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Aus Vielfalt eigene Stärken entwickeln - bei der ...

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B E R I C H T Z U R S O Z I A L E N L AG E 2 012<br />

57<br />

I M U M G A NG M I T V I E L FA LT E I G E N E S TÄRKEN E N T W I C K E L N<br />

O<strong>der</strong> könnte in <strong>der</strong> Kita-Zeit mehr Sprach- und Lernför<strong>der</strong>ung<br />

erfolgen?<br />

MARESI LASSEK: Das lässt sich nicht pauschal beurteilen,<br />

denn wir haben in Bremen städtische Kitas,<br />

wir haben Kitas in freier Trägerschaft, von <strong>der</strong><br />

evangelischen und <strong>der</strong> katholischen Kirche und<br />

auch Elternvereine und alle haben unterschiedliche<br />

Konzepte. Was wir nicht mehr haben, sind<br />

totale Sprachanfänger, die gab es früher, Kin<strong>der</strong>,<br />

die unter Umständen ein Jahr lang nichts gesagt<br />

haben. Sie hatten vielleicht einen Freund, <strong>der</strong><br />

ihnen am Anfang alles übersetzt hat, später haben<br />

sie irgendwann Alltagsabläufe verstanden, aber<br />

immer noch nicht gesprochen. Also, solche Situationen<br />

haben wir nicht mehr. Sicher sagt man, das<br />

Sprachvermögen könnte besser sein, <strong>der</strong> Wunsch<br />

besteht schon, aber wir wissen, mit welch geringen<br />

Sprachkenntnissen manche Kin<strong>der</strong> in die Kita<br />

kommen.<br />

THOMAS SCHWARZER: Wo sprechen Sie denn über<br />

solche Wünsche, gibt es einen <strong>Aus</strong>tausch mit den Kin<strong>der</strong>tagesstätten,<br />

einen Ar<strong>bei</strong>tskreis o<strong>der</strong> Ähnliches?<br />

MARESI LASSEK: Das ist zwischen den Ressorts Bildung<br />

und Soziales nicht so einfach, da gibt es eine<br />

hohe Empfindlichkeit, auch durch den Eindruck,<br />

hier wird etwas Top down entschieden.<br />

THOMAS SCHWARZER: Nach dem Motto, jetzt kommen<br />

wie<strong>der</strong> die Lehrerinnen und Lehrer und wollen uns Vorschriften<br />

machen?<br />

MARESI LASSEK: Ja, die wissen es immer besser und<br />

wir müssen doch schon in die Schule, um diesen<br />

Cito-Test dort durchzuführen.<br />

THOMAS SCHWARZER: Aber diese wichtigen Fragen<br />

müssten im Grunde genommen doch in <strong>der</strong> Form eines<br />

kooperativen und konstruktiven <strong>Aus</strong>tausches möglich sein.<br />

MARESI LASSEK: Die Situation ist sperrig. Wir<br />

haben im Rahmen unserer jahrgangsübergreifenden<br />

Ar<strong>bei</strong>t einen runden Tisch Kita/Schule und<br />

selbst da sind bestimmte Anliegen hochsensibel.<br />

Das gilt auch für allgemein formulierte Themen.<br />

Wenn es zum Beispiel um das Schreiben von Buchstaben<br />

geht und Lehrerinnen sagen, es sei überhaupt<br />

nicht ihr Wunsch, dass die Kin<strong>der</strong> auf das<br />

Schreiben vorbereitet werden. Solches wird schnell<br />

als Einmischung empfunden.<br />

BEATRIX HARNISCH-SOLLER: Da<strong>bei</strong> können wir die<br />

Position <strong>der</strong> Kita-Kolleginnen sehr gut nachvollziehen.<br />

Unsere <strong>eigene</strong>n Kolleginnen haben genau<br />

diese Sensibilitäten auch gegenüber den weiterführenden<br />

Schulen gehabt. Das ist <strong>bei</strong> uns ein wenig<br />

aufgebrochen worden, weil wir gemeinsam an<br />

den ›Übergängen‹ ar<strong>bei</strong>ten. Aber es kommt nicht<br />

gut an, wenn zum Beispiel einer sagt: ›Ich wünschte<br />

mir, Ihr würdet mit den Kin<strong>der</strong>n besser das kleine<br />

Einmaleins lernen‹, und wir wissen, wir pauken<br />

zwei Jahre lang Einmaleins und nach den sechs<br />

Wochen Sommerferien kommen die Kin<strong>der</strong> in die<br />

Schule und wissen nicht mehr, wie es geht. Das<br />

überträgt man und denkt, ja, das ist genau die gleiche<br />

Situation wie für die Kita-Erzieherinnen, die<br />

auch die ganze Zeit versuchen, ihr Bestes zu geben.<br />

MARESI LASSEK: Das Bremer Problem ist, als <strong>der</strong><br />

Bildungsplan für den Elementarbereich verfasst<br />

wurde, wurde zeitgleich <strong>der</strong> Rahmenplan für die<br />

Grundschulen gemacht.<br />

THOMAS SCHWARZER: Und das ist damals nicht zusammengebracht<br />

worden?<br />

MARESI LASSEK: Ja, das ist unglaublich. Es gibt<br />

viele Appelle: Macht mal! Aber wenn die mittlere<br />

Ebene in den senatorischen Behörden Kooperation<br />

nicht effektiv geregelt bekommt, wie soll es dann<br />

in den vielen Einrichtungen funktionieren, zumal<br />

die Trägerschaften im Elementarbereich ja sehr<br />

unterschiedlich sind, auch das muss bedacht werden.<br />

Aber wenn Rahmenpläne geschrieben werden,<br />

also Bildungspläne, dann sind diese für alle verbindlich<br />

– und die Chance hat Bremen so was von<br />

verpasst.<br />

Lassen Sie uns abschließend noch Ihre Frage<br />

nach dem Englischunterricht klären. In Bremen<br />

haben alle Grundschülerinnen und -schüler ab <strong>der</strong><br />

dritten Klasse Englisch. Vor <strong>der</strong> Einführung in den<br />

1990er-Jahren wurde Englischunterricht in Pilotschulen<br />

erprobt. Der Pfälzer Weg gehörte dazu.<br />

Wir vermuteten, den Beweis antreten zu können,<br />

dass das Englischlernen für Kin<strong>der</strong>, die in ihrer<br />

ersten Fremdsprache alphabetisiert werden, in <strong>der</strong><br />

Grundschule eine viel zu hohe Anfor<strong>der</strong>ung ist.<br />

Wir wurden eines Besseren belehrt. Die Kin<strong>der</strong> mit<br />

nichtdeutscher Muttersprache ließen sich mutig<br />

auf den Englischunterricht ein. Sie hatten hier dieselbe<br />

<strong>Aus</strong>gangslage wie deutschsprachige Kin<strong>der</strong><br />

und waren also auf gleicher Augenhöhe. Der zweite<br />

Pluspunkt ergab sich aus <strong>der</strong> Tatsache, dass viele<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> mit an<strong>der</strong>er Muttersprache durch das<br />

Erlernen <strong>der</strong> Fremdsprache Deutsch ein differenziertes<br />

Sprachgefühl entwickelt hatten, sowohl für<br />

<strong>Aus</strong>sprache als auch in <strong>der</strong> Fähigkeit, Wörter zu<br />

speichern. Unsere Skepsis wurde den Kin<strong>der</strong>n nicht<br />

gerecht.<br />

Der schwierige Weg von <strong>der</strong> Halbtagsschule<br />

mit Hort zu einer Ganztagsschule<br />

THOMAS SCHWARZER: Zu einem Thema wollte ich auf<br />

jeden Fall noch kommen. Ich habe gesehen, dass Sie nach<br />

den vielen Jahren <strong>der</strong> Schulentwicklung Öffnungszeiten<br />

von 7 bis 17 Uhr haben.<br />

MARESI LASSEK: Ja, aber in Kooperation mit dem<br />

Hort. Wir sind noch Halbtagsschule, haben aber<br />

in <strong>der</strong> Schule den Hort für 60 Kin<strong>der</strong> bis 17 Uhr.<br />

Und wir haben eine Betreuungseinrichtung für<br />

40 Kin<strong>der</strong>, die bis 15 Uhr geht. In <strong>bei</strong>den Einrichtungen<br />

zusammen sind also 100 Kin<strong>der</strong> am<br />

Nachmittag versorgt. Da bekommen die Kin<strong>der</strong><br />

auch Mittagessen, Hausaufgabenhilfe und pädagogische<br />

Angebote. 2013 wollen wir Ganztagsschule<br />

werden.<br />

THOMAS SCHWARZER: Ist die Nachfrage nach ganztägiger<br />

Betreuung hier so groß? Die offiziellen Zahlen zeigen<br />

ja, dass Familien mit einer Migrationsgeschichte ihre<br />

Kin<strong>der</strong> nicht so früh und nicht so häufig für den Ganztag<br />

anmelden.<br />

MARESI LASSEK: Doch, die Nachfrage ist groß und<br />

es gibt lange Wartelisten, alle Kin<strong>der</strong> brauchen den<br />

ganzen Tag. Bisher haben wir uns aber gescheut,<br />

in den Ganztagsbetrieb einzusteigen, weil wir<br />

wissen, das bedeutet das <strong>Aus</strong> für unseren Hort.<br />

Wir haben eine gute Kooperation mit dem St. Petri<br />

Hort und von daher war das für uns bis zum vorletzten<br />

Jahr nicht denkbar. Angesichts <strong>der</strong> Platzknappheit<br />

hier haben wir aber das Gespräch<br />

gesucht und jetzt eine enge Kooperation mit St.<br />

Petri in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Entwicklung des Ganztags.<br />

Wir hoffen, einen Weg zu finden, über den die<br />

personelle Struktur auch im Ganztag erhalten<br />

bleiben kann – aber dann für mehr Kin<strong>der</strong>.<br />

THOMAS SCHWARZER: Auch an an<strong>der</strong>en Bremer Schulen<br />

heisst es, das Hortkonzept sei pädagogisch sehr gut<br />

und wenn <strong>der</strong> Hort wegfällt, gäbe es eine Verschlechterung<br />

am Nachmittag. Deshalb waren Sie auch erst mal reserviert?<br />

MARESI LASSEK: Ja, die Ganztagsausstattung ist<br />

bisher deutlich schlechter als die Hortausstattung.<br />

Wir hätten – davon war auszugehen – die gleiche<br />

Anzahl von Mitar<strong>bei</strong>tern gehabt, aber statt für<br />

100 Kin<strong>der</strong> auf 180 Kin<strong>der</strong> verteilt. Das war für uns<br />

schon ein Grund zu sagen, wir geben etwas Gutes<br />

auf und nehmen zusätzlich den Wegfall <strong>der</strong> Ferienbetreuung<br />

in Kauf, wenn kein Hort gewährleistet<br />

ist. Jetzt haben sich aber die Bedingungen in<br />

Bremen ein bisschen für den gebundenen Ganztag<br />

geän<strong>der</strong>t. Zusätzlich kam aus dem Stadtteil das<br />

deutliche Signal, was ihr macht, das ist zu wenig.<br />

THOMAS SCHWARZER: Und wird es dann von den<br />

Lehrerstunden hinreichend sein?<br />

MARESI LASSEK: Seit diesem Jahr erfährt das Konzept<br />

des ›offenen Ganztags‹ in Bremen plötzlich<br />

viel Zustimmung. So viel, dass Schulen im offenen<br />

Ganztag eine sehr viel bessere Lehrerausstattung<br />

zugesagt bekommen haben (für jede Gruppe acht<br />

Lehrerstunden zusätzlich) als gebundene Ganztagsschulen.<br />

Bei den gebundenen Ganztagsschulen<br />

bekam bisher jede Gruppe lediglich zwei Lehrerstunden<br />

zusätzlich. Diese Ungleichbehandlung ist<br />

offensichtlich geworden und nun sollen gebundene<br />

Ganztagsschulen in sogenannter ›Brennpunktlage‹<br />

Schritt für Schritt in diese Acht-Stunden-<br />

<strong>Aus</strong>stattung eingebunden werden.<br />

THOMAS SCHWARZER: Und diese <strong>Aus</strong>stattung ist gut<br />

o<strong>der</strong> hinreichend?<br />

MARESI LASSEK: Wir können es ja nicht aus <strong>eigene</strong>r<br />

Erfahrung beurteilen. Aber es ist auf alle Fälle<br />

eine deutliche Verbesserung. Wir gehen davon aus,<br />

weil wir in <strong>der</strong> Sozialindikatorenliste ganz oben<br />

stehen, dass wir die acht Stunden bekommen werden<br />

und hoffen, damit ganz gut hinzukommen.<br />

Aber noch mal zum Frühdienst, weil Sie sieben<br />

Uhr sagten, wir fangen kurz nach sieben Uhr an<br />

mit einem Frühstücksangebot. Das machen Mütter.<br />

THOMAS SCHWARZER: Das heißt, jedes Kind startet<br />

auf jeden Fall mit einem Frühstück?<br />

MARESI LASSEK: Ja, es muss aber angemeldet sein.<br />

Die Kin<strong>der</strong> können nicht heute kommen und morgen<br />

nicht, es gibt eine Verbindlichkeit. Insgesamt<br />

haben wir um die 20 Kin<strong>der</strong>, die am Frühstück<br />

teilnehmen. Das ist eine richtig große Gruppe und<br />

viel mehr ginge auch mit unserer <strong>Aus</strong>stattung<br />

nicht, denn das Frühstück finanzieren wir selbst,<br />

dafür gibt es keine Ressourcen aus dem Bildungshaushalt.<br />

Alle Lebensmittel und eine ganz geringe<br />

Aufwandsentschädigung für die Mütter müssen<br />

wir über Sponsorengel<strong>der</strong> finanzieren und Sponsoren<br />

finden wir hier nicht so leicht.<br />

THOMAS SCHWARZER: Weil es nicht genug finanzkräftige<br />

Geschäftsleute gibt?<br />

MARESI LASSEK: Auch das, aber Sponsoren kommen<br />

selten an Schulen wie unsere und sagen, wir<br />

möchten etwas Gutes tun. Sponsoring wird ja ganz<br />

an<strong>der</strong>s wahrgenommen, wenn das Engagement in<br />

einem ›respektablen Umfeld‹ geschieht.

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