So geht's - AOK-Bundesverband
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So geht's - AOK-Bundesverband
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<strong>AOK</strong>-Positionen<br />
zur Gesundheitspolitik nach<br />
der Bundestagswahl 2013
<strong>So</strong> geht’s !<br />
Klasse statt Masse<br />
1. In der stationären und spezialfachärztlichen Versorgung<br />
2. In der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung<br />
3. In der Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln<br />
Fair Play<br />
Gute Pflege geht alle an<br />
Selbst Verantwortung übernehmen<br />
„<strong>AOK</strong>-Positionen“ ist eine Verlagsbeilage von G+G · G+G erscheint im KomPart-Verlag (www.kompart.de)<br />
Impressum: Gesundheit und Gesellschaft, Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin · Gestaltung: Anja Stamer<br />
Verantwortlich: Geschäftsführungseinheit Politik und Unternehmensentwicklung des <strong>AOK</strong>-<strong>Bundesverband</strong>es · Stand: Juni 2013
das können wir besser<br />
Unser Gesundheitswesen ist gut. Die meisten Menschen sind damit zufrieden. Doch immer mehr Beteiligte werden<br />
unzufrieden. Sie merken, dass wir noch deutlich besser werden könnten und sollten. Denn wir bezahlen<br />
immer mehr für unsere Gesundheit. Und doch beklagen sich immer mehr Patienten über unnötige oder qualitativ<br />
nicht ausreichende Behandlungen und zu lange Wartezeiten. Und viele Beitragszahler wollen weniger bezahlen.<br />
Und viele Ärzte, Klinikträger, Pflegeeinrichtungen sowie die Gesundheitsindustrie fordern noch mehr Geld für<br />
die Versorgung. Und die Politiker versuchen, diesen allen gerecht zu werden.<br />
Geht das? Können wir noch besser werden? Ist immer mehr Geld die Lösung? Oder müssen wir die vorhandenen<br />
Ressourcen einfach mal intelligenter nutzen?<br />
Wir sind fest davon überzeugt, dass wir besser werden können. Dass wir alle uns nicht auf dem Erreichten ausruhen<br />
dürfen. Wir wollen, dass die Menschen „mehr Gesundheit für ihren Euro“ bekommen. Das ist die Aufgabe<br />
der <strong>AOK</strong>: für ihre Versicherten die Gesundheitsversorgung so zu organisieren, dass sie im Krankheitsfalle das<br />
bekommen, was sie benötigen. Und dafür auch nur so viel bezahlen wie wirklich nötig.<br />
Es ist falsch, wenn hin und wieder gesagt wird, dass „die Kasse das nicht bezahlen will“. Die gesetzlichen Krankenkassen<br />
agieren nicht profitorientiert. Sie handeln ausschließlich im Auftrag ihrer Versicherten für deren notwendige,<br />
ausreichende und zweckmäßige Versorgung zu einem möglichst fairen Preis.<br />
Darum haben wir einige Handlungsfelder identifiziert, in denen wir Verbesserungsmöglichkeiten sehen. Wir wollen<br />
aufzeigen, was falsch läuft und wie man das verbessern kann. Dabei fällt auf, dass die oftmals auch von<br />
Fachleuten als so undurchschaubar bezeichneten Mechanismen des Gesundheitssystems teilweise wirklich sehr<br />
komplex sind. Davon darf man sich jedoch nicht abschrecken lassen. Denn einige Regeln für ein faires, qualitativ<br />
hochwertiges und effizientes Gesundheitssystem sind doch sehr einfach zu verstehen und zu verbessern.<br />
Jürgen Graalmann<br />
Geschäftsführender Vorstand<br />
des <strong>AOK</strong>-<strong>Bundesverband</strong>es<br />
Uwe Deh<br />
Geschäftsführender Vorstand<br />
des <strong>AOK</strong>-<strong>Bundesverband</strong>es<br />
Dr. Volker Hansen<br />
Vorsitzender<br />
des Aufsichtsrates<br />
Fritz Schösser<br />
Vorsitzender<br />
des Aufsichtsrates<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
3
klasse<br />
statt masse<br />
4<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
Die medizinische und pflegerische Versorgung von Patientinnen und Patienten<br />
in Deutschland genießt weltweit einen guten Ruf und hohe Anerkennung. Dies<br />
basiert im Wesentlichen auf dem großen Engagement und der hohen Leistungsfähigkeit<br />
der Ärzte, Pflegekräfte und des medizinischen Fachpersonals sowie<br />
dem leichten Zugang breiter Bevölkerungskreise zu einem umfassenden und<br />
stets dem aktuellen evidenzbasierten medizinischen Stand entsprechenden<br />
Leistungsangebot. Dafür stellt die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) so<br />
viel Geld ihrer Beitragszahler wie noch nie zur Verfügung. 62,47 Milliarden Euro<br />
haben die gut 2.000 Krankenhäuser im Jahr 2012 allein von den Krankenkassen<br />
erhalten. Das sind gut sechs Milliarden Euro oder fast zwölf Prozent mehr<br />
als noch 2009. Für die Arbeit der Vertragsärzte haben die Kassen 2012 fast<br />
35 Milliarden Euro ausgegeben, knapp fünf Milliarden Euro oder gut zwölf Prozent<br />
mehr als 2009. Im selben Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Vertragsärzte<br />
und -psychotherapeuten um mehr als zwei Prozent auf über 157.000.<br />
Trotzdem wächst die Unzufriedenheit. Viele Krankenhausträger klagen darüber,<br />
dass ihren Häusern das Geld für notwendige Investitionen und für mehr Personal<br />
fehlt. Vertragsärzte halten ihre Honorare für zu niedrig und die Vergütungssystematik<br />
für ungerecht. Immer mehr Patienten beschweren sich über überflüssige<br />
Operationen in Krankenhäusern und zu lange Wartezeiten, vor allem<br />
auf Facharzttermine.<br />
Warum ist das so? Und wie kann diese Situation verbessert werden, damit<br />
sich die Menschen in Deutschland darauf verlassen können, im Krankheitsfall<br />
die notwendigen Leistungen in hoher Qualität und zu angemessenen Preisen<br />
zu erhalten?<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
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1. In der stationären und spezialfachärztlichen Versorgung<br />
Was läuft falsch?<br />
Die Planung in der stationären Versorgung richtet sich derzeit<br />
nach falschen Parametern. Jedes Krankenhaus betreibt<br />
seine eigene Investitionsplanung mit dem verständlichen<br />
Ziel, wirtschaftlich möglichst erfolgreich zu sein. Dabei steht<br />
jedoch nicht der medizinische Bedarf einer Region im Vordergrund,<br />
sondern die Frage, wie vorhandene Kapazitäten<br />
weiter genutzt oder sogar ausgebaut werden können, um<br />
durch mehr Behandlungsfälle höhere Einnahmen zu erzielen.<br />
Die Bundesländer betrachten in ihrer Krankenhausplanung<br />
ebenfalls nicht vorrangig, welchen medizinischen Bedarf die<br />
Menschen vor Ort tatsächlich haben, und zwar über die Versorgungsbereiche<br />
ambulant und stationär hinweg. Ambulante<br />
spezialfachärztliche Kapazitäten werden bei der Planung<br />
der Krankenhauskapazitäten nicht berücksichtigt. Die<br />
Länder vollziehen faktisch vielmehr lediglich die Investitionsplanungen<br />
der einzelnen Krankenhäuser nach. Zugleich sind<br />
sie immer weniger bereit, ihrer gesetzlichen Verpflichtung<br />
nachzukommen, diese Investitionen auch zu finanzieren.<br />
1991 betrug das Fördervolumen der Länder noch rund<br />
3,6 Milliarden Euro, das waren mehr als neun Prozent der<br />
GKV-Ausgaben für die Krankenhausbehandlungen. Bis 2012<br />
ist dieser Anteil auf rund 2,6 Milliarden Euro oder nur noch<br />
3,6 Prozent der GKV-Ausgaben gesunken.<br />
Die Qualität der stationären Versorgung spielt fast keine<br />
Rolle. In der Bedarfsplanung wird die Qualität der Leistungen<br />
eines Krankenhauses nicht berücksichtigt; jedes Haus, das<br />
in die Krankenhausplanung aufgenommen worden ist, muss<br />
von den Krankenkassen bezahlt werden, egal welche Qualität<br />
es bringt. Und auch die Vergütung unterscheidet nicht<br />
nach qualitativen Kriterien. Die Qualität der Indikationsstellung<br />
in den einzelnen Häusern wird so gut wie gar nicht<br />
gemessen. Die Ergebnisqualität der Behandlung lässt sich<br />
zwar für immer mehr Indikationen immer besser messen.<br />
Sie hat aber bisher keine Auswirkungen auf die Vergütung<br />
der Krankenhausleistungen oder die Krankenhausplanung.<br />
Die Folge dieser Fehlanreize: Die Krankenhäuser zweckentfremden<br />
ihre Einnahmen aus der GKV für die Betriebskosten,<br />
um die Investitionen – auch der oftmals überbordenden<br />
Kapazitäten – zu finanzieren. Deshalb setzen sie auch darauf,<br />
die Zahl der Behandlungen zu erhöhen und die Personalkosten,<br />
vor allem im Pflegebereich, zu senken. Davon<br />
betroffen sind die Patienten. Die Zahl der Operationen, die<br />
nicht ausschließlich medizinisch zu begründen sind, steigt<br />
und die Qualität einiger Behandlungen verschlechtert sich.<br />
6<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
Die Probleme im stationären und<br />
spezialfachärztlichen Bereich sind lösbar.<br />
Mehr Qualität messen. Es muss gesetzlich festgelegt werden,<br />
dass ein Austausch von Erkenntnissen über die Ergebnisqualität<br />
von Behandlungen zwischen Krankenhäusern,<br />
Vertragsärzten und Krankenkassen datenschutzrechtlich<br />
möglich ist – und dass die Krankenkassen noch mehr die<br />
vorhandenen Erkenntnisse gezielt zur Patienteninformation<br />
nutzen können.<br />
Mehr Transparenz für die Patienten. Die Patienten müssen<br />
sich darüber informieren können, welche Erkrankungen in<br />
welchen Krankenhäusern gut behandelt werden. Dazu müssen<br />
die Informationen für jedermann verständlich und leicht<br />
zugänglich veröffentlicht werden (wie zum Beispiel durch die<br />
Stiftung Warentest oder in Tageszeitungen). Internationale<br />
Erfahrungen zeigen, dass schon allein die Tatsache, dass<br />
Qualität gemessen und verständlich veröffentlicht wird, zu<br />
einer enormen Verbesserung der Qualität führt.<br />
Mehr Anreize für die Patienten, gute Qualität zu wählen. Es<br />
muss den Krankenkassen ermöglicht werden, qualitätsbewusstes<br />
Verhalten ihrer Versicherten bei der Wahl eines<br />
Krankenhauses zu belohnen. Entscheidet sich ein Versicherter<br />
bewusst für ein qualitätsgesichertes Krankenhaus, sollte<br />
die Kasse ihm beispielsweise die Zuzahlung erlassen dürfen.<br />
Mehr Anreize für das Klinikmanagement, gute Qualität<br />
anzubieten: Gutes Geld nur für gute Qualität. Das DRG-<br />
System hat sich grundsätzlich bewährt, denn es hat die<br />
Transparenz und die Produktivität der Krankenhausleistungen<br />
enorm verbessert. Doch je mehr Qualitätsparameter<br />
messbar sind, desto mehr könnte es nun noch weiterentwickelt<br />
werden, indem sich die Qualitätsergebnisse auch in<br />
der Honorierung abbilden. <strong>So</strong> sind beispielweise Abschläge<br />
für ein fehlendes oder schlechtes Entlassungsmanagement<br />
denkbar.<br />
Mehr Anreize für das Klinikmanagement, gute Qualität<br />
anzubieten: Einfache Maßnahmen der Qualitätssicherung.<br />
Um den Patienten die Sicherheit zu geben, dass ausschließlich<br />
die medizinische Indikation die Grundlage für eine<br />
Behandlung ist und nicht das Erreichen von kaufmännischen<br />
Planvorgaben, dürfen Zielvereinbarungen zwischen<br />
Krankenhäusern und ihren ärztlichen Führungskräften keine<br />
mengenbezogenen Vorgaben mehr enthalten. Die Qualität<br />
der Indikationsstellung kann auch verbessert werden, wenn<br />
flächendeckend Zweitmeinungsverfahren eingeführt werden.<br />
Auch sollten Krankenhäuser solche Behandlungen, bei<br />
denen der Qualitätsstandard von der Anzahl der Eingriffe<br />
abhängt, nur dann durchführen dürfen, wenn sie die notwendige<br />
Mindestzahl erfüllen.<br />
Mehr Anreize für das Klinikmanagement, gute Qualität<br />
anzubieten: <strong>So</strong> viele Kapazitäten vorhalten, wie wir wirklich<br />
brauchen. Die Vergabe von Krankenhausinvestitionsmitteln<br />
sollte stärker an der Qualität der medizinischen Leistungen<br />
sowie am tatsächlichen Bedarf innerhalb der Versorgungsregion<br />
ausgerichtet sein. Dazu ist es zum einen notwendig,<br />
dass über die Investitionen alle für die Gesundheitsversorgung<br />
verantwortlichen Akteure entscheiden – auch die Krankenkassen.<br />
Denn die finanzieren zwar schon jetzt faktisch<br />
den Großteil der Investitionen, haben aber auf die Planung<br />
der Investitionen bisher keinen Einfluss. <strong>So</strong>mit könnte eine<br />
aus Sicht der Versicherten bedarfsgerechte Kapazitätsplanung<br />
erzielt werden.<br />
Zum anderen muss die Planung der Leistungsmengen für<br />
die Leistungen, die sowohl von Kliniken als auch Fachärzten<br />
ambulant durchführbar sind, endlich für beide Bereiche<br />
gemeinsam erfolgen. Die bisherigen Grenzen zwischen<br />
ambulanter und stationärer Versorgung entsprechen nicht<br />
den Patientenbedürfnissen und müssen abgebaut werden.<br />
Anstelle des jetzigen Prinzips „Wer kann, der darf“, das zu<br />
Doppelstrukturen und erheblichen Ineffizienzen führt, sollte<br />
eine sektorenunabhängige fachärztliche Versorgungsstruktur<br />
aus Krankenhäusern und Vertragsärzten entstehen, die<br />
sich am Bedarf vor Ort orientiert. Die Leistungsmengen sollten<br />
sektorenübergreifend geplant und von den Krankenkas-<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
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sen unter Vertrag genommen werden. Wenn die Leistungen<br />
dann auch nach gleichen Qualitätskriterien gemessen und<br />
nach einer diagnosebezogenen Gebührenordnung bezahlt<br />
werden, die in den jeweiligen Regionen gleiche Preise für<br />
gleiche Leistungen sicherstellt, würde ein Qualitätswettbewerb<br />
initiiert, bei dem der Patient und Versicherte der<br />
Gewinner ist. Denn das Angebot richtet sich dann nach dem<br />
Bedarf der Patienten aus. Qualitativ schlechtere Anbieter<br />
sowie unnötige Doppelstrukturen (Ineffizienzen) würden<br />
somit im Qualitätswettbewerb abgebaut.<br />
Mehr Anreize für das Klinikmanagement, gute Qualität<br />
anzubieten: Schlechte Qualität ausschließen. Zugleich<br />
sollte es möglich sein, schlechte Qualität nicht zu vergüten.<br />
Dazu sollte ein Krankenhaus für diejenigen Erkrankungen, in<br />
denen es weit unterdurchschnittliche Qualität erbringt, nicht<br />
mehr in der Krankenhausplanung berücksichtigt werden –<br />
selbstverständlich unter Einhaltung von raumplanerischen<br />
Kriterien, wie beispielsweise der sinnvollen Entfernung zu<br />
bestimmten Einrichtungen, so dass sichergestellt ist, dass<br />
es zu keinen Versorgungsengpässen kommen kann. Ebenso<br />
müssten Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, für planbare<br />
Leistungen mit Krankenhäusern qualitätsbasierte Einzelverträge<br />
abzuschließen. Denn wenn eine Krankenkasse<br />
auf Basis valider Qualitätsmessungen genau weiß, in welchem<br />
Krankenhaus die Versicherten eine weit unterdurchschnittliche<br />
Versorgung für eine bestimmte Erkrankung<br />
erhalten, dann ist es ethisch nicht vertretbar, die Kasse weiterhin<br />
dazu zu verpflichten, auch mit diesen Krankenhäusern<br />
einen Versorgungsvertrag abzuschließen und somit ihre Versicherten<br />
„sehenden Auges“ der schlechteren Qualität auszusetzen.<br />
Mehr Qualität auch für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.<br />
Für eine medizinisch notwendige und qualitativ<br />
hochwertige Versorgung sind aber nicht nur Indikationsstellung<br />
und Ergebnisqualität der Behandlung von<br />
Bedeutung, sondern auch der Umgang mit neuen Behandlungs-<br />
und Untersuchungsmethoden. Auch hier gibt es<br />
gegenwärtig im stationären Sektor erhebliche Qualitätsunterschiede.<br />
Anders als im ambulanten Bereich oder in der<br />
Arzneimitteltherapie. Dort muss zunächst nachgewiesen<br />
sein, dass die Behandlungsmethoden und Medikamente<br />
auch wirklich wirksam und sicher sind, bevor sie zur Therapie<br />
in der GKV eingesetzt werden dürfen. Im stationären Sektor<br />
hingegen lassen die derzeitigen Rahmenbedingungen es<br />
zu, dass Patienten neuen Behandlungs- oder Untersuchungsmethoden<br />
unterzogen werden, über deren Nutzen<br />
und Risiken nur unzureichende Erkenntnisse vorliegen. Die<br />
Anwendung stellt faktisch ein Experiment dar, das jedoch<br />
nicht – wie bei Arzneimitteln – im Rahmen einer klinischen<br />
Studie erfolgt und entsprechend evaluiert wird.<br />
Um künftig sicherzustellen, dass die Patienten mit<br />
Behandlungs- und Untersuchungsmethoden behandelt<br />
werden, die wirklich wirksam und sicher sind, sollte nach<br />
dem Vorbild der frühen Nutzenbewertung bei Arzneimitteln<br />
eine beim G-BA angesiedelte Frühbewertung von neuen<br />
Behandlungs- und Untersuchungsmethoden erfolgen. Wird<br />
hierbei festgestellt, dass die Studienlage noch unzureichend<br />
ist, wird die Leistung im Rahmen einer aussagekräftigen<br />
Studie erprobt und so lange ausschließlich in den studiendurchführenden<br />
Einrichtungen angewendet.<br />
Damit sich was bewegt: <strong>So</strong>fortprogramm für eine konstruktive<br />
Weiterentwicklung. Die vorgeschlagenen Maßnahmen<br />
umzusetzen, dauert Zeit. Zeit, in der die beschriebenen Fehlentwicklungen<br />
weiterlaufen, das heißt die Versorgungsqualität<br />
noch nicht verbessert wurde und die unnötigen Ausgaben<br />
noch nicht reduziert wurden. Damit diese Zeit so kurz<br />
wie möglich ist, ist die Entwicklung der Grundlohnsumme als<br />
Obergrenze für die Ausgabensteigerung heranzuziehen.<br />
8<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
2. In der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung<br />
Was läuft falsch?<br />
Das Geld für die vertragsärztliche Versorgung wird nach<br />
Kriterien verteilt, die sich nicht vorrangig am Bedarf der Versicherten<br />
und an den vor Ort notwendigen Leistungen orientieren.<br />
Das betrifft die regionale Verteilung: Das Geld fließt in<br />
Ballungszentren und Stadtteile mit einem Überangebot vor<br />
allem an Fachärzten und fehlt in Regionen und Stadtteilen<br />
mit Versorgungsbedarf.<br />
Das betrifft auch die innerärztliche Verteilung: „Sprechende<br />
Ärzte“, wie beispielsweise Haus- und Kinderärzte,<br />
stehen meist am unteren Ende der Einkommensskala, techniknahe<br />
Facharztgruppen wie Radiologen oder Dialyseärzte<br />
erhalten teils ein Mehrfaches an Honorar.<br />
Durch die unterschiedlichen Vergütungssysteme – der Einheitliche<br />
Bewertungsmaßstab (EBM) und die Gebührenordnung<br />
für Ärzte (GOÄ) – sind privat versicherte Patienten für<br />
niedergelassene Ärzte wirtschaftlich lukrativer als gesetzlich<br />
Versicherte. Privatpatienten werden daher vor allem in Facharztpraxen<br />
bei der Terminvergabe bevorzugt.<br />
Die Folge dieser Fehlanreize: Gesetzlich Versicherte klagen<br />
in einigen Regionen darüber, dass nicht genügend Ärzte in<br />
der Nähe sind, und über immer längere Wartezeiten für Termine<br />
bei Fachärzten. Jeder zweite Versicherte muss inzwischen<br />
mehr als eine Woche auf einen Termin warten; 2006<br />
war es noch jeder dritte. Während in einigen Regionen Ärzte<br />
fehlen, gibt es in zahlreichen Regionen und Facharztgruppen<br />
zu viele Ärzte und entsprechend zu viele Leistungen, die von<br />
den Krankenkassen vergütet werden.<br />
Darüber hinaus verkaufen Ärzte den gesetzlich Versicherten<br />
immer häufiger sogenannte Individuelle Gesundheitsleistungen<br />
(IGeL), deren Nutzen für die Patienten zumeist<br />
nicht belegt ist.<br />
Die Probleme im haus- und<br />
fachärztlichen Bereich sind lösbar.<br />
Die Grundvoraussetzungen sind gut. Denn noch nie gab es<br />
so viele junge Menschen, die Ärztin oder Arzt werden möchten.<br />
Der medizinische Fakultätentag wies jüngst darauf hin,<br />
dass in den kommenden zehn Jahren rund 100.000 Studierende<br />
ihr Studium erfolgreich abschließen werden. Zieht<br />
man von dieser Zahl jene Absolventen ab, die keine ärztliche<br />
Tätigkeit aufnehmen werden oder ins Ausland gehen –<br />
das sind derzeit 11,6 Prozent –, verbleiben zirka 88.000<br />
Ärztinnen und Ärzte, die in Deutschland bis zum Jahr 2020<br />
ausgebildet werden. Denen stehen jene 72.000 Ärztinnen<br />
und Ärzte gegenüber, die laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung<br />
bis 2020 aus Altersgründen aus der stationären und<br />
ambulanten Tätigkeit ausscheiden werden.<br />
Die Attraktivität des Arztberufes ist hoch. Das gilt für das<br />
zu erwartende Einkommen ebenso wie für die damit verbundene<br />
Sicherheit des Arbeitsplatzes. Gaben laut einer Befragung<br />
des Medizinischen Fakultätentages 2001 nur 22 Prozent<br />
der Studierenden an, dass sie ein gutes Einkommen als<br />
einen Nutzen des Medizinstudiums ansehen, sind es aktuell<br />
59 Prozent. Sahen 2001 gerade mal neun Prozent die<br />
Arbeitsplatzsicherheit als einen wichtigen Aspekt, so sind es<br />
nun schon 63 Prozent der Befragten.<br />
Ärzte dahin, wo sie gebraucht werden. Wesentliche Ursache<br />
dafür, dass es in einigen Regionen und in einigen Fachdisziplinen<br />
zu viele Ärzte gibt, während in anderen Regionen<br />
und Fachdisziplinen Ärzte fehlen, ist die Honorierung der<br />
Ärzte. Das Geld fließt nicht dorthin, wo der Bedarf der Patienten<br />
für die entsprechende ärztliche Leistung vorhanden<br />
ist, sondern dorthin, wo der Bedarf der Ärzte ist.<br />
Die Verteilung des Geldes an die Vertragsärzte muss zwischen<br />
den einzelnen Regionen und zwischen den Facharztgruppen<br />
neu geregelt werden. Künftige Basis für die Abrechnungen<br />
sollten der Behandlungsgrund und der Behandlungsumfang<br />
sein. Nicht mehr wie derzeit die ärztliche<br />
Verrichtung und die einzelnen Therapieschritte. Das Ziel ist<br />
eine leistungsbezogene Vergütung, die sich am Versorgungsbedarf<br />
der Patienten orientiert. Das hat zwei Effekte:<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
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Das Geld wird regional angemessener verteilt und die Vergütungsgerechtigkeit<br />
sowohl zwischen Haus- und Fachärzten<br />
als auch zwischen den Facharztgruppen nimmt zu.<br />
Voraussetzung dafür ist, dass der Versorgungsbedarf der<br />
Patienten ermittelt und dokumentiert wird. Dazu müssen die<br />
Vertragsärzte – ebenso wie die Krankenhausärzte – die von<br />
ihnen erfassten Krankheiten und Leistungen nach einheitlichen<br />
Kodierrichtlinien dokumentieren.<br />
Notwendig ist auch eine Korrektur der Vertragsverhandlungen<br />
im ambulanten Sektor. Rechtsverbindlichkeit, Schiedsstellenprinzip<br />
und Berücksichtigung der Belastbarkeit der<br />
Beitragszahler müssen wieder zwingende Voraussetzungen<br />
für faire Verhandlungen werden.<br />
Des Weiteren bietet sich eine Angleichung der unterschiedlichen<br />
Vergütungssysteme für gesetzlich und privat<br />
Versicherte, von EBM und GOÄ, an. Damit könnten heutige<br />
Fehlentwicklungen – unnötig lange Wartezeiten für gesetzlich<br />
Versicherte, unnötige Laborleistungen und Untersuchungen<br />
für privat Versicherte – korrigiert werden. Ein solcher<br />
Schritt darf jedoch weder zu Lasten der gesetzlich Versicherten<br />
erfolgen noch die strukturellen Fehler in der GOÄ-Systematik<br />
in die Versorgung der GKV übertragen.<br />
Mehr hausärztliche Versorgung. Die „sprechende“ und<br />
koordinierende hausärztliche Versorgung ist ein unverzichtbarer<br />
Bestandteil unserer Gesundheitsversorgung. Die Erfahrungen<br />
der <strong>AOK</strong> zeigen: Freiwillig vereinbarte Verträge über<br />
Hausarzt- und Kooperationsmodelle sind geeignete Instrumente,<br />
um dem Hausarzt die notwendige fachliche Vernetzung<br />
und Wissens- sowie Qualitätssicherung zu erleichtern<br />
und somit die Patienten effizienter zu versorgen. Deshalb<br />
braucht es keine Verpflichtung der Kassen, solche Kooperationsverträge<br />
abzuschließen. Der bestehende Vertragszwang<br />
sollte zurückgenommen werden. Freiwillig vereinbarte Verträge,<br />
von deren Wirksamkeit beide Vertragspartner – Ärzte<br />
und Krankenkasse – überzeugt sind, können die hausärztliche<br />
Versorgung stärken und sichern.<br />
Mehr Möglichkeiten für regions- und indikationsspezifische<br />
Versorgung. Durch ihre regionale Anbindung hat die <strong>AOK</strong><br />
bereits einige Modelle auf den Weg gebracht, die für die<br />
individuellen Gegebenheiten vor Ort maßgeschneidert sind.<br />
<strong>So</strong> kann insbesondere die Versorgung von schwer und/oder<br />
chronisch Kranken verbessert werden, indem unter anderem<br />
die Schnittstellen zwischen ambulant, stationär und Rehabilitation<br />
verringert werden. Um auf diesem Weg die regionsund<br />
indikationsspezifische Versorgung bedarfsgerecht weiter<br />
zu verbessern, müssen jedoch oftmals noch immer<br />
bestehende bürokratische Hindernisse beiseitegeräumt werden.<br />
<strong>So</strong> ist insbesondere eine einfachere Bereinigung der<br />
Gesamtvergütung nötig, um Doppelzahlungen zu vermeiden.<br />
Mehr Kooperation, Delegation und Substitution. Bereits<br />
heute sind vor allem in strukturschwachen Regionen besonders<br />
fortgebildete medizinische Mitarbeiter (wie zum Beispiel<br />
„Schwester AGnES“, „Schwester VERAH“) tätig. Sie<br />
entlasten damit den Arzt und sie verbessern die Versorgung.<br />
Denn diese Mitarbeiter werden von den Patienten gerade<br />
wegen ihrer fachlichen und sozialen Kompetenz sehr<br />
geschätzt. Durch eine Substitution bestimmter ärztlicher<br />
Tätigkeiten, wie sie bereits im stationären Bereich üblich ist,<br />
könnte dieser Effekt noch verstärkt werden. <strong>So</strong>mit würden<br />
nicht nur in strukturschwachen Regionen Kapazitätsprobleme<br />
gelöst, sondern könnte auch in städtischen Gebieten<br />
eine Verbesserung der Versorgungsqualität erzielt werden.<br />
Für viele junge Ärztinnen und Ärzte haben heute eine professionsübergreifende<br />
Tätigkeit sowie eine positive Balance<br />
zwischen Arbeit und Freizeit einen hohen Stellenwert. Folglich<br />
sollten Versorgungsstrukturen wie Medizinische Versorgungszentren,<br />
aber auch die „Schwester-AGnES-Modelle“<br />
weiter ausgebaut werden. Zugleich haben Städte und<br />
Gemeinden die Aufgabe, niedergelassenen Ärzten eine gute<br />
Infrastruktur zu bieten.<br />
Mehr Schutz vor unnötigen „Individuellen Gesundheitsleistungen“.<br />
Patienten müssen besser vor medizinisch nicht<br />
notwendigen und ausschließlich privat zu zahlenden Individuellen<br />
Gesundheitsleistungen (IGeL) geschützt werden.<br />
Dazu ist es insbesondere notwendig, dass der behandelnde<br />
Arzt den Patienten darüber informiert, dass diese Leistungen<br />
deswegen nicht im GKV-Leistungskatalog enthalten sind,<br />
weil ihr Nutzen für den Patienten nicht ausreichend nachgewiesen<br />
ist.<br />
10<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
3. In der Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln<br />
Mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG)<br />
wurde ein erfolgreicher Schritt unternommen, um Innovationen<br />
zu fördern und die Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung<br />
weiter zu verbessern. Die neu geschaffenen<br />
Strukturen zur konsequenten Nutzenbewertung sollten als<br />
ein lernendes System begriffen werden, dessen Grundraster<br />
unverändert bleiben sollte.<br />
Mehr Effizienz schaffen. Das Prinzip, dass der Preis der<br />
Medikamente daran gekoppelt wird, ob und wie viel sie den<br />
Patienten nachweisbar nutzen, sollte nicht nur für die neu<br />
auf den Markt gebrachten Medikamente gelten. Auch der<br />
sogenannte Bestandsmarkt bei den patentgeschützten Arzneimitteln<br />
muss – wie politisch beabsichtigt – einer konsequenten<br />
Nutzenbewertung unterzogen werden. <strong>So</strong>llte sich<br />
abzeichnen, dass dies scheitert, so müssten das Preismoratorium<br />
und der momentan erhöhte Herstellerabschlag für<br />
einen weiteren Zeitraum verlängert werden, um die angestrebten<br />
Wirtschaftlichkeitspotenziale realisieren zu können.<br />
Zugleich dürfen verschreibungspflichtige Nachahmerarzneimittel<br />
künftig nicht mehr automatisch mit ihrer Zulassung<br />
in der GKV erstattungsfähig werden. Für diese Arzneimittel<br />
können Krankenkassen künftig mit Herstellern Preisverhandlungen<br />
führen und Versorgungsverträge schließen.<br />
Dadurch entstehen am Bedarf der Versicherten ausgerichtete<br />
Arzneimittelsortimente, aus denen hervorgeht, welche<br />
Arzneimittel zu Lasten der jeweiligen Kasse abgerechnet<br />
werden können.<br />
Mehr Patientennutzen schaffen. Die neuen Strukturen im<br />
Arzneimittelsektor haben gezeigt, wie man ein ausgewogenes<br />
Verhältnis von Innovationsförderung und Wirtschaftlichkeit<br />
schaffen kann. Wo immer möglich, sollte dieser Ansatz<br />
auch in anderen Bereichen genutzt werden, etwa bei Medizinprodukten<br />
oder Hilfsmitteln.<br />
Bei Medizinprodukten spielt der Patientennutzen schon<br />
beim Marktzugang faktisch keine Rolle und wird auch bei<br />
der Vergütung bisher nicht berücksichtigt. Dies muss sich<br />
insbesondere für Hochrisiko-Medizinprodukte ändern. Dass<br />
dies möglich ist, zeigt die frühe Nutzenbewertung bei Arzneimitteln,<br />
wo der Patientennutzen ein entscheidender Faktor<br />
für die Vergütungshöhe ist.<br />
Die Erstattung eines Hilfsmittels soll zukünftig davon<br />
abhängen, ob dieses einen Patientennutzen im Vergleich zu<br />
bestehenden Alternativen nachweisen kann. Basierend auf<br />
solchen Erkenntnissen könnten dann Krankenkassen kassenindividuelle<br />
Verträge abschließen.<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
11
fair<br />
play<br />
12<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
Wenn es um die Aufbringung und die Verteilung des Geldes der Beitragszahler<br />
und die sich daraus ergebenden Anreize für die Akteure auf das Versorgungsgeschehen<br />
geht, ist Fair Play gefordert. Es ist breiter Konsens in Deutschland,<br />
dass das Finanzierungssystem der GKV so ausgestaltet sein muss, dass niemand<br />
aufgrund seiner Einkommensverhältnisse oder Krankheitsrisiken benachteiligt<br />
wird. Durch den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (MRSA)<br />
sowie die Mechanismen zum Ausgleich von Einkommensunterschieden der<br />
Beitragszahler werden die Beitragseinnahmen an die einzelnen Krankenkassen<br />
bedarfsgerechter verteilt als vor der Einführung des MRSA. Damit soll sichergestellt<br />
werden, dass im Wettbewerb um die beste Versorgung weder das Alter<br />
noch der Gesundheitszustand noch das Einkommen der Versicherten eine Rolle<br />
spielen. Der Gesundheitsfonds hat sich dabei als ein Eckpfeiler des Finanzierungssystems<br />
bewährt, über den die bedarfsgerechte Zuweisung von Finanzmitteln<br />
an die einzelnen Krankenkassen erfolgen kann.<br />
Neben fairen Rahmenbedingungen der Finanzierung sind auch eine hohe Verlässlichkeit<br />
und <strong>So</strong>lidität der Finanzierung wichtig. Sie sind die Grundlage dafür,<br />
dass die Menschen Vertrauen in eine verlässliche Gesundheitsversorgung<br />
haben. Die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung ist erstmals seit<br />
vielen Jahren als „solide“ zu bezeichnen. Doch ist sie auch verlässlich? Aktuell<br />
reicht das Geld, um die Versorgung der Versicherten sicherzustellen. Allerdings<br />
beträgt die aktuelle Finanzausstattung sowohl bei den Krankenkassen als auch<br />
im Gesundheitsfonds weniger als eine Monatsausgabe.<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
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Was läuft falsch?<br />
Seit vielen Jahren steigen die Ausgaben in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung ungefähr doppelt so stark wie die beitragspflichtigen<br />
Einnahmen. Außerdem ist die Höhe des<br />
Bundeszuschusses für gesamtgesellschaftliche Aufgaben,<br />
die die GKV über die Gesundheitsversorgung im eigentlichen<br />
Sinne hinaus insbesondere für familienpolitische Leistungen<br />
wahrnimmt, unzureichend und nicht verlässlich. Der Bundeszuschuss<br />
hängt von haushaltspolitischen Entscheidungen<br />
ab. Im Ergebnis kann die gegenwärtige „<strong>So</strong>lidität der Finanzierung“<br />
schnell vorbei sein und Beitragszahler müssten wieder<br />
mit höheren Zahlungen belastet werden.<br />
Die Durchführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs<br />
erfolgt noch immer fehlerhaft. Ein „schlichter“<br />
Berechnungsfehler hat erhebliche negative Konsequenzen<br />
für die Versicherten. Er führt dazu, dass die Zuweisungen an<br />
die Kassen vor allem für ältere und besonders kranke Versicherte<br />
deutlich zu niedrig und für gesunde Versicherte zu<br />
hoch sind. Dadurch werden verzerrte Beitragssatzsignale an<br />
die Versicherten gegeben und den Kassen falsche Handlungsanreize<br />
zur Risikoselektion gesetzt.<br />
Die Probleme in der Finanzierung<br />
der Gesundheitsversorgung sind lösbar.<br />
Mehr Verlässlichkeit für die Beitragszahler. Um auch bei<br />
konjunkturellen Schwankungen sicherzustellen, dass die<br />
medizinische Versorgung finanziert wird, sollten die von den<br />
Beitragszahlern aufgebauten Reserven des Gesundheitsfonds<br />
in eine Schwankungsreserve mit definierter Höchstgrenze<br />
überführt werden, wie sie auch in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung praktiziert wird. <strong>So</strong>lange die Höchstgrenze<br />
nicht erreicht ist, verbleiben die Überschüsse in der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung; wird die Höchstgrenze<br />
überschritten, werden die Beitragssätze gesenkt. Aufgebaute<br />
Reserven müssen dazu dienen, konjunkturbedingte<br />
Einnahmeausfälle in der GKV abzufedern. Sie müssen ausschließlich<br />
für die Beitragszahler verwendet werden, denn<br />
denen gehören sie ja auch. Sie dürfen nicht zur Sanierung<br />
der Staatsfinanzen zweckentfremdet werden.<br />
Mehr Vertrauen in den Staatshaushalt. Erstattungen aus<br />
dem Bundeshaushalt für gesamtgesellschaftliche Aufgaben<br />
der GKV müssen klar definiert, verlässlich und planbar bleiben.<br />
Dazu ist es sinnvoll, gesetzlich zu konkretisieren, welche<br />
Leistungen der GKV durch den Bundeszuschuss zu<br />
finanzieren sind. Denn diese Verlässlichkeit ist leider in<br />
jüngster Vergangenheit immer mehr zu vermissen. <strong>So</strong> wurde<br />
zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes der Erstattungsbetrag<br />
des Bundes an die Krankenkassen für das laufende<br />
und das kommende Haushaltsjahr um insgesamt sechs Milliarden<br />
Euro abgesenkt. Es ist zu befürchten, dass sich diese<br />
negative Tendenz unter den strikten Vorgaben des europäischen<br />
Fiskalpaktes sowie der deutschen Schuldenbremse<br />
noch weiter verstärkt.<br />
14<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
Keine Benachteiligung aufgrund der Einkommensstruktur.<br />
In der ablaufenden Legislaturperiode wurden noch bestehende<br />
Wettbewerbsverzerrungen beseitigt, indem ein vollständiger<br />
Einkommensausgleich installiert wurde. Dass dies<br />
so bleibt, ist essenziell dafür, dass die Gesundheitsversorgung<br />
über die Krankenkassen in einem Wettbewerb um die<br />
beste Versorgung unter fairen Rahmenbedingungen organisiert<br />
werden soll. Faire Rahmenbedingungen bestehen,<br />
wenn die unterschiedlichen Einkommens- und Krankheitsrisiken<br />
der Versicherten keine Wettbewerbsparameter sind.<br />
Kein Versicherter soll einen Nachteil dadurch haben, dass<br />
seine Krankenkasse überdurchschnittlich viele Geringverdiener,<br />
Kranke oder Alte versichert. Auch bei künftigen Reformschritten<br />
garantiert nur ein vollständiger Einkommensausgleich<br />
einen fairen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen.<br />
Keine Belastung der gesetzlich Versicherten, um die Probleme<br />
der privat Versicherten zu lösen. Die private Krankenversicherung<br />
(PKV) steht vor großen Herausforderungen,<br />
insbesondere aufgrund der aktuellen Kosten-, Wirtschaftsund<br />
Kapitalmarktentwicklungen. Die hieraus resultierenden<br />
sozialpolitischen Probleme der PKV-Versicherten dürfen<br />
nicht finanziell zu Lasten der GKV-Versicherten und Beitragszahler<br />
gelöst werden.<br />
Keine Benachteiligung aufgrund der Krankheitsrisiken. Der<br />
2009 eingeführte MRSA soll die unterschiedlichen Krankheitsrisiken<br />
der Krankenkassen ausgleichen und so für gleiche<br />
Wettbewerbsbedingungen sorgen. Der wissenschaftliche<br />
Beirat des Bundesversicherungsamts hat in seiner vom<br />
Bundesgesundheitsministerium beauftragten Evaluation des<br />
MRSA Korrekturen angemahnt. <strong>So</strong> führt ein Berechnungsfehler<br />
dazu, dass vor allem für ältere und besonders kranke<br />
Versicherte die Zuweisungen deutlich zu niedrig sind und im<br />
Gegensatz dazu bei jüngeren, gesunden Versicherten eine<br />
Überdeckung vorliegt. Dieser Berechnungsfehler muss dringend<br />
korrigiert werden, damit ein Wettbewerb unter fairen<br />
Rahmenbedingungen zwischen den Krankenkassen um die<br />
beste Versorgung ihrer Versicherten stattfinden kann.<br />
<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013<br />
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gute<br />
pflege<br />
geht alle an<br />
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<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
Die zukünftige Pflegepolitik muss darauf ausgerichtet sein,<br />
Strukturen aufzubauen, die den Menschen möglichst lange<br />
ein mündiges, selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglichen.<br />
Daneben müssen insbesondere die Qualität der<br />
Pflege sowie die Transparenz darüber verbessert und neue<br />
Wege gefunden werden, die den Menschen ihre drohenden<br />
Finanzierungssorgen nehmen können.<br />
Mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fördern. Eine<br />
wichtige pflegepolitische Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode<br />
ist die grundlegende Neudefinition des Pflegebegriffs.<br />
Dadurch kann ein Perspektivwechsel bei der Feststellung<br />
der Pflegebedürftigkeit erreicht werden, der auch<br />
den Teilhabeanspruch am gesellschaftlichen Leben umfasst.<br />
Der damit verbundene finanzielle Mehraufwand hängt von<br />
der konkreten Ausgestaltung ab.<br />
Doch die Stärkung der gesetzlichen Pflegeversicherung<br />
allein reicht nicht aus. In einer alternden Gesellschaft sind<br />
Länder, Kommunen und Gebietskörperschaften in der<br />
Pflicht, die Infrastruktur auf eine alternde Gesellschaft auszurichten.<br />
Wohn- und Dienstleistungsstrukturen müssen<br />
dem Bedarf von Pflegebedürftigen angepasst und unterstützende<br />
Assistenzsysteme ausgebaut werden. Der Grundsatz<br />
„ambulant vor stationär“ ist durch ein breites Maßnahmenbündel<br />
zu stärken.<br />
Mehr Transparenz über die Qualität der Pflegedienste<br />
und -einrichtungen. Noch immer ist für Pflegebedürftige und<br />
deren Angehörige nicht hinreichend erkennbar, wo und wer<br />
gut pflegt und betreut. Doch die Wahl eines Pflegedienstes<br />
oder Pflegeheimes hat für die Betroffenen eine andere<br />
Bedeutung als der Einkauf beim Bäcker. Deshalb müssen<br />
die systematischen und methodischen Schwachstellen der<br />
Pflege-Transparenzvereinbarungen zügig beseitigt werden.<br />
Mehr Pflegefachkräfte ausbilden. Gute Pflege braucht gut<br />
ausgebildete Fachkräfte. Nötig ist eine Reform der Pflegeberufe,<br />
bei der das weltweit geschätzte duale Ausbildungssystem<br />
auch bei der Finanzierung der Ausbildungskosten zu<br />
Grunde gelegt wird. Die Anerkennung von Qualifikationen<br />
aus anderen Ländern ist ebenfalls notwendig.<br />
Pflegebedürftigen die Angst vor finanzieller Überforderung<br />
nehmen. Eine nachhaltige und solidarische Finanzierung der<br />
Pflegeversicherung und somit die finanzielle Vorsorge für<br />
das Pflegerisiko haben in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert.<br />
Die Politik muss gesellschaftlich akzeptierte und<br />
tragfähige Lösungen bieten, um die Menschen vor finanzieller<br />
Überforderung im Pflegefall zu schützen.<br />
Mehr Qualitätsorientierung in der Pflege. Wie in der<br />
Gesundheitsversorgung sollte zukünftig auch in der Pflege<br />
der Ergebnisqualität ein größeres Gewicht gegeben werden.<br />
Mehr Evidenz im Pflegealltag muss das Ziel sein. Um dorthin<br />
zu kommen, brauchen wir finanzielle Anreizmechanismen.<br />
Gute Pflege muss finanziell belohnt und schlechte Pflege<br />
sanktioniert werden.<br />
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selbst<br />
verantwortung<br />
übernehmen<br />
Entscheidungen sollten möglichst immer dort getroffen werden, wo sie am Ende<br />
auch umgesetzt, verantwortet und finanziert werden müssen. Fachliches Knowhow,<br />
Praxisnähe und finanzielle Verantwortung – im Gesundheitswesen wird<br />
das durch die gemeinsame und soziale Selbstverwaltung verkörpert. In den<br />
letzten Jahren hat der Gesetzgeber jedoch insbesondere der sozialen Selbstverwaltung<br />
zunehmend Entscheidungskompetenz entzogen und damit das<br />
tragende Prinzip der Subsidiarität verletzt. Das „Selbst-Verantwortung-Übernehmen“<br />
wird erschwert. Das muss sich ändern.<br />
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<strong>AOK</strong>-Positionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2013
Mehr das Know-how der gemeinsamen Selbstverwaltung im<br />
Gesundheitswesen nutzen. Der Gesetzgeber setzt den<br />
gesundheitspolitischen Rahmen, die gemeinsame Selbstverwaltung<br />
der Krankenkassen und Vertragspartner füllen<br />
diesen auf der Grundlage medizinischer und gesundheitsökonomischer<br />
Fakten aus. Die Kompetenzen der gemeinsamen<br />
Selbstverwaltung müssen ausgebaut und vor interessenmotivierten<br />
Zugriffen geschützt werden.<br />
Mehr Gestaltungsspielräume für die soziale Selbstverwaltung<br />
in den Krankenkassen. Die soziale Selbstverwaltung<br />
handelt im Auftrag der Versicherten- und Beitragszahlergemeinschaft.<br />
Mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Krankenkassen<br />
zur Förderung bedarfsgerechter und qualitativ<br />
hochwertiger Versorgungsangebote schaffen mehr Einflussmöglichkeiten<br />
für die Selbstverwaltung aus Versichertenund<br />
Arbeitgebervertretern. Die Friedenswahl als eine Form<br />
des Wahlverfahrens bei den <strong>So</strong>zialwahlen muss auch in<br />
Zukunft bestehen bleiben. Durch die Friedenswahl wird in<br />
einer hochgradig ausdifferenzierten Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur<br />
die politisch gewünschte regionale, branchen-<br />
und bevölkerungsgruppenübergreifende Repräsentation<br />
der Arbeitgeber und Versicherten in den Verwaltungsräten<br />
der Krankenkassen gewährleistet. Bei der Urwahl<br />
hingegen sind diese Möglichkeiten stark begrenzt.<br />
Mehr Interessenvertretung der Kassen im GKV-Spitzenverband.<br />
Wenn der Gesetzgeber die Mitwirkungsrechte der Versicherten<br />
und Beitragszahler ernsthaft stärken will, dann<br />
muss die schleichende Entwertung der Selbstverwaltungsaufgaben<br />
gestoppt werden. Die <strong>AOK</strong>-Gemeinschaft unterstützt<br />
ausdrücklich die Forderung der Bundeswahlbeauftragten<br />
nach einer Stärkung der Selbstverwaltungsstrukturen im<br />
GKV-Spitzenverband und auf Ebene der Einzelkassen durch<br />
die Verbesserung ihrer Arbeitsfähigkeit und Mitwirkungsrechte.<br />
Die Arbeits- und Entscheidungsfähigkeit des Verwaltungsrates<br />
im GKV-Spitzenverband sollte gestärkt werden.<br />
Grundlage der Sitzverteilung im Verwaltungsrat des GKV-<br />
Spitzenverbandes müssen die Marktanteile nach Versicherten<br />
bleiben. Die Stimmparität zwischen den Versichertenund<br />
Arbeitgebervertretern im Verwaltungsrat ist zu wahren.<br />
Damit diese Ziele ohne Stimmgewichtung im Verwaltungsrat<br />
erreicht werden, ist eine Wahl nach gleichen Regeln in allen<br />
Kassenarten erforderlich.<br />
Mehr ehrenamtliches Engagement unterstützen. Von entscheidender<br />
Bedeutung für die Selbstverwaltungsarbeit sind<br />
auch die Rahmenbedingungen, unter denen die nebenberufliche<br />
Tätigkeit ausgeübt wird. Sie müssen so gestaltet werden,<br />
dass mehr Menschen für das Engagement in der<br />
Selbstverwaltung begeistert werden. Dies betrifft sowohl die<br />
Regeln zur Freistellung bei der Übernahme ehrenamtlicher<br />
Aufgaben als auch die fachlich-inhaltliche Unterstützung der<br />
Selbstverwaltungsarbeit in den Krankenkassen und im GKV-<br />
Spitzenverband.<br />
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www.gesunde-wahl.de | www.<strong>AOK</strong>politik.de<br />
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