Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...
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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />
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I M U M G A NG M I T V I E L FA LT E I G E N E S TÄRKEN E N T W I C K E L N<br />
O<strong>der</strong> könnte in <strong>der</strong> Kita-Zeit mehr Sprach- und Lernför<strong>der</strong>ung<br />
erfolgen?<br />
MARESI LASSEK: Das lässt sich nicht pauschal beurteilen,<br />
denn wir haben in Bremen städtische Kitas,<br />
wir haben Kitas in freier Trägerschaft, von <strong>der</strong><br />
evangelischen und <strong>der</strong> katholischen Kirche und<br />
auch Elternvereine und alle haben unterschiedliche<br />
Konzepte. Was wir nicht mehr haben, sind<br />
totale Sprachanfänger, die gab es früher, Kin<strong>der</strong>,<br />
die unter Umständen ein Jahr lang nichts gesagt<br />
haben. Sie hatten vielleicht einen Freund, <strong>der</strong><br />
ihnen am Anfang alles übersetzt hat, später haben<br />
sie irgendwann Alltagsabläufe verstanden, aber<br />
immer noch nicht gesprochen. Also, solche Situationen<br />
haben wir nicht mehr. Sicher sagt man, das<br />
Sprachvermögen könnte besser sein, <strong>der</strong> Wunsch<br />
besteht schon, aber wir wissen, mit welch geringen<br />
Sprachkenntnissen manche Kin<strong>der</strong> in die Kita<br />
kommen.<br />
THOMAS SCHWARZER: Wo sprechen Sie denn über<br />
solche Wünsche, gibt es einen <strong>Aus</strong>tausch mit den Kin<strong>der</strong>tagesstätten,<br />
einen Ar<strong>bei</strong>tskreis o<strong>der</strong> Ähnliches?<br />
MARESI LASSEK: Das ist zwischen den Ressorts Bildung<br />
und Soziales nicht so einfach, da gibt es eine<br />
hohe Empfindlichkeit, auch durch den Eindruck,<br />
hier wird etwas Top down entschieden.<br />
THOMAS SCHWARZER: Nach dem Motto, jetzt kommen<br />
wie<strong>der</strong> die Lehrerinnen und Lehrer und wollen uns Vorschriften<br />
machen?<br />
MARESI LASSEK: Ja, die wissen es immer besser und<br />
wir müssen doch schon in die Schule, um diesen<br />
Cito-Test dort durchzuführen.<br />
THOMAS SCHWARZER: Aber diese wichtigen Fragen<br />
müssten im Grunde genommen doch in <strong>der</strong> Form eines<br />
kooperativen und konstruktiven <strong>Aus</strong>tausches möglich sein.<br />
MARESI LASSEK: Die Situation ist sperrig. Wir<br />
haben im Rahmen unserer jahrgangsübergreifenden<br />
Ar<strong>bei</strong>t einen runden Tisch Kita/Schule und<br />
selbst da sind bestimmte Anliegen hochsensibel.<br />
Das gilt auch für allgemein formulierte Themen.<br />
Wenn es zum Beispiel um das Schreiben von Buchstaben<br />
geht und Lehrerinnen sagen, es sei überhaupt<br />
nicht ihr Wunsch, dass die Kin<strong>der</strong> auf das<br />
Schreiben vorbereitet werden. Solches wird schnell<br />
als Einmischung empfunden.<br />
BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Da<strong>bei</strong> können wir die<br />
Position <strong>der</strong> Kita-Kolleginnen sehr gut nachvollziehen.<br />
Unsere <strong>eigene</strong>n Kolleginnen haben genau<br />
diese Sensibilitäten auch gegenüber den weiterführenden<br />
Schulen gehabt. Das ist <strong>bei</strong> uns ein wenig<br />
aufgebrochen worden, weil wir gemeinsam an<br />
den ›Übergängen‹ ar<strong>bei</strong>ten. Aber es kommt nicht<br />
gut an, wenn zum Beispiel einer sagt: ›Ich wünschte<br />
mir, Ihr würdet mit den Kin<strong>der</strong>n besser das kleine<br />
Einmaleins lernen‹, und wir wissen, wir pauken<br />
zwei Jahre lang Einmaleins und nach den sechs<br />
Wochen Sommerferien kommen die Kin<strong>der</strong> in die<br />
Schule und wissen nicht mehr, wie es geht. Das<br />
überträgt man und denkt, ja, das ist genau die gleiche<br />
Situation wie für die Kita-Erzieherinnen, die<br />
auch die ganze Zeit versuchen, ihr Bestes zu geben.<br />
MARESI LASSEK: Das Bremer Problem ist, als <strong>der</strong><br />
Bildungsplan für den Elementarbereich verfasst<br />
wurde, wurde zeitgleich <strong>der</strong> Rahmenplan für die<br />
Grundschulen gemacht.<br />
THOMAS SCHWARZER: Und das ist damals nicht zusammengebracht<br />
worden?<br />
MARESI LASSEK: Ja, das ist unglaublich. Es gibt<br />
viele Appelle: Macht mal! Aber wenn die mittlere<br />
Ebene in den senatorischen Behörden Kooperation<br />
nicht effektiv geregelt bekommt, wie soll es dann<br />
in den vielen Einrichtungen funktionieren, zumal<br />
die Trägerschaften im Elementarbereich ja sehr<br />
unterschiedlich sind, auch das muss bedacht werden.<br />
Aber wenn Rahmenpläne geschrieben werden,<br />
also Bildungspläne, dann sind diese für alle verbindlich<br />
– und die Chance hat Bremen so was von<br />
verpasst.<br />
Lassen Sie uns abschließend noch Ihre Frage<br />
nach dem Englischunterricht klären. In Bremen<br />
haben alle Grundschülerinnen und -schüler ab <strong>der</strong><br />
dritten Klasse Englisch. Vor <strong>der</strong> Einführung in den<br />
1990er-Jahren wurde Englischunterricht in Pilotschulen<br />
erprobt. Der Pfälzer Weg gehörte dazu.<br />
Wir vermuteten, den Beweis antreten zu können,<br />
dass das Englischlernen für Kin<strong>der</strong>, die in ihrer<br />
ersten Fremdsprache alphabetisiert werden, in <strong>der</strong><br />
Grundschule eine viel zu hohe Anfor<strong>der</strong>ung ist.<br />
Wir wurden eines Besseren belehrt. Die Kin<strong>der</strong> mit<br />
nichtdeutscher Muttersprache ließen sich mutig<br />
auf den Englischunterricht ein. Sie hatten hier dieselbe<br />
<strong>Aus</strong>gangslage wie deutschsprachige Kin<strong>der</strong><br />
und waren also auf gleicher Augenhöhe. Der zweite<br />
Pluspunkt ergab sich aus <strong>der</strong> Tatsache, dass viele<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>er Muttersprache durch das<br />
Erlernen <strong>der</strong> Fremdsprache Deutsch ein differenziertes<br />
Sprachgefühl entwickelt hatten, sowohl für<br />
<strong>Aus</strong>sprache als auch in <strong>der</strong> Fähigkeit, Wörter zu<br />
speichern. Unsere Skepsis wurde den Kin<strong>der</strong>n nicht<br />
gerecht.<br />
Der schwierige Weg von <strong>der</strong> Halbtagsschule<br />
mit Hort zu einer Ganztagsschule<br />
THOMAS SCHWARZER: Zu einem Thema wollte ich auf<br />
jeden Fall noch kommen. Ich habe gesehen, dass Sie nach<br />
den vielen Jahren <strong>der</strong> Schulentwicklung Öffnungszeiten<br />
von 7 bis 17 Uhr haben.<br />
MARESI LASSEK: Ja, aber in Kooperation mit dem<br />
Hort. Wir sind noch Halbtagsschule, haben aber<br />
in <strong>der</strong> Schule den Hort für 60 Kin<strong>der</strong> bis 17 Uhr.<br />
Und wir haben eine Betreuungseinrichtung für<br />
40 Kin<strong>der</strong>, die bis 15 Uhr geht. In <strong>bei</strong>den Einrichtungen<br />
zusammen sind also 100 Kin<strong>der</strong> am<br />
Nachmittag versorgt. Da bekommen die Kin<strong>der</strong><br />
auch Mittagessen, Hausaufgabenhilfe und pädagogische<br />
Angebote. 2013 wollen wir Ganztagsschule<br />
werden.<br />
THOMAS SCHWARZER: Ist die Nachfrage nach ganztägiger<br />
Betreuung hier so groß? Die offiziellen Zahlen zeigen<br />
ja, dass Familien mit einer Migrationsgeschichte ihre<br />
Kin<strong>der</strong> nicht so früh und nicht so häufig für den Ganztag<br />
anmelden.<br />
MARESI LASSEK: Doch, die Nachfrage ist groß und<br />
es gibt lange Wartelisten, alle Kin<strong>der</strong> brauchen den<br />
ganzen Tag. Bisher haben wir uns aber gescheut,<br />
in den Ganztagsbetrieb einzusteigen, weil wir<br />
wissen, das bedeutet das <strong>Aus</strong> für unseren Hort.<br />
Wir haben eine gute Kooperation mit dem St. Petri<br />
Hort und von daher war das für uns bis zum vorletzten<br />
Jahr nicht denkbar. Angesichts <strong>der</strong> Platzknappheit<br />
hier haben wir aber das Gespräch<br />
gesucht und jetzt eine enge Kooperation mit St.<br />
Petri in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Entwicklung des Ganztags.<br />
Wir hoffen, einen Weg zu finden, über den die<br />
personelle Struktur auch im Ganztag erhalten<br />
bleiben kann – aber dann für mehr Kin<strong>der</strong>.<br />
THOMAS SCHWARZER: Auch an an<strong>der</strong>en Bremer Schulen<br />
heisst es, das Hortkonzept sei pädagogisch sehr gut<br />
und wenn <strong>der</strong> Hort wegfällt, gäbe es eine Verschlechterung<br />
am Nachmittag. Deshalb waren Sie auch erst mal reserviert?<br />
MARESI LASSEK: Ja, die Ganztagsausstattung ist<br />
bisher deutlich schlechter als die Hortausstattung.<br />
Wir hätten – davon war auszugehen – die gleiche<br />
Anzahl von Mitar<strong>bei</strong>tern gehabt, aber statt für<br />
100 Kin<strong>der</strong> auf 180 Kin<strong>der</strong> verteilt. Das war für uns<br />
schon ein Grund zu sagen, wir geben etwas Gutes<br />
auf und nehmen zusätzlich den Wegfall <strong>der</strong> Ferienbetreuung<br />
in Kauf, wenn kein Hort gewährleistet<br />
ist. Jetzt haben sich aber die Bedingungen in<br />
Bremen ein bisschen für den gebundenen Ganztag<br />
geän<strong>der</strong>t. Zusätzlich kam aus dem Stadtteil das<br />
deutliche Signal, was ihr macht, das ist zu wenig.<br />
THOMAS SCHWARZER: Und wird es dann von den<br />
Lehrerstunden hinreichend sein?<br />
MARESI LASSEK: Seit diesem Jahr erfährt das Konzept<br />
des ›offenen Ganztags‹ in Bremen plötzlich<br />
viel Zustimmung. So viel, dass Schulen im offenen<br />
Ganztag eine sehr viel bessere Lehrerausstattung<br />
zugesagt bekommen haben (für jede Gruppe acht<br />
Lehrerstunden zusätzlich) als gebundene Ganztagsschulen.<br />
Bei den gebundenen Ganztagsschulen<br />
bekam bisher jede Gruppe lediglich zwei Lehrerstunden<br />
zusätzlich. Diese Ungleichbehandlung ist<br />
offensichtlich geworden und nun sollen gebundene<br />
Ganztagsschulen in sogenannter ›Brennpunktlage‹<br />
Schritt für Schritt in diese Acht-Stunden-<br />
<strong>Aus</strong>stattung eingebunden werden.<br />
THOMAS SCHWARZER: Und diese <strong>Aus</strong>stattung ist gut<br />
o<strong>der</strong> hinreichend?<br />
MARESI LASSEK: Wir können es ja nicht aus <strong>eigene</strong>r<br />
Erfahrung beurteilen. Aber es ist auf alle Fälle<br />
eine deutliche Verbesserung. Wir gehen davon aus,<br />
weil wir in <strong>der</strong> Sozialindikatorenliste ganz oben<br />
stehen, dass wir die acht Stunden bekommen werden<br />
und hoffen, damit ganz gut hinzukommen.<br />
Aber noch mal zum Frühdienst, weil Sie sieben<br />
Uhr sagten, wir fangen kurz nach sieben Uhr an<br />
mit einem Frühstücksangebot. Das machen Mütter.<br />
THOMAS SCHWARZER: Das heißt, jedes Kind startet<br />
auf jeden Fall mit einem Frühstück?<br />
MARESI LASSEK: Ja, es muss aber angemeldet sein.<br />
Die Kin<strong>der</strong> können nicht heute kommen und morgen<br />
nicht, es gibt eine Verbindlichkeit. Insgesamt<br />
haben wir um die 20 Kin<strong>der</strong>, die am Frühstück<br />
teilnehmen. Das ist eine richtig große Gruppe und<br />
viel mehr ginge auch mit unserer <strong>Aus</strong>stattung<br />
nicht, denn das Frühstück finanzieren wir selbst,<br />
dafür gibt es keine Ressourcen aus dem Bildungshaushalt.<br />
Alle Lebensmittel und eine ganz geringe<br />
Aufwandsentschädigung für die Mütter müssen<br />
wir über Sponsorengel<strong>der</strong> finanzieren und Sponsoren<br />
finden wir hier nicht so leicht.<br />
THOMAS SCHWARZER: Weil es nicht genug finanzkräftige<br />
Geschäftsleute gibt?<br />
MARESI LASSEK: Auch das, aber Sponsoren kommen<br />
selten an Schulen wie unsere und sagen, wir<br />
möchten etwas Gutes tun. Sponsoring wird ja ganz<br />
an<strong>der</strong>s wahrgenommen, wenn das Engagement in<br />
einem ›respektablen Umfeld‹ geschieht.