
Für den <strong>Aus</strong>tausch mit Horterzieherinnen,<br />
mit Familienhelferinnen und Eltern gehen viele<br />
Stunden weg. Die Sozialar<strong>bei</strong>terinnen/-ar<strong>bei</strong>ter sind<br />
dafür ja auch ausgebildet und die meisten Lehrerinnen<br />
und Lehrer eher nicht.<br />
Elternar<strong>bei</strong>t<br />
THOMAS SCHWARZER: In vielen Bremer Schulen und<br />
auch <strong>bei</strong> ›Lernen vor Ort‹ wird <strong>der</strong>zeit das Thema ›Elternar<strong>bei</strong>t‹<br />
diskutiert. Wie sind Ihre Erfahrungen? Was heißt<br />
hier in dieser Schule Elternar<strong>bei</strong>t und was machen Sie<br />
konkret?<br />
MARESI LASSEK: Wir haben irgendwann für uns<br />
zur Kenntnis genommen, dass wir uns auf die Kin<strong>der</strong><br />
konzentrieren müssen. Wir müssen die Kin<strong>der</strong><br />
starkmachen im Sinne von Resilienz <strong>entwickeln</strong>.<br />
In <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> sie in <strong>der</strong> Schule sind, müssen<br />
wir ihnen an vielen Stellen eine Alternative zu<br />
ihrem Elternhaus bieten und ihnen zeigen, wie die<br />
Welt auch sein kann. Wir haben nicht auf alles<br />
Einfluss. Aber wir haben die Möglichkeit, die Kin<strong>der</strong><br />
hier vor Ort zu stärken, ihnen Alternativen<br />
zu zeigen und sie diese auch erleben zu lassen. Das<br />
wirkt nachhaltig. Darauf konzentrieren wir uns.<br />
Aber nichtsdestotrotz haben die Eltern einen<br />
wichtigen Stellenwert hier in <strong>der</strong> Schule und wir<br />
versuchen gezielt, Elternar<strong>bei</strong>t zu intensivieren.<br />
Mit einem speziellen Projekt gehen wir einen neuen<br />
Weg, weil wir die Erfahrung gemacht haben,<br />
mit Gremienar<strong>bei</strong>t erreichen wir zu wenige Eltern.<br />
Zwar kommt ein Teil zu Elternabenden, aber diese<br />
werden als <strong>Aus</strong>tauschgremium zu wenig wahrgenommen.<br />
Gut hingegen wirken Elterngespräche.<br />
BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Wir haben uns sehr<br />
dahintergeklemmt, dass zweimal im Jahr Elterngespräche<br />
stattfinden, zu denen die Eltern auch kommen.<br />
Anfangs, wenn sie nicht kamen, gab es noch<br />
eine Einladung und notfalls sind wir zu den Eltern<br />
nach Hause gegangen und die Eltern wissen mit<br />
<strong>der</strong> Zeit, dass es so läuft und das spricht sich rum.<br />
THOMAS SCHWARZER: Dass es einfach dazugehört?<br />
BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Ja, dass die Schule das<br />
einfor<strong>der</strong>t und dass es auch gut funktioniert.<br />
MARESI LASSEK: Außerdem haben wir ein spezielles<br />
Projekt, das wir aber lei<strong>der</strong> nur für einige Kin<strong>der</strong><br />
und ihre Eltern – also reduziert – anbieten können.<br />
Wir schaffen es, das Angebot parallel für zwei Lerngruppen<br />
finanziell zu unterstützen. Es gibt da<strong>bei</strong><br />
achtmal im Jahr ein Treffen für einen Nachmittag<br />
mit den Eltern, <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong>n, mit Geschwistern,<br />
den Lehrerinnen und einem Mitar<strong>bei</strong>ter von unserem<br />
Hort. Die Organisation ist so, dass die Eltern<br />
gemeinsam etwas tun, die Kin<strong>der</strong> ebenso und am<br />
Ende treffen sich Eltern und Kin<strong>der</strong> und machen<br />
in <strong>der</strong> großen Gruppe etwas gemeinsam. In <strong>der</strong><br />
Regel bereiten die Kin<strong>der</strong> diese Treffen mit den<br />
Eltern ein bisschen vor. Sie studieren ein Spiel, ein<br />
Lied o<strong>der</strong> einen kleinen Sketch ein o<strong>der</strong> machen<br />
Obstsalat und essen dann mit den Eltern.<br />
Durch dieses Projekt durchlaufen die Eltern,<br />
gestaltet durch eine Sozialpädagogin/einen Sozialpädagogen<br />
aus dem Hort und die Lehrkraft einen<br />
gemeinsamen Prozess. In <strong>der</strong> ersten Phase lernen<br />
sie sich kennen, auch die verschiedenen Kulturen.<br />
Es wird geschaut, woher kommen die einzelnen<br />
Eltern (auf einer Weltkarte, aus welchem Land, wo<br />
ist das und es wird darüber gesprochen)? Was ist<br />
dort zum Beispiel das Lieblingsessen, welche Spiele<br />
spielen die Kin<strong>der</strong>, wie wohnt man dort, welche<br />
Erziehungsregeln gibt es, wie sieht Schule dort<br />
aus? Die deutsche Lehrkraft trägt Informationen<br />
zur Schule in Deutschland <strong>bei</strong>, auf die gleiche<br />
Art und auf gleicher Augenhöhe. In <strong>der</strong> nächsten<br />
Phase nimmt sich die Elterngruppe selbstgewählte<br />
Themen vor unter den Fragestellungen: Was ist<br />
uns wichtig? Worüber wollen wir mehr wissen?<br />
Worüber wollen wir uns austauschen? Es werden<br />
verschiedene Themen gewünscht: wie Ernährung,<br />
Erste Hilfe, wie viel Fernsehen guckt mein Kind?<br />
Wie kann ich ein Kind auch mal strafen, ohne es<br />
gleich zu schlagen? O<strong>der</strong> wie sind Grenzen zu<br />
setzen? Als weiterer Teil gehört dazu, mehr von<br />
Bremen zu erfahren. Welche interessanten Orte<br />
gibt es hier in Bremen, wo kann man mit <strong>der</strong> Familie<br />
hingehen/hinfahren, ohne dass es viel Geld<br />
kostet, zum Beispiel in den Bürgerpark? Die Gruppe<br />
fährt dann auch wirklich dorthin und macht<br />
gemeinsam ein Picknick o<strong>der</strong> einen Spielenachmittag.<br />
O<strong>der</strong> es gibt eine Fahrt mit <strong>der</strong> Bahn nach<br />
Vegesack beziehungsweise nach Bremerhaven<br />
o<strong>der</strong> auch mit <strong>der</strong> Sielwall-Fähre in Verbindung<br />
mit einem Besuch in <strong>der</strong> ›Wildnis‹ (Abenteuerspielplatz)<br />
zum Spielen mit den Kin<strong>der</strong>n. Wir zeigen<br />
einfach diese Orte, auch den Uni-See, das Schlittschuhstadion<br />
und so weiter. Unsere Kin<strong>der</strong> und<br />
ihre Eltern kommen nicht so oft aus Tenever raus,<br />
denn alles kostet zusätzlich Fahrgeld.<br />
THOMAS SCHWARZER: Und das war ja vorher noch<br />
schwieriger, als noch gar nicht die Straßenbahn bis hierher<br />
ging, das ist ja ein weiter und umständlicher Weg<br />
bis in die Stadt rein.<br />
MARESI LASSEK: Ja, die Anbindung ist jetzt sehr<br />
viel besser. In dem Projekt geht es uns darum, den<br />
Eltern zu zeigen, ihr könnt dahin, ihr könnt euch<br />
das auch mal leisten und ihr werdet da auch nicht<br />
schief angesehen. Man kann in das Übersee-Museum<br />
gehen, zeigt die blaue Karte und muss keinen<br />
Eintritt bezahlen. Das muss man direkt erleben,<br />
es ist keine Schande, man blamiert sich nicht.<br />
Diese Erfahrungen mit den Eltern gemeinsam zu<br />
machen, ist ausgesprochen wichtig. Die Eltern, die<br />
an diesem Prozess teilnehmen, beteiligen sich in<br />
<strong>der</strong> Regel dann häufiger an den Elternabenden<br />
und kümmern sich mehr um die Belange <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>.<br />
Zum Beispiel sorgen sie <strong>bei</strong>m Fahrradführerschein<br />
dafür, dass die Kin<strong>der</strong> auch einen Helm<br />
haben und tragen, dass das Fahrrad funktionstüchtig<br />
ist. Das Kind wird auch besser angehalten, auf<br />
seine Schulmaterialien zu achten.<br />
Öffnung zum Stadtteil<br />
THOMAS SCHWARZER: Viele Schulen öffnen sich in solchen<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozessen auch stärker ›zum Stadtteil‹,<br />
also zu Sportvereinen o<strong>der</strong> Musikschulen. Ist das für Sie<br />
viel zusätzlicher Aufwand für solche Kooperationen o<strong>der</strong><br />
ist das eher eine Entlastung?<br />
MARESI LASSEK: Beides. Also, ›<strong>der</strong> Stadtteil‹ ist<br />
da sehr konsequent. Wer Joachim Baloschky und<br />
seinen Nachfolger Jörg Hermening kennt, weiß,<br />
niemand kommt hier ungeschoren durch. Jede<br />
Einrichtung muss sich im Stadtteil zeigen, sonst<br />
gibt es zum Beispiel auch keine Mittel aus dem<br />
WiN-För<strong>der</strong>programm. Der regelmäßige Besuch<br />
<strong>der</strong> Stadtteilgruppensitzungen ist sozusagen<br />
Pflicht. Dieses Netzwerk ist sehr hilfreich, weil<br />
schon <strong>der</strong> <strong>Aus</strong>tausch von Nutzen ist. Hier kann<br />
keine Institution isoliert existieren. Wir ar<strong>bei</strong>ten<br />
auch mit dem Sportverein zusammen, auch wenn<br />
nicht viele Kin<strong>der</strong> von uns Mitglied sind. Das ist<br />
schlicht eine Kosten- und Wegefrage. Einzelne<br />
Angebote des Sportvereins finden daher in unserer<br />
Sporthalle statt.<br />
BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Wir haben hier außerdem<br />
an vier Tagen die Woche den Kurs ›Mama<br />
lernt Deutsch‹, was ja praktisch ein Angebot für<br />
den Stadtteil ist, und die Kurse sind voll. Das ist<br />
auch für die Kin<strong>der</strong> wichtig, weil sie stolz sagen,<br />
meine Mama geht jetzt auch in die Schule. O<strong>der</strong><br />
die Mütter, die das Frühstück zubereiten. Da heißt<br />
es, meine Mama hat Ar<strong>bei</strong>t und die ar<strong>bei</strong>tet in<br />
<strong>der</strong> Schule, das ist richtig eine Pestigefrage. Von<br />
solchen Stellen könnten wir noch viel mehr<br />
gebrauchen.